„Wenn Du es brauchst, wird er kommen!“
Gute Infrastruktur spricht Einladungen aus und vermittelt echte Sicherheit – gerade schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Wird man weiterhin nur träumen dürfen? Von einer gemeinsamen Anstrengung, die wirklich allen hilft? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)
Kennen Sie das Zitat in der Überschrift? Der Schlüsselsatz aus dem 1989er-Film „Feld der Träume“ sitzt mir schon lange wie ein Ohrwurm im Kopf. Dort im ländlichen Iowa ist mit „es“ ein Baseballfeld gemeint, das Kevin Costner als Farmer Ray Kinsella in seinem Maisfeld errichtet. Eine Stimme, die nur er hören kann, hat ihn davon überzeugt. Unter dem Spott seiner Nachbarn pflügt er einen Teil seines Ackers um und ruiniert so den familiären Frieden und beinahe seine Landwirtschaft. Als das Spielfeld jedoch fertig ist, erscheinen plötzlich „Geisterspieler“: Ihrerseits verdutzte, tote Legenden des Nationalsports, die durch das verbliebene Maisfeld ins Diesseits zurückkommen, um wieder Baseball zu spielen.
In meinem Mantra ist freilich „es“ das Radwegenetz und „er“ der Straßenverkehr einer lebenswerten Zukunft: unmotorisierter, umweltfreundlicher, platzsparender, gleicher, menschlicher und respektvoller. Denn gute Infrastruktur spricht ja ein Angebot aus, eine Einladung: Hier bist du Mensch, hier darfst du’s sein. Und zwar egal, welche Mobilitätsform man wählt. Dieses Privileg gilt hierzulande seit Jahrzehnten nahezu exklusiv fürs Kfz. So sehr, dass viele Menschen es als Anrecht leben. Höchste Zeit für eine Notbremsung! Und wenn der Film auch mit einer bis zum Horizont reichenden Autokolonne endet, so steht sie ja doch, die Hoffnung: auf eine Menge an Menschen, deren Erkenntnis oder Einsehen es benötigt, damit der verspottete Visionär am Ende recht behält.
Meine Vision, das ist eine Mobilität der Zukunft, die Fortbewegungsbedürfnisse von Menschen erfüllt, ohne zum Luxusgut zu werden, und gleichzeitig Natur, Gesundheit und Wohlergehen schützt, ohne sie zu gefährden. Ich wünsche mir einen Lebensraum, dem sich der Verkehr unterordnet, keinen Verkehrsraum, der das Leben verdrängt. Ich wünsche mir Tempo 30 innerorts, Superblocks und weitestgehend autofreie Städte. Da gibt es viele interessante internationale Vorbilder.
Seit der Straßenverkehrsgesetz-Novelle 2024 haben deutsche Kommunen eine Menge mehr Befugnisse, „es“ zu bauen. Beziehungsweise weniger Ausreden, es nicht zu tun. Doch geschieht da nichts von allein. Es braucht viel gute Laune, unser aller zivilbürgerliches, gesellschaftliches Engagement und striktes Nachhaken bei oder durch politische Akteur*innen, um die unzähligen kleinen nötigen Schritte umsetzen. Hoffentlich, so eine weitere Vision, im Dialog, geprägt von Rücksicht, Offenheit und Fairness, was Platzbedarf und wahre Kosten betrifft. Denn was sonst hülfe gegen die Beantwortung komplexer Fragen mit einfachsten Parolen und gegen die stark selektive Wahrnehmung in den Echokammern? Zu oft wird dort statt eines solchen Miteinanders ein Kampf erklärt: Pass nur auf, die wollen dir was wegnehmen! Dabei sollten wir uns doch mit allen Menschen, die ein Mobilitätsbedürfnis haben, an einen Tisch setzen! Als Chefredakteur eines Fahrradkulturmagazins bin ich überzeugt, dass das Fahrrad ein großer Teil der Lösung ist – aber natürlich nicht der einzige. Ohne gesellschaftliche Mehrheiten ist ein ausgewogener und friedlicher Verkehr nicht zu realisieren.
Weiter wie bisher, das geht ohnehin nicht mehr. Der alte Sponti-Spruch wird noch immer täglich wahrer: „Wer Straßen sät, wird Autos ernten.“ Oder Stau. Mehr Straßen, mehr Stau, mehr unglückliche Menschen. Es sah zwischendurch mal kurz so aus, als ginge es in eine gute Richtung. Doch die Bundesverkehrspolitik hat in Sachen Fahrrad und Lebensqualität alle Bremsen festgezogen. Wo Unionsparteien ans Lenkrad gelassen werden, legen sie den Rückwärtsgang ein und geben Vollgas – wie man „schön“ in Berlin beobachten kann.
Bei den politischen Hiobsbotschaften dieser Tage bekommt man den Eindruck, dass sich das Fenster der Möglichkeiten hierfür eher schließt. Wir müssen und können über vieles reden. Nur eines ist aus meiner Sicht nicht verhandelbar: Vision Zero. Die Schwächeren müssen geschützt werden und Rücksichtnahme zur Selbstverständlichkeit. Ich will keine Verkehrstoten mehr hinnehmen!
Der Autor
Indem er Fahrradredakteur geworden ist, hat H. David Koßmann zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Seit er denken kann, steht er auf gut geschriebene Geschichten und fast ebenso lange faszinieren ihn Fahrräder. Nach einem Verlagsvolontariat stieß er 2008 zum Pressedienst-Fahrrad, in dessen Umfeld er kurz darauf „fahrstil – das Radkulturmagazin“ mitgründete, das seit fünf Jahren im Fritsch & Wetzstein Verlag erscheint. Mittlerweile lebt Koßmann in Halle (Saale) und ist dort im ADFC aktiv.
Bilder: Vaude – pd-f, Frank Stefan Kimmel – pd-f