Mobilität als Japanerin in Düsseldorf: „Das ist mein Fahrradleben“
Ai Iga kommt aus Japan, hat aber eine Zeit lang in Deutschland gelebt. Ihre Erfahrungen machen deutlich, welche groben und feinen Unterschiede es in der Fahrradkultur der weit entfernten Länder gibt.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2025, September 2025)
Anfang des Jahres hat die European Cyclists’ Federation (ECF) bekannt gegeben, dass die jährliche Velo-city im Jahr 2027 erstmals in Japan stattfinden wird. Die Präfektur Ehime auf der Insel Shikoku muss sich nun auf eine der weltweit größten Radverkehrskonferenzen vorbereiten. Nach Taiwan (2016) kommt die Velo-city damit zum zweiten Mal nach Asien und verlässt nach Rio de Janeiro (2018) Europa erneut. Doch welche Rolle spielt das Fahrrad im Alltagsleben der Japaner*innen? Um diese Frage zu beantworten, hilft schon ein Blick nach Düsseldorf. Dort gibt es einen linksrheinischen Stadtteil, in dem man stellenweise glauben könnte, in Japan zu sein. Dort finden sich japanische Kindergärten, Schulen, Supermärkte, Ärzte und ein buddhistischer Tempel. Die zu einem großen Teil japanischen Anwohnerinnen legen ihre Wege zwischen dieser Infrastruktur und ihren Wohnungen zurück. Mittlerweile gehört das zum typischen Bild dieses Stadtteils.
Die etwa 15.000 Menschen umfassende japanische Gemeinde in Düsseldorf hat eine lange Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Japaner*innen wegen des wirtschaftlichen Wachstums an den „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ und eröffneten dort ihre Unternehmensstandorte für Europa. Seitdem wurde Stück für Stück diese Infrastruktur für den täglichen Bedarf der Expats aufgebaut. Noch heute ist sie die Grundlage dafür, dass japanische Expats mit ihren Familien für eine oft begrenzte Zeit dort leben können. Eine der Japaner*innen, die ihr tägliches Leben eine Zeit lang in Düsseldorf gestaltet hat, ist Ai Iga. Sie lebte in Düsseldorf mit ihrer Familie, da ihr Ehemann beruflich nach Deutschland versetzt wurde. Während er als Angestellter arbeitete, kümmerte sie sich um den Haushalt und ihre drei Kinder. Ihr Partner fuhr mit seinem Dienstwagen zur Arbeit. Sie hingegen legte komplexe Wege im „Little Tokyo“ Düsseldorfs mit ihrem Fahrrad zurück, das sie aus Japan mitgebracht hatte. Es handelte sich um ein „Mamachari“-Rad, das in Japan das gängigste Fahrrad für den Alltag ist. Es ist vergleichbar mit dem in den Niederlanden beliebten „Omafiets“.

Der Radtyp Mamachari ist in Japan beliebt. Ihn machen die kleinen Laufräder, die aufrechte Sitzposition und der große Korb aus.
Die Fahrradviertel Japans
Ai Iga ist in den 1980er-Jahren in einer Stadt der Präfektur Osaka aufgewachsen. Im Alter von fünf oder sechs Jahren, so schätzt sie, lernte sie das Fahrradfahren direkt vor ihrem Haus. Dabei wurde sie wie viele andere Kinder in ihrer Nachbarschaft von ihren Eltern unterstützt. Seitdem erweitert das Fahrrad ihren Handlungsspielraum.
Der Radverkehrsanteil in Japan liegt bei 13 Prozent und damit über dem vieler anderer Länder, aber unter dem Anteil der Spitzenreiter Niederlande und Dänemark. Die alltägliche Fahrradkultur wurde durch die Motorisierung fast überall zerstört, aber in diesen Ländern überlebte sie zusammen mit dem alltäglichen Fahrradtyp, der auf dem britischen Roadster basiert. Die Niederlande und Dänemark investierten massiv in die Radverkehrsinfrastruktur und erreichten so Radverkehrsanteile von über 25 Prozent. In Japan ist dies (noch) nicht passiert, doch es gibt dort sogenannte Fahrradviertel, die zu dem relativ hohen Radverkehrsanteil beitragen.
Diese „Fahrradviertel“ sind keine Ergebnisse bewusster Planungen, sondern eher zufällig entstanden. Japanische Wohngebiete in städtischen Räumen entwickelten sich historisch meist rund um Bahnhöfe. Die für den Alltag wichtigen Einrichtungen befinden sich in der Nähe des Bahnhofs oder innerhalb eines Viertels, das man in etwa 15 Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann. Igas Gewohnheit, das Fahrrad als Hauptverkehrsmittel zu nutzen, stammt genau aus solchen Verhältnissen, die im weitesten Sinne einer 15-Minuten-Stadt entsprechen. Das lässt sich auch daran erkennen, dass sie ihre Fahrten mit dem Rad meist in Minuten beschreibt, nicht in Kilometern.




Der Radverkehrsanteil Japans liegt bei 13 Prozent. Seit 1970 ist Radfahren auch auf dem Fußweg erlaubt. In vielen japanischen Städten gibt es eher zufällig entstandene Fahrradviertel, in denen der Alltag sich mit kurzen Wegen unter 15 Minuten bestreiten lässt.
Ein Fahrrad im Container
Die Japanerin ist schon immer gern Fahrrad gefahren, erst zur Schule und später auch zur Arbeit. Während ihrer Zeit auf der weiterführenden Schule pendelte sie zunächst mit der Bahn, stellte später aber komplett auf das Fahrrad um, da dies für sie zeiteffizienter war.
Igas Partner war bereits ein halbes Jahr vor ihr in der damals neuen Heimat Düsseldorf angekommen – ohne Fahrrad. Aufgrund seiner Einschätzung, dass die flache Stadt sich zum Radfahren eigne, traf sie die Entscheidung, ein Rad aus Japan mitzubringen.
Nach der Geburt ihres zweiten Kindes hatte Iga ein „Mamachari“-Rad mit elektrischer Unterstützung erworben. An diesen Moment erinnert sie sich gern. Das E-Mamachari wurde zum neuen Eckpfeiler ihrer Mobilität, mit dem sie ihre beiden Kinder transportieren konnte. Nach Deutschland nahm sie das Rad nicht mit, da die Lithium-Ionen-Batterie nicht mit dem Schiff transportiert werden durfte. Stattdessen ließ sie ein unmotorisiertes Mamachari-Rad in den Container laden, um vor Ort gleich mobil sein zu können. Bis zu ihrer Abreise in Japan wenige Monate später nutzte sie dort noch das E-Bike. Die technischen Besonderheiten ihres Mamachari-Rads: kleine Laufräder, der große Korb und die verlässliche, für Japan ungewöhnliche Rücktrittbremse.
Über den Rhein und zurück
In ihrem Umfeld in Japan genoss Ai Iga den Ruf, sehr schnell mit dem Rad unterwegs zu sein. In Deutschland hingegen wurde sie oft überholt, erzählt die Japanerin. In Düsseldorf musste sie mitunter längere Wege auf sich nehmen als in Japan, zog das Rad aber dennoch gegenüber U-Bahn und Co. vor, insbesondere um einzukaufen. Sie könne klare Unterschiede Fahrradfahren zwischen Japan und Deutschland feststellen, meint Iga. Hier habe sie genauer auf Verkehrsregeln geachtet als in Japan und fühle sich Radfahrerin im Straßenverkehr mehr wahrgenommen und respektiert.
Als Folge der Motorisierung und des „Verkehrskriegs“ in Japan wurde das Fahrradfahren auf dem Gehweg mit der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes von 1970 offiziell als Option genehmigt. Im gleichen Jahr wurde ein weiteres Gesetz bezüglich der Radverkehrsanlagen beschlossen, das ein Schlüssel sein könnte, um Japan auf den Weg zum Fahrradland wie die Niederlande zu bringen. Das ist jedoch bislang nicht geschehen. Der geschützte Radverkehrsraum führte dazu, dass das Radfahren zunahm und die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Radfahrenden im Jahr 1980 im Vergleich zu 1960 halbiert wurde. Dennoch drängt die Priorisierung des fließenden Autoverkehrs die Radfahrer*innen weiterhin mit Fußgänger*innen in einem engeren Raum zusammen.
Im deutschen Radverkehrsraum fühlte Iga sich befreit, auch wenn sie manchmal unklare Situationen auf dem Rad erlebte. Sie habe versucht, möglichst das gute Radfahrverhalten der Düsseldorfer*innen nachzuahmen, etwa beim Handzeichen geben.
Im März dieses Jahres ist Iga mit ihren drei Kindern nach Japan zurückgekehrt, um ihrem ältesten Kind dort den Besuch der weiterführenden Schule zu ermöglichen. Ihr Mann bleibt noch etwas länger alleine in Deutschland. Iga hat ihr Fahrrad in Deutschland bis kurz vor der Abreise weiter benutzt und es dann der nächsten Expat-Familie überlassen. Nach ihrer Ankunft in Japan hat sie sich sofort ein neues Fahrrad gekauft. Was sie als Radfahrerin in Deutschland erlebt hat, sagt Iga, werde sie so schnell nicht vergessen.
Bilder: Wakako Obata

Wakako Obata
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