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Mountainbike-Paradies Bentonville: Wo Milliardäre Radwege bauen

Das Trail- und Wegenetz in der US-Stadt Bentonville fing als philanthropisches Passionsprojekt an. Der Fokus aufs Freizeitradfahren hat die Stadt gewandelt und trägt langsam, aber sicher auch im Alltag Früchte.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Bentonville atmet Mountainbiken. Die Landschaft in und um die Stadt ist durchzogen von Radwegen und Mountainbike-Strecken. Sie erinnert an ein Ski-Resort, in dem die Trails verschiedene Oberflächen und Schwierigkeitsgrade haben, sodass für jeden etwas dabei ist. Die Trails führen durch wunderschöne Wälder und sind umgeben von Natur und Kunst. Egal wo man hinsieht, merkt man, dass Radsport in Bentonville an erster Stelle steht. Vor jedem Café stehen teure (meist unabgeschlossene) Mountain- und Gravelbikes, überall laufen Menschen in Radhosen und Fahrradhelmen herum und mit Fahrrädern beladene Trucks auf dem Weg zum nächsten Trail sind ein gewöhnliches Bild auf den Straßen des Ortes. Der Mountainbike-Fokus macht Bentonville nicht nur für Touristinnen, sondern auch für neue Einwohnerinnen attraktiv.
Bentonville ist ein Städtchen am Fuße der Ozark Mountains im Nordwesten von Arkansas, einem südlichen US-Bundesstaat. Die Einwohnerinnenzahl des Ortes hat sich in den letzten 20 Jahren auf etwa 60.000 Menschen verdoppelt, täglich ziehen ungefähr 30 Menschen in die Region. Was die Stadt besonders macht, ist, dass sich die Einwohnerinnen Bentonvilles den Ort mit Milliardär*innen teilen. Aus Bentonville kommt mit den Waltons nämlich eine der reichsten Familien der Welt. Sam Walton hat 1962 den riesigen Einzelhandelskonzern Walmart in Nordwest-Arkansas gegründet. Teile der Familie leben heute noch oder wieder in der Region, was die Stadt beeinflusst. Die Walton-Familie ist nach wie vor Hauptaktionärin von Walmart, und die von Sam Walton und seiner Frau Helen gegründete philanthropische Walton Family Foundation hat ihren Hauptsitz in Bentonville. Darüber hinaus stehen den Walton-Familienmitgliedern jeweils ihre eigenen philanthropischen Dollars zu. So kommt es, dass Bentonville kein verschlafener Ort ist. Sam Waltons Tochter hat als passionierte Kunstsammlerin 2005 das hochangesehene Kunstmuseum Crystal Bridges gegründet. Zwei der Enkelkinder des Walmart-Gründers, Tom und Steuart, sind passionierte Radfahrer und setzen ihren philanthropischen Fokus entsprechend.

Früh übt sich: Es geht nicht nur um Leistung, Fahrradfahren ist auch Familienaktivität. Das Mountainbike bringt Menschen in Bentonville zusammen.

Bentonvilles Weg zum Mountainbike-Paradies

Bentonvilles Entwicklung zum Mountainbike-Hotspot hat vor rund zwanzig Jahren begonnen. Neben der Passion von Tom und Steuart Walton steht hinter der Finanzierung der Radinfrastruktur die Ambition, einen lebenswerten Ort zu erschaffen. Walmart ist einer der größten lokalen Arbeitgeber, für den viele Menschen nach Bentonville und Nordwest-Arkansas ziehen. Um diesen Menschen einen Ort mit Freizeitwert zu bieten, der zum Bleiben einlädt, wurden schwere Investitionen in die Lebensqualität getätigt. Zwischen 2005 und 2006 wurden die ersten Streckenabschnitte gebaut, 2007 waren die ersten fünf Meilen des sogenannten Slaughter Pen Trails im Norden der Stadt fertig.
Doch das war nur der Anfang. Was als „talent recruitment” für Walmart begann, eröffnete schnell auch Chancen im „destination management”. So wurden die weiteren Investitionen der Walton-Familie begleitet vom Storytelling des Bentonviller Tourismusbüros. Nachdem die ersten fünf Meilen Radwege gebaut und eröffnet und die nächsten 16 Meilen angekündigt wurden, verfolgten die Verantwortlichen die Strategie, den wirtschaftlichen Mehrwert der Radwege für den Ort zu betonen und dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz durch die Menschen in Bentonville zu erhöhen. Denn Menschen, die zum Mountainbiken nach Bentonville kommen, benötigen schließlich auch Schlafplätze und gastronomische Angebote. Sie bringen also Chancen für Hotels, Restaurants und andere lokale Unternehmen mit.
Auch nach außen hin wurden die Geschichte und der Erfolg Bentonvilles erzählt und die Stadt wurde zunehmend als Outdoor-Ziel und Mountainbiking-Destination vermarktet. Das Narrativ des Mountainbike-Erfolgs wurde schon genutzt, als die Radinfrastruktur mit wenigen Meilen noch in den Kinderschuhen steckte. Die Teilnahme einer kleinen Delegation aus Bentonville, bestehend unter anderem aus dem örtlichen Raumplaner und dem Direktor für Parks und Freizeit, an einer Konferenz über Fahrradtourismus im Jahr 2011 wird von der Direktorin des örtlichen Tourismusbüros als Sprungbrett beschrieben. Auch wenn die Stadt damals mit den Mountainbike-Größen Nordamerikas wie Moab oder Whistler noch nicht mithalten konnte, werteten die Verantwortlichen das positive Feedback auf der Konferenz als Zeichen, dass Bentonville auf dem richtigen Weg und einzigartig in seiner Herangehensweise an die Mountainbike-Planung ist. Während in anderen „trail towns” ein Auto unbedingt notwendig ist, wird Konnektivität in Bentonville großgeschrieben. Viele der Trails sind vom Stadtkern aus erreichbar, sodass man nicht auf Auto und Fahrradträger angewiesen ist, um Mountainbiken gehen zu können. Für Touristininnen bedeutet das, dass sie nach ihrer langen Anreise ihr Auto einfach geparkt lassen können. Für Anwohnerinnen heißt es, dass sich das Mountainbiken beinahe nahtlos in den Alltag inte-grieren lässt.
Das Standing des Mountainbikens verbesserte sich nicht nur durch die Trails und die Konnektivität. Es zeigte sich vermehrt in allen Lebensbereichen. Hotels und Cafés wurden fahrradfreundlicher umgestaltet, indem die Gäste hauseigenes Werkzeug nutzen und ihre Fahrräder mitunter mit auf ihre Zimmer nehmen dürfen. In den 2010er-Jahren wurde das Trail-Netzwerk weiter ausgebaut. Das Crystal Bridges Museum of American Art öffnete 2011 seine Türen, welches nicht nur eine bedeutende Rolle in der kulturellen Landschaft Bentonvilles spielt, sondern auch in die Radinfrastruktur der Stadt integriert ist. Es ist umgeben von Natur und Mountainbiking-Trails und mit dem Fahrrad erreichbar. Weiterhin wird der Landkreis Benton County, 2012 ein sogenanntes wet county. Das bedeutet, dass Alkohol seitdem einfacher erhältlich ist – ein kleiner, aber nicht unbedeutender Meilenstein in Bentonvilles Weg zur Radsportstadt. Denn zum Mountainbiken gehört oft auch das gemeinsame Bier danach oder bei Events.
Im Jahr 2015 wählte die International Mountain Bicycling Association Bentonville aus, um ihren World Summit 2016 dort auszurichten. Um die Trail-Konnektivität und Zugänglichkeit hervorzuheben, wurde die gesamte Veranstaltung downtown anstatt in einem Kongresszentrum ausgerichtet. Aus den 400 erwarteten Gästen wurden 600. Die Direktorin von Visit Bentonville bezeichnet das Ganze als einen Wendepunkt auf dem Weg der Stadt zu einer Radsportdestination. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 zieht es immer mehr Menschen nach Bentonville, die aufgrund der Einschränkungen nach Outdoor-Erlebnissen suchen. Vermehrt ziehen Menschen nicht mehr nur wegen ihrer Arbeit bei Walmart in die Gegend, sondern weil die Lebensqualität des Ortes und der Freizeitwert durch die Nähe zur Natur und die Trails hoch sind. Das eröffnet ein neues und größeres Publikum für Bentonvilles Mountainbike-Infrastruktur und macht die Stadt zunehmend auch für die Mountainbike-Industrie attraktiv. In den letzten Jahren haben sich unter anderem ein Clubhouse von Rapha, ein Experience Center vor Specialized und ein Showroom von YT-Industries in Bentonville angesiedelt.

Für alle etwas dabei: In Bentonville gibt es eine große Auswahl an Trails mit verschiedenen Oberflächen und Schwierigkeitsgraden. Gemeinsam haben die Trails, dass sie durch hügelige Wälder führen und oft von Kunstwerken umgeben sind.

Zwischen Miteinander und Verdrängung

Was Bentonville besonders macht, ist, dass sich eine große Gemeinschaft um das Mountainbiken gebildet hat, ohne deren Akzeptanz und Mitarbeit der Erfolg der Stadt nicht möglich wäre. Neben gut erreichbaren Trails, vielen Grünflächen und über 140 öffentlichen Kunstwerken, die oft an Radstrecken liegen, kann man durch diese Community fast jedes Wochenende Mountainbike- oder Gravel-Rennen erleben. Die örtlichen Schulen haben Radfahrprogramme in ihre Lehrpläne integriert, um den Schülerinnen die Bedeutung des Radfahrens näherzubringen und eine aktive Lebensweise zu fördern. Das Community College hat vor Kurzem sogar zwei Lehrgänge eingeführt, die sich auf Trail-Planung und -konstruktion sowie Fahrrad-technik konzentrieren. Das ist in den USA einmalig. Diese starke Identifikation mit dem Radfahren hat aber auch Schattenseiten. Das rasante Wachstum der Mountainbiking-Szene in Bentonville hat zu kulturellen Spannungen zwischen langjährigen Bewohnerinnen und Neuzugängen geführt. Während die neue Welle von Mountainbiker*innen die Stadt bereichert und zur Entwicklung der lokalen Infrastruktur beiträgt, führt sie auch zu steigenden Immobilienpreisen und der allmählichen Gentrifizierung des Ortes. Weiterhin ist Mountainbiking vielerorts ein sehr weißer und männlich dominierter Sport, in den der Einstieg durch teure Ausrüstung und Kleidung erschwert wird. In Bentonville lässt sich zum Teil eine „Bro-Kultur” im Mountainbiken wiederfinden, in der es um Leistung statt Zugänglichkeit und Community-Aufbau geht. Allerdings gibt es hier auch eine große Gegenbewegung, die sich darum bemüht, allen Menschen den Einstieg ins Mountainbiken zu ermöglichen und Gleichgesinnte zu finden, denn in der Gruppe ist Radfahren besser als alleine. Zum einen gibt es Nonprofit-Organisationen wie unter anderem die Women of Oz, Latinas en Bici, Bike.POC und All Bodies on Bikes, die sich jeweils um die Inklusion von Frauen, Latinas, BIPoCs und Menschen verschiedener Körpertypen bemühen. Diese Organisationen bieten anfängerfreundliche Fahrten und Schulungen an, um Barrieren abzubauen, die potenzielle Interessierte sonst vom Sport abhalten könnten.

Fahrradfahren wird in Bentonville zunehmend auch als Mobilitätsform gesehen und nicht nur als Sport. Ein von Schüler*innen entworfenes Wandgemälde weist auf die verschiedenen Fahrradorganisationen in der Stadt hin.

Von Sport zu Mobilität?

Der Fokus auf das Mountainbiken hat die Entwicklung des Radfahrens als Fortbewegungsmittel in Bentonville etwas überschattet. Die Freizeit-Trails haben nicht automatisch zu einer breiten Akzeptanz des Radfahrens für den täglichen Arbeitsweg oder Besorgungen geführt. Obwohl der Anstieg des Freizeitradverkehrs in Bentonville die Existenz von Radfahrerinnen in und um die Stadt normalisiert, stellt das die bestehende autozentrische Stadtplanung kaum infrage. Radfahren ist bislang wenig politisiert. In den letzten Jahren hat sich Bentonville jedoch immer mehr an Infrastruktur für das Radfahren im Alltag herangetraut, was nicht nur auf die Bemühungen von Walmart, sondern auch auf die Radfahrgewohnheiten mancher Zugezogenen zurückzuführen ist. Vor vier Jahren wurde der Radverkehrsplan für Bentonville erneuert und seitdem der Fokus erhöht auch auf Fahrradinfrastruktur auf der Straße gesetzt. So wurden in den letzten Jahren mehrere Kilometer sichere Fahrradinfrastruktur errichtet. Dafür brauchte es unter anderem viel Engagement der örtlichen Planerinnen und Politikerinnen, aber auch der Bürgerinnen. Im Herbst 2024 wurde durch den Einsatz einiger involvierter Bürgerinnen ein Active Transportation Advisory Board gegründet. Dieses Gremium soll dafür sorgen, dass die Bentonviller Radverkehrsplanung mit den Bedürfnissen und Wünschen der Gemeinschaft übereinstimmt. Momentan werden die Stimmen zivilgesellschaftlich engagierter Ein-wohnerinnen von der Bentonville Moves Coalition zusammengebracht. Diese Koalition, die eng mit der Stadt zusammenarbeitet, um nachhaltige Mobilität zu fördern, bündelt die Interessen zivilgesellschaftlich engagierter Einwohnerinnen, um die politische Akzeptanz für das alltägliche Radfahren zu stärken. Dadurch wird es einzelnen Bürgerinnen erleichtert, sich in die lokale Verkehrspolitik einzubringen. Diese Bemühungen zielen darauf ab, eine breitere Fahrradkultur zu schaffen, die sowohl das Freizeit-Mountainbiken als auch das praktische Alltagsradfahren umfasst.
Mountainbiken hat die Stadt Bentonville verstanden. Wurde die Radverkehrsplanung anfangs vor allem durch die Vision und Finanzierung der Walton-Familie vorangetrieben, zeichnet sie sich heute durch Bemühungen von öffentlicher und privater Seite aus. Bentonville hat es geschafft, sich einen einzigartigen Radfahr-Charakter zu verschaffen, der sich durch die Konnektivität und Zugänglichkeit des Trail-Netzwerkes sowie den Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt rund ums Fahrradfahren auszeichnet. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dieser Charakter langfristig auf das Mobilitätsverhalten in der Stadt abfärben kann.


Bilder: Visit Bentonville, Lilian Markfort