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Fahrradmarkt erreicht neue Umsatzniveaus

Es dürfte inzwischen niemandem entgangen sein, dass mit dem Beginn der Corona-Pandemie die Fahrradbranche ihre ohnehin seit Jahren positive Entwicklung nochmals dramatisch beschleunigen konnte. Die Dimensionen dieser Entwicklung sind aus wirtschaftlicher Sicht beeindruckend und bringen in der Folge das Fahrrad insgesamt deutlich voran. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2022, Juni 2022


Schon die steigende Zahl an verkauften (und in der Folge dann meist auch genutzten) Fahrrädern bedeutet Handlungsdruck in einer ohnehin zumeist fragwürdigen Infrastruktur für dieses Verkehrsmittel. Inzwischen besitzen die Bundesbürgerinnen und -bürger 81 Millionen Fahrräder, davon 8,5 Millionen Pedelecs. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Zahl weiter ansteigen wird, denn der Trend zum Fahrrad besteht schon länger.
Bereits vor Corona konnte sich die Fahrradwirtschaft und damit insbesondere der Fahrradfachhandel ein neues Rekordergebnis in die Jahrbücher eintragen. Im Jahr 2019 erzielte der stationäre Fahrradfachhandel, also alle Händler, die ihre Einnahmen mit dem Verkauf von Fahrrädern, Teilen und deren Reparatur erzielen, zusammen einen Umsatz von fast 4,9 Milliarden Euro.
Innerhalb eines Jahrzehnts hat der Handel damit sein Ergebnis von damals 2,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Der Höhenflug des Handels hat damit schon lange vor Corona angefangen, seit 2005 gibt es jedes Jahr steigende Umsätze. Doch mit dem darauffolgenden Satz in neue Dimensionen hat dennoch niemand gerechnet. Plötzlich war das Fahrrad nicht nur cool, sondern mehr oder weniger die einzige übrig gebliebene Freizeitbeschäftigung, die man sicher durchführen konnte. Die Branche konnte nach anfänglichen Sorgen ein Rekordjahr einfahren.

Mit fast sieben Milliarden Euro Umsatz eroberte der Fahrradhandel im ersten Corona-Jahr ein bisher unbekanntes Umsatzniveau.

Unerwartetes Rekordjahr 2020

Insgesamt erzielte der stationäre Fachhandel dann im Jahr 2020 mit Fahrrädern in Deutschland einen Umsatz von fast sieben Milliarden Euro. Ein Plus von 42,12 Prozent binnen eines Jahres. Über alle in der Statistik aufgeführten Branchen bedeutete das den ersten Platz und führte zu einer Erwähnung in der Vorstellung der Zahlen durch das Statistische Bundesamt. Für die meisten anderen Branchen waren die Umstände nicht so günstig. In Deutschland gingen über alle Wirtschaftszweige hinweg die Umsätze 2020 im Vergleich zu 2019 um 3,9 Prozent zurück. Am anderen Ende des Spektrums stehen etwa die Mode- und Schuhhändler, die Umsatzrückgänge von 19,4 beziehungsweise 19,7 Prozent zu verkraften hatten.
Der Erfolg des Fahrradhandels verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig. Während die Zahl der kleineren Handelsbetriebe und auch ihre wirtschaftliche Bedeutung abnahm, konnten die großen Händler überproportional zulegen. Ab einer halben Million Euro Jahresumsatz findet man sich im Fahrradhandel zumeist auf der Sonnenseite des Marktes.
Die Größenklassen ab 500.000 Euro konnten wie gewohnt an Mitgliederstärke zulegen. Besonders stark ist der Zuwachs bei Betrieben mit Umsätzen zwischen fünf bis zehn Millionen Euro. Ihre Zahl hat sich fast verdoppelt von 60 auf 115. Im Jahr 2015 lag ihre Zahl noch bei 21.
Nicht minder eindrucksvoll lesen sich die Zahlen der Beletage des hiesigen Fahrradhandels. Inzwischen gibt es sieben Unternehmen, die Umsätze zwischen 100 und 250 Millionen Euro erwirtschaften. Diese vereinen 1,18 Milliarden Euro des gesamten Umsatzes auf sich. Ihr Umsatz hat sich damit binnen Jahresfrist fast verdoppelt. Glatte 17 Prozent des stationären Fachhandelsumsatzes gehen auf das Konto dieser Groß-Händler, ein Jahr zuvor waren es noch etwas über 13 Prozent. Der Konzentrationsprozess geht also auch in Boomphasen unvermindert weiter.
Nach wie vor stellen die Händler mit Umsätzen bis 500.000 Euro die Mehrheit in der Handelslandschaft. Allerdings hat sich ihre Bedeutung über die Jahre stark verschoben: 2009 stellten sie noch 81 Prozent der Händlerschaft, im Jahr 2020 waren es nur noch 58 Prozent. Noch deutlicher wird es bei den Umsätzen: 2009 trugen sie noch 31,5 Prozent zum Gesamtumsatz bei, im Corona-Rekord-und-Krisenjahr 2020 waren es nur noch 7,9 Prozent.
Im anschließenden Jahr 2021 konnten Handel und Fahrradindustrie an die Sonderkonjunktur durch Corona zwar anknüpfen, die Erfolge aber nur teilweise wiederholen.
Vergangenes Jahr konnte statt des Handels vor allem die hiesige Fahrradindustrie vom fortgesetzten Fahrradtrend profitieren. Wie der Indus-trieverband ZIV (Zweirad Industrie Verband) im Frühjahr mitteilte, konnte die deutsche Fahrradindustrie 2,37 Millionen Fahrräder produzieren, ein Plus von bemerkenswerten 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als die 2,15 Millionen Räder bereits ein dickes Plus zum Vor-Corona-Zeitalter darstellten. Es ist zwar kein Allzeithoch, aber in den vergangenen zehn Jahren lag die Produktion nicht so hoch wie jüngst. Die aktuelle Fahrradproduktion hat auch qualitativ in jeder Hinsicht neue Höhen erreicht. Damit hat die Industrie relativ erfolgreich die Probleme durch grassierende Lieferengpässe bewältigen können.
Bemerkenswert ist etwa, dass in Deutschland inzwischen deutlich mehr E-Bikes als normale Fahrräder produziert werden. 1,4 Millionen Räder der hiesigen Produktion sind inzwischen mit einem Motor ausgestattet, 900.000 Fahrräder sind bio. Noch vor zwei Jahren war das Verhältnis in etwa ausgeglichen, davor hatten normale Räder deutliches Übergewicht. Es ist klar, dass sich diese Verschiebung nicht wieder zurückdrehen wird, eher wird sie sich noch weiter ausbauen. Die 0,9 Millionen Normalräder sind auch insofern bemerkenswert, als sie zum ersten Mal eine Steigerung der Produktionsmenge seit vielen Jahren darstellen (um 13 Prozent). Davor ging es Jahr für Jahr mitunter steil bergab.

Die Produktion der deutschen Fahrradindus­trie erreichte ein neues Zehnjahreshoch. Für die guten Zahlen entscheidend ist das E-Bike.

Sinkender Fahrradverkauf

Eine etwas kompliziertere Geschichte sind die Zahlen zum Fahrradverkauf, die insbesondere den Handel interessiert. So sank die Zahl der verkauften Fahrräder und Pedelecs von knapp über 5 Millionen Stück im Rekordjahr 2020 auf nun 4,7 Millionen in 2021. Wie passt das zur ZIV-Darstellung, die Industrie habe deutlich zugelegt? Die Erklärung geht so: Zur genannten Inlandsproduktion von 2,37 Millionen Rädern kommt der Import von weiteren 4,14 Millionen Fahrrädern, von denen zusammen wiederum 1,57 Millionen exportiert wurden. Was übrig bleibt, ist die sogenannte Inlandsanlieferung von 4,94 Millionen Fahrrädern und Pedelecs in Deutschland. Diese Zahl entspricht der Menge an Ware, die in die verschiedenen Vertriebskanäle in Deutschland geflossen ist. Aber verkauft wurden doch nur 4,7 Millionen Räder? Die Differenz von 240.000 Rädern wird als Lagerbestandsveränderung verbucht. Der Handel hätte die Räder sicher gerne auch verkauft, aber leere Ladenflächen sind auch kein schöner Anblick. Ein Mindestbestand an Lagerware muss stets vorhanden sein, was seit 2020 oft nicht gegeben war. ZIV und VDZ (Verband des deutschen Zweiradhandels) weisen darauf hin, dass mehr Fahrräder und Pedelecs hätten verkauft werden können, wäre mehr von der besonders nachgefragten Ware verfügbar gewesen. Wann sich die Warenverfügbarkeit wieder normalisiert, hängt wesentlich davon ab, wann sich die inzwischen weltberühmten Lieferengpässe auflösen. Spontan wirkende Hafenschließungen und umfassende Lockdowns in Fernost machen verbindliche Aussagen schwierig bis unmöglich. Die Schätzungen reichen von Jahresende bis hin zu mehreren Jahren, bevor Normalität einkehrt. Je nach Produktgruppe können andere Zeiträume eintreffen.

Durchschnittspreise steigen weiter

Über alle Segmente lag der Durchschnittspreis für Fahrräder und Pedelecs in Deutschland bei 1395 Euro, ein Anstieg von über 100 Euro binnen eines Jahres und mehr als 40 Prozent Plus im Vergleich zu 2019. Das ist eine rasante Entwicklung und bereitet manchen Marktbeobachtern auch Sorge. Zwar ist die Preissteigerung vor allem von den Absatzrekorden bei den E-Sortimenten getrieben, dennoch lautet die Frage, wie weit sich diese Preisschraube noch drehen kann und wird. Der VDZ errechnete einen Durchschnittspreis von 3332 Euro brutto für Elektroräder und 654 Euro brutto für unmotorisierte Fahrräder. Das ist eine riesige Lücke zwischen Bio und Elektro. Zumindest die nächsten Aussichten sind leicht bewölkt bis freundlich: Für diese neue Saison wird zwar eine immer noch angespannte Warenversorgung erwartet, aber auch erneut gute Absatzzahlen dank bleibender Nachfrage.

Gewinner Lastenrad

Besonders profitiert hat von den jüngsten Marktentwicklungen also das Elektrofahrrad insgesamt, in den einzelnen Segmenten gibt es jedoch manche interessante Ausreißer zu beobachten. Wieder einmal lag das Wachstum in der Abteilung Lastenrad binnen eines Jahres bei satten 50 Prozent. Das ist über alle Kategorien der größte Sprung nach vorne. Insgesamt 120.000 Lastenräder mit Motor wurden 2021 verkauft (Vorjahr: 78.000). Die Rolle der Lastenräder im E-Segment sollte spätestens jetzt nicht länger unterschätzt werden. Sechs Prozent des E-Verkaufs gehen auf das Konto von Lastenrädern.
Dazu kommen weitere 47.000 Einheiten ohne Antrieb (Vorjahr: 25.200). Dies ist laut ZIV überhaupt die einzige nichtelektrifizierte Radgattung, die ihre Stückzahlen ausbauen konnte. Selbst wenn sich die Dynamik demnächst abflachen sollte, sind die nächsten Rekorde bereits absehbar. Es lohnt, sich die Bedeutung dieser Zahlen zu verdeutlichen: Mit den aktuellen Stückzahlen haben Lastenräder (E und Non-E) das Segment Jugendrad eingeholt, ebenso wie die nichtmotorisierten Mountainbikes, einst seinerseits eine tragende Stütze des Fahrradverkaufs, heute aber schon deutlich abgehängt von seinem Nachfahren E-MTB. Das nächste Segment in Reichweite ist der Bereich der Rennräder und Gravelbikes.


Bilder: Daniel Hrkac, Statistisches Bundesamt (Destatis), ZIV