Dem Populismus gegensteuern: Strategien gegen Rollbacks
Wie lässt sich von Politik, Verkehrsplanern und Akteuren der Zivilgesellschaft dem Populismus gegensteuern? Wie sichert man Erreichtes für die nachhaltige Mobilitätswende? Perspektivwechsel und Dialog gehören in den Instrumentenkoffer. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)
Populistische Parteien sitzen jetzt in Ländern und Kommunen. Mittlerweile muss nicht einmal die AfD oder das BSW vorn liegen, um Klimaschutzprojekte infrage zu stellen. Beispiel Eichwalde: Anders als im Landesdurchschnitt siegte bei den Brandenburgwahlen im September die SPD mit 34,3 Prozent der Zweitstimmen vor der AfD (20,7 Prozent). Nur was nutzt vorläufiges Aufatmen engagierter Kommunalpolitiker*innen, wenn etablierte Parteien den Populismus kopieren? Jörg Jenoch, Bürgermeister von Eichwalde (Wähler Initiative Eichenwalde), sagt sogar: „Die wahren Populisten sind nicht die AfD, sondern die CDU und teilweise die SPD, sofern sie deren Art und Weise übernehmen.“ Auch Christoph Kollert, Verbundkoordinator des Nudafa-Reallabors für interkommunale Radverkehrsförderung vor Ort, findet: „Ich glaube, dass jetzt die anderen Parteien merken, damit kann man was machen. Sie kapern das und bringen es immer mehr ein.“ Als die Eichwalder CDU-Fraktion einen Eilantrag auf Aufhebung des Beschlusses für die Klimaschutzhülle einer Grundschule stellte, wurde sie auch von der SPD-Fraktion unterstützt. Da wurde eine Maßnahme, die von der Gemeindevertretung ehemals gemeinsam beschlossen wurde, plötzlich als ideologisches Projekt gehandelt.
Die Kernelemente sozialverträglicher Mobilität. Sie helfen, potenzielle Maßnahmen auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu prüfen.
Positive Narrative statt Triggerworte
„Wir haben auch einen Fehler gemacht“, räumt der Bürgermeister ein, „weil wir das Klimaschutzhülle genannt haben. Eigentlich ist das eine Lärmschutzhülle. Sie soll die Schule vor Fluglärm schützen.“ Entsprechend wortsensibel reagiert Christian Klasen von DialogWerke GmbH neuerdings in seiner Kommunikation für Mobilitätsprojekte. Er sagt: „Dass wir mit einer Maßnahme soundso viel Gramm CO2 einsparen, damit kriege ich die Leute nicht. Schließlich ist das persönliche Mobilitätsverhalten das große Einfallstor von Populisten. Die sind da, wenn sie argumentieren können, jemandem wird etwas weggenommen. In den Mobilitätsplänen sprechen wir deshalb nicht mehr von Klimaschutz. Wir sagen, so bekommen wir eine lebenswerte Stadt, Verkehrssicherheit und Gesundheit. Durch diese Maßnahme verbessert sich der Schulweg für die Kinder.“
Zeitnahe Umsetzung schafft Vertrauen
Mit Bezug auf das „Wording“ weist man in Eichwalde allerdings auf eventuelle Finanzierungsabhängigkeiten hin. Zum Beispiel, wenn Kommunen das Klimaschutzziel mal eben streichen wollen, die Projekthilfen jedoch ausdrücklich dafür vorgesehen sind. Gefragt nach seiner Strategie gegen den Populismus, setzt Jörg Jenoch grundsätzlich auf eine Verschlankung von Verwaltungsprozessen. „Wenn Sie bei uns in den Haushalt hineinschauen, sehen Sie eine strukturelle Unterfinanzierung. Dabei geht es uns noch gut. Trotzdem können wir unsere Aufgaben nicht zeitgerecht erfüllen. Wenn man es schaffen würde, dass die Verwaltung Prozesse zügiger umsetzen kann, schafft man Vertrauen, weil dann die Erfolge kommen.“ Umgekehrt gilt: „Je länger es braucht und je weniger Leute nachvollziehen können, dass es etwa noch zwei Jahre länger dauert, verlieren sie auch Vertrauen.“ Wichtig ist dem Bürgermeister daher, dass man konsequent Bürokratie abbaut und den Kommunen die Möglichkeit gibt, ihre Probleme selbst mit ihrer Kompetenz vor Ort zu lösen.
Den Masterplan gegen Populismus gibt es nicht. Je nach Situation und Verantwortungsbereich können unterschiedliche Maßnahmen die Mobilitätswende sichern.
Instrument verkehrsrechtliche Anordnung
Eine Methode, mit dem kontroversen Thema Verkehrsberuhigung umzugehen, nennt Christoph Kollert: „Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Populismusvermeidungsstrategie. So wollten wir ursprünglich die Bahnhofstraße zur Fahrradstraße umgestalten. Das kocht immer richtig hoch, besonders wenn es in der Straße schon andere Themen gibt, wie die Stärkung des Einzelhandels. Also haben wir gesagt, machen wir eine Maßnahme, mit der wir das Thema Fahrrad wieder rausnehmen.“ Gibt es in einer Straße zum Beispiel Unfälle, kann die Verwaltung ein Handlungserfordernis feststellen für einen verkehrsberuhigten Bereich. Dazu muss ein Antrag beim Straßenverkehrsamt gestellt werden. In Eichwalde hat die zuständige Behörde das bejaht. Kollert: „Sie hat sogar gesagt, wir wundern uns, wieso ihr das nicht längst gemacht habt. Wir schauen also, was wir verkehrsrechtlich machen können, ohne zu sagen, wir machen jetzt Radverkehrsförderung. Heraus kommt ein verkehrsberuhigter Bereich, der nicht Fahrradstraße heißt.“
„Wir schauen also, was wir verkehrsrechtlich machen können, ohne zu sagen, wir machen jetzt Radverkehrsförderung.“
Christoph Kollert, Verbundkoordinator NUDAFA
Kommunale Aufgaben externalisieren
Weil eine Kommune bei Angriffen auf Verkehrsprojekte regelmäßig im Mittelpunkt steht, kann sie bestimmte Maßnahmen abgeben. An Institutionen wie Schulen oder Vereine, die bei Bürger*innen Glaubwürdigkeit und Vertrauen besitzen. So sagt der Nudafa-Koordinator: „Die Kommunen stehen populistisch in einer besonderen Situation. Andererseits ist es für einen Populisten viel schwieriger, den ADAC Brandenburg dafür zu kritisieren, dass er einen Verkehrsprojekttag an der Grundschule Eichwalde macht.“
Deshalb hält es Kollert für eine weitere Strategie, Aufgaben zu externalisieren. Dazu gehört die Mobilitätsbildung. „Das sollte die Schule machen, der ADFC, ADAC oder VCD.“ Generell hält er es für falsch, zu sagen, allein die Kommunen machen die Verkehrswende. „Wenn wir das mit der Verkehrswende schaffen wollen und gleichzeitig der Populismus zunimmt, brauchen wir die Nichtverwaltungsakteure in der Gesellschaft, die die Dinge tun. Auch der ADFC kann die Landesregierung verklagen, warum es immer noch keine Schulstraßen gibt.“
Sozial verantwortlich planen
Sind Populisten mit den klassischen Sündenböcken wie Migranten oder Armutsbetroffene erfolgreich, werden sie möglicherweise auch aufgrund unausgesprochener Themen gewählt. Unter solch schlichten Nebelkerzen schwelen Krisen, auf denen die Politik bisher keine erfolgreichen Antworten findet: Wohnungsnot, mangelnde Gesundheitsversorgung oder Bildungskrise. Hinzu kommt, dass die eigene, prekäre Lage selbst in Umfragen ungern eingeräumt wird. „Es ist uncool, arm zu sein“, sagt Ragnhild Sørensen. Sie ist Sprecherin des Vereins Changing Cities. „Wer in Teilzeit arbeitet, zahlt genauso viel für die Transportkosten zur Arbeit, wie jemand, der in Vollzeit arbeitet. Dabei verdient er vielleicht nur die Hälfte. Ist das gerecht? Das sind Sachen, die Verkehrspolitiker nicht unbedingt auf den Schirm haben.“ Dabei betrifft Armut nicht nur Lebensstandards, sondern ebenso mangelnde Teilhabe an gesellschaftlichen Bereichen. In einen strategischen Instrumentenkoffer gegen Populismus gehört deshalb der Blick auf alle Gruppen.
Erfolgreiche Bürgerbeteiligung nimmt sich die Zeit, den Diskussionsraum aufzubauen. Dabei ergänzen sich Fach- und Diskurs-Kompetenz.
Rückkehr der runden Tische
Entsprechend bildet eine sozialverträgliche Mobilitätswende eine Säule der Arbeit der DialogWerke. Christian Klasen erklärt: „Populisten sagen, dass sie auf die armen, einfachen Leute achten. In Köln haben wir sehr erfolgreich einen runden Tisch „Mobilität und Gesellschaft“ eingeführt. Die Stadt legt viel Wert auf die soziale Gerechtigkeit. Weil wir alle vorgeschlagenen Maßnahmen auch danach betrachten, ob sie sozialverträglich sind, haben wir dazu ein Modell gebaut.“ Die sieben Kernelemente der Sozialverträglichkeit spiegeln die Themen auf der untersten Ebene: Teilhabe, Barrierefreiheit, Bezahlbarkeit, Erreichbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Gesundheit. Am runden Tisch sitzen zufällig ausgewählte Bürger und Bürgerinnen aus möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen. Blindenverein, Seniorinnen, Studierende, Kirche, Migrationsrat und Bürgergeldempfängerinnen. „Was unsere Mobilitätsplaner vorlegen, prüfen wir dort. Zu sagen, checkt selber, ob das sozialverträglich ist, wäre daher auch ein Vorbeugen gegen Populisten. Hat man das Siegel von so einem Gremium dran, ist für die schon mal eine Tür weniger offen. Wir haben den Eindruck, dass das gut funktioniert.“
Die eigene Blase verlassen
Selbstkritisch räumt Christoph Kollert ein: „Bei unserem Fahrradparkhaus haben wir den Fehler gemacht, die Gründe voranzustellen, die uns selbst überzeugen und antreiben. Weniger haben wir daran gedacht, wo es zusätzliche Vorteile gibt. Beispielsweise für die Leute, die dann da parken können. Je mehr Fahrräder kommen, desto weniger Leute kommen mit dem Auto. Zu sagen, was unsere Maßnahmen über die eigene Perspektive hinaus leisten. Dafür müssen wir unser Auge schärfen.“
Für den eigenen Perspektivwechsel lohnt es sich, häufiger die eigene Blase zu verlassen. Denn auch von Populisten lässt sich lernen. Was für die Politik gilt, die zu Bürgergesprächen lädt, stimmt ebenso für Akteure der Zivilgesellschaft. Changing Cities erprobt neuerdings die Methode Door-to-door. „Also wirklich an Türen klopfen und statt Ausgrenzung den direkten Dialog suchen“, sagt Ragnhild Sørensen. „Das funktioniert auch ganz gut.“ Manchmal rufen Bürgerinnen bei ihr an, um sich über ihre Initiativen zu beschweren. „Dann nehme ich mir eine Viertelstunde Zeit. Die ersten sieben Minuten sind reine Beschwerde. Später gibt es doch Dialog und Verständnis.“ Zum Beispiel beschwerte sich eine Frau aus Brandenburg, dass ihre Autodurchfahrt zur Stadt in einem Kiezblock unterbunden werden sollte. „Ich habe ihr geantwortet, es ist auch nicht schön für die Anrainer, wenn alle vor ihren Häusern durchfahren. Das hat sie ein Stück weit verstanden. Dann habe ich versucht, ihr zu erklären, dass wir nicht unbedingt wollen, dass sie nicht mehr Autofahren kann. Sondern, dass diejenigen besser durchkommen, die wirklich darauf angewiesen sind.“ Die Frau hat das akzeptiert. Den vielleicht wichtigsten Punkt schob die Brandenburgerin hinterher, als sie sagte: „Das müssen sie aber öfters erzählen, dass es ihr Ziel ist, dass Menschen, die aufs Auto angewiesen sind, Auto fahren können.“ So eine direkte Kommunikation ist zugleich eine Herausforderung für Changing Cities. Denn die Arbeit auch gegen populistische Falschinformationen über geplante Projekte bindet viel Zeit. „Zu den eigentlichen Themen kommt die NGO dann nicht. Zum Teil sind wir deshalb ausgebremst“, sagt Sørensen. Das sei wiederum eine Strategie von Populistinnen, die sich gegen nachhaltige Verkehrsmaßnahmen stemmen.
Mit Diskurskompetenzen ausstatten
Damit das Projekt von den Betroffenen überhaupt verstanden wird, braucht es Diskurskompetenz. „Wir müssen die fachliche Kompetenz darstellen für die Leute, mit denen wir diskutieren“, sagt Christian Klasen. Das Büro DialogWerke hat dafür Anforderungen für eine faktenbasierte Bürgerbeteiligung entwickelt. „Das gilt auch für die Politiker*innen, ob die neu sind oder nicht. Sie müssen fachliches Wissen haben und nicht nur aus ihrem Bauchgefühl heraus handeln. Also fachliche Kompetenz im nötigen Rahmen, damit sie wirklich damit arbeiten können. Die brauchen wir bei den Fachakteuren, aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern.“ Der Dialog soll auf Augenhöhe geführt werden. „Wenn man das hinbekommt, können wir darüber reden, wie wir das machen.“
„Wer in Teilzeit arbeitet, zahlt genauso viel für die Transportkosten zur Arbeit, wie jemand, der in Vollzeit arbeitet.“
Ragnhild Sørensen, Changing Cities
Wirtschaft ist Teil der Verkehrswende
Grundsätzlich ist die Wirtschaft ein wesentlicher Einflussfaktor. Sie besitzt ein hohes Interesse an Regulierung und Kontinuität über Legislaturperioden hinaus. „Die IHK fördert Lastenräder für Kleinunternehmer und Handwerker“, sagt auch Christoph Kollert. „Unternehmen stellen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Fahrräder, Helme, Duschen und Umkleideschränke zur Verfügung. Das ist etwas, das die Kommunen ohnehin nicht leisten können. Bei den Unternehmen sorgt das für Mitarbeiterbindung, sie werden attraktiver. Das gehört zu den Maßnahmen, die wir brauchen, um die Verkehrswende zu schaffen. Die Wirtschaft könnte da noch eine viel größere Rolle übernehmen. Vielleicht müsste sie auch mehr fordern.“
Pflege vorhandener Infrastruktur
Schließlich gerät beim Fokus auf innovative Verkehrsprojekte der Status quo mitunter aus dem Blickfeld. Dabei führt fehlende Instandhaltung der vorhandenen öffentlichen Versorgung zu einem verminderten Vertrauen in demokratische Institutionen. So erkennt die Raumforschung unterschiedlich ausgestattete Infrastrukturen als Einfallstore für Populismus. Als wichtigste Aspekte werden das Stadt-Land-Gefälle, sozioökonomische Unterschiede sowie Zentrum-Peripherie-Gegensätze genannt. Solche infrastrukturellen Lücken werden durch Rechtspopulisten besetzt. Zwar zeigt gerade die Verkehrspolitik die Widersprüche ihrer Positionen. In einer Veröffentlichung der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft heißt es in einem Beitrag zum infrastrukturellen Populismus von Matthias Naumann: „Einerseits plädiert die AfD bundesweit für den motorisierten Individualverkehr und gegen Fahrverbote oder auch gegen Regelungen zur Verminderung von Feinstaub. Andererseits sprachen sich AfD-Abgeordnete im Stuttgarter Gemeinderat für eine Kombination aus öffentlichen und umweltfreundlichen Verkehrsmitteln aus. […] Ebenso steht das Bekenntnis der AfD für den Erhalt von sozialen Infrastrukturen in ländlichen Räumen im Widerspruch zur austeritätspolitischen Ausrichtung der Partei insgesamt.“ Neben dem Ausbau bleibt daher auch die Pflege der Infrastruktur eine gesunde Basis gegen Lückenbesetzungen durch Populist*innen.
Die 7 Kernelemente sozialverträglicher Mobilität
Teilhabe:
Die Mobilität soll alle Menschen bei ihren sozialen und wirtschaft-lichen Aktivitäten fördern und unterstützen. Der öffentliche Raum soll als Aufenthalts- und Begegnungsort zur Verfügung stehen. Auch Kinder sollen sich frei und selbstständig bewegen können.
Barrierefreiheit:
Die Angebote des Verkehrssystems sollen von allen Menschen nutzbar sein. Unterstützende Infrastruktur (z.B. Behindertenparkplätze, Fahrstühle etc.) sollte in angemessenem Maße und ausreichender Ausstattung vorhanden sein.
Bezahlbarkeit:
Alle Menschen sollen sich Mobilität leisten können. Dort, wo besonderer Bedarf besteht, sollten Fördermöglichkeiten geprüft werden.
Erreichbarkeit:
Die Mobilität soll so gestaltet sein, dass alle relevanten Ziele unabhängig von der Verkehrsmittelwahl innerhalb einer angemessenen Zeit gut erreichbar sind. Ebenso müssen alle Menschen gut von essenziellen Diensten (z.B. Rettungsdienste, körpernahe Dienstleistungen, Handwerker u.Ä.) erreicht werden können.
Zuverlässigkeit:
Die Menschen sollen sich darauf verlassen können, dass sie ihre Ziele planmäßig erreichen. Dabei sollte die Verkehrsmittelwahl keine Rolle spielen.
Sicherheit:
Die Menschen sollen sich unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihren körperlichen Fähigkeiten ohne Angst im Stadtraum bewegen können.
Gesundheit:
Mobilität soll positiv zur Gesundheit der Menschen beitragen. Negative Auswirkungen von Mobilität (z.B. Verkehrsemissionen) sollten nicht zu einer überproportionalen Belastung einzelner Bevölkerungsgruppen führen.
Bilder: René Frampe, DialogWerke, Gemeinde Eichwalde, Changing Cities