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Per Straßenbahn in die Zukunft: Wie Schienen grüne & soziale Städte mitgestalten

Die Renaissance der Straßenbahn ist gut für Klima und Umwelt, eine sozial gerechte Mobilität sowie Radfahrende. Teilweise gibt es aber heftigen Gegenwind, wenn sie neu gebaut werden soll. Mit einer guten Kommunikationsstrategie können Städte viel richtig machen bei der Planung.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Von den einen geschätzt, da bewährt, komfortabel und Hoffnungsträger für die Verkehrswende. Von den anderen ängstlich beäugt oder gar verhasst, da sie Städte verändert, Baustellen erfordert und dem Auto den Platz streitig macht: die Straßenbahn. Während in Tübingen 2021 und Regensburg 2024 ihr Bau in Referenden scheiterte, votierten die Erlan-ger*innen 2024 für sie, in Lüneburg fordern manche sie, in Kiel wird sie geplant und in Lübeck oder Osnabrück eine Wiedereinführung diskutiert; in Karlsruhe oder Erfurt fährt sie längst.
Ende des 19. Jahrhunderts gab es weltweit einen Straßenbahnboom. Allein in Deutschland entstanden um die 100 Systeme. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde sie allerdings zunehmend vom Auto verdrängt und viele stillgelegt. Im Zuge des sich zuspitzenden menschengemachten Klimawandels ist die Straßenbahn ein wichtiger Baustein für die immer drängender werdende Verkehrswende – in Deutschland ist der Verkehr für etwa 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Es braucht Mobilität, die menschliche Bedürfnisse erfüllt, soziale Gerechtigkeit schafft und ökologische Grenzen wahrt. Dafür müssen wir uns effizienter, anders und weniger fortbewegen. Zentral ist, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren und gleichzeitig den ÖPNV zu stärken. Wie Städte ihre Infrastruktur planen und umsetzen, ist dabei zentral.

In Leipzig wurden gute Kompromisse gefunden: Eine klassische Straßenbahnstadt und neuerdings auch Fahrradstadt. Während in der BRD viele Strecken stillgelegt wurden, wurden sie in der DDR gepflegt.

Straßenbahn vs. Stadtbahn: Straßenbahnen integrieren sich gut in die Stadt, sind kostengünstiger, da sie keine Tunnel, Schotterbetten, Zäune oder Leitplanken brauchen und haben mehr Haltestellen.

Ein bisschen Nostalgie: Im Vintage Style kann man in Lissabon durch die Altstadt fahren.

Vorbild Frankreich: Hier entstanden in den letzten 30 Jahren viele neue moderne Straßenbahnsysteme, die gut in die Stadt integriert wurden und den Straßenraum aufwerteten, wie hier in Toulouse.

Straßenbahn for Future

„In Deutschland sitzen im Auto durchschnittlich 1,4 Menschen. Für je 100 Menschen sind also 71 Autos unterwegs oder eine einzige Straßenbahn“, rechnet Anika Meenken vom ökologischen Verkehrsclub VCD vor. „Straßenbahnen sind also eine effiziente sowie umwelt- und klimafreundliche Alternative zum Auto.“ Auch Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim schreibt der Straßenbahn eine „riesengroße“ Relevanz mit Blick auf die Klimakrise zu: „Wir müssen eine ganze Menge Autoverkehr einsparen durch attraktive Angebote im öffentlichen Verkehr. Da ist die Straßenbahn eine ganz wichtige Möglichkeit“.
Punkten kann die Straßenbahn auch beim Sozialen: „Als Teil des ÖPNV steht sie allen Menschen zur Verfügung“ und fördere die Intermodalität. Zudem kann sie barrierearm gebaut werden und ist für Fußgänger*innen und Radfahrende sicherer, da „Hauptunfallgegner“ das Auto sei, erklärt Meenken.
Straßenbahnen lassen sich gut ins Stadtbild integrieren und können den Straßenraum sogar aufwerten. Rasengleise oder Tramalleen sehen nicht nur schön aus und steigern die Aufenthaltsqualität, sondern dämmen auch Fahrgeräusche und entsiegeln die Innenstadt. Das hilft bei Hitze und Starkregen, die durch die Klimakrise wahrscheinlicher werden. Auch kann eine Straßenbahn dazu beitragen, Staus zu verringern sowie Wohnqualität und Einzelhandel zu fördern, so Monheim. Gegenüber Bussen hat sie den Vorteil, mehr Menschen transportieren zu können und komfortabler zu sein, da sie weniger ruckelt. Außerdem wird sie laut Studien besser von Fahrgästen angenommen und übertrifft oft die prognostizierten Fahrgastzahlen. Das habe psychologische Gründe, erklärt Monheim. Durch die Sichtbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Netzes entwickle man eine „Mental Map“, eine Karte im Kopf, was die Nutzung erleichtere.

Schienen mit Konfliktpotenzial

Den guten Argumenten zum Trotz stoßen Planungen von Straßenbahnen immer wieder auf Protest. Wie jüngst in Regensburg und Erlangen, wo zeitgleich zur EU-Wahl ein Referendum über eine Straßenbahn anstand. Während die Erlangerinnen für sie stimmten, votierten die Regensburgerinnen mit Nein. 2021 stimmten auch die Tübingerinnen gegen eine Straßenbahn. Bemerkenswert dabei: Parteiübergreifend war der Tübinger Gemeinderat sowie die Stadtverwaltung dafür, ebenso Umwelt- und Klimagruppen sowie die Verkehrsclubs VCD und ADFC. Außerdem gilt Tübingen als grüne Vorzeigestadt mit vielen Studierenden, grünem Bürgermeister, Lastenrädern, die neben Bussen durch die Stadt cruisen. Warum wurde die Straßenbahn dort trotzdem abgelehnt? Gegen den Bau waren wenige, aber gut organisierte Akteure. Schaut man sich ihre Argumente an, wird deutlich, dass sie einen klugen Mix aus NIMBY-Argumenten (Not In My BackYard) und Argumenten aus der anschlussfähigen E-Mobilitätserzählung (s. Kasten) verwendeten. Sie argumentierten etwa, die Bahn sei zu teuer, verschandle die Stadt, verdränge Autos, fuße auf veralteter Technik, sei eine Gefahr fürs Rad, der Bau verursache viele Emissionen oder das Busnetz auszubauen, würde es auch tun. Die Befürworterinnen versäumten einerseits, diese Gegenargumente zu entkräften: Straßenbahnen sind zwar teurer als Busse, aber ein Großteil der Kosten hätte der Bund gezahlt, sie wäre ins Stadtbild integriert worden und hätte für mehr Mobilität gesorgt, es handelt sich um eine bewährte und moderne E-Technik, die Gefahr fürs Rad ist vergleichsweise gering, die Emissionen hätten sich amortisiert und bestehende Busse hätten das Netz sowieso ergänzt. Andererseits entwickelten die Befürworterinnen keine positive Erzählung über ein Tübingen mit Straßenbahn: Eine Stadt mit moderner Mobilität und mehr Lebensqualität für ihre Bewohnerinnen. Zwar waren die guten Argumente da, aber kaum im öffentlichen Diskurs. Stattdessen wurden die Vorteile für das Umland und Einpendelnde fokussiert.
Ein Blick nach Erlangen und Regensburg zeigt, dass dort die Gegenargumente ganz ähnlich wie in Tübingen waren. Es braucht also eine Kommunikationsstrategie, um solchen Konflikten zu begegnen. Wird eine neue Straßenbahn gebaut, wird um knappe Flächen gekämpft: Wie viel Platz bekommen die Straßenbahn, Busse, Räder, Fußgänger*innen, Autos? Es braucht Kompromisse: „Da gibt es innovative Ansätze. Die Fahrspuren für Autos verschmälern oder im Abbiegebereich Kombispuren“, so Monheim. Sprich, den Platz fürs Auto reduzieren und so der „klassischen Überdimensionierung“ für das Auto entgegenwirken. „Die Standardspur ist 3,5 Meter, 2,2 würden auf mehrstreifigen Fahrbahnen und Kreuzungen oft ausreichen“.

Die Verkehrswende erzählen

Die hitzigen Debatten um neue Straßenbahnen zeigen: Städte sind im Spannungsfeld von verkehrs- und klimapolitischen Zielen sowie gesellschaftlicher Akzeptanz gefordert. Der Bau einer Straßenbahn ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine kommunikative. Dabei gilt es, das transformative Potenzial von Mobilitätserzählungen gezielt einzusetzen. Da eine ernsthafte Verkehrswende den Status quo infrage stellt, muss sensibel vorgegangen werden. Noch unbekanntere beziehungsweise wenig akzeptierte Erzählungen – Reduktion des motorisierten Individualverkehrs – sollten nicht verkürzt werden, sondern deutlich machen, dass eine lebenswertere Stadt hinzugewonnen werden kann.
Die Verkehrswende ist nicht nur gut für Klimaschutz, sondern kann auch positiv für Klimaanpassung sein, für die Gesundheit durch sauberere Luft, das soziale Miteinander, Inklusion durch Barrierearmut, den Wohnungsmarkt und die lokale Wirtschaft. In dieser Erzählung können Straßenbahnen eine wichtige Rolle spielen. Sie können dazu beitragen, Städte zu transformieren, die Stadt zu verknüpfen – auch mit dem Umland, hohe Aufenthaltsqualität zu schaffen durch ansprechendere Straßenraumgestaltung mit weniger Autos. Wichtig ist dabei, lokale Vorteile zu fokussieren und greifbar zu machen. Sprich, eine konkrete Utopie einer grünen, sichereren, gesünderen und sozialeren Stadt zu entwerfen. Gutes Illustrationsmaterial unterstützt dies. Ebenso eine Exkursion in eine Straßenbahnstadt.
Um Ängste früh zu erkennen und Lösungen zu finden, sollte auch die jeweilige Mobilitätskultur einer Stadt beachtet werden. Etwa die Angst von Radfahrenden, zu stürzen. Hilfreich ist, neben Ingenieurinnen auch Sozialwissenschaftlerinnen an Bord zu holen, um zu erfahren, wie die Menschen in der Stadt ticken.

Beim Kreuzen der Schienen ist Vorsicht angesagt, aber Fahrrad und Straßenbahn gehen auch zusammen.

In Amsterdam/Helsinki sind Fahrrad und Straßenbahn gut verzahnt.

Die Weichen drastisch umstellen

Dass die Verkehrswende in Deutschland verschleppt wird, liegt auch an jahrzehntelangen politischen „Fehlsteuerungen“ wie der Fokussierung aufs Auto. Zudem wurden beim Ausbau kommunaler Schienennetze oft teure Tunnelprojekte bevorzugt, so Monheim. Straßenbahnen wurden politisch lange ausgeblendet, obwohl sie eigentlich ein Klassiker der E-Mobilität und damit prädestiniert für die Verkehrswende sind. Es ärgert ihn, dass die deutsche Verkehrspolitik seit 30 Jahren auf E-Mobilität fixiert ist, „damit aber immer nur E-Autos meint“. Dabei gibt es schon lange eine ÖPNV-Förderung, nach der ein Großteil der Kosten für den Straßenbahnbau übernommen werden kann, aber „um tatsächlich sehr schnell aus der fossilen Mobilität aussteigen zu können“, brauche es „einen von Grund auf neuen politischen Ansatz“ und spezielle Straßenbahnförderprogramme. Momentan sei
die Verkehrspolitik „innovationsresistent“ und renne ein paar teuren Großprojekten hinterher. Stattdessen müsse der Fokus auf ehrgeizigen Netzen mit vielen Haltestellen und hoher Gestaltungsqualität der Trassen liegen, mit Rasengleis und Tram-allee. Tunnelprojekte seien viel zu teuer und dauerten zu lange. Dass sie trotzdem oft bevorzugt werden, liege an der Lobbyarbeit der Betonindustrie.
Ganz anders in Frankreich. Hier erlebt die Straßenbahn in den letzten Jahren einen Boom – neue Schienen statt neuer Autospuren. Die „französische Rezeptur“: Die Straßenbahn werde sehr gut und individuell in die jeweilige Stadt integriert und werte die Straßen durch Tramalleen und Rasengleise auf, erklärt Monheim. Es gehe um die gesamte Straßenraumgestaltung mit neuen Radwegen, breiten Gehwegen und einer gut integrierten Tramtrasse. Das sei der entscheidende Unterschied zu Deutschland, wo das Thema noch „sehr ideologisch“ sei und von Ingenieur*innen dominiert werde.
Für eine gelingende Verkehrswende brauchen deutsche Städte also Mut, Schienen zu legen. Benötigt werden mehr Straßenbahnnetze als die, die es noch gibt. Es braucht auch mehr als die 100, die es in Deutschland einst gab. Monheim schätzt, dass etwa 200 Städte Straßenbahnpotenzial haben.
Um die Verkehrswende zu meistern, braucht es Mut zu Debatten über Straßenbahnen, darüber, wie wir Innenstädte gestalten wollen, wie wir in Städten zusammenleben und uns fortbewegen wollen. Um sich mögliche Veränderungen plastisch vorstellen zu können, braucht es gemeinsame Erzählungen, die Utopien erzeugen, die wahr werden können. Vielleicht gleiten in Zukunft in Tübingen oder Regensburg ja doch noch Straßenbahnen auf von Bäumen gesäumten Rasengleisen neben Cafés und Radwegen. So wie es in Bordeaux und vielen anderen Städten längst der Fall ist.

Wie aus Straßenbahn und Rad ein starkes Duo für die Verkehrswende wird

Interview mit Straßenbahnexperte Heiner Monheim, er ist Geograph, Stadtplaner, Verkehrsexperte und war Professor an der Universität Trier, sowie Rechtsexperte Roland Huhn vom ADFC, der schriftlich antwortete.

Die Verkehrswende braucht mehr ÖPNV, aber auch mehr Rad- und Fußverkehr. Wie sicher sind Straßenbahnen für Radfahrerende?
Huhn: Gefährlich sind vor allem Straßenbahnschienen im Fahrbahnbereich. Das gilt besonders dann, wenn in einer schmalen Straße zwischen Schienen und Bordstein nur wenig Platz ist. Manche Verkehrs-planer*innen stellen sich vor, dass Radfahrende zwischen den Straßenbahnschienen fahren sollen. Das ist aber ausgesprochen unangenehm und gefährlich und sollte deshalb unbedingt vermieden werden. Aber Fahrrad und Straßenbahn sind nicht grundsätzlich unvereinbar. Leipzig und Amsterdam sind Straßenbahnstädte mit hohem Radverkehrsanteil.
Monheim: Fährt man im falschen Winkel über eine die Schiene, kann man mit den Reifen hineingeraten und stürzt. In Relation zur Netzlänge und Fahrleistung gibt es aber sehr viel mehr Unfälle zwischen Fahrrädern und Autos oder Fahrrädern und Bussen als mit der Straßenbahn und ihren Schienen. Straßenbahnen sind ein sehr sicheres Verkehrsmittel für andere Verkehrsteilnehmer. Objektiv ist nur die Seilbahn sicherer, da sie sich den Raum nicht mit anderen teilt. Und auch bei der subjektiven Sicherheit schneidet die Straßenbahn besser ab: Sowohl Fußgänger als auch Radfahrer fühlen sich subjektiv einfach stärker bedrängt von einem Bus, der hinter einem fährt als von einer Straßenbahn. Denn Straßenbahnen sind besser kalkulierbar.

Wie können Städte Straßenbahnen sicherer für Radfahrerende machen?
Monheim: Erstens kann man im Zuge der Verkehrserziehung lernen, wie ich über eine Schiene fahre, damit ich auf keinen Fall mit dem Reifen in der Schiene hängen bleibe. Zweitens gibt es Gummielemente, mit denen man Schienen ausstatten kann, sodass man, wenn man in Längsrichtung über die Schiene fährt, nicht zu Fall kommt. Das ist vom Betrieb her teurer, da das Gummi nicht ewig hält. Aber das wäre etwas für Städte, wo lange keine Straßenbahn fuhr und neu eingeführt wird. In klassischen Straßenbahnstädten wie Leipzig oder Erfurt, wo viele Schienen liegen, und es viel Radverkehr gibt, ist das kein großes Problem, weil alle wissen, wie man mit Schienen umgeht.
Huhn: Beide Verkehrsarten sollten möglichst getrennte Wege haben. Eine eigene Trasse z.B. in der Mitte der Straße ist nicht nur sicherer, weil Radfahrende sie leichter im rechten Winkel überqueren können. Sie dient außerdem der Beschleunigung der Bahn, weil sie nicht im Stau des Kfz-Verkehrs warten muss. Die Vorrangregelung an Kreuzungen muss zudem klar kommuniziert sein. Außerdem gibt es aktuell einen Lösungsvorschlag mit Rillen geringerer Tiefe, die zumindest für breite Fahrradreifen eine geringere Sturzgefahr bergen.

Wie können Städte Straßenbahn und Radverkehr verzahnt denken und planen?
Monheim: Straßenbahn und Fahrrad lassen sich gut kombinieren. In guten Straßenbahnsystemen gibt es an den Haltestellen Fahrradabstellplätze oder auch Leihräder. Oder ich kann mein Fahrrad problemlos in die Straßenbahn mitnehmen, wie etwa in Berlin.

Heiner Monheim

Roland Huhn


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