„Einseitige Sichtweisen gibt es in allen Parteien“
Henning Rehbaum ist Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für den Radverkehr. Nach seinem Empfinden „verändert sich gerade etwas in der Fahrradwelt“. Ein Professionalisierungsschub sei deutlich spürbar. Die große Aufgabe sei es nun, „sympathisch zu bleiben“. Das Fahrrad sei ein enormer Sympathieträger. Es braucht aus der Mitte der Gesellschaft starken Rückhalt – aber ohne moralischen Zeigefinger. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)
Hinweis: Das Gespräch wurde kurz vor dem Bruch der Ampelregierung geführt.
Vor Kurzem waren Sie bei der Klausur Ihrer CDU-Fraktions-Arbeitsgruppe Verkehr. Wie gelingt es Ihnen dort, mit dem Thema Fahrrad durchzudringen und dem Radverkehr Gewicht zu geben?
Als Volkspartei CDU/CSU haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass jeder Verkehrsträger zu seinem Recht kommt. Natürlich ist das Auto für viele Menschen, gerade im ländlichen Raum, wo ich herkomme, wichtig, aber auch das Fahrrad spielt im Münsterland eine große Rolle. Das Fahrrad ist bei uns Alltagskultur – und diesen Spirit, dass das Fahrrad etwas ganz Normales ist, für die Breite der Gesellschaft, den will ich in meiner Partei noch viel mehr verankern. Es gibt Regionen in Deutschland, da ist das Fahrrad schon lange angekommen, aber auch andere, vielleicht topografisch schwierigere, da muss es erst noch zur Selbstverständlichkeit werden. Hierzu beizutragen, das habe ich mir zur Aufgabe gemacht.
Von der Gleichberechtigung aller Verkehrsträger wird ja immer wieder gerne gesprochen, aber es gibt hierzu sehr unterschiedliche Interpretationen. Gerade hier in Berlin, unter einer CDU-Verkehrssenatorin, wird mit dem Anspruch „Verkehr für alle“ die Entwicklung des Radverkehrs stark ausgebremst und stattdessen eine „Auto-First“-Politik betrieben. Die Verkehrsthematik wird ideologisch stark aufgeladen – auch von Vertreter*innen Ihrer Partei.
Einseitige Sichtweisen gibt es natürlich in allen Parteien und bei den Grünen hat man manchmal den Eindruck, dass es für sie nur den Radverkehr als Allheilmittel gibt. Immerhin hat die CDU in Berlin, indem sie das Autothema für sich besetzt hat, die Wahl gewonnen – das war ja ein stark vom Verkehrsthema geprägter Wahlkampf. Ich persönlich glaube, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Auf die Dauer müssen wir für alle Verkehrsträger vernünftige Lösungen haben. Ohne Autos wird Berlin nicht funktionieren, daher muss auch das Auto zu seinem Recht kommen. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß! Die große Herausforderung für Fahrrad und Auto ist ja das sichere Kreuzungsdesign. Und dafür fehlen in Berlin massenhaft Fachleute.
Das läuft in NRW besser. Dort hat die CDU-Regierung den Radwegebau auch dadurch beschleunigt, dass wir die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschafft haben, denn Radwegebau ist praktizierter Umweltschutz! Das konnten wir dann auch im Bund durchsetzen, im Rahmen der Planungsbeschleunigung – und gegen den anfänglichen Widerstand von Umweltverbänden und den Grünen. Das ist ein Fortschritt.
„Für einen Mischverkehr von Kfz und Fahrrad ist auch Tempo 30 noch zu schnell, diese Temporeduzierung ersetzt keine eigenständige Radverkehrsinfrastruktur.“
Henning Rehbaum, Bundestagsabgeordneter
Der politische Diskurs hat sich in den letzten zwölf Monaten deutlich verändert, populistische Töne sind oft dominierend, eine sachliche Auseinandersetzung zu führen, wird immer schwieriger.
Politische Kräfte, die auf schnelle Maßnahmen dringen, werden abgekanzelt, die Grünen als „Verbotspartei“ gebrandmarkt. Was denken Sie darüber? Können wir ohne dirigistische Vorgaben die Probleme in einem verträglichen Zeitrahmen lösen?
Wir haben tatsächlich keine Zeit zu verlieren, aber wir erleben doch gerade, wie die Ampel beim Klimaschutz scheitert. Aktuell erreichen wir ja nur deshalb die Klimaziele, weil die Wirtschaft schrumpft. Wir haben in Deutschland noch nie so wenig Wärmepumpen verkauft wie gegenwärtig. Habeck hat mit einer chaotischen Förderpolitik alles abgewürgt. Und mit Verboten kommt man dann schon gar nicht weiter. Dann investieren die Leute eben nicht, fahren ihren Diesel, bis er auseinanderfällt. So funktioniert das nicht. Die Regierung muss den Leuten die Möglichkeit aufzeigen, Klimaschutz zu betreiben. Das müssen die auch schaffen können und das muss verlässlich sein, damit man darauf bauen kann. Diese Verlässlichkeit fehlt zurzeit.
Mit dem Deutschlandticket tun wir dem ÖPNV auch keinen Gefallen. Wir brauchen aber einen starken ÖPNV auch in Verknüpfung mit dem Radverkehr. So wie das Ticket aktuell organisiert ist, entzieht es dem ÖPNV massiv Geld. Milliarden, die für seinen Ausbau dringend gebraucht werden. Das ist eine Rolle rückwärts für den Klimaschutz.
Dasselbe gilt für den Radverkehr. Wir müssen, damit die Leute aufs Fahrrad umsteigen, ermöglichen: Vernünftige Radwege, gute Fahrradinfrastruktur, Fahrrad-Parkhäuser, tolle Produkte, wie sie die Industrie ja bereithält, eine zeitgemäße Regulatorik. Jetzt müssen wir Gas geben, damit die Leute fürs Fahrrad motiviert sind.
Der Grat ist ja schmal zwischen dem „Ermöglichen“ und Entscheidungen, die auch einschränken. Wenn es beispielsweise um die Neuverteilung des Verkehrsraums zugunsten des Fahrrads geht, dann sind wir sofort in aufgeheizten Debatten.
Das ist so. Der Kampf um die Fläche ist da. Allerdings gibt es auch viele Symboldebatten: Jeder Kfz-Parkplatz, den man dem ruhenden Autoverkehr abgejagt hat, ist in der Fahrradszene eine Trophäe. Das heizt die Stimmung aber nur weiter auf. Schließlich gibt es genügend Leute, die aufs Auto angewiesen sind, zumindest in bestimmten Lebensphasen. Wir müssen aufpassen, dass sich das nicht weiter aufschaukelt, also raus aus den Schützengräben! Wir müssen bessere Lösungen finden. Wir können auch Fahrradstraßen oder Fahrradzonen in der zweiten Reihe einrichten, das muss nicht an Hauptstraßen sein, wo jeder Meter Straßenbreite zählt. Die haben schließlich auch eine überregionale Transportfunktion.
Wir führen aber auch Geisterdebatten, selbst wir jetzt hier in diesem Gespräch. Sie haben mehrfach betont, dass man das Auto ja nicht abschaffen kann, weil es für viele eine wichtige Funktion hat. Nach meiner Wahrnehmung gibt es aber keine relevante politische Stimme, die das Auto komplett abschaffen will. Warum also reden wir überhaupt darüber?
Diese Debatten gibt es schon auf lokaler Ebene, oftmals über den Umweg des Parkraum-Wegnehmens. Wo sollen die Leute dann ihr Auto abstellen? Das ist dann eine Folgekette. Wenn man in manchen Kreisen fordert, Autos raus aus der Stadt, dann kriegt man da schon Applaus. Das heizt nur unnötig auf. Wir müssen auch aufpassen, dass wir das Pflänzchen Einzelhandel nicht durch zu hohe Parkgebühren kaputtmachen. Es fahren zwar viele mit dem Fahrrad in die Stadt, aber eben nicht alle. Und die bleiben dann weg. Wir müssen aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Nicht jede Lösung, die in Kopenhagen gut funktioniert, funktioniert auch in Bergisch-Gladbach.
Warum reden wir bei solchen Themen eigentlich immer nur über „autoarme“ Innenstädte und nicht über attraktive Begegnungsräume, in denen man sich frei bewegen und die Kinder mal laufen lassen kann? Warum steht der Verlust des Autos im Mittelpunkt und nicht der Gewinn, Stichwort Aufenthaltsqualität?
Es braucht maßgeschneiderte Lösungen! Manche Städte sind Industriestandorte, da müssen die Arbeitnehmer auch hinkommen können. In jedem Fall gilt für uns: Erst mal ein Angebot schaffen und dann die Veränderungen beim Verkehr angehen. Also: Erst Parkraum in vertretbarer Nähe zu den Zielen schaffen, dann den Verkehr neu strukturieren. Die Reihenfolge ist wichtig. Das war auch unsere Kritik beim Deutschlandticket: Erst das ÖPNV-Angebot ausbauen und dann ein attraktives Ticket obendrauf setzen. So ist es beispielsweise in Wien gelaufen, dann steigen die Leute auch um. Aber einfach erst die knappen Parkplätze teurer machen und sagen: Dann bleiben die Leute mit dem Auto halt draußen, das ist keine kluge Strategie. Ich bin ein Fan von vielen Park-and-Ride-Stellplätzen und auch von Bike and Ride.
Zurück zum Radverkehr und damit zum Straßenverkehrsgesetz (StVG): Bei unserem letzten Gespräch waren Sie den Ampel-Plänen gegenüber recht reserviert. Jetzt ist der Kompromiss mit den Ländern da. Wie bewerten Sie das Ergebnis? Sind Sie für den Radverkehr zufrieden oder hätten Sie sich anderes gewünscht?
Wir müssen erst mal schauen, wie das anläuft. Das ist jetzt ein klassischer politischer Kompromiss der Bundesregierung mit den Ländern. Kleine Fortschritte sind durchaus zu erkennen. Ich hätte mir gewünscht, dass der unter dem letzten CSU-Verkehrsminister entwickelte Katalog von Rahmenbedingungen für Tempo 30 aufgenommen worden wäre. Ich bin ja kein Freund von innerorts flächendeckendem Tempo 30, aber dass es vor Kindergärten, vor Schulen, vor Krankenhäusern und Altenheimen etc. ohne weitere Bürokratie Tempo 30 geben können sollte, finde ich vernünftig. Das kann ich als bürgerlicher Politiker, der nah an den Menschen im Wahlkreis ist, vorbehaltlos unterstützen. Das sieht man auch als Autofahrer ein, wenn da zur Begründung ein Schild steht „Achtung Kindergarten“. Solche lokal begrenzten Tempolimits sollten leichter möglich sein. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit ist hingegen keine gute Idee, z.B. wenn man einen zügigen Busverkehr möchte …
… wobei auch bei der aktuellen Regelgeschwindigkeit von Tempo 50 Ausnahmen nach unten und oben problemlos möglich sind …
Für einen Mischverkehr von Kfz und Fahrrad halte ich auch Tempo 30 noch für zu schnell, diese Temporeduzierung ersetzt keine eigenständige Radverkehrsinfrastruktur. Sicherheit ist das ganz entscheidende Thema. Das hat für mich Priorität – und das ist am allerbesten mit einem abgetrennten Radweg zu erreichen.
Welche Entwicklungen sehen Sie im Parlamentskreis Fahrrad? Ist der eine Smalltalk-Runde oder ein zielführendes Instrument für eine fahrradfreundlichere Kultur im Deutschen Bundestag?
Der geistige Vater des PK Fahrrad ist ja unser viel zu früh verstorbener Gero Storjohann. Er war unermüdlich in der Sache, aber zugleich hat er immer wieder auch nach innen in die Partei hinein Brücken für den Radverkehr gebaut. Dieser Spirit schwebt immer noch über dem Parlamentskreis, und die Mitglieder, egal, welcher Partei sie angehören, verstehen sich gut. Alle gemeinsam haben das Ziel, das Fahrrad in die Köpfe und in die Herzen der Parlamentarier zu bekommen und das Fahrrad auch im Bundestag stärker zu etablieren.
Die Sitzungen des Parlamentskreises Fahrrad sind sehr fruchtbar und man erfährt vieles, wofür im hektischen Parlamentsalltag sonst gar keine Zeit wäre, so haben wir uns im PK Fahrrad beispielsweise sehr intensiv über Schulstraßen informiert, das war großartig.
Bilder: Christian Fischer