Die Zeiten, in denen eine Automesse wie die IAA stabil rund eine Million Besucher anzog, scheinen definitiv vorbei. Auch zur diesjährigen IAA Mobility kamen erstaunlich wenige Aussteller und mit 400.000 Besuchern nur rund die Hälfte im Vergleich zum Jahr 2017. Es scheint, als ob der Zauber des Automobils einer eher pragmatischen Beziehung gewichen ist und mehr und mehr andere Mobilitätsformen in den Vordergrund rücken. Zu den Gewinnern gehören das Fahrrad, das E-Bike, viele weitere neue Produkte und Angebote in den Bereichen Mikromobilität und Mobility as a Service (MaaS) und auch neue Messeformate.
Die Mobilität der Zukunft kann und wird nach Meinung vieler Experten nicht durch immer mehr Autos und übergroße SUVs, wie kürzlich noch von BMW vorgestellt, geprägt werden. Auch die oft betonten Trennlinien zwischen zu Fuß gehenden, Rad oder Auto fahrenden Menschen machen wenig Sinn. Wohl genauso wenig wie neue Feindbilder, die man wahlweise in E-Bikes, E-Kickscootern oder auch in Lieferfahrzeugen und den dazugehörigen Services sehen kann. Dafür entwickeln sich die Technik, das Marktumfeld und die Nutzergewohnheiten aktuell viel zu schnell.
Nicht zu unterschätzen sind dabei allerdings die Beharrungskräfte, die sich in der Kommunal- und Wirtschaftspolitik ebenso finden wie bei Herstellern, Händlern, Messeveranstaltern oder Lobbygruppen. Wo findet das boomende Segment Mikromobilität Platz? Wo eine Lobby? An den aktuellen Entwicklungen gründlich vorbei geht allein die vielfach übliche Gleichsetzung von Mikromobilität mit E-Kickscootern, denn der Oberbegriff beinhaltet inzwischen sehr viel mehr.
Viele Potenziale im jungen, hochdynamischen Markt
Die Kickscooter-Verleiher gehen mit frischen Investorengeldern in dreistelliger Millionenhöhe mit maximaler Geschwindigkeit voran, erweitern ihre Flotten durch E-Mopeds und setzen verstärkt auch auf Fahrräder und E-Bikes. Bestes Beispiel dafür ist das weltweit operierende Berliner Start-up Tier Mobility, das seine Fahrzeugflotte mit der Übernahme des Bikesharers Nextbike über Nacht auf 250.000 verdoppelt hat. Auch im Verkaufsgeschäft ist die Entwicklung hochdynamisch. In Frankreich wurden zuletzt mehr E-Kickscooter verkauft als E-Bikes und in vielen Ländern gibt es mit hochmodernen Fahrzeugen ein Revival bei E-Mofas, E-Rollern, E-Mopeds und Modellen, die zwischen diesen Kategorien liegen. Revolutionär ist der Stand der Technik, nicht nur was die Akku- und Fahrleistungen angeht, sondern auch mit Blick auf smarte Hightech-Lösungen. So gehören App-Anbindung und IOT (Internet of Things) bei vielen Herstellern inzwischen nicht mehr nur im Premiumsegment zum Standard. Längst nicht ausgemacht ist, wo sich Interessenten einen Überblick über das junge Segment verschaffen können. Hersteller finden sich genauso auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas wie auf der Eurobike in Friedrichshafen (künftig Frankfurt), auf der IAA Mobility in München oder der World of eMobility in Amsterdam. Dazu kommen Fachmessen im Bereich Logistik, spezielle Cargobike-Events und -Roadshows, Radlogistik-Konferenzen und, und, und. Nicht ausgemacht ist bislang zudem, wo man diese neuen Mobilitätsformen kaufen und anschließend warten lassen kann. Im Fahrradhandel, in spezialisierten Fachgeschäften, im Elektronikmarkt, im erweiterten Autohandel oder durch mobile Anbieter und Services? Und zuletzt spielt auch der Austausch zwischen Fachleuten, Anspruchsgruppen und Entscheidern eine wichtige Rolle, denn ebenso vielfältig wie die Probleme der Gegenwart und Zukunft sind auch die existierenden, machbaren oder absehbar in den nächsten Jahren kommenden Lösungen.
Neue Konzepte und Öffnung der Veranstalter
Nicht nur bei der früheren Automesse IAA gibt es inzwischen ein Umdenken, auch die internationale Fahrradleitmesse Eurobike setzt nach den Plänen für den neuen Messestandort Frankfurt auf ein erweitertes Konzept: „Thematisch betrachtet wird der Markenkern der Eurobike unverändert bleiben, jedoch werden ihre Inhalte breiter, zeitgemäßer und auch urbaner. Neue Schwerpunkt-Themen, die Treiber für zukünftiges Branchenwachstum sein werden, kommen hinzu“, so die Veranstalter. Zu den geplanten Erweiterungen zählen Themen wie Micromobility, Technologie, Fitness, Gesundheit, Lifestyle, Tourismus, Infrastruktur und Nachhaltigkeit. Eine besondere Rolle soll zukünftig auch in der gesellschaftlich-politischen Komponente (B2G) des Radfahrens liegen, welche integraler Bestandteil der neuen Eurobike wird. „Die Eurobike 2022 wird eine Kombination aus Innovationsschau, Handelsplattform, Festival, Medienereignis und politischer Bühne“, so der langjährige Messechef Stefan Reisinger.
Deutsche Messe Hannover Vorreiter bei Mobilität der Zukunft
Gleich auf zwei Veranstaltungen greift die Deutsche Messe im Mai 2022 das Thema Mobilität der Zukunft auf. „Unsere neue Immobilienmesse Real Estate Arena und die micromobility expo überschneiden sich am 19. Mai 2022 auf dem Messegelände. Das Thema Mobilität der Zukunft baut die inhaltliche Brücke zwischen beiden Veranstaltungen“, so Daniela Stack, Leiterin Neugeschäft bei der Deutschen Messe AG in Hannover. Auf dem Branchentreff für die Real-Estate-Branche im Norden wird die künftige Mobilität aus der Perspektive der Immobilien- und Quartiersentwicklung sowie der Stadtplanung betrachtet. „Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, muss sie eingebettet werden in einen größeren Kontext. Hier sind Stadtplaner, Architekten, Investoren und Kommunen gleichermaßen gefragt“, sagt Projektleiter Hartwig von Saß. „In der Diskussion um die Mobilität der Zukunft führt die Auseinandersetzung Auto gegen Fahrrad gegen Fußgänger nur weiter in die Sackgasse. Die Verkehrswende gelingt nur in der Zusammenarbeit.“

Die Perspektive der technologischen und infrastrukturellen Lösungen soll die Messe micromobility expo einbringen, die nach der erfolgreichen Premiere 2019 und der pandemiebedingten Pause im Mai zum zweiten Mal in Hannover stattfindet. „Gerade in neuen Quartieren, in den Stadtteilen und in den Innenstädten können intelligente Mobilitätskonzepte und der Einsatz von Mikromobilen die Verkehrswende voranbringen“, betont MME-Projektleiter Florian Eisenbach. „Wir wollen mit dem Messe-Doppel Mobilitätsexperten, öffentliche Verwaltung, Projektentwickler und Wissenschaftler nach Hannover holen, die bei der Planung von Mobilität der Zukunft an den Tisch gehören. In der Kooperation der beiden Messen wollen wir die Zukunft interdisziplinär gestalten und die Expertinnen und Experten aus den relevanten Bereichen Lösungen entwickeln lassen.“
“Es geht um die Neuerfindung der Mobilität“
Lesen Sie hier unser Interview mit Florian Eisenbach, Projektleiter micromobility expo 2022.

Über die micromobility expo 2022
In eigener Sache: VELOPLAN ist als Medienpartner und mit einem Stand auf der micromobility expo präsent.
Die Messe richtet sich an Kommunen und Städte, Stadtplanungsämter, Verkehrsämter sowie Politik. Zudem werden Einkäufer, Händler, Logistikunternehmen, Flottenmanager, Bahnhofsmanager, Werkstätten, Pflegedienste und Endverbraucher angesprochen.
Die Messe gliedert sich in drei Themenbereiche: Mikromobile, Mobilitätsinfrastrukturen und Mobilitätsdienstleistungen. Das Konzept aus Forum, Ausstellung und Parcours bietet ein breites Erlebnisspektrum. Im Forum diskutieren Experten und Anwender aus Industrie, Verwaltung und Politik über Innovationen, Best-Practice-Beispiele und Lösungsansätze. Auf einem großen Parcours im Freigelände und in den Pavillons können Fachbesucher und Endverbraucher unterschiedliche Mikromobile testen.
Messegelände Hannover, 19. – 21. Mai 2022; 19./20. nur für Fachpublikum
micromobilityexpo.de
Text: Reiner Kolberg
Bilder: Deutsche Messe / micromobility expo, Reiner Kolberg, WikiCommons, Opel