Betroffene bei Planungen mitentscheiden zu lassen, ist wichtig, aber manchmal komplex. Mithilfe von Virtual und Augmented Reality lassen sich Planungsvorhaben darstellen und vor allem einfach kommunizieren.
(erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2025, Juni 2025)

Geringe Einstiegshürden oder ausgefeilte Virtualität: Je nach Zweck kann man bei VR und AR mit unterschiedlicher Technologie arbeiten.
Man stelle sich ein Katastrophen-Szenario vor, etwa ein Großfeuer in einem riesigen Gebäudekomplex. Um den Einschluss von Menschen zu verhindern und deren Rettung zu erleichtern, bräuchten Einsatzleitungen detailliertes Wissen von den Plänen der Gebäude – nicht nur der Flächen, auch der Not- und sonstigen Ausgänge, Infrastruktur-Schächte, Feuerschutztüren und Ähnlichem. Dann können Einsatzleiterinnen sofort auf deren Lage zurückgreifen und ihre Einsatzhelferinnen entsprechend steuern. Gekoppelt mit Ortungssendern kann man außerdem den Standpunkt jeder Einsatzkraft in Echtzeit tracken und so direkt die entsprechenden Anweisungen geben. Immer mehr dieser hochdetaillierten Pläne, die alle funktionalen Ebenen abdecken, werden tatsächlich als digitales Format entwickelt. Diese sogenannten digitalen Zwillinge und andere „digitale Realitäten” helfen weiter, wenn es um die Rettung von Menschen geht – aber auch bei vielen anderen Aufgaben. Es gilt, zwischen Virtual Reality – die oft auf digitalen Zwillingen beruht – und Augmented Reality zu unterscheiden. In der Radverkehrsplanung finden die jungen Technologien im Bereich der Bürgerbeteiligung bereits Verwendung.
Virtual oder Augmented Reality?
Funktionen und Unterschiede
Virtual Reality ermöglicht, in eine scheinbar ganz von unserer Umgebung verschiedene Welt einzutauchen. Die tatsächliche Umgebung wird dabei vollkommen ausgeblendet. Hierfür braucht es als spezielle Hardware VR-Brillen, die eine komplett andere Realität als Ganzes erscheinen und „erleben“ lassen und die tatsächliche Umgebung verschwinden lassen. Diese Technologie wird oft für Gaming eingesetzt und ist lange Zeit vor allem hierfür entwickelt worden. Augmented Reality bildet die Realität um den Betrachter herum ab, macht es aber möglich, darin neue, virtuelle Elemente erfahrbar zu machen. Die eigentliche Umgebung ist also wesentlicher Teil der Szene. Betrachter*innen können die tatsächliche Realität um virtuelle neue Details, etwa geplante Rad-Infrastruktur auf der Straße, erweitern. Meist wird Augmented Reality derzeit auf einem Smartphone oder Tablet realisiert, aber spezielle Brillen sind auf dem Vormarsch.
Mit VR und AR einfache Zugänge schaffen
Bei Planungen muss man „sehr komplexe Daten möglichst einfach kommunizieren, um sie für Außenstehende zugänglich zu machen. Das kann sehr schwierig sein“, erklärt Dr. Carolin Stein vom FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe. Deshalb wurde dort das House of Participation geschaffen, ein Kompetenzzentrum für digitale Partizipation und Demokratie. Die durchgeführten Projekte werden teilweise von Land oder Bund sowie von privaten Trägern gefördert und arbeiten mit konkreten Nutzungsszenarien. So wird die Weiterentwicklung von Planungsumsetzungen in den Projekten begleitet. „Seit 2013 sind wir am FZI in vielen Projekten mit der zentralen Frage beschäftigt: Wie können wir Bürgerbeteiligungen unterstützen? Wie können wir komplexe Daten erlebbar machen?“, so Stein. Ein Beispiel: Für den Umbau des Zoologischen Stadtgartens Karlsruhe wurde im Projekt TakePart eine ganz neue Partizipations-App entwickelt. Die eigentliche Software-Entwicklung übernehmen dabei Projektpartner. Für das Team von Dr. Stein ging es vor allem um die Frage, wie so eine VR-App aussehen sollte.Dazu werden, sozusagen in Laborumgebung, Prototypen getestet. Im House of Participation geht man in die Breite: „Bürgerbeteiligung kann vieles“, sagt Stein. „Es gibt Stufen wie informieren, konsultieren oder zusammenarbeiten.“ Der klassische Kartendialog, bei dem Vorschläge oder Planungen auf einer analogen oder digitalen Karte, meist symbol-artig, verortet werden, ist ein niedrigschwelliges und etabliertes Partizipationsverfahren. Durch den Transfer in VR können sich Teilnehmende unabhängig von ihrem Aufenthaltsort direkt in den Planungsraum hineinversetzen und sich so ein besseres Bild von dem Ort machen, zu dem Ideen gesammelt werden. Bei konkreten Bauvorhaben hingegen kann VR zur Diskussion von abstrakten Zukunftsvisionen eingesetzt werden. Es kann anschaulich gezeigt werden, wie das Bauprojekt oder Varianten nach Fertigstellung aussehen werden. In beiden Fällen unterstützt VR die Vorstellungskraft der Bürger*innen und ermöglicht eine differenzierte Beteiligung – vom frühen Ideensammeln bis zur Diskussion konkreter Entwürfe.
Beim Projekt TakePart konnten Interessierte per VR sowohl die Einpassung des Hauses vor Ort und die Form des Geheges als auch in die Hütte selbst sehen. Dabei wurden zur Visualisierung Aufnahmen des alten Geheges gemacht und 3D-Modelle erstellt. „Augmented Reality ist insbesondere spannend, wenn ich vor Ort bin“, erklärt Dr. Stein. Denn dann können zum realen Ort noch virtuell die geplanten Veränderungen hinzugegeben werden.


Über die Ausführung des Umbaus der Luzerner Bahnhofstraße wurde schon vor Jahren unter anderem mithilfe von AR entschieden. Sie floss als Grundlage in das Forschungsprojekt „Augmented Planning“ ein.
Noch in der experimentellen Phase
Allerdings gibt es auch noch Skepsis. „Der Einsatz von Augmented Reality in partizipativen Planungsprozessen befindet sich noch in einer experimentellen Phase“, erklärt Tobias Matter von der Hochschule Luzern (HSLU). „Hier setzt unsere Forschung an: Gemeinsam mit Praxispartner*innen entwickeln wir Methoden und Werkzeuge, die den Weg in eine breitere und nachhaltige Anwendung ebnen sollen.“ Mattner ist als Projektleiter und Dozent tätig und leitet das Forschungsprojekt „Augmented Planning“, das untersucht, wie Augmented Reality demokratische Planungsprozesse erweitern und neue Beteiligungsformen ermöglichen kann. „Neben technischen Limitierungen – etwa durch Hardware oder Internetverbindung – stellen methodische Aspekte wie Zugänglichkeit, Moderation und Integration in bestehende Planungsprozesse zentrale Herausforderungen dar.“ Diese zeigten sich besonders deutlich in der praktischen Umsetzung partizipativer Formate. „Zugang zur Technik und gute Bedienbarkeit sind zentrale Komponenten“, so Matter. „Das klassische Smartphone übernimmt hier eine immer wichtigere Funktion.“ Dank WebAR, die direkt auf dem Browser verfügbar ist, kann man Augmented Reality heute für gewisse Anwendungszwecke direkt ohne App nutzen. „Der Verzicht auf Downloads von Apps kann entscheidend sein, um eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglichen.“ Im Rahmen des Pilotprojekts zwischen der Hochschule und der Stadt Luzern untersuchten beide gemeinsam, wie Augmented Reality als Erweiterung zur anschaulichen Vermittlung der geplanten Umgestaltung an der Bahnhofstraße eingesetzt werden kann – mit dem Ziel, der Bevölkerung eine Entscheidungsgrundlage für die politische Abstimmung zu bieten. Mit der dann entwickelten AR-Anwendung konnten die Teilnehmenden während geführter Spaziergänge mit Tablets direkt vor Ort erleben, wie sich die geplante Neugestaltung an der Bahnhofstraße räumlich auswirken wird. Das Bauvorhaben wurde auf dem Tablet räumlich sichtbar in die reale Welt integriert. Zu sehen waren eine weitere Baumreihe und eine neue Fahrradstation an den jeweiligen Plätzen.



Vor allem in puncto Verkehrsberuhigung und Umwidmung unter Gesichtspunkten einer neuen Mobilität können virtuelle und augmentierte Realität helfen, Veränderungen zu erleichtern.
Als die Bilder klingen lernten
Das Pilotprojekt in der Bahnhofstraße zeigte erstmals auf, wie AR bestehende Kommunikationsmittel methodisch erweitern kann. Auf dieser Grundalge entstand das fortlaufende Forschungsprojekt „Augmented Planning“, welches Innosuisse fördert. „An AR sind die dynamischen und interaktiven Möglichkeiten besonders interessant: Wir können ortsspezifisch geplante Veränderungen sichtbar machen und sie auch in ihrer zeitlichen Entwicklung darstellen. So lassen sich zukünftige Bauvorhaben etwa über verschiedene Jahreszeiten hinweg erleben“, so Matter.
Ein innovativer Aspekt des Projekts ist die Integration akustischer Simulationen in AR-Visualisierungen. Bei Umgestaltungen im Infrastrukturbereich verändern sich auch hörbare Umweltqualitäten. Im Projekt wurde erprobt, wie sich das etwa beim Einblenden einer bestimmten Schutzmauer vermitteln lässt.
„Bauvorhaben lassen sich über verschiedene Jahreszeiten hinweg virtuell erleben.“
Tobias Matter, Hochschule Luzern
Eine Frage der Skalierung?
Einen anderen Gesichtspunkt konnte man aus Erfahrungen in Schwerte ziehen: 2020 startete die Ruhrgebietsstadt ein gefördertes Projekt in Sachen Stadtplanung und Bürgerbeteiligung mit Augmented Reality. Technische Grundlage: das 5G-Netz. Zu einem eigenen 5G-Campus-Netz wurde eine AR-Anwendung entwickelt. Das „Smart-CityVisAR“ wurde mit den Hauptpartnern TU Dortmund, der Universität Duisburg-Essen und dem Software-Unternehmen Adesso Mobile Solution durchgeführt. „Bei dem Projekt ging es um ein fiktives Plangebiet in Bahnhofsnähe“, erklärt der Leiter des Büros Smart City der Stadt Schwerte, Tristan Richter. Von Student*innen, Stadt und Regionalplanung kamen Entwürfe, die Adesso in der Software umsetzte. „Man konnte ihn sich im Plangebiet mit dem Handy oder Tablet ansehen, egal ob Apple oder Android. „Wir haben quasi eine Bürgerbeteiligung simuliert, die Probanden waren unter anderem Mitarbeiter aus der Verwaltung und Politik sowie Laien.“ Der Zugang zur Beteiligung erfolgte über zwei QR-Codes. Auf verschiedenen Levels ließen sich Details einspielen.
Über die App konnte man auch das Feedback der Beteiligten einholen, welches insgesamt positiv ausfiel. Die App erleichtere es erheblich, die städtebaulichen Entwürfe zu verstehen. Sie biete enormes Potenzial, vor allem auch zusätzlich in der auditiven Ebene, schlussfolgerte man zum Ende des Projekts Mitte 2024.
Die Projektverantwortlichen zogen einen weiteren wichtigen Schluss. Beteiligung per AR macht für Laien erst ab einem hohen Detaillevel Sinn, das die Software liefern können muss. Das ist aufwendig und teuer. Die gemeinsam entwickelte und „im Labor getestete“ App funktioniert, „aber nur bei absoluten Großprojekten lohnt sich der finanzielle Aufwand im Verhältnis zum Beteiligungsnutzen“, meint Richter. Digitale Bürgerbeteiligung ist letztendlich eine Frage der Förderung. „Augmented Reality finden alle Beteiligten sehr gut und sinnvoll, die Bürgerbeteiligung lässt sich damit wirklich vereinfachen. Damit es sich aber wirklich lohnt, brauchen wir Geschäftsmodelle, mit denen man in die Skalierung kommt. Marktfähige Preise sind notwendig.“

Tourismus mit digitaler Unterstützung
Viele Entwicklungen im Bereich der Augmented Reality stammen aus der Erfahrung mit digitalen Spielen. So hat das Unternehmen SpotAR auch Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungskonzepten. SpotAR ist unter anderem Teil eines Partizipationsprojekts zum neuen „Digitalen Lern- und Arbeitszentrum“, das derzeit in Soest in Westfalen entstehen soll. „Heute ist diese Art der Bürgerbeteiligung aber noch sehr aufwendig“, sagt der Unternehmensgründer Victor Waal. Das liegt zum großen Teil an den Modellen, die für die Planung, erstellt werden müssen. „Der Aufwand ist groß im Vergleich zum Nutzen“, heißt es auch hier. Dennoch sei man ganz allgemein in der Entwicklung auf einem guten Weg, und „unter anderem die künstliche Intelligenz trägt bald dazu bei, dass diese Verfahren günstiger werden.“ Derzeit sei man aber vor allem damit beschäftigt, digitale und teils historische Stadtführungen zu erstellen. Webbasiert (kein Herunterladen notwendig) und mit jedem Smartphone kompatibel haben diese Web-Apps viele Vorteile und sind vor allem extrem flexibel einsetzbar und personalunabhängig. „Der Tourismus ist für uns derzeit das Fokusthema“, sagt der Gründer.
Bilder: HLSU, MXR Storytelling GmbH, TU Dortmund – Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung, TProjekt Take Part

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