VELOPLAN 3/2023 – Editorial
Schwerpunkt: Wirtschaft
Feinbilder
Bernhard Lange, der Präsident des Zweirad-Industrie-Verbands und auch sonst eine markante Stimme im Fahrradmarkt, hat mal den Spruch geprägt „das Fahrrad hat keine natürlichen Feinde“. Die Gelegenheit, bei der er das sagte, liegt schon ein paar Jahre zurück. Ich habe Zweifel, ob ich dem, was damals völlig logisch klang, heute noch uneingeschränkt zustimmen kann.
Die Verkehrswende ist längst zu einem Verteilungswettbewerb um den öffentlichen Raum geworden, bei dem auf den ersten Blick die konservativen Kräfte für ein Bewahren oder allenfalls eine behutsame Veränderung der Raumverteilung im Straßenverkehr kämpfen gegen progressive Gegenspieler*innen, die jegliche Form von motorisierter Individualmobilität liebend gerne möglichst umgehend und vollständig eindämmen würden. Diese Auseinandersetzung driftet auf beiden Seiten inzwischen oft in den Populismus ab. Die dabei verwendeten schrillen Töne machen eine sachliche Debatte um größtenteils eigentlich nüchterne Fakten nicht gerade einfacher.
Auf beiden Seiten sind starke Emotionen im Spiel. Die Konservativen sind damit konfrontiert, dass ihre bisherige Lebens- und Sichtweisen, zum Beispiel ein Auto bedeutet Status und Mobilität, auf einmal nicht nur falsch, sondern auch verwerflich sein sollen. Die Progressiven wiederum haben eine Welt im Blick, die für die Generation unserer Kinder und Enkel ein höchst ungemütlicher Planet zu werden droht. Auf beiden Seiten bestimmen Verlustängste die Diskussion. Nicht gerade eine gute Basis für eine lösungsorientierte Auseinandersetzung.
Mir persönlich leuchtet völlig ein, dass die Zukunftssorgen meiner Kinder mehr wiegen als mein Unwohlsein bei der Umstellung meiner Mobilitätsgewohnheiten. Das erinnert mich ein bisschen ans Rauchenaufhören: Wenn man’s mal geschafft hat, stellt man fest, dass der Entzug erstens gar nicht so schlimm war und zweitens die Lebensqualität ohne Nikotinsucht deutlich zunimmt. Das glauben Ihnen aber keine Raucher*innen, solange sie noch an der Kippe hängen.
Wer den Mobilitätswandel jedoch nur aus Sicht der menschlichen Psyche betrachtet, hat die Rechnung ohne die Wirtschaft gemacht. Wir im Fahrradsegment klopfen uns gerne auf die Schulter, dass die deutsche Fahrradindustrie in den letzten Jahren auf ein Umsatzniveau von 7,5 Mrd. EUR gekommen ist. Die Autohersteller hierzulande haben im selben Zeitraum die Umsatzmarke einer halben Billion Euro übersprungen. Hinter dieser finanziellen Urgewalt steht nur ein einziges Interesse: Autos zu bauen und zu verkaufen. Auch das gehört zu einer nüchternen Betrachtung der Verkehrswende: Wer am Status quo des Autos rüttelt, hat mächtige Gegner. Man könnte auch sagen natürliche Feinde.
Ihr Markus Fritsch – mf@veloplan.de
Das VELOPLAN Fachmagazin für Radverkehr und Mikromobilität adressiert folgende Leserzielgruppen:
- Mitarbeiter in der kommunalen (Rad-)Verkehrsplanung
- politische Entscheider in Bund, Länder und Kommunen
- Radverkehrsbeauftragte in Betrieben und
- Wohnungsbaugesellschaften
- Anbieter von Infrastrukturlösungen rund um den Radverkehr
- Dienstleister für urbane Logistik
- Anbieter von Sharing-Systemen
- NGOs und NPOs zu Radverkehr und Nachhaltigkeit
- Verkehrsbetriebe
- Agenturen, Berater, Architekten, Ingenieur- und Planungsbüros
- Fahrradhersteller