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Gute Infrastruktur spricht Einladungen aus und vermittelt echte Sicherheit – gerade schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Wird man weiterhin nur träumen dürfen? Von einer gemeinsamen Anstrengung, die wirklich allen hilft? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Kennen Sie das Zitat in der Überschrift? Der Schlüsselsatz aus dem 1989er-Film „Feld der Träume“ sitzt mir schon lange wie ein Ohrwurm im Kopf. Dort im ländlichen Iowa ist mit „es“ ein Baseballfeld gemeint, das Kevin Costner als Farmer Ray Kinsella in seinem Maisfeld errichtet. Eine Stimme, die nur er hören kann, hat ihn davon überzeugt. Unter dem Spott seiner Nachbarn pflügt er einen Teil seines Ackers um und ruiniert so den familiären Frieden und beinahe seine Landwirtschaft. Als das Spielfeld jedoch fertig ist, erscheinen plötzlich „Geisterspieler“: Ihrerseits verdutzte, tote Legenden des Nationalsports, die durch das verbliebene Maisfeld ins Diesseits zurückkommen, um wieder Baseball zu spielen.
In meinem Mantra ist freilich „es“ das Radwegenetz und „er“ der Straßenverkehr einer lebenswerten Zukunft: unmotorisierter, umweltfreundlicher, platzsparender, gleicher, menschlicher und respektvoller. Denn gute Infrastruktur spricht ja ein Angebot aus, eine Einladung: Hier bist du Mensch, hier darfst du’s sein. Und zwar egal, welche Mobilitätsform man wählt. Dieses Privileg gilt hierzulande seit Jahrzehnten nahezu exklusiv fürs Kfz. So sehr, dass viele Menschen es als Anrecht leben. Höchste Zeit für eine Notbremsung! Und wenn der Film auch mit einer bis zum Horizont reichenden Autokolonne endet, so steht sie ja doch, die Hoffnung: auf eine Menge an Menschen, deren Erkenntnis oder Einsehen es benötigt, damit der verspottete Visionär am Ende recht behält.
Meine Vision, das ist eine Mobilität der Zukunft, die Fortbewegungsbedürfnisse von Menschen erfüllt, ohne zum Luxusgut zu werden, und gleichzeitig Natur, Gesundheit und Wohlergehen schützt, ohne sie zu gefährden. Ich wünsche mir einen Lebensraum, dem sich der Verkehr unterordnet, keinen Verkehrsraum, der das Leben verdrängt. Ich wünsche mir Tempo 30 innerorts, Superblocks und weitestgehend autofreie Städte. Da gibt es viele interessante internationale Vorbilder.
Seit der Straßenverkehrsgesetz-Novelle 2024 haben deutsche Kommunen eine Menge mehr Befugnisse, „es“ zu bauen. Beziehungsweise weniger Ausreden, es nicht zu tun. Doch geschieht da nichts von allein. Es braucht viel gute Laune, unser aller zivilbürgerliches, gesellschaftliches Engagement und striktes Nachhaken bei oder durch politische Akteur*innen, um die unzähligen kleinen nötigen Schritte umsetzen. Hoffentlich, so eine weitere Vision, im Dialog, geprägt von Rücksicht, Offenheit und Fairness, was Platzbedarf und wahre Kosten betrifft. Denn was sonst hülfe gegen die Beantwortung komplexer Fragen mit einfachsten Parolen und gegen die stark selektive Wahrnehmung in den Echokammern? Zu oft wird dort statt eines solchen Miteinanders ein Kampf erklärt: Pass nur auf, die wollen dir was wegnehmen! Dabei sollten wir uns doch mit allen Menschen, die ein Mobilitätsbedürfnis haben, an einen Tisch setzen! Als Chefredakteur eines Fahrradkulturmagazins bin ich überzeugt, dass das Fahrrad ein großer Teil der Lösung ist – aber natürlich nicht der einzige. Ohne gesellschaftliche Mehrheiten ist ein ausgewogener und friedlicher Verkehr nicht zu realisieren.
Weiter wie bisher, das geht ohnehin nicht mehr. Der alte Sponti-Spruch wird noch immer täglich wahrer: „Wer Straßen sät, wird Autos ernten.“ Oder Stau. Mehr Straßen, mehr Stau, mehr unglückliche Menschen. Es sah zwischendurch mal kurz so aus, als ginge es in eine gute Richtung. Doch die Bundesverkehrspolitik hat in Sachen Fahrrad und Lebensqualität alle Bremsen festgezogen. Wo Unionsparteien ans Lenkrad gelassen werden, legen sie den Rückwärtsgang ein und geben Vollgas – wie man „schön“ in Berlin beobachten kann.
Bei den politischen Hiobsbotschaften dieser Tage bekommt man den Eindruck, dass sich das Fenster der Möglichkeiten hierfür eher schließt. Wir müssen und können über vieles reden. Nur eines ist aus meiner Sicht nicht verhandelbar: Vision Zero. Die Schwächeren müssen geschützt werden und Rücksichtnahme zur Selbstverständlichkeit. Ich will keine Verkehrstoten mehr hinnehmen!


Bilder: Vaude – pd-f, Frank Stefan Kimmel – pd-f

Bei Kiel denkt man an Küste, Fischbrötchen, Wind und Regen. Ans Fahrradfahren? Wahrscheinlich nicht sofort. Dabei tut die Stadt einiges, um die Fahrradinfrastruktur zu verbessern. Ein Blick auf den aktuellen Stand.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Gibt man bei Google „Fahrradstadt Kiel“ ein, scheint in Deutschlands nördlichster Hauptstadt einiges gut zu laufen. Es finden sich einige lobende Beiträge, dazu Statistiken vom steigenden Anteil des Fahrrads am Mobilitätsmix und Infos zur wachsenden Fahrradinfrastruktur. „Radverkehrsförderung ist politisch gewollt, einerseits aus Klimaschutzgründen und andererseits aus Gründen der Aufenthaltsqualität. Durch mehr Radverkehr wird die Stadt attraktiver, lebenswerter, ruhiger und gesünder“, begründet Marla Wolframm von der Abteilung Mobilität und Strategie im Kieler Tiefbauamt das Engagement der Stadt für das Zweirad. Oberbürgermeister Ulf Kämpfer kündigte in einem Magazininterview 2023 sogar an, zu Radverkehrs-Leuchtturm-Städten wie Kopenhagen oder Utrecht aufschließen zu wollen.
Ein Blick auf den Status quo erscheint vielversprechend: Bereits 2018 war der Anteil des Radverkehrs auf 22 Prozent gestiegen, im Vergleich zu 17 Prozent in 2002. Derzeit werden neue Daten erhoben, doch Marla Wolframm geht davon aus, dass „die Corona-Pandemie mehr Menschen aufs Rad gebracht hat“, die Zahlen werden also wohl nochmals gestiegen sein. Eine Einschätzung, die Alexander Sonders teilt. Der Volkswirt und Gründer hat Firmen, Institutionen und Kunden zu Personen- und Cargo-Transportmöglichkeiten beraten und gleichzeitig mit seinem Kollegen Klaus-Dieter Nebendahl den Radladen Velostyle eröffnet. Direkt an der Veloroute 10.

Die Kieler Velorouten sollen die Menschen schnell ans Ziel bringen. Mit dem Fahrrad –und manchmal auch mithilfe anderer Fortbewegungsmittel wie einer Fähre.

Verbreitern und verbinden

Das ist eine von sechs Radrouten, die sich durch Kiel ziehen, und die, so beobachtet Alexander Sonders, „unglaublich stark genutzt wird. Vor allem zu Stoßzeiten morgens, abends oder wenn Fußballspiele von Holstein Kiel stattfinden“. Die Stadt hat die Velorouten zu einem Kernprojekt in Sachen Fahrradinfrastruktur gemacht. Es gibt sie in Kiel zwar schon seit 1988, damals war das Fahrradaufkommen aber noch wesentlich geringer, die Anforderungen waren andere. In Kiel arbeitet man deshalb gerade daran, die Velorouten auszubauen und bestenfalls in sogenannte Premiumrouten zu verwandeln, die autofrei oder zumindest autoarm und mit wenigen Kreuzungen und Ampeln gestaltet sein sollen. Denn wenn das Fahrrad schneller ist als das Auto, das derzeit für Strecken länger als fünf Kilometer noch das meistgenutzte Fortbewegungsmittel ist, wird der Anreiz höher, umzusteigen. „Vor einigen Jahren haben wir die ersten fünf Kilometer der Veloroute 10 auf eigenständiger ehemaliger Gleis-trasse fertiggestellt“, berichtet Marla Wolframm. Die Velorouten 1, 2 und 4 werden derzeit erweitert. Erstere wird auf 1,9 Kilometern zu einer vier Meter breiten Zweirichtungsanlage ausgebaut, die Route 2 wurde kürzlich fertiggestellt und mit der Veloroute 4 verbunden. Für die wiederum wurden Kfz-Spuren in Radfahrstreifen umgewandelt.

„Durch mehr Radverkehr wird die Stadt attraktiver, lebenswerter, ruhiger und gesünder.“

Marla Wolframm, Kieler Tiefbauamt

Erneuern und aufstocken

Seit den ersten Versuchen mit längeren Rad- und Schutzstreifen vor zehn bis fünfzehn Jahren hat sich einiges getan. Mittlerweile, so heißt es aus dem Tiefbauamt, werde nicht mehr versucht, den Radverkehr ohne große Veränderungen ins bestehende Verkehrssystem zu integrieren. Vielmehr werde er nun bei der Neu- und Umplanung von vornherein mitgedacht. Und auch bereits existierende Strukturen bekommen ein den aktuellen Anforderungen entsprechendes Update. So werden bestehende Radwege im Zuge der alljährlichen „Fertigerwochen“ saniert – 22 Kilometer waren es 2022 – oder auch der „Umsteiger“, das Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof, wird aufgestockt, sodass dort künftig rund 200 Pendlerfahrräder mehr Platz haben.

Eine Mobilitätsstation am Bahnhof bietet Abstellflächen, Informationsangebote und die Möglichkeit, auf Zug, Taxi, Car- oder Bike-Sharing zu wechseln.

An der Mobilitätsstation gibt es auch eine Luftpumpe – damit die Radnutzung nicht an platten Reifen scheitert.

Leihen und pendeln

Nicht alle nehmen jedoch das eigene Rad als Transferfahrzeug zwischen zuhause und Zug: „Wir sehen, dass mit großem Abstand die meisten Verbindungen mit unseren Rädern an Bahnhöfe gehen“, schildert Benno Hilwerling. Er ist für die Projektkoordination der SprottenFlotte zuständig. Dieses Bikesharing-System ergänzt seit 2019 als Teil des „Masterplan Mobilität“, der insgesamt 72 Maßnahmen enthält, den Mobilitätsmix in Kiel und der KielRegion. Gerade wurde es auf ländliche Bereiche in der Region erweitert. Eine Besonderheit, und zunächst als Pilotprojekt auf drei Jahre Laufzeit begrenzt, wie Hilwerling erklärt.
Im urbanen Kiel ist die SprottenFlotte schon gut etabliert. Rund 42.500 Menschen nutzen das Angebot, im Sommer kommen pro Monat auch mal 50.000 Ausleihen zusammen. Die SprottenFlotte umfasst inzwischen etwa 1200 Räder, darunter 100 E-Bikes, zwölf Lastenräder und fünf E-Lastenräder, die die Menschen in Kiel innerhalb der Stadtgrenzen hauptsächlich für Wege von bis zu drei Kilometern nutzen.

Das Bikesharing-System SprottenFlotte gibt es seit 2019 in Kiel. Inzwischen gehören zur Flotte auch Lastenräder.

Unterstützen und fördern

Auch immer mehr ortsansässige Unternehmen engagieren sich in verschiedener Form fürs Rad. So finanzierte beispielsweise Rewe Digital eine SprottenFlotte-Station vor dem Wissenschaftszentrum. My Boo baut in Kiel nachhaltige Bambusbikes und unterstützt damit soziale Projekte in Ghana. Und bei Velostyle geht es um weit mehr als den Verkauf von Fahrrädern und Accessoires. Übergeordnetes Ziel ist es, dass „die Leute das Fahrrad mit einem guten Gefühl verbinden“, erklärt Alexander Sonders. Damit das passiert, veranstaltet Velostyle einmal im Jahr das Kieler Fahrradfest mit Craftbeer, Foodtrucks, Musik und der Möglichkeit zum Probefahren. Um die hochwertigen Räder bei Großveranstaltungen sicher abstellen zu können, kümmert sich Velostyle bei der Kieler Woche zum sechsten Mal um bewachte Fahrradparkplätze. Dass grundsätzlich auch ein Werkstatt-Service angeboten wird, den vor allem Mitarbeiter*innen der Firmen entlang der Veloroute 10 in Anspruch nehmen, ist selbstverständlich – und wird rege nachgefragt. „Bei uns hat sich der Reparaturbedarf in den vergangenen paar Jahren grob verdoppelt“, stellt der Ladengründer fest. Das Quartier um den Grasweg, wo Velostyle seinen Sitz hat, hat sich ebenfalls radverkehrstechnisch stark weiterentwickelt. Sogar eine Pizzeria mit Drive-Thru-Schalter für Radfahrer gibt es dort. In einem nur knapp eineinhalb Kilometer entfernten Bereich des Französischen Viertels, das zwischen drei Velorouten liegt, soll per Beschluss des Bauausschusses nun ebenfalls unter anderem der Komfort für Radfahrende verbessert werden. Neben Fahrradachsen oder Parkplätzen für Lastenräder sind auch Fahrradbügel geplant.

Gas geben und gebremst werden

Letztere, ebenso wie Poller oder Rotmarkierungen von Fahrradflächen auf Autostraßen, zählt Thorben Prenzel zu „den kleinen Maßnahmen, die schnell etwas bringen und deshalb zuerst umgesetzt werden sollten“. Er ist Geschäftsführer von Rad.SH, der kommunalen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs in Schleswig-Holstein, die in beratender Funktion mit Kiel zusammenarbeitet und unter anderem den Flyer „Kiel fährt sicher – Regeln und Tipps für Auto- und Radfahrende“ für die Stadt erstellt hat. Er glaubt, Kiel sei in Sachen Radverkehr auf einem sehr guten Weg. Er weiß aber auch, dass viele Maßnahmen langsamer umgesetzt werden (müssen), als es wünschenswert wäre – und dass es ohne gute Kommunikation im Vorfeld nicht immer gelingt, Anwohnerinnen sowie Laden- und Restaurantbetreiberinnen mitzunehmen. Während alle Maßnahmen, die mit Sicherheitsaspekten begründet werden können, seiner Beobachtung nach meist eine höhere Aussicht auf Akzeptanz und damit auf Erfolg haben, gebe es generell beispielsweise immer dann Diskussionen, wenn es um Parkplätze geht. Oder um andere Einschränkungen des Autoverkehrs.

Der Fahrradstadtplan Kiel zeigt Radfahrer*innen schnelle und attraktive Fahrradrouten.

Befürworten und blockieren

Auch wenn die Stadt vor Beginn von Baumaßnahmen Schreiben samt Kontaktmöglichkeit an die direkten Anliegerinnen herausgibt, Projekte in verschiedenen Stadien in den Ortsbeiräten sowie über die lokalen Medien kommuniziert, „können wir nicht alle erreichen“, räumt Marla Wolframm ein. In Kiel sind längst nicht alle Befürworterinnen der Radverkehrsförderung, die sich 2023 auf 30 Euro pro Einwohner belief. Fast so viel wie in Kopenhagen (ca. 35 Euro).
In einem Online-Beitrag des NDR aus 2023 schimpft zum Beispiel CDU-Fraktionsvorsitzender Rainer Kreutz, der Oberbürgermeister versuche, Kiel auch gegen Widerstände als Fahrradstadt zu etablieren. Christina Musculus-Stahnke von der FDP kritisiert, dass die Verbesserungen für den Radverkehr auf dem Rücken der Autofahrerinnen ausgetragen würden, und die AfD moniert in ihrem Programm ein „zunehmendes Ärgernis im Lebens- und Berufsalltag der Bürger“. Dabei sei es der Anspruch der Stadt, bei der Planung alle Verkehrsteilnehmerinnen „mitzudenken und zu vermitteln, warum unsere Radverkehrsmaßnahmen im Einzelnen so wichtig sind“, argumentiert Stadträtin Alke Voß, räumt aber ein, es sei „eine ständige Herausforderung, der Politik und den Kieler*innen die Dauer der Prozesse verständlich zu machen“.

„Kiel ist eine großartige Fahrradstadt – and a bike city is a happy city.“

Alexander Sonders, Velostyle Kiel

Wertschätzen und weitermachen

Denjenigen, die für eine Verbesserung der Radinfrastruktur sind, geht es nämlich nicht immer schnell genug. Auch Fahrradladenbesitzer Alexander Sonders würde sich noch einige Verbesserungen im Detail wünschen, zum Beispiel, dass die Radwege noch besser vernetzt, breiter und besser separiert werden. Er fände außerdem eine höhere Kompromissbereitschaft der verschiedenen Verkehrsteilnehmer*innen wichtig, damit auf der begrenzten Stadtfläche Platz für alle ist. Insgesamt findet er aber, dass Kiel den Radverkehr auf vielen Ebenen fördert und zu Recht regelmäßig in Umfragen und Vergleichsstudien unter den fahrradfreundlichsten Städten Deutschlands landet, denn: „Kiel ist eine großartige Fahrradstadt – and a bike city is a happy city.“


Bilder: Landeshauptstadt Kiel – Christoph Edelhoff, Grafik: Landeshauptstadt Kiel, Landeshauptstadt Kiel – Annika Pleil, SprottenFlotte

Solarenergie ist auch auf Radinfrastruktur ein relevantes Thema. Ein Überblick über erste Lösungen auf öffentlichen Strecken.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Die Sache mit der Solarenergie auf dem Radweg endete in einem medialen Fiasko. Statt Energie aus erneuerbaren Quellen erntete die Stadt Erftstadt Häme in sozialen Medien, ein NDR-Beitrag mit dem Titel „Realer Irrsinn“ stempelte den Versuch im Ortsteil Liblar zur Lachnummer ab. Was im Jahr 2018 als Vorzeigeprojekt von der damaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze eingeweiht wurde, ist fünfeinhalb Jahre später von der Kommune wieder entfernt worden. 90 Meter Solarradweg, der erste in der Bundesrepublik, sind nun verschwunden. Die Stadt habe „die Notbremse gezogen“, meldete der Kölner Stadt-Anzeiger, Stadtsprecher Christian Kirchharz sagt: „Wir mussten handeln.“

Euphorie beim Start in Erftstadt

Die Hoffnungen, die 2018 ins Pilotprojekt gesetzt wurden, waren erheblich. Der Berliner Ingenieur und Erfinder Donald Müller-Judex hatte mit seinem Unternehmen Solmove an einer Radweg-Oberfläche getüftelt, die in der Lage sein sollte, den Zweiradverkehr ganzjährig sicher zu führen und zugleich Energie aus dem Sonnenlicht in Strom umzuwandeln. Der „Spiegel“ berichtete, so relevant war das Projekt, 16.000 Kilowattstunden würden die 200 mit Solarzellen ausgeschmückten Quadratmeter im Jahr liefern. „Es ist ein bisschen wie ein erster Schritt auf dem Mond“, zitierte das Hamburger Nachrichtenmagazin den Erfinder.
Die 90 Meter sind inzwischen wieder asphaltiert. Der Rückbau kostete die Gemeinde 30.000 Euro. Zuvor hatte sich die Wegstrecke in ein Ärgernis verwandelt. Die Oberfläche war aufgeplatzt, Glas aus den Modulen gebrochen, für Radfahrer war die Zukunftstrasse zum Hindernisparcours geworden. Warum das Projekt zum Fehlschlag wurde, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Erfinder Müller-Judex spricht bis heute davon, die Stadt habe das Vorhaben „blockiert“, ein Zähler wurde nicht montiert, die Heizfunktion kam nicht in Gang, die Unterhaltung der Flächen jedenfalls missglückte und statt Strom erntete man in Erftstadt Spott.

Erkenntnisse aus dem Misserfolg

Doch muss man diesen Versuch deshalb verurteilen? „Grundsätzlich steht die Stadtverwaltung auch anderen Versuchen und Innovationen offen gegenüber“, sagt Sprecher Kirchharz: „Dass der Solarradweg gescheitert ist, verstehen wir als notwendige Erfahrung, die auch gemacht werden müssen. Ein Erfolg wäre für alle besser gewesen, aber die gewonnenen Erkenntnisse sind ebenfalls wertvoll. Der Solarradweg wurde, neben dem kurzen Stück mit den Solarpaneelen, mit einem vollständig versickerungsfähigen Elastopave-Material (PU-basiertes Oberflächensystem) ausgebaut, womit wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben.“ Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – wer keine Versuche macht, wird auch keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Auch diese Lesart lässt sich beim Erftstädter Versuch vertreten.

Der Freiburger Radweg ist an die Bedenken der Radfahrer angepasst und verfügt über ein modernes LED-Beleuchtungssystem.

Solardach in Freiburg

In Freiburg im Breisgau spricht man weiterhin sehr gern über ein anderes Pilotprojekt, das es ebenfalls in den vergangenen Monaten häufig in die Medien geschafft hat. Dort hat der regionale Energieversorger Badenova nach einem Vorstoß durch die Stadt ebenfalls einen Solarradweg gebaut und in Betrieb genommen. Lars Meyer, zuständiger Projektmanager für erneuerbare Energien, gibt gern Vertretern aus anderen Städten und Gemeinden Einblicke in das Projekt, das vor etwa zehn Jahren mit einem Besuch einer Freiburger Delegation in der südkoreanischen Partnerstadt Suwon seinen Ausgang nahm. Damals sah der Leiter des Umweltschutzamts in Fernost einen solarüberdachten Radweg und gab das Ziel aus, im Einklang mit Freiburgs Klimaschutzprogramm ebenfalls eine solche Lösung für die heimische Stadt zu finden. „Es geht darum, einen Beitrag zur dezentralen Energiewende und zum aktiven Klimaschutz zu leisten“, erklärt Lars Meyer. Es war auch wichtig, etwas zu schaffen, das nicht nur in Freiburg funktioniert. „Es geht darum, eine skalierbare und auch ökonomisch umsetzbare Lösung zu schaffen“, berichtet der Planer. Gerade das Vermarkten von Strom im urbanen Raum sei eine Sonderaufgabe, die bei einem solchen Radweg ansteht.

Energiebilanz erst Ende 2026

Seit dem Herbst 2023 ist die Anlage in Freiburg in Betrieb. Sie liegt direkt bei der Messe, gleich in der Nähe des neuen Stadions des Fußball-Bundesliga-Vereins SC Freiburg. 300 Meter ist die Trasse lang, die Überdachung 2,50 Meter hoch und überzogen mit 912 Glasmodulen, die eine angepeilte Energiemenge von 280 Megawattstunden im Jahr liefern sollen. Da das erste Solarjahr nach Inbetriebnahme noch nicht abgelaufen ist, lässt sich über die Ernte noch keine Aussage treffen. Projektleiter Meyer weist darauf hin, dass aufschlussreiche Erkenntnisse auch erst nach drei Jahren zu gewinnen seien – wenn saisonale Schwankungen ausgeglichen sind.

„Es war wichtig, einen direkten Anlieger zu finden, der den Strom im räumlichen Zusammenhang verwertet.“

Lars Meyer, Badenova

Energieerzeugung im öffentlichen Raum

Für den Ingenieur ist eine solche Anlage nicht trivial: „Wir haben dabei eine besondere Herausforderung. Wir stellen hier eine Energieerzeugungsanlage in den öffentlichen Raum. Jeder kann hingehen, jeder kann sie anfassen. Das bedeutet wesentlich höheren Planungs- und Abstimmungsaufwand als bei herkömmlichen Solaranlagen abseits
öffentlicher Infrastruktur“, erklärt Meyer. Entsprechend müsse man auch die hohe Dynamik mitbedenken, wenn man ein solches Projekt angehe. „Wir haben ein Gefälle erkannt, das wir zunächst gar nicht so relevant eingeschätzt hatten“, sagt Lars Meyer, „es sind neue Verkehrsbeziehungen dazugekommen.“ Etwa für die Menschen, die die Heimspiele des SC Freiburg im neuen Stadion besuchen und sich nicht an die vorgegebenen Wege halten. „Das mussten wir genauso berücksichtigen wie Kabel, die wir plötzlich gefunden haben und auch den Blick auf mögliche Kampfmittel auf dieser Fläche.“ Es sei wichtig, so Mayer, dass man „beinahe wie im agilen Projektmanagement“ einen Partner hat, mit dem man entsprechend reagieren kann, ohne dass dadurch die Kosten in die Höhe schnellen. Mit dem Generalunternehmer MHB Süd sei das gelungen. Die regendichte Verbindung der Solarmodule gelang mit dem Freiburger Unternehmen Clickcon.

Sicherheit für Radler wichtig

Hinzulernen mussten Meyer und seine Energieexpertinnen beim Thema Radverkehr. Als das Projektteam sich beim Solar Award in Berlin bewarb, gab es aus der Jury konkrete Rückmeldungen von Radfahrern zur Planung. Sie hatten Fragen zur Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen. „Da haben wir als Ingenieure noch mal dazugelernt, dass bei der Projektpräsentation neben den technischen Aspekten der erneuerbaren Stromproduktion auch die sicherheitstechnischen Aspekte mehr in den Vordergrund gestellt werden müssen“, sagt Meyer. Im Vorfeld hatte es bereits intensive Abstimmungen mit der Stadt Freiburg gegeben. „Man darf die Anlage nicht nur als Stromerzeugungsanlage sehen, sondern eben als Verkehrsweg.“ Anforderungen gibt es an das Lichtraumprofil und zur Position der Stützen für das Solardach. „Wir haben zudem auch ein innovatives LED-Beleuchtungssystem eingebaut, das flexibel auf die Bewegungen auf der Fläche reagiert“, erklärt Meyer.

Es fehlen Standardgenehmigungen

Eine Besonderheit des Bauens im öffentlichen Raum: Die Solar-Radwegüberdachung wurde für die Verwendung von Glas-Glas-Modulen konzipiert, die zusammen mit dem Montagesystem ein regendichtes Dach bilden. Es gab zum Projektstart nur einen Partner, dessen Glas-Glas-Solarpaneele für den Einsatz im öffentlichen Raum zertifiziert waren. Nach den statischen Untersuchungen musste Meyers Team zusätzlich eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung von der Landesstelle für Bautechnik des Regierungspräsidiums Tübingen ersuchen, um zu sichern, dass die geplante Anwendung auch genehmigt war. „Das ist ein hoher Aufwand“, sagt Meyer. Zudem wurde ein Bauwerksbuch nach DIN 1076 erstellt, es gibt wiederkehrende Prüfzyklen: alle drei Jahre Sichtkontrollen und alle sechs Jahre große Prüfungen.

Wohin mit dem Strom?

Doch wohin mit dem Strom aus der Trasse? „Es war wichtig, einen direkten Anlieger zu finden, der den Strom im räumlichen Zusammenhang verwertet“, sagt Meyer. Sonst sei ein solches Vorhaben nicht wirtschaftlich, denn die EEG-Vergütung und Netzentgelte und Gebühren verhindern Lukrativität im öffentlichen Stromnetz. „Wir haben aber mit dem Fraunhofer ISE einen perfekten Partner, der den entstehenden Strom über eine direkte Leitung in seinen Laboren nutzt“, sagt Meyer. Der Netzanschluss erfolgte direkt im Gebäude. Zudem besteht die Möglichkeit, die Solar-Radwegüberdachung zur Forschung in unmittelbarer Nähe zu nutzen.
Das Freiburger Projekt kostete etwa 1,1 Millionen Euro für Entwicklung, Planung und die Umsetzung. 390.000 Euro kamen an Fördermitteln aus dem Klimaschutzfonds der Stadt Freiburg. Ein erhebliches Investment, aber es ist eben ein Pilotprojekt. Das ist auch explizit der Ansatz bei Badenova: „Wir geben unsere Erkenntnisse gern weiter, wollen zur Verbreitung solcher Modelle einen Beitrag leisten“, erzählt Meyer. „Wichtig ist: Die Gespräche mit allen Beteiligten sollte man frühzeitig führen, denn je weiter man mit dem Projekt voranschreitet, umso schwieriger wird es mit den Anpassungen.“

Wattway klebt auf vorhandenen Flächen

Das süddeutsche Projekt interessiert auch den französischen Anbieter Colas. Der hat nach Auskunft von Etienne Gaudin eine Datenbank, in der die Erkenntnisse aller Solar-Verkehrswege gesammelt werden. Selbst sieht man sich als erfahrenen Vorreiter im Verbauen von tragfähigen Solarmodulen auf Verkehrswegen an Parkplätzen, Gehwegen oder eben auch Radstrecken. Mehr als 100 Projekte habe man schon realisiert. Mit dem Produkt „Wattway“ habe man, so behauptet es das Unternehmen, die weltweit erste Solar-Straßenoberfläche entwickelt. Seit 2015 gibt es damit Versuche, in Luxemburg setzte man die Technik schon mal in einem kleineren Versuch auf einen Radweg – 2023 verbaute das Unternehmen seine Technik dann aber auf zwei außerstädtischen Radwegen in den Niederlanden. Das wiederum brachte viel Öffentlichkeit. Die beiden neu mit Solarzellen ausgestatteten Radwege sind jeweils 500 Meter lang und zwei Meter breit. Die beiden Strecken entstanden infolge einer niederländischen Ausschreibung, denn die Regierung möchte erörtern, inwiefern sich Solarenergie auf öffentlicher Infrastruktur einbinden lässt. Das Ziel der Ausschreibung: 80 Megawattstunden auf jedem dieser Wege im Jahr erzielen. Colas-Vertreter Gaudin sagt, die anderen Wettbewerber hätten sich aus dem Verfahren zurückgezogen. Seine Firma realisierte die Wege. Wie viel die öffentliche Hand in den Niederlanden dafür überwies, verrät er nicht – aber in der Ausschreibung war ein Maximalbetrag 1,1 Millionen Euro festgelegt. Etienne Gaudin glaubt, dass die Lösung seines Unternehmens für etwa 2,50 Euro pro Watt zu haben ist. Man könne auf diese Weise langfristig Strom erzeugen, den man wiederum selbst in der Nähe verwenden möchte, erklärt Gaudin. Es geht also, je nach Regulierungslage und Land, um die Verwendung der erzeugten Elektrizität ohne Einspeisung ins Gesamtnetz.
„Wir setzen darauf, dass man unsere Lösung auf eine bestehende Infrastruktur auftragen kann“, erklärt Gaudin. Damit die Oberfläche tragfähig ist, setzen die Franzosen nicht auf Glas, sondern auf Verbundmaterial, in dessen Mitte die Solarzellen eingelegt sind. Diese Platten werden auf die jeweiligen Oberflächen aufgeklebt. Colas gibt die Lebensdauer der Platten mit 15 bis 25 Jahren an, was jeweils von der Verkehrslast auf der Fläche abhängt – auf einem Radweg sei eher das Maximum zu erwarten, weil dort keine Last von Autos auf die Fläche drückt.

Das Beleuchtungssystem Solareye berücksichtigt vor allem Belange des Natur- und Emissionsschutzes und macht Wege doch gut erkennbar.

Solarenergie für dunkle Strecken

Einen anderen, deutlich preisgünstigeren Anwendungsfall von Solarenergie bietet der britische Hersteller Solareye. Hier geht es nicht darum, Solarenergie in Netzstrom zu überführen – sondern darum, die Sonnenkraft für die Verkehrssicherheit zu nutzen. Konkret produziert das britische Familienunternehmen Module aus Reflektor, Lampe und Batterie, die sich in einen bestehenden Radweg- oder Gehwegbelag einbauen lassen. „Die meisten Menschen möchten einen beleuchteten Radweg haben“, argumentiert Will Clarke, Vertreter des Unternehmens, „doch offensichtlich gibt es an vielen Stellen Gründe, warum man kein fest verbautes Straßenlicht aufstellen kann, etwa ökologische Argumente und den Schutz gefährdeter Arten.“
Der Ausgangspunkt für das eigene Produkt sei daher ein ökologischer gewesen, sagt Clarke. Anders als solarbetriebene Straßenlaternen lasse sich das in den Weg eingebaute System jedoch auch in nordeuropäischen Winternächten sinnvoll betreiben, denn es ist per se energiesparend. Sparsam ist das System allemal: Clarke rechnet mit Kosten von etwa 6000 Euro pro Kilometer Radweg, wenn alle zehn Meter eine Leuchte im Weg verbaut wird. Solareye hat seine Produkte nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kontinentaleuropa an Kommunen gebracht. Die Lebensdauer dieser Lösung beziffert Clarke mit acht Jahren, wobei man in der Realität eher von elf Jahren ausgehen könne. Zudem gibt es eine zweijährige Garantie.


Bilder: Oscar Timmers – CAPA Pictures, Raphael Hild, Lindsay Fowke

Wer Radwege baut, erntet Radfahrer*innen – so weit ist man sich heute in den der Mobilitätswende zugeneigten Gesellschaftsschichten einig. Nach dieser Logik müssten Radwege mit guten Oberflächen sicher noch mehr Radverkehr ernten. Was aber sind gute, moderne Materialien und Beläge für die Radinfrastruktur? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Asphalt ist, wenn man nicht gerade auf einem Rad mit Stollenreifen sitzt, der mit Abstand beliebteste Bodenbelag zum Radfahren, da ist man sich einig unter Radfahrenden und Verkehrsplanern gleichermaßen. Asphaltradwege sind eben, fugenfrei und, etwas gepflegt, vergleichsweise langlebig.
Im Vergleich dazu schneiden wassergebundene Decken, umgangssprachlich Schotterstraßen genannt, meist schlechter ab: Die oberste Schicht kann bei starkem Regen ungleichmäßig abgetragen werden, wodurch Schlaglöcher und Rillen entstehen können.
Doch Asphalt ist nicht gleich Asphalt (s. auch den Kasten unten), zudem ist es mit der fertigen Asphaltdecke ja manchmal noch nicht getan – gerade in Innenstädten, wo man durch Kennzeichnung Fahrradwege besonders hervorheben will.

Noch mehr „klare Verhältnisse“ schaffen farblich auffällige mechanische Abgrenzungen. Protected Bikelanes können in besonders sicherheitsrelevanten Stellen eingerichtet werden.

Zeigen, wer hier das Sagen hat

Schon vor drei Jahren hatte sich Münster einmal mehr einen Namen als Fahrradhochburg gemacht und einen Preis der Kategorie Infrastruktur eingeheimst, indem eine bereits vorhandene Fahrradstraße nicht nur so benannt und beschildert, sondern die Straße auch noch in voller Breite rot markiert wurde. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, erklärte Alexander Buttgereit, damals Abteilungsleiter des Amtes für Mobilität und Tiefbau in Münster. „Das Rot drückt einen ‚Gast-Zustandʻ für den Autofahrer aus, da er die Farbe ja auch von den Radwegen her kennt. Und zugleich ist es der rote Teppich für den Fahrradfahrer.“
Normalerweise wird für den einfachen roten Streifen sogenannte Kaltplastik verwendet, oder, meist weniger dauerhaft, eine strapazierfähige Farbe. Kaltplastik ist ein gut färbbares, flüssiges Kunstharz, das bei Zugabe eines Härters fest wird. „Bei den Münsteraner Fahrradstraßen haben wir dagegen eine Anstreuung“, so Alexander Merkt von Röhrig-Granit, dem Unternehmen, das für den neuen Belag der Fahrradstraße zuständig war. Bedeutet: Rot eingefärbter Granit gibt der Straße die Farbe. Zunächst wird der bereits vorhandene Asphalt kugelgestrahlt, was ihn gleichmäßig eben macht. „Dann wird Epoxidharz aufgegossen und parallel wird unser Granit mit einer Korngröße von 1 bis 2 Millimeter in das Epoxidharz eingestreut.“ Zwischen 5 und 15 Kilogramm Granulat kommen in den Quadratmeter Harz – genauere Zahlen sind Betriebsgeheimnis. „Die Mischung härtet in weniger als einem Tag aus. Der Belag bleibt dann auch bei Nässe rutschfest“, was ein weiterer entscheidender Vorteil gegenüber der Kaltplastik sei.

66 %

der befragten Radfahrenden erklärten,
dass sie sich auf den grünen Radwegen „sicherer“
beziehungsweise „viel sicherer“ fühlten.

Mit hochwertigen Farben, Kaltplastik oder eingefärbtem Asphalt können Radflächen hervorgehoben werden.

Berliner Farbspiele

Auch in Berlin treibt man es schon seit 2018 bunt: Die gemeinnützige GB Infravelo GmbH ist eine Berliner Initiative, gegründet von der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt mit dem Ziel, Radfahren attraktiver zu machen. Ein Teil der Projekte bezieht sich dabei auf die Farbe von Radweg-Oberflächen. So erhielten Radwegflächen eine grüne Oberfläche, um sie klarer zu kennzeichnen und das Parken oder Halten von Pkw und Auslieferfahrzeugen zu verringern. Gleichzeitig wollte man damit den Radfahrenden mehr Sicherheit geben – nicht nur psychologisch: Deutliche farbliche Kennzeichnung führt dazu, dass Autofahrende Radwege besser als solche erkennen.
2018 bis 2023 gab es eine Begleituntersuchung, die beim Berliner Büro Planungsgemeinschaft Verkehr in Auftrag gegeben wurde. Dabei wurden Nutzer und Nutzerinnen zu den neu angelegten beziehungsweise eingefärbten Radwegen befragt. Der abschließende Schlussbericht dazu ist, so Alexandra Hensel, Kommunikationsleiterin der Infravelo, noch in der Abstimmung. Doch auch der Zwischenbericht von 2022 liefert einige interessante Daten: 66 Prozent der befragten Radfahrenden erklärten, dass sie sich auf den grünen Radwegen „sicherer“ beziehungsweise „viel sicherer“ fühlten. Der Anteil von Menschen, die auf dem Gehweg fuhren, halbierte sich in den Projektgebieten auf knapp sieben Prozent. Auch die Blockade der Wege durch Autos ging um etwa 40 Prozent zurück. Da die Markierung der Wege in deutlichem seitlichem Abstand von parkenden Fahrzeugen aufgebraucht wurde, sank auch die Zahl der Fahrradunfälle in der sogenannten Dooring-Zone im Untersuchungszeitraum drastisch. Für die Farbgebung wurden Kaltplastik und Epoxidharz genutzt.

Auch auf dieser Fahrradstraße in Münster wurde der farbige Belag fast über die ganze Straßenbreite gezogen, ein starkes zusätzliches Erkennungssignal zum Radfahrer-Zeichen.

Glaspartikel für mehr Sichtbarkeit

Jens Weber, Bereichsleiter der Possehl Spezialbau GmbH, sieht Nachholbedarf bei den Radwegen in Deutschland allgemein: „Die bestehenden Systeme, mit denen wir in Deutschland Radwege bauen, weisen viele Mängel auf. Kaltplastik zum Beispiel bietet kaum Griffigkeit, nutzt sich schnell ab und wird bei Regen oder Schnee extrem glatt.“ Das Unternehmen setzt daher auf ein eigenes Produkt. „EP-Grip Velo“ ist eine Mischung aus Gesteinskörnungen und einem Bindemittel auf Epoxidharzbasis sowie wahlweise Glaspartikeln – und die Mischung bietet einige Vorteile. „EP-Grip Velo erreicht eine hohe Griffigkeit, auch bei Nässe“, so Jens Weber. „Außerdem punktet das Mittel durch seine vielen Farbmöglichkeiten, lange Haltbarkeit und Nachhaltigkeit.“ Auch mit diesem Produkt kann man, etwa an Kreuzungspunkten, erhöhte Aufmerksamkeit von Autofahrer*innen durch abgrenzende Farben sehr einfach erreichen. Da die fein eingearbeiteten Glaspartikel das Licht von Scheinwerfer, Fahrradlampe, Straßenlaternen und Co. reflektieren, werden Radfahrende vor allem bei Nacht nochmals besser gesehen. Ein Vorteil ist auch die Einsetzbarkeit auf verschiedenen Untergründen. „Ob auf Asphalt oder Beton, Holz oder Stahl, alles kann der Untergrund für EP-Grip sein“, so Weber, wichtig beispielsweise für Bahnübergänge oder Fußgängerbrücken.Die Kosten des Produkts liegen etwas höher als bei anderen Systemen – unter anderem weil die Verarbeitung komplexer ist und nur von Possehl selbst vorgenommen wird. Doch dafür sparen Städte und Gemeinden langfristig an Wartung und Reparatur. „Die RWTH Aachen hat den Belag geprüft und konnte uns eine etwa fünfmal so lange Haltbarkeit im Vergleich zu Kaltplastik bescheinigen.“ „EP-Grip Velo“ trage somit dazu bei, dass Radfahren in Deutschland sicherer und angenehmer wird. Das Unternehmen sieht seine Lösung dabei auch als Beitrag zur Gestaltung der urbanen Mobilität.

„Wir haben noch zu wenig Erfahrungswert mit dem Radverkehr auf offenporigen Belägen“

Alexander Buttgereit, Jade Hochschule, Oldenburg

Sogenannter Flüsterasphalt kann einerseits eine besonders ebene Oberfläche bilden, Radfahrenden andererseits aber durch schnell ablaufendes Regenwasser mehr Sicherheit und Komfort bieten.

Flüsterleise im Flow bleiben

Wenn es aber keine eigene Farbe braucht, beispielsweise auf ohnehin von Straßen separierten Radwegen außerhalb der Stadt – insbesondere Pendlerrouten – dann gibt es heute auch die Möglichkeit, mit speziellem Asphalt zu arbeiten, der für besondere Effekte sorgen kann. Alexander Buttgereit, heute Professor für Straßenbau an der Jade Hochschule in Oldenburg, arbeitet weiter an der Antwort zur Frage: Wie kann ich den Radverkehr straßenbaulich fördern? Seine Studentin Rebecka Sophie Kriete nahm sich in der Abschlussarbeit des Themas an. Gute Griffigkeit, auch bei Regen, geringes Spritzwasser und natürlich leichter Lauf waren wesentliche Punkte, mit denen man Radwege verbessern und somit Menschen für das Radfahren begeistern könnte. Ein Teil des Weserdeichwegs im Landkreis Diepholz ist Teststrecke geworden. Zur Eröffnung kam schon der NDR, mittlerweile sind Stimmen der Radfahrenden eingeholt und das Team arbeitet an einer optimierten Variante.
Zwei Wesensmerkmale sorgen laut Buttgereit für den perfekten Radwegbelag: „Die verwendete Kon-struktion schafft durch die Walzung einerseits eine sehr ebene Oberfläche. Räder rollen hier sehr leicht. Andererseits haben wir durch den Hohlraumgehalt aber auch einen guten Drainierungsgrad.“ Das bedeutet: Wasser kann schnell durch die Poren des Materials eindringen und versickern. Dadurch kommt es zu weniger Pfützenbildung und zu weniger Spritzwasser – bei Nässe wird man also deutlich weniger von unten nass. „Das erreichen wir durch eine Korngröße von maximal drei Millimetern, das ist kleiner als das kleinste Großkorn der Regelbauweise, sie misst eigentlich 5 Millimeter.
Ähnlich kennt man das von der Autobahn. Hier heißt dieses Konstrukt Flüsterasphalt. Die Pflege des Weges muss noch weiter erprobt werden, er soll sich ähnlich verhalten wie offenporiger Asphalt auf der Autobahn. „Wege, auf denen wenig gefahren wird, neigen allerdings zur Verkrautung“, erklärt Buttgereit, „wir haben aber noch zu wenig Erfahrungswert mit dem Radverkehr auf offenporigen Belägen, um hierzu Genaueres sagen zu können.“ Dass der neue Radwegasphalt dennoch bereits gut ankommt, zeigen auch die Pläne zweier Städte im Ruhrgebiet, die möglichst noch 2024 erste Wege damit bauen wollten, so Buttgereit.
Natürlich gibt es auch Nachteile des Flüsterasphalts, vor allem im städtischen Bereich. Wenn, etwa wegen Reparatur der Versorgungsleitungen, aufgegraben werden muss, wird’s ein eher aufwendiger Flickenteppich. „Kleine Stellen zu reparieren, ist teuer – Kleinmengen kosten deutlich mehr“, so Buttgereit. Bei Erschließung neuer Wege dagegen, wo die Versorgung neu gelegt wird, ist es sinnvoll, sich Gedanken um den Radverkehr fördernden Belag zu machen. Doch egal ob Pflaster, Beton oder Asphalt: „Gegen Baumwurzeln ist kein Kraut gewachsen.“

„Asphalt ist bis zu 100 Prozent wiederverwertbar.“

Andreas Stahl, Sprecher des Deutschen Asphaltverbandes

Nicht alles ist wirklich grün

Farbliche Ausführungen sind übrigens auch bei diesem Flüsterasphalt einfach möglich: Entweder über den Austausch des Granulats – etwa gegen rote Steine – oder per Farbstoffe in den Bindemitteln. Was den Umweltschutz anbelangt, steht hier einerseits die gute Wasserdurchlässigkeit – die Böden werden nicht versiegelt – gegen die reduzierte Wiederverwertbarkeit. „Es gibt hier viel Feinmaterial, das nicht einfach weiterverwendet werden kann“, so Buttgereit, „das stellt eine gewisse Belastung dar. Fünfer-, Achter- und Elfer-Korn könnte man einfacher wiederverwerten. Aber auch hier haben wir noch zu wenig Erfahrung.“ Wird der radfahrfreundliche Asphalt sich durchsetzen? „Das wird der Markt regeln“, so der Experte. Wünschenswert wäre es – vor allem, weil dadurch der Radverkehr weiter angekurbelt wird.

Wie ist ein Asphalt-Radweg aufgebaut?

Zunächst ist da das Erdreich und damit der Untergrund, erklärt Andreas Stahl, Pressesprecher des Deutschen Asphaltverbandes DAV e.V. Darauf kommt ein ungebundener, also „loser“ Unterbau. „Das kann zum Beispiel Schotter sein. Er ist nach offiziellem Regelwerk sieben bis zehn Zentimeter stark.“ Der Oberbau – hier also der Asphalt, besteht im Grunde aus Stein, Bitumen als Bindemittel und Luft. Walzasphalt muss – meist mit Walzen – verdichtet werden und kann damit sehr glatt ausgebaut werden. Die andere Option: Gussasphalt. „Er muss nicht gewalzt werden, hat aber kein abstützendes Korngerüst. Für den Radweg braucht er das auch nicht unbedingt: Der Druck, der beim Radfahren entsteht, ist gering.“ Selbst leichte Autos, die etwa für die Instandhaltung den Fahrweg passieren, sind da kein Problem. Bitumen, das als Bindemittel eingesetzt wird, wird in Erdölraffinerien hergestellt. Die hier entstehenden Lieferketten machen das Material teuer. Fast ausschließlich wird für den Radweg der günstigere Walzasphalt verwendet. „Die Nutzung durch Radfahrer kann den Asphalt kaum beschädigen. Was dem Asphalt zusetzt, ist eher die Wurzelbildung von angrenzenden Bäumen, die zu den bekannten Bodenwellen und Aufbrüchen führt.“ Dazu kommt: Das Bitumen wird spröde. UV-Einstrahlung, Wärme und Luftzufuhr wirken dabei zusammen. „Wenn ich einen frei liegenden Radweg habe, altert dieser viel schneller als in einem Tunnel.“ Schneller ist relativ: nach 30 bis 40 Jahren lässt die Elastizität des Materials deutlich nach.
Auch den Asphalt selbst kann man einfärben: „Zum Beispiel mit eingefärbtem, künstlichem Bindemittel in dünnen Lagen. Das lässt sich nach Wunsch mischen und färben. Außerdem kann ich mit Gesteinskörnungen die Farbe verändern.“ Das ergebe zwar keine kräftigen Farben, sei aber auch eine Stellschraube, um dem Asphalt eine andere Farbe zu geben. Eine Option ist auch die Abstreukörnung – bei Fertigstellung der Fahrbahn wird Gesteinskörnung mit Farbe eingewalzt. Und schließlich besteht auch die Möglichkeit, Glasrundkorn in verschiedenen Farben einzuwalzen – eine sehr dauerhafte Lösung.

Und die Nachhaltigkeit?

„Asphalt ist zu 100 Prozent wiederverwertbar“, erklärt Stahl. „Es gibt ganze Regelwerke dazu, welche Asphalt-Zusammensetzungen wieder und in welchem Ausmaß gemischt werden dürfen.“ Dabei wird der Asphalt in Schollen aufgebrochen oder abgefräst. In der Asphalt-Mischanlage wird die Mischung nach Regelwerk zusammengesetzt.
Allerdings gebe es immer noch Vorbehalte gegen die Wiederverwertung, so Stahl, weil recyceltes Material in manchen Kommunen als minderwertiger Rohstoff angesehen werde. „Die Frage ist für manche, wie definiert man Abfall, wie Sekundärrohstoff?“ Das ist wohl tatsächlich bisher noch nicht wasserdicht festgehalten. Für Wiederverwertung bei angemessener Qualität lässt sich heute aber auch juristisch argumentieren.
Was den Grundstoff des Radwegs angeht, sei mittlerweile das Vorurteil widerlegt, dass Asphaltdecken den Boden im Gegensatz zu wassergebundenen Decken viel stärker versiegeln – unter anderem, weil Wege ohne feste Asphaltschicht per se höher verdichtet werden müssen. So gab es bereits 2012 ein Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, das zeigte, dass Radwegekonstruktionen wie Asphalt oder Pflaster den darunter liegenden Boden sogar schützen können.

Andreas Stahl ist Pressesprecher
des deutschen Asphaltverbandes DAV e.V.


Bilder: Possehl – Stephan Brendgen Fotodesign, Daniel Rudolph – StadtLandMensch-Fotografie, infraVelo – Dominik Butzmann, Buttgereit, Andreas Stahl

Viele Kommunen in Deutschland wollen ihre Radverkehrsnetze ausbauen. Doch welche Routen eignen sich dabei am besten? Das Fehlen von festgelegten Prinzipien zur Bewertung von Radrouten erschwert bisher die entsprechende Planungsarbeit. In Bremen wurde nun ein niederländischer Ansatz verfolgt, um eine bessere Radinfrastruktur für die Vernetzung des jungen Stadtviertels Überseestadt mit dem nahen Stadtzentrum zu planen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Das auf dem ehemaligen Überseehafen errichtete Bremer Stadtviertel Überseestadt bietet Platz für gegenwärtig rund 2300 Wohnungen und über 1100 Unternehmen mit rund 20.000 Beschäftigten. Bis 2030 soll sich die Zahl der Einwohner*innen noch nahezu verdoppeln.

Empfehlungen für die Planung der Breiten und der Art der Radverkehrsinfrastruktur existieren in Deutschland bereits. Sie sind in technischen Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) beschrieben. Jedoch fehlt es an einer gängigen Bewertungsgrundlage für Radrouten, welche sich nicht nur auf die technische Machbarkeit fokussiert. Das Fahrrad zu nutzen, spricht schließlich vor allem dann an, wenn Routen auch komfortabel und attraktiv sind. Das Ziel von Radverkehrsinfrastruktur ist es nicht nur, das Radfahren überhaupt zu ermöglichen und sicher zu machen, sondern auch mehr Menschen für das Radfahren zu begeistern. Nur elf Prozent der Wege in Deutschland werden mit dem Fahrrad zurückgelegt. Zudem fahren weniger Frauen als Männer mit dem Fahrrad und immer mehr Kinder werden mit dem Auto chauffiert, wie beispielsweise die Studie Mobilität in Deutschland zuletzt 2017 feststellte. Die Qualitätskriterien für Radwege zu erweitern, könnte helfen, solche Gruppen anzusprechen.
Eine entsprechende Bewertungsgrundlage wurde nun in einem Projekt für Radverkehrsverbindungen zwischen zwei Gebieten für die Freie Hansestadt Bremen ausgearbeitet. Ziel war, attraktive Radverkehrsrouten für Pendlerinnen zu entwickeln, um den Modal Shift vom motorisierten Individualverkehr (MIV) zum Fahrrad zu unterstützen. Planerinnen in den Niederlanden können bereits seit 1993 auf derartige Gestaltungsprinzipien zurückgreifen. Diese wurden damals im Gestaltungshandbuch für Radverkehr im Rahmen des Radverkehrsmasterplans (Masterplan Fiets program von CROW) dargelegt. CROW ist eine Technologieplattform für Verkehr, Infrastruktur und öffentlichen Raum. Der letzte Stand datiert aus dem Jahr 2017.
Die Europäische Kommission empfiehlt die CROW-Gestaltungsprinzipien jenen EU-Mitgliedsstaaten, die noch keine eigenen Standards, Richtlinien oder Prinzipien für Radverkehrsanlagen entwickelt haben. Die CROW-Prinzipien könnten auch bestehende Richtlinien ergänzen. Diese Prinzipien basieren nicht nur auf objektiver, sondern auch auf subjektiver Sicherheit. Es spielt außerdem eine Rolle, wie komfortabel, kohärent und attraktiv die Routen sind. Auch zugänglich und direkt sollen die Routen laut der CROW-Zielstellung sein. Bewertet wird somit beispielsweise, wie entspannt das Radfahren ist und wie viel Freude es bereitet. Dies ist ein entscheidender Ansatz gemäß den dänischen Verkehrsforscherinnen Mette Møller und Tove Hels. Sie stellten 2008 in der Studie „Cyclists’ perception of risk in roundabouts“ fest, dass „Radfahrende eine Straßengestaltung bevorzugen, die das Verhalten der Verkehrsteilnehmer klar regelt“. Dies führe dazu, dass mehr Menschen häufiger und auf längeren Strecken Rad fahren.

Niederländische Prinzipien

In den Niederlanden bilden die folgenden fünf Prinzipien die Grundlage fast aller Fahrradprojekte. Planer*in-nen berücksichtigen sie, wenn sie Netze planen, fehlende Verbindungen mit Direktheitsanalysen identifizieren oder die Routenwahl bewerten.

Sicherheit:

Sie ist die Grundvoraussetzung für den Radverkehr. Radfahrende sind insbesondere an Kreuzungen gefährdet. Auch fühlen sie sich im Längsverkehr gefährdet, wenn sie gemeinsam mit dem Kfz auf der Fahrbahn geführt werden. Dies ist bedingt durch die Geschwindigkeitsunterschiede, die Fahrzeuggröße oder das Verkehrsaufkommen.

Direktheit:

Direkte Fahrradrouten, reduzierte Entfernungen, Fahrzeiten und Wartezeiten an Lichtsignalanlagen (LSA), das heißt Ampeln, erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit des Fahrrads gegenüber dem motorisierten Verkehr.

Kohärenz und Zugänglichkeit:

Die Routen sollten zusammenhängend und zugänglich sein, sodass Menschen, die mit dem Fahrrad fahren, problemlos ihre Ziele erreichen können. Es wird empfohlen, dass Menschen in städtischen Gebieten nicht mehr als etwa 250 Meter zurücklegen müssen, um das Fahrradnetz, das heißt, entweder Neben-, Hauptrouten oder Radschnellverbindungen/Premiumrouten, zu erreichen. Somit führen die zu bewertenden Routen im besten Fall an Ziel- und Startpunkten vorbei (Umkreis von 250 Metern) oder haben eine gute und direkte Anbindung zu den Routen über das Neben- und Hauptroutennetz. Fahrradrouten sollten auch Verbindungen mit dem öffentlichen Verkehrsnetz beinhalten, um Wegeketten zu optimieren (Intermodalität).

Attraktivität:

Die Menschen werden zum Radfahren ermutigt, wenn sie sich sicher fühlen und die Infrastruktur und die Route sich in einer attraktiven und abwechslungsreichen Umgebung befinden.

Komfort:

Das Radfahren sollte angenehm, reibungslos und entspannt sein, um den Komfort der Radfahrenden zu maximieren. Eine angenehme Fahrbahnoberfläche und geringe Lärmemissionen steigern das Komfortgefühl beim Radfahren.

Neben den Prinzipien, welche die Qualität von Radverkehrsverbindungen berücksichtigen, sind auch Herausforderungen zu bewerten. Damit ist gemeint, wie gut ein Vorhaben technisch machbar ist und welche Flächen und welches Budget verfügbar sind. Wichtig ist auch die Planung der Anlagen (Fahrradstraße vs. Fahrradbrücke) und ob bereits eine Radverkehrsanlage vorhanden ist, die zumindest teilweise genutzt werden kann.
Dieser Ansatz wurde in Bremen genutzt und ausgearbeitet. Dort sollen zukünftig besonders intuitive und attraktive Routen entstehen, die zum Radfahren zwischen der Bahnhofsvorstadt und der Überseestadt einladen und so zu einer Verlagerung vom MIV auf das Fahrrad beitragen.

24,8 %

Fast ein Viertel aller Wege werden in Bremen
mit dem Fahrrad zurückgelegt.
Die Hansestadt hat damit den höchsten Radverkehrsanteil
unter den deutschen Großstädten.

Die Tabelle zeigt das Ergebnis der in Bremen entwickelten Prinzipien mit den entsprechenden Kriterien. Die Prozentsätze stellen die Gewichtungen der jeweiligen Prinzipien und Kriterien dar.

Bewertet und gewichtet

Um zu überprüfen, wie die CROW-Prinzipien umgesetzt wurden und wirken, sind für jedes Prinzip verschiedene Kriterien zu erfüllen. Diese wurden im Rahmen eines Workshops mit der Bremer Verwaltung diskutiert und priorisiert. Hierdurch wurden die Kriterien für das deutsche, im Speziellen das Bremer Umfeld überprüft. Anschließend wurden in einer sogenannten Multikriterienanalyse die Kriterien gewichtet, um die Relevanz der Prinzipien (z. B. Sicherheit vor Attraktivität) abbilden zu können. Zusätzlich zu den Prinzipien, welche die Qualitäten aus Sicht der Radfahrenden widerspiegeln, wurden mögliche Herausforderungen definiert. Die Qualitäten sowie die Herausforderungen stehen im gleichen Verhältnis zueinander, das heißt, die Summe aller qualitativen Prinzipien wird im gleichen Maße gewichtet wie die Summe aller Herausforderungen.

Fakten zum Projekt

  • Das Projekt war eine Maßnahme aus dem Integrierten Verkehrskonzept (IVK) Überseestadt.
  • Bereits zum aktuellen Entwicklungsstand weist das Verkehrssystem für Kraftfahrzeuge der Überseestadt täglich mehrfach verkehrliche Überlastungserscheinungen auf.
  • Es werden weitere Pendelbeziehungen zwischen dem Bremer Hauptbahnhof und der Überseestadt erwartet.
Ziele des IVKs:
  • Die verkehrliche Erschließung und Anbindung des Gebietes, insbesondere an das Rad- und ÖPNV-Netz
  • Förderung der Verlagerung auf den Umweltverbund
Projektbearbeitung:
  • Goudappel BV gemeinsam mit Fair Spaces GmbH (damals AEM Accessible Equitable Mobility GmbH)
  • Im Auftrag der Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (WFB) unter besonderer Mitwirkung durch die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau – Team Nahmobilität erarbeitet
  • Mittelzuwendung: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)

Praktische Anwendung in Bremen

Sechzehn Routen wurden im Rahmen des Projektes als Optionen zur optimierten Anbindung der Überseestadt an den Hauptbahnhof identifiziert und ausgearbeitet. Aufgrund der Größe des Gebietes wurde es in vier Regionen aufgeteilt: die Bahnhofsvorstadt, Überseeinsel/Süden der Überseestadt, Mitte der Überseestadt und Norden der Überseestadt. Anders als die Überseestadt ist die Bahnhofsvorstadt ein bereits entwickeltes und stark verdichtetes Gebiet mit einem hohen Verkehrsaufkommen. Der Doppelknoten Doventor ist ein etwa 90 Meter langer Straßenabschnitt mit zwei Knotenpunkten im Süden sowie Norden und bildet in vielen Fällen den Drehpunkt zwischen der Bahnhofsvorstadt und den drei Regionen in der Überseestadt. Somit verlaufen die meisten Routen durch die Bahnhofsvorstadt bis zum Gebiet des Doventors sowie vom Doventor in die verschiedenen Regionen der Überseestadt. Die Routen, die nicht über das Doventor laufen, nutzen Wege nördlich des Straßenabschnitts sowie über eine bisher noch nicht vorhandene Brücke.
In einem nächsten Schritt wurden die Routen mit den entwickelten Prinzipien und Kriterien bewertet, um die optimalen Routen zu ermitteln. Im Ergebnis wurden drei Routen in der Bahnhofsvorstadt als Vorzugsvariante ausgewiesen, wobei die dritte Route als langfristiges Projekt zu sehen ist, da hier ein aufwendiges Brückenbauwerk entlang der Bahnlinie notwendig wäre. Für die Abschnitte zu den drei Bereichen der Überseestadt konnte jeweils eine Vorzugsvariante identifiziert werden. Außerdem wurden Verbindungsstücke zwischen den verschiedenen Regionen in der Überseestadt entwickelt und bewertet. Für die Routen zur Überseestadt Süd wurden die Routen, die entlang der Weser verlaufen, nicht als Vorzugsvariante identifiziert, um Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr zu vermeiden.
Völlig problemfrei war die Arbeit mit dem Bewertungsraster nicht. Bereits bestehende beziehungsweise vergangene und zukünftige Routen zu vergleichen, ist manchmal schwer möglich. So wurden zum Beispiel Routen schlechter bewertet, die derzeit mehr Unfälle aufweisen. Routen, die noch nicht existieren, können dagegen nur mit ihrem zukünftigen Zustand bewertet werden und schneiden daher im rein theoretischen Vergleich zu Bestandsrouten im ursprünglichen Zustand bei der Bewertung besser ab. Es ist wichtig, sich genau zu überlegen, welche Situation für welches Kriterium zu bewerten ist, und dies sollte konsequent umgesetzt werden, um ein in sich schlüssiges Ergebnis zu erhalten. Idealerweise sollten alle Kriterien auf die aktuelle oder zukünftige Situation übertragen werden.

Auf dem 300 Hektar großen Areal des früheren Überseehafens in Bremen entstand in den vergangenen 20 Jahren der neue Ortsteil Überseestadt. Für dessen Anbindung mit dem Fahrrad an das nahe gelegene Stadtzentrum der Hansestadt wurden im Rahmen des Projekts 16 optionale Routen ausgearbeitet.

Kriterien unterschiedlich bewertet

Die Bahnhofsvorstadt ist ein dicht besiedeltes Gebiet mit einem engmaschigen Straßenverkehrsnetz. Die Führungen der Routen und deren Bewertung sind hier um einiges komplizierter als in den Gebieten, die zur Überseestadt führen. Das Beispiel zeigt die Bewertung der Routen in der Bahnhofsvorstadt für das Prinzip Attraktivität. Hierzu gehören die Kriterien

Grüne Route:

Routen, die durch viel Begrünung gekennzeichnet sind

Leuchtturmprojekt:

Radverkehrsverbindung und/oder Ausstattung der Radverkehrsinfrastruktur ist außergewöhnlich

Spaß:

Es gibt schöne Aussichten entlang der Fahrt, Menschen, zum Beispiel in Parks, können beobachtet werden, Route führt entlang von Sehenswürdigkeiten

Soziale Sicherheit:

Wege, die beleuchtet sind und wo sich viele Personen im öffentlichen Raum aufhalten – insbesondere bei Dunkelheit

Die Routen, die entlang der grünen Wallanlagen führen, erhalten die höchsten Bewertungen in dieser Kategorie. Die soziale Sicherheit wiederum ist an belebten Straßen höher als an Abschnitten mit wenig Verkehr und wenigen Menschen auf Geh- und Radwegen. Der Faktor Spaß ist hoch an grünen Abschnitten, an Routen mit geringem Kfz-Verkehr oder auch mit wenig Gegenverkehr. Dasselbe gilt für das Kriterium „Leuchtturmprojekt“: Die Radfahrer*innen sollen die Strecke als attraktiv empfinden und sie als Sehenswürdigkeit mit positiven Gefühlen besetzen. Das gilt auch für die Routen, welche den Fly-over Am Wall der gerade geplanten Premiumrouten von Bremen nutzen. Der Fly-over wird eine Brücke sein, die es Radfahrenden ermöglicht, die Straße ohne Wartezeiten zu überqueren.

Feinabstimmung möglich

Das Beispiel aus Bremen dürfte auch auf andere Gebiete übertragbar sein. So wurden Punkte wie geringe Steigungen in die Bewertung aufgenommen, wohl wissend, dass es in Bremen kaum Steigungen gibt. Der Ansatz kann zudem nicht nur Verwendung finden, um Routenverbindungen zu vergleichen und Vorzugsvarianten zu identifizieren. Das Tool ist auch dafür nutzbar, Radverkehrsnetze und neue Wegeverbindungen mit den Prinzipien und Kriterien zu überprüfen. So können
beispielsweise Schwachstellen des Netzes oder der Route rechtzeitig vor Planungen evaluiert werden. Der niederländische CROW-Ansatz trägt dazu bei, die Radverkehrsinfrastruktur in einem ganzheitlicheren Ansatz zu betrachten. Dies ist ein Schlüsselelement, um zukünftig einen höheren Radverkehrsanteil zu erreichen. Wer den Ansatz lokal anwenden muss, sollte die Situation vor Ort, politische Leitziele und aktuelle Trends betrachten. Die Gewichtung erlaubt dann ein Fein-Tuning auf die jeweiligen Bedürfnisse.

Link zur Studie

WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (2022): Machbarkeitsstudie, Standort- und Potenzialanalyse – Radverkehrsverbindung Überseestadt – Bahnhofsvorstadt sowie Fahrradparken in der Überseestadt in Bremen, abrufbar über:

https://sd.bremische-buergerschaft.de/vorgang/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZVDgiAohC_SiABC2zFa4w4M

(Hinweis: AEM Accessible Equitable Mobility GmbH heißt nun Fair Spaces GmbH)


Bilder: stock.adobe.com – Witalij Barida, Fair Spaces – Goudappel, Quelle Tabelle: WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (2022)