Das Fahrrad genießt als Freizeitgerät und Verkehrsmittel einen großen Stellenwert in der Gesellschaft. Doch auch als Wirtschaftsfaktor ist die Bedeutung der Fahrradbranche hierzulande nicht zu unterschätzen. Wir groß diese Bedeutung genau ist, hat der Branchenverband Zukunft Fahrrad jüngst in einer aktualisierten Studie untersucht. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Dass die Fahrradbranche ein wichtiger Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor in Deutschland ist, hatte Zukunft Fahrrad bereits 2020 in einer ähnlichen Studie dokumentiert, die damals noch beim Wuppertal Institut gemeinsam mit den Branchenverbänden VSF und ZIV in Auftrag gegeben wurde. Die im vergangenen Juni vorgestellte, neue Auflage der Studie „Fahrradwirtschaft in Deutschland“ stammt nun aus der Feder des Instituts T3 Transportation Think Tank und wurde von Zukunft Fahrrad in Eigenregie in Auftrag gegeben. Die Studie dokumentiert somit nun vor allem auch, wie sich die Fahrradbranche seit 2019, dem Betrachtungszeitraum der Vorgängerversion entwickelt hat.
Zu behaupten, dass der Fahrradmarkt hierzulande in den letzten drei Jahren eine interessante Zeit erlebt hat, wäre eine ziemliche Untertreibung. Bekanntermaßen hat die Corona-Pandemie dem Fahrrad vielmehr einen so noch nie da gewesenen Boom beschert, in dem der Gesamtumsatz des Fahrradhandels (Einzel- und Großhandel) von 2019 bis 2022 um 54 Prozent auf 17,2 Mrd. Euro zulegte. Der Branchensektor Herstellung konnte hierzulande ebenfalls zulegen: Die Produzenten von Fahrrädern und Fahrradkomponenten in Deutschland erwirtschafteten 2022 einen Gesamtumsatz von 7,5 Mrd. Euro, das sind sogar 63 Prozent mehr als noch 2019.
Dieses Wachstum in Handel und Industrie ließ sich nicht ohne einen Zuwachs der Beschäftigtenzahlen bewerkstelligen. Dass diese prozentual jedoch weniger stark als der Umsatz zulegten, mag einerseits ein Indiz für den Fachkräftemangel in kaufmännischen und handwerklichen Berufen sein, aber auch dafür, dass die Arbeitslast in den letzten drei Jahren für alle berufstätigen Menschen im Fahrradsegment eine große Herausforderung gewesen ist. Den Corona-Boom schulterten 2022 im Fahrradhandel jedenfalls 45.600 Beschäftigte und 13.400 im Sektor Herstellung, das sind 31 beziehungsweise 17 Prozent mehr als noch 2019.

Leasing wächst immer weiter

Bereits in der ersten Studie spielte der Sektor Dienstradleasing eine relevante Rolle und ist nach wie vor auf einem Siegeszug. Als 2013 die ersten Leasinggeber für Fahrräder an den Start gingen, wurden gerade einmal 1100 Räder geleast. 2020 waren es schon 340.000 Verträge, die in einem Jahr abgeschlossen wurden. Die neue Auflage der Studie gibt nun Auskunft, dass es seitdem immer weiter bergauf gegangen ist: 2021 kamen 488.000 Neuverträge dazu, für 2022 meldet der Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen nun weitere 600.000. Seit 2019 hat sich die Zahl der jährlich abgeschlossenen Verträge somit mehr als verdreifacht. In Summe sind geschätzt derzeit etwa 1,6 Millionen Fahrräder und E-Bikes in einem Leasing-Vertrag auf der Straße, wenn man die 2023er-Zahlen auch bereits berücksichtigt. Aus einem Angebot, dessen Perspektive zunächst vage blieb, ist innerhalb weniger Jahre eine wichtige Säule des Fahrradmarktes gewachsen. Das gilt auch bei den Beschäftigtenzahlen: 2014 arbeiteten lediglich 32 Personen in der Fahrrad-Leasingbranche. Das sieht heute schon ganz anders aus: Die Studienmacher vom T3-Institut haben ermittelt, dass 2022 bereits 1900 Personen bei Anbietern von Dienstradleasing beschäftigt waren.
In der Studie bilden die Leasing-Anbieter zusammen mit Unternehmen unter anderem aus den Segmenten Sharing, Fahrradabos und Versicherungen den Sektor Dienstleistungen, der insgesamt auf eine Beschäftigtenzahl von 3800 Personen (plus 90 % ggü. 2019) und einen Gesamtumsatz von 3,56 Mrd. EUR (plus 414 % ggü. 2019) kommt.

Lichtblick für den Tourismus

Die Tourismusindustrie zählt zu den Branchen, die am stärksten von der Corona-Krise getroffen wurde. Ein Lichtblick war für viele Betriebe in den letzten drei Jahren der Fahrradtourismus, der von den Einschränkungen der Pandemie weniger betroffen war als andere Urlaubsarten. Das lässt sich bereits aus der jüngsten Radreiseanalyse des ADFC herauslesen, die von 8,4 Mio. Radreisenden mit Übernachtung und 441 Mio. Tagesausflüge in der Corona-Hochphase 2021 berichtet. Das sind 56 beziehungsweise 34 Prozent mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. Das hohe Niveau konnte auch im Jahr 2022, in dem die meisten Reisebeschränkungen sukzessive aufgehoben wurden, nicht nur gehalten, sondern mit 8,8 Mio. Radreisenden und 445 Mio. Tagesausflügen sogar noch weiter ausgebaut werden.
Auf Basis der jährlichen ADFC-Radreiseanalysen wurden vom T3-Institut nun auch Beschäftigungsäquivalente und Umsatz durch den Fahrradtourismus ermittelt. Demnach sind in der deutschen Tourismusbranche 263.000 Jobs, 31 Prozent mehr als noch 2019, auf die Fahrradurlauber und Tagesausflügler zurückzuführen. Den Umsatz mit entsprechenden touristischen Angeboten beziffert die Studie auf 16,4 Mrd. Euro (plus 41% ggü. 2019).
Für die Macher der Studie sind deren Ergebnisse auch ein Appell an die Politik: „Erst wenn das Fahrrad fest im Alltag vieler Menschen etabliert ist, wird die Branche unabhängiger von konjunkturellen Schwankungen sein. Die Bundesregierung kann die Alltagsnutzung des Rads durch die verbesserte Förderung von Diensträdern, Cargobikes und Mobilitätsbudgets attraktiver machen. Mit angemessener politischer Unterstützung könnte die starke Fahrradindustrie hierzulande noch mehr leisten. Frankreich oder Portugal machen es vor mit ihrem klaren Bekenntnis zur Förderung der Fahrradwirtschaft vor Ort“, sagt Wasilis von Rauch, Geschäftsführer von Zukunft Fahrrad.

Mehr zur Studie: https://zukunft-fahrrad.org/branchenstudie2023/


Bild: Riese & Müller