Verkehrsknotenpunkte stellen sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der gefühlten Sicherheit Radfahrender entscheidende Elemente der Verkehrsinfrastruktur dar. Die gängigen Lösungen greifen häufig zu kurz. Unfallgefahren und Unsicherheitsgefühle bleiben bestehen. Es gibt jedoch auch verschiedene neue Ansätze, die insbesondere an größeren städtischen Kreuzungen die Sicherheitsansprüche Radfahrender besser berücksichtigen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)
Verkehrsknotenpunkte sind unfallträchtig. Ampeln, Protektionselemente und Co. können das allerdings beeinflussen.
Verkehrsknotenpunkte sind die unfallträchtigsten Streckenabschnitte für Radfahrende. Eine wesentliche Ursache für die Unfälle mit tödlicher Unfallfolge ist dabei, dass Lkw-Fahrer*innen überfordert sind. Sie müssen bei jedem Abbiegevorgang die direkte Sichtkontrolle durch Blicke nach vorne und zur Seite sowie in meist zwei Außenspiegel und einen Rampenspiegel durchführen – und zwar mehrfach während eines Abbiegevorgangs. In dessen Verlauf ändern sich gerade die Sichtbeziehungen zwischen Lkw-Fahrenden und Radfahrenden permanent.
Auch vor dem Hintergrund der Zielsetzung, den Radverkehrsanteil weiter signifikant zu steigern, ist es wesentlich, diejenigen zu erreichen, die zwar gerne Radfahren würden, sich jedoch mit der bestehenden Radverkehrsinfrastruktur zu unsicher fühlen. Verschiedene Studien zeigen, dass das Sicherheitsgefühl für die Entscheidung zugunsten oder gegen die Fahrradnutzung häufig ausschlaggebend ist. Insbesondere große, unübersichtliche Knotenpunkte, bei denen auf der Fahrbahn gefahren werden muss oder der Kfz-Verkehr die Radinfrastruktur kreuzt, schrecken viele vom Radfahren ab.
Faktoren für die Sicherheit Radfahrender
Fünf Faktoren erscheinen für die Vermeidung von Unfällen mit Beteiligung Radfahrender auf großen Kreuzungen besonders wichtig:
- Die uneingeschränkte Sicht
- Die Ungleichzeitigkeit von potenziellen Konflikten
- Eine geringe Geschwindigkeit, insbesondere beim Befahren von Konfliktflächen
- Klar ablesbare Verhaltensanforderungen
- Die Akzeptanz der lokalen Verkehrsregeln
Darüber hinaus weisen diverse Analysen zu den Sicherheitsgefühlen Radfahrender darauf hin, dass insbesondere folgende Aspekte den wünschenswerten Eindruck von Sicherheit vermitteln:
- Abstand zwischen Kfz- und Radverkehr
- Trennung zwischen Kfz- und Radverkehr
- Ungleichzeitiges Befahren von gemeinsam genutzten Verkehrsflächen
- Wenig kreuzende Verkehrsvorgänge
Verkehrsinseln schützen indirekt links sowie rechts abbiegende Radfahrer*innen.
Protektionselemente bei einer Radverkehrsführung in Mittellage können zu einer Verbessrung der Verkehrssicherhit beitragen.
Geschützte Kreuzung
Eine in letzter Zeit häufig diskutierte Gestaltungsform von Knotenpunkten ist die sogenannte geschützte Kreuzung. Diese zeichnet sich durch weit abgesetzte Furten (ca. 5 m) sowie linsenförmige Einbauten in den Eckbereichen aus. Der Radverkehr wird in der Regel auf Fahrbahnniveau geführt und ist durch einen Bordstein vom Fußverkehr getrennt. Zwischen Fahrbahn und Radverkehrsanlage liegen die Warteflächen für den Fußverkehr.
Der Aufstellbereich des Radverkehrs befindet sich deutlich vor dem gleich gerichteten Kfz-Verkehr, wodurch der Radverkehr in das direkte Sichtfeld des Kfz-Verkehrs rückt. Durch die klare bauliche Trennung mit vergleichsweise großem Abstand zum Kfz-Verkehr bietet die Gestaltungsform insbesondere auch eine als sicher wahrgenommene Radverkehrsführung. Die weit abgesetzten Furten ermöglichen es, dass sich ein Pkw nach dem Abbiegen vor der Radverkehrsfurt aufstellen kann. Der Abbiegevorgang wird somit zeitlich wie räumlich vom Kreuzen der Rad- und Fußverkehrsfurt getrennt. Enge Radien beeinflussen mitunter das Geschwindigkeitsverhalten. Für Radfahrer*innen ergibt sich zudem der Vorteil, dass sie ohne Wartezeiten an der Lichtsignalanlage frei rechts abbiegen können. Die Lage der Fuß- und Radverkehrsfurten führt überdies dazu, dass die Querungsdistanz des Fuß- und Radverkehrs verringert wird. Die geschützte Kreuzung greift damit alle eingangs genannten Faktoren für die Verkehrssicherheit auf.
Knotenpunkte so zu gestalten, hat jedoch insbesondere für den Fußverkehr auch einige Nachteile. Dieser muss die Radinfrastruktur zusätzlich zur Fahrbahn queren und hat zwischen Radweg und Fahrbahn nur einen vergleichsweise kleinen Aufstellbereich. Insbesondere bei größeren Fußverkehrsmengen sind daher mehr Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr zu erwarten. Die notwendige Querung des Radwegs schränkt zudem die Barrierefreiheit ein. Für seheingeschränkte Personen stellt der bevorrechtigte Radverkehr ein Hindernis dar. Auch zwischen dem Radverkehr der unterschiedlichen Richtungen kann es zu Konflikten kommen. Fahrerassistenzsysteme können den parallel fahrenden Radverkehr häufig aufgrund des Abstands zudem nicht mehr erfassen.
Voraussetzung für die Einrichtung einer geschützten Kreuzung ist eine ausreichende Flächenverfügbarkeit, was die möglichen Anwendungsfälle insbesondere im innerstädtischen Bereich einschränkt.
Diese Gestaltungsform empfiehlt sich insbesondere dann, wenn dem Sicherheitsgefühl ein hoher Stellenwert gegeben wird. Hohe Fußverkehrsmengen sprechen gegen die Einrichtung einer geschützten Kreuzung.
Eine Protected Bike Lane kann auch in Seitenlage angeordnet werden.
Fahrbahnführungen mit Protektionselementen
In den letzten Jahren galten Radfahrstreifen in Mittellage als eines der Standardelemente in der Knotenpunktgestaltung. Der geradeaus oder links fahrende Radverkehr wird dabei auf einem Radfahrstreifen zwischen den Fahrstreifen des Kfz-Verkehrs geführt. Der rechts abbiegende Kfz-Verkehr muss den Radfahrstreifen bereits vor dem eigentlichen Abbiegevorgang kreuzen. Diese Führungsform zielt darauf ab, einerseits den Radverkehr möglichst ins direkte Sichtfeld des Kfz-Verkehrs zu rücken und andererseits potenzielle Konflikte zu entzerren. Gegen diese Führungsform sprechen jedoch insbesondere die möglichen höheren Geschwindigkeiten des Kfz-Verkehrs in der Annäherung an den Knotenpunkt und damit potenziell auch beim Kreuzen des Radfahrstreifens sowie die von vielen als sehr unsicher empfundene Führung inmitten des Kfz-Verkehrs. Es ist auch fraglich, ob der Radverkehr gegenüber der Seitenlage tatsächlich besser sichtbar ist. So kam es in den letzten Jahren auch bei Radfahrstreifen in Mittellage zu mehreren tödlichen Unfällen, bei denen Lkw-Fahrende beim Kreuzen des Radfahrstreifens den Radverkehr übersahen. Nach einer Studie der TU Berlin nahm die Anzahl an Unfällen nach der Einrichtung von Radfahrstreifen in Mittellage zwar geringfügig ab, die Anzahl an schweren Unfällen nahm jedoch deutlich zu. Einige Städte (z.B. Hamburg) haben daher beschlossen, auf diese Führungsform zukünftig zu verzichten.
Um den genannten Defiziten entgegenzuwirken, bietet sich hier insbesondere der Einsatz von Protektionselementen an. Auch in Kombination mit Radfahrstreifen in Mittellage lassen sich Protektionselemente einsetzen. Der Vorteil liegt insbesondere in der Verkürzung des Konfliktbereichs, wenn die Protektionen nur einen begrenzten Abschnitt aufweisen, auf dem sich Kfz über den Radfahrstreifen hinweg auf den Rechtsabbiegefahrstreifen einordnen können. So lässt sich unterbinden, dass die Kfz-Fahrerinnen den Radfahrstreifen mit überhöhten Geschwindigkeiten kreuzen. Darüber hinaus trägt die bauliche Trennung zum Kfz-Verkehr auch zu einem verbesserten Sicherheitsgefühl bei. Radfahrstreifen in Mittellage sollten auch mit Protektionselementen eher bei geringen Kfz-Abbiegeverkehrsmengen zum Einsatz kommen. Daneben kommt ebenfalls eine geschützte Radverkehrsführung in Seitenlage in Betracht. Sie wird von der großen Mehrheit als sicherste Lösung empfunden. Der geradeaus gerichtete Radverkehr und der rechts abbiegende Kfz-Verkehr sollten bei dieser Lösung, wenn möglich ungleichzeitig das grüne Lichtsignal bekommen. Sofern diese Möglichkeit sich nicht sinnvoll umsetzen lässt, ist die Haltelinie des Radverkehrs zumindest deutlich vorzuziehen, um den wartenden Radverkehr auch aus einem Lkw deutlich erkennen zu können. Aufstelltaschen, die seitlich durch Einbauten flankiert werden, stellen eine weitere Option dar, tatsächlichen und gefühlten Schutz herzustellen. Dies gilt vor allem für abbiegende Radfahrerinnen. Für die objektive Sicherheit bieten die Einbauten den zusätzlichen Vorteil, dass der Kfz-Verkehr nur mit geringer Geschwindigkeit rechts abbiegen kann. Signalgeber für den Radverkehr können auf einer solchen Insel platziert werden, was zusätzliche signaltechnische Optionen eröffnet.
Eine Fahrbahnführung des Radverkehrs mit Protektionselementen im Kreuzungsbereich hat im Allgemeinen einen vergleichsweise geringeren Flächenbedarf. Konflikte mit dem Fußverkehr können vermieden werden. Insbesondere bei Knotenpunkten mit hohem Fußverkehrsaufkommen scheint sich die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn mit Protektionselementen als Vorteil zu erweisen.
Durch eine signaltechnische Trennung von Konfliktströmen könnten folgenschwere Unfälle unterbunden oder zumindest wesentlich unwahrscheinlicher werden. Häufig besteht die Befürchtung, dass dabei die Leistungsfähigkeit des Knotenpunkts gemindert und die Wartezeiten sowohl für den Kfz-Verkehr als auch für den Fuß- und Radverkehr erhöht werden. Das dies jedoch nicht der Fall sein muss und mit einer konfliktfreien Signalsteuerung die Leistungsfähigkeit unter Umständen sogar erhöht werden kann, zeigen zahlreiche bereits umgesetzte oder aktuell geplante Beispiele.
Die Umwandlung des Knotenpunktes York-Ring/Grevener Straße in Münster zeigt exemplarisch, dass eine getrennte Signalisierung ohne Ausbau der Verkehrsflächen hergestellt werden kann.
Getrennte Signalisierung
Neben der baulichen Gestaltung eines Knotenpunktes bietet die Signalisierung erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Verkehrssicherheit Radfahrender. Es wird zwischen der bedingt verträglichen und der konfliktfreien beziehungsweise „getrennten“ Signalsteuerung unterschieden. Während bei der bedingt verträglichen Signalsteuerung abbiegende Kfz und geradeaus fahrende Radfahrer*innen gleichzeitig grün haben, sind ihre Abbiegeströme bei der konfliktfreien Signalisierung zeitlich voneinander getrennt. In der Regel ist dabei die Einrichtung eigener Abbiegefahrstreifen für den Kfz-Verkehr nötig.
Immer noch ist die bedingt verträgliche Signalisierung die Standardlösung in Deutschland. Durch eine signaltechnische Trennung von Konfliktströmen könnten aber folgenschwere Unfälle unterbunden oder zumindest wesentlich unwahrscheinlicher werden. Häufig besteht die Befürchtung, dass dabei die Leistungsfähigkeit des Knotenpunkts gemindert und die Wartezeiten sowohl für den Kfz-Verkehr als auch für den Fuß- und Radverkehr erhöht werden. Das dies jedoch nicht der Fall sein muss und mit einer konfliktfreien Signalsteuerung die Leistungsfähigkeit unter Umständen sogar erhöht werden kann, zeigen zahlreiche bereits umgesetzte oder aktuell geplante Beispiele. So kann der Kfz-Verkehr bei hohen Fuß- und Radverkehrsmengen, gleichzeitig hohen Kfz-Abbiegeverkehrsmengen und bedingt verträglicher Signalsteuerung nicht ungestört abfließen. Eine Trennung der Grünphasen beschleunigt dann den Abfluss des Kfz-Verkehrs. Bei Knotenpunkten mit starker Ausprägung in eine Haupt- und eine Nebenrichtung können häufig Freigabezeiten der Nebenrichtung zugunsten einer getrennten Signalisierung umverteilt werden. Bei Knotenpunkten mit bereits getrennter Signalisierung der Linksabbiegeverkehre (Kfz) lassen sich häufig parallel dazu auch konfliktfrei Rechtsabbiegeverkehre freigeben und dafür bei Freigabe des parallelen Fuß- und Radverkehrs sperren.
Die Änderung der Fahrstreifenaufteilung bietet umfassende Möglichkeiten. Ist im Bestand kein Abbiegefahrstreifen vorhanden oder ist ein zusätzlicher Abbiegefahrstreifen erforderlich, so kann häufig durch eine Umverteilung der Fahrstreifen zusätzliche Kapazität für die Abbiegeverkehre geschaffen werden. Im Gegenzug kann eine getrennte Grünphase für den Radverkehr eingerichtet werden.
In den Niederlanden wird in vielen Städten mittlerweile das Signalzeitenprogramm in jeder Sekunde auf Grundlage der aktuell vorliegenden Mengen sämtlicher Verkehrsarten vollständig neu berechnet. Die Verteilung der Freigabezeiten erfolgt auf Grundlage von Gewichtungsfaktoren, wodurch dem Radverkehr eine hohe Priorität eingeräumt werden kann. Insgesamt werden auf diese Weise zeitliche Spielräume geschaffen, um eine Trennung der Verkehrsströme zu ermöglichen. In Deutschland finden diese Steuerungsverfahren bisher kaum Anwendung.
Die Einsatzmöglichkeiten der getrennten Signalisierung sind groß:
- Hohe querende Fuß- und Radverkehrsmengen
- Starke Rechtsabbiegeströme
- Gesicherte Signalisierung von Linksabbiegern bereits vorhanden
- Große Diskrepanz der Verkehrsmengen der Haupt- und Nebenrichtung
- Ungleichmäßige Fahrstreifenauslastung
- Zweirichtungsradwege
- Hoher Schwerverkehrsanteil
Die getrennte Signalisierung leistet einen großen Beitrag zur Vermeidung folgenschwerer Abbiegeunfälle. Hinsichtlich der Verkehrssicherheit ist die Kombination der getrennten Signalisierung mit den gezeigten Gestaltungsmöglichkeiten als geschützte Kreuzung oder Fahrbahnführung mit Protektionselementen zu bevorzugen. Das Potenzial der getrennten Signalisierung ist sehr viel größer, als es derzeit in der Praxis Anwendung findet und sollte bei Neu- und Umbauten immer geprüft werden. In der Praxis schränken die Platzverhältnisse einerseits und die Straßenraumansprüche der verschiedenen Nutzungen andererseits ideale Lösungen häufig ein. Wenn es beispielsweise nicht möglich ist, eigene Abbiegefahrstreifen zu schaffen, sind Rückfallebenen zu erörtern, wie zum Beispiel auch die sogenannten Kombi-Fahrstreifen, auf denen rechts abbiegender Kfz-Verkehr und geradeaus gerichteter Radverkehr gemeinsam zugelassen werden.
Bilder/Illustration: Argus, mapillary.com – descilla – 2016, mapillary.com – hangy, 2021