Neue Temperaturrekorde steigern den Handlungsdruck
Das aktuelle Jahr schlägt mit den höchsten bislang gemessenen Durchschnittstemperaturen und anhaltenden Hitzewellen alle Rekorde. Messbar, spürbar und sichtbar schreitet der Klimawandel voran und stellt uns vor ebenso dringende wie vielfältige Herausforderungen – auch mit Blick auf die Mobilität.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)
Schon vor Jahren haben Expertinnen darauf hingewiesen, dass nicht nur die durchschnittlichen Temperaturen steigen, sondern auch sommerliche Hitzeperioden deutlich öfter eintreten, länger dauern und extremer werden – mit hohen Temperaturen, Dürren und Waldbränden sowie lokalen Unwettern mit Starkregen. Tatsächlich erreichte die gemittelte globale Temperatur ab Juni 2023 jeweils monatliche Höchstwerte: Sie lag mehr als 1,6 Grad Celsius über der vorindustriellen Referenzperiode im Zeitraum zwischen 1850 und 1900 und bis zu 1,4 Grad Celsius über dem globalen Durchschnitt zwischen den Jahren 1901 und 2000. Große Sorgen bereitet Klimaforscherinnen zudem aktuell der weltweit sprunghafte dramatische Anstieg der Meerestemperaturen. Seit März 2023 sind die Weltmeere so warm wie nie, und das mit großem Abstand. „Die Erwärmung der Weltmeere hat direkte Folgen für das Leben an Land“, erläutert der deutsche Meteorologe, Ozeanograf, Klimaforscher und Hochschullehrer Mojib Latif. Denn wärmere Ozeane bedeuten mehr Verdunstung, wodurch mehr Energie ins System kommt. Die Folgen sind häufige Wetterextreme wie Stürme, die Infrastruktur zerstören und Waldbrände anfachen können. Gewitter und Starkregen mit enormen Wassermengen können lokal schnell zu Überschwemmungen und reißenden Flüssen und Bächen mit hoher Zerstörungskraft führen.
Klimaschutzmaßnahmen allein reichen nicht
Vielfach wird in öffentlichen und politischen Diskussionen nicht nur die Dramatik der Veränderungen unterschätzt, sondern auch vergessen, dass der menschengemachte Klimawandel weitergeht, selbst wenn es gelingen sollte, den CO₂-Ausstoß drastisch zu reduzieren. „Die Politik muss den Menschen ehrlich sagen, dass wir den Klimawandel in einem gewissen Grad nicht mehr aufhalten können“, sagte der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Prof. Dr. Stephan Rammler bereits 2020 im VELOPLAN-Interview. Selbstverständlich bleibt die Reduzierung trotzdem enorm wichtig, um die Folgen einzuhegen und bislang kaum kalkulierbare Kipppunkte im System zu vermeiden. Dringend notwendig ist es zudem, Städte und Landwirtschaftssysteme widerstandsfähig und resilient umzubauen, damit sie mit Hitzestress und Wasserknappheit ebenso umgehen können wie mit Starkwetterereignissen. Der Pfad zur notwendigen Transformation ist dabei grundsätzlich erkannt. Viele deutsche Städte und Kommunen haben in den vergangenen Jahren beispielsweise intensiv an Maßnahmen zum Hochwasserschutz gearbeitet und Pläne zum Umgang mit Hitzeperioden erstellt. Selbst einfache Maßnahmen, wie die Entsiegelung von Flächen und das Pflanzen von Bäumen stoßen im politischen Alltag allerdings oft auf Widerstände. Denn gleichzeitig geht damit meist die Einschränkung von Bauflächen, Parkplätzen oder neu geplanten Straßen einher.
Die Kerngebiete der Städte entwickeln sich schnell zu Hitzeinseln. Hier liegen die Temperaturen tagsüber und nachts deutlich höher als in der Umgebung.
Anteil versiegelter Flächen weiter gestiegen
„Zu viel Grau, zu wenig Grün“ und einen „dramatischen Zuwachs versiegelter Flächen in deutschen Städten“ konstatierte die Deutschen Umwelthilfe (DUH) Ende Juli dieses Jahres. Der Großteil der Städte in Deutschland schütze die Menschen nicht ausreichend vor den extrem hohen Temperaturen infolge der Klimakrise, so das Ergebnis des ersten „Hitze-Checks“ der Deutschen Umwelthilfe unter den 190 deutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohner*innen, basierend auf neuen Daten der Potsdamer Luftbild Umwelt Planung GmbH im Auftrag der DUH. Aktuell würden in Deutschland täglich über 50 Hektar Fläche für Siedlungen und Verkehr verbraucht, was pro Jahr einer Fläche der Stadt Hannover entspräche. Dazu Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Wir fordern von der Bundesregierung ein rechtlich verbindliches Ziel, die Flächenversiegelung in Deutschland bis spätestens 2035 zu stoppen. In Zeiten der Klimakrise brauchen unsere Städte unversiegelte Böden zur Versickerung von Wasser und Grünflächen zur Kühlung.“ Der anhaltende Trend zu mehr Beton und weniger Grün sei alarmierend. „Statt zu lebenswerten Orten der Erholung entwickeln sich unsere Städte zu Hitze-Höllen.“ Die Bundesregierung müsse jetzt wirksame Maßnahmen ergreifen und bundesweite Standards vorschreiben.
Stark von Hitze betroffen: Anwohnerinnen, Zufußgehende und Radfahrende Städte entwickeln sich im Sommer schnell zu sogenannten Hitzeinseln. Kritisch sind die hohen Tagestemperaturen, vor allem aber die fehlende Abkühlung in der Nacht mit tropischen Temperaturen von über 24 Grad Celsius. Denn Asphaltflächen, parkende Autos, aber auch Beton-, Glas- und Metalloberflächen heizen sich stark auf und speichern die Wärme. Von Hitzewellen besonders betroffen sind damit vor allem weniger wohlhabende Stadtteilbewohnerinnen überall dort, wo es an Grün- und Wasserflächen mangelt, also zum Beispiel in den Stadtzentren und entlang der Einfallstraßen sowie die dort liegenden Einrichtungen, wie Schulen, Krankenhäuser oder Seniorenheime. Große Probleme gibt es auch bei der Mobilität, vor allem mit Blick auf Zufußgehende, ÖPNV-Nutzer*innen und Radfahrende. Hier hilft auch kein individueller Schutz, denn allein der Asphalt heizt sich durch Sonnenstrahlung zum Beispiel auf über 60 Grad Celsius auf. „Liegen Gehsteige in der prallen Sonne, schränkt das die Mobilität insbesondere von älteren und chronisch kranken Menschen ein“, sagt der österreichische VCÖ – Mobilität mit Zukunft. Kritisch sind hier neben den Bürgersteigen vor allem Kreuzungen oder Haltestellen, die keinen Sonnenschutz bieten, sowie fehlende schattige Sitzgelegenheiten, um eine kurze Pause einzulegen. Auch lange Ampelwartezeiten mit Priorität für den Autoverkehr werden in der prallen Sonne schnell zur Tortur. In Gesprächen mit Betroffenen, die bei Hitze zum Selbstschutz tagsüber kaum das Haus verlassen und nachts keinen Schlaf finden, wird die Dramatik schnell sichtbar.
Zweiräder mit Motor eine echte Alternative bei Hitze
Radfahrende sind bei Hitze in ihrer Mobilität gegenüber Zufußgehenden im Vorteil, weil sie für die gleiche Strecke weniger Zeit benötigen und durch den Fahrtwind gekühlt werden. Gleichzeitig steigt die körperliche Anstrengung bei Hitze jedoch stark an, ebenso wie der Flüssigkeitsbedarf. Ärzte warnen beim Radfahren je nach Streckenprofil und Wind bereits ab 25 Grad Celsius vor einer Überlastung des Organismus. Bei hohen Temperaturen hilft dementsprechend hauptsächlich der Fahrtwind in Kombination mit einer Motorunterstützung. Genau das bieten E-Bikes (Pedelecs und S-Pedelecs), E-Scooter oder die in den südeuropäischen oder asiatischen Staaten seit jeher beliebten Motorroller. Eigentlich ist es zudem eine Binsenweisheit, dass Radfahrende, egal ob mit oder ohne Motor, wesentlich dazu beitragen, die CO₂-Bilanz sowie das Klima in den Städten positiv zu beeinflussen. Wichtig sind dabei neben der Energiebilanz, Wärme- und Schadstoffemissionen auch die benötigten Stellflächen.
Große Bäume sorgen in der Stadt für einen hohen Kühleffekt. Weniger nützlich sind dagegen baumlose Grünflächen, die einen etwa zwei- bis viermal geringeren Kühleffekt als baumbestandene Flächen bieten.
Erhebliche Verbesserungen der Infrastruktur möglich
Mit Blick auf die Infrastruktur lassen sich sowohl für Zufußgehende als auch für Radfahrende oft mit einfachen Mitteln erhebliche Verbesserungen erreichen. Dazu zählen schattige öffentliche Sitzgelegenheiten und Trinkbrunnen ebenso wie die Entwicklung von Alternativrouten durch Grünanlagen und Wälder, beschattete Straßen, Kreuzungen und Haltestellen, kühlere Busse und Bahnen oder optimierte Ampelschaltungen und kürze Wartezeiten für den Fußverkehr. Messungen zeigen dabei beispielsweise, dass die Temperaturen einer baumbestandenen Allee sowohl direkt auf der Straße als auch in den angrenzenden Räumen und an den Fassaden jeweils nur rund halb so hoch sind wie auf einer Straße ohne Baumbestand. Technisch einfach umzusetzen ist auch die Umwidmung von Pkw-Parkflächen, beispielsweise mit mobilen Bäumen und Sitzgelegenheiten, Gastronomieflächen sowie die Entsiegelung. Stadtplanerinnen empfehlen zudem große Alleen, um für eine gute Durchlüftung zu sorgen. All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein essenzieller Faktor auf dem Weg hin zu hitzeresilienteren Städten wohl unabdingbar die Verringerung der Pkw-Dichte und die Umnutzung von Pkw-Parkflächen und -Verkehrswegen ist. Beispiel Berlin: In der Hauptstadt waren zum Stichtag am 1. Januar 2024 laut Statista insgesamt rund 1,24 Millionen Pkw zugelassen – ein Rekordwert. Die Anzahl der regis-trierten Pkw ist dabei im Verlauf der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich angestiegen. Gemäß einer Mitteilung der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt gibt es innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings 229.680 öffentliche Straßenparkplätze, was einer Gesamtfläche von 2.644.608 Quadratmetern entspricht. Gänzlich anders sieht beispielsweise die Entwicklung in Paris aus: Seit rund zehn Jahren werden hier unter dem zentralen Konzept der „15-Minuten-Stadt“ zahlreiche Projekte umgesetzt, um den Autoverkehr zu reduzieren, Radverkehr und ÖPNV zu steigern, den öffentlichen Raum zu begrünen und die Stadt so lebenswerter, gesünder und klimafreundlicher zu machen. Einer kürzlich veröffentlichten Studie des Stadtplanungsinstituts zufolge legten die Bewohnerinnen der Metropole von Oktober 2022 bis April 2023 die meisten Wege zu Fuß zurück (53,5 Prozent). An zweiter Stelle standen öffentliche Verkehrsmittel (30 Prozent), gefolgt von Radfahrer*innen mit 11,2 Prozent. Lediglich 4,3 Prozent der Wege wurden mit dem Auto zurückgelegt (Berlin ca. 26 Prozent).
Einige Städte haben inzwischen Hitzemodelle entwickelt, um gefährdete Gebiete und Handlungsfelder zu identifizieren.
Unterschätzte Hitzefolgen
Die WHO und Gesundheitsexpert*innen betonen immer wieder den zunehmenden und inzwischen extremen Bewegungsmangel in Deutschland und die Entwicklung hin zu immer mehr übergewichtigen Menschen. Die Lebenserwartung werde dadurch abgesenkt, es gebe eine ständig steigende Krankheitslast und wir müssten für die Zukunft wohl auch mit der finanziellen Überforderung der Sozialversicherungssysteme rechnen, erläutert Prof. Dr. med. Swen Malte John von der Universität Osnabrück. Mit der Zunahme an heißen Tagen wird Bewegung im Sommer nicht nur schwieriger, sondern im Hinblick auf vulnerable Gruppen auch immer gefährlicher. Mehr als 47.000 Menschen starben einer aktuellen Studie zufolge in Europa im Jahr 2023 an Hitzefolgen. Vielfach unterschätzt werden zudem auch die sozialen Folgen. Gerade Älteren fehlen während Hitzeperioden wichtige Kontaktmöglichkeiten. Auch wirtschaftlich macht sich die Hitze in den Städten deutlich bemerkbar – und das nicht nur bei den Energiekosten für Kühl- und Klimaanlagen. An Hitzetagen zum Einkaufen in die Stadt oder ins Restaurant? Viele winken ab. Die Menschen konsumierten in Restaurants tagsüber zurückhaltend oder blieben gleich zu Hause, erklärte kürzlich Mario Pulker, Obmann des österreichischen Gastronomie-Fachverbands. Die Umsätze könnten nicht durch die Abendstunden ausgeglichen werden.
„Mehr als 47.000 Menschen starben einer aktuellen Studie zufolge in Europa im Jahr 2023 an Hitzefolgen.“
Alarmstufe rot – auch für Europa
Weltweit sehen sich Kontinente und Länder einer teils dramatischen Hitzekrise gegenüber. Und sie kommt auch zu uns. Diesen Sommer gilt bereits seit einiger Zeit für Italien und andere südeuropäische Länder und Regionen offiziell Alarmstufe Rot. Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius tagsüber, Nächte mit 30 Grad Celsius und eine Wassertemperatur des Mittelmeeres von ebenfalls bis zu 30 Grad Celsius stellen die hitzegewöhnten Regionen vor enorme Herausforderungen. Klimaexpert*innen zufolge könnten ähnliche Verhältnisse bald auch in deutschen Regionen und Städten herrschen. Man kann sich fragen, ob und wie wir darauf vorbereitet sind, mit Blick auf die Gesundheit, die Alterspyramide, Biodiversität, Dürren und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Wälder oder auch die Energieversorger, die essenziell auf Kühlwasser für Kraftwerke angewiesen sind. Generell lassen die Aussichten wenig Positives erwarten. „Am stärksten werden durch den Klimawandel die Iberische Halbinsel, Mitteleuropa einschließlich des Alpenraumes, die Ostküste der Adria und Südgriechenland durch extreme Temperaturen beeinflusst“, so das Umweltbundesamt. Bis 2100 könne die Temperaturzunahme in Teilen Frankreichs und der Iberischen Halbinsel sechs Grad Celsius übersteigen. Rückblickend könnte die heißeste Zeit heute also die kühlste der kommenden Jahrzehnte sein. Sich darauf einzurichten, kostet Willen, Überzeugungskraft, Geld und Zeit. Was aller Voraussicht nach nicht hilft, ist Fatalismus.
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