Multimodal im Umweltverbund: Viel Potenzial, ernüchternde Politik
Damit Fahrradpendeln attraktiver wird, braucht es eine multimodale Infrastruktur. Doch ausreichende Mittel für einen Kapazitätsausbau im ÖV fehlen. Bike+Ride-Angebote gelten derzeit als pragmatische Lösung.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)
„Mit dem Fahrrad zum Bahnhof radeln, es bequem und geschützt an einer modernen Bike+Ride-Station abstellen und am Zielort einfach ein Bikesharing-Rad für die letzten Kilometer leihen. Oder das eigene Rad mit in den Zug nehmen und unkompliziert einen sicheren Stellplatz zu einem fairen Preis finden.“ Diese Vision einer multimodalen Kette für Fahrradpendler beschreibt die „Initiative zu Rad und Bahn – Ein gutes Team“ in ihrem Empfehlungspapier aus 2022. Zusammengefunden haben sich darin unter anderen die Deutsche Bahn-Tochter DB Regio mit dem ökologischen Verkehrsclub (VCD) und weitere Umwelt-, Fahrrad- und Bahnverbände.
Potenzial und Wirklichkeit der Pendler
Ein Zwischenbericht der Initiative verweist auf das vorhandene Potenzial: „Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, dass bis zu zehnmal so viele Menschen im Umkreis von zehn Minuten Wegezeit um einen Bahnhof in den Zug steigen könnten, wenn die Fahrradnutzung gut und einfach möglich ist.“ Indizien für eine Nachfrage nach ausreichenden Abstellplätzen sieht der ADFC in der hohen Anzahl wild geparkter Fahrräder an Bahnhöfen. Eine Forsa-Umfrage der Allianz pro Schiene e.V. ergab, dass 44 Prozent der Pendlerinnen Fahrrad und Zug kombinieren würden. Der Umstieg käme dem Erreichen der Klimaschutzziele zugute. Eine vom BMVI beauftragte Studie zur Alltagsmobilität errechnete bereits 2016 bei Verlagerung auf nachhaltige Verkehrsmittel eine jährliche Einsparung von rund neun Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Dagegen sieht der Pendleralltag für Radfahrende ernüchternd aus. Beispiel Fahrradmitnahme in der Bahn: Zwar trat im Sommer 2023 eine EU-Verordnung in Kraft, die mindestens vier Fahrradstellplätze pro Zug verlangt. Im Fern- wie im Nahverkehr können nach Angaben der DB bereits bis zu acht Fahrräder je Zug transportiert werden. Allerdings sieht die Verordnung auch vor, dass dieses Mitnahmerecht eingeschränkt werden kann. Haben Mitarbeiterinnen Sicherheitsbedenken oder liegen betriebliche Gründe vor, müssen die Bikes draußen bleiben. Auch ist es für Fahrradfahrer*innen nicht immer ratsam, beliebte Ausflugsziele am Wochenende mit der Bahn zu besuchen. Lediglich, wenn die Stellplätze im Zug auch noch frei sind und reserviert wurden, ist der Ausflug per Zweirad möglich. VCD-Sprecher Alexander Kaas Elias sagt: „Nicht immer bekommt das Personal mit, was in anderen Waggons los ist. Teilweise entscheidet sich das einfach, weil der Zug voll ist. Wer dann zuerst reinkommt, der fährt mit.“
44 %
Eine Forsa-Umfrage der Allianz pro Schiene e.V. ergab, dass 44 Prozent der Pendler*innen Fahrrad und Zug kombinieren würden. Der Umstieg käme dem Erreichen der Klimaschutzziele zugute.

Die Mitnahme des eigenen Fahrrads in der Bahn ist möglich. Regional gelten dafür unterschiedliche Tarife. Eine Mitnahmegarantie für Pendler*innen gibt es nicht. Ist der Zug zu voll, bleiben die Räder draußen.
Unterschiedliche Regelungen bei Fahrradmitnahme
Für den Nahverkehr gelten regional unterschiedliche Regelungen. So ist innerhalb Hessens die Fahrradmitnahme in den Nahverkehrszügen in Verbindung mit einer Verbundfahrkarte des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) oder Nordhessischen Verkehrsverbundes (NVV) kostenfrei. Im RMV entfielen die Sperrzeiten zur Rushhour. Im Nahverkehr Rheinland-Pfalz ist die Mitnahme in den Zügen der DB Regio kostenfrei. Allerdings muss vor 9 Uhr eine Fahrkarte gelöst werden. Für die Berliner U- und S-Bahnen müssen immer Fahrradtickets gelöst werden. Ausgenommen sind Inhaberinnen von Schüler-, Azubi- und Semestertickets. Für das Gesamtnetz im Verkehrsverbund Berlin Brandenburg wird eine übertragbare Fahrrad-Monatskarte angeboten. Verkehrsverbände schränken die Fahrradmitnahme besonders während der Rushhour ein, wenn die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt sind. Fairerweise besitzen Rollstuhl-fahrerinnen und Fahrgäste mit Kinderwagen Vorrang bei der Beförderung. Eine Mitnahmegarantie für Fahrräder gibt es also nicht. Für Be-rufspendler*innen, die ihre tägliche Fahrt mit dem eigenen Zweirad und Zug kombinieren wollen, ist die multimodale Wegekette dann schon mal unterbrochen.
ÖV an der Belastungsgrenze
Weil der ÖV mit überfüllten U- und S-Bahn-Wagen oder Regionalzügen an der Belastungsgrenze arbeitet, erweist sich ein weiterer Ausbau der individuellen Fahrradmitnahme in den Waggons als wenig realistisch. Für den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) steht prinzipiell die Personenbeförderung im Vordergrund. Pressesprecher Lars Wagner sagt: „Wir haben die Herausforderung, so viele Personen wie möglich sicher und qualitativ auf einem vernünftigen Niveau zu einem vernünftigen Preis von A nach B zu befördern. Und was im Volksmund Fahrradabteil heißt, ist eigentlich ein Mehrzweckabteil. Die Angebote sind ja nicht nur für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer. Die sind auch für Kinderwagen oder für Menschen mit Rollator.“
Zu den Stoßzeiten einfach einen Wagen dranhängen, der dann im Gleisbett steht? Das sei allein aus Sicherheitsgründen nicht machbar. Die Sitzplatz- oder Stellplatzreservierungen im Nahverkehr über digitale Systeme zu steuern erscheint nur technisch als ausgereifte Idee. Der praktischen Umsetzung auf kurzen Strecken erteilt Lars Wagner eine Absage. Dafür seien die Abstände zwischen den Haltestellen zu dicht, das Verhalten der Nutzer*innen zu spontan. Selbst VCD-Sprecher Alexander Kaas Elias stellt die Frage, ob mit Buchungssystemen Menschen nicht eher abgeschreckt werden: „Viele Menschen entscheiden spontan: Ich will heute mal mit dem Rad zur Arbeit fahren. Oder es überhaupt einmal ausprobieren. Wenn sie dann feststellen, ich muss erst reservieren, ist das dann vielleicht eine Hemmschwelle?“
Fehlende Mittel für den Angebotsausbau
Die Forsa-Umfrage ergab auch, dass sich potenzielle Nutzer*innen eine dichtere Taktung wünschen. Gerade die ist mit dem derzeitigen Budget der Verkehrsbetriebe jedoch nicht zu stemmen. Wagner kritisiert in diesem Zusammenhang die Finanzmittel für das Deutschlandticket: „Reden wir über den flächendeckenden Ausbau von Kapazitäten in Deutschland letztlich auch für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer, dann reden wir über Milliardensummen. Das ist momentan unser Problem. Die Haushaltslage im Bund ist, wie sie ist. Die drei Milliarden für das Deutschlandticket hätten wir lieber in Kapazitäts- und Angebotsausbau investiert.“
Die Brancheninitiative Rad und Bahn schlägt in ihrer Bedarfskalkulation einen Ausbau der Mittel vor. Für die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen wären Investitionen in Höhe von geschätzt 7,5 Milliarden Euro nötig. Diese Summe sollte auf die Finanzierungslinie von Klimatickets und des Nahverkehrsausbaus addiert und nicht aus bestehenden Finanzierungsmechanismen abgezogen werden. Die derzeitige Verteilung der Haushaltsmittel wird dem nicht gerecht. Nach Einschätzung des VCD-Manns gibt es deshalb auch in naher Zukunft wenig Anlass zu Optimismus: „Solange die Bahn und das Fahrrad nicht eine dauerhafte Finanzierung bekommen, sondern je nach Haushaltslage entschieden wird, bleibt das schwierig. Es wird immer argumentiert, es ist kein Geld da. Deswegen müssen wir die Preise erhöhen und kommen beim Ausbau der Bahn nicht hinterher. Auf der anderen Seite sind im nächsten Haushalt 240 Millionen vorgesehen für den Straßenneubau. Es gibt weder im Bundestag noch in den Bundesländern Mehrheiten dafür, die sagen, wir switchen jetzt um auf den Umweltverbund und verlassen den Straßenaus- und -neubau.“
Seit 2018 bietet das Fahrradparkhaus in Oranienburg frei zugängliche Doppelstockparker für insgesamt 1.056 Räder sowie abschließbare Boxen.

Die Bernauer Bike+Ride-Lösung mit transparenten Außenwänden spendet Licht für 450 freie und 58 gesicherte Stellplätze. Eine Radwerkstatt ist Teil der Anlage.

Die Sammelschließanlage Hohen Neuendorf verfügt über 287 Stellplätze inklusive Fahrradboxen, eine Reparaturstation sowie barrierfreie Zuwegung und Begrünung.
Die Anlage in Eberswalde wurde fast komplett in Holzbauweise errichtet. Eine Photovoltaikanlage auf dem begrünten Dach erzeugt Strom für die Beleuchtung sowie für das Laden von E-Bikes. 604 Fahrräder können untergestellt werden. Hinzu kommen 60 Fahrradboxen. Auch Lastenräder werden berücksichtigt.
Empfehlungen für Bike+Ride
Solange die Länder noch um die Finanzierung des 49-Euro-Tickets mit dem Bund ringen, hält es auch Kaas Elias für unrealistisch, mehr und längere Züge für eine individuelle Fahrradmitnahme zu bestellen. Für die nahe Zukunft kristallisiert sich daher ein anderes Angebot für Radfah-rer*innen heraus: „Die entsprechenden Mittel vorausgesetzt, erscheint der Ausbau von Fahrradparkhäusern schneller realisierbar“, sagt Kaas Elias.
In dieser Kombi wird das eigene Fahrrad oder Leihfahrrad nicht mit in den Zug genommen. Was Menschen bisher von der Variante abhält, ist nicht allein die fehlende Kapazität von Fahrradparkplätzen an den Bahnhöfen. Sind Abstellanlagen vorhanden, müssen sie auch Schutz vor Wetter, Vandalismus und Diebstahl bieten. Allein für das Jahr 2023 weist die polizeiliche Kriminalstatistik rund 264.000 gestohlene Fahrräder aus. Die Dunkelziffer soll wegen nicht angezeigter Diebstähle höher liegen. Verständlich, dass Fahrräder ungern über einen längeren Zeitraum unbeobachtet am Bügel geparkt werden. Hinzu kommen mangelhafte Radwegeanbindungen an Bahnhöfen.
Deshalb empfiehlt die Initiative Rad und Bahn den Bike+Ride-Ausbau um eine Million Plätze bis 2030. Aufgeteilt sind diese in 320.000 schnell montierbare Abstellanlagen, 180.000 Plätze als Upcycling von Pkw-Parkplätzen und Umwandlung von alten Bahngebäuden sowie je 250.000 in serieller Modulbauweise beziehungsweise in Einzelanfertigungen. Es wird eine bundesweite Backend-Plattform zur Integration von Bikesharing und Mietrad-Angeboten vorgeschlagen. Statt mit finanziellem Aufwand eine neue Fahrrad-App am Markt zu platzieren, könnte ein deutschlandweites Tür-zu-Tür-Routing in bestehende Apps integriert werden. Es sollte Wegeketten für Fuß-, Rad- und den öffentlichen Verkehr umfassen. Zudem sollte die Finanzierung von Sharing-Angeboten am Bahnhof als Aufgabe der Daseinsvorsorge gelten. Diskutiert wird auch die kostenlose Fahrradmitnahme nachts.
Unterschiede im ländlichen und städtischen Raum
Das Empfehlungspapier „Rad zum Zug“ der Allianz pro Schiene weist auf die Planung von Abstellanlagen nach Räumen hin. Weil größere Bahnhöfe in Vororten urbaner Ballungsräume häufig einen größeren Einzugsradius als städtische aufweisen, werden sie als „konzentrierte Standorte für Langzeitparkerinnen und -parker kategorisiert.“ Entsprechend benötigen sie größere Anlagen mit mehr Abstellvolumen. Aufgrund der längeren Parkzeit wird neben einer Überwachungsanlage oder Eingangskontrolle, auf Einschlussmöglichkeiten für Zubehör und Serviceangebote wie Schlauchautomaten hingewiesen. In städtischen Bereichen parken nicht nur Bahnfahrer*innen. Hinzu kommen Menschen, die Shopping- und Kulturangebote in unterschiedlichem zeitlichen Umfang wahrnehmen. Diese Abstellanlagen sollten sich „auf Flächen befinden, an denen einerseits diese Personenströme entlang verlaufen und die andererseits über einen guten Anschluss an Radwege verfügen.“
„Der Ausbau von Fahrradparkhäusern erscheint schneller realisierbar.“
Alexander Kaas Elias, VCD

Für die Umsetzung ihres Maßnahmenkatalogs schätzt die Brancheninitiative Fahrrad und Bahnen einen Finanzbedarf von 7,45 Mrd. Euro bis 2030. Davon 6,7 Mrd. Euro für den Bau, gestiegene Baukosten, Flächenerwerb und Betriebskosten für die B+R-Plätze.
Nachhaltiger Anlagenbau in Brandenburg
Trotz schwieriger Haushaltslage im Bund können Abstellanlagen in den Ländern umgesetzt werden. Das zeigt das Beispiel im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Eine Studie aus 2020 ergab dort einen Bedarf von 21.500 Stellplätzen bis zum Jahr 2030. Für modulares beziehungsweise serielles Fahrradparken wurden im Landeshaushaltsentwurf Posten für Fahrradparkhäuser in Modulbauweise vorgesehen. Bis 2026 entstehen sukzessive 14 Bike+Ride-Anlagen, darunter in Angermünde, Bad Belzig, Blankenfelde, Cottbus und Potsdam.
Mit dem Pilotprojekt in Brandenburg wurden auch klassische Hindernisse für die Kommunen aus dem Weg geräumt. Nicht selten sind diese aufgrund einer dünnen Personaldecke bereits mit der Übersicht und Auswahl sämtlicher Fördermöglichkeiten überfordert. Niels Kramer von der Brandenburger Vernetzungsstelle Bike+Ride sagt: „Den Kommunen wird so viel Arbeit wie möglich abgenommen. Von der Planung über die Auseinandersetzung mit Ausschreibungen, die Suche von Fördermitteln bis hin zur Beratung darüber, wie die Anlagen auszusehen haben.“ Vom Land Brandenburg werden neben Planungsleistungen auch die Kosten für Arbeiten an Ausschreibungen der Hochbauleistungen übernommen. Der VBB unterstützt die Kommunen fachlich und organisatorisch.
Mit der Förderung klimafreundlicher Verkehre werden auch die B+R-Anlagen selbst nachhaltig konzipiert. Dazu gehören die modulare Holzbauweise, eine Stromversorgung über Photovoltaik sowie eine Dachbegrünung. Damit sie später von Fahrradfahrerinnen angenommen werden, haben viele der oben erwähnten Empfehlungen bereits Eingang gefunden. Niels Kramer sagt: „Wir haben nach heutigem Stand die bestmöglichen Anlagen konzipiert. Ungefähr 3000 Stellplätze, die Hälfte davon gesichert, also als Sammelschließanlage. Sie sind per digitaler Türöffnung zugänglich.“ Zum Einsatz kommen größtenteils Doppelstockparker. Berücksichtigt werden Familien mit Kindersitzen und Lastenfahrrädern oder Nutzerinnen mit Pedelecs. Und es gibt Sonderstellplätze für Lastenräder.
Das Projekt geht weiter
Profitieren können auch andere Länder und Kommunen vom Brandenburger Pilotprojekt. Ein 2023 aktualisierter Leitfaden unterstützt bei der Planung und Ausgestaltung von B+R-Anlagen. Das „Planungstool Radparken“ hilft dabei, den Bedarf an optimalen Radabstellplätzen für Bahnhöfe sowie die ungefähren Kosten für die bauliche Umsetzung zu ermitteln. Es kann von der Webseite der Vernetzungsstelle Bike-and-Ride heruntergeladen werden. Und das Projekt geht weiter. Niels Kramer sagt: „Es soll jetzt nicht gewartet werden bis Abschluss des Pilotprojektes bis 2026, bis weitere Bike-and-Ride-Anlagen entstehen. Parallel gibt es weitere Kommunen, die abseits dieser 14 Standorte des Pilotprojekts planen. Da versuchen wir natürlich größtmöglich, weiterhin zu unterstützen. Die Welt dreht sich ja weiter.“ Die zunächst vom Bundesverkehrsministerium für drei Jahre geförderte Vernetzungsstelle wurde vom Land Brandenburg inzwischen verstetigt.
Info:
Initiative Rad und Bahn – ein gutes Team
www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Themen/Bahn/221018_Zwischenbericht_Folder_DB_RadBahn_Folder_DINLang_105x210_Web__002_.pdf
Rad zum Zug /Allianz pro Schiene
www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2020/03/Ergebnisbericht_Allianz_pro_Schiene_Nutzung_Fahrrad_Zug.pdf
Planungstool Radparken
www.vbb.de/radparken
Bilder: Dominic Dupont – Deutsche Bahn AG, Uwe Miethe – Deutsche Bahn AG, Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, Grafik: Brancheninitiative Fahrrad und Bahnen