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Vor dem Hintergrund absehbarer ökonomischer Verwerfungen sagen Marktexperten einen neuen Boom der Sharing-Economy und Pay-per-use-Angebote voraus. Wir werfen einen Blick auf eta­blierte Lösungen der Fahrradbranche für Unternehmen, Tourismus, Kommunen und Privatkunden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)


Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise werden zunehmend sichtbar und spürbar. Aber auch in Bezug auf die Geschäftsfelder, Prozesse und Arbeitsabläufe sprechen Experten inzwischen von seismischen Erschütterungen. Mögliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt beschreibt zum Beispiel der Personalberater Heiner Thorborg im Manager Magazin. Seiner Einschätzung nach sind Verschiebungen hin zum Homeoffice und damit verbunden eine Neuausrichtung des Facility- und Mobilitätsmanagements beispielsweise in vollem Gange. Geschäftsreisen würden weniger, Firmenwagen künftig abgeschafft oder durch deutlich kleinere Flotten mit umweltfreundlicheren und kostengünstigeren Alternativen ersetzt. Auch in anderen Bereichen, wie dem Tourismus sind Umbrüche absehbar: So könnten hier flexibel buchbare Fahrrad- und E-Bike-Angebote statt kostenintensiver und aktuell nur schwer nutzbarer Einrichtungen, wie Wellness-
Oasen, zur neuen Zukunfts- und Überlebensstrategie gehören. Auch die Kommunen stehen vor vielfältigen Herausforderungen und müssen die Frage beantworten, wie Mobilität in den Städten und auf dem Land künftig für Einwohner und Mitarbeiter flexibel gewährleistet werden kann.

Neu gedacht: kostengünstig und gesund

Ein Neudenken von Mobilität macht allein wohl mehr Sinn, als uns eigentlich bewusst ist. Das zeigen der Markterfolg der E-Bikes, von denen 2019 fast 1,4 Millionen verkauft wurden und die große Zahl der Abschlüsse beim Fahrrad- und E-Bike-Leasing. Erfahrungen von Unternehmen, Verwaltungen und Mitarbeitern zeigen immer wieder, dass Management und Mitarbeiter gleichermaßen positiv überrascht und zufrieden sind, wenn statt Autos Fahrräder und E-Bikes zum Einsatz kommen. Unternehmen aus der Fahrradbranche wundert das nicht. Sie betonen immer wieder die positiven Effekte, bis hin zum „eingebauten Lächeln“ bei E-Bike-Fahrern. Dank neuer Technologien bieten sie eine breite Palette an Produkten für praktisch jeden Bedarf – auch im B2B-Markt. Ausgereift und vielfach erprobt sind inzwischen Full-Service-Angebote und vernetzte Lösungen mit Buchungssystemen via Smartphone-App, mit der sich einzelne Räder buchen und komplette Flotten verwalten lassen. Sowohl bei den Produkten als auch bei den Vernetzungslösungen gehören Unternehmen aus Deutschland und Europa zu den Markt- und Innovationsführern.

Nextbike – Spezialist für Public Bikesharing

Seit über 14 Jahren aktiv und europäischer Marktführer im Bikesharing ist das Unternehmen Nextbike mit Hauptsitz in Leipzig. Nextbike versteht sich als Ergänzung zu Bus und Bahn und ist aktuell in über 200 europäischen Städten mit seinen markanten Fahrrädern und E-Bikes aktiv. 2019 wurde Nextbike von der Stiftung Warentest als Testsieger im deutschen Bikesharing-Markt ausgezeichnet. Warum das Unternehmen unter Nutzern nicht bekannter ist, liegt vor allem daran, dass die Räder in vielen Städten quasi unter fremder Flagge fahren – oft unter der lokaler Verkehrsbetriebe, aber auch von Städten oder externer Sponsoren, wie Deezer in Berlin. Interessant ist auch das starke Interesse von auf den ersten Blick nicht besonders fahrradaffinen Ländern wie Polen. Gerade hier tut sich offenkundig in Bezug auf nachhaltige Mobilität eine ganze Menge.

„Allgemein erhoffen wir uns ein nachhaltiges Umdenken, dass die viel besprochene Mobilitätswende mit mehr Nachdruck umgesetzt wird.“

Niclas Schubert, Movelo

Movelo – Corporate E-Bike-Sharing

Seit 2005 ist das Unternehmen Movelo als Spezialist für E-Bike-Sharing bekannt. Vom Anbieter von Flyer-E-Bikes in Tourismusdestinationen hat sich das Unternehmen inzwischen aber deutlich weiterentwickelt und neu positioniert. Schwerpunkt ist ein „Plug & Play-System“ für das Corporate E-Bike-Sharing, bestehend aus E-Bikes und E-Cargobikes, Docking-Stationen und Flottenmanagement-Software, mit dem Unternehmen ihren Mitarbeitern eine Alternative zum Auto bieten können. Spezifische Zielgruppen sind, neben Unternehmen, vor allem Pflegedienste, Tourismusdestinationen und der Immobiliensektor. Businesskunden wird eine flexible monatliche Gebühr berechnet. Da das Produkt modular aufgebaut ist, ist es einfach, die Flotte zu erweitern oder zu verkleinern, wenn die Nachfrage nach E-Bikes unter den Mitarbeitern variiert. Heute sind nach Unternehmensangaben 5000 Movelo E-Bikes im Umlauf und über 1000 Lade- und Mietstationen aktiv. Zur aktuellen Corona-Situation befragt, sagt Geschäftsführer Niclas Schubert: „Allgemein erhoffen wir uns ein nachhaltiges Umdenken, dass die viel besprochene Mobilitätswende mit mehr Nachdruck umgesetzt wird. Solange die Abstandsregelung gilt, ist das E-Bike für viele das optimale Verkehrsmittel für den Weg in die Arbeit. Wir haben rasch auf die Situation reagiert und bieten Unternehmen Kurzzeitmieten an.“ Ein spezielles Angebot gibt es aktuell zudem für Lieferdienste.

ZEG Eurorad: Travelbike und Sharea

Mit Dienstleistungen und speziellen Angeboten ist die Firma Eurorad, eine Tochter des ZEG-Verbunds von 960 unabhängigen Fahrrad-Fachhändlern, seit einigen Jahren im Tourismus- und B2B-Bereich aktiv. Unter der Marke Travelbike gibt es ein Full-Service-Angebot für Tourismusdestinationen in vielen verschiedenen Regionen in Deutschland und Österreich. Zusammen mit lokalen ZEG-Partnern bietet Travelbike maßgeschneiderte Angebote für den E-Bike-Verleih, vom coolen Strandrad bis hin zum E-Mountainbike.
Ein ähnliches Konzept wie Movelo bietet Eurorad mit Sharea als neuem Anbieter für Zweirad-E-Mobilität. Kunden können E-Bikes, E-Lastenräder oder E-Kickscooter für spezifische Zeiträume mit einem digitalen Verleihsystem mieten. Dazu gibt es spezielle Hubs, eine Vielzahl möglicher Fahrzeuge und ebenfalls Full-Service-Pakete in Zusammenarbeit mit ZEG-Händlern vor Ort. Für Kommunen und Investoren interessant: Nach einer Eurorad-Präsentation lassen sich zum Beispiel für ein Münchner Wohnquartier mit 50 Einheiten und 3300 qm Wohnfläche durch die Einrichtung eines Radverleihsystems und der gleichzeitigen Reduzierung von Parkflächen von 1 auf 0,3 Stellplätze pro Wohneinheit Kosteneinsparungen von rund 650.000 Euro realisieren.

Starkes Wachstum für Abo-Angebote: Allein in Deutschland hat Swapfiets 35.000 Kunden und über 500 Mitarbeiter.

Swapfiets – alles im Abo und aus einer Hand

Seit dem Start im Jahr 2014 ist der niederländische Fahrrad-Abo-Anbieter Swapfiets, erkennbar an den blauen Vorderreifen, jedes Jahr um mindestens 500 Prozent gewachsen, heißt es in einer Pressemitteilung. Swapfiets ist in Dutzenden von Städten und neben den Niederlanden inzwischen auch in Belgien, Deutschland und Dänemark aktiv. Für Deutschland gibt Swapfiets 35.000 Kunden und über 500 Mitarbeiter an. Mit den Rädern werden bislang vor allem junge urbane Kunden angesprochen. Kurzfristig kündbare Abos ab 15 Euro pro Monat bedeuten für sie keine große Investition und vor allem keinen Stress mit Reparaturen und Diebstahl. Geplant ist neben der internationalen Expansion auch die Ausweitung des Geschäfts auf E-Bikes und E-Tretroller und der Einstieg in das Geschäftsfeld der Business-Räder mit neuen Modellen.

Bond: Spezialist für schnelle Sharing-E-Bikes

Der etablierte Schweizer Sharing-Anbieter von schnellen S-Pedelecs hat Anfang des Jahres seine internationalen Expansionspläne bekannt gegeben und dazu auch gleich seinen Namen von Smide zu Bond (Bike on Demand) gewechselt. Neue Standorte seien dazu in europäischen Städten und den USA geplant. Aktuell gebe es durch Corona Verschiebungen bei der Nutzung, erläutert Dr. Raoul Stöckle, CEO & Mitgründer von Bond: „Wir sehen zum Beispiel einen deutlichen Rückgang an den ‚normalen‘ Fahrten, dafür aber auch eine Steigerung bei den Tages- und Langzeitmieten. Es zeigt sich klar, dass Bond als Ersatz für das Auto und den öffentlichen Verkehr genutzt wird.“ Trotz oder gerade wegen der Corona-Krise blickt Raoul Stöckle für sein Unternehmen positiv in die Zukunft: „Mittel- und langfristig dürfte Covid dem ganzen (E-)Bike – egal ob Sharing oder Besitz – einen großen Schub verleihen.“ Dies habe man insbesondere in China gesehen. Nachdem die Restriktionen teilweise aufgehoben wurden, sei die Bike-Sharing-Nutzung innerhalb einer Woche um 80 Prozent gegenüber der Vor-Covid-Zeit gestiegen. Von den Kosten her unterscheide sich die Nutzung der schnellen E-Bikes kaum vom ÖPNV. Abgerechnet wird nach Kilometern, dazu gibt es Abos für Viel- und Gelegenheitsfahrer und Boni für das Abstellen in bestimmten Zonen oder an den Ladepunkten. Nach den Machern von Bond spricht Vieles für die schnellen E-Bikes. „Wichtig ist unserer Erfahrung nach bei den Nutzern nicht nur das Argument, gut und sicher anzukommen, sondern auch das Gefühl, etwas Gutes für sich zu tun und dabei Spaß zu haben.“ Das spezielle Gefühl, das viele Kunden anziehe, sei „wie Gehen auf einer Rolltreppe.“

Gesunde Mobilität zum günstigen Preis. Die Mietkosten für ein schnelles E-Bike 45 unterscheiden sich laut Bond kaum von einem ÖPNV-Ticket.

Neue Mobilität fördern, nicht ausbremsen

Über die Hindernisse für die Nutzung von schnellen S-Pedelecs haben wir in der letzten VELOPLAN-Ausgabe bereits ausführlich berichtet. Für die Zukunft wünscht sich auch Raoul Stöckle von Bond eine größere Offenheit der Gesetzgeber. Noch wichtiger sei aber eine faire Behandlung solcher Angebote durch die Städte und Kommunen. „Die Kunden wollen es, für die Vermeidung von Autoverkehr und Emissionen ist es wichtig, aber in der Praxis werden wir durch lokale Regularien vielerorts ausgebremst.“ Zusätzlich zu den europaweit sehr unterschiedlichen und in Deutschland restriktiven Regeln im Straßenverkehr beträfe dies vor allem die Zulassung in Kommunen, verbunden mit der Verpflichtung, Gebühren für die Nutzung des Straßenraums zu zahlen. „Neben den Ausschreibungen für Radverleihsysteme sollte immer auch noch Platz sein für weitere Anbieter.“ Im Sinne dringend nötiger Innovation sei es wichtig, für Angebote im Bereich nachhaltige Mobilität abseits des Pkws keine Markthindernisse, zum Beispiel durch indirekte Subventionen bestehender Lösungen und Anbieter aufzubauen, sondern neue Angebote aktiv zu fördern oder zumindest nicht auszubremsen. „Das wünschen wir uns für die Zukunft.“


Bilder: Nextbike, Movelo, Swapfiets, Bond