(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Studie aus Großbritannien

Radwege erhöhen Immobilienwerte

Ein gut ausgebautes Radwegenetz kann laut einer Studie von Ökonomen aus Birmingham den Wert einer Immobilie steigern. Dahinter steht für die Wissenschaftler eine potenziell hohe Nachfrage.

Laut zwei britischen Ökonomen besteht ein Zusammenhang zwischen einem gut ausgebauten Radwegenetz und Immobilienwerten in dessen Umfeld. Das haben Erez Yerushalmi von der Birmingham City University und David Hearne von der University of Birmingham am Beispiel des Großraums Manchester festgestellt. „Unsere Ergebnisse deuten auf eine ungedeckte Nachfrage nach Fahrradinfrastruktur hin, eine, die Immobilienentwicklern und politischen Entscheidungsträgern noch nicht bewusst ist“, interpretieren die Forscher ihre Ergebnisse.
Andere Beispiele ließen sich in Großbritannien nicht finden, heißt es in einer Mitteilung. Das dürfte laut den Forschern mit der dortigen schlechten Infrastruktur zusammenhängen. Die mache das Radfahren wenig attraktiv und unsicher. „Gegner von Investitionen in das Radwegenetz argumentieren, dass diese im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern (einschließlich ÖPNV), die eine größere Reichweite haben und mehr Komfort bieten, möglicherweise keine nennenswerten Vorteile bringen“, so die Ökonomen. Derzeit seien Fahrradskeptiker dominierend.

Netzwerkeffekt statt Teufelskreis

Derzeit werde aus einem Teufelskreis heraus nicht ausreichend investiert, schlussfolgern Yerushalmi und Hearne. Schlechte Infrastruktur führe zu wenig Nutzung und die wiederum zu mangelhaften Investitionen in die Infrastruktur. Die höheren Immobilienpreise in der Nähe von Radwegnetzen sprächen jedoch für eine potenziell hohe Nachfrage. Die Wissenschaftler plädieren in einem Text für das Medium „The Conversation“ für einen möglichen positiven Kreislauf, wenn investiert würde. „Das ist ein sogenannter Netzwerkeffekt, bei dem der Wert eines Systems steigt, je mehr Menschen es nutzen, wodurch eine positive Rückkopplung entsteht.“

(sg)


Deutsche Dienstrad ist Partner

Dienstrad-Leasing für Landesbedienstete in Rheinland-Pfalz startet

Nach der Vertragsunterzeichnung vor fast einem Jahr mit der Deutschen Dienstrad kann es jetzt für die Landesbediensteten in Rheinland-Pfalz losgehen. Vorausgegangen waren eine Programmierung der Dienstrad-Applikation und anschließende Tests.

Alle Beamtinnen, Richterinnen sowie Tarifbeschäftigte in Rheinland-Pfalz haben nun die Möglichkeit, über den Deutsche Dienstrad MobilityHub oder auch direkt über den Fachhandel vor Ort Fahrräder zu beziehen. „Wir als Familienunternehmen und Mobility Technology Company möchten das Ziel der nachhaltigen Mobilitätswende zusammen mit der Digitalisierung gemeinsam in Einklang bringen. Mit dem Bundesland Rheinland-Pfalz freuen wir uns über die zukünftig enge Zusammenarbeit“, erklärt Christina Diem-Puello, Geschäftsführerin Deutsche Dienstrad.
„Vom ersten Kontakt haben alle Projektbeteiligten hervorragend zusammengearbeitet. Nach dem Freistaat Bayern ist das Bundesland Rheinland-Pfalz unser nächster Großpartner aus dem öffentlichen Sektor in Deutschland“, sagt Maximilian Diem, Geschäftsführer Deut-sche Dienstrad.
Geleast werden können Fahrräder und E-Bikes, deren Wert (einschließlich Zubehör) den Betrag von 7000 Euro (Hersteller-UVP) nicht übersteigt. Die Bediensteten sind frei hinsichtlich der Wahl des Fahrrads (Marken, Modelle, Typen). Auch E-Bikes, Lastenräder und Fahrräder für Menschen mit Behinderungen sind möglich.

(jw)


Fünf weitere Jahre

EU verlängert Strafzölle auf E-Bikes aus China

Im Januar hat die EU-Kommission entschieden, dass auf in China gefertigte E-Bikes auch in den kommenden fünf Jahren Anti-Dumping-Strafzölle erhoben werden sollen. Der genaue Tarif wird nach Betrieben gestaffelt.

Verzerrt die Volksrepublik China den globalen Wettbewerb durch Subventionen für exportorientierte Industrien und Betriebe? Die Diskussion darüber hält schon länger an – und fokussierte zuletzt stark den Bereich der PKWs mit Elektroantrieb. Aber auch bei den E-Bikes stellt sich die Frage angesichts der enorm großen Fertigungskapazität chinesischer Unternehmen. Während die European Bicycle Manufacturers Association (EBMA) als Vertretung der europäischen Hersteller für eine Fortsetzung der 2019 eingeführten Strafzölle eintrat, hielt LEVA-EU als Vereinigung der Importeure leichter Elektrofahrzeuge vehement dagegen und machte geltend, dass Anti-Dumping-Strafzölle das Preisniveau für E-Bikes erhöhten und somit sozial Benachteiligte von der E-Mobilität ausgeschlossen würden. Zudem seien viele Unternehmen mit der komplexen Bürokratie überfordert, was schon zu einigen Pleiten geführt habe.

Untersuchungen

Im Januar 2024 startete die EU-Kommission auf Ersuchen der EBMA eine Untersuchung dazu, ob die Anti-Dumping-Strafzölle um weitere fünf Jahre verlängert werden sollten. Zentral waren dabei die Fragen, ob China heimische Produzenten wieder oder weiterhin mit Subventionen unter die Arme greifen würde und ob für europäische Produzenten aus dieser Wettbewerbsverzerrung ein Schaden entstehen könnte. Die EU-Kommission lud im Zuge der Ermittlungen auch die Volksrepublik China zu Stellungnahmen ein, aber Peking ging nicht auf diese Offerte ein. Dafür wehrte sich eine ad hoc gebildete Vereinigung von acht europäischen Firmen, die Teile aus China oder Drittländern importieren und E-Bikes aufmontieren, gegen die Verlängerung der Strafzölle. Vergeblich, denn am vergangenen Freitag fällte die EU-Kommission den Entschluss, dass die Anti-Dumping-Strafzölle weiterhin notwendig seien und um fünf Jahre verlängert würden.

Unterschiedliche Sätze

Diesen Entscheid begründet die EU-Kommission damit, dass gerade exportorientierte Industriezweige in China weiter subventioniert würden. Somit würden dort produzierte E-Bikes bei einer Aufhebung der Anti-Dumping-Strafzölle Wettbewerbsvorteile genießen, und dies zum Schaden europäischer Produzenten. Konkret werden auf aus China gefertigte und in die EU importierte Waren die folgenden Tarife erhoben: Für bei der Untersuchung der EU-Kommission nicht kooperative Firmen werden Zölle in der Höhe von 9,9 Prozent bis 70,1 Prozent des Warenwertes fällig. Für kooperative Firmen fallen die Zolltarife mit 3,9 bis 17,2 Prozent deutlich geringer aus. Die Herstellervereinigung EBMA begrüßt den Entscheid der EU-Kommission, der viele KMUs in Europa vor den Folgen eines verzerrten Wettbewerbs schütze.


(lvr)


Sonderauswertung der Unfallstatistik zeigt:

Fahrräder und Pedelecs häufiger in Arbeitsunfälle verwickelt

Die Berufsgenossenschaft BG Verkehr hat meldepflichtige Arbeits- und Dienstwegeunfälle ihrer Versicherten ausgewertet. Pedelecs und Fahrräder sind am zweithäufigsten in Arbeitsunfälle verwickelt.

Genauer geht es in der stichprobenartigen Analyse der BG Verkehr um meldepflichtige Arbeits- und Dienstwegeunfälle, die sich zwischen Juli 2022 und Juni 2023 ereigneten. Hochgerechnet ist insgesamt von 7650 Unfällen die Rede, wovon 6388 als leichte Unfälle ohne stationären Krankenhausaufenthalt zu werten sind. 42 der Unfälle endeten tödlich.
Pkw hatten mit 31 Prozent den größten Anteil am Unfallgeschehen. Auf Platz zwei folgen Fahrräder und Pedelecs, die zusammen auf 23 Prozent der Unfälle kamen. Lkw über 7,5 t waren an 22 Prozent der Unfälle beteiligt, gefolgt von Kleintransportern bis 3,5 t (11 Prozent) und Bussen (6 Prozent).
Fahrräder seien in den Mitgliedsunternehmen der BG Verkehr unter anderem in der Postzustellung und bei den Kurierdiensten relevant. Hinzu kamen in den letzten Jahren Fahrräder, mit denen die Firmen Lebensmittel ausliefern. Pedelecs sorgten in den vergangenen Jahren für einen Schub bei den genutzten Fahrzeugen.

Viele Alleinunfälle

„Was uns bei Fahrrädern und Pedelecs auffällt, ist der hohe Anteil an Alleinunfällen“, sagt Martin Küppers, Leiter Regelwerk und Arbeitssicherheit bei der BG Verkehr. Als Alleinunfälle definiert sind Verkehrsunfälle, bei denen es keinen Unfallgegner gibt. Beispiele sind Stürze oder das Abkommen von der Fahrbahn. Über alle Branchen hinweg beträgt der Anteil der Alleinunfälle 34 Prozent. In den Branchen, in denen Fahrräder und Pedelecs eingesetzt werden, liegt er deutlich höher. Bei den 643 Unfällen in der Lebensmittelauslieferung etwa waren in 583 Fällen Fahrräder oder Pedelecs involviert. Davon waren zwei Drittel Alleinunfälle.
Auch wenn viele Unfälle auf zwei Rädern sich durch schwierige Wetterbedingungen oder Straßenverhältnisse erklären lassen, ist die Hauptunfallursache der Analyse zufolge dem persönlichen Bereich zuzuordnen. „Um unsere Versicherten für die Gefahren auf dem Fahrrad und dem Pedelec zu sensibilisieren, werden wir uns in diesem Jahr aktiv an der Schwerpunktaktion des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) beteiligen, die unter dem Motto ‚Sichere Radfahrmobilität auf Arbeits- und Dienstwegen‘ steht“, kündigt Dr. Nadia Schilling, Leiterin der Fachgruppe Verkehrssicherheit bei der BG Verkehr, an. Geplant ist unter anderem eine Aktion zum bundesweiten Tag der Verkehrssicherheit am 21. Juni. Für mehr Sicherheit sorgen verkehrssichere Fahrräder und Schulungen für den Umgang mit ihnen. „Das ist nur auf den ersten Blick trivial“, heißt es von der BG Verkehr. „Die Fahrphysik eines Zweirads ist mit einer Transportbox oder einem Rucksack auf dem Rücken ganz anders, als es die meisten Radfahrer gewohnt sind“, warnt Küppers.
Ein Lichtblick für die Nutzer*innen der Zweiräder ist, dass der Anteil an den schweren und tödlichen Unfällen sehr gering ist. Lkw verursachten 488 dieser Fälle, gefolgt von Pkw (320 Fälle), Kleintransportern bis 3,5 t (173 Fälle), Fahrrädern (84 Fälle) und Pedelecs (46 Fälle).
Aus dem Untersuchungszeitraum wurden 685 Versicherungsfälle stichprobenartig aufgenommen und untersucht. In der Hochrechnung entsprechen diese 7650 Unfällen. Die Hochrechnungsfaktoren stammen von der DGUV-Arbeitsunfallstatistik.


(sg)


Präfektur Ehime

Velo-City 2027 erstmals in Japan

Zum ersten Mal in der Geschichte der Konferenz findet der Welt-Fahrrad-Kongress Velo-City in Japan statt. Den Zuschlag gab die European Cyclists‘ Federation (ECF) der Präfektur Ehime.

Matsuyama, die Hauptstadt der Präfektur Ehime, hat einen Radverkehrsanteil von 15 Prozent am Modal Split.

Die Präfektur Ehime gilt laut ECF als eine der fahrradfreundlichsten Regionen in Japan. Entsprechend sei der Ort passend, um die 2027er- Ausgabe der Konferenz Velo-City dort abzuhalten. Vom 25. bis 28. Mai 2027 gastieren die globalen Radverkehrsakteur*innen in der Hauptstadt der Präfektur Matsuyama, gelegen im Nordwesten der Insel Shikoku. Als Veranstalter tritt neben ECF die Präfektur Ehime auf. Tokihiro Nakamura, Gouverneur der Präfektur, fühlt sich durch die Entscheidung der ECF geehrt: „Diese Ehre wird in hohem Maße dazu beitragen, das Umfeld für das Radfahren in Japan und damit in ganz Asien zu verbessern, denn die Ausrichtung des weltweit größten Radverkehrs-Events hier in Japan wird auch dazu beitragen, dass die Menschen mehr über die Radverkehrspolitik erfahren, die in Europa entwickelt wird. Fahrräder sind nicht nur nachhaltige Verkehrsmittel, sondern auch eine wunderbare Möglichkeit, die Gesundheit zu fördern, eine Sinnhaftigkeit im Leben zu finden und neue Freundschaften zu schließen.“
In Japan macht der Radverkehr etwa 13 Prozent des Modal Splits aus. In Matsuyama liegt dieser Wert bei 15 Prozent. Ein Viertel der Menschen fährt mit dem Rad zur Arbeit oder zur Schule. Die Radverkehrsförderung der Präfektur nimmt unter anderem die Rolle des Fahrrads als Transportmittel und in der Tourismusförderung in den Blick. Seitens der ECF freut man sich über die Zusammenarbeit mit der Präfektur. Präsidentin Jill Warren: „Ehime ist ein außergewöhnliches Beispiel für eine Region, die die vielen Vorteile des Radfahrens als inklusives, widerstandsfähiges und gesundes Verkehrsmittel nutzt und gleichzeitig einen Beitrag zu Zielen wie den Sustainable Development Goals (SDGs) leistet. Wir glauben, dass Ehime und Japan eine Quelle großer Inspiration für viele Städte und Länder sein können, wenn es darum geht, das Radfahren sicher und zugänglich zu machen, und wir glauben, dass viele unserer Velo-Citizens sehr daran interessiert sein werden, Ehime im Rahmen ihrer Teilnahme 2027 kennenzulernen.“
Vor der japanischen Präfektur sind noch zwei andere Austragungsorte am Zug. In diesem Jahr findet Velo-city im polnischen Danzig (siehe Seite 80), 2026 dann im italienischen Rimini statt.


(sg)


Für den Aufbau in US-Städten

Hohe Zuschüsse für Swobbee und Oonee

Der Anbieter Swobbee konnte sich gemeinsam mit dem Unternehmen Oonee staatliche Zuschüsse in Höhe von 3,7 Millionen US-Dollar sichern. Das Geld soll in Park- und Ladestationen in US-Städten fließen.

Das US Joint Office of Energy and Transportation fördert den Batteriewechselexperten Swobbee und den Park- und Ladeinfrastrukturanbieter Oonee. Mindestens 20 Park- und Ladestationen in Minneapolis und zehn weitere Stationen in Jersey City sollen die Unternehmen mit den Zuschüssen in Höhe von 3,7 Millionen US-Dollar errichten können. In Jersey City würde sich die Gesamtzahl der Stationen damit auf 17 erhöhen.
Laut Swobbee werden auch in den USA mehr E-Bikes als Elektroautos verkauft. Die geförderten Stationen sollen den Zugang zu sicherer, zuverlässiger und nachhaltiger Mikromobilitäts-Infrastruktur für Pendlerinnen, Lieferfahrende und Großstadt-Bewohnerinnen in den Vereinigten Staaten verbessern. Ein Teil des Geldes fließt an das Rudin Center for Transportation Policy and Management der New York University. Forscher*innen sollen dort die Wirksamkeit des Programms bewerten und einen Leitfaden mit Best Practices entwickeln.
Eine sinnvolle Investition sind die Stationen auch deshalb, weil in New York jeder vierte Haushalt bereits einen Fahrraddiebstahl gemeldet hat und es durch nicht zertifizierte Batterien seit 2022 über 545 Brände und 24 Todesfälle gab. „Dies ist ein Wendepunkt im Kampf um den Ausbau dieser wichtigen nachhaltigen Infrastruktur in Städten überall in Amerika. Ein sicherer, bequemer Ort zum Parken und Laden ist das Fundament der Mikromobilitätserfahrung und sollte ein fester Bestandteil der städtischen Infrastruktur sein“, so Shabazz Stuart, CEO von Oonee. „Wir freuen uns darauf, mit Swobbee, der NYU und den Städten zusammenzuarbeiten, um eine Vorlage zu schaffen, die in ganz Amerika repliziert werden kann.“


(sg)


Bilder: www.pd-f.de / Luka Gorjup / Lux Fotowerk, Pixabay.com, DGUV / Buschardt, ECF/Präfektur Ehime

Mit Lastenrädern können Menschen heute äußerst komfortabel Einkäufe, Kinder, Hunde und mehr transportieren. Vor der Zielsetzung, den Kfz-Verkehr und die damit verbundenen Emissionen zu reduzieren, kann es sinnvoll sein, die Anschaffung der Cargobikes zu bezuschussen. Befragungen von Nutzer*innen aus Bochum und Ingolstadt zeigen, wie diese ihr Verhalten tatsächlich geändert haben.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


„Lastenräder sind ein wichtiger Baustein der urbanen Mobilitätswende“, fasst Cargobike.jetzt die Umfrageergebnisse aus Bochum und Ingolstadt in einer Ende 2024 veröffentlichten Auswertung zusammen. Die Berliner Verkehrswende-Agentur wurde von den zwei Städten beauftragt, der Lastenradanschaffung und dem bisherigen Nutzungsverhalten auf den Grund zu gehen. In Bochum wurden zu diesem Zweck 105 Empfängerinnen im Rahmen einer verpflichtenden Umfrage für die Fördernehmer*innen befragt. In Ingolstadt ergab eine freiwillige Umfrage 133 Rückmeldungen, was einer Rücklaufquote von 45 Prozent entsprach. Alexander Lutz von Cargobike.jetzt erklärt die Hintergründe: „Die Evaluation von Lastenrad-Förderprogrammen ist zwischenzeitlich die Regel, schließlich geht es hier ja um öffentliche Gelder und deren Verwendung. Das Besondere an diesen beiden Fällen war, dass wir die zuständigen Verwaltungsstellen, die durch die Abwicklung der Programme bereits personell extrem beansprucht wurden, als externe Dienstleister an dieser Stelle entlasten und zugleich Vergleichbarkeit zwischen den Kommunen herstellen konnten.“
Die Ergebnisse der Befragungen zeigen deutlich, wie wichtig der finanzielle Anreiz für viele Menschen ist, um sich überhaupt für ein Lastenrad als Eckpfeiler des eigenen Mobilitätsmixes zu entscheiden. In Ingolstadt gaben 76 Prozent der Befragten an, dass die Förderung der ausschlaggebende Grund für die zeitnahe Anschaffung war. 43 Prozent meldeten zurück, dass sie sich ohne die finanzielle Unterstützung gar kein Lastenrad zugelegt hätten. In Bochum zeigt sich ein ähnliches Bild. In der Ruhrgebietsmetropole hätten etwa 75 Prozent ohne Förderung kein Lastenrad angeschafft oder einen etwaigen Kauf zu einem späteren Zeitpunkt getätigt.
Die Stadt Bochum hatte für ihre Lastenradförderung zwischen Juni 2023 und Oktober 2024 71.000 Euro bereitgestellt. Damit konnte die Stadt den Kauf von 142 Cargo-Bikes fördern. In Ingolstadt wurden in den Jahren 2021 und 2023 mit rund 270.000 Euro rund 300 Räder bezuschusst. Alexander Lutz verdeutlicht die Bedeutung gründlicher Auswertungen vor dem Hintergrund klammer Haushaltskassen: „Bei begrenzten Haushaltsmitteln in den Kommunen konkurrieren die unterschiedlichen Verkehrswendemaßnahmen miteinander. Lastenräder haben von allen Formen der Mikromobilität das höchste Auto-Ersatzpotential – das verdeutlicht man der Politik und den Bürger*innen am besten anhand stichhaltiger Zahlen.“

Rege Nutzung

Erfreulich dürfte für die zwei Städte auch sein, dass die Empfänger*innen der Förderung ihre Fahrzeuge regelmäßig nutzen. Über 90 Prozent der Befragten fahren mehrmals pro Woche mit ihrem Lastenrad. In Ingolstadt nutzt ein Drittel das Transportrad sogar täglich. Gemeinsamkeiten zeigen sich auch bei den Einsatzgebieten der Räder in den beiden Städten. Einkäufe und Kindertransporte stehen vorne im Ranking. In Bochum sind dementsprechend 68 Prozent der Nutzerinnen Familien mit Kindern.
In Ingolstadt ersetzen laut Cargobike.jetzt 80 Prozent der Befragten mit ihrem Lastenrad solche Fahrten, die sie zuvor mit dem Auto unternommen hätten. Pro Woche wurden in der bayerischen Stadt 44 Kilometer mit dem Lastenrad zurückgelegt. Daraus ergibt sich hochgerechnet aufs ganze Jahr und die geförderten Räder ein Einsparpotenzial von über 100 Tonnen Treibhausgasen – den Stromverbrauch der E-Bikes schon einkalkuliert. In Bochum bestätigten 61 Prozent der Nutzerinnen eine deutlich verbesserte persönliche Umweltbilanz. Die Auswertungen in Ingolstadt und Bochum zeigen auch Handlungsbedarf. Die Befragten kritisieren zu 68 Prozent in Bochum und zu 50 Prozent in Ingolstadt zu schmale Radwege. Etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) in Bochum hat Bedenken hinsichtlich der eigenen Sicherheit im Straßenverkehr. Auch in Ingolstadt fühlen sich nur die Hälfte der Nutzer*innen sicher. Dort bemängeln die Fördernehmer*innen zudem, dass es an Abstellmöglichkeiten mangelt.

Lastenrad wird Auto vorgezogen

Trotz dieser Verbesserungswünsche ist die Förderung in den beiden Städten aus Sicht der Nutzerinnen ein großer Erfolg. 98 Prozent meldeten in Bochum zurück, mit der Förderung zufrieden zu sein. In beiden Städten schlagen vor allem die entstandene Flexibilität und die Schnelligkeit im Stadtverkehr positiv zu Buche. Viele ziehen das Lastenrad mittlerweile ihrem Auto vor, insbesondere beim Kindertransport. Die Ergebnisse zeigen zumindest für die ausgewerteten Beispiele, wie positiv sich Kaufprämien für Lastenräder auf das Privatleben ihrer Nutzer*innen und das städtische Zusammenleben auswirken können. Lutz fasst zusammen: „Lastenradförderung wirkt und ersetzt viele Pkw-Fahrten, mittel- bis langfristig sogar den einen oder anderen (Zweit-)Wagen! Wichtig ist jedoch ein Sozialfaktor, der die Anschaffung von Lastenrädern für Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders stark fördert.“


Bild: www.pd-f.de – Florian Schuh

Grenzüberschreitende Fahrradrouten sind gut für Alltags- wie Urlaubsradler*innen und die heimische Wirtschaft. Aber sie fördern auch den Austausch der Menschen und damit europäische Werte.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Einmal am ehemaligen Eisernen Vorhang entlangradeln – von der Barentssee im Norden Europas bis zum Schwarzen Meer im Süden. Für manche klingt das verrückt, für andere nach einem spannenden Fahrradabenteuer. Die Eurovelo-Route 13, der Iron Curtain Trail, ist fast 10.000 Kilometer lang. Über 40 Jahre trennten Mauern, Zäune und Grenzsoldaten die Länder und Menschen voneinander, heute zieht die Route jährlich Tausende Rad-lerinnen aus aller Welt an. Die Eurovelo-Route 13 ist einer von 17 Radfernwegen, die den Kontinent durchqueren und verbinden. Seit 1995 plant und betreut der Europäische Radfahrverband (ECF) das inzwischen rund 90.000 Kilometer lange Netz im engen Austausch mit den Vertreterinnen der Länder. Die länderübergreifenden Strecken sind für die Kommunen wichtig. Sie fördern eine nachhaltige Mobilität im Alltag, in der Freizeit und im Urlaub und sind gut für die Wirtschaft.
Ein genauer Blick auf die einzelnen Eurovelo-Routen zeigt jedoch: Die Qualität muss deutlich besser werden. Der Rheinradweg (EV15) und die Atlantikküsten-Route (EV1) wurden im vergangenen Jahr als erste Routen nach dem „European Certification Standard“ (ECS) zertifiziert. Sie gehören zu den Vorzeige-Radwegen im Eurovelo-Netz und entsprechen den Standards der ADFC-Qualitätsrouten. Auf ihnen sind die Radfahrenden meist komfortabel und fernab vom Autoverkehr unterwegs oder auf wenig befahrenen Straßen. Das gilt jedoch nicht für alle Routen. Im Baltikum etwa sind manche Streckenabschnitte zwar ausgeschildert, aber nicht ausgebaut. Dort müssen sich die Radfahrenden auf der Eurovelo-Route 10 die Straße mit Bussen und Lastwagen teilen. Bei der letzten Bestandsaufnahme des ECF 2022 waren 64 Prozent (ca. 56.000 km) des Eurovelo-Netzes ausgebaut.
Der ECF plant, die Qualität der Eurovelo-Routen bis 2030 deutlich zu verbessern. Der Verband wirbt damit, dass sich die Investition in den Radverkehr für die Kommunen entlang der Routen lohnt. Denn Radfahren liegt im Trend. Allein zwischen 2019 und 2022 stieg die Zahl der Nutzer*innen der Eurovelo-Routen um elf Prozent. Eine internationale ECF-Analyse aus dem Frühjahr 2024 zeigt zudem: Trotz Inflation erwarten fast 90 Prozent der Radreiseveranstalter, dass der Umsatz und die Zahl der Gäste steigen oder zumindest gleich bleiben.

„Mit über 9.800 Kilometern verfügt Deutschland über das längste nationale Netz an Eurovelo-Strecken.“

Agathe Daudibon, Eurovelo-Managerin (ECF)

Freie Fahrt und Austausch

Neben ihrem Nutzen für die Wirtschaft und die Verkehrswende haben die länderübergreifenden Fahrradrouten auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie verbinden Länder und Menschen miteinander und symbolisieren Europas Ziele und Werte – Demokratie, Freiheit, Frieden und Sicherheit. Die Eurovelo-Route 13, der Iron Curtain Trail, spielt dabei eine besondere Rolle. Normalerweise schlagen die Vertreterinnen der Nationalen Eurovelo-Koordinierungszentren (NECC) dem Eurovelo Council neue Routen vor. Beim Iron Curtain Trail war der ehemalige Europaabgeordnete Michael Cramer der Ideengeber. Er wollte im Grünstreifen entlang des Eisernen Vorhangs einen Ort der Begegnung und interkulturelle Erfahrungen schaffen. „Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“, zitiert Cramer Wilhelm von Humboldt. „Das friedliche Ende des Kalten Kriegs ist keine Selbstverständlichkeit, wir hatten damals großes Glück“, sagt Cramer. Die EU unterstützte seine Idee und finanzierte die Route. Der Ausbau läuft seit Jahrzehnten, ist aber noch nicht abgeschlossen. Auch nicht in Deutschland. Erst im vergangenen Jahr wurde eine Lücke im Berliner Mauerradweg mit dem Bau einer Bahnunterführung geschlossen. Über 20 Jahre lang mussten Touristinnen und Alltagsradlerinnen einen Umweg von drei Kilometern über Kopfsteinpflaster fahren. Dass es den Mauerradweg gibt, ist ebenfalls Cramers Verdienst. Direkt nach der Wende hatte er als Abgeordneter mit seiner Partei (Bündnis 90/Die Grünen) und dem ADFC vorgeschlagen, einen Radweg entlang der Mauer in der Hauptstadt zu bauen. Das stieß jedoch auf Widerstand. „Viele Politikerinnen, Anwohnerinnen und Medien wollten die Mauer schnell abreißen“, erinnert sich Cramer. Der CDU-Politiker Theo Waigel wollte den Grünstreifen an der Bernauer Straße in eine sechsspurige Schnellstraße umwandeln. „Aber Helmut Kohl, damals Bundeskanzler und Historiker, lehnte das ab“, sagt Cramer. Kohl wollte die Erinnerung an die Teilung für nachfolgende Generationen bewahren. Das war jedoch noch kein Ja zum Mauerradweg. Über zehn Jahre lang warben Umweltverbände und Radaktivistinnen für den Radweg. Sie diskutierten mit Politikerinnen, Verbänden und Anwohnerinnen und malten streckenweise selbst Piktogramme auf die 160 Kilometer lange Strecke. 2001 startete Michael Cramer dann seine „Mauerstreifzüge“, eine Radtour in acht Etappen auf den ehemaligen Postenwegen der DDR-Grenztruppen rund um Westberlin. „Allein auf einer Etappe waren 250 Radfahrende dabei“, sagt er. Seitdem haben jedes Jahr etwa 1000 Radelnde an diesen Touren teilgenommen.

Am Point Alpha auf der Eurovelo-Route 13 war der Kalte Krieg greifbar. Er war einer von vier
US-Beobachtungsstützpunkten in Hessen. Heute ist Point Alpha eine Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte.

Touristenmagnet Mauerradweg

In dem Jahr beschloss der Berliner Senat, den Mauerradweg auszubauen und zu beschildern. Mittlerweile ist er nahezu fertig und spielt eine wichtige Rolle für den Tourismus in Berlin. Konkrete Zahlen zu den Radreisenden auf dem Mauerradweg liegen laut Christian Tänzler, Pressesprecher der Tourismusabteilung Berlins, nicht vor. Aber Radreiseanbietern zufolge sei der Mauerradweg die meist nachgefragte und am stärksten befahrene Route in der Stadt. „Auf keiner anderen Tour ist die vielfältige Geschichte der Stadt so erfahrbar wie dort“, sagt Tänzler. Gäste aus Deutschland und anderen Ländern kommen nach Berlin, um die Zeugnisse der Geschichte zu sehen. „Der Mauerradweg steht für Teilung, Kalten Krieg, aber auch für die friedliche Revolution und Freiheit“, sagt der Tourismusexperte.
Um die Rahmenbedingungen für den Iron Curtain Trail festzulegen, organisierte die Europäische Kommission mehrere Workshops mit Vertreter*innen aus 20 Ländern. Gemeinsam legten sie Standards für die Streckenführung fest. Dazu gehört, dass der Trail möglichst nah an der Grenze verläuft und sie häufig kreuzt. Außerdem sollten Radfahrende gute Bedingungen zum Übernachten und Einkehren vorfinden, und die Etappen sollen an historischen Zeugnissen des Eisernen Vorhangs vorbeiführen.

„Die Eurovelo-Routen verbinden Regionen und Länder miteinander, sie machen es den Menschen leicht, sich auszutauschen und zu vernetzen.

Michael Cramer, Ideengeber Iron Curtain Trail

Polen wird Vorbild für Deutschland

Der Aufbau einer Eurovelo-Route ist in vielen Ländern ein wichtiger Impulsgeber. „Gerade in Osteuropa ist das die Initialzündung für den Radtourismus“, sagt ein ADFC-Sprecher. Dort sind die Eurovelo-Routen oft das erste und einzige radtouristische Produkt und damit das Rückgrat der radtouristischen Entwicklung. Das gilt auch für Polen. Laut Cramer hinkte Polen zehn Jahre den Nachbarländern beim Ausbau des Iron Curtain Trails (EV13) hinterher. Das änderte sich, als die Tourismusbehörde mit Marta Chelkowska eine neue Führung bekam und mit dem Ausbau begann. „Seit vier Jahren gibt es in Polen nun einen durchgehenden, ausgeschilderten, komfortablen Radweg mit Blick auf die Ostsee. Alle Schwachstellen sind beseitigt“, sagt Cramer. Für ihn wird Polen damit zum Vorbild für Deutschland. Denn auf dem deutschen Abschnitt der EV13 fehlt mancherorts der Lückenschluss oder eine sichere Infrastruktur.
Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern müssen einige Stellen des Ostseeküstenradwegs saniert werden. Große Teile des Radwegs, der direkt am Wasser verläuft, wurden im Frühjahr 2019 durch eine Sturmflut abgetragen. Einige Strecken sind zwar bereits erneuert worden, andere jedoch nur provisorisch oder gar nicht. Für die Regionen kann das auf lange Sicht zum Problem werden. Denn der Ostseeküstenradweg ist bei Radreisenden beliebt. Damit das so bleibt, braucht es komfortable und zusammenhängende Wege.
Die Länder können für die Entwicklung der Eurovelo-Routen Fördermittel der EU beantragen, etwa von „Interreg“. Diese Initiative unterstützte mit fast fünf Millionen Euro das „AtlanticOnBike“-Projekt der Eurovelo-Route 1. Die Beteiligten schufen touristische Angebote, die das Radfahren mit regionalen Besonderheiten verbinden, wie „Radfahren und Gastronomie“, „Radfahren und Angeln“ oder lokale Rundradwege für Tagesausflüge. Ein ähnliches Tourismusprojekt fördert Interreg derzeit für die Länder des Iron Curtain Trails in Mitteleuropa. Alle Kommunen entlang dieser etwa 3000 Kilometer langen Route können das fertige Konzept anwenden und davon profitieren – auch in Deutschland.
Deutschland schneidet beim Ausbau der Eurovelo-Routen laut dem ADFC insgesamt gut ab. „Mit über 9800 Kilometern verfügt Deutschland über das längste nationale Netz an Eurovelo-Strecken“, sagt Agathe Daudibon, Eurovelo-Managerin beim ECF. Die Wege sind zu 90 Prozent durchgehend und fahrradfreundlich ausgebaut. Das liegt auch daran, dass sie mit den nationalen Radrouten im Radnetz Deutschland übereinstimmen. Allerdings sind 73 Prozent der Eurovelo-Strecken hierzulande laut Daudibon nicht beschildert. Wegen der geografischen Lage sei eine lückenlose Beschilderung aber entscheidend, um die internationalen Routen mit den Nachbarländern zu verbinden und die Marke Eurovelo insgesamt zu stärken. Dazu gehöre auch eine Online-Plattform, die die deutschen Eurovelo-Routen samt ihrer Angebote übersichtlich präsentiert.
Die Bekanntheit der Eurovelo-Routen in Deutschland lässt sich also noch verbessern. Das ist vor allem in Zeiten notwendig, in denen über Grenzschließungen diskutiert wird. „Die Eurovelo-Routen verbinden Regionen und Länder miteinander, sie machen es den Menschen leicht, sich auszutauschen und zu vernetzen“, sagt Cramer. Ihr primäres Ziel ist es zwar, den Radtourismus anzukurbeln, aber damit geht immer auch das Interesse an fremden Landschaften, Kulturen und Menschen einher – und ein Austausch auf Augenhöhe.

Unterwegs im Baltikum auf Eurovelo-Routen: Einige Abschnitte haben Vorzeigecharakter, auf anderen müssen sich Radfahrende die Fahrbahn mit dem Fernverkehr teilen. Aber das Umdenken pro Radverkehr hat begonnen.


Bilder: www.eurovelo.com, Michael Cramer, Andrea Reidl

Das Trail- und Wegenetz in der US-Stadt Bentonville fing als philanthropisches Passionsprojekt an. Der Fokus aufs Freizeitradfahren hat die Stadt gewandelt und trägt langsam, aber sicher auch im Alltag Früchte.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Bentonville atmet Mountainbiken. Die Landschaft in und um die Stadt ist durchzogen von Radwegen und Mountainbike-Strecken. Sie erinnert an ein Ski-Resort, in dem die Trails verschiedene Oberflächen und Schwierigkeitsgrade haben, sodass für jeden etwas dabei ist. Die Trails führen durch wunderschöne Wälder und sind umgeben von Natur und Kunst. Egal wo man hinsieht, merkt man, dass Radsport in Bentonville an erster Stelle steht. Vor jedem Café stehen teure (meist unabgeschlossene) Mountain- und Gravelbikes, überall laufen Menschen in Radhosen und Fahrradhelmen herum und mit Fahrrädern beladene Trucks auf dem Weg zum nächsten Trail sind ein gewöhnliches Bild auf den Straßen des Ortes. Der Mountainbike-Fokus macht Bentonville nicht nur für Touristinnen, sondern auch für neue Einwohnerinnen attraktiv.
Bentonville ist ein Städtchen am Fuße der Ozark Mountains im Nordwesten von Arkansas, einem südlichen US-Bundesstaat. Die Einwohnerinnenzahl des Ortes hat sich in den letzten 20 Jahren auf etwa 60.000 Menschen verdoppelt, täglich ziehen ungefähr 30 Menschen in die Region. Was die Stadt besonders macht, ist, dass sich die Einwohnerinnen Bentonvilles den Ort mit Milliardär*innen teilen. Aus Bentonville kommt mit den Waltons nämlich eine der reichsten Familien der Welt. Sam Walton hat 1962 den riesigen Einzelhandelskonzern Walmart in Nordwest-Arkansas gegründet. Teile der Familie leben heute noch oder wieder in der Region, was die Stadt beeinflusst. Die Walton-Familie ist nach wie vor Hauptaktionärin von Walmart, und die von Sam Walton und seiner Frau Helen gegründete philanthropische Walton Family Foundation hat ihren Hauptsitz in Bentonville. Darüber hinaus stehen den Walton-Familienmitgliedern jeweils ihre eigenen philanthropischen Dollars zu. So kommt es, dass Bentonville kein verschlafener Ort ist. Sam Waltons Tochter hat als passionierte Kunstsammlerin 2005 das hochangesehene Kunstmuseum Crystal Bridges gegründet. Zwei der Enkelkinder des Walmart-Gründers, Tom und Steuart, sind passionierte Radfahrer und setzen ihren philanthropischen Fokus entsprechend.

Früh übt sich: Es geht nicht nur um Leistung, Fahrradfahren ist auch Familienaktivität. Das Mountainbike bringt Menschen in Bentonville zusammen.

Bentonvilles Weg zum Mountainbike-Paradies

Bentonvilles Entwicklung zum Mountainbike-Hotspot hat vor rund zwanzig Jahren begonnen. Neben der Passion von Tom und Steuart Walton steht hinter der Finanzierung der Radinfrastruktur die Ambition, einen lebenswerten Ort zu erschaffen. Walmart ist einer der größten lokalen Arbeitgeber, für den viele Menschen nach Bentonville und Nordwest-Arkansas ziehen. Um diesen Menschen einen Ort mit Freizeitwert zu bieten, der zum Bleiben einlädt, wurden schwere Investitionen in die Lebensqualität getätigt. Zwischen 2005 und 2006 wurden die ersten Streckenabschnitte gebaut, 2007 waren die ersten fünf Meilen des sogenannten Slaughter Pen Trails im Norden der Stadt fertig.
Doch das war nur der Anfang. Was als „talent recruitment” für Walmart begann, eröffnete schnell auch Chancen im „destination management”. So wurden die weiteren Investitionen der Walton-Familie begleitet vom Storytelling des Bentonviller Tourismusbüros. Nachdem die ersten fünf Meilen Radwege gebaut und eröffnet und die nächsten 16 Meilen angekündigt wurden, verfolgten die Verantwortlichen die Strategie, den wirtschaftlichen Mehrwert der Radwege für den Ort zu betonen und dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz durch die Menschen in Bentonville zu erhöhen. Denn Menschen, die zum Mountainbiken nach Bentonville kommen, benötigen schließlich auch Schlafplätze und gastronomische Angebote. Sie bringen also Chancen für Hotels, Restaurants und andere lokale Unternehmen mit.
Auch nach außen hin wurden die Geschichte und der Erfolg Bentonvilles erzählt und die Stadt wurde zunehmend als Outdoor-Ziel und Mountainbiking-Destination vermarktet. Das Narrativ des Mountainbike-Erfolgs wurde schon genutzt, als die Radinfrastruktur mit wenigen Meilen noch in den Kinderschuhen steckte. Die Teilnahme einer kleinen Delegation aus Bentonville, bestehend unter anderem aus dem örtlichen Raumplaner und dem Direktor für Parks und Freizeit, an einer Konferenz über Fahrradtourismus im Jahr 2011 wird von der Direktorin des örtlichen Tourismusbüros als Sprungbrett beschrieben. Auch wenn die Stadt damals mit den Mountainbike-Größen Nordamerikas wie Moab oder Whistler noch nicht mithalten konnte, werteten die Verantwortlichen das positive Feedback auf der Konferenz als Zeichen, dass Bentonville auf dem richtigen Weg und einzigartig in seiner Herangehensweise an die Mountainbike-Planung ist. Während in anderen „trail towns” ein Auto unbedingt notwendig ist, wird Konnektivität in Bentonville großgeschrieben. Viele der Trails sind vom Stadtkern aus erreichbar, sodass man nicht auf Auto und Fahrradträger angewiesen ist, um Mountainbiken gehen zu können. Für Touristininnen bedeutet das, dass sie nach ihrer langen Anreise ihr Auto einfach geparkt lassen können. Für Anwohnerinnen heißt es, dass sich das Mountainbiken beinahe nahtlos in den Alltag inte-grieren lässt.
Das Standing des Mountainbikens verbesserte sich nicht nur durch die Trails und die Konnektivität. Es zeigte sich vermehrt in allen Lebensbereichen. Hotels und Cafés wurden fahrradfreundlicher umgestaltet, indem die Gäste hauseigenes Werkzeug nutzen und ihre Fahrräder mitunter mit auf ihre Zimmer nehmen dürfen. In den 2010er-Jahren wurde das Trail-Netzwerk weiter ausgebaut. Das Crystal Bridges Museum of American Art öffnete 2011 seine Türen, welches nicht nur eine bedeutende Rolle in der kulturellen Landschaft Bentonvilles spielt, sondern auch in die Radinfrastruktur der Stadt integriert ist. Es ist umgeben von Natur und Mountainbiking-Trails und mit dem Fahrrad erreichbar. Weiterhin wird der Landkreis Benton County, 2012 ein sogenanntes wet county. Das bedeutet, dass Alkohol seitdem einfacher erhältlich ist – ein kleiner, aber nicht unbedeutender Meilenstein in Bentonvilles Weg zur Radsportstadt. Denn zum Mountainbiken gehört oft auch das gemeinsame Bier danach oder bei Events.
Im Jahr 2015 wählte die International Mountain Bicycling Association Bentonville aus, um ihren World Summit 2016 dort auszurichten. Um die Trail-Konnektivität und Zugänglichkeit hervorzuheben, wurde die gesamte Veranstaltung downtown anstatt in einem Kongresszentrum ausgerichtet. Aus den 400 erwarteten Gästen wurden 600. Die Direktorin von Visit Bentonville bezeichnet das Ganze als einen Wendepunkt auf dem Weg der Stadt zu einer Radsportdestination. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 zieht es immer mehr Menschen nach Bentonville, die aufgrund der Einschränkungen nach Outdoor-Erlebnissen suchen. Vermehrt ziehen Menschen nicht mehr nur wegen ihrer Arbeit bei Walmart in die Gegend, sondern weil die Lebensqualität des Ortes und der Freizeitwert durch die Nähe zur Natur und die Trails hoch sind. Das eröffnet ein neues und größeres Publikum für Bentonvilles Mountainbike-Infrastruktur und macht die Stadt zunehmend auch für die Mountainbike-Industrie attraktiv. In den letzten Jahren haben sich unter anderem ein Clubhouse von Rapha, ein Experience Center vor Specialized und ein Showroom von YT-Industries in Bentonville angesiedelt.

Für alle etwas dabei: In Bentonville gibt es eine große Auswahl an Trails mit verschiedenen Oberflächen und Schwierigkeitsgraden. Gemeinsam haben die Trails, dass sie durch hügelige Wälder führen und oft von Kunstwerken umgeben sind.

Zwischen Miteinander und Verdrängung

Was Bentonville besonders macht, ist, dass sich eine große Gemeinschaft um das Mountainbiken gebildet hat, ohne deren Akzeptanz und Mitarbeit der Erfolg der Stadt nicht möglich wäre. Neben gut erreichbaren Trails, vielen Grünflächen und über 140 öffentlichen Kunstwerken, die oft an Radstrecken liegen, kann man durch diese Community fast jedes Wochenende Mountainbike- oder Gravel-Rennen erleben. Die örtlichen Schulen haben Radfahrprogramme in ihre Lehrpläne integriert, um den Schülerinnen die Bedeutung des Radfahrens näherzubringen und eine aktive Lebensweise zu fördern. Das Community College hat vor Kurzem sogar zwei Lehrgänge eingeführt, die sich auf Trail-Planung und -konstruktion sowie Fahrrad-technik konzentrieren. Das ist in den USA einmalig. Diese starke Identifikation mit dem Radfahren hat aber auch Schattenseiten. Das rasante Wachstum der Mountainbiking-Szene in Bentonville hat zu kulturellen Spannungen zwischen langjährigen Bewohnerinnen und Neuzugängen geführt. Während die neue Welle von Mountainbiker*innen die Stadt bereichert und zur Entwicklung der lokalen Infrastruktur beiträgt, führt sie auch zu steigenden Immobilienpreisen und der allmählichen Gentrifizierung des Ortes. Weiterhin ist Mountainbiking vielerorts ein sehr weißer und männlich dominierter Sport, in den der Einstieg durch teure Ausrüstung und Kleidung erschwert wird. In Bentonville lässt sich zum Teil eine „Bro-Kultur” im Mountainbiken wiederfinden, in der es um Leistung statt Zugänglichkeit und Community-Aufbau geht. Allerdings gibt es hier auch eine große Gegenbewegung, die sich darum bemüht, allen Menschen den Einstieg ins Mountainbiken zu ermöglichen und Gleichgesinnte zu finden, denn in der Gruppe ist Radfahren besser als alleine. Zum einen gibt es Nonprofit-Organisationen wie unter anderem die Women of Oz, Latinas en Bici, Bike.POC und All Bodies on Bikes, die sich jeweils um die Inklusion von Frauen, Latinas, BIPoCs und Menschen verschiedener Körpertypen bemühen. Diese Organisationen bieten anfängerfreundliche Fahrten und Schulungen an, um Barrieren abzubauen, die potenzielle Interessierte sonst vom Sport abhalten könnten.

Fahrradfahren wird in Bentonville zunehmend auch als Mobilitätsform gesehen und nicht nur als Sport. Ein von Schüler*innen entworfenes Wandgemälde weist auf die verschiedenen Fahrradorganisationen in der Stadt hin.

Von Sport zu Mobilität?

Der Fokus auf das Mountainbiken hat die Entwicklung des Radfahrens als Fortbewegungsmittel in Bentonville etwas überschattet. Die Freizeit-Trails haben nicht automatisch zu einer breiten Akzeptanz des Radfahrens für den täglichen Arbeitsweg oder Besorgungen geführt. Obwohl der Anstieg des Freizeitradverkehrs in Bentonville die Existenz von Radfahrerinnen in und um die Stadt normalisiert, stellt das die bestehende autozentrische Stadtplanung kaum infrage. Radfahren ist bislang wenig politisiert. In den letzten Jahren hat sich Bentonville jedoch immer mehr an Infrastruktur für das Radfahren im Alltag herangetraut, was nicht nur auf die Bemühungen von Walmart, sondern auch auf die Radfahrgewohnheiten mancher Zugezogenen zurückzuführen ist. Vor vier Jahren wurde der Radverkehrsplan für Bentonville erneuert und seitdem der Fokus erhöht auch auf Fahrradinfrastruktur auf der Straße gesetzt. So wurden in den letzten Jahren mehrere Kilometer sichere Fahrradinfrastruktur errichtet. Dafür brauchte es unter anderem viel Engagement der örtlichen Planerinnen und Politikerinnen, aber auch der Bürgerinnen. Im Herbst 2024 wurde durch den Einsatz einiger involvierter Bürgerinnen ein Active Transportation Advisory Board gegründet. Dieses Gremium soll dafür sorgen, dass die Bentonviller Radverkehrsplanung mit den Bedürfnissen und Wünschen der Gemeinschaft übereinstimmt. Momentan werden die Stimmen zivilgesellschaftlich engagierter Ein-wohnerinnen von der Bentonville Moves Coalition zusammengebracht. Diese Koalition, die eng mit der Stadt zusammenarbeitet, um nachhaltige Mobilität zu fördern, bündelt die Interessen zivilgesellschaftlich engagierter Einwohnerinnen, um die politische Akzeptanz für das alltägliche Radfahren zu stärken. Dadurch wird es einzelnen Bürgerinnen erleichtert, sich in die lokale Verkehrspolitik einzubringen. Diese Bemühungen zielen darauf ab, eine breitere Fahrradkultur zu schaffen, die sowohl das Freizeit-Mountainbiken als auch das praktische Alltagsradfahren umfasst.
Mountainbiken hat die Stadt Bentonville verstanden. Wurde die Radverkehrsplanung anfangs vor allem durch die Vision und Finanzierung der Walton-Familie vorangetrieben, zeichnet sie sich heute durch Bemühungen von öffentlicher und privater Seite aus. Bentonville hat es geschafft, sich einen einzigartigen Radfahr-Charakter zu verschaffen, der sich durch die Konnektivität und Zugänglichkeit des Trail-Netzwerkes sowie den Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt rund ums Fahrradfahren auszeichnet. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dieser Charakter langfristig auf das Mobilitätsverhalten in der Stadt abfärben kann.


Bilder: Visit Bentonville, Lilian Markfort

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Martin Tönnes
Bundesvorstand Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD)

Radfahren ist günstig, klimafreundlich und gesund. Der ökologische Verkehrsclub VCD fordert die Politik auf, Maßnahmen zur Förderung des Fahrrads umzusetzen. Besonders wichtig: Sichere Mobilität durch breite und gepflegte Radwege – und eine Infrastruktur, die das Rad für alle attraktiv macht.
Die Radinfrastruktur bedarf erheblicher Investitionen. Wie von der Verkehrsministerkonferenz gefordert, muss jährlich eine „Fahrradmilliarde“ bereitstehen. So viel Geld ist nötig, um ein dichtes und sicheres Radnetz inner- und außerorts zu schaffen. Dazu gehören auch vor Diebstahl und Wetter geschützte Stellplätze an Bahnhöfen und zentralen Haltestellen. Die Förderung von (E-)Lastenrädern und Radanhängern muss fortgesetzt und auf Leasing-Angebote ausgeweitet werden.
Länder und Kommunen brauchen im Nationalen Radverkehrsplan Vorrang für die Planung und den Bau überörtlicher Radhauptrouten und -schnellwege, um das klimafreundliche Potenzial von Pedelecs auch für längere Strecken zu heben und sie auch dort zu einer Alternative zum Auto zu machen.
Die Vision Zero, das Ziel von null Verkehrstoten oder Schwerverletzten, muss ins Zentrum der Verkehrspolitik rücken. Der VCD fordert daher eine weitere Reform des Straßenverkehrsrechts, besonders der Straßenverkehrsordnung (StVO). Tempo 30 muss innerorts zur Regelgeschwindigkeit werden – mit Ausnahmen für Tempo 50. Diese Maßnahme schützt effektiv Leben. Und die Infrastruktur im Schul- und Wohnumfeld muss kindgerecht gestaltet werden. In der StVO sollten dafür Verkehrsberuhigungs-Maßnahmen wie Schulstraßen verankert werden.
Weiterhin fordert der VCD eine Pflicht zum Einbau von Abbiegeassistenten bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Denn beim Abbiegen passieren besonders viele tödliche Unfälle. Zudem müssen in der StVO Schutzstreifen auf Landstraßen mit Tempo 70 ermöglicht werden, um die Sicherheit zu erhöhen und auch über Land dichte Radverkehrsnetze zu schaffen.
Mit diesen Maßnahmen möchte der VCD das Fahrrad als sicheres, attraktives und nachhaltiges Mobilitätsmittel für alle Menschen etablieren.


Anke Schäffner
Leiterin Politik & Interessensvertretung
Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) e.V.

In den Wahlprogrammen der Parteien findet das Fahrrad nur sehr wenig bis gar keine Berücksichtigung. Das wird dem Potenzial der Fahrradmobilität nicht gerecht. Von den Koalitionsverhandlungen und der neuen Bundesregierung erhoffen wir uns daher ein stärkeres Bekenntnis zum Fahrrad und zu unserer Branche als zentraler Baustein für die Zukunftsmobilität. Dafür müssen wir als Industrie deutlich machen, dass wir viele gute Lösungen anbieten können, dass wir eine wirtschaftliche Bedeutung für dieses Land haben und dass Radverkehr mehr ist als ein Nice-to-have-Thema.
Mit Blick auf die Fahrradmobilität brauchen wir ein einladendes Netz für Fahrradinfrastruktur. Das „Sonderprogramm Stadt und Land“ ist äußerst erfolgreich und hat dem Fahrrad-Infrastrukturausbau in den Kommunen einen wichtigen Anschub gegeben. Wir sprechen uns für eine langfristige Fortführung und eine dauerhaft abgesicherte Finanzierung aus, damit die Kommunen langfristig planen können. Der Nationale Radverkehrsplan 2030 muss konsequent umgesetzt und mit einem Aktionsplan unterlegt werden.
Die Regelwerke für Verkehrsinfrastruktur müssen endlich überarbeitet werden, um den Planerinnen und Planern zeitgemäße Richtlinien an die Hand zu geben. Wenn wir über Infrastruktur sprechen, müssen Freizeit- und Alltagsradverkehr zusammen gedacht werden. Fahrradtourismus ist längst ein Rückgrat des Tourismus in Deutschland und Jobmotor.
Außerdem gehört die Sicherheit vulnerabler Gruppen viel stärker in den Fokus der Verkehrspolitik als bisher. Die Vision Zero muss endlich als Grundlage im Gesetz verankert werden.
Fahrrad und E-Bike sind Zukunftsprodukte. Die Menschen möchten Fahrrad fahren und aktive Mobilität ist ein zentraler Schlüssel für weniger Staus, lebenswertere Städte, gesündere Menschen und nachhaltigen Tourismus. Unser Appell an die nächste Bundesregierung lautet deshalb ganz klar, das Fahrrad in den Fokus der Verkehrspolitik zu stellen und die wirtschaftliche Bedeutung der Fahrradindustrie ernst zu nehmen.


Wasilis von Rauch
Geschäftsführer Zukunft Fahrrad e.V.

Als Fahrradwirtschaft erwarten wir von der Bundesregierung eine neue Sachlichkeit in der Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik, in der das Fahrrad zusammen mit der weiteren nachhaltigen Verkehrswirtschaft einen Schub bekommt.
Mobil zu sein ist ein menschliches Grundbedürfnis. Sicherheit, Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit sind die Hauptfaktoren für die Wahl des passenden Verkehrsmittels. Saubere Luft, lebenswerte Wohnorte, Arbeitsplätze und Kaufkraft sind wichtig für ein gutes Leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die neue Bundesregierung muss diese Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Verkehrspolitik stellen. Davon profitiert auch ein zukunftsweisender Wirtschaftszweig. Bereits heute hängen rund 500.000 Stellen am „Wirtschaftsfaktor Fahrrad“, an der nachhaltigen Mobilität zusammen mit Bahn, ÖPNV und Carsharing sogar 1,7 Millionen Beschäftigte.
Um die Potenziale des Radverkehrs für die Mobilität der Menschen, für Gesundheit, Klima, lebenswerte Städte und Gemeinden sowie für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu heben, sollte die Bundesregierung an drei konkreten Stellschrauben drehen: Erstens, Infrastruktur ausbauen: Die jährlichen Bundesinvestitionen für den Ausbau der Fahrradinfrastruktur müssen auf eine Milliarde Euro pro Jahr erhöht und langfristig abgesichert werden. Dafür ist eine Reform der Finanzierung notwendig, um Länder und Kommunen durch den Bund langfristig unterstützen zu können.
Zweitens, den NRVP mit verbindlichen Zwischenzielen versehen und umsetzen: Der Nationale Radverkehrsplan 3.0 setzt wichtige Ziele. Ein regelmäßiger, systematischer Fortschrittsbericht stellt sicher, dass diese bis 2030 erreicht werden. Der Nationale Beirat Radverkehr des Bundesverkehrsministeriums wird in die Umsetzung aktiv eingebunden.
Drittens, betriebliche Mobilität als wichtigen Hebel nutzen: Ein großer Teil des Verkehrsaufkommens entfällt auf das Pendeln zum Arbeitsplatz. Das erfolgreiche Dienstradleasing, das eine wichtige Stütze für die Branche ist, benötigt eine Absicherung im Einkommensteuergesetz. Durch ein Mobilitätsbudget könnten mit einer einfachen finanzpolitischen Maßnahme neue Nutzer*innen für nachhaltige Mobilitätsangebote gewonnen werden.
Unser Appell an die neue Bundesregierung und den nächsten Bundestag: Nutzt den Wirtschaftsfaktor Fahrrad!


„Gelobt wird das Fahrrad in der Politik häufig. Aber auf der Straße kommen zu wenige Qualitätsradwege und zu wenige Fahrradparkhäuser an.“

Dr. Caroline Lodemann

Dr. Caroline Lodemann
Bundesgeschäftsführerin des Allgemeinen Deutschen Fahrradclub e.V. (ADFC)

Wir werben für das Fahrradland-Plus und dafür, dass die neue Bundesregierung das Fahrrad als leistungsfähiges Verkehrsmittel ernst nimmt. Das Fahrrad ist ja ein Problemlöser erster Güte: Es reduziert den Stau, macht den Verkehr sicherer, verbessert Gesundheit und Fitness, schafft Lebensqualität, macht Spaß – und fördert auch noch den Wirtschaftsstandort. Attraktive Orte für Menschen und Unternehmen sind fahrradfreundlich – siehe Wien, Kopenhagen oder Utrecht. Auch das westfälische Wettringen hat mit seiner beharrlichen Fahrradförderung die Herzen der Bürgerinnen und Bürger und den ADFC-Fahrradklima-Test gewonnen.
Gelobt wird das Fahrrad in der Politik häufig. Und laut Nationalem Radverkehrsplan soll Deutschland bis 2030 ein attraktives Fahrradland werden. Aber auf der Straße kommen zu wenige Qualitätsradwege und zu wenige Fahrradparkhäuser an. Egal, wo man in Deutschland auf das Rad steigt, irgendwann wird es stressig, unkomfortabel oder gefährlich. Einen wetterfesten Parkplatz für das Rad sucht man meist vergeblich. Das frustriert die Menschen und hält viele vom Radfahren ab.
Unsere Empfehlung an die nächste Bundesregierung ist, einen Bund-Länder-Vertrag zu schließen, um den Radverkehr verbindlich zu fördern. Denn erwünscht ist, dass alle Kommunen gute Bedingungen zum Radfahren anbieten. Außerdem empfehlen wir, ein Zielnetz zu planen – ein Radnetz Deutschland für Alltag und Tourismus. So eine überregionale Netzplanung ist nötig, wenn das Rad sein Potenzial auch als Pendlerfahrzeug entfalten soll. Und schließlich braucht der Radverkehr eine feste Finanzierungssäule. Dafür empfehlen wir – übrigens gemeinsam mit vielen anderen Verkehrsverbänden – einen Infrastrukturfonds.
Der Lohn ist ein weltweit führendes Fahrradland-Plus bis 2035. Mit hervorragend ausgebauten Rad-wegen, fahrradfreundlicher Raumplanung und einer intelligenten Vernetzung mit Bus und Bahn. Mit dreimal so viel Radverkehr wie heute und jährlichen Einsparungen von 19 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Verkehr. Dieses immense Potenzial des Radverkehrs sollte keine Regierungskoalition liegen lassen.


Bilder: stock.adobe.com – katatonia, VCD – Jan Zappner, ZIV – Deckbar, Wasilis von Rauch, ZIV – Deckbar

Der Mountainbike-Tourismus spürt die Auswirkungen der menschengemachten Klima-krise immer deutlicher. Vermehrte Hitzewellen und Starkregenereignisse fordern Trail-Bauer*innen heraus. Die Mountainbike-Branche steht vor immensen Herausforderungen und muss sich an die Klimawandelfolgen anpassen – aber es gibt auch Chancen.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Dass einem das Wetter regelrecht den Urlaub durchkreuzt – die Erfahrung machten drei junge Menschen während ihrer Alpenüberquerung von Garmisch-Partenkirchen nach Garda mit dem Mountainbike. Durch starke Unwetter waren Teile der Strecke weggebrochen. Meterbreite Löcher und umgefallene Bäume zwangen sie, einen dreistündigen Umweg zu fahren. So zeigt es eine Szene der Doku „Das ist Alpencross“ des Deutschen Alpenvereins (DAV) von 2024. Egal ob Trails in den Alpen, in Mittelgebirgen oder Wäldern, von Vereinen oder professionellen Bikeparks, abfahrtsorientierten oder flacheren Regionen – die menschengemachte Klimakrise macht sich im Mountainbike-Sport mit wahrscheinlicher werdenden Extremwettern wie Starkregen, Hitze und Dürre bemerkbar. Die klimatischen Veränderungen führen in Deutschland und Österreich zu wärmeren Sommern und milderen Wintern, mit häufigeren Extremwettern. Durch Dürren, Schädlinge und Waldbrände in trockenen Sommern verschlechtert sich auch der Zustand der Wälder. In den Alpen taut der Permafrost auf. Anpassungs-Management ist da auch bei den Anbieter*innen von Mountainbike-Tourismus angesagt.

„Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“

Jörn Hessen, Mountainbike Forum Deutschland

Vom Trail zum reißenden Bach

Gutes Wasser-Management sei schon immer Thema beim Trail-Bau gewesen, erklärt Jörn Hessen vom Mountainbike Forum Deutschland. „Aber durch den Klimawandel gewinnt es eine völlig neue Bedeutung, da sich durch die zunehmenden Starkregenfälle ein Trail in einen reißenden Bach verwandeln kann.“ Mittlerweile sei Wasser-Management Priorität und oft ausschlaggebend für Streckenverlauf und Design. Drainagen, Ablaufmulden sowie ein gleichmäßiges, nicht zu steiles Gefälle helfen, große Wassermassen abzuleiten. Noch vor ein paar Jahren sei wenig Wert auf ein „exaktes Durchschnittsgefälle“ gelegt worden. Doch mittlerweile wisse man, dass zu steile Passagen „mit Ansage weg erodieren“. Auch könne es helfen, bestimmte Trail-Abschnitte mit Steinen anzulegen und nur die Zwischenräume mit Erde zu füllen, da das weniger ausschwemme und leichter zu reparieren sei.
Auch Hessens Weihnachtsurlaub 2024 nach Norditalien in die Mountainbike-Region Finale Ligure fiel fast ins Wasser, da dort Mitte Oktober heftige Unwetter wüteten und die Trails stark beschädigten. Durch Crowdfunding konnten diese relativ schnell instand gesetzt werden. Außerdem versucht die Region bereits seit ein paar Jahren, die Trail-Pflege auf neue finanzielle Beine zu stellen. Wird mit einer speziellen Karte beziehungsweise App etwa im Restaurant gezahlt, geht ein Prozent des Umsatzes in die Trail-Pflege. Das Modell würde gut funktionieren, so Hessen.
Nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig Regen kann für die Trails zum Problem werden. Die Erde trocknet aus. „Anliegerkurven – Steilkurven – verhärten, werden wie Ton gebrannt und brechen dann einfach weg. Der Trail zerbröselt“, beschreibt Hessen. Betroffen seien insbesondere modellierte Passagen, die der Sonne ausgesetzt sind. „Schadensbegrenzung“ könne durch händisches Bewässern betrieben werden. „Das ist ein riesiger Aufwand“, aber sei im kommerziellen Bereich immer zwingender. Der kanadische „Whistler Mountain Bike Park“ – der größte der Welt – sei stets einen Schritt voraus. Dort habe man schon vor etwa zehn Jahren begonnen, automatisierte Bewässerungssysteme zu installieren. Das werde vermutlich auch in Europa nötig, schätzt Hessen. Auch das Trail-Design werde sich wegen der zunehmenden Hitze verändern. „Anliegerkurven werden nur noch in schattierte Bereiche gebaut werden“, prognostiziert Hessen.

Aufgrund der Klimakrise müssen Mountainbiker*innen flexibler werden, da zunehmende plötzliche Extremwetterereignisse sie zwingen können, ihre Route anzupassen.

Steile Passagen empfiehlt Hessen mit erosionsfestem Material wie Steinen zu befestigen. Die mit Erde gefüllten Zwischenräume werden zwar ausgewaschen, aber können leichter ausgebessert werden.

Fatale Kombi: Erst Dürre, dann Regen

Die Kombination aus langer Trockenphase und heftigen Regenfällen sei laut Hessen „fatal für Trails“, insbesondere für abfahrtsorientierte. „Durch Trockenheit bildet sich Abrieb, weil Kurven wegbrechen, das lagert sich dann samt Steinchen und feinem Geröll in einer Senke ab. Wenn dann Stark-regen kommt, wird unheimlich viel Bodenmaterial von A nach B transportiert.“ Sowas führe nicht selten zu wochenlang gesperrten Trails. Besonders ehrenamtliche Vereine kämen an ihre Grenzen. Eine italienische Trail-Bau-Firma experimentiere deshalb mit verschiedenen Pflanzen, um Trails durch Randbegrünung und besseres Wurzelwerk vor Erosion zu schützen, berichtet Hessen.
Der Mountainbiker ist auch in Freiburg in einem lokalen Mountainbike-Verein aktiv. Das Streckennetz zwischen den Hausbergen Rosskopf und Kybfelsen wird durch Trail-Patenschaften gegen Aufwandsentschädigung oder auf Minijob-Basis gepflegt. Die geänderten Klimabedingungen machen das immer herausfordernder. Letztes Jahr wurden im Rahmen einer Schulung das Wasser-Management an neuralgischen Passagen verbessert oder steilere Abschnitte ein paar Meter zur Seite verlegt.
Zunehmender Borkenkäferbefall und weitere klimabedingte Waldschäden führen zudem zu mehr Totholz im Wald. Das könne ein Risiko für die Erholungsfunktion darstellen, so Hessen. Aber da ein gewisser Totholzanteil den Wald langfristig widerstandsfähiger gegen die Klimakrise mache, sei das Mountainbike Forum Deutschland für gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Umbau zu klimaresilienten Wäldern fördern. „Der Wald ist notwendig für unseren Sport. Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“ Da es in Zukunft voraussichtlich noch weniger intakten Wald geben wird, stehe die Frage im Raum, ob und wie das Mountainbiken in manchen Regionen ohne Wald funktionieren kann, so Hessen. Derartige Strecken seien technisch möglich, aber für viele Mountainbiker*innen unattraktiv und als „Murmelbahnen“ verschrien. „Wir sind auf eine gesunde Natur angewiesen.“

„Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“

Ines Buchgeher, Bikepark Wexl Trails

Wald, Mittel- und Hochgebirge betroffen

„Bisher schaffen unsere Streckenpfleger, die entstandenen Schäden zu beheben“, berichtet Stephan Marx vom Mountainbikepark Pfälzerwald über das dortige Streckennetz, welches über 900 Kilometer lang ist. „Zum Teil müssen wir aber mit temporären Umlegungen reagieren, die wir dann nach und nach wieder instand setzen.“ Zwar habe es auch früher Stürme, Stark-regen oder Trockenheit gegeben, aber in den letzten Jahren seien sie „gehäuft“ vorgekommen und der Pflegeaufwand gestiegen. Besonders die Kombination von Trockenphasen, die den eher sandigen Boden im Pfälzerwald auflockern, und folgende Starkregen führten zu mehr Erosionsschäden. Außerdem führten „die sehr trockenen Jahre – mit Ausnahme von 2024 – zu sehr viel Totholz, abgestorbenen Ästen, die dann bei stärkerem Wind zu Boden fallen“, so Marx.
Nicolas Gareis vom DAV spricht von „ganz vielfältigen Auswirkungen“ der Klimakrise auf alle Bergsportarten. Der DAV kümmert sich insbesondere in den Alpen um die Wege, größtenteils ehrenamtlich. Durch die Klimawandelfolgen habe die Wegepflege eine „andere Dimension“ angenommen. Es entstünden „ein enormer Arbeitseinsatz“ und Mehrausgaben, so Gareis. Etwa, „wenn ein Teil vom Weg durch eine Mure zerstört oder eine Brücke weggerissen wird, weil der Gebirgsbach zum reißenden Strom geworden ist.“ Da sei schweres Gerät notwendig und es gehe mitunter um die Verlagerung von Wegen nach einem Hangrutsch. Mountainbikerinnen müssten dann entweder ihr Fahrrad durch ein Geröllfeld tragen oder einen Umweg in Kauf nehmen. Um die Wege instand zu halten, werden die Ehrenamtlichen durch Expertinnen unterstützt. Eingeschränkte Nutzbarkeit oder gesperrte Wege führen außerdem zu der Gefahr, dass andere Wege überstrapaziert werden und Nutzungskonflikte entstehen. In den Alpen kommen Herausforderungen wie tauender Permafrost und vermehrter Steinschlag dazu. So sieht sich der DAV mit der „schmerzvollen“ Frage konfrontiert, ob das komplette Wegenetz aufrechtzuerhalten ist. Die Klimakrise ziehe einen ganzen „Rattenschwanz“ nach sich, so Gareis. Wassermangel auf Berghütten könne dazu führen, dass diese früher schließen müssen.

Koordination nach Unwettern

Mehr Arbeit durch Extremwetter merkt auch Ines Buchgeher vom Bikepark Wexl Trails in Niederösterreich: „Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“ Teilweise mussten Wege gesperrt werden. Wichtig sei, genügend Drainagen zu verbauen, damit das Zusammenspiel zwischen Wasser und Weg passt. Nach einem Unwetter müssen Strecken gecheckt, Bäume aus dem Weg geschafft, Löcher ausgebessert, Streckenabschnitte gesperrt und Wege umgeleitet werden, zählt sie auf. Angewiesen sei man da auf flexibles Personal und gute Zusammenarbeit mit den Grundstücksbesitzenden und Förster*innen, um Informationen über den Strecken-status auszutauschen und Gäste vor Gefahren zu schützen. Das erfordere Organisation und Handarbeit: „Super wär’s, wenn man einen Trail-Roboter für Strecken-Checks hätte“, lacht sie. Durch ein „penibel angelegtes Entwässerungssystem“ habe man Wassermassen mittlerweile gut im Griff, so Philip Wiedhofer, Trail-Designer der Wexl Trails. Beim Planen versuche er, die Strecken möglichst durch den Wald zu führen, da Bäume den meisten Schutz vor Umwelteinflüssen böten. Außerdem versuche er „mit der Natur zu bauen“, etwa Jump-Lines bei natürlichen Hügeln. Im Sommer sei es auf den Wexl Trails zu trocken, wodurch die Fahrspur nicht gut binde und leicht bröckle. So werde das Timing beim Trail-Bau immer wichtiger. „Wir versuchen die Arbeiten, wo wir Feuchtigkeit im Untergrund brauchen, im Frühling, Herbst oder nach einer Regenphase zu machen, in den Sommermonaten arbeiten wir dann kleinflächiger meist nur händisch.“ Auch verfolge der Wexl Park die Idee einer automatisierten Bewässerung.

Durch gutes Wasser-Management und Trail-Design versuchen Bike-Parks, die zunehmenden Extremwetterereignisse abzufedern. Spuren hinterlässt ein Unwetter dennoch, wie hier bei den Wexl Trails im September 2024.

Mehr Hände nötig

Mountainbikerin und Ehrenamtliche Lisa Ribarich stellt bei den Anninger Trails bei Wien einen „steigenden Wartungsaufwand“ durch die Klimakrise fest. Die unterschiedlichen Bodenverhältnisse, die durch die Klimakrise noch mehr zum Tragen kommen, sind für den Verein dabei besonders herausfordernd. Auf der südlichen Seite der Anninger Trails sorge das kalkhaltige Gestein in Kombination mit dem Schwarzkiefernwald für trockene, durchlässige Böden mit dünner Humusschicht, was die Erosionsanfälligkeit erhöhe. Die Nord- und Westseite sei dagegen von lehmigen, feuchteren Böden geprägt, die zu Staunässe neigten. An der Südseite müsse für Kurven aufwendig Erde „zusammengekratzt“ werden – durch verbessertes Wasser-Management wollen sie erreichen, dass die Kurven bei Starkregen nicht weggeschwemmt werden. Um das Wasser abzuleiten, schaufeln sie rechts und links der Trails etwa fünf Zentimeter breite und ein bis zwei Meter lange Rinnen. „Manche Parks verlegen etwa Kanalrohre, die Möglichkeit haben wir als kleiner Verein nicht.“ Es sei herausfordernd, genug ehrenamtliche Hände für den wachsenden Wartungsaufwand zu mobilisieren.
Ribarich will Mountainbiker*innen schulen, damit sie dosiert bremsen und keine Bremsfurchen entstehen, die Trails anfälliger für Erosion machen. Um ein „respektvolles Miteinander von Natur und Sport“ zu ermöglichen, seien zudem „Ruhezonen“ im Wald wichtig.

„Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“

Nicolas Gareis, Deutscher Alpenverein

Bike statt Ski als Chance

Gareis vom DAV sieht auch Chancen für den Mountainbiketourismus durch das veränderte Klima, da sich Saisonzeiten verlängern. Bis spät in den Herbst und bereits früh im Frühjahr könne Mountainbike gefahren werden. Gerade in Mittel-gebirgen entdecken vormals reine Wintersportdestinationen das Mountainbiken für sich. Auch weil sich der Wintersport immer weniger lohne, so Gareis. Hänge, die im Winter als Skipiste genutzt werden, werden nun für Bikerinnen im Sommer freigegeben. Zwar liege der Arbeitsschwerpunkt des DAV im alpinen Raum, aber die Konsequenz durch die Klimakrise sei auch, dass sie ihre Arbeit verstärkt in die Mittelgebirge verlagern, wo viele Sektionen heimisch sind. Der DAV will diese Regionen „zukunftsfest“ machen. „Mountainbiken wohnortnah auszuüben ist auch gut fürs Klima, weil man das Auto stehen lassen kann.“ Mehrere Destinationen in Deutschland, etwa im Sauerland oder im Fichtelgebirge, setzen bereits auf diese Strategie. Auch die Wexl Trails sehen wirtschaftliche Chancen in der längeren Saison. Es soll nun sogar ein zweiter Bikelift entstehen, um einen hybriden Betrieb von Skifahren und Mountainbiken zu ermöglichen. Für ein „neues Biker-Mindset“, so Buchgeher, müsse auch die Werbung angepasst werden. Nicht nur „Sommer, Sonnenschein pur“, sondern auch Fotos vom Mountainbiken in grauer, nebelbedeckter Landschaft. „Hauptsache bewegen, Hauptsache draußen“, so ihr Motto, um den „Winterblues“ bei Mountainbikerinnen vergessen zu machen. Marx vom Bike-Park im Pfälzerwald sieht dagegen eher Risiken und keine Chancen durch die Klimakrise.
Flexibilität sei in Zukunft hinsichtlich der Wege, der Saisonzeiten und der Tourengestaltung gefragt, sagt Nicolas Gareis. „Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“ Diesem Wunsch nachzukommen, wird heraufordernder. Das Mountainbiken wird weiter nach neuen Wegen suchen müssen.


Bilder: Wexl Trails, www.flyer-bikes.com – pd-f, Evergreen

Rüdiger Henze ist Landesvorsitzender des ADFC Niedersachsen. Im Interview mit Veloplan spricht er darüber, was das Bundesland beim Tourismus richtig macht, wie man gegen Elterntaxis vorgehen kann und wie wichtig ihm sein Ehrenamt ist.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


In der Vergangenheit wurde in der Radverkehrsplanung oft zwischen Radfahren im Alltag und Radfahren als Sport beziehungsweise in der Freizeit unterschieden. Welche Rolle spielt diese Trennung in Ihren Augen heute noch?
Für den ADFC ist diese Trennung insofern relevant, dass wir sagen: Wir stehen auf zwei Beinen. Das ist einmal das touristische Bein, die Radtouren, die Zertifizierungen der Fernradwege und der Radreiseregionen. Das zweite Bein ist die Radverkehrspolitik. Beide kommen aber nicht ohneeinander aus. Bei den Kommunen und den Touristikern sage ich immer: Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Freizeitradweg, einem Alltagsradweg oder einem touristischen Radweg. Die unterscheiden sich immer nur in der Form der Fördertöpfe.
2018 habe ich das bei einer Veranstaltung des ADFC in Marburg gesehen. Da wurde ganz klar gesagt, dass der Lahnradweg – das war der erste zertifizierte Fernradweg – von beiden Gruppen genutzt wird. Dort wo ein vernünftiger touristischer Radweg ist, habe ich auch einen höheren Anteil an Alltagsradverkehr. Umgekehrt fühlen sich Radtouristen auch dort wohl, wo es eine vernünftige Alltagsinfrastruktur gibt. Baumäßig und denkmäßig sollte man von dieser Trennung weggehen. Radweg ist Radweg.

Der ADFC zertifiziert Fernradwege. Welche Qualitätskriterien sind dafür Ihrer Erfahrung nach schwer vermittelbar?
Das sind weniger die Qualitätsanforderungen, sondern ist eher die Frage, ob das lokale Denken der Politik vorhanden ist. Eine unserer Forderungen als Landesverband zur Landtagswahl 2022 in Niedersachsen war, dass wir ein landesweites Radverkehrsnetz haben wollen. Dieses Denken in Netzen muss in die Köpfe der Politiker rein. Wenn ich einen Fernradweg nehme, geht der durch mehrere Landkreise und Kommunen. Ich merke auf dem Radweg dann schon Unterschiede zwischen fahrradfreundlichen Kommunen und solchen, wo es das notwendige Minimum gibt. Die Zusammenarbeit ist das große Problem bei Fernradwegen. Es müssen alle unter einen Hut.

Für Rüdiger Henze ist sein Ehrenamt beim ADFC Niedersachsen fast ein Vollzeit-Job. Aber er hat Spaß an seiner Funktion und genießt es, wichtige Stellschrauben drehen zu können.

Die Leute unter einen Hut zu bringen, ist das eine Kernaufgabe eines ADFC-Landesverbandes?
Wir arbeiten da mit. Wir haben 40 Kreisverbände. Die sind vor Ort die Protagonisten. Ein Beispiel: die Metropolregion Hamburg plant ein Radschnellwegenetz, beispielsweise von Lüneburg nach Hamburg. Wir haben in der Mitte einiger geplanter Strecken den Landkreis Harburg, und der sperrt sich. Obwohl auf den genannten Trassen in Teilen bereits kleinere Baumaßnahmen fertig sind. Da ist jetzt der Kampf, die Politik davon zu überzeugen, dass es notwendig ist. Eines der Gegenargumente ist die Aussage, dass ja niemand mit dem Fahrrad von Lüneburg 60 Kilometer nach Hamburg fährt. Nein. Es fahren aber auch nicht nur Menschen auf der Autobahn, um von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen zu kommen. Die 15 oder 20 Kilometer von Lüneburg nach Winsen fahren die Menschen aber schon. In diesem konkreten Fall sind wir als Landesverband gebeten worden, uns über die Landespolitik einzuschalten.

Durch Niedersachsen führen touristisch bedeutsame Wege wie der Weser-, Ems oder Elberadweg. Welche Rolle spielt das für das Bundesland?
Es ist ein Wirtschaftsfaktor. Der Radtourist von heute ist nicht mehr der Radtourist von vor 40 Jahren. Wer denkt, dass die noch mit der Blechdose mit einer Scheibe Brot drin unterwegs sind, an dem ist die Zeit vorbeigeradelt. Das ist ein Milliardengeschäft, an dem die Kommunen partizipieren. Das tun sie durch touristische Highlights, die sie an den Radwegen natürlich auch bewerben. Wer zum Beispiel den Weserradweg fährt, wird frühzeitig in Richtung Bodenwerder darauf hingewiesen, dass Münchhausen dort zu Hause ist.
Viele Unterkunftsbetriebe werben an diesen Radwegen. Der Tourist von heute hat ja auch nicht mehr das Fahrrad, das 250 Euro kostet, sondern eins, das 4500 Euro kostet. Der hat auch ganz andere Ansprüche an die Unterkunftsbetriebe.

„Wir haben seit Corona ein riesiges Problem, was die Unterkünfte angeht.“

Rüdiger Henze, ADFC Niedersachsen

Niedersachsen liegt in der Radreiseanalyse bei der Rangliste für kurze, mittlere und lange Touren jeweils auf den ersten drei Plätzen. Wie spricht das Bundesland die Menschen an, mal abgesehen vom fahrradfreundlichen Relief, der Küste und den Flussradwegen?
Es sind viele Regionen für den Radurlaub in Niedersachsen wichtig. Es ist nicht nur die Küste alleine. Wir haben den Harz, die Lüneburger Heide, das Elbe-Weser-Dreieck und das Wendland. Jede Region hat ihren Reiz und jede Region ist gleich wichtig und wird auch eigentlich gleichmäßig besucht von den Urlaubern. Ich will es mal an der Lüneburger Heide festmachen. Die war lange mit dem Ruf behaftet, Rentnerurlaubsland zu sein. Mittlerweile boomt es in der Lüneburger Heide mit jährlich steigenden Übernachtungs- und Gästezahlen. Und das Erstaunliche ist, es sind alle Altersgruppen vertreten.

Reize gibt es also einige. Wie sieht es mit Hemmnissen und ungenutztem Potenzial aus?
Wir haben seit Corona ein riesiges Problem, was die Unterkünfte angeht. Viele Unterkünfte gibt es nicht mehr. Gastronomische Betriebe sind zum Teil nicht mehr vorhanden. In einigen Gegenden bekomme ich schon Probleme, mittags irgendwo einzukehren.
Bei unserem Qualitätssiegel Bett+Bike hatten wir bisher das Kriterium, auch in der Hochsaison eine einzelne Übernachtung buchen zu können. Dieses Kriterium konnten wir nicht halten. Zum Teil fordern sie zwei oder drei Nächte Minimum.

Sie haben im vergangenen Herbst einen Antrag an das Land gestellt, um leichter Schulstraßen einzurichten. Welche Gedanken stecken dahinter?
Es geht in erster Linie darum, die Elterntaxis vor Schulen zurückzudrängen. Das ist bisher schwer, Schulstraßen auszuweisen, weil sich die Kommunen oft dagegen sperren. Ich kann heutzutage Schulstraßen einrichten, aber Schilder und Ähnliches werden vielfach von den Eltern ignoriert. Die müssen bis vor die Schule vorfahren und ihre Kinder dürfen sich keinem Verkehr aussetzen. Sie werden aber gefährdet durch die vorfahrenden Eltern. Wir wollen mit dem Antrag erreichen, dass es in Absprache mit den Schulen und den Kommunen möglich ist, temporäre Sperrungen vor den Schulen durchzuführen. Das ist momentan noch nicht möglich.

Welchen Einfluss hat der Schulweg für das Mobilitätsverhalten im Erwachsenenleben?
Einen riesengroßen! Man sieht ja immer öfter, dass Kleinkinder zum Kindergarten und auch größere Kinder in den ersten ein bis zwei Schuljahren mit dem Lastenrad gebracht werden. Die nehmen ihre Umwelt ganz anders wahr und werden ganz anders geprägt für ihr weiteres Leben als Kinder, die bis zum 17. Lebensjahr ihre Umwelt nur aus drei verglasten Quadratmetern wahrnehmen. Ich gebe den Kindern eine ganz andere soziale Komponente mit und fördere Kommunikation, Selbstständigkeit und die Sicherheit im Straßenverkehr.

„Der Radtourist von heute ist nicht mehr der Radtourist von vor 40 Jahren. Wer denkt, dass die noch mit der Blechdose mit einer Scheibe Brot drin unterwegs sind, an dem ist die Zeit
vorbeigeradelt.“

Rüdiger Henze, ADFC Niedersachsen

Wie kann man neben Anträgen für Schulstraßen das Fahrrad als Verkehrsmittel für Kinder fördern?
Das geht nur über Appelle an die Eltern. Es geht ja nicht nur um den Schulweg. Ich wohne in einem Dorf mit 1800 Einwohnern. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist 4,5 Kilometer entfernt. Da fahren oftmals die Eltern mit ihren Kindern zusammen mit dem Rad zum Einkaufen. Diese frühkindliche Erziehung, wie man sich im Straßenraum verhält und ob es eine Hemmschwelle ist, dass ich mal drei Kilometer fahren muss, das kommt allein über die Vorbildfunktion der Eltern.
Ich hatte mal so ein Erlebnis an einem ehemaligen Wohnort: Ich kam aus einer Nebenstraße raus und sah einen Acht- oder Neunjährigen, der alleine auf der – wenn auch nicht stark befahrenen – Hauptstraße fuhr, auch wenn er eigentlich auf dem Fußweg hätte fahren müssen/dürfen. Ich hatte den gleichen Weg und bin hinter ihm geblieben, um ihn nach hinten abzusichern. Er drehte sich plötzlich etwas verunsichert um. Ich erklärte ihm, dass ich nur aufpasse, dass ihm nichts passiert. Er sagte dann: „Das macht mir nichts aus, meine Eltern haben mir das so beigebracht“. So soll es eigentlich sein.

Der ADFC Niedersachsen ist der viertgrößte Landesverband im ADFC. Wie entwickelt sich die Mitgliedergewinnung?
Die Mitgliedergewinnung ist eigentlich gut. Wir liegen bei 3,1 Prozent Zuwachs im Durchschnitt der letzten Jahre. Wir haben viele Aktionen, wo wir Mitglieder gewinnen können. Das sind vielfach Infostände auf Wochenmärkten, mehrtägigen Veranstaltungen und Dorffesten. Eine andere Möglichkeit ist die Fahrradcodierung als Diebstahlprävention. Wir finanzieren alles über unsere Mitgliedsbeiträge. Deshalb ist auch der Anteil der Ehrenamtlichkeit recht hoch.

Wie schaffen Sie es denn, aus den passiven Mitgliedern aktive Ehrenamtliche zu machen?

Das ist schwierig: Jemand tritt an eine Ortsgruppe heran und hat Interesse, mal bei einem Infostand zu helfen. Wenn er den kleinen Finger reicht, ist oft die Gefahr, dass der Arm hier oben (greift sich an die Schulter) abgerissen wird. Der Mensch wird überfrachtet mit Forderungen und sagt dann, dass er sich das so nicht vorgestellt hat und das nicht will.
Vielfach besteht unsere Community derzeit auch nicht unbedingt aus jungen Menschen. Wir haben im letzten Jahr die satzungsgemäßen Beschlüsse gefasst, um einen jungen ADFC zu gründen. Der wird im April seine Gründungsversammlung haben. Das ist vergleichbar mit den Jugendorganisationen der Parteien. Bis 27 bist du dann im jungen ADFC. Das ist kein eigenständiger e.V., sondern Teil des ADFC. Davon versprechen wir uns sehr viel, auch dass wir mit Aktionen proaktiv an die Jugend herantreten. Wir haben ein hohes Durchschnittsalter in unserer Mitgliederstatistik. Aber das sind genau die Menschen, die Zeit für das Ehrenamt haben.
Für mich ist es so, dass das Ehrenamt fast ein Fulltime-Job ist. Aber das ist meine Entscheidung, weil ich Spaß dran habe und weil ich Stellschrauben drehen kann, die ich sonst nicht drehen könnte.


Bilder: Christian Link, Rüdiger Henze

Der Radtourismus hat in Deutschland viele Facetten: Radreisen und Tagestouren gehören ebenso zum Geschäft wie Messen, Fahrradfestivals oder Bikeparks. Der Radtourismus ist auch in Städten ein Wirtschaftsfaktor mit Ausbaupotenzial.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Für Touristikerinnen ist das Fahrrad ein Glücksgriff. „Es ist ein Allrounder, kein anderes Segment lässt sich so gut mit anderen touristischen Angeboten koppeln wie das Fahrrad“, sagt Iris Hegemann vom Deutschen Tourismusverband (DTV). Ob es ums Wandern oder um Wassersport geht, um kulinarische oder kulturelle Angebote, Städtetouren oder Festivals, das Fahrrad lässt sich mit allem kombinieren. Daher findet Radtourismus auch überall in Deutschland statt. „Er wird in Städten und vor allem in den ländlichen Regionen gefördert und weiterentwickelt“, sagt Iris Hegemann. Das kommt gut an. Über die Hälfte der Erwachsenen (37 Mio.) haben laut ADFC-Radreiseanalyse 2024 ihren Urlaub im Fahrradsattel verbracht oder sind mit dem Rad zu Tagesausflügen aufgebrochen. Zwischen 22 und 25 Milliarden Euro haben sie bei diesen Unternehmungen ausgegeben. Für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind das wichtige Zahlen. Der Tourismus sorgt seit Jahrzehnten für Wirtschaftswachstum und schafft Arbeitsplätze, insbesondere in ländlichen Regionen. Im Vor-Corona-Jahr 2019 hat der Tourismus laut BMWK rund 124 Milliarden Euro erwirtschaftet und damit vier Prozent der Wertschöpfung in Deutschland. Werden die Zulieferer der Branche einbezogen, waren es sogar knapp sieben Prozent. Radfahrerinnen sind lukrative Gäste. Das zeigt die aktuelle Radreiseanalyse des ADFC. 16.000 Personen wurden im Jahr 2023 gefragt, ob und wie lange sie mit dem Rad Urlaub machten und was ihre Reise gekostet hat. Fahrradfahrerinnen, die ein- bis zweimal übernachteten, gaben demnach rund 130 Euro pro Tag aus. Das entspricht laut der Tourismus-Analyse der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen exakt der Summe, die Deutsche im Inland während ihres Jahresurlaubs ausgeben. Geringfügig niedriger lag das Budget der Urlaubsradlerinnen. Sie investierten 117 Euro pro Tag, wenn sie drei Nächte oder länger unterwegs waren. Tagesausflügler gaben rund 32 Euro pro Person und Tag aus.
Die ADFC-Umfrage ist repräsentativ. Die ermittelten Ausgaben sind Schätzwerte, da erst im Nachhinein erhoben werden, aber die Tourismusexpertin Iris Hegemann hält sie für plausibel. Sie seien deutlich höher als die Zahlen, die der DTV in seiner „Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland 2009“ mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erhoben habe, aber durch Wachstum, Inflation, Preissteigerungen und das größere Angebot von Service-Leistungen in dem Markt nachvollziehbar. „Wir wiederholen die Studie nun mit dem Verkehrsministerium“, sagt Hegemann. Mit ersten Ergebnissen rechnet sie im Frühjahr 2026. „Dann können wir den Radtourismus gesamttouristisch besser einordnen“, sagt sie.

Radfahren macht hungrig. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, hält häufiger an für einen Snack oder weil das Restaurant besonders schön gelegen ist.

E-Bikes: neue Zielgruppe

Seit der Untersuchung vor 15 Jahren hat sich das radtouristische Angebot stark verändert. Ein Grund dafür ist die Elektrifizierung der Räder. 2009 hatten gerade mal vier Prozent aller verkauften Fahrräder einen Motor; im vergangenen Jahr waren es 53 Prozent. Diesen Trend spiegeln die Radreisenden wider. 43 Prozent von ihnen waren per E-Bike unterwegs. Für die Radreiseanbieter heißt das, zumindest teilweise: neue Kundschaft.
Die Motorunterstützung gleicht Leistungsunterschiede bei Paaren oder in Gruppen aus und bringt auf diese Weise viele Nichtradler*innen in den Sattel. Spezielle E-Bike-Touren gehören mittlerweile zum Standardprogramm von Stadtführern und professionellen Radreiseanbietern. Auch Bikeparks reagieren und bauen neben Downhill-Trails nun auch Uphill-Flow-Trails, wie etwa am Geißkopf.

Noch fehlen Angebote

Obwohl die Angebote immer facettenreicher werden, fehlen weiterhin passgenaue Radreisen, etwa für junge Familien mit kleinen Kindern. „NRW Tourismus hat die Angebotslücke erkannt und mit dem ADFC im vergangenen Jahr ein Empfehlungspapier für kinderfreundliche Radangebote erarbeitet“, sagt Iris Hegemann. Inzwischen hat NRW unter dem Titel „Radeln mit Kindern“ ein halbes Dutzend Radtouren in den verschiedenen Regionen des Landes im Programm. Die Routen führen an Seen und Flüssen vorbei, auf alten Bahntrassenradwegen durchs Bergische Land oder durchs Länderdreieck Deutschland, Belgien und Luxemburg. Für die Kinder gibt es entlang der Strecken etliche Möglichkeiten zum Spielen und Toben auf Spielplätzen, Erkundungspfaden, beim Baden oder kindgerechten Geschichtslehrpfaden.
Der Mehrwert liegt in der detaillierten Beschreibung der Routen. Die Eltern erfahren, welche Strecken sich für einen Tagesausflug eignen, ein verlängertes Wochenende oder auch für den Jahresurlaub. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das Angebot kann Familien aus dem gesamten Bundesgebiet in die Eifel, ins Ruhrgebiet oder ins Bergische Land locken, um dort Urlaub zu machen“, sagt Hegemann.

Radfahrende hat allein der

Ruhrtal-Radweg im Jahr 2023

ins Ruhrgebiet gelockt.

Thementouren wie die Bergwerkstour am Ruhrtal-Radweg sind beliebt.

Radrouten locken Gäste an

Die Erfahrung zeigt: Ein attraktives, radtouristisches Angebot hat eine große Strahlkraft. Durch die Bündelung von touristischen Angeboten bekommt ein Produkt wie ein Radfernweg eine größere Reichweite. „Die Thüringer Städtekette, die sieben größere und kleinere Städte verbindet und durch eine landschaftlich reizvolle Gegend führt, ist ein anschauliches Beispiel dafür“, sagt sie. Eine Stadt für sich allein hätte nicht die Anziehungskraft, wie der gelungene Mix aus Kultur und Natur.
Das zeigen auch die Zahlen. Der 240 Kilometer lange Ruhrtal-Radweg hat im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Radfahrende ins Ruhrgebiet gelockt. Gastronomen und Hoteliers haben mit ihnen als Gästen 18 Millionen Euro erwirtschaftet. Das sind fünf Millionen mehr als bei einer Erhebung zehn Jahre vorher.
Die Basis für den Radtourismus in einer Region ist stets eine gute und sichere Radinfrastruktur. Das gilt für ländliche Regionen ebenso wie für Städte. „In Fahrradstädten wie Kopenhagen oder Amsterdam nutzen die Gäste ganz selbstverständlich das Rad“, sagt Jens Joost-Krüger. Der Verkehrs- und Kulturexperte leitete bis zu seiner Pensionierung Ende 2023 bei der Wirtschaftsförderung Bremen die Veranstaltungsförderung und organisierte verschiedene Radprojekte in der Hansestadt. Er stellt seit Jahren fest: „Der Radtourismus boomt, auch in den urbanen Zentren, sofern die Infrastruktur vorhanden ist.“

Geschäftsreisende sind auch Touristen

Bremen gehört mit einem Radanteil von 25 Prozent am Gesamtverkehr bereits zu den attraktiveren Fahrradstädten Deutschlands. In den urbanen Zentren ist es laut Joost-Krüger jedoch oft schwierig, den wirtschaftlichen Nutzen des Radtourismus konkret zu ermitteln. Denn die Übergänge zwischen Alltagsradlern und Radtouristen verlaufen fließend. „Viele Gäste und Geschäftsreisende nutzen Sharing-Bikes, um damit tagsüber zu Terminen oder Kongressen zu fahren und abends zum Essen oder einer Kulturveranstaltung“, sagt er.
Mit der kostenfreien Bikecitizens-App macht die Wirtschaftsförderung der Hansestadt es Besucher*innen und Anwohner*innen leicht, mit dem Rad in der Stadt unterwegs zu sein. Neben Navigation und Radroutenplanung finden sie in der App 15 Thementouren, die ihnen die Highlights der Stadt und des Umlands zeigen. Allerdings richten sich die Touren nicht ausschließlich an Touristinnen. Die App ist auch für Bürgerinnen interessant, die ihre Stadt entdecken wollen oder neue Wege vor der eigenen Haustür suchen. „Das Angebot kommt gut an“, sagt Joost-Krüger. 400.000 Karten von „Bike it!“ wurden in den vergangenen Jahren gedruckt und verteilt.
Das Angebot, mit dem Fahrrad Städte zu erkunden, ist zwar ein kleiner, aber durchaus wachsender Wirtschaftszweig. Bundesweit sind in den Städten von Hamburg über Frankfurt bis nach München in den vergangenen Jahren vielfältige Angebote für Stadttourist*innen, Einheimische, Schulklassen oder Unternehmen entstanden. Sie können die Sehenswürdigkeiten der Stadt per Bike erkunden oder Thementouren wählen, mit dem Schwerpunkt Straßenkunst, Kulinarik und vielem mehr.

Festival und Messen bringen Geld in die Stadt

Deutlich lukrativer sind große Veranstaltungen rund ums Fahrrad für die Kommunen. „Fahrradmessen und Bike-Festivals haben eine wachsende wirtschaftliche Bedeutung“, sagt Joost-Krüger. In den vergangenen 15 Jahren sind viele neue Messen entstanden, wie beispielsweise die VeloBerlin in Berlin, das E-Bike Festival in Dortmund oder auch das „Cargo Bike It! Festival“ in Bremen. Sie alle bringen Tausende Besucher aus dem In- und Ausland für mehrere Tage in die Städte. Die Gäste übernachten in den Zentren oder im Umland, besuchen Restaurants und kulturelle Veranstaltungen. Das kurbelt die Wirtschaft an. Aber die Events haben aus Sicht des Wirtschaftsexperten noch einen weiteren Nebeneffekt: „Sie werden zum Aushängeschild ihrer Stadt oder ihrer Region, sie sind imagebildend“, sagt Joost-Krüger.

Natur und Kultur, diese Kombination kommt bei vielen Radurlaubern gut an. Angebote gibt es inzwischen bundesweit.

Versorgungslücken schließen

Das Angebot für Radtourist*innen wird stetig ausgebaut, sowohl in den Städten wie auch in den ländlicheren Regionen. Trotzdem sieht Iris Hegemann noch Verbesserungsbedarf. „Immer wieder fehlen auf Routen streckenweise Restaurants oder Cafés zum Einkehren“, sagt sie. Etwa entlang des Oder-Neiße-Radwegs. Entweder müssten die Regionen diese Versorgungslücken schließen oder sie deutlich kommunizieren. „Radreisende müssen wissen, wo und wann sie auf den verschiedenen Etappen einkehren können und wo sie sich gegebenenfalls selbst versorgen müssen“, sagt sie. Das sei ein Qualitätsmerkmal der Radreiserouten.
Diese Informationen sollten analog, aber auch digital über Apps verfügbar sein. Bekannte Navigations-Apps wie etwa Google Maps, Outdooractive oder Komoot bilden diese Informationen bislang nicht zuverlässig ab. Die Beschreibung der Routen in den Apps ist laut Iris Hegemann ebenfalls verbesserungswürdig. Oftmals halten sie nicht, was dem Gast versprochen wird, und es fehlen einheitliche Qualitätsstandards. Sie vermisst in den Angeboten häufig eine eindeutige Wegeführung sowie Informationen zur Strecke, also ob sie für Mountainbiker, Familien oder auch Senioren geeignet ist. Um die Qualität in den digitalen Touren und Angeboten zu verbessern, hat der Deutsche Tourismusverband nun mit der Initiative „Route 3.0“ einen neuen Qualitätsstandard geschaffen. „Es ist ein Angebot an die Outdoorportale für mehr Qualität und bessere Produkte“, sagt sie.

„Der Radtourismus boomt auch in den urbanen Zentren, sofern die Infrastruktur vorhanden ist.“

Jens Joost-Krüger, Verkehrs- und Kulturexperte

Jobmotor Radtourismus

Die Programmiererinnen dieser Apps gehören laut Definition zu den Zulieferbereichen des Radtourismus und damit zu den 263.000 Menschen, die 2022 einen Job rund um den Radtourismus hatten. Diese Zahl hat Transportation Thinktank T3 im Auftrag von Zukunft Fahrrad ermittelt. In der gesamten Tourismusbranche waren laut den letzten Erhebungen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2019 etwa 4,1 Millionen Personen direkt oder indirekt im Tourismus erwerbstätig. Das sind laut dem BMWK etwa neun Prozent aller Arbeitnehmerinnen Deutschlands.
Der Einfluss des Radtourismus als Wirtschaftsfaktor kann aber noch weiter steigen. 37,4 Mio. Menschen unternahmen im vergangenen Jahr mit dem Fahrrad Tagesausflüge oder machten damit Urlaub. Das Interesse bei den Nichtradler*innen ist jedoch ebenfalls riesig. Mehr als die Hälfte der Befragten (54,9 Prozent) kann sich laut ADFC-Radreise-Analyse vorstellen, auf Radreise zu gehen. Was diese Menschen konkret brauchen, um sich im nächsten Urlaub aufs Rad zu schwingen, wurde jedoch nicht gefragt.


Bilder: Ruhrtal-Radweg, Dominik Ketz, Deuter – David Schultheiss, Florian Meinhardt, Deuter – Brooke Goudy – Evan Green

Das Ehrenamt ist eine Möglichkeit, sich mit Aufgaben jenseits des Berufsalltags gesellschaftlich einzubringen oder Sinnlücken zu füllen, die die berufliche Beschäftigung offenlässt. Auch im Verkehrsbereich. Roland Rücker arbeitet seit fünf jahren als Radverkehrsbeauftragter in einer hessischen Kleinstadt. Mit Begeisterung.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Roland Rücker fährt selbst leidenschaftlich und andauernd Fahrrad. Das kommt ihm als ehrenamtlicher Radverkehrsbeauftragter zugute.

Zum Interview-Termin in Düsseldorf kommt der Radverkehrsbeauftragte Roland Rücker direkt von der Fahrradkommunalkonferenz in Hannover. Per Bahn und die letzten Kilometer mit seinem schwer bepackten Trekkingrad. In Hannover vertrat er seine Heimatstadt Kelsterbach. Ehrenamtlich. Aber mit viel Elan, wie man sich nach wenigen Minuten, in denen man ihm zuhört, vorstellen kann. Sein Berufsbild füllt er bestens aus: Der drahtige Mann fährt Fahrrad und kommuniziert darüber.

Verkehrsmittel fürs Leben

Die Kombi „Kommunikation und Verkehr“ hatte er früher schon im Blut. Im „ersten Leben“ war der jetzt 59-jährige Rücker Vorfeldlotse auf dem Frankfurter Flughafen. Heißt: Er koordinierte und steuerte die Wege der Flugzeuge auf dem Boden, vor dem Start und nach der Landung. Nun ist er im Vorruhestand. Das Fahrrad war auch schon immer präsent: Für den Arbeitsweg zum Flughafen ebenso wie in der Freizeit. Rennrad, Mountainbike, Reiserad – alle Register des Zweirads zog er im Laufe der Zeit. Eines der Highlights: eine Radreise nach Island und rund um Island herum.
Das Fahrrad als Verkehrsmittel kam aber immer mehr in seinen Fokus. Am Flughafen engagierte er sich dafür, dass die kurzen Strecken von den verschiedenen Einsatzorten innerhalb des Areals von den Mitarbeitern nicht mehr mit dem Auto, sondern mit flughafeneigenen Leihrädern zurückgelegt werden konnten. Außerdem sorgte er für sichere Abstellanlagen für die Mitarbeiter*innen, die mit dem Rad zur Arbeit kamen – so wie er.

Der Weg zum Radwegversteher

Eine Stellenausschreibung im örtlichen Wochen-Anzeigenblatt, das auch amtliche Bekanntmachungen der Stadt dokumentiert, gab den Startschuss: Die Stadt suchte einen Fahrradbeauftragten im Ehrenamt. Eine Bewerbung beim radverkehraffinen Bürgermeister Manfred Ockel und einige Gespräche später hatte Rücker seine Berufung zum Beruf gemacht.
Dabei war die Beschäftigung mit Radverkehr und Radverkehrsanlagen für ihn kein Neuland. Schon früher hatte er massives Interesse daran zu verstehen, wie Rad mobilität in der Stadt gelenkt wird, wie sie sich weiterentwickeln kann, wie man damit zu einer besseren gesellschaftlichen Mobilität beitragen könnte. Er belegte Bildungsurlaube, unter anderem „Fahrradstadt Berlin“ der Weiterbildungseinrichtung Forum Unna. „Eine Woche in Berlin mit Stadtführer, der dir die Radverkehrsstruktur in Berlin erklärt. Ich hab unglaublich viel da gelernt“, erzählt er strahlend. Aber nicht nur Kurse und die täglichen praktischen Erfahrungen prägen sein Wissen über die Möglichkeiten und Visionen des Radverkehrs. Er bildet sich medial weiter. Das wichtigste Buch zur Radfahrmobilität für ihn – und für viele Radverkehrsplaner: Thiemo Grafs „Handbuch Radverkehr in der Kommune“, aus dem er gern zitiert. Aber auch Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Nahmobilität Hessen (AGNH) sind im Repertoire, genauso wie die Veröffentlichungen des DIFU, Deutsches Institut für Urbanistik, gehörten und gehören für ihn zur Standardlektüre.

Ganz wichtige Aufgabe: auf Patrouille Stellen finden, die den Radverkehr behindern oder gefährlich machen. Dann greift Roland Rücker selbst zum Werkzeug oder informiert die Kelsterbacher Kommunalbetriebe.

Abwechslungsreicher geht nicht: Auch mit der Theorie macht sich Rücker seit Langem vertraut – und liest alles zum Thema mit Leidenschaft. Auf Kongressen und Messen vertritt er Kelsterbach (unten).

Berufsalltag: Kein Bashing!

Was macht man genau in diesem Job? „Ich fahre Fahrrad, in Kelsterbach“, so Rücker lakonisch. Das macht er seit sechs Jahren nun als offizieller Mitarbeiter der Stadt, hat dazu auch eine Ausweiskarte der Stadt und die „Lizenz, Menschen anzusprechen“ und sich ihre Pro­bleme im Verkehr anzuhören. Sich Gedanken zu diesen Herausforderungen zu machen und diese an die Stadt zu kommunizieren. Genau darauf zielt die Stelle ab, die sein Vorgesetzter, Bürgermeister Ockel, die „Scharnierfunktion zwischen Stadt und Bürger“ nennt. Rücker ermöglicht den Zugang der (radelnden) Bürgerinnen zu den Entscheiderinnen in der Stadt.
Und zu erleben gibt‘s jeden Tag einiges: Da fällt ihm auf, dass eine bestimmte Wegführung für Linksabbieger gefährlich ist, dort macht ihn eine Radfahrerin darauf aufmerksam, dass der Radweg eigentlich anders laufen müsste. Auch auf seinem Diensthandy rufen oft Menschen an, die gerade unterwegs sind und ein Problem mit einem Radweg oder einer Verkehrssituation melden wollen – wenn etwa eine Baustelle ohne Umleitung den Weg blockiert. Je nach Problemlage geht die Meldung weiter an die Stadt, das Bauamt oder andere zuständige Behörden. Kommunikation ist extrem wichtig, in beide Richtungen. Was sie nach Meinung Rückers nicht sein soll, auch wenn er gelegentlich darauf aufmerksam macht, wie man sicherer per Rad durch die Stadt kommt: Zurechtweisung. „Kein Bashing! Mit freundlichem Umgang und Expertise kommt man weiter“, ist er überzeugt.

Vielen ein Partner

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das Wichtigste dabei. Mit dem engagierten Bürgermeister ohnehin, aber wichtig sind auch die Straßenverkehrsbehörde, das Bauamt, das Bürgerbüro und gelegentlich sogar das Amt für Öffentlichkeitsarbeit. Die Kelsterbacher Kommunalbetriebe, zuständig für die Instandhaltung der Radwege, sind ebenfalls wichtige Ansprechpartner: Ist eine Radweganlage oder eine Abstellanlage beschädigt oder stark verschmutzt, meldet Rücker es dort. Auch die Mobilitätsbeauftragte der Stadt ist eine wichtige Gesprächspartnerin. Überall hat er Ansprechpersonen, und teils ist er eingebunden in entsprechende Abläufe. So hat er beispielsweise zwei Jahre intensiv an einem neuen Radverkehrskonzept der Stadt mitgearbeitet.
Rechtlich zu belangen ist der ehrenamtliche Radverkehrsbeauftragte übrigens nicht – eine von ihm vorgeschlagene bauliche Änderung ist also nicht in seiner Verantwortung, sondern in jener der Stadt. Sie fällt ja auch die Entscheidung für jede Veränderung.

Jenseits der Kommune gibt es noch viele Partner und Institutionen, mit denen er in Sachen Verkehr und In-frastruktur zusammenarbeitet und regen Austausch hat: Allen voran ist die Zusammenarbeit mit dem ADFC und dem VCD für Rücker unerlässlich. Da zieht man oft am gleichen Strang, und die Öffentlichwirksamkeit eines großen Vereins ist nicht zu überschätzen. Intensiven Kontakt gibt es auch zur Radbeauftragten des Kreises und zu Institutionen wie Hessen Mobil, der maßgeblichen Behörde für Planung und das Straßen- und Verkehrsmanagement in Hessen.
Die Kommunikationslust des Radverkehrsbeauftragten geht aber noch weiter: Rücker möchte die Menschen an die Regeln erinnern, die unseren täglichen Verkehr bestimmen sollten. Eine Fernsehsendung wie „Der Siebte Sinn“ in den Siebzigerjahren wäre sein Traum, wenn auch ohne den erhobenen Zeigefinger, eben eher so wie ein unterhaltsamer Wetterbericht. Viele hielten sich nicht mehr an die Verkehrsregeln – zum Teil weil sie diese nicht mehr kennen oder neu hinzugekommene Regeln nicht gelernt haben, ist der Radbeauftragte sicher. Da könnte man doch medial Abhilfe schaffen …

Komplexe Themen und ein langer Atem

Radverkehrsbeauftragter wird man sicher nur mit dem Vertrauen auf das Rad als eines der wesentlichen Verkehrsmittel der neuen Mobilität. Aber es braucht sicher noch etwas mehr: „Kommunikationsstärke ist absolutes Muss“, erklärt Rücker. Keine Angst vor komplexen Zusammenhängen zu haben, wäre auch wichtig. Außerdem sollte man sich gern in umfangreiche Lektüre der Fachliteratur einarbeiten. Fortbildungen sind selbstverständlich.
Und langen Atem und damit eine hohe Frustrationsschwelle brauche es ebenso. „Auch wenn Erfolge manchmal dann doch schneller kommen, als man denkt“, erinnert er sich, und erzählt die Geschichte von einem Kelsterbacher Wohnviertel und dem Weg von dort zum Supermarkt, der über einen neu gebauten Kreisel führte. „Mir war klar, dass viele Menschen den neuen Kreisel per Fahrrad zu gefährlich finden und sich daher lieber doch wieder ins Auto setzen, um zum wenige Hundert Meter entfernten Supermarkt zu kommen.“ Vor allem aber die Kinder radelten damit gefährlicher als vorher, wo die Ampel für Wartezeiten, aber auch sichere Überquerung sorgte.
Rücker konnte der Stadtverwaltung das Problem gut deutlich machen. Und die wurde tätig. Innerhalb einiger Wochen wurde eine Radwegfurt angelgt, die den Weg für die Radler*innen sicherer machte, und zwar mit Vorrang für sie.

Ein Kreisverkehr in Kelsterbach. Hier konnte durch eine Anregung von Rücker eine Radweg-Furt angelegt werden, die den Radfahrer*innen Vorrang gewährt. Eine große Verbesserung der Sicherheit.

Ein Job mit Spaß- wie Frustrationspotenzial

Man müsse sich immer klar sein, meint Rücker: „Wenn es nicht klappt, etwa mit einer kurzfristigen baulichen Veränderung, kann es viele Gründe haben. Das geht beim mangelnden Budget los.” Er hat Verständnis dafür, dass manche Dinge in der Stadt noch wichtiger sind als die Optimierung von Radverkehrsanlagen, wenn das Geld knapp ist. Auch begrenzte Kapazitäten im Rathaus oder bei den ausführenden Unternehmen können bremsen. Die andere Seite – und hier herrscht wohl das höhere Frustrationspotenzial – sind Bürger und Bürgerinnen, die das Auto priorisieren. „Der Radverkehr soll nicht zulasten von Parkplätzen gehen”, so laut Rücker deren Hauptargumentation. „Das ist ein heißes Eisen, und in solche Diskussionen gehe ich nur bis zu einem gewissen Punkt”, erklärt er direkt. Da müsse man ruhig bleiben, und im Hinterkopf haben, dass man ein Vertreter der Behörden sei.

„Meine Motivation war anfangs zu 100 Prozent von der Aufgabe selbst geprägt. Mittlerweile machen 50 Prozent davon die Menschen aus, mit denen ich zu tun habe.“

Roland Rücker, Radverkehrsbeauftragter

Ehrenamt als Lebenselixier

„Mein Ehrenamt ist extrem befriedigend!”, schwärmt der Radverkehrsbeauftragte. Man zweifelt keine Sekunde daran, so enthusiastisch erzählt der umtriebige Mann von seiner Arbeit, aber auch den Erfolgen in Kelsterbach und den spannenden Erfahrungen auf den vielen Terminen wie dem Nationalen Radverkehrskongress und Netzwerktreffen, ADFC-Sitzungen und, und, und.
Nicht nur viel lernen, sondern auch viele fantastische Menschen kennenlernen kann er mit dieser Aufgabe. „Meine Motivation war anfangs zu 100 Prozent von der Aufgabe selbst geprägt. Mittlerweile machen 50 Prozent davon die Menschen aus, mit denen ich zu tun habe”, so Rücker. Nach einem erfüllten Arbeitsleben ist das Ehrenamt für ihn „eine Chance, voll im Leben zu bleiben. Die Menschen geben dir das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.“
Die Aufgabe ist tatsächlich absolut ehrenamtlich: Rücker bekommt ein Handy gestellt und einen Ausweis, der seine Mitarbeit in der Stadtverwaltung Kelsterbach dokumentiert. Er vergünstigt, wie in anderen Städten üblich, den Eintritt in verschiedenen öffentlichen Einrichtungen der Stadt wie dem Hallenbad. Auch Auslagen für seine beruflichen Reisen oder Bücher und Medien zum Thema bekommt er ersetzt. Honorar oder Gehalt erhält er nicht.
Für den Vorruheständler, der völlig in seiner Mission aufgeht, sicher kein Manko. Der Erfolg und die Beschäftigung mit einer Sache, die ihn ausfüllt, sind Honorar genug.

Ehrenamt: vielschichtige Lebensbereicherung

Sich einbringen, der Gesellschaft etwas zurückgeben oder einfach mehr das Gefühl haben, etwas Sinnvolles für alle zu tun:
Ehrenamt kann man in Deutschland in den unterschiedlichsten Bereichen und mit jedem Alter ausüben, von der Hausaufgabenbetreuung bis zur Freiwilligen Feuerwehr. Grundlegende Infos dazu gibt es auf der Seite des DSEE: www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de. Meist werden Ehrenämter von eingetragenen Vereinen vergeben, aber gelegentlich arbeitet man auch im Auftrag einer Kommune. Die Möglichkeiten sind ungemein breit angelegt – auch zeitlich. Viele Ehrenämter sind auch für Menschen geeignet, die neben dem Beruf nur wenig Zeit aufbringen können. Bei Interesse kann man direkt mit dem Verein oder der Institution Kontakt aufnehmen.


Bilder: Roland Rücker

Der Radsport ist populäre Freizeitbeschäftigung und zugleich konstanter Konfliktherd im Straßenverkehr. Die Hobbyathlet*innen ärgern sich über schlechte Radwege – werden aber selbst zum Risikofaktor für so manchen Verkehrsweg.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Appelle haben nicht gereicht. Trotz der Worte auf Boden und Schildern waren die Anwohner*innen unzufrieden. Denn viele Rennradler*innen scherten sich kaum um das ausgewiesene Tempo.

Mehr Radverkehr bedeutet neue Konflikte. Besonders intensiv fallen die oft aus, wenn die Radler*innen sportlich fahren. Rennradfahrer*innen und Straßenverkehr, das ist zwar im Verhältnis zum Gesamtaufkommen des Verkehrs in Deutschland ein eher marginales Thema – in Einzelfällen bringt es aber umso leidenschaftlichere Diskussionen. Das erlebte man beispielsweise auch in Hürth. Hier, gleich westlich der Millionenstadt und Rennradhochburg Köln, ist der Radsport seit vielen Generationen fest verwurzelt und zugleich dauerhafter Aufreger.
Pikanterweise war es gleich vor der Haustür des erfolgreichsten deutschen Straßenprofis aller Zeiten, dass sich die Anwohner*innen vor knapp fünf Jahren in Wallung versetzten. Im Hürther Ortsteil Stotzheim meldeten sich immer mehr Bürger*innen bei Ortsvorsteher Otto Winkelhag von der CDU. Auslöser: Mit dem Corona-Boom im Sport kam nicht nur eine erhöhte Freizeitaktivität auf den Landstraßen, es kam auch zu einer Verschiebung der Ärgerverhältnisse. „Ich werde hier tagtäglich von Radfahrer*innen fast abgeräumt, wenn ich auf die Decksteiner Straße fahren will“, berichtete ein Anwohner im Sommer 2021 der Kölnischen Rundschau. Was etwas dramatisch klingen mag, lässt sich doch leicht nachvollziehen, wenn man bei gutem Wetter zur Feierabendzeit oder wochenends in Stotzheim ein wenig am Wegesrand steht. Einzeln, in Grüppchen, aber auch größeren Pelotons fahren die Radsportler*innen über die Decksteiner Straße aus Köln raus und wieder zurück.
Der Ärger kochte hoch. Die Sache wurde zum Lokalpolitikum. Was umso bemerkenswerter ist, da Hürth-Stotzheim schon ein großes Verständnis für den Sport hat. Damals wohnte hier noch André Greipel, der Tour-de-France-Star, mit seiner Familie, ein beliebter Nachbar. Und in diesem gepflegten Stadtteil steht auch jedes Jahr nach der Frankreich-Rundfahrt ein sehr prominent besetztes Kriterium an, also ein Showrennen mit Topfahrern. Doch trotz aller kulturellen Gewöhnung an die Athleten: Den Hürther*innen an der Decksteiner Straße stank es. Zu viele Radler*innen missachteten die Vorfahrt, fuhren zu schnell durch die 30er-Zone, brachten Passant*innen und spielende Kinder in Gefahr. Was sonst den SUV-Fahrenden vorgeworfen wird, das verkörperten hier die Freizeitsportler*innen.

„Viele Radwege sind mit dem Rennrad kaum befahrbar.“

Yvonne Link, RSV Seerose

Kommunalpolitik zieht Konsequenzen

Es blieb nicht beim Aufreger. Die Bürger*innen wandten sich an die Kommunalpolitik. Es waren vor allem Familien mit Kindern, die Probleme an der Decksteiner Straße meldeten, erklärt Stadtsprecherin Fabricia Karutz. Der neue Konflikt kam in die Politik. Der Ausschuss für Planung, Umwelt und Verkehr nahm sich des Themas an und setzte die Verwaltung im Februar 2022 in Aktion. Der Auftrag war die Frage, „welche baulichen, straßenverkehrsrechtlichen oder ordnungsrechtlichen Maßnahmen geeignet sind, um eine Geschwindigkeitsreduzierung beim (Renn-)Radverkehr im Bereich der Decksteiner Straße zu erreichen“, schreibt Karutz. Eine erste Maßnahme war dann ein Appell: „Gemeinsam mit Vorsicht“ stand auf Schildern und auf dem Boden der Decksteiner Straße vor dem neuralgischen Punkt. Der Ausschuss beschloss im April 2022, die Wirkung dieser Worte auf die Radfahrer*innen abzuwarten. Es folgte eine „Evaluierung“ im Sommer in Form eines Ortstermins. Ergebnis war, „dass die Anwohnerinnen und Anwohner nicht den Eindruck hatten, dass die Beschilderung und die Markierung einen nachhaltigen Effekt auf einige der Rennradfahrerinnen und -fahrer haben“, erklärt Stadtsprecherin Karutz. Die Stadt sammelte zudem objektive Daten. Bei einer Verkehrszählung registrierte sie auch die Geschwindigkeiten – 55 Radfahrer*innen überschritten innerhalb von sieben Tagen die 30 km/h, in der Spitze seien etwa 50 km/h gemessen worden. Eine andere Lösung musste also her. Ende Oktober 2022 beschloss der Ausschuss, sogenannte „Rüttelmarkierungen“ quer zur Fahrbahn aufzubringen. Ein halbes Jahr später montierte die Stadt die weißen, erhabenen Streifen auf der Straße. Die Maßnahme scheint gefruchtet zu haben: „Seitdem gab es keine Eingaben mehr aus der Bürgerschaft, sodass seitens der Verwaltung derzeit kein weiterer Handlungsbedarf gesehen wird“, erklärt Karutz. Dass Rennradfahrer*innen in der Verkehrsplanung ihre ganz besonderen Probleme aufwerfen, ist ein relativ wenig beleuchtetes Phänomen. Doch mitunter wissen die Verwaltungen, dass an beliebten Ausfahrstrecken Konflikte Überhand nehmen. In Hürth gibt es noch einen weiteren Ortsteil, in dem es häufiger zu Unmut kommt. Kein Wunder. Hier bündelt sich der Rennradverkehr von Köln hinaus Richtung Eifel. Eines der bekanntesten Straßenstücke in der Gegend trägt in der Rennradfahrer-Tracking-App Strava den Titel „Out of Berrenrath“ – und Bestzeiten hier sind innerhalb der Community besonders wertvoll. Die Stadtverwaltung weiß, dass hier besonders häufig Zweiräder den vermeintlichen Wohnstraßenfrieden stören. Auch hier reagiert die Verwaltung: Mit Aufpflasterungen in der Straße sollen die Rennradfahrer *innen dazu gebracht werden, im Ort die Geschwindigkeit zu drosseln.

Infrastruktur für Radsport ungeeignet

Doch diese Konflikte lassen sich auch in einen anderen Zusammenhang rücken. Es fehlt für Rennradfahrer*innen oftmals an einer geeigneten Infrastruktur. Innerorts werden sie als unzulässig schnell oder zu raumgreifend wahrgenommen, obwohl sie in Wohngebieten genauso flüssig unterwegs sind wie Autofahrer*innen. Die Konflikte sind erheblich. In den beiden Fällen von Hürth wählen die Rennradfahrenden besagte Strecken vor allem, weil es die am besten zu fahrenden Wege sind – weniger Konflikte mit Hauptstraßenverkehr, kein Ausweichen auf ungeeignete Radwege.
Dass die Radwege oftmals nicht zu Rennradfahrer*innen passen, weiß auch Yvonne Link zu berichten, Geschäftsführerin eines Bauunternehmens und stellvertretende Vorsitzende des Friedrichshafener RSV Seerose, eines überregional bekannten Radsportvereins. „Viele Radwege sind mit dem Rennrad kaum befahrbar. Man gefährdet immer wieder Fußgänger, wenn man auf diesen Wegen zügig fährt“, sagt Link. Hinzu kämen Schachtdeckel, die oft auf Radwegen – unzureichend – eingebracht seien. Dann wechselt man pragmatisch auf die Fahrbahn, doch da folgt eine ganze Palette an Problemen. Rennradfahrer*innen selbst wissen das nur zu gut. „Man kann uns im Pkw oder Lkw nur regelgerecht überholen, wenn kein Gegenverkehr kommt – so viel Abstand muss auf Landstraßen sein. Doch das kümmert viele Leute nicht. Sie sehen uns einfach als Störfaktor.“ Für Link selbst steht fest: Große Gruppen bergen ihre eigenen Gefahren, immer wieder gibt es Sportskamerad*innen, die unvorsichtig oder rücksichtlos fahren, zudem wachsen die Konflikte mit dem Straßenverkehr. „Ich fahre maximal mit zehn Leuten“, benennt sie ihre Konsequenz. Denn sie weiß auch: „Wir Rennradfahrer*innen sind schon auch manchmal rücksichtslos.“
Andererseits gibt es genügend Gründe, um sich über die Gestaltung des Verkehrs zu ärgern. Vermeintliche Verbesserungen auf innerörtlichen Straßen führen dann mitunter dazu, dass Rennradfahrer*innen im Stop-and-Go steckenbleiben. Das kann, sagt Link für ihren Ort, kurioserweise dazu führen, dass die vermeintlich radfreundlichere neue Straße gemieden wird. Allerdings leitet der Verein daraus kein eigenes Handlungsthema ab. Bislang, sagt Link, sei man nicht in Sachen Verkehrsplanung auf Kommunen zugegangen – höchstens akut bei einzelnen Problemstellen.

Eine eigene Infrastruktur haben Rennradfahrer*innen nur in den seltensten Fällen. Durch die hohen Geschwindigkeiten können Probleme entstehen, etwa mit Anwohner*innen.

„BDR hat das Thema lange verschlafen“

Das wiederum verwundert nicht, denn auch beim Spitzenverband des Radsports, „German Cycling“ beziehungsweise BDR, wird die Rolle des Rennradfahrens im Straßenverkehr nicht gerade prominent thematisiert. „Der BDR, das muss man sagen, hat das Thema sehr lange verschlafen“, sagt Charly Höss, der sich als Koordinator Verkehr aber in den vergangenen Jahren stark engagiert hat. „Aber es ist jetzt wichtig, die Belange des Radsports einzubringen, etwa auf kommunaler Ebene. Ein Einfallstor ist die Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen“, sagt Höss. Er sieht es als seine Aufgabe, dass der organisierte Radsport in der Politik stärker wahrgenommen wird. „Bis vor zweieinhalb Jahren hatte der BDR beim Bundesverkehrsministerium überhaupt keinen Einfluss. Das hat sich schon geändert.“
Höss möchte das Feld nicht dem ADFC überlassen, er sieht die Radsportler*innen durchaus als kompetente Vertretung des Zweiradverkehrs. „Es ist wichtig, dass wir als Verband die Regeln kennen und darauf auch beharren, sie im Zweifel durchsetzen“, sagt er. Da kann es um die Benutzungspflicht von Radwegen gehen, die es zu bestreiten gelte, aber auch um das Vermitteln der Bedarfe von Radsportler*innen. „Es ist klar, dass wir in Deutschland einen klaren Autofokus haben.“ Dabei betreffe das Thema Radsport auf der Straße letztlich Hunderttausende. Höss sagt zu dieser Gruppe klar: „Hier gibt es gesellschaftliches Sprengpotenzial. Die Radsportler gehören auf die Straße, weil es oft zu unsicher ist, auf Radwegen zu fahren – wegen Einmündungen, Wurzeln, zu enger Wege und so weiter.“ Auf der anderen Seite weiß der BDR-Vertreter auch: „Eine Ursache für Konflikte ist natürlich das Verhalten vieler Rennradfahrer*innen selbst. Da fehlt es oft an Handzeichen, da fahren die Sportler oft in Gruppen zu dritt oder zu viert nebeneinander – das schürt Konflikte. Dies ist Verhalten, das die Sportler untereinander regeln müssen, da geht es auch um Disziplin.“ Hoch oben im Norden ist man den Problemen schon vor einiger Zeit eher aus dem Weg gegangen. Jörg Steffens ist gestandener Radsport-Ehrenamtler und Mitbegründer des Hamburger Cyclocross-Lands, eines sehr erfolgreichen Angebots für Querfeld-ein-Rennsport. Gerade in der Nachwuchsabteilung zieht der Verein auf sein Gelände, das auf einer ehemaligen Müllkippe im Norden der Hansestadt liegt. Doch auch Ausfahrten gehören natürlich zum Vereinssport bei den Hamburgern, „und da ist es Standard, dass wir als Rennradfahrer*innen die Buhmänner im Straßenverkehr sind.“ Gerade mit Kindern und Jugendlichen sei das oft schwierig. Wenn man aus dem Gebiet der Hansestadt raus und nach Schleswig-Holstein fahre, werde die Infrastruktur immer schlechter. „Paradoxerweise ist die Rad-Infrastruktur im innerstädtischen Hamburg für uns eigentlich viel besser geeignet, aber dort ist die Verkehrsdichte natürlich viel größer“, sagt Steffens. Er nennt ein Beispiel: Auf einer Landstraße im nahe gelegenen Trittau wurde im Laufe der Jahre ein Schutzstreifen für Radfahrer*innen eingerichtet. „Doch ehe die Autofahrer gelernt hatten, dass auch wir hier Platz haben“, sei dieser Streifen wieder zurückgebaut worden. „Die Botschaft“, sagt Steffens, laute: „Hat nicht geklappt, können wir den Autofahrern nicht vermitteln – und das bringt im Ergebnis nur mehr Konflikte mit Autofahrern, weil der Platz für Rennradfahrer und Rennradfahrerinnen nicht gesichert
ist.“


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