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Zwei aktuelle Beispiele zeigen, dass die Vorstellungen von einheitlichen Ladesteckern für E-Bikes und leichte Elektrofahrzeuge (LEV) kaum unterschiedlicher sein könnten. Schon zu der Frage, ob der Stecker am Fahrrad oder an der Infrastruktur hängen sollte, gehen die Meinungen auseinander. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


„Ein einheitlicher Ladestecker ist ein relevantes Thema, auch für die Industrie.“ Das sagt Tim Salatzki, Leiter Technik und Normung des Zweirad-Industrie-Verbands ZIV. „Der Aufhänger für so ein einheitliches System ist häufig ein öffentlicher Verleih. Aber es gibt auch immer mehr den Wunsch von Privatnutzenden, die ihr Fahrrad zum Beispiel am Supermarkt aufladen wollen oder an Radreisewegen, Gaststätten oder Hotels.“ Bei einer einheitlichen Ladelösung müssten die Nutzer und Nutzerinnen nicht mehr zwingend ein eigenes Ladegerät mitführen und hätten auch im eigenen Haushalt Vorteile. Auch andersherum haben die Besitzer von Gaststätten und Supermärkten, genauso wie die öffentliche Hand, ein Interesse daran, diesen Service anbieten zu können. Der aktuell fragmentierte Markt sei ein Problem, so Salatzki. Zudem ist die Lage etwas komplexer als beispielsweise im Smartphone-Markt, der ab Ende kommenden Jahres EU-weit einheitlich auf USB-C-Buchsen setzen muss. „Wenn ich einen Akku von einem Elektrofahrrad lade, habe ich immer eine Kommunikation zwischen Ladegerät und Batterie. Da hängt vieles ab von Variablen: Wie voll ist die Batterie und wie ist die Temperatur im Akku oder der Umgebung.“

Einer für alle? Der Stecker des Chademo-Konsortiums soll über kleine Adapter auch mit älteren Ladesystemen kompatibel sein. Derzeit ist ein Kommunikationsprotokoll in der Prototypenphase.

Stecker, Buchsen und Adapter

Bisher legen die Hersteller für sich selbst ein System aus, das sie für sicher halten. „Vonseiten der Industrie sehen wir den Wunsch, im Markt einen einheitlichen Stecker anbieten zu können.“ Dementsprechend haben sich einige Akteure aus der Industrie zusammengeschlossen, um ein Kommunikationsprotokoll zu entwickeln, das auf einen bestehenden Stecker aufsatteln soll. Stecker und Buchse sind bereits in der Vornorm ISO/TS 4210-10 aus dem Juli 2020 definiert. Diese unterstützen Spannungen bis zu 42 Volt und Leistungswerte von 800 Watt. Das Kommunikationsprotokoll entsteht im privaten Konsortium Chademo. Dieser Handelsname dürfte einigen Menschen als elektrische Schnittstelle eines Batteriemanagementsystems für Elektroautos bekannt sein und stammt aus Japan. Die Zielstellung sei auch hier eine Norm, erklärt Salatzki. Auch Marktführer Bosch habe sich dem Konsortium angeschlossen. „So ein System wird funktionieren, wenn der Größte dabei ist.“ Auch Panasonic, Yamaha und Shimano seien an Bord und das Interesse der Industrie sei insgesamt groß. „Der Charme von diesem neuen Ladesystem ist, dass ich bestehende Systeme am Markt laden kann“, so Salatzki. Das könne die Industrie über Adapter-Lösungen in der Größe einer Streichholzschachtel realisieren.
Eine generelle rechtliche Pflicht, einen bestimmten Stecker zu benutzen, hält Salatzki für realistisch: „Es ist durchaus abzusehen. Solche Regelungen sind beim Pkw vorhanden oder auch bei Tablets und Handys. Deshalb kann man schon davon ausgehen, dass die Politik sich auch Elektrofahrräder mal ansehen wird.“

„Das Laden ist eigentlich eine untergeschobene Nebenfunktion.“

Hannes Neupert, Extra Energy

Gegenmodell kommt mit Buchse an der Infrastruktur

Hannes Neupert ist Verfechter eines gänzlich anderen Modells. Er hat unter anderem den Verein ExtraEnergy e. V. mitgegründet und ist seit einigen Jahrzehnten im Bereich der Elektromobilität beratend tätig. Ein Vorstoß in Form der Norm IEC TS 61851-3-2, an dem er beteiligt war, geht das Laden grundlegend anders an und sieht vor, dass Kabel und Stecker am Fahrzeug fest installiert ist. Die Idee entstand auf einer Eurobike-Party und geht politisch auf das EU-Mandat 468 aus dem Jahr 2010 zurück. „Die Buchse ist an der Infrastruktur. Das ist ganz entscheidend, weil nur dadurch alles interoperabel ist und die Infrastruktur dann keine Weichteile hat, die leicht durch Vandalismus beschädigt werden können“,
erklärt Neupert. In verschiedenen Projekten zu öffentlicher Ladeinfrastruktur, zum Beispiel von der Deutschen Bahn in Stuttgart, habe man feststellen können, dass die dort an den Ladesäulen verbauten Kabel maximal ein Jahr halten. Spätestens dann fielen sie dem Vandalismus zum Opfer, berichtet Neupert. Die Buchse, die Neupert auch für die öffentliche Infrastruktur vorschlägt, kann drei verschiedene Stecker aufnehmen. Der kleinste der drei besitzt keinen konduktiven elektrischen Kontakt, sondern dient in erster Linie dazu, Fahrräder sicher abstellen zu können. Nebenbei können GPS-Geräte und Lichtanlagen am Fahrrad dennoch Energie abzapfen. Den mit dem Fahrrad verbundenen Stecker schließt die Buchse an der Ladesäule ab. „Der mittlere Stecker ist der, für den wir von der größten Bedeutung am Markt ausgehen. Der ist für Pedelecs und mittelgroße Elektroroller mit Batteriekapazitäten von drei bis fünf Kilowattstunden geeignet“, so Neupert. Er hält Spannungen von 60 Volt sowie Stromstärken von 60 Ampere aus und leistet bis zu 3 Kilowatt. Die maximale Spannung ist so gewählt, dass Fahrradmechatroniker und -mechatronikerinnen die Fahrzeuge noch ohne Hochvolt-Schulung warten und bearbeiten dürfen. Der größte Stecker hält bis zu 120 Volt Spannung aus und ist zum Beispiel für Motorräder gedacht. Alle Stecker erlauben den Fahrzeugen, über Near Field Communication (NFC) mit der Infrastruktur zu kommunizieren.
Dass diese neue Spezifikation für Stecker und Buchse nun existiert, macht sie nicht automatisch zu einer gesetzlichen Verpflichtung. Das soll sie allerdings durch einen Umweg über die CE-Kennzeichnung werden. „Ab September nächsten Jahres wird es gesetzlich verpflichtend werden, den Standard einzuhalten für alle neuen Produkte, die eine CE-Konformität haben wollen. Das ist die Grundlage, um überhaupt in Europa Pedelecs verkaufen zu dürfen“, so Neupert. Der Weg dahin ist durchaus komplex. Um CE-konform zu sein, muss ein Pedelec den Standard EN 15194 erfüllen. Innerhalb dieses Standards gab es bisher zwei Batterienormen, von denen eine veraltete jetzt auf einen Antrag der holländischen Regierung hin gestrichen wurde. Der übrig bleibende Batteriezellenstandard EN 50604-1, der 2017 eingeführt wurde, ist damit unumgänglich und werde um den im Februar 2023 auf Deutsch publizierten Standard IEC TS 61851-3-2 erweitert, erklärt Neupert. In diesem ist das neue Ladesystem spezifiziert.

Der mittlere Stecker dürfte der wichtigste sein, so Hannes Neupert. Alle drei Stecker passen in dieselbe Buchse, die sich statt am E-Bike an der Infrastruktur befindet.

Ausnahmen legal, aber nicht interoperabel

All das bedeutet aber nicht, dass es künftig nur noch E-Bikes mit fest inte­griertem Kabel und Stecker geben kann und wird. Der Weg, den zum Beispiel Marktführer Bosch derzeit schon geht, nennt sich herstellerspezifische Lösung (manufacturer-specific solution) und bleibt weiterhin legal. Wenn es möglich ist, die Batterie zum Laden zu entnehmen, braucht es außerdem kein fest installiertes Kabel. Interoperabel ist diese Lösung dann nicht.
Wenn Kabel und Stecker permanent mit dem Fahrrad verbunden sind, ist das ein großer Eingriff in das Design und dürfte in der Industrie nicht gut ankommen, kommentiert Tim Salatzki den Vorstoß. „Wir gehen davon aus, dass das eher weniger gewünscht ist“, sagt er. Hannes Neupert stimmt in dieser Hinsicht mit Salatzkis Ansicht überein und erwartet zunächst herstellerspezifische Lösungen, um das fest am Rad installierte Kabel zu umgehen: „Meine Erwartung ist, dass die alle vom Stuhl fallen, weil sie überhaupt nicht drauf vorbereitet sind. Ich gehe davon aus, dass es mindestens fünf Jahre braucht, bis die Industrie das halbwegs adaptiert. Ziemlich sicher werden viele einen Sonderweg gehen, weil sie damit ihr Produkt am wenigsten umkonstruieren müssen.“
Allerdings plane die Stadt Hannover beispielsweise, 30.000 Pkw-Parkplätze in Lade- und Parkstationen für E-Bikes und LEVs mit besagter Buchse umzuwandeln. Der öffentliche Druck, deren ganzen Funktionsumfang nutzen zu können oder zumindest einen Adapter bekommen zu können, so erwartet Neupert, dürfte die Indus-trie zum Umdenken bringen. Auch eine solche Station hat Neupert in einem Interreg-Projekt mit öffentlichen Geldern mitentwickelt. Sie lädt die Fahrzeuge au­tark. Solarmodule speisen einen im Boden verschweißten Akku. Noch im Juli dieses Jahres soll in Hannover eine Musterausschreibung für Stationen dieser Art erarbeitet werden. Dass zumindest im September 2024 noch nicht viele E-Bikes und LEVs auf den neuen Stecker oder eine konforme herstellerspezifische Lösung setzen werden, ist dennoch wahrscheinlich. Schließlich sind viele Produkte für diesen Lieferzeitraum bereits jetzt im Vorlauf. Die Behörden, die nicht CE-konforme Produkte zurückrufen können, dürften ebenfalls eine Weile brauchen, um die Änderungen zu implementieren.

Einheitliches Laden kann auch bedeuten, dass die Infrastruktur eine Buchse anstatt eines Steckers bietet. Ein Hauptargument für diese Grundsatzentscheidung ist, Vandalismus zu minimieren.

Bequem parken und Batteriebrände vermeiden

Auch im aktuellen Markt gäbe es bereits Produkte, die so eigentlich nicht legal seien, sagt Neupert. Dazu zählen zum Beispiel Ladekabel mit frei verkäuflichen, runden und orientierungsfreien Steckern. Unterschiedliche Ladegeräte mit demselben Stecker verursachen potenziell Gefahren. „Es geht darum, dass Batteriebrände möglichst ausgeschlossen werden. Eine große Gefahr dafür ist der Anschluss an ein nicht geeignetes Ladegerät, das zum Beispiel von der Spannungslage zu hoch ist und Sicherheitsmechanismen, die mit dem Originalgerät vorhanden sind, aushebelt“, erklärt Neupert.
Theoretisch könnten Hersteller den neuen Ladestandard auch mit Kabeln und Steckern nutzen, die sich vom Fahrrad trennen lassen. Ein großer Vorteil des Entwurfs würde dann aber nicht mehr greifen. „Das Laden ist eigentlich eine untergeschobene Nebenfunktion. Die Hauptfunktion ist, dass du dein Fahrrad oder deinen Roller genau so bequem parken kannst wie dein 150.000 Euro teures Auto.“ Braucht der Eigentümer oder die Eigentümerin das Fahrzeug wieder, sollen sie sich über verschiedene Wege als Eigentümer identifizieren und das Fahrzeug aufschließen können. Im Falle eines Diebstahls würden alle elektronischen Komponenten als gestohlen gebrandmarkt.
Sonderwege, wie den von Salatzki erwähnten Chademo-Stecker, können auch mehrere Unternehmen miteinander gehen. Wenn diese marktbeherrschend sind, muss eine solche Vereinigung aber gewisse Marktaufsichtspflichten übernehmen und Drittanbietern gewähren, kompatible Teile anbieten zu können. Das Chademo-Konsortium wird das Thema auch auf der diesjährigen Eurobike erneut aufgreifen. Wenn dieser Vorstoß die Prototypenphase verlässt und die von Neupert genannte Frist im kommenden Jahr näher rückt, dürfte die Zukunft einheitlicher Ladestecker und Buchsen sich etwas klarer präsentieren.


Bilder: Chademo, Hannes Neupert