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Bikepacking: Mehr als Urlaub auf dem Rad

Bikepacking bedeutet Fahrradfahren mit Gepäck. So viel zur Bedeutung dieser jungen Wortneuschöpfung. Aber was unterscheidet Bikepacking von den typischen Radreisen? Und welche Wünsche und Herausforderungen beschäftigen die Szene?

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Erschöpft, aber glücklich am Ziel. Stefan Barth am Cabo de Sao Vincente, dem südwestlichsten Punkt Europas, und gleichzeitig Endpunkt des knapp 7600 km langen European Divide Trail.

Daniel Gruber, Vorstand des Bikepacking Deutschland e.V., bringt auf den Punkt, wofür Bikepacking steht: „Radurlaub ist Urlaub mit dem Rad. Der Urlaub ist eine wichtige Komponente. Beim Bikepacking hingegen geht es darum, dass ich Rad fahren will. Es hat dadurch eine notwendige sportliche Komponente. Das Radfahren steht im Mittelpunkt.“ Daraus ergeben sich drei wesentliche Punkte, die diese Form des Radfahrens kennzeichnen.

  1. Die Ausrüstung ist minimalistisch
    Das Fahrverhalten des Rads soll möglichst vom Gepäck unbeeinflusst bleiben. Das Rennrad soll nach Möglichkeit trotz verschiedener Bikepacking-Taschen aerodynamisch und relativ leicht bleiben. Das Gravel- oder Mountainbike soll trotz kompletter Ausrüstung noch agil und wendig auf den Trails sein. Wie minimalistisch die Ausrüstung am Ende tatsächlich ist, schwankt zwischen Bikepacker*innen deutlich. Aber der Drang zur Reduktion eint sie. Schwere Gepäckträger mit klobigen Satteltaschen links und rechts sind nur die Notlösung.
  2. Die sportliche Komponente lockt zu Events
    Das Radfahren steht im Mittelpunkt. Wer einen Radurlaub macht, fährt nicht notwendigerweise das ganze Jahr über viel Fahrrad. Wer einen Bikepacking-Trip plant, trainiert gerne ganzjährig, um während des Trips möglichst fit zu sein und trotz einer großen Strecke viel Spaß zu haben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Bikepacking-Szene zahlreiche Events etabliert haben. Hier treffen sich Gleichgesinnte und fahren dieselbe Strecke im selben Zeitraum. Das Spektrum reicht dabei von kompetitiven Rennen auf der Straße bis hin zu möglichst idyllischen Routen in entlegenen Gegenden.
  3. Radsport und Outdoor-Erlebnis verschmelzen
    Beim Bikepacking kommen der Radsport und das Outdoor-Erlebnis zusammen. Einige Bikepackerinnen betreiben Bikepacking mit klarem Fokus auf das sportive Element. Im Vordergrund steht die Teilnahme an Events mit dem Ziel, möglichst schnell enorm große Distanzen zu überwinden. So etwa beim „Transcontinental Race“. Hier fahren die Athletinnen ca. 4000 km quer durch Europa – die Schnellsten in weniger als neun Tagen. Andere hingegen verspüren den Drang, vor der eigenen Haustür loszufahren und ihren Sehnsuchtsort zu erreichen – sei es nun das Mittelmeer, die Alpen oder die Ostsee. Beiden Gruppen ist jedoch gemein, dass das „Draußensein“ ein elementarer Bestandteil des Bikepacking ist. Zwar steht das Radfahren im Mittelpunkt, aber dennoch muss irgendwo übernachtet werden.

Grundbedürfnisse beim Bikepacking

Bikepacking beinhaltet immer Reduktion und einen gewissen Minimalismus. Entsprechend ist die Erwartungshaltung der Bikepacker*innen im Grunde genommen gering. Nichtsdestotrotz gibt es einige Basisbedürfnisse. Diese lassen sich herunterbrechen auf geeignete Routen, Übernachtungsmöglichkeiten und eine gute Infrastruktur zur An- und Abreise.
Egal ob die Bikepacking-Tour mit dem Rennrad auf der Straße oder mit dem Gravel- beziehungsweise Mountainbike offroad stattfindet, eine schöne Route ist das A und O eines gelungenen Bikepacking- Trips. Unter anderem liegt genau hierin ein Grund verborgen, warum sich in der Bikepacking-Szene so viele Events etablieren konnten. Es geht nicht nur um das geteilte Erlebnis oder den kompetitiven Charakter, sondern auch um liebevoll und mühsam gescoutete Routen. Denn trotz moderner GPS-Computer und digitaler Kartendienste ist die Planung einer schönen Tour äußerst mühsam. Wo gibt es Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten? Was sind landschaftliche Highlights? Wo ist wenig motorisierter Verkehr? Wo sind die Wege nicht überlaufen? Wo darf ich überhaupt Fahrrad fahren? All diese Fragen wirken trivial, sind aber in der Praxis mitunter nur mühsam recherchiert und beantwortet.
Denn im Vergleich zu einer Wanderung oder einem Radurlaub mit der Familie ist das Einzugsgebiet schnell riesig. Das Extrembeispiel wurde bereits oben mit dem „Transcontinental Race“ geliefert. 4000 km. Das sind viele Regionen, Bundesländer, Länder. Und verdeutlicht: Auch ein kürzerer Bikepacking-Trip von nur einigen Tagen ist oft grenzüberschreitend und mit entsprechenden Hürden in der Informationsbeschaffung verknüpft.

Übernachtung: Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun

Insbesondere bei kompetitiven Events setzen viele Bikepackerinnen auf die Übernachtung im Hotel oder Gasthof. Unter freiem Himmel ruhen sie sich lediglich tagsüber kurz aus. Der Großteil der Bike-packerinnen allerdings entschei-det sich bewusst für das Übernachten in der Natur. Das Erlebnis des draußen Schlafens ist Teil des Abenteuers. Auch hier kommt minimalistische Ausrüstung zum Einsatz. Ein kleiner Biwacksack, je nach Wetter kombiniert mit einer Isomatte und einem Schlafsack, genügt den meisten. Bei ausgedehnten Trips oder harschen Wetterbedingungen kommen auch kleine Zelte, Tarps (leichte abspannbare Planen) und Hängematten zum Einsatz. Die Erwartungshaltung an den Schlafplatz als solches ist gering. Eine Trinkwasserquelle und eine Trockentoilette sind wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig. Eine viel größere Problematik ergibt sich aus der Frage: Wo dürfen Bikepackerinnen überhaupt mal kurz die Augen zu machen und sich ausruhen? Offizielle Biwack-Zonen oder Trekkingplätze sind in Deutschland eine Seltenheit und vor allem schwierig aufzufinden. Viele Bikepackerinnen fühlen sich daher beim draußen Übernachten unwohl. Es ergibt sich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Dabei geht es in der Regel nur darum, sich nachts etwas auszuruhen. Der Vergleich mit klassischem Camping hinkt. Entsprechende Ausrüstung fehlt und gesucht ist kein Rastplatz für einen langen Aufenthalt, sondern lediglich ein Schlafplatz.

Um auch die technischen Passagen gut meistern zu können, muss das Mountainbike trotz Ausrüstung leicht und wendig bleiben. Beim Schlafkomfort darf auf einer langen Tour dennoch nicht gespart werden. Zelt, Daunenschlafsack, Luftmatratze und Kissen sind mit dabei.

An- und Abreise ungern mit dem Auto

Wer seine Freizeit auf dem Rad verbringt, möchte den Bikepacking-Trip nicht unbedingt mit einer langen Autofahrt beginnen oder beenden. Aber für die An- und Abreise per Rad reicht oftmals die Zeit schlichtweg nicht aus. Gesucht sind daher Destinationen mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr – und zwar inklusive Fahrradmitnahme. Wer im Sommer einmal versucht hat, einen Fahrradplatz im ICE zu reservieren, weiß, wie rar diese aktuell gesät sind.

Transparenz und zentrale Informationsmöglichkeiten

Um die Erwartungen der Bikepacker*innen zu erfüllen, bedarf es keiner großen Infrastruktur. Bereits mehr Transparenz und zentrale Anlaufstellen zur Informationsbeschaffung wären ein großer Schritt. Für eine mehrtägige Wanderung findet sich eine Karte oder ein Reiseführer mit allen nötigen Informationen inklusive Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten. Bei den zahlreichen hervorragend ausgeschilderten Wanderwegen in Deutschland ist während der Tour selbst ein Blick auf die Karte oftmals überflüssig. Beim Bikepacking ergibt sich jedoch das Problem der großen Distanz. Einzelne Routen sind nicht vernetzt. Die Informationen über Schutzhütten, Trekkingplätze etc. ist verteilt und im schlimmsten Fall nicht einmal digitalisiert. Gerade letzterer Punkt bietet ein enormes Potenzial. Die Routenplanung erfolgt primär über digitale Anbieter wie etwa Komoot oder Ride with GPS. Analoge Beschilderung ist dank Smartphone und Fahrradnavi kaum noch notwendig. Wenn Destinationen beispielsweise ihr Angebot an legalen Übernachtungsmöglichkeiten dort verfügbar machten, würde dies die Planung enorm erleichtern. Ähnliches gilt für die Routen. Gerade im Offroad Bereich mangelt es oftmals an der Transparenz, welche Wege befahren werden dürfen und welche in dieser speziellen Region gegebenenfalls nicht. Von den Regionen kuratierte Routen, die untereinander vernetzt sind, würden diesem Problem begegnen.

Es fehlt an Biwack-Zonen und Trekkingplätzen

Absolute Mangelware sind aktuell die naturnahen Übernachtungsmöglichkeiten. Auch hier ist die Verbesserung der Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung der erste Schritt. Dennoch sind mehr Initiativen zur Schaffung von legalen Biwack-Zonen, Trekkingplatzen und Ähnlichem gefragt. Eine Vorreiterrolle in Europa nimmt hier Dänemark ein. Landesweit gibt es zahlreiche kleine Shelter in verschiedensten Ausprägungen. Mit und ohne Zeltwiese, weit abgelegen oder sogar direkt am Fährhafen, mit Trinkwasser und Trockentoilette oder nur als Wetterschutz. Die Koordinaten und Ausstattung der Shelter finden sich zentral in einer App beziehungsweise online. Besser geht es kaum.
Ähnliche Angebote finden sich auch in Deutschland. In Schleswig-Holstein betreibt die Stiftung Naturschutz etwa einige Trekkingplätze. Zum Teil befinden sich diese auf dem eigenen Stiftungsland, andere hingegen sind auf Privatbesitz. Derartige Angebote erhöhen die Attraktivität einer Region für Bikepacker*innen enorm. Idealerweise sind sie nicht nur auf den eigenen Websites geteilt, sondern in zentraleren Informationskanälen enthalten. Mit kleinen Schritten wie diesen lassen sich die Bedingungen für das Bikepacking spürbar verbessern.


Bilder: Deuter – Florian Meinhardt, Stefan Barth