Photovoltaik in der Radinfrastruktur: Sonne auf dem Weg
Solarenergie ist auch auf Radinfrastruktur ein relevantes Thema. Ein Überblick über erste Lösungen auf öffentlichen Strecken.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)
Die Sache mit der Solarenergie auf dem Radweg endete in einem medialen Fiasko. Statt Energie aus erneuerbaren Quellen erntete die Stadt Erftstadt Häme in sozialen Medien, ein NDR-Beitrag mit dem Titel „Realer Irrsinn“ stempelte den Versuch im Ortsteil Liblar zur Lachnummer ab. Was im Jahr 2018 als Vorzeigeprojekt von der damaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze eingeweiht wurde, ist fünfeinhalb Jahre später von der Kommune wieder entfernt worden. 90 Meter Solarradweg, der erste in der Bundesrepublik, sind nun verschwunden. Die Stadt habe „die Notbremse gezogen“, meldete der Kölner Stadt-Anzeiger, Stadtsprecher Christian Kirchharz sagt: „Wir mussten handeln.“
Euphorie beim Start in Erftstadt
Die Hoffnungen, die 2018 ins Pilotprojekt gesetzt wurden, waren erheblich. Der Berliner Ingenieur und Erfinder Donald Müller-Judex hatte mit seinem Unternehmen Solmove an einer Radweg-Oberfläche getüftelt, die in der Lage sein sollte, den Zweiradverkehr ganzjährig sicher zu führen und zugleich Energie aus dem Sonnenlicht in Strom umzuwandeln. Der „Spiegel“ berichtete, so relevant war das Projekt, 16.000 Kilowattstunden würden die 200 mit Solarzellen ausgeschmückten Quadratmeter im Jahr liefern. „Es ist ein bisschen wie ein erster Schritt auf dem Mond“, zitierte das Hamburger Nachrichtenmagazin den Erfinder.
Die 90 Meter sind inzwischen wieder asphaltiert. Der Rückbau kostete die Gemeinde 30.000 Euro. Zuvor hatte sich die Wegstrecke in ein Ärgernis verwandelt. Die Oberfläche war aufgeplatzt, Glas aus den Modulen gebrochen, für Radfahrer war die Zukunftstrasse zum Hindernisparcours geworden. Warum das Projekt zum Fehlschlag wurde, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Erfinder Müller-Judex spricht bis heute davon, die Stadt habe das Vorhaben „blockiert“, ein Zähler wurde nicht montiert, die Heizfunktion kam nicht in Gang, die Unterhaltung der Flächen jedenfalls missglückte und statt Strom erntete man in Erftstadt Spott.
Erkenntnisse aus dem Misserfolg
Doch muss man diesen Versuch deshalb verurteilen? „Grundsätzlich steht die Stadtverwaltung auch anderen Versuchen und Innovationen offen gegenüber“, sagt Sprecher Kirchharz: „Dass der Solarradweg gescheitert ist, verstehen wir als notwendige Erfahrung, die auch gemacht werden müssen. Ein Erfolg wäre für alle besser gewesen, aber die gewonnenen Erkenntnisse sind ebenfalls wertvoll. Der Solarradweg wurde, neben dem kurzen Stück mit den Solarpaneelen, mit einem vollständig versickerungsfähigen Elastopave-Material (PU-basiertes Oberflächensystem) ausgebaut, womit wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben.“ Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – wer keine Versuche macht, wird auch keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Auch diese Lesart lässt sich beim Erftstädter Versuch vertreten.
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Der Freiburger Radweg ist an die Bedenken der Radfahrer angepasst und verfügt über ein modernes LED-Beleuchtungssystem.
Solardach in Freiburg
In Freiburg im Breisgau spricht man weiterhin sehr gern über ein anderes Pilotprojekt, das es ebenfalls in den vergangenen Monaten häufig in die Medien geschafft hat. Dort hat der regionale Energieversorger Badenova nach einem Vorstoß durch die Stadt ebenfalls einen Solarradweg gebaut und in Betrieb genommen. Lars Meyer, zuständiger Projektmanager für erneuerbare Energien, gibt gern Vertretern aus anderen Städten und Gemeinden Einblicke in das Projekt, das vor etwa zehn Jahren mit einem Besuch einer Freiburger Delegation in der südkoreanischen Partnerstadt Suwon seinen Ausgang nahm. Damals sah der Leiter des Umweltschutzamts in Fernost einen solarüberdachten Radweg und gab das Ziel aus, im Einklang mit Freiburgs Klimaschutzprogramm ebenfalls eine solche Lösung für die heimische Stadt zu finden. „Es geht darum, einen Beitrag zur dezentralen Energiewende und zum aktiven Klimaschutz zu leisten“, erklärt Lars Meyer. Es war auch wichtig, etwas zu schaffen, das nicht nur in Freiburg funktioniert. „Es geht darum, eine skalierbare und auch ökonomisch umsetzbare Lösung zu schaffen“, berichtet der Planer. Gerade das Vermarkten von Strom im urbanen Raum sei eine Sonderaufgabe, die bei einem solchen Radweg ansteht.
Energiebilanz erst Ende 2026
Seit dem Herbst 2023 ist die Anlage in Freiburg in Betrieb. Sie liegt direkt bei der Messe, gleich in der Nähe des neuen Stadions des Fußball-Bundesliga-Vereins SC Freiburg. 300 Meter ist die Trasse lang, die Überdachung 2,50 Meter hoch und überzogen mit 912 Glasmodulen, die eine angepeilte Energiemenge von 280 Megawattstunden im Jahr liefern sollen. Da das erste Solarjahr nach Inbetriebnahme noch nicht abgelaufen ist, lässt sich über die Ernte noch keine Aussage treffen. Projektleiter Meyer weist darauf hin, dass aufschlussreiche Erkenntnisse auch erst nach drei Jahren zu gewinnen seien – wenn saisonale Schwankungen ausgeglichen sind.
„Es war wichtig, einen direkten Anlieger zu finden, der den Strom im räumlichen Zusammenhang verwertet.“
Lars Meyer, Badenova
Energieerzeugung im öffentlichen Raum
Für den Ingenieur ist eine solche Anlage nicht trivial: „Wir haben dabei eine besondere Herausforderung. Wir stellen hier eine Energieerzeugungsanlage in den öffentlichen Raum. Jeder kann hingehen, jeder kann sie anfassen. Das bedeutet wesentlich höheren Planungs- und Abstimmungsaufwand als bei herkömmlichen Solaranlagen abseits
öffentlicher Infrastruktur“, erklärt Meyer. Entsprechend müsse man auch die hohe Dynamik mitbedenken, wenn man ein solches Projekt angehe. „Wir haben ein Gefälle erkannt, das wir zunächst gar nicht so relevant eingeschätzt hatten“, sagt Lars Meyer, „es sind neue Verkehrsbeziehungen dazugekommen.“ Etwa für die Menschen, die die Heimspiele des SC Freiburg im neuen Stadion besuchen und sich nicht an die vorgegebenen Wege halten. „Das mussten wir genauso berücksichtigen wie Kabel, die wir plötzlich gefunden haben und auch den Blick auf mögliche Kampfmittel auf dieser Fläche.“ Es sei wichtig, so Mayer, dass man „beinahe wie im agilen Projektmanagement“ einen Partner hat, mit dem man entsprechend reagieren kann, ohne dass dadurch die Kosten in die Höhe schnellen. Mit dem Generalunternehmer MHB Süd sei das gelungen. Die regendichte Verbindung der Solarmodule gelang mit dem Freiburger Unternehmen Clickcon.
Sicherheit für Radler wichtig
Hinzulernen mussten Meyer und seine Energieexpertinnen beim Thema Radverkehr. Als das Projektteam sich beim Solar Award in Berlin bewarb, gab es aus der Jury konkrete Rückmeldungen von Radfahrern zur Planung. Sie hatten Fragen zur Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen. „Da haben wir als Ingenieure noch mal dazugelernt, dass bei der Projektpräsentation neben den technischen Aspekten der erneuerbaren Stromproduktion auch die sicherheitstechnischen Aspekte mehr in den Vordergrund gestellt werden müssen“, sagt Meyer. Im Vorfeld hatte es bereits intensive Abstimmungen mit der Stadt Freiburg gegeben. „Man darf die Anlage nicht nur als Stromerzeugungsanlage sehen, sondern eben als Verkehrsweg.“ Anforderungen gibt es an das Lichtraumprofil und zur Position der Stützen für das Solardach. „Wir haben zudem auch ein innovatives LED-Beleuchtungssystem eingebaut, das flexibel auf die Bewegungen auf der Fläche reagiert“, erklärt Meyer.
Es fehlen Standardgenehmigungen
Eine Besonderheit des Bauens im öffentlichen Raum: Die Solar-Radwegüberdachung wurde für die Verwendung von Glas-Glas-Modulen konzipiert, die zusammen mit dem Montagesystem ein regendichtes Dach bilden. Es gab zum Projektstart nur einen Partner, dessen Glas-Glas-Solarpaneele für den Einsatz im öffentlichen Raum zertifiziert waren. Nach den statischen Untersuchungen musste Meyers Team zusätzlich eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung von der Landesstelle für Bautechnik des Regierungspräsidiums Tübingen ersuchen, um zu sichern, dass die geplante Anwendung auch genehmigt war. „Das ist ein hoher Aufwand“, sagt Meyer. Zudem wurde ein Bauwerksbuch nach DIN 1076 erstellt, es gibt wiederkehrende Prüfzyklen: alle drei Jahre Sichtkontrollen und alle sechs Jahre große Prüfungen.
6000
Wenn alle zehn Meter eine Leuchte im Weg verbaut wird
rechnet Solareye mit Kosten von etwa
6000 Euro pro Kilometer Radweg.
Wohin mit dem Strom?
Doch wohin mit dem Strom aus der Trasse? „Es war wichtig, einen direkten Anlieger zu finden, der den Strom im räumlichen Zusammenhang verwertet“, sagt Meyer. Sonst sei ein solches Vorhaben nicht wirtschaftlich, denn die EEG-Vergütung und Netzentgelte und Gebühren verhindern Lukrativität im öffentlichen Stromnetz. „Wir haben aber mit dem Fraunhofer ISE einen perfekten Partner, der den entstehenden Strom über eine direkte Leitung in seinen Laboren nutzt“, sagt Meyer. Der Netzanschluss erfolgte direkt im Gebäude. Zudem besteht die Möglichkeit, die Solar-Radwegüberdachung zur Forschung in unmittelbarer Nähe zu nutzen.
Das Freiburger Projekt kostete etwa 1,1 Millionen Euro für Entwicklung, Planung und die Umsetzung. 390.000 Euro kamen an Fördermitteln aus dem Klimaschutzfonds der Stadt Freiburg. Ein erhebliches Investment, aber es ist eben ein Pilotprojekt. Das ist auch explizit der Ansatz bei Badenova: „Wir geben unsere Erkenntnisse gern weiter, wollen zur Verbreitung solcher Modelle einen Beitrag leisten“, erzählt Meyer. „Wichtig ist: Die Gespräche mit allen Beteiligten sollte man frühzeitig führen, denn je weiter man mit dem Projekt voranschreitet, umso schwieriger wird es mit den Anpassungen.“
Wattway klebt auf vorhandenen Flächen
Das süddeutsche Projekt interessiert auch den französischen Anbieter Colas. Der hat nach Auskunft von Etienne Gaudin eine Datenbank, in der die Erkenntnisse aller Solar-Verkehrswege gesammelt werden. Selbst sieht man sich als erfahrenen Vorreiter im Verbauen von tragfähigen Solarmodulen auf Verkehrswegen an Parkplätzen, Gehwegen oder eben auch Radstrecken. Mehr als 100 Projekte habe man schon realisiert. Mit dem Produkt „Wattway“ habe man, so behauptet es das Unternehmen, die weltweit erste Solar-Straßenoberfläche entwickelt. Seit 2015 gibt es damit Versuche, in Luxemburg setzte man die Technik schon mal in einem kleineren Versuch auf einen Radweg – 2023 verbaute das Unternehmen seine Technik dann aber auf zwei außerstädtischen Radwegen in den Niederlanden. Das wiederum brachte viel Öffentlichkeit. Die beiden neu mit Solarzellen ausgestatteten Radwege sind jeweils 500 Meter lang und zwei Meter breit. Die beiden Strecken entstanden infolge einer niederländischen Ausschreibung, denn die Regierung möchte erörtern, inwiefern sich Solarenergie auf öffentlicher Infrastruktur einbinden lässt. Das Ziel der Ausschreibung: 80 Megawattstunden auf jedem dieser Wege im Jahr erzielen. Colas-Vertreter Gaudin sagt, die anderen Wettbewerber hätten sich aus dem Verfahren zurückgezogen. Seine Firma realisierte die Wege. Wie viel die öffentliche Hand in den Niederlanden dafür überwies, verrät er nicht – aber in der Ausschreibung war ein Maximalbetrag 1,1 Millionen Euro festgelegt. Etienne Gaudin glaubt, dass die Lösung seines Unternehmens für etwa 2,50 Euro pro Watt zu haben ist. Man könne auf diese Weise langfristig Strom erzeugen, den man wiederum selbst in der Nähe verwenden möchte, erklärt Gaudin. Es geht also, je nach Regulierungslage und Land, um die Verwendung der erzeugten Elektrizität ohne Einspeisung ins Gesamtnetz.
„Wir setzen darauf, dass man unsere Lösung auf eine bestehende Infrastruktur auftragen kann“, erklärt Gaudin. Damit die Oberfläche tragfähig ist, setzen die Franzosen nicht auf Glas, sondern auf Verbundmaterial, in dessen Mitte die Solarzellen eingelegt sind. Diese Platten werden auf die jeweiligen Oberflächen aufgeklebt. Colas gibt die Lebensdauer der Platten mit 15 bis 25 Jahren an, was jeweils von der Verkehrslast auf der Fläche abhängt – auf einem Radweg sei eher das Maximum zu erwarten, weil dort keine Last von Autos auf die Fläche drückt.
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Das Beleuchtungssystem Solareye berücksichtigt vor allem Belange des Natur- und Emissionsschutzes und macht Wege doch gut erkennbar.
Solarenergie für dunkle Strecken
Einen anderen, deutlich preisgünstigeren Anwendungsfall von Solarenergie bietet der britische Hersteller Solareye. Hier geht es nicht darum, Solarenergie in Netzstrom zu überführen – sondern darum, die Sonnenkraft für die Verkehrssicherheit zu nutzen. Konkret produziert das britische Familienunternehmen Module aus Reflektor, Lampe und Batterie, die sich in einen bestehenden Radweg- oder Gehwegbelag einbauen lassen. „Die meisten Menschen möchten einen beleuchteten Radweg haben“, argumentiert Will Clarke, Vertreter des Unternehmens, „doch offensichtlich gibt es an vielen Stellen Gründe, warum man kein fest verbautes Straßenlicht aufstellen kann, etwa ökologische Argumente und den Schutz gefährdeter Arten.“
Der Ausgangspunkt für das eigene Produkt sei daher ein ökologischer gewesen, sagt Clarke. Anders als solarbetriebene Straßenlaternen lasse sich das in den Weg eingebaute System jedoch auch in nordeuropäischen Winternächten sinnvoll betreiben, denn es ist per se energiesparend. Sparsam ist das System allemal: Clarke rechnet mit Kosten von etwa 6000 Euro pro Kilometer Radweg, wenn alle zehn Meter eine Leuchte im Weg verbaut wird. Solareye hat seine Produkte nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kontinentaleuropa an Kommunen gebracht. Die Lebensdauer dieser Lösung beziffert Clarke mit acht Jahren, wobei man in der Realität eher von elf Jahren ausgehen könne. Zudem gibt es eine zweijährige Garantie.
Bilder: Oscar Timmers – CAPA Pictures, Raphael Hild, Lindsay Fowke