Konflikte rund um den Radsport: Kleine Gruppe, große Sprengkraft
Der Radsport ist populäre Freizeitbeschäftigung und zugleich konstanter Konfliktherd im Straßenverkehr. Die Hobbyathlet*innen ärgern sich über schlechte Radwege – werden aber selbst zum Risikofaktor für so manchen Verkehrsweg.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Appelle haben nicht gereicht. Trotz der Worte auf Boden und Schildern waren die Anwohner*innen unzufrieden. Denn viele Rennradler*innen scherten sich kaum um das ausgewiesene Tempo.
Mehr Radverkehr bedeutet neue Konflikte. Besonders intensiv fallen die oft aus, wenn die Radler*innen sportlich fahren. Rennradfahrer*innen und Straßenverkehr, das ist zwar im Verhältnis zum Gesamtaufkommen des Verkehrs in Deutschland ein eher marginales Thema – in Einzelfällen bringt es aber umso leidenschaftlichere Diskussionen. Das erlebte man beispielsweise auch in Hürth. Hier, gleich westlich der Millionenstadt und Rennradhochburg Köln, ist der Radsport seit vielen Generationen fest verwurzelt und zugleich dauerhafter Aufreger.
Pikanterweise war es gleich vor der Haustür des erfolgreichsten deutschen Straßenprofis aller Zeiten, dass sich die Anwohner*innen vor knapp fünf Jahren in Wallung versetzten. Im Hürther Ortsteil Stotzheim meldeten sich immer mehr Bürger*innen bei Ortsvorsteher Otto Winkelhag von der CDU. Auslöser: Mit dem Corona-Boom im Sport kam nicht nur eine erhöhte Freizeitaktivität auf den Landstraßen, es kam auch zu einer Verschiebung der Ärgerverhältnisse. „Ich werde hier tagtäglich von Radfahrer*innen fast abgeräumt, wenn ich auf die Decksteiner Straße fahren will“, berichtete ein Anwohner im Sommer 2021 der Kölnischen Rundschau. Was etwas dramatisch klingen mag, lässt sich doch leicht nachvollziehen, wenn man bei gutem Wetter zur Feierabendzeit oder wochenends in Stotzheim ein wenig am Wegesrand steht. Einzeln, in Grüppchen, aber auch größeren Pelotons fahren die Radsportler*innen über die Decksteiner Straße aus Köln raus und wieder zurück.
Der Ärger kochte hoch. Die Sache wurde zum Lokalpolitikum. Was umso bemerkenswerter ist, da Hürth-Stotzheim schon ein großes Verständnis für den Sport hat. Damals wohnte hier noch André Greipel, der Tour-de-France-Star, mit seiner Familie, ein beliebter Nachbar. Und in diesem gepflegten Stadtteil steht auch jedes Jahr nach der Frankreich-Rundfahrt ein sehr prominent besetztes Kriterium an, also ein Showrennen mit Topfahrern. Doch trotz aller kulturellen Gewöhnung an die Athleten: Den Hürther*innen an der Decksteiner Straße stank es. Zu viele Radler*innen missachteten die Vorfahrt, fuhren zu schnell durch die 30er-Zone, brachten Passant*innen und spielende Kinder in Gefahr. Was sonst den SUV-Fahrenden vorgeworfen wird, das verkörperten hier die Freizeitsportler*innen.
„Viele Radwege sind mit dem Rennrad kaum befahrbar.“
Yvonne Link, RSV Seerose
Kommunalpolitik zieht Konsequenzen
Es blieb nicht beim Aufreger. Die Bürger*innen wandten sich an die Kommunalpolitik. Es waren vor allem Familien mit Kindern, die Probleme an der Decksteiner Straße meldeten, erklärt Stadtsprecherin Fabricia Karutz. Der neue Konflikt kam in die Politik. Der Ausschuss für Planung, Umwelt und Verkehr nahm sich des Themas an und setzte die Verwaltung im Februar 2022 in Aktion. Der Auftrag war die Frage, „welche baulichen, straßenverkehrsrechtlichen oder ordnungsrechtlichen Maßnahmen geeignet sind, um eine Geschwindigkeitsreduzierung beim (Renn-)Radverkehr im Bereich der Decksteiner Straße zu erreichen“, schreibt Karutz. Eine erste Maßnahme war dann ein Appell: „Gemeinsam mit Vorsicht“ stand auf Schildern und auf dem Boden der Decksteiner Straße vor dem neuralgischen Punkt. Der Ausschuss beschloss im April 2022, die Wirkung dieser Worte auf die Radfahrer*innen abzuwarten. Es folgte eine „Evaluierung“ im Sommer in Form eines Ortstermins. Ergebnis war, „dass die Anwohnerinnen und Anwohner nicht den Eindruck hatten, dass die Beschilderung und die Markierung einen nachhaltigen Effekt auf einige der Rennradfahrerinnen und -fahrer haben“, erklärt Stadtsprecherin Karutz. Die Stadt sammelte zudem objektive Daten. Bei einer Verkehrszählung registrierte sie auch die Geschwindigkeiten – 55 Radfahrer*innen überschritten innerhalb von sieben Tagen die 30 km/h, in der Spitze seien etwa 50 km/h gemessen worden. Eine andere Lösung musste also her. Ende Oktober 2022 beschloss der Ausschuss, sogenannte „Rüttelmarkierungen“ quer zur Fahrbahn aufzubringen. Ein halbes Jahr später montierte die Stadt die weißen, erhabenen Streifen auf der Straße. Die Maßnahme scheint gefruchtet zu haben: „Seitdem gab es keine Eingaben mehr aus der Bürgerschaft, sodass seitens der Verwaltung derzeit kein weiterer Handlungsbedarf gesehen wird“, erklärt Karutz. Dass Rennradfahrer*innen in der Verkehrsplanung ihre ganz besonderen Probleme aufwerfen, ist ein relativ wenig beleuchtetes Phänomen. Doch mitunter wissen die Verwaltungen, dass an beliebten Ausfahrstrecken Konflikte Überhand nehmen. In Hürth gibt es noch einen weiteren Ortsteil, in dem es häufiger zu Unmut kommt. Kein Wunder. Hier bündelt sich der Rennradverkehr von Köln hinaus Richtung Eifel. Eines der bekanntesten Straßenstücke in der Gegend trägt in der Rennradfahrer-Tracking-App Strava den Titel „Out of Berrenrath“ – und Bestzeiten hier sind innerhalb der Community besonders wertvoll. Die Stadtverwaltung weiß, dass hier besonders häufig Zweiräder den vermeintlichen Wohnstraßenfrieden stören. Auch hier reagiert die Verwaltung: Mit Aufpflasterungen in der Straße sollen die Rennradfahrer *innen dazu gebracht werden, im Ort die Geschwindigkeit zu drosseln.
Infrastruktur für Radsport ungeeignet
Doch diese Konflikte lassen sich auch in einen anderen Zusammenhang rücken. Es fehlt für Rennradfahrer*innen oftmals an einer geeigneten Infrastruktur. Innerorts werden sie als unzulässig schnell oder zu raumgreifend wahrgenommen, obwohl sie in Wohngebieten genauso flüssig unterwegs sind wie Autofahrer*innen. Die Konflikte sind erheblich. In den beiden Fällen von Hürth wählen die Rennradfahrenden besagte Strecken vor allem, weil es die am besten zu fahrenden Wege sind – weniger Konflikte mit Hauptstraßenverkehr, kein Ausweichen auf ungeeignete Radwege.
Dass die Radwege oftmals nicht zu Rennradfahrer*innen passen, weiß auch Yvonne Link zu berichten, Geschäftsführerin eines Bauunternehmens und stellvertretende Vorsitzende des Friedrichshafener RSV Seerose, eines überregional bekannten Radsportvereins. „Viele Radwege sind mit dem Rennrad kaum befahrbar. Man gefährdet immer wieder Fußgänger, wenn man auf diesen Wegen zügig fährt“, sagt Link. Hinzu kämen Schachtdeckel, die oft auf Radwegen – unzureichend – eingebracht seien. Dann wechselt man pragmatisch auf die Fahrbahn, doch da folgt eine ganze Palette an Problemen. Rennradfahrer*innen selbst wissen das nur zu gut. „Man kann uns im Pkw oder Lkw nur regelgerecht überholen, wenn kein Gegenverkehr kommt – so viel Abstand muss auf Landstraßen sein. Doch das kümmert viele Leute nicht. Sie sehen uns einfach als Störfaktor.“ Für Link selbst steht fest: Große Gruppen bergen ihre eigenen Gefahren, immer wieder gibt es Sportskamerad*innen, die unvorsichtig oder rücksichtlos fahren, zudem wachsen die Konflikte mit dem Straßenverkehr. „Ich fahre maximal mit zehn Leuten“, benennt sie ihre Konsequenz. Denn sie weiß auch: „Wir Rennradfahrer*innen sind schon auch manchmal rücksichtslos.“
Andererseits gibt es genügend Gründe, um sich über die Gestaltung des Verkehrs zu ärgern. Vermeintliche Verbesserungen auf innerörtlichen Straßen führen dann mitunter dazu, dass Rennradfahrer*innen im Stop-and-Go steckenbleiben. Das kann, sagt Link für ihren Ort, kurioserweise dazu führen, dass die vermeintlich radfreundlichere neue Straße gemieden wird. Allerdings leitet der Verein daraus kein eigenes Handlungsthema ab. Bislang, sagt Link, sei man nicht in Sachen Verkehrsplanung auf Kommunen zugegangen – höchstens akut bei einzelnen Problemstellen.

Eine eigene Infrastruktur haben Rennradfahrer*innen nur in den seltensten Fällen. Durch die hohen Geschwindigkeiten können Probleme entstehen, etwa mit Anwohner*innen.
„BDR hat das Thema lange verschlafen“
Das wiederum verwundert nicht, denn auch beim Spitzenverband des Radsports, „German Cycling“ beziehungsweise BDR, wird die Rolle des Rennradfahrens im Straßenverkehr nicht gerade prominent thematisiert. „Der BDR, das muss man sagen, hat das Thema sehr lange verschlafen“, sagt Charly Höss, der sich als Koordinator Verkehr aber in den vergangenen Jahren stark engagiert hat. „Aber es ist jetzt wichtig, die Belange des Radsports einzubringen, etwa auf kommunaler Ebene. Ein Einfallstor ist die Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen“, sagt Höss. Er sieht es als seine Aufgabe, dass der organisierte Radsport in der Politik stärker wahrgenommen wird. „Bis vor zweieinhalb Jahren hatte der BDR beim Bundesverkehrsministerium überhaupt keinen Einfluss. Das hat sich schon geändert.“
Höss möchte das Feld nicht dem ADFC überlassen, er sieht die Radsportler*innen durchaus als kompetente Vertretung des Zweiradverkehrs. „Es ist wichtig, dass wir als Verband die Regeln kennen und darauf auch beharren, sie im Zweifel durchsetzen“, sagt er. Da kann es um die Benutzungspflicht von Radwegen gehen, die es zu bestreiten gelte, aber auch um das Vermitteln der Bedarfe von Radsportler*innen. „Es ist klar, dass wir in Deutschland einen klaren Autofokus haben.“ Dabei betreffe das Thema Radsport auf der Straße letztlich Hunderttausende. Höss sagt zu dieser Gruppe klar: „Hier gibt es gesellschaftliches Sprengpotenzial. Die Radsportler gehören auf die Straße, weil es oft zu unsicher ist, auf Radwegen zu fahren – wegen Einmündungen, Wurzeln, zu enger Wege und so weiter.“ Auf der anderen Seite weiß der BDR-Vertreter auch: „Eine Ursache für Konflikte ist natürlich das Verhalten vieler Rennradfahrer*innen selbst. Da fehlt es oft an Handzeichen, da fahren die Sportler oft in Gruppen zu dritt oder zu viert nebeneinander – das schürt Konflikte. Dies ist Verhalten, das die Sportler untereinander regeln müssen, da geht es auch um Disziplin.“ Hoch oben im Norden ist man den Problemen schon vor einiger Zeit eher aus dem Weg gegangen. Jörg Steffens ist gestandener Radsport-Ehrenamtler und Mitbegründer des Hamburger Cyclocross-Lands, eines sehr erfolgreichen Angebots für Querfeld-ein-Rennsport. Gerade in der Nachwuchsabteilung zieht der Verein auf sein Gelände, das auf einer ehemaligen Müllkippe im Norden der Hansestadt liegt. Doch auch Ausfahrten gehören natürlich zum Vereinssport bei den Hamburgern, „und da ist es Standard, dass wir als Rennradfahrer*innen die Buhmänner im Straßenverkehr sind.“ Gerade mit Kindern und Jugendlichen sei das oft schwierig. Wenn man aus dem Gebiet der Hansestadt raus und nach Schleswig-Holstein fahre, werde die Infrastruktur immer schlechter. „Paradoxerweise ist die Rad-Infrastruktur im innerstädtischen Hamburg für uns eigentlich viel besser geeignet, aber dort ist die Verkehrsdichte natürlich viel größer“, sagt Steffens. Er nennt ein Beispiel: Auf einer Landstraße im nahe gelegenen Trittau wurde im Laufe der Jahre ein Schutzstreifen für Radfahrer*innen eingerichtet. „Doch ehe die Autofahrer gelernt hatten, dass auch wir hier Platz haben“, sei dieser Streifen wieder zurückgebaut worden. „Die Botschaft“, sagt Steffens, laute: „Hat nicht geklappt, können wir den Autofahrern nicht vermitteln – und das bringt im Ergebnis nur mehr Konflikte mit Autofahrern, weil der Platz für Rennradfahrer und Rennradfahrerinnen nicht gesichert
ist.“
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