Die Klimaschutzwirkung im Blick
Der CO₂- und Kosteneffizienzrechner (CoKo) dürfte vor allem Klimaschutzbeauftragten in Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsalltag und die Kommunikation erleichtern. Das Projekt zeigt aber auch auf, wie komplex die Aufgabe der CO₂ -Bilanzierung ist.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)
Klimaschutz zu bilanzieren ist eine Pflicht, an der heute keine Kommune mehr vorbeikommt. Der genaue Blick auf die Emissionen ist wichtig, um effektiv an den Klimazielen arbeiten zu können. Marius Reißner vom Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) erläutert: „Das Thema Klimaschutz ist meistens in den Kommunen primär eben bei speziell für diesen Zweck eingestellten Klimaschutzmanagerinnen und -managern angesiedelt. Die haben den Auftrag, für ihre jeweilige Kommune eine Klimaschutzbilanz zu erstellen.“
Längst läuft diese Tätigkeit mithilfe digitaler Tools, etwa dem sektor-übergreifenden Klimaschutzplaner oder der Software ClimateOS von Anbieter ClimateView ab. Mit dem neuen Berechnungs-Tool CoKo wollen Reißner und seine Kolleg*innen aus dem Zukunftsnetz Mobilität NRW und vom VRS-Schwesterunternehmen Go.Rheinland die herkömmlichen Werkzeuge nicht ersetzen. In den Bereichen, die diese abdecken, gehen der Klimaschutzplaner und Co. weit über den Leistungsumfang von CoKo heraus. „Da sind Themen wie Industrie und Gebäude mit drin, auch Themen, die aus meiner Sicht anders gelagert sind und die man anders betrachten muss als Verkehr, weil es sich um stationäre Anlagen handelt“, sagt Reißner.
Anstelle detaillierter Bilanzierungen bietet CoKo eine einfache und schnelle Übersicht, welche Maßnahmen im Mobilitätssektor welche Einsparungen an Emissionen und welchen Modal Shift in einer bestimmten Kommune erreichen können. Das Werkzeug befindet sich seit Juni dieses Jahres nach einer Testphase im Live-Betrieb. Primär finanziert vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen steht das Projekt allen Kommunen in NRW kostenlos zur Verfügung.
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Niedrigschwellige Kalkulation
Die Kernzielgruppe von CoKo sind Mobilitätsmanagerinnen, die in ihrer Schnittstellenfunktion viele Themenbereiche verknüpfen. Manchmal fehle ihnen die Kapazität, sich vertieft in das Thema Klimaschutzwirkung einzuarbeiten, erklärt Reißner. „In diese Lücke soll CoKo gehen. Es ist eben ein sehr niederschwelliges Tool und soll einen niederschwelligen Zugang zu dem Thema Klimaschutz im Verkehrsbereich bieten.“ Reißner und das restliche Projekt-Team sehen in ihrem Werkzeug den Vorteil, dass es der Verwaltung viel Arbeit abnehmen kann. Das gilt gerade im Vergleich zu komplexeren Tools wie dem Klimaschutzplaner, wo man zunächst viele Daten auf kommunaler Ebene akquirieren muss. Hinzu kommt, dass der Verkehr sich in seinen Auswirkungen auf das Klima von anderen Sektoren unterscheidet und eine gesonderte Betrachtung insofern Sinn ergibt. Reißner: „Im Verkehrsbereich behandelt man sich bewegende Objekte, was die Bilanzierung durchaus herausfordernder macht. Da kommen Fragen auf, die bei Gebäuden oder Industrie gar nicht von Belang sind. Macht es zum Beispiel Sinn, Wege an Kommunengrenzen abzuschneiden und hat man dafür die passenden Daten?“ In der Mobilität wirken verschiedene Einflussfaktoren zusammen. Reißner identifiziert hier einen Forschungsbedarf: „Man weiß nicht genau, wie sich verschiedene Maßnahmen zueinander verhalten. Haben die eher sich verstärkende oder sich abschwächende Effekte? Nehmen wir mal das Beispiel Radverkehr: Man baut die Radwege aus, baut aber auch Radabstellanlagen. Hat das eher einen Effekt, der über die Summe der Einzelmaßnahmen hinausgeht? Oder zielt man eher auf die gleiche Zielgruppe ab?“ Wo aktuell noch die Grenzen eines generischen Tools wie CoKo liegen, könnten sie durch zukünftige Forschung weiter verschoben werden. Reißner und seine Kolleginnen planen außerdem, die hinterlegten Daten aktuell zu halten. Außerdem wolle man die Maßnahmeneingabe weiter vereinfachen. Diese Änderungen sollen im laufenden Betrieb möglich sein.
„Aus unserer Erfahrung ist für Kommunen die Etablierung des Zusammenspiels aus Push- und Pull-Maßnahmen sehr herausfordernd.“
Marius Reißner, Verkehrsverbund Rhein-Sieg
Kommunikation unterstützen
CoKo liefert keine genaue Bilanzierung, sondern nur eine Ersteinschätzung. Dennoch könne die Quantifizierung die Planer*innen kommunikativ ermächtigen, ob innerhalb der Verwaltung oder gegenüber der kommunalen Bevölkerung. Die Kommunikation erweise sich oft dann als besonders wichtig, wenn lokale Veränderungen über lockende Pull-Maßnahmen hinaus in den Bereich der Push-Maßnahmen gehen. Diese schätzt Reißner als sehr wichtig ein, entsprechende Beschlüsse zu erwirken sei aber schwierig: „Aus unserer Erfahrung ist für Kommunen die Etablierung des Zusammenspiels aus Push- und Pull-Maßnahmen sehr herausfordernd.“ Als Beispiel nennt er Bewohnerparkgebühren. „Es ist mittlerweile in vielen Bundesländern so, dass Kommunen das selbst entscheiden können. Das versuchen wir natürlich, zu unterstützen. Die Beschlüsse kommen langsam rein, es ist aber sehr zurückhaltend und zaghaft, da die Kommunalpolitik den geschaffenen Handlungsspielraum noch zu selten nutzt.“
Diese ausbleibende Klimaschutzwirkung lässt sich mit CoKo verdeutlichen. Verwaltungen können zeigen: „Wenn wir uns nur auf bestimmte Pull-Maßnahmen konzentrieren können, verschenken wir Potenzial und können mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen.“, erklärt Reißner. Konkrete Ziele können schließlich Handlungsdruck erzeugen. Und sie lassen sich mit einem Strauß an Maßnahmen am besten erreichen.
Bild: go.Rheinland – Smilla Dankert
Grafik: Zukunftsnetz Mobilität NRW