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Das Trail- und Wegenetz in der US-Stadt Bentonville fing als philanthropisches Passionsprojekt an. Der Fokus aufs Freizeitradfahren hat die Stadt gewandelt und trägt langsam, aber sicher auch im Alltag Früchte.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Bentonville atmet Mountainbiken. Die Landschaft in und um die Stadt ist durchzogen von Radwegen und Mountainbike-Strecken. Sie erinnert an ein Ski-Resort, in dem die Trails verschiedene Oberflächen und Schwierigkeitsgrade haben, sodass für jeden etwas dabei ist. Die Trails führen durch wunderschöne Wälder und sind umgeben von Natur und Kunst. Egal wo man hinsieht, merkt man, dass Radsport in Bentonville an erster Stelle steht. Vor jedem Café stehen teure (meist unabgeschlossene) Mountain- und Gravelbikes, überall laufen Menschen in Radhosen und Fahrradhelmen herum und mit Fahrrädern beladene Trucks auf dem Weg zum nächsten Trail sind ein gewöhnliches Bild auf den Straßen des Ortes. Der Mountainbike-Fokus macht Bentonville nicht nur für Touristinnen, sondern auch für neue Einwohnerinnen attraktiv.
Bentonville ist ein Städtchen am Fuße der Ozark Mountains im Nordwesten von Arkansas, einem südlichen US-Bundesstaat. Die Einwohnerinnenzahl des Ortes hat sich in den letzten 20 Jahren auf etwa 60.000 Menschen verdoppelt, täglich ziehen ungefähr 30 Menschen in die Region. Was die Stadt besonders macht, ist, dass sich die Einwohnerinnen Bentonvilles den Ort mit Milliardär*innen teilen. Aus Bentonville kommt mit den Waltons nämlich eine der reichsten Familien der Welt. Sam Walton hat 1962 den riesigen Einzelhandelskonzern Walmart in Nordwest-Arkansas gegründet. Teile der Familie leben heute noch oder wieder in der Region, was die Stadt beeinflusst. Die Walton-Familie ist nach wie vor Hauptaktionärin von Walmart, und die von Sam Walton und seiner Frau Helen gegründete philanthropische Walton Family Foundation hat ihren Hauptsitz in Bentonville. Darüber hinaus stehen den Walton-Familienmitgliedern jeweils ihre eigenen philanthropischen Dollars zu. So kommt es, dass Bentonville kein verschlafener Ort ist. Sam Waltons Tochter hat als passionierte Kunstsammlerin 2005 das hochangesehene Kunstmuseum Crystal Bridges gegründet. Zwei der Enkelkinder des Walmart-Gründers, Tom und Steuart, sind passionierte Radfahrer und setzen ihren philanthropischen Fokus entsprechend.

Früh übt sich: Es geht nicht nur um Leistung, Fahrradfahren ist auch Familienaktivität. Das Mountainbike bringt Menschen in Bentonville zusammen.

Bentonvilles Weg zum Mountainbike-Paradies

Bentonvilles Entwicklung zum Mountainbike-Hotspot hat vor rund zwanzig Jahren begonnen. Neben der Passion von Tom und Steuart Walton steht hinter der Finanzierung der Radinfrastruktur die Ambition, einen lebenswerten Ort zu erschaffen. Walmart ist einer der größten lokalen Arbeitgeber, für den viele Menschen nach Bentonville und Nordwest-Arkansas ziehen. Um diesen Menschen einen Ort mit Freizeitwert zu bieten, der zum Bleiben einlädt, wurden schwere Investitionen in die Lebensqualität getätigt. Zwischen 2005 und 2006 wurden die ersten Streckenabschnitte gebaut, 2007 waren die ersten fünf Meilen des sogenannten Slaughter Pen Trails im Norden der Stadt fertig.
Doch das war nur der Anfang. Was als „talent recruitment” für Walmart begann, eröffnete schnell auch Chancen im „destination management”. So wurden die weiteren Investitionen der Walton-Familie begleitet vom Storytelling des Bentonviller Tourismusbüros. Nachdem die ersten fünf Meilen Radwege gebaut und eröffnet und die nächsten 16 Meilen angekündigt wurden, verfolgten die Verantwortlichen die Strategie, den wirtschaftlichen Mehrwert der Radwege für den Ort zu betonen und dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz durch die Menschen in Bentonville zu erhöhen. Denn Menschen, die zum Mountainbiken nach Bentonville kommen, benötigen schließlich auch Schlafplätze und gastronomische Angebote. Sie bringen also Chancen für Hotels, Restaurants und andere lokale Unternehmen mit.
Auch nach außen hin wurden die Geschichte und der Erfolg Bentonvilles erzählt und die Stadt wurde zunehmend als Outdoor-Ziel und Mountainbiking-Destination vermarktet. Das Narrativ des Mountainbike-Erfolgs wurde schon genutzt, als die Radinfrastruktur mit wenigen Meilen noch in den Kinderschuhen steckte. Die Teilnahme einer kleinen Delegation aus Bentonville, bestehend unter anderem aus dem örtlichen Raumplaner und dem Direktor für Parks und Freizeit, an einer Konferenz über Fahrradtourismus im Jahr 2011 wird von der Direktorin des örtlichen Tourismusbüros als Sprungbrett beschrieben. Auch wenn die Stadt damals mit den Mountainbike-Größen Nordamerikas wie Moab oder Whistler noch nicht mithalten konnte, werteten die Verantwortlichen das positive Feedback auf der Konferenz als Zeichen, dass Bentonville auf dem richtigen Weg und einzigartig in seiner Herangehensweise an die Mountainbike-Planung ist. Während in anderen „trail towns” ein Auto unbedingt notwendig ist, wird Konnektivität in Bentonville großgeschrieben. Viele der Trails sind vom Stadtkern aus erreichbar, sodass man nicht auf Auto und Fahrradträger angewiesen ist, um Mountainbiken gehen zu können. Für Touristininnen bedeutet das, dass sie nach ihrer langen Anreise ihr Auto einfach geparkt lassen können. Für Anwohnerinnen heißt es, dass sich das Mountainbiken beinahe nahtlos in den Alltag inte-grieren lässt.
Das Standing des Mountainbikens verbesserte sich nicht nur durch die Trails und die Konnektivität. Es zeigte sich vermehrt in allen Lebensbereichen. Hotels und Cafés wurden fahrradfreundlicher umgestaltet, indem die Gäste hauseigenes Werkzeug nutzen und ihre Fahrräder mitunter mit auf ihre Zimmer nehmen dürfen. In den 2010er-Jahren wurde das Trail-Netzwerk weiter ausgebaut. Das Crystal Bridges Museum of American Art öffnete 2011 seine Türen, welches nicht nur eine bedeutende Rolle in der kulturellen Landschaft Bentonvilles spielt, sondern auch in die Radinfrastruktur der Stadt integriert ist. Es ist umgeben von Natur und Mountainbiking-Trails und mit dem Fahrrad erreichbar. Weiterhin wird der Landkreis Benton County, 2012 ein sogenanntes wet county. Das bedeutet, dass Alkohol seitdem einfacher erhältlich ist – ein kleiner, aber nicht unbedeutender Meilenstein in Bentonvilles Weg zur Radsportstadt. Denn zum Mountainbiken gehört oft auch das gemeinsame Bier danach oder bei Events.
Im Jahr 2015 wählte die International Mountain Bicycling Association Bentonville aus, um ihren World Summit 2016 dort auszurichten. Um die Trail-Konnektivität und Zugänglichkeit hervorzuheben, wurde die gesamte Veranstaltung downtown anstatt in einem Kongresszentrum ausgerichtet. Aus den 400 erwarteten Gästen wurden 600. Die Direktorin von Visit Bentonville bezeichnet das Ganze als einen Wendepunkt auf dem Weg der Stadt zu einer Radsportdestination. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 zieht es immer mehr Menschen nach Bentonville, die aufgrund der Einschränkungen nach Outdoor-Erlebnissen suchen. Vermehrt ziehen Menschen nicht mehr nur wegen ihrer Arbeit bei Walmart in die Gegend, sondern weil die Lebensqualität des Ortes und der Freizeitwert durch die Nähe zur Natur und die Trails hoch sind. Das eröffnet ein neues und größeres Publikum für Bentonvilles Mountainbike-Infrastruktur und macht die Stadt zunehmend auch für die Mountainbike-Industrie attraktiv. In den letzten Jahren haben sich unter anderem ein Clubhouse von Rapha, ein Experience Center vor Specialized und ein Showroom von YT-Industries in Bentonville angesiedelt.

Für alle etwas dabei: In Bentonville gibt es eine große Auswahl an Trails mit verschiedenen Oberflächen und Schwierigkeitsgraden. Gemeinsam haben die Trails, dass sie durch hügelige Wälder führen und oft von Kunstwerken umgeben sind.

Zwischen Miteinander und Verdrängung

Was Bentonville besonders macht, ist, dass sich eine große Gemeinschaft um das Mountainbiken gebildet hat, ohne deren Akzeptanz und Mitarbeit der Erfolg der Stadt nicht möglich wäre. Neben gut erreichbaren Trails, vielen Grünflächen und über 140 öffentlichen Kunstwerken, die oft an Radstrecken liegen, kann man durch diese Community fast jedes Wochenende Mountainbike- oder Gravel-Rennen erleben. Die örtlichen Schulen haben Radfahrprogramme in ihre Lehrpläne integriert, um den Schülerinnen die Bedeutung des Radfahrens näherzubringen und eine aktive Lebensweise zu fördern. Das Community College hat vor Kurzem sogar zwei Lehrgänge eingeführt, die sich auf Trail-Planung und -konstruktion sowie Fahrrad-technik konzentrieren. Das ist in den USA einmalig. Diese starke Identifikation mit dem Radfahren hat aber auch Schattenseiten. Das rasante Wachstum der Mountainbiking-Szene in Bentonville hat zu kulturellen Spannungen zwischen langjährigen Bewohnerinnen und Neuzugängen geführt. Während die neue Welle von Mountainbiker*innen die Stadt bereichert und zur Entwicklung der lokalen Infrastruktur beiträgt, führt sie auch zu steigenden Immobilienpreisen und der allmählichen Gentrifizierung des Ortes. Weiterhin ist Mountainbiking vielerorts ein sehr weißer und männlich dominierter Sport, in den der Einstieg durch teure Ausrüstung und Kleidung erschwert wird. In Bentonville lässt sich zum Teil eine „Bro-Kultur” im Mountainbiken wiederfinden, in der es um Leistung statt Zugänglichkeit und Community-Aufbau geht. Allerdings gibt es hier auch eine große Gegenbewegung, die sich darum bemüht, allen Menschen den Einstieg ins Mountainbiken zu ermöglichen und Gleichgesinnte zu finden, denn in der Gruppe ist Radfahren besser als alleine. Zum einen gibt es Nonprofit-Organisationen wie unter anderem die Women of Oz, Latinas en Bici, Bike.POC und All Bodies on Bikes, die sich jeweils um die Inklusion von Frauen, Latinas, BIPoCs und Menschen verschiedener Körpertypen bemühen. Diese Organisationen bieten anfängerfreundliche Fahrten und Schulungen an, um Barrieren abzubauen, die potenzielle Interessierte sonst vom Sport abhalten könnten.

Fahrradfahren wird in Bentonville zunehmend auch als Mobilitätsform gesehen und nicht nur als Sport. Ein von Schüler*innen entworfenes Wandgemälde weist auf die verschiedenen Fahrradorganisationen in der Stadt hin.

Von Sport zu Mobilität?

Der Fokus auf das Mountainbiken hat die Entwicklung des Radfahrens als Fortbewegungsmittel in Bentonville etwas überschattet. Die Freizeit-Trails haben nicht automatisch zu einer breiten Akzeptanz des Radfahrens für den täglichen Arbeitsweg oder Besorgungen geführt. Obwohl der Anstieg des Freizeitradverkehrs in Bentonville die Existenz von Radfahrerinnen in und um die Stadt normalisiert, stellt das die bestehende autozentrische Stadtplanung kaum infrage. Radfahren ist bislang wenig politisiert. In den letzten Jahren hat sich Bentonville jedoch immer mehr an Infrastruktur für das Radfahren im Alltag herangetraut, was nicht nur auf die Bemühungen von Walmart, sondern auch auf die Radfahrgewohnheiten mancher Zugezogenen zurückzuführen ist. Vor vier Jahren wurde der Radverkehrsplan für Bentonville erneuert und seitdem der Fokus erhöht auch auf Fahrradinfrastruktur auf der Straße gesetzt. So wurden in den letzten Jahren mehrere Kilometer sichere Fahrradinfrastruktur errichtet. Dafür brauchte es unter anderem viel Engagement der örtlichen Planerinnen und Politikerinnen, aber auch der Bürgerinnen. Im Herbst 2024 wurde durch den Einsatz einiger involvierter Bürgerinnen ein Active Transportation Advisory Board gegründet. Dieses Gremium soll dafür sorgen, dass die Bentonviller Radverkehrsplanung mit den Bedürfnissen und Wünschen der Gemeinschaft übereinstimmt. Momentan werden die Stimmen zivilgesellschaftlich engagierter Ein-wohnerinnen von der Bentonville Moves Coalition zusammengebracht. Diese Koalition, die eng mit der Stadt zusammenarbeitet, um nachhaltige Mobilität zu fördern, bündelt die Interessen zivilgesellschaftlich engagierter Einwohnerinnen, um die politische Akzeptanz für das alltägliche Radfahren zu stärken. Dadurch wird es einzelnen Bürgerinnen erleichtert, sich in die lokale Verkehrspolitik einzubringen. Diese Bemühungen zielen darauf ab, eine breitere Fahrradkultur zu schaffen, die sowohl das Freizeit-Mountainbiken als auch das praktische Alltagsradfahren umfasst.
Mountainbiken hat die Stadt Bentonville verstanden. Wurde die Radverkehrsplanung anfangs vor allem durch die Vision und Finanzierung der Walton-Familie vorangetrieben, zeichnet sie sich heute durch Bemühungen von öffentlicher und privater Seite aus. Bentonville hat es geschafft, sich einen einzigartigen Radfahr-Charakter zu verschaffen, der sich durch die Konnektivität und Zugänglichkeit des Trail-Netzwerkes sowie den Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt rund ums Fahrradfahren auszeichnet. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dieser Charakter langfristig auf das Mobilitätsverhalten in der Stadt abfärben kann.


Bilder: Visit Bentonville, Lilian Markfort

Der Mountainbike-Tourismus spürt die Auswirkungen der menschengemachten Klima-krise immer deutlicher. Vermehrte Hitzewellen und Starkregenereignisse fordern Trail-Bauer*innen heraus. Die Mountainbike-Branche steht vor immensen Herausforderungen und muss sich an die Klimawandelfolgen anpassen – aber es gibt auch Chancen.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Dass einem das Wetter regelrecht den Urlaub durchkreuzt – die Erfahrung machten drei junge Menschen während ihrer Alpenüberquerung von Garmisch-Partenkirchen nach Garda mit dem Mountainbike. Durch starke Unwetter waren Teile der Strecke weggebrochen. Meterbreite Löcher und umgefallene Bäume zwangen sie, einen dreistündigen Umweg zu fahren. So zeigt es eine Szene der Doku „Das ist Alpencross“ des Deutschen Alpenvereins (DAV) von 2024. Egal ob Trails in den Alpen, in Mittelgebirgen oder Wäldern, von Vereinen oder professionellen Bikeparks, abfahrtsorientierten oder flacheren Regionen – die menschengemachte Klimakrise macht sich im Mountainbike-Sport mit wahrscheinlicher werdenden Extremwettern wie Starkregen, Hitze und Dürre bemerkbar. Die klimatischen Veränderungen führen in Deutschland und Österreich zu wärmeren Sommern und milderen Wintern, mit häufigeren Extremwettern. Durch Dürren, Schädlinge und Waldbrände in trockenen Sommern verschlechtert sich auch der Zustand der Wälder. In den Alpen taut der Permafrost auf. Anpassungs-Management ist da auch bei den Anbieter*innen von Mountainbike-Tourismus angesagt.

„Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“

Jörn Hessen, Mountainbike Forum Deutschland

Vom Trail zum reißenden Bach

Gutes Wasser-Management sei schon immer Thema beim Trail-Bau gewesen, erklärt Jörn Hessen vom Mountainbike Forum Deutschland. „Aber durch den Klimawandel gewinnt es eine völlig neue Bedeutung, da sich durch die zunehmenden Starkregenfälle ein Trail in einen reißenden Bach verwandeln kann.“ Mittlerweile sei Wasser-Management Priorität und oft ausschlaggebend für Streckenverlauf und Design. Drainagen, Ablaufmulden sowie ein gleichmäßiges, nicht zu steiles Gefälle helfen, große Wassermassen abzuleiten. Noch vor ein paar Jahren sei wenig Wert auf ein „exaktes Durchschnittsgefälle“ gelegt worden. Doch mittlerweile wisse man, dass zu steile Passagen „mit Ansage weg erodieren“. Auch könne es helfen, bestimmte Trail-Abschnitte mit Steinen anzulegen und nur die Zwischenräume mit Erde zu füllen, da das weniger ausschwemme und leichter zu reparieren sei.
Auch Hessens Weihnachtsurlaub 2024 nach Norditalien in die Mountainbike-Region Finale Ligure fiel fast ins Wasser, da dort Mitte Oktober heftige Unwetter wüteten und die Trails stark beschädigten. Durch Crowdfunding konnten diese relativ schnell instand gesetzt werden. Außerdem versucht die Region bereits seit ein paar Jahren, die Trail-Pflege auf neue finanzielle Beine zu stellen. Wird mit einer speziellen Karte beziehungsweise App etwa im Restaurant gezahlt, geht ein Prozent des Umsatzes in die Trail-Pflege. Das Modell würde gut funktionieren, so Hessen.
Nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig Regen kann für die Trails zum Problem werden. Die Erde trocknet aus. „Anliegerkurven – Steilkurven – verhärten, werden wie Ton gebrannt und brechen dann einfach weg. Der Trail zerbröselt“, beschreibt Hessen. Betroffen seien insbesondere modellierte Passagen, die der Sonne ausgesetzt sind. „Schadensbegrenzung“ könne durch händisches Bewässern betrieben werden. „Das ist ein riesiger Aufwand“, aber sei im kommerziellen Bereich immer zwingender. Der kanadische „Whistler Mountain Bike Park“ – der größte der Welt – sei stets einen Schritt voraus. Dort habe man schon vor etwa zehn Jahren begonnen, automatisierte Bewässerungssysteme zu installieren. Das werde vermutlich auch in Europa nötig, schätzt Hessen. Auch das Trail-Design werde sich wegen der zunehmenden Hitze verändern. „Anliegerkurven werden nur noch in schattierte Bereiche gebaut werden“, prognostiziert Hessen.

Aufgrund der Klimakrise müssen Mountainbiker*innen flexibler werden, da zunehmende plötzliche Extremwetterereignisse sie zwingen können, ihre Route anzupassen.

Steile Passagen empfiehlt Hessen mit erosionsfestem Material wie Steinen zu befestigen. Die mit Erde gefüllten Zwischenräume werden zwar ausgewaschen, aber können leichter ausgebessert werden.

Fatale Kombi: Erst Dürre, dann Regen

Die Kombination aus langer Trockenphase und heftigen Regenfällen sei laut Hessen „fatal für Trails“, insbesondere für abfahrtsorientierte. „Durch Trockenheit bildet sich Abrieb, weil Kurven wegbrechen, das lagert sich dann samt Steinchen und feinem Geröll in einer Senke ab. Wenn dann Stark-regen kommt, wird unheimlich viel Bodenmaterial von A nach B transportiert.“ Sowas führe nicht selten zu wochenlang gesperrten Trails. Besonders ehrenamtliche Vereine kämen an ihre Grenzen. Eine italienische Trail-Bau-Firma experimentiere deshalb mit verschiedenen Pflanzen, um Trails durch Randbegrünung und besseres Wurzelwerk vor Erosion zu schützen, berichtet Hessen.
Der Mountainbiker ist auch in Freiburg in einem lokalen Mountainbike-Verein aktiv. Das Streckennetz zwischen den Hausbergen Rosskopf und Kybfelsen wird durch Trail-Patenschaften gegen Aufwandsentschädigung oder auf Minijob-Basis gepflegt. Die geänderten Klimabedingungen machen das immer herausfordernder. Letztes Jahr wurden im Rahmen einer Schulung das Wasser-Management an neuralgischen Passagen verbessert oder steilere Abschnitte ein paar Meter zur Seite verlegt.
Zunehmender Borkenkäferbefall und weitere klimabedingte Waldschäden führen zudem zu mehr Totholz im Wald. Das könne ein Risiko für die Erholungsfunktion darstellen, so Hessen. Aber da ein gewisser Totholzanteil den Wald langfristig widerstandsfähiger gegen die Klimakrise mache, sei das Mountainbike Forum Deutschland für gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Umbau zu klimaresilienten Wäldern fördern. „Der Wald ist notwendig für unseren Sport. Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports.“ Da es in Zukunft voraussichtlich noch weniger intakten Wald geben wird, stehe die Frage im Raum, ob und wie das Mountainbiken in manchen Regionen ohne Wald funktionieren kann, so Hessen. Derartige Strecken seien technisch möglich, aber für viele Mountainbiker*innen unattraktiv und als „Murmelbahnen“ verschrien. „Wir sind auf eine gesunde Natur angewiesen.“

„Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“

Ines Buchgeher, Bikepark Wexl Trails

Wald, Mittel- und Hochgebirge betroffen

„Bisher schaffen unsere Streckenpfleger, die entstandenen Schäden zu beheben“, berichtet Stephan Marx vom Mountainbikepark Pfälzerwald über das dortige Streckennetz, welches über 900 Kilometer lang ist. „Zum Teil müssen wir aber mit temporären Umlegungen reagieren, die wir dann nach und nach wieder instand setzen.“ Zwar habe es auch früher Stürme, Stark-regen oder Trockenheit gegeben, aber in den letzten Jahren seien sie „gehäuft“ vorgekommen und der Pflegeaufwand gestiegen. Besonders die Kombination von Trockenphasen, die den eher sandigen Boden im Pfälzerwald auflockern, und folgende Starkregen führten zu mehr Erosionsschäden. Außerdem führten „die sehr trockenen Jahre – mit Ausnahme von 2024 – zu sehr viel Totholz, abgestorbenen Ästen, die dann bei stärkerem Wind zu Boden fallen“, so Marx.
Nicolas Gareis vom DAV spricht von „ganz vielfältigen Auswirkungen“ der Klimakrise auf alle Bergsportarten. Der DAV kümmert sich insbesondere in den Alpen um die Wege, größtenteils ehrenamtlich. Durch die Klimawandelfolgen habe die Wegepflege eine „andere Dimension“ angenommen. Es entstünden „ein enormer Arbeitseinsatz“ und Mehrausgaben, so Gareis. Etwa, „wenn ein Teil vom Weg durch eine Mure zerstört oder eine Brücke weggerissen wird, weil der Gebirgsbach zum reißenden Strom geworden ist.“ Da sei schweres Gerät notwendig und es gehe mitunter um die Verlagerung von Wegen nach einem Hangrutsch. Mountainbikerinnen müssten dann entweder ihr Fahrrad durch ein Geröllfeld tragen oder einen Umweg in Kauf nehmen. Um die Wege instand zu halten, werden die Ehrenamtlichen durch Expertinnen unterstützt. Eingeschränkte Nutzbarkeit oder gesperrte Wege führen außerdem zu der Gefahr, dass andere Wege überstrapaziert werden und Nutzungskonflikte entstehen. In den Alpen kommen Herausforderungen wie tauender Permafrost und vermehrter Steinschlag dazu. So sieht sich der DAV mit der „schmerzvollen“ Frage konfrontiert, ob das komplette Wegenetz aufrechtzuerhalten ist. Die Klimakrise ziehe einen ganzen „Rattenschwanz“ nach sich, so Gareis. Wassermangel auf Berghütten könne dazu führen, dass diese früher schließen müssen.

Koordination nach Unwettern

Mehr Arbeit durch Extremwetter merkt auch Ines Buchgeher vom Bikepark Wexl Trails in Niederösterreich: „Regengüsse führen zu Bächen, die durch den Bikepark schießen, samt kräftiger Böen.“ Teilweise mussten Wege gesperrt werden. Wichtig sei, genügend Drainagen zu verbauen, damit das Zusammenspiel zwischen Wasser und Weg passt. Nach einem Unwetter müssen Strecken gecheckt, Bäume aus dem Weg geschafft, Löcher ausgebessert, Streckenabschnitte gesperrt und Wege umgeleitet werden, zählt sie auf. Angewiesen sei man da auf flexibles Personal und gute Zusammenarbeit mit den Grundstücksbesitzenden und Förster*innen, um Informationen über den Strecken-status auszutauschen und Gäste vor Gefahren zu schützen. Das erfordere Organisation und Handarbeit: „Super wär’s, wenn man einen Trail-Roboter für Strecken-Checks hätte“, lacht sie. Durch ein „penibel angelegtes Entwässerungssystem“ habe man Wassermassen mittlerweile gut im Griff, so Philip Wiedhofer, Trail-Designer der Wexl Trails. Beim Planen versuche er, die Strecken möglichst durch den Wald zu führen, da Bäume den meisten Schutz vor Umwelteinflüssen böten. Außerdem versuche er „mit der Natur zu bauen“, etwa Jump-Lines bei natürlichen Hügeln. Im Sommer sei es auf den Wexl Trails zu trocken, wodurch die Fahrspur nicht gut binde und leicht bröckle. So werde das Timing beim Trail-Bau immer wichtiger. „Wir versuchen die Arbeiten, wo wir Feuchtigkeit im Untergrund brauchen, im Frühling, Herbst oder nach einer Regenphase zu machen, in den Sommermonaten arbeiten wir dann kleinflächiger meist nur händisch.“ Auch verfolge der Wexl Park die Idee einer automatisierten Bewässerung.

Durch gutes Wasser-Management und Trail-Design versuchen Bike-Parks, die zunehmenden Extremwetterereignisse abzufedern. Spuren hinterlässt ein Unwetter dennoch, wie hier bei den Wexl Trails im September 2024.

Mehr Hände nötig

Mountainbikerin und Ehrenamtliche Lisa Ribarich stellt bei den Anninger Trails bei Wien einen „steigenden Wartungsaufwand“ durch die Klimakrise fest. Die unterschiedlichen Bodenverhältnisse, die durch die Klimakrise noch mehr zum Tragen kommen, sind für den Verein dabei besonders herausfordernd. Auf der südlichen Seite der Anninger Trails sorge das kalkhaltige Gestein in Kombination mit dem Schwarzkiefernwald für trockene, durchlässige Böden mit dünner Humusschicht, was die Erosionsanfälligkeit erhöhe. Die Nord- und Westseite sei dagegen von lehmigen, feuchteren Böden geprägt, die zu Staunässe neigten. An der Südseite müsse für Kurven aufwendig Erde „zusammengekratzt“ werden – durch verbessertes Wasser-Management wollen sie erreichen, dass die Kurven bei Starkregen nicht weggeschwemmt werden. Um das Wasser abzuleiten, schaufeln sie rechts und links der Trails etwa fünf Zentimeter breite und ein bis zwei Meter lange Rinnen. „Manche Parks verlegen etwa Kanalrohre, die Möglichkeit haben wir als kleiner Verein nicht.“ Es sei herausfordernd, genug ehrenamtliche Hände für den wachsenden Wartungsaufwand zu mobilisieren.
Ribarich will Mountainbiker*innen schulen, damit sie dosiert bremsen und keine Bremsfurchen entstehen, die Trails anfälliger für Erosion machen. Um ein „respektvolles Miteinander von Natur und Sport“ zu ermöglichen, seien zudem „Ruhezonen“ im Wald wichtig.

„Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“

Nicolas Gareis, Deutscher Alpenverein

Bike statt Ski als Chance

Gareis vom DAV sieht auch Chancen für den Mountainbiketourismus durch das veränderte Klima, da sich Saisonzeiten verlängern. Bis spät in den Herbst und bereits früh im Frühjahr könne Mountainbike gefahren werden. Gerade in Mittel-gebirgen entdecken vormals reine Wintersportdestinationen das Mountainbiken für sich. Auch weil sich der Wintersport immer weniger lohne, so Gareis. Hänge, die im Winter als Skipiste genutzt werden, werden nun für Bikerinnen im Sommer freigegeben. Zwar liege der Arbeitsschwerpunkt des DAV im alpinen Raum, aber die Konsequenz durch die Klimakrise sei auch, dass sie ihre Arbeit verstärkt in die Mittelgebirge verlagern, wo viele Sektionen heimisch sind. Der DAV will diese Regionen „zukunftsfest“ machen. „Mountainbiken wohnortnah auszuüben ist auch gut fürs Klima, weil man das Auto stehen lassen kann.“ Mehrere Destinationen in Deutschland, etwa im Sauerland oder im Fichtelgebirge, setzen bereits auf diese Strategie. Auch die Wexl Trails sehen wirtschaftliche Chancen in der längeren Saison. Es soll nun sogar ein zweiter Bikelift entstehen, um einen hybriden Betrieb von Skifahren und Mountainbiken zu ermöglichen. Für ein „neues Biker-Mindset“, so Buchgeher, müsse auch die Werbung angepasst werden. Nicht nur „Sommer, Sonnenschein pur“, sondern auch Fotos vom Mountainbiken in grauer, nebelbedeckter Landschaft. „Hauptsache bewegen, Hauptsache draußen“, so ihr Motto, um den „Winterblues“ bei Mountainbikerinnen vergessen zu machen. Marx vom Bike-Park im Pfälzerwald sieht dagegen eher Risiken und keine Chancen durch die Klimakrise.
Flexibilität sei in Zukunft hinsichtlich der Wege, der Saisonzeiten und der Tourengestaltung gefragt, sagt Nicolas Gareis. „Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“ Diesem Wunsch nachzukommen, wird heraufordernder. Das Mountainbiken wird weiter nach neuen Wegen suchen müssen.


Bilder: Wexl Trails, www.flyer-bikes.com – pd-f, Evergreen

Das Klima ist im Umbruch und mit ihm der alpine Tourismus. Neben dem Wintersport rücken Sommeraktivitäten, wie Wandern und Mountainbiken, immer stärker in den Fokus. Wie man damit umgeht, zeigen die Region Leogang und die „Bike Republic Sölden“. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Katrin blickt zu ihrem Mann. Sie hat ein Glas Hugo in der Hand, er greift zu seinem Bier. Im Hintergrund flutet die Mittagssonne die Leoganger Steinberge. Verliebt schauen sich die beiden Fünfziger in die Augen. Er im rosa Poloshirt mit beiger Chino, sie im farbenfrohen Sommerkleid. Fehlt eigentlich nur noch ein Oberklasse-Cabrio, das vor dem Biergarten geparkt steht, um die Szene aus einer Alpen-Romanze perfekt zu machen. Stattdessen schnoddert ein Teenie „Hey Papa, ich brauche noch Geld“. Der Sohn der beiden ist mächtig dreckverkrustet und seine Protektoren an Knien, Ellenbogen und Brust zeugen von einigen Stürzen. Klaus öffnet sein Portemonnaie und 50 Euro gehen an die nächste Generation über. Nicht der erste Schein und nicht der letzte, den die Eltern ihrem bikenden Nachwuchs hier zustecken. Wir sind in der Steinadlerbar direkt neben der Mittelstation der Asitzbahn oberhalb von Leogang. Anfang Juli im Corona-Jahr 2020 lässt sich hier live erleben, wie moderner Mountainbike-Tourismus funktioniert.

Auf Flowtrails kann man sehr einfach die Schwierigkeitsstufe wählen. Zur Naturnähe gehört immer auch Staub und bei Regen manchmal auch Schlamm. Mit Service und dem richtigen Zubehör aber alles kein Problem.

Gemeinsamer Urlaub mit Erlebnischarakter

Der Zögling nimmt das Geld und sieht zu, schnell wieder zum anderen Tisch zu kommen. Dort sitzen acht Jungs. Alle zwischen 15 und 18 Jahren alt, alle in Mountainbike-Kluft und alle in „Spendierlaune“: Der hölzerne Außentisch biegt sich fast unter der Last von Getränken und Burgern. Es wird viel gelacht, lautstark über die tagesaktuelle Traktion der verschiedenen Lines/Abfahrten diskutiert und Energie für die zweite Hälfte des Bike-Tages in Leogang getankt. Derweil erzählt uns Katrin, dass sie selbst lieber ans Meer gefahren wäre, der Bikepark aber die einzige Chance gewesen sei, Paul, den Sohn, zu einem gemeinsamen Sommerurlaub zu bewegen. So sitzen die beiden in trauter Zweisamkeit bei einem Absacker-Kaffee, während Paul mit seinen Kumpels Richtung „Bongo Bongo“-Line aufgebrochen ist.

Von Sorgenkindern zu wichtigen Umsatzbringern

An den Mountainbikern hängt mittlerweile viel Umsatz, nicht nur bei den jungen Leuten, in deren Windschatten die Eltern für touristische Erträge sorgen, sondern im Gesamten. Davon berichtet Kornel Grundner, Geschäftsführer der Leoganger Bergbahnen, und fasst zusammen: „Das Sommergeschäft wird noch wichtiger werden.“ Mountainbiker hatten es lange schwer, touristisch ernst genommen zu werden. Ein starkes Wintergeschäft mit Skifahrern und Snowboardern ließ die involvierten Regionen florieren. Im Sommer sorgten Wanderer und gesetztes Klientel, laut Grundner früher „vor allem 60 Jahre und älter“, für einen Grundumsatz in den Pensionen und Hotels, die einen, wenn auch ruhigeren Betrieb jenseits der Hochsaison im Winter erlaubten. Die Rechnung ging im Jahresmittel für Gastronomie und Hotellerie auf.
Urlauber auf dem Mountainbike passten in dieses Idyll kaum hinein. Ihre touristischen Anforderungen fanden sich in den eingespielten Prozessen nicht wieder und das Fahren auf (Wander-)Wegen war in manchen Regionen schlicht illegal. Noch heute sind Waldwege in Österreich zumindest offiziell tabu, sofern der Eigner diese nicht freigibt. Dass Mountainbiker dennoch als touristische Gruppe erschlossen wurden, hat zwei Ursachen. Zum einen ist ihre Anzahl stetig gestiegen und konnte ab einem gewissen Moment in kaum einer alpinen Region mehr ignoriert werden: Organisieren, Kanalisieren und Monetisieren taten Not. Zum anderen boten die radelnden Gäste eine Möglichkeit, Ineffizienzen aus dem Wintergeschäft abzuschwächen. Denn die in Anschaffung und Unterhalt sehr kostspieligen und ressourcenintensiven Bergbahnanlagen stehen für eine starke Dysbalance zwischen winterlicher und sommerlicher Nutzung. Grundner spricht heute von 85 Prozent Wintergeschäft für seine Bahnen. 2001, im Jahr als der Bikepark in Leogang gebaut wurde, waren es 96 Prozent. Anders sieht es übrigens bei den Übernachtungen aus. Hier sei bereits Parität zwischen Sommer- und Wintersaison. Auch, wenn die Wertschöpfung im Winter bislang noch höher sei. Wichtig ist die höhere Auslastung in der „grünen Saison“ auch mit Blick auf den Personalbedarf. So können aus „weißen“ Saisonkräften, die nur während der Wintermonate beschäftigt sind, Vollzeitkräfte werden. Das gibt dem einzelnen Angestellten Planungssicherheit und erlaubt Spezialisierung und Fortbildung.

„Wir haben von Anfang an versucht, keine gemischten Wege zu machen, also Mountainbiker und Wanderer gehören für uns nicht auf den gleichen Weg. Weil einfach zu unterschiedliche Geschwindigkeit vorherrschen.“

Kornel Grundner, Geschäftsführer Leoganger Bergbahnen

Alpen und Tourismus im Klimawandel

Die Klimaerwärmung trifft die Gebirge Untersuchungen zufolge schneller und intensiver als anderswo. In den Alpen ist das mehr als deutlich sicht- und spürbar: Gletscher schmelzen, die Winter werden kürzer, wärmer und unsteter und die Pistenqualität leidet selbst in der Hauptsaison. Auch wenn man vor Ort alles tut, um dem kränkelnden Patienten „Wintertourismus“ durch immer mehr Kunstschnee-Anlagen und Ähnliches zu helfen: Die Tourismusindustrie muss sich anpassen. Deshalb richtet sich der Blick immer stärker auf das Sommerhalbjahr – unter anderem mit Mountainbikern und anderen, jüngeren Erlebnis- und Aktivtouristen.

Differenzierter Blick auf „die Mountainbiker“

Wenn man heute von Mountainbikern spricht, dann lohnt sich ein genauer Blick. Denn so unterschiedlich die Bikes inzwischen sind, so unterschiedlich sind auch die Fahrerinnen und Fahrer – wobei es viel Sinn macht, beide Geschlechter mit unterschiedlichen Ansprüchen im Blick zu haben und auch den Nachwuchs nicht zu vergessen. Ebenso ausdifferenziert sind auch die Produkte, seitdem Mitte der 1990er-Jahre Federungssysteme beim Mountainbike Einzug hielten. Inzwischen reicht das Spektrum vom leichten Cross-Country-MTB für schnelle Fahrten auf und ab durch gemäßigtes Gelände über Enduro- und Allmountainbikes, die sich akzeptabel bergauf und lustvoll bergab bewegen lassen, bis zu Freeride-/Downhill-Boliden, die gänzlich fürs Bergabfahren optimiert sind. Nicht zu vergessen sind zudem Tourenfahrer und Trail-Reisende aus der Gravel- und Bikepacking-Szene. Und als wäre das alles noch nicht genug, gibt es die allermeisten Räder inzwischen auch mit Motor – unter anderem auch für Kinder. Die konsequente Ausgestaltung auf spezifische Ansprüche und Anwendungen brachte optimierte Räder hervor, mit denen auch „normal-talentierte“ sportliche Menschen am Berg oder im Bikepark fahren können, und schafft darüber hinaus einen neuen Zugang und neue Nutzergruppen, in denen Männer, Frauen, Junge, Alte, Kinder, Sportskanonen und weniger sportliche gemeinsame Erlebnisse genießen können. Für Touristiker ergibt sich damit ein Füllhorn neuer Möglichkeiten und Sportgeschäfte vor Ort können den Markt mit neuen Verleihangeboten gezielt weiter anschieben.

Früh übt sich! Ähnlich dem „Ski-Kindergarten“ kümmern sich Fahrtechnik-Bikeschulen um kleinste Biker und vermitteleln ihnen spielerisch den Umgang mit dem Rad. Solche Kurse gibt es natürlich auch für die Großen. Sehr empfehlenswert übrigens.

Hochwertige Infrastruktur zieht Kunden

Der Fokus der lokalen Bergbahnenbetreiber, die neben den Hoteliers meist Motor hinter der Entwicklung sind, liegt in der Regel auf stationären Angeboten, die auf eine lange Verweildauer der Gäste am Ort abzielen. Radtouristische „Durchreise-Projekte“ wie etwa sogenannte Transalp-Touren quer oder längs über die Alpen werden dagegen meist von Radreiseveranstaltern forciert. Wie gelingt es, Biker anzulocken und diese an den Standort zu binden? Noch vor zehn oder 15 Jahren genügte die schlichte Existenz von ein paar ausgewiesenen Strecken. Heute sind die Biker anspruchsvoller und die Anbieter offener und mutiger geworden. Sie übersetzen die Idee vom Wintersport auf den Sommer: Statt einzelne Abfahrten oder Hotels zu bewerben, kommunizieren sie ein Paket aus perfekter Sport-Infrastruktur der kurzen Wege mit Strecken, Liften, Gastronomie, Hotellerie und Dienstleistungen. Wie das in der Praxis aussieht, lässt sich in Leogang oder Sölden erleben. Beide Regionen konkurrieren seit geraumer Zeit darum, zu zeigen, wie der perfekte Mountainbike-Urlaub aussieht – mit unterschiedlichen Ansätzen.
Leogang baute zu Anfang bewusst schwierige, selektive Bike-Strecken mit dem Ziel, neue Gäste anzulocken. Es ging nach Grundners Worten nicht darum, dem Gast vor Ort eine neue Attraktion in sein Urlaubsprogramm zu schreiben, sondern neue Gäste zu bekommen, die mit dem traditionellen Wander-Angebot nicht adressierbar waren. Auf Basis dieses Rufs, dass Leogang ein biketechnisch anspruchsvolles Terrain ist, wurden die neuen Gäste mit immer neuen Strecken weiter umgarnt. In der Sprache der Wintersportler gesagt: Erst wurden die schwarzen Pisten für mutige Könner gebaut und zuletzt der Anfängerhügel. Geradezu gegensätzlich ging Sölden in die Bike-Offensive. Viele natürliche Mountainbike Downhill-Strecken haben in Leogang ein Durchschnittsgefälle von 20 Prozent. Das ist für Anfänger deutlich zu steil. Sölden wollte es deshalb entspannter: Deshalb wurde hier das Durchschnittsgefälle der Strecken halbiert. Mit sogenannten Flowtrails, also gebauten Abfahrten, die ein flüssiges, fließendes Fahrerlebnis (daher der Name) ermöglichen. Die lassen sich mit Grundkenntnissen auf dem Mountainbike quasi von jedermann mit ein wenig Mut und adäquater Ausrüstung fahren und bieten gleichzeitig ein wunderbares Naturerlebnis. Könner fahren Kurvenaußenranderhöhungen („Anlieger“) aus oder nutzen Wellen und speziell gebaute Elemente für Sprünge, die von anderen entspannt umfahren werden können. So sind gut gemachte Flowtrails für alle, vom Anfänger bis zum ambitionierten Biker, ein attraktives Terrain. Berühmtes Beispiel ist die „Tiäre-Line“ in Sölden: Gebaut vom ehemaligen Profi-Fahrer Joscha Forstreuther bedeuten die 130 Kehren auf kaum 5,2 Kilometern puren Flow und Fahrspaß, der auch international für Furore sorgte. Wichtig für Interessierte: Die Baukosten für diese Art der Streckenführung sind zwar höher, als wenn man auf steilere Trails zurückgreift, dem gegenüber stehen aber geringere Erhaltungskosten, da der Boden weniger beschädigt wird, obwohl in Summe mehr Leute darauf fahren.

Basis für Marketing- und PR-Offensive

Als „Bike Republic Sölden“ wird die Destination inzwischen in einem Kommunikationskonzept aus einem Guss international erfolgreich vermarktet. Vor Ort besteht kaum eine Chance, mehr als ein paar Minuten auf dem Bike unterwegs zu sein, ohne ein BRS-Signet zu passieren. Leogang ist mit dem Eigenmarketing dezenter und räumt dafür Sponsoren prominente Flächen auf sogenannten Wallrides oder Rampen ein. Dafür formiert sich Leogang mit Nachbar-Bikeparks zu „Österreichs größter Bikeregion“, so der Eigenanspruch, den die Website unterstreicht: „Über 70 km Lines & Trails und 9 Bergbahnen – Saalbach, Hinterglemm, Leogang, Fieberbrunn: Sechs moderne Bergbahnen in Saalbach Hinterglemm, zwei in Leogang und eine in Fieberbrunn bringen Biker schnell und bequem auf die schönsten Gipfel und zu den Einstiegen der lässigsten Trails. Saalbach Hinter-glemm gilt schon seit vielen Jahren als führende Mountainbike-Region in Österreich. Ein enormes Wegenetz von 400 km aller Schwierigkeitsstufen für Tourenfahrer und E-Biker lässt keine Wünsche offen.“

„Der Weg geht für mich dahin, dass das ein ganzes Familienangebot wird wie im Winter.“

Kornel Grundner, Geschäftsführer Leoganger Bergbahnen

Rollenklischees im Umbruch

Zwischenzeitlich sind wir via „Flying Gangster“-Line talwärts gesaust und haben unterwegs einen bikenden Querschnitt der Gesellschaft getroffen. Nach Fahrtechnik und Radbudget durchaus divers, nach Herkunft und Geschlecht sicherlich nicht. Biken ist auch hier bislang noch „weiß und männlich“ dominiert. Hinsichtlich der Geschlechter ist ein Wandel aber deutlich spürbar. „In den Anfängen war es zu 90 bis 95 Prozent ein Männerthema“, sagt Grundner und ergänzt: Aber „auch Frauen haben absolut Spaß an Freeride und Downhill“. Das braucht Vorbilder und der Bike-Großraum von Saalbach und Leogang spielt hier eine Trumpfkarte in der Kommunikation. Die heißt Valentina „Vali“ Höll und ist ein Star in der Downhillszene. Bereits als Juniorin fuhr die gebürtige Saalbacherin Zeiten wie die Profidamen und ist nunmehr mehrfache Weltmeisterin. Sie ziert Plakatwände, Banner und Poster in der Region und fungiert auch als Aushängeschild für die MTB-Weltmeisterschaften, die im Oktober in Leogang stattfinden.

Zukunftsweisend: Spielplatz für alle

Unten angekommen, setzen wir uns auf die Terrasse des Hotel Bacher und beobachten die Szenerie. Aus verschiedenen Lines kommen die Biker an unterschiedlichen Stellen aus dem Wald auf den Hang heruntergesaust. Dort können sie aus einer Vielzahl von Ausläufen in variierenden Schwierigkeitsgraden wählen. Mancher nimmt den großen Drop, andere einen mehrere Meter messenden Gap und eine Familie rollt ohne „Airtime“ (Sprünge) zur Talstation aus. Direkt daneben übt eine Gruppe Männer mittleren Alters in der Drop Area mit unterschiedlichen Sprunghöhen. Zwei Förderbänder, Zauberteppiche genannt, wie man sie aus dem Skitourismus oder dem Transit der Flughäfen kennt, erlauben den schweißfreien Weg zurück zum Ausgangspunkt im sogenannten Riders Playground. Diese Spielwiese ist das reinste Paradies für Biker jeden Alters und jeder Könnerstufe. An unterschiedlichen Hindernissen kann sich jeder schrittweise an die eigene Grenze herantasten und Fahrtechnik und Selbstvertrauen auf- und ausbauen. Es ist Konzept, die Besucher hier – zusammen mit einer Bike-Technik-Schule – fahrtechnisch fit für die Region und die Lines des Bikeparks zu machen. Großes Familienvergnügen: Für die kleinsten Biker gibt es Strecken, die sich sogar mit dem Laufrad meistern lassen. Davon wird reichlich Gebrauch gemacht. Uns erinnert das an die Skateparks oder Golf-Übungszentren am Stadtrand. Nur viel unterhaltsamer anzuschauen für den Außenstehenden und natürlich die Familien oder Freundeskreise.

Eine gute Beschilderung ist ein wichtiger Baustein für ein reibungsloses Mit- bzw. Nebeneinander.

Blick aus der Gondel auf den Auslauf mit den Routenoptionen der verschiedenen Lines.

Kritik zeigt Bedarf nach Kommunikation und Planung

So entspannt und genussvoll sich der Besuch eines Bikeparks in Sölden oder Leogang gestaltet, so krampfig war deren Entstehung. Da waren zum einen die Widerstände vor Ort. Mancher Wintertourismusanbieter sah im vergleichsweise ruhigen Sommer den genau richtigen Gegenpol zum hektischen Winter. Die benötigten Flächen mussten gekauft oder gepachtet, gestaltet und dann unterhalten werden. So sind allein in Leogang zehn Mitarbeiter im Sommer für die „Trailpflege“ angestellt. Nutzungsrechte für Wege und Wiesen waren einzuholen und Vorbehalten des Naturschutzes und zur Störung anderer Touristen musste entgegnet werden. Ein ganz wichtiger Faktor sind auch die Bauern, die die Wiesen im Sommer für ihre Weidetiere beanspruchen. Sie von den Projekten zu überzeugen, sei teilweise eine Mammutaufgabe, wie Dominik Linser, Projektleiter der Bike Republic Sölden, erklärt. Einer seiner Ansätze: Die Köche im Ötztal nutzen gezielt Produkte aus der heimischen Landwirtschaft. So profitieren die Bauern vom wachsenden Sommertourismus. „Mittlerweile wollen einige Landwirte sogar lieber eine Mountainbike-Strecke auf ihrem Gebiet als einen Wanderweg“, erläutert Linser und liefert die Begründung: „Mountainbiker haben keine Hunde dabei, die die Tiere erschrecken können.“
Bei jeder neuen Line gehen die Verhandlungen jedoch von vorn los. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Landwirten sogar von Vorteil für die Trailbauer: Sie kennen die Untergründe durch jahrelange Erfahrung und wissen zum Beispiel, wo feuchte Stellen sind, die man besser umgehen sollte. Kritik an Bikeparks gibt es auch aus der Mountainbike-Szene selbst: Spezielle Parks seien Steigbügelhalter für die Argumentation, Bikeverbote in der Region auszusprechen mit dem Verweis, es seien doch extra Bikeparks eingerichtet worden. Auch hier sollte man immer daran denken, dass es eben keine homogene Kundengruppe gibt und die einen Biker überhaupt kein Interesse an den künstlichen Welten von Parks, andere kein Interesse an Liften haben und wieder andere genauso gerne auch den Uphill-Flow auf dem E-Mountainbike genießen.

Lukrativ und mit nachhaltigem Effekt

Mountainbiker sind eine attraktive Zielgruppe, die mit passend adressierten Angeboten sehr lukrativ für eine Region sein kann. Neben adäquaten Strecken braucht es auch ein komplettes Netz aus Ansprache, Strecken, Service, Gastronomie, Hotellerie und Rahmenprogramm mit alternativer Freizeitgestaltung. Anders als Ski-Touristen sind Mountainbiker auch deutlich anpassungsfähiger an Wetter und Witterung. Ihre Saison kann mit abgetautem Schnee beginnen und reicht, dank extra breiter Reifen, bis zur ersten geschlossenen Schneedecke. Es gibt bereits viele kleinere Bikeparks auch in deutschen Mittelgebirgen, die zeigen, dass auch ein kleineres Streckennetz sehr wohl konkurrenzfähig ist, besonders wenn es sich im Einzugsbereich größerer Metropolen befindet oder keine direkte Konkurrenz hat. So haben die Bikeparks im Harz ein Einzugsgebiet, das von Berlin über Hamburg bis nach Dänemark reicht. Dass Flowtrail im großen Stil auch ohne Lifte erfolgreich sein kann, zeigt der tschechische Park „Singltrek Pod Smrkem“. Er kombiniert rund ein Dutzend Flowtrail-Runden, die sich nahezu beliebig befahren lassen.
Die Effekte für die Destination sieht Bergbahnchef Grundner sehr positiv: „Wir bekommen eine zweite Saison, die nicht mehr nur dem Preiskampf ausgeliefert ist“, denn so sei das früher gewesen: Die Winterkapazitäten wurden im Sommer quasi verramscht. Dieses Prinzip kann man sich mit dem zunehmenden Abschmelzen der Wintersaison heute gar nicht mehr leisten. Statt Kapazitäten werden im Sommer deshalb verstärkt Erlebnisse vermarktet und so kann ein neuer Qualitätstourismus gedeihen: „Wir haben jetzt mehr Vier-Sterne-Hotels“, betont Grundner. Dazu kämen das Leihgeschäft und der Zusatzverkauf von Ausrüstung, Bekleidung und Ersatzteilen. Dominik Linser sieht in seiner Heimat Sölden inzwischen sogar einen prägenden Effekt für die Bewohner der Region: „Mountainbiken wird bei der Jugend immer beliebter. Unser Mountainbike-Club hat mittlerweile rund 140 junge Mitglieder.“ Durch den Sport lernen die Jugendlichen eine neue Heimatverbundenheit, Bergsportbegeisterung und bekommen erste Einblicke in den Tourismus – was wiederum langfristig für heimischen Nachwuchs bei Bergführern, Trainern, Guides oder auch Hoteliers sorgt und der Landflucht entgegenwirkt.

Unser Autor Gunnar Fehlau (links) war in der Vergangenheit mehrfach auf Einladung in der Bike Republic Sölden, um Reportagen zu realisieren, und wurde für diesen Artikel nach Leogang eingeladen. Eigene Erfahrungen und echte Begeisterung für den Bike- und Mountainbike-Tourismus in seinen unterschiedlichsten Facetten bringen aber alle im VELOPLAN-Team mit.


Bilder: Gunnar Fehlau, Tourismusverband Saalbach Hinterglemm, Felix Hens, Klemens König – Leogang