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Der Ausbau des Radverkehrs ist ein Teamsport und braucht einen starken Trainer

Die Mitarbeiter in den Verwaltungen gestalten die Straßen der Zukunft. Damit die Planer ihren Job überhaupt machen können, müssen die Abläufe neu strukturiert werden. Ein neues Difu-Projekt zeigt Probleme, Potenziale und Lösungen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Manchmal braucht es wenig, um Radfahren sicherer zu machen. In Frankfurt waren es neue Markierungen, eine Handvoll Poller, ein Sicherheitsstreifen und ein paar Trennelemente, die rund um die Messe die Radfahrenden vor dem Autoverkehr und Dooring-Unfällen schützen. Der Umbau brauchte gerade mal sechs Monate. Das Radfahrbüro hat ihn geplant und das Amt für Straßenbau und Erschließung alles umgesetzt.
„Bei den bestandsnahen Maßnahmen wie Modalfilter oder Markierungen sind wir sehr schnell“, sagt Stefan Lüdecke, Frankfurts Radverkehrskoordinator. Das liegt an der Struktur in der Verwaltung. Das Radfahrbüro gehört zum Straßenverkehrsamt. Deshalb können seine Kolleginnen und Kollegen die Radinfrastruktur planen und auch selbst anordnen. Seit Januar leitet Lüdecke zudem die neue Stabsstelle Radverkehr in Frankfurt, inklusive Verfügung des Oberbürgermeisters. Damit wird der Ausbau des Radverkehrs in Frankfurt zur Chefsache.
Von so viel Rückenwind für die Verkehrswende träumen viele Radverkehrsplanerinnen. In der Regel wandern ihre Pläne über etliche Schreibtische in unterschiedlichen Ämtern, was Zeit kostet und zu Reibungsverlusten führt. Viele Kommunen wollen deshalb ihre Abläufe umstrukturieren, um den Ausbau des Radverkehrs zu beschleunigen. Hilfestellung bekommen sie dabei vom Deutschen Institut für Urbanistik. Die Mobilitätsexpertinnen aus Berlin haben in den vergangenen drei Jahren mit Kommunen und Kommunikationsexpertinnen bundesweit dazu ein Projekt durchgeführt. Es trägt den sperrigen Titel „Beseitigung von Umsetzungshemmnissen in der kommunalen Radverkehrsplanung – soziotechnische Innovationen und kommunale Steuerungsmöglichkeiten“ (KoRa). In über drei Dutzend Interviews spürten die Mobilitätsexpertinnen Stolpersteine in den Kommunen auf, identifizierten „Good Practices“ und entwickelten in verschiedenen Workshops mit den Mitarbeiter*innen der Kommunen unter anderem passgenaue Organisationsformen für ihre Planungsprozesse.
Für viele Verwaltungen ist das ein Umbruch in der Arbeitsweise. „Traditionell sind Verwaltungen eher hierarchisch organisiert“, sagt Martina Hertel, Mobilitätsexpertin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Mobilität sei aber eine Querschnittsaufgabe, für die Experten verschiedener Fachbereiche und Hierarchieebenen zusammenarbeiten müssen. Diese Zusammenarbeit zu organisieren und zu strukturieren, sei deshalb mancherorts eine Herkulesaufgabe.
Für den Wandel lohnt sich bei einigen Aspekten der Blick in die freie Wirtschaft. „Auf vielen Ebenen funktionieren Verwaltungen wie große Unternehmen etwa beim agilen Management“, sagt Jessica Le Bris vom Beratungsunternehmen „Experience“, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen viele der Projekt-Workshops durchgeführt hat.
Der Bau eines Radwegs sei auf verschiedenen Ebenen mit der Herstellung eines Produkts vergleichbar. Um ein neues Produkt zu entwickeln, arbeiten in Unternehmen Experten aus verschiedenen Fachbereichen in wechselnden Teams zusammen – etwa aus der Entwicklung, der Fertigung, der Marktforschung, dem Produktdesign, der Buchhaltung oder dem Verkauf. Dabei folgen alle Beteiligten einem genau strukturierten Prozess und arbeiten klar umrissene Aufgabenpakete ab. Der aktuelle Stand des Projekts und die anstehenden Schritte sind für alle jederzeit digital einsehbar. Jedes Projekt wird von einem Projektmanager betreut.
„Ähnliche Strukturen benötigen die Verwaltungen“, sagt Jessica Le Bris. Die Beteiligten müssen Arbeitsprozesse umstrukturieren und eine neue Teamkultur entwickeln. Momentan entstehen in den Kommunen an vielen Stellen Reibungsverluste, weil etwa Checklisten für die einzelnen Planungsschritte fehlen oder die Fachbereiche nicht ausreichend eingebunden werden. „Immer wieder werden weit fortgeschrittene Radverkehrsplanungen gestoppt, weil der Denkmalschutz, der Naturschutz oder das Amt für Inneres ein Veto einlegen“, sagt Le Bris. Wenn mit Planungsbeginn alle beteiligten Personen einbezogen und integriert werden, kann das verhindert werden.

„Ein gutes Projektmanagement hilft dabei, einen Zuständigkeitsatlas zu etablieren und das Netzwerken der Mitarbeitenden zu fördern“

Jessica Le Bris, Beratungsunternehmen Experience

Alle Experten an Bord?

In Vorreiterstädten wie Hamburg ist das seit Jahren üblich. Als Kirsten Pfaue dort 2015 Radverkehrskoordinatorin wurde, hat sie das Bündnis für den Radverkehr initiiert. Alle, die in der Hansestadt für den Bau von Radinfrastruktur wichtig sind, machen mit: neben verschiedenen Senatsbehörden etwa auch die Bezirksämter, der Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer, die Hamburger Hafenverwaltung und die HafenCity Hamburg GmbH. Mit ihnen hat Kirsten Pfaue damals einen ausführlichen Maßnahmenkatalog erarbeitet, um das Radnetz und die nötige Infrastruktur aufzubauen. In den vergangenen Jahren ist das Bündnis von 19 auf 28 Projektpartner angewachsen.
Das Bündnis schafft die notwendige Struktur, indem es die Fachgebiete mit den jeweiligen Ansprechpartnern definiert. Das ist hilfreich, wenn im Zuge von Politikwechseln die Zuständigkeit umstrukturiert wird. „Ein gutes Projektmanagement hilft dabei, einen Zuständigkeitsatlas zu etablieren und das Netzwerken der Mitarbeitenden zu fördern“, sagt Le Bris.

Effizienz steigern, Ingenieurinnen entlasten Ein Zuständigkeitsatlas kann dabei helfen, die anfallenden Aufgaben bei der Radverkehrsplanung fachspezifisch zu verteilen. Der Bedarf ist da. Eine Analyse der Denkfabrik Agora hat 2023 gezeigt, dass Radver-kehrsplanerinnen gerade mal 25 bis 45 Prozent ihrer Arbeitszeit mit dem Planen von Radinfrastruktur verbringen. In der übrigen Zeit beantworten sie Presseanfragen, Anfragen aus der Politik und der Bürgerschaft oder sie organisieren Bürgerbeteiligungen. „In vielen Kommunen ist es selbstverständlich, dass der Radverkehrsplaner die Räume für Bürgerbeteiligungsverfahren mietet und falls nötig auch das Catering organisiert“, sagt Martina Hertel. In Zeiten von Fachkräftemangel verschwenden die Kommunen auf diese Weise wertvolle Ressourcen. Dabei existieren bereits Lösungen.
„In Heidelberg beispielsweise managt ein Team die Öffentlichkeitsarbeit und organisiert die Bürgerbeteiligungsverfahren für die gesamte Verwaltung“, sagt die Difu-Expertin. Die Teammitglieder beraten die Planerinnen, übernehmen die Kommunikation, die organisatorischen Aufgaben und moderieren gegebenenfalls die Veranstaltung. „Für den Inhalt sind weiterhin die Planer zuständig, alles andere erledigen die Kommunikationsexperten“,sagt Martina Hertel. Das sichert die Qualität der Bürgerbeteiligungsverfahren und verschafft den Ingenieurinnen mehr Zeit zum Planen.

Farbe, Trennelement und Plastikpoller schützen die Radfahrenden in der Osloer Straße nahe der Messe vor dem Autoverkehr.

Stockt der Ausbau, hakt der BWLer nach

Die Hansestadt Hamburg ist bereits eine Stufe weiter. Dort werden die verschiedenen Radverkehrsprojekte per Controlling optimiert. „Betriebswissenschaftler kontrollieren, ob die verschiedenen Projekte umgesetzt und die Zeitpläne eingehalten werden“, sagt Martina Hertel. Verspäte sich ein Ausbauschritt, haken die BWLer nach, informieren die Beteiligten und bringen den Prozess wieder ans Laufen, sagt sie. Die Voraussetzung für diese effiziente Vorgehensweise sei eine gemeinsame Datenbasis und damit die Digitalisierung der Kommune.

„Die Radverkehrsplaner brauchen digital und organisatorisch geeignete Strukturen, um schnell ins Handeln zu kommen“

Martina Hertel, Mobilitätsexpertin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu)

Digitalisierung wird verzögert

In vielen Verwaltungen ist die Digitalisierung bislang nicht angekommen. Im Gegenteil, vielerorts werden laut Martina Hertel weiterhin PDFs oder Excel-Tabellen in Aktenmappen weitergereicht. „Die Zahlen sind mit dem Ausdruck schon fast wieder veraltet“, sagt sie. In Zeiten von klammen Kassen scheitert die Umstellung jedoch häufig am Geld, am Personal und am Wissen. Manchmal fehle aber auch die grundlegende Erkenntnis, dass die Digitalisierung notwendig sei für eine moderne Verwaltung.
Damit die Verkehrswende in den Kommunen gelingt, müssen die Vorhaben und Maßnahmen deutlich schneller umgesetzt werden als bisher. „Die Radverkehrsplaner brauchen digital und organisatorisch geeignete Strukturen, um schnell ins Handeln zu kommen“, sagt Martina Hertel. Das ist auch relevant, um die Bevölkerung in die Verkehrswende besser einzubinden und Konflikte beim Umbau gegebenenfalls schnell abwenden zu können. Das zeigt ein Beispiel aus Frankfurt.

Oeder Weg in Frankfurt: Weniger Autos, mehr Fahrräder und Fußgänger: Die Umwandlung des Oeder Wegs in Frankfurt zu einer fahrradfreundlichen Straße hat positive Auswirkungen auf die Verkehrsbelastung.

Zunächst sind viele Autofahrer auf Seitenstraßen ausgewichen. Um das zu ändern, wurden sogenannte Diagonalfilter installiert, die nur Fahrradfahrende und Fußgänger*innen durchlassen.

Konflikte schnell lösen können

Dort wurde im Jahr 2021 die Nebenstraße Oeder Weg temporär in eine 1,3 Kilometer lange Fahrradstraße umgebaut. Vor dem Umbau waren dort 9.000 Autos unterwegs. „Mit dem Umbau hat sich die Zahl der Pkw halbiert und die Zahl der Radfahrenden verdoppelt“, sagt Radverkehrskoordinator Stefan Lüdecke. Allerdings sind die Autofahrerinnen nicht auf die Hauptstraßen ausgewichen, sondern in die angrenzenden Nebenstraßen. Die Anwohnerinnen beschwerten sich über Lärm und Verkehr bei den Radverkehrsplanerin-nen. Damit der Konflikt nicht weiter eskaliert, diskutierten Lüdecke und sein Team zeitnah mit dem Ortsbeirat und den Bürgerinnen. „Wir haben angeboten, mit Modalfiltern ein Blockkonzept zu testen“, sagt Lüdecke. Nach einer weiteren Anhörung und der Abstimmung mit der Brandschutzbehörde wurden rund vier Monate später Poller und Schilder installiert. Laut den Wissenschaftlern der Frankfurt University of Applied Sciences, die den Umbau begleiteten, hat sich der Autoverkehr seitdem auf die Hauptstraßen verlagert. Im gesamten Quartier sind nun deutlich weniger Fahrzeuge unterwegs als zuvor und die Zahl der Unfälle hat sich ebenfalls halbiert.
In Frankfurt wurden die wichtigsten Voraussetzungen für den schnellen Ausbau des Radverkehrs in der Verwaltung bereits geschaffen. Aber weiterhin werden die Prozesse stetig angepasst und verbessert. „Der Ausbau des Radverkehrs ist eine Querschnittsaufgabe“, sagt Stefan Lüdecke. Nicht jede Kommune brauche einen Radverkehrskoordinator, aber sie brauche einen Verantwortlichen, einen Kümmerer, der dafür sorgt, dass der Ausbau des Radverkehrs in allen Ämtern gelebt wird. „Die Verkehrswende, der Umbau Frankfurts zur Fahrradstadt, ist politisch beschlossen“, sagt Lüdecke. Demnach müssen alle Ämter das politische Ziel vorantreiben.
Frankfurt gehört zu einem der drei Best-Practice-Beispiele, die das Difu auf seiner KoRa-Webseite in einem Kurzvideo vorstellt. Dort können interessierte Kommunen zudem anhand eines Schnelltests den Ist-Zustand der Radverkehrsplanung in
ihrer Kommune reflektieren und bewerten. Fest steht: Jede Kommune ist anders und muss eine Struktur entwickeln, die zu ihren Bedürfnissen passt. Allerdings gibt es Leitlinien, die die Kommunen dabei unterstützen, ihre Struktur an die neuen Herausforderungen anzupassen. Dazu wird das Difu in den kommenden Monaten einen Leitfaden veröffentlichen.


Bilder: Mobilitätsdezernat der Stadt Frankfurt