Veränderungen erzeugen Ängste, sind im „archaischen Setting“ der Menschen mit Bedrohung verbunden, sagt der Kommunikationsexperte Michael Adler. Statt Ängste zu schüren, sollte über Klimathemen anders geredet werden. „Unser Leben wird gesünder, besser, sozialer, wenn wir umsteuern“, sagt Adler im Interview. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)
Michael Adler ist mit Nachhaltigkeits- und Mobilitätsthemen schon sein Leben lang verbunden. Der Journalist, Moderator und Kommunikationsexperte war viele Jahre Chefredakteur des VCD-Magazins „Fairkehr“. Vor elf Jahren gründete er seine Agentur Tippingpoints für nachhaltige Kommunikation mit Standorten in Berlin und Bonn. Hier arbeitet er an den kulturellen und politischen Kipppunkten, um Verhältnisse und Verhalten ändern zu können.
Das Fahrrad spielt bei Michael Adler eine große Rolle. So hat er unter anderem Vivavelo-Kongresse der Fahrradbranche moderiert und er war Mitglied im Beirat des Bundesverkehrsministeriums zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans. Auch für das Bundesumweltministerium und für das Land Baden-Württemberg hat er Kampagnen zum Radverkehr entwickelt. Klar ist aber auch: Der Radverkehr ist nur eine von vielen Facetten der Mobilitätswende. Sein Blick gilt stets dem großen Ganzen, und das mit dem Schwerpunkt auf einer Kommunikation, die Menschen nicht nur intellektuell erreicht.
Worte können die Welt verändern, weil sie unser Denken prägen. Das gilt besonders für komplexe Angelegenheiten wie die Klimakrise. In seinem 2022 erschienenen Buch „Klimaschutz ist Menschenschutz“ entwirft Michael Adler eine positive, motivierende Klimasprache. Statt von Verzicht und Kosten zu reden, erzählt er lebensfrohe Geschichten von „desirable futures“.
Die Verkehrswende in Deutschland kommt nicht voran. In der aktuellen Phase scheint es gerade so, als wäre der Rückwärtsgang eingelegt. Hat die Verkehrswende noch eine Chance?
Sie muss ja! Die Verkehrswende ist alternativlos, weil wir sonst einerseits unsere Klimaziele nicht erreichen, aber auch darüber hinaus, weil sonst der Wandel zu lebenswerten, guten, menschengerechten Aufenthaltsräumen in unseren Städten und Dörfern nicht erreichbar ist. Wir haben es gerade in der Corona-Zeit gespürt, wie wichtig eine gute Qualität von Stadt und Dorf auch direkt vor der Haustür ist. Die Mobilitätswende – eigentlich das treffendere Wort – bräuchte Rückenwind von der Bundesebene. FDP-Minister Wissing lässt aber leider noch keinen grundlegenden Kurswechsel zu seinen CSU-Vorgängern erkennen. Dadurch wird die dringend notwendige Änderung der politischen Rahmenbedingungen weiter verzögert.
Auf der anderen Seite gibt es nach meiner Wahrnehmung lokal schon eine Menge Bewegung. In der Stadt, in der ich hauptsächlich lebe, in Bonn, gibt es gerade viel Dynamik. Deshalb hat Bonn auch kürzlich beim Fahrradklimatest den 1. Platz unter den Aufholern bekommen – und das haben sie hier auch verdient. Es gibt viele Städte, die Mobilitätswende machen, und es ist klar, dass das nicht nur eine Antriebswende sein kann, es muss auch den Modal Split verändern, und zwar sehr deutlich. Ein Hauptproblem ist ja, dass alles zu groß wird, mit dem wir uns individuell motorisiert bewegen. Das muss wieder zurückwachsen, um nachhaltig tragbar zu werden.
Die Bundesregierung ist zurzeit ein Bremsfaktor bei der Umsetzung der Verkehrswende. Dennoch finden auch positive Veränderungen in etlichen Städten und Kommunen statt. Wird der Einfluss des Bundes vielleicht überschätzt?
Ja und nein. Fakt ist, dass in den Kommunen viel passiert, aber genauso ist es ein Unding, dass der Bund die Gestaltungsräume der Kommunen weiter so eng hält. Nehmen Sie nur die „Initiative für lebenswerte Städte und Gemeinden“. Über 700 Kommunen fordern hier mehr Selbstständigkeit bei der Umsetzung von Tempo 30. Wir halten doch immer unseren Föderalismus hoch und sagen, dass es richtig ist, wenn am Ort, wo Politik sich konkret auswirkt, auch die Entscheidungen getroffen werden dürfen. Aber bei so wichtigen Fragen, wie organisieren wir das Klima zwischen den Menschen, an öffentlichen Räumen und Plätzen und im Verkehr, dass der Bund da nicht zulassen will, dass die Kommunen selber bestimmen, ist ein Unding. Deshalb würde ich mir modernere, progressivere Weichenstellungen vom Bund wünschen, die dann auch mit Fördermitteln für Länder und Kommunen hinterlegt sind.
Ein Kultur der Verkehrswende entstehe, wenn viele Menschen in die gleiche Richtung denken und agieren, erklärt Michael Adler. Einfach nur eine neue Kultur zu proklamieren, genüge da nicht.
In Ihrem Buch „Klimaschutz ist Menschenschutz“ weisen Sie auf die Bedeutung der Sprache für die emotionale Wahrnehmung von Themen hin. Hätten wir heute mehr Klimaschutz, wenn wir gleich die richtigen Worte benutzt hätten?
Was mich in meinem Buch umtreibt, ist positiv über eine veränderte Zukunft zu reden. Menschen haben vor Veränderungen Angst, weil das in unserem archaischen Setting immer auch mit Bedrohung verbunden war. Wir Menschen bleiben lieber auf unserer Scholle sitzen und sind nur begrenzt in der Lage, visionär zu denken und Routinen, die wir gewohnt sind, infrage zu stellen.
Das Ziel meines Buches ist es, über das Klimathema anders zu reden. Der sprachliche und visuelle Rahmen, der um ein Thema gesetzt wird, bestimmt auch die Gefühle, die mit dem Thema verbunden werden. Bisher herrscht beim Thema Klima der VerzichtsFrame vor. Die Politik will uns was wegnehmen, unser Leben wird freudlos. Mein Anliegen ist es, hier den Gewinn-Frame zu bedienen. Unser Leben wird gesünder, besser, sozialer, wenn wir umsteuern. So haben wir beispielsweise in Bonn mit der Verwaltung autofreie Wohnquartiere geplant und wir haben als Agentur gesagt, die dürfen wir nicht „Auto-frei“ nennen, sondern wir müssen Begriffe wählen, die beschreiben, was dort besser wird, wenn nicht mehr das Auto dominiert. Auto-frei impliziert ja, dass wir etwas wegnehmen – und das wird assoziiert mit Verzicht oder Verbot. Der Wandel zu nachhaltigen Wohnquartieren ist für die Anwohner*innen aber das Gegenteil von Verzicht. Es ist ja ein Gewinn an Freiheit für Kinder und Ältere – und damit für alle, ein Gewinn an Lebensqualität, mehr Möglichkeiten für soziale Interaktion. Sie heißen jetzt „Bönnsche Viertel – lebendige Straßen für Menschen“. Da sind dann sehr viele Dinge möglich, die den Zusammenhalt stärken. Die Mobilität spielte schließlich in der Beschreibung durch die Verwaltungsprofis eine eher untergeordnete Rolle. Es soll eine bessere ÖPNV-Anbindung geben, Mobilstationen im Viertel machen Mobilität ohne Abgase und Lärm möglich.
Das ist mein Anliegen in meinem Buch: Wir müssen viel mehr sagen, wo die Reise hingeht, in fünf oder zehn Jahren, auf welche Vorteile wir zusteuern. Stattdessen werden in der politischen Diskussion mit vernichtender Rhetorik oft die Horrorszenarien beschworen. Natürlich wird hier politisch instrumentalisiert, dass wir Menschen vor der Veränderung Angst haben. Wir sollten daher mehr über eine verheißungsvolle Zukunft sprechen. Dann kann man auch mehr Menschen mitnehmen auf diesem Weg.
„Wir Menschen bleiben lieber auf unserer Scholle sitzen und sind nur begrenzt in der Lage, visionär zu denken.“
Michael Adler
Wie entsteht eine „Kultur der Verkehrswende“? Welche Voraussetzungen braucht es dafür und was könnte die Fahrradwirtschaft dazu beitragen?
Eine Kultur ist ein komplexes Gebilde, das entsteht, wenn viele, auch unterschiedliche Menschen in eine gleiche Richtung denken und agieren. Gegenwärtig haben wir eine automobile Kultur. Die ist sehr ausgeprägt und sie wird auch von ganz unterschiedlichen Kreisen bedient: Von normalen Bürgerinnen, von Medien, von der Automobilindustrie, von Teilen der Politik. Wir haben auch eine Fleisch-Esskultur, eine Bierkultur, in manchen Gegenden eine Weinkultur, eine Karnevalskultur u.s.w. Das sind alles Dinge, die über einen sehr langen Zeitraum gewachsen sind. Vor zehn Jahren wurde in Baden-Württemberg der Begriff der Fahrradkultur aus der Taufe gehoben. Ich finde das einen guten Begriff, aber eine Kultur ist natürlich nicht dann sofort da, wenn man sie proklamiert. Jetzt geht es darum, eine Struktur zu schaffen, die mehr Radverkehr in unseren Städten und Dörfern möglich macht, die die Verhältnisse so ändert, dass der Platz anders verteilt wird, dass mehr Raum für Radverkehr aller Art entsteht. Wenn wir die Verhältnisse verändern, lässt sich auch das individuelle Verhalten leichter ändern. Es ist extrem schwer, Verhalten gegen widerspenstige Verhältnisse zu ändern. Wenn ich aber günstige Rahmenbedingungen habe und eine offene Kultur, dann gelingt das viel leichter. Und je mehr Präsenz das Fahrrad in allen möglichen Alltagssituationen hat, umso eher entsteht eine Fahrradkultur. Leider ist aktuell die Lobby für das Fahrrad, von ADFC bis ZIV, nicht sehr stark, immer noch zersplittert. Wir haben versäumt, vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens, der Debatten um Fridays for Future dem Thema noch mal einen neuen Kick zu geben. Man hat sich auf der Verbändeseite vielleicht auch ein bisschen ausgeruht, dass es ein paar neue Fördermittel auf Bundesebene gegeben hat. Wenn man eine Kultur verändern will, dann braucht man mehr als ein paar Fördermillionen – so wichtig Geld natürlich auch ist. Mir ist die Branche politisch zu abstinent und zu defensiv. Da ist noch viel Luft nach oben. Ich würde mir wünschen, dass mehr Vertreterinnen der Fahrradwirtschaft sich stärker engagieren auf der politischen Ebene und in der Lobbyarbeit, sowohl auf der Bundesebene als auch lokal vor Ort. Je besser die gebaute Infrastruktur ist, desto besser sind die Geschäfte für die Branche.
Bilder: Michael Adler, stock.adobe.com – Girts, stock.adobe.com – ARochau, stock.adobe.com – zwehren