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Der Mountainbike-Tourismus spürt die Auswirkungen der menschengemachten Klima-krise immer deutlicher. Vermehrte Hitzewellen und Starkregenereignisse fordern Trail-Bauer*innen heraus. Die Mountainbike-Branche steht vor immensen Herausforderungen und muss sich an die Klimawandelfolgen anpassen – aber es gibt auch Chancen.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Dass einem das Wetter regelrecht den Urlaub durchkreuzt – die Erfahrung machten drei junge Menschen während ihrer Alpenüberquerung von Garmisch-Partenkirchen nach Garda mit dem Mountainbike. Durch starke Unwetter waren Teile der Strecke weggebrochen. Meterbreite Löcher und umgefallene Bäume zwangen sie, einen dreistündigen Umweg zu fahren. So zeigt es eine Szene der Doku „Das ist Alpencross“ des Deutschen Alpenvereins (DAV) von 2024. Egal ob Trails in den Alpen, in Mittelgebirgen oder Wäldern, von Vereinen oder professionellen Bikeparks, abfahrtsorientierten oder flacheren Regionen – die menschengemachte Klimakrise macht sich im Mountainbike-Sport mit wahrscheinlicher werdenden Extremwettern wie Starkregen, Hitze und Dürre bemerkbar. Die klimatischen Veränderungen führen in Deutschland und Österreich zu wärmeren Sommern und milderen Wintern, mit häufigeren Extremwettern. Durch Dürren, Schädlinge und Waldbrände in trockenen Sommern verschlechtert sich auch der Zustand der Wälder. In den Alpen taut der Permafrost auf. Anpassungs-Management ist da auch bei den Anbieter*innen von Mountainbike-Tourismus angesagt.

„Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“

Jörn Hessen, Mountainbike Forum Deutschland

Vom Trail zum reißenden Bach

Gutes Wasser-Management sei schon immer Thema beim Trail-Bau gewesen, erklärt Jörn Hessen vom Mountainbike Forum Deutschland. „Aber durch den Klimawandel gewinnt es eine völlig neue Bedeutung, da sich durch die zunehmenden Starkregenfälle ein Trail in einen reißenden Bach verwandeln kann.“ Mittlerweile sei Wasser-Management Priorität und oft ausschlaggebend für Streckenverlauf und Design. Drainagen, Ablaufmulden sowie ein gleichmäßiges, nicht zu steiles Gefälle helfen, große Wassermassen abzuleiten. Noch vor ein paar Jahren sei wenig Wert auf ein „exaktes Durchschnittsgefälle“ gelegt worden. Doch mittlerweile wisse man, dass zu steile Passagen „mit Ansage weg erodieren“. Auch könne es helfen, bestimmte Trail-Abschnitte mit Steinen anzulegen und nur die Zwischenräume mit Erde zu füllen, da das weniger ausschwemme und leichter zu reparieren sei.
Auch Hessens Weihnachtsurlaub 2024 nach Norditalien in die Mountainbike-Region Finale Ligure fiel fast ins Wasser, da dort Mitte Oktober heftige Unwetter wüteten und die Trails stark beschädigten. Durch Crowdfunding konnten diese relativ schnell instand gesetzt werden. Außerdem versucht die Region bereits seit ein paar Jahren, die Trail-Pflege auf neue finanzielle Beine zu stellen. Wird mit einer speziellen Karte beziehungsweise App etwa im Restaurant gezahlt, geht ein Prozent des Umsatzes in die Trail-Pflege. Das Modell würde gut funktionieren, so Hessen.
Nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig Regen kann für die Trails zum Problem werden. Die Erde trocknet aus. „Anliegerkurven – Steilkurven – verhärten, werden wie Ton gebrannt und brechen dann einfach weg. Der Trail zerbröselt“, beschreibt Hessen. Betroffen seien insbesondere modellierte Passagen, die der Sonne ausgesetzt sind. „Schadensbegrenzung“ könne durch händisches Bewässern betrieben werden. „Das ist ein riesiger Aufwand“, aber sei im kommerziellen Bereich immer zwingender. Der kanadische „Whistler Mountain Bike Park“ – der größte der Welt – sei stets einen Schritt voraus. Dort habe man schon vor etwa zehn Jahren begonnen, automatisierte Bewässerungssysteme zu installieren. Das werde vermutlich auch in Europa nötig, schätzt Hessen. Auch das Trail-Design werde sich wegen der zunehmenden Hitze verändern. „Anliegerkurven werden nur noch in schattierte Bereiche gebaut werden“, prognostiziert Hessen.

Aufgrund der Klimakrise müssen Mountainbiker*innen flexibler werden, da zunehmende plötzliche Extremwetterereignisse sie zwingen können, ihre Route anzupassen.

Steile Passagen empfiehlt Hessen mit erosionsfestem Material wie Steinen zu befestigen. Die mit Erde gefüllten Zwischenräume werden zwar ausgewaschen, aber können leichter ausgebessert werden.

Fatale Kombi: Erst Dürre, dann Regen

Die Kombination aus langer Trockenphase und heftigen Regenfällen sei laut Hessen „fatal für Trails“, insbesondere für abfahrtsorientierte. „Durch Trockenheit bildet sich Abrieb, weil Kurven wegbrechen, das lagert sich dann samt Steinchen und feinem Geröll in einer Senke ab. Wenn dann Stark-regen kommt, wird unheimlich viel Bodenmaterial von A nach B transportiert.“ Sowas führe nicht selten zu wochenlang gesperrten Trails. Besonders ehrenamtliche Vereine kämen an ihre Grenzen. Eine italienische Trail-Bau-Firma experimentiere deshalb mit verschiedenen Pflanzen, um Trails durch Randbegrünung und besseres Wurzelwerk vor Erosion zu schützen, berichtet Hessen.
Der Mountainbiker ist auch in Freiburg in einem lokalen Mountainbike-Verein aktiv. Das Streckennetz zwischen den Hausbergen Rosskopf und Kybfelsen wird durch Trail-Patenschaften gegen Aufwandsentschädigung oder auf Minijob-Basis gepflegt. Die geänderten Klimabedingungen machen das immer herausfordernder. Letztes Jahr wurden im Rahmen einer Schulung das Wasser-Management an neuralgischen Passagen verbessert oder steilere Abschnitte ein paar Meter zur Seite verlegt.
Zunehmender Borkenkäferbefall und weitere klimabedingte Waldschäden führen zudem zu mehr Totholz im Wald. Das könne ein Risiko für die Erholungsfunktion darstellen, so Hessen. Aber da ein gewisser Totholzanteil den Wald langfristig widerstandsfähiger gegen die Klimakrise mache, sei das Mountainbike Forum Deutschland für gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Umbau zu klimaresilienten Wäldern fördern. „Der Wald ist notwendig für unseren Sport. Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“ Da es in Zukunft voraussichtlich noch weniger intakten Wald geben wird, stehe die Frage im Raum, ob und wie das Mountainbiken in manchen Regionen ohne Wald funktionieren kann, so Hessen. Derartige Strecken seien technisch möglich, aber für viele Mountainbiker*innen unattraktiv und als „Murmelbahnen“ verschrien. „Wir sind auf eine gesunde Natur angewiesen.“

„Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“

Ines Buchgeher, Bikepark Wexl Trails

Wald, Mittel- und Hochgebirge betroffen

„Bisher schaffen unsere Streckenpfleger, die entstandenen Schäden zu beheben“, berichtet Stephan Marx vom Mountainbikepark Pfälzerwald über das dortige Streckennetz, welches über 900 Kilometer lang ist. „Zum Teil müssen wir aber mit temporären Umlegungen reagieren, die wir dann nach und nach wieder instand setzen.“ Zwar habe es auch früher Stürme, Stark-regen oder Trockenheit gegeben, aber in den letzten Jahren seien sie „gehäuft“ vorgekommen und der Pflegeaufwand gestiegen. Besonders die Kombination von Trockenphasen, die den eher sandigen Boden im Pfälzerwald auflockern, und folgende Starkregen führten zu mehr Erosionsschäden. Außerdem führten „die sehr trockenen Jahre – mit Ausnahme von 2024 – zu sehr viel Totholz, abgestorbenen Ästen, die dann bei stärkerem Wind zu Boden fallen“, so Marx.
Nicolas Gareis vom DAV spricht von „ganz vielfältigen Auswirkungen“ der Klimakrise auf alle Bergsportarten. Der DAV kümmert sich insbesondere in den Alpen um die Wege, größtenteils ehrenamtlich. Durch die Klimawandelfolgen habe die Wegepflege eine „andere Dimension“ angenommen. Es entstünden „ein enormer Arbeitseinsatz“ und Mehrausgaben, so Gareis. Etwa, „wenn ein Teil vom Weg durch eine Mure zerstört oder eine Brücke weggerissen wird, weil der Gebirgsbach zum reißenden Strom geworden ist.“ Da sei schweres Gerät notwendig und es gehe mitunter um die Verlagerung von Wegen nach einem Hangrutsch. Mountainbikerinnen müssten dann entweder ihr Fahrrad durch ein Geröllfeld tragen oder einen Umweg in Kauf nehmen. Um die Wege instand zu halten, werden die Ehrenamtlichen durch Expertinnen unterstützt. Eingeschränkte Nutzbarkeit oder gesperrte Wege führen außerdem zu der Gefahr, dass andere Wege überstrapaziert werden und Nutzungskonflikte entstehen. In den Alpen kommen Herausforderungen wie tauender Permafrost und vermehrter Steinschlag dazu. So sieht sich der DAV mit der „schmerzvollen“ Frage konfrontiert, ob das komplette Wegenetz aufrechtzuerhalten ist. Die Klimakrise ziehe einen ganzen „Rattenschwanz“ nach sich, so Gareis. Wassermangel auf Berghütten könne dazu führen, dass diese früher schließen müssen.

Koordination nach Unwettern

Mehr Arbeit durch Extremwetter merkt auch Ines Buchgeher vom Bikepark Wexl Trails in Niederösterreich: „Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“ Teilweise mussten Wege gesperrt werden. Wichtig sei, genügend Drainagen zu verbauen, damit das Zusammenspiel zwischen Wasser und Weg passt. Nach einem Unwetter müssen Strecken gecheckt, Bäume aus dem Weg geschafft, Löcher ausgebessert, Streckenabschnitte gesperrt und Wege umgeleitet werden, zählt sie auf. Angewiesen sei man da auf flexibles Personal und gute Zusammenarbeit mit den Grundstücksbesitzenden und Förster*innen, um Informationen über den Strecken-status auszutauschen und Gäste vor Gefahren zu schützen. Das erfordere Organisation und Handarbeit: „Super wär’s, wenn man einen Trail-Roboter für Strecken-Checks hätte“, lacht sie. Durch ein „penibel angelegtes Entwässerungssystem“ habe man Wassermassen mittlerweile gut im Griff, so Philip Wiedhofer, Trail-Designer der Wexl Trails. Beim Planen versuche er, die Strecken möglichst durch den Wald zu führen, da Bäume den meisten Schutz vor Umwelteinflüssen böten. Außerdem versuche er „mit der Natur zu bauen“, etwa Jump-Lines bei natürlichen Hügeln. Im Sommer sei es auf den Wexl Trails zu trocken, wodurch die Fahrspur nicht gut binde und leicht bröckle. So werde das Timing beim Trail-Bau immer wichtiger. „Wir versuchen die Arbeiten, wo wir Feuchtigkeit im Untergrund brauchen, im Frühling, Herbst oder nach einer Regenphase zu machen, in den Sommermonaten arbeiten wir dann kleinflächiger meist nur händisch.“ Auch verfolge der Wexl Park die Idee einer automatisierten Bewässerung.

Durch gutes Wasser-Management und Trail-Design versuchen Bike-Parks, die zunehmenden Extremwetterereignisse abzufedern. Spuren hinterlässt ein Unwetter dennoch, wie hier bei den Wexl Trails im September 2024.

Mehr Hände nötig

Mountainbikerin und Ehrenamtliche Lisa Ribarich stellt bei den Anninger Trails bei Wien einen „steigenden Wartungsaufwand“ durch die Klimakrise fest. Die unterschiedlichen Bodenverhältnisse, die durch die Klimakrise noch mehr zum Tragen kommen, sind für den Verein dabei besonders herausfordernd. Auf der südlichen Seite der Anninger Trails sorge das kalkhaltige Gestein in Kombination mit dem Schwarzkiefernwald für trockene, durchlässige Böden mit dünner Humusschicht, was die Erosionsanfälligkeit erhöhe. Die Nord- und Westseite sei dagegen von lehmigen, feuchteren Böden geprägt, die zu Staunässe neigten. An der Südseite müsse für Kurven aufwendig Erde „zusammengekratzt“ werden – durch verbessertes Wasser-Management wollen sie erreichen, dass die Kurven bei Starkregen nicht weggeschwemmt werden. Um das Wasser abzuleiten, schaufeln sie rechts und links der Trails etwa fünf Zentimeter breite und ein bis zwei Meter lange Rinnen. „Manche Parks verlegen etwa Kanalrohre, die Möglichkeit haben wir als kleiner Verein nicht.“ Es sei herausfordernd, genug ehrenamtliche Hände für den wachsenden Wartungsaufwand zu mobilisieren.
Ribarich will Mountainbiker*innen schulen, damit sie dosiert bremsen und keine Bremsfurchen entstehen, die Trails anfälliger für Erosion machen. Um ein „respektvolles Miteinander von Natur und Sport“ zu ermöglichen, seien zudem „Ruhezonen“ im Wald wichtig.

„Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“

Nicolas Gareis, Deutscher Alpenverein

Bike statt Ski als Chance

Gareis vom DAV sieht auch Chancen für den Mountainbiketourismus durch das veränderte Klima, da sich Saisonzeiten verlängern. Bis spät in den Herbst und bereits früh im Frühjahr könne Mountainbike gefahren werden. Gerade in Mittel-gebirgen entdecken vormals reine Wintersportdestinationen das Mountainbiken für sich. Auch weil sich der Wintersport immer weniger lohne, so Gareis. Hänge, die im Winter als Skipiste genutzt werden, werden nun für Bikerinnen im Sommer freigegeben. Zwar liege der Arbeitsschwerpunkt des DAV im alpinen Raum, aber die Konsequenz durch die Klimakrise sei auch, dass sie ihre Arbeit verstärkt in die Mittelgebirge verlagern, wo viele Sektionen heimisch sind. Der DAV will diese Regionen „zukunftsfest“ machen. „Mountainbiken wohnortnah auszuüben ist auch gut fürs Klima, weil man das Auto stehen lassen kann.“ Mehrere Destinationen in Deutschland, etwa im Sauerland oder im Fichtelgebirge, setzen bereits auf diese Strategie. Auch die Wexl Trails sehen wirtschaftliche Chancen in der längeren Saison. Es soll nun sogar ein zweiter Bikelift entstehen, um einen hybriden Betrieb von Skifahren und Mountainbiken zu ermöglichen. Für ein „neues Biker-Mindset“, so Buchgeher, müsse auch die Werbung angepasst werden. Nicht nur „Sommer, Sonnenschein pur“, sondern auch Fotos vom Mountainbiken in grauer, nebelbedeckter Landschaft. „Hauptsache bewegen, Hauptsache draußen“, so ihr Motto, um den „Winterblues“ bei Mountainbikerinnen vergessen zu machen. Marx vom Bike-Park im Pfälzerwald sieht dagegen eher Risiken und keine Chancen durch die Klimakrise.
Flexibilität sei in Zukunft hinsichtlich der Wege, der Saisonzeiten und der Tourengestaltung gefragt, sagt Nicolas Gareis. „Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“ Diesem Wunsch nachzukommen, wird heraufordernder. Das Mountainbiken wird weiter nach neuen Wegen suchen müssen.


Bilder: Wexl Trails, www.flyer-bikes.com – pd-f, Evergreen

Mit dem Klimawandel gehen Wissenschaftler davon aus, dass sommerliche Hitzeperioden öfters eintreten, länger dauern und extremer werden. Dazu kommt ein oft unterschätzter Faktor: In den zunehmend verdichteten Städten bilden sich Hitzeinseln, die Menschen nicht nur beeinträchtigen, sondern auch gefährliche bis tödliche Wirkungen entfalten können. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Ist Deutschland auf heiße Sommer vorbereitet? Wenn man in den letzten Hitzeperioden in größeren Städten unterwegs war und mit den Menschen gesprochen hat, dann wohl eher nicht. Ab Mittag fast nicht aushaltbare Temperaturen auf kaum beschatteten Straßen und auch nachts wenig Abkühlung. Fahrradfahren und zu Fuß gehen wird zur Qual, in Bussen und Bahnen sieht es nicht besser aus und die wenigen Plätze, die Abkühlung versprechen, sind schnell überlaufen.

Die gefühlte Realität in Deutschland bestätigen auch aktuelle Untersuchungen von Wissenschaftlern. Im Dezember 2020 im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte Modellrechnungen zeigen, dass die Zahl der Hitzetoten hierzulande im weltweiten Vergleich weit vorn liegt und in den letzten Jahren stark gestiegen ist. So habe die Zahl der Hitzetoten in den Jahren 2014 bis 2018 in Deutschland im Schnitt bei 12.080 gelegen. Das seien 3.640 Hitzetote mehr als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004. Gründe seien die Zunahme der Hitzetage pro Jahr in Kombination mit dem steigenden Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre und zudem auch der hohe Urbanisierungsgrad in Deutschland.

Für die Zukunft rechnen die Forscher mit einer weiteren Verschärfung der Situation. Betroffen von dieser Entwicklung ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Mobilität. Auch ohne Studienergebnisse kann man davon ausgehen, dass in Hitzeperioden Mobilitätsformen der Vorzug gegeben wird, die als angenehm empfunden werden. Dazu zählen vor allem klimatisierte oder offene motorisierte Fahrzeuge, die wenig Anstrengung und Fahrtwind garantieren und die keine Schutzkleidung erfordern, also zum Beispiel E-Bikes, E-Tretroller oder Motorscooter.

Mobile Sprühnebel helfen bei Backofentemperaturen als Sofortmaßnahme.

Schweizer Erkenntnisse und Strategien

Nach dem Hitzesommer 2015, in dem die Schweiz Gletscherschmelze, dürre Bodenvegetation, Wasserknappheit und 800 Hitze-Todesfälle mehr als in einem normalen Jahr registrierte, haben die Eidgenossen in einer Studie die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt analysiert und bilanziert.

„Schweizer Städte: Bis zu 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland.“

Fachbericht MeteoSchweiz

Vor allem die Städte seien durch die hohe Bevölkerungs-, Gebäude- und Infrastrukturdichte besonders von der Klimaänderung betroffen. Ohne Anpassungsmaßnahmen führe das zu einer spürbaren Verminderung der Aufenthalts- und Lebensqualität, der Gesundheit und einem höheren Mortalitätsrisiko. Vor allem betroffen waren dabei ältere Menschen. Nötig seien deshalb Hitzepläne zum Schutz der Bevölkerung und der verstärkte Kampf gegen den weiteren Klimawandel.

Kritisch gesehen werden die hohen Tagestemperaturen, aber vor allem auch die fehlende Abkühlung in der Nacht. Damit kommt es in den Städten zu einem Backofeneffekt: Im Maximum wurden an den untersuchten Stationen rund 6 bis 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland verzeichnet. In den wärmsten Nächten sank die Temperatur in den Stadtzentren nicht unter 24 bis 25°C ab. Insgesamt ist die Anzahl der Tropennächte in den Städten deutlich höher als auf dem Land, während die Anzahl der Hitzetage nur wenig erhöht ist. Auch die Stadt Basel geht davon aus, dass die Wärmebelastung weiter zunehmen wird. So bringt selbst der Rhein nachts keine Kühlung, sondern strahlt aufgrund der hohen Wassertemperatur noch zusätzlich Wärme ab. Deshalb setzt Basel auf ein Stadtklimakonzept, mit neuen Grünräumen, einer besseren Luftzirkulation und Zufuhr von Frischluft aus dem Umland.

Simulationen belegen Effekte bekannter Maßnahmen

Für die Zürcher Altstadt wurden Computersimulationen für den dortigen Münsterplatz vorgenommen. Ein Großteil des Platzes ist mit Pflastersteinen bedeckt, der Rand betoniert und es gibt keine Bäume, die Schatten spenden würden. Zudem ist der Münsterhof auf fast allen Seiten von Gebäuden umgeben. Messungen zeigten, dass sich gerade die Fassaden durch die Sonneneinstrahlung beträchtlich erhitzen. Mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen lassen sich signifikante Verbesserungen erzielen: Die Temperaturen wären deutlich niedriger, wenn der Platz nicht gepflastert, sondern mit Erde und Gras bedeckt wäre. Schon die Umwandlung eines Viertels der gepflasterten Fläche durch einen anderen Bodenbelag würde gemäß der Simulation ausreichen, um den Backofen zu entschärfen. Noch deutlicher würde das Ergebnis ausfallen, wenn hier Bäume stünden. Durch den Schatten und die Transpiration der Bäume würde die Hitzebelastung erheblich verringert und die gefühlte Temperatur auf weiten Teilen des Platzes um 2 °C und in der Nähe von beschatteten Fassaden sogar um bis zu 4 °C sinken.


Zum Vertiefen:

Untersuchungen und Studien zeigen einen dringenden Handlungsbedarf

The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding
to converging crises
“ (Dezember 2020).
Die aktuelle Analyse von Klimaveränderungen mit Prognosen für die Zukunft gibt
es nach Registrierung kostenlos zum Download.

Der „Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 273, Städtische Wärmeinseln in der Schweiz – Klimatologische Studie mit Messdaten in fünf Städten“ wird ebenfalls zum Download angeboten.


Bilder: stock.adobe.com – Dmitry Vereshchagin / Xato Lux

Keine weiteren Lippenbekenntnisse, sondern mehr Raum fürs Rad und zwar sofort fordert Verkehrsforscher Prof. Dr. Andreas Knie. Der Berliner Politologe und Soziologe sieht gute Chancen für eine Rad-Verkehrswende. Die Bevölkerung in den Großstädten sei hier schon viel weiter als die Politik. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Herr Professor Knie, die Länder wollen mehr Radverkehr, die Kommunen wollen es und selbst der Verkehrsminister hat sich kürzlich zum Fahrradminister erklärt. Man fragt sich also, wo gibt es eigentlich ein Problem?
Das Problem ist, dass das alles Lippenbekenntnisse sind. Wenn man mehr Fahrradverkehr haben will, dann muss man dem Rad mehr Raum einräumen. Das heißt schlicht, wenn man den Raum nicht erweitern kann, dann muss man den bestehenden Verkehrsmitteln Raum wegnehmen. Da geht es um das Automobil. Und da traut sich kein Verkehrsminister und kaum ein Bürgermeister in Deutschland ran.

Bevor man nach einer filigranen Lösung sucht, am besten einfach machen.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach grundlegend ändern?
In den letzten Jahrzehnten ist dem Auto immer mehr Platz eingeräumt worden. Und auch der unter anderem durch die StVO gesetzlich definierte Rahmen gibt dem Auto
quasi unbeschränkte Freiheit. Das muss man neu diskutieren, eine klare Position finden und diese auch in den politischen Alltag überführen. Das Fahrrad ist ein ideales Verkehrsmittel. 15 bis 20 Prozent der Wege könnten mit dem Rad oder dem E-Bike zurückgelegt werden.

Die Forderung nach weniger Raum für das Auto hört sich nicht besonders populär an. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es hier zu Veränderungen kommt?
Es gibt unseren Erkenntnissen nach die begründete Aussicht, dass der Kampf um mehr Platz fürs Rad aussichtsreich ist und dass er gewonnen werden kann. Wir behaupten, dass zwei Drittel der Menschen in den Großstädten bereit sind, dem Auto Raum zu nehmen und dem Fahrrad mehr Raum zu geben.

Wie kommt es zur wachsenden Bereitschaft für eine Rad-­Verkehrswende?
Es ist eine Entwicklung, die schon sehr lange vor sich hin wuchert. Langsam ist das Bewusstsein immer breiter geworden, dass das Rad gut ist, dass wir mehr Rad brauchen und dass tatsächlich auch immer mehr Menschen Rad fahren. Das Fahrrad ist einfach ein ideales Verkehrsmittel. Seit ein bis zwei Jahren ist den Menschen in der Stadt klar: Die Verkehrswende muss kommen. Das Signal ist so stark, dass das Thema in den letzten Jahren auch politisch diskutiert wird.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Verkehrsplaner und die Politik vor Ort konkret?
Zum einen muss man bereit sein, den politischen Kampf zu führen und Menschen zu überzeugen. Denn es müssen Parkplätze weggenommen und Fahrbahnen verengt werden. Im Weiteren geht es darum, Fahrradwege, Fahrradstraßen und Kreuzungen so zu führen und zu gestalten, dass sie sicher sind. Und zum Dritten muss das Problem angegangen werden, dass es auf Planerseite kapazitive Engpässe gibt. Planer und gerade Fahrradplaner sind heute selten.

Man muss bereit sein, den politischen Kampf zu führen und Menschen zu überzeugen.

Prof. Dr. Andreas Knie

Sollten die Verantwortlichen mehr auf Nachbarländer schauen und sich von ausländischen Experten beraten und unterstützen lassen?
Unbedingt! Denn das Gespräch, das wir jetzt führen, haben die Holländer zum Beispiel schon in den 1960er Jahren geführt und seitdem viel Erfahrung darin, wie es geht und was nicht geht. Holland ist das Mutterland des Radverkehrs. Hier kann man sich umschauen und Erfahrung schöpfen.

Wann sind Ihrer Meinung nach Veränderungen nötig?
Sofort! Das Klima duldet keinen Aufschub; die Probleme, die wir in den Städten haben, dulden keinen Aufschub. Es ist dringend nötig, hier sehr schnell zu agieren. Wir müssen jetzt ran an den Speck. Wir haben keine Zeit zu warten, sondern müssen dem Fahrrad jetzt den Raum geben, der diesem Verkehrsmittel auch gebührt.

Das Klima duldet keinen Aufschub; die Probleme, die wir in den Städten haben, dulden keinen Aufschub.

Prof. Dr. Andreas Knie

Verkehrsplanung dauert aber Jahre, oder?
Wir haben keine Zeit zu warten. Wir müssen das Fahrrad deshalb aus dem engen Korsett des Radwegs herausnehmen und auf die Straße stellen. Bevor man nach einer filigranen Lösung sucht, also am besten einfach machen und zum Beispiel eine Fahrspur oder Parkplätze für den Radverkehr umwidmen. Wichtig ist auch Tempo 30 in den Straßen, die keine Ausfallstraßen sind. All das lässt sich sehr schnell umsetzen.

Laut Prof. Knie sollten Kommunen „am besten einfach machen“ und zum Beispiel eine Fahrspur oder Parkplätze für den Radverkehr umwidmen.

Wie sehen Sie das Problem der vielen parkenden Autos in der Stadt?
Es gibt eine klare Flächenkonkurrenz. Dabei muss man sich klarmachen, dass das praktisch kostenlose private Abstellen des Autos im öffentlichen Raum eine politische Entscheidung war, um das Auto zu popularisieren und seine Attraktivität zu fördern. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass man diese Entscheidung jederzeit wieder ändern kann.

Wie sollten Veränderung in den Städten mit Bezug auf das Parken konkret aussehen?
Städte und Kommunen haben die Möglichkeit zu sagen, dass das Abstellen auf öffentlichem Grund nicht mehr erlaubt ist. Parkplätze können so beispielsweise problemlos in Radwege umgewandelt werden. Weitere wichtige Maßnahmen sind auch die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und das deutliche Anheben der Kosten für das Abstellen eines Pkws im öffentlichen Raum.

Im Regelfall ist ein Auto ja nur mit einer Person besetzt, das heißt, es sind noch vier Plätze verfügbar. Jedes private Auto kann so quasi zu einem kollektiven Bus werden.

Prof. Dr. Andreas Knie

Was sagen Sie zu den Menschen, die auf das Auto angewiesen sind? Zum Beispiel auf dem Land?
Viele haben von ihrer Biografie her nur das Auto im Kopf, wenn es um Mobilität geht. Aber auch auf dem Land kann man das Fahrrad oder für längere Strecken das E-Bike als Verkehrsmittel sehr gut nutzen, wenn man die passende Infrastruktur dafür schafft. Auf einer Bundesstraße zu fahren ist natürlich gefährlich, aber ein guter Radweg daneben schafft eine echte Mobilitätsalternative.

Intermodal und in seiner Heimat Berlin viel per „Call a Bike“-Rad unterwegs. Seinen Privat-Pkw hat Prof. Knie längst abgeschafft.

Und wenn man doch ein Auto braucht?
Die digitalen Plattformen bieten heute viele Möglichkeiten, Autos zu kollektivieren. Auch auf dem Land. Im Regelfall ist ein Auto ja nur mit einer Person besetzt, das heißt, es sind noch vier Plätze verfügbar. Jedes private Auto kann so quasi zu einem kollektiven Bus werden. Dazu kommt, dass sich im Zuge von Digitalisierung und Social Media das Verhältnis der Menschen zur Privatsphäre stark verändert hat. Mit Fremden nebeneinander im gleichen Fahrzeug zu sitzen, ist heute kein Problem mehr.

Prof. Dr. phil. Andreas Knie

Der Berliner Politik- und Sozialwissenschaftler zählt hierzulande zu den bekanntesten Verkehrsforschern. Im Jahr 2006 gründete Knie das Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und ist heute unter anderem Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Professor für Soziologie an der TU Berlin. Bis 2016 verantwortete er als Bereichsleiter Intermodale Angebote und Geschäftsentwicklung der Deutschen Bahn AG zudem die Einführung des DB ­Carsharing und des Radverleihsystems Call a Bike.


Bilder: Reiner Kolberg (Portrait Prof. Andreas Knie) , A. Bueckert/stock.adobe.com