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Zum fünfjährigen Verbandsjubiläum des RLVD zeigte die Radlogistikbranche, wie weit sie in den letzten Jahren gekommen ist. Obwohl große Ziele und viel Mut vorhanden sind, ist die Branche auch von politischen Entscheidungen abhängig. Nun gilt es für die Akteure der Radlogistik, ihre Hausaufgaben zu machen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Das deutsche Ökosystem für Radlogistik ist divers. Trotz (oder wegen) dieser Vielfalt gaben 45 Prozent der Kommunen in einer Umfrage im Projekt iKnowRadlogistik an, einen schlechten bis sehr schlechten Wissensstand zur Radlogistik zu haben. Das Vorhaben, welches Luise Braun für den Radlogistikverband Deutschland (RLVD) verantwortet, soll deshalb eine Wissensdatenbank entwickeln und Best-Practice-Beispiele beleuchten. Dass auch innerhalb der Branche weiterhin wichtige Fragen zu klären sind, bewies das Programm der Radlogistikkonferenz, die Mitte September mit rund 140 Teilnehmer*innen in Darmstadt stattfand.

Die Aussteller und Speaker*innen der Radlogistikkonferenz waren so divers wie die Branche selbst. Der Radlogistikverband hat seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern aufgenommen. Mittlerweile sind es 80.

Keine einfachen Rahmenbedingungen

Tom Assmann, erster Vorsitzender des RLVD, ordnete bei der Eröffnung der Konferenz den aktuellen Stand der Radlogistik und die Rahmenbedingungen ein. „Das Ökosystem Radlogistik ist ausgereift und setzt neue Trends. Alles ist da! Politik und Kommunen sind jetzt mehr denn je gefordert, passende und zukunftsweisende Rahmenbedingungen zu schaffen, um innovativen, modernen Stadtverkehr für die nächste Generation zu gestalten.“ Das letzte Jahr sei für die Radlogistik von Herausforderungen geprägt gewesen, auch durch Parteien, denen Sachlichkeit weniger wichtig sei als Populismus, so Assmann. Insbesondere Schwerlastenräder werden auch innerhalb der Branche durchaus kritisch gesehen. Das Auf und Ab müsse gestaltet werden und die Branche ihre Hausaufgaben machen, sagte Assmann. Die Branche zeige viel Mut und bekomme durch den Trend, die Innenstädte wieder stärker für Menschen zu gestalten, Aufwind.
Martin Seißler, Geschäftsführer von Cargobike.jetzt und Organisator der Konferenz, erläutert weiterhin die aktuelle Situation: „Viele Flottenmanager, von welchen Unternehmen auch immer, treffen aktuell keine Entscheidungen über größere Investitionen in ‚neuartige‘ Fahrzeuge. Deshalb werden im gewerblichen Bereich sehr viel weniger Lastenräder verkauft als vor einem Jahr.“ Als große Bedrohung der Wirtschaftssparte wertete Andreas Schumann vom Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste ein drohendes Verbot von Werkverträgen, welches die Gewerkschaft Ver.di zuletzt Mitte September forderte. Die Forderung, die gegen undurchsichtige Subunternehmerketten helfen soll, könnte auch die Radlogistikbranche viele Aufträge kosten. Unter diesen Umständen wird besonders ersichtlich, wie wichtig die Verbandsarbeit auch für die Radlogistikbranche ist. „Man merkt deutlich, wie wichtig es ist, dass es die Nationale Radlogistikkonferenz gibt, weil dort Gespräche stattfinden, die auf anderen Veranstaltungen nicht stattfinden. Genau deshalb wird es diese Veranstaltung auch weiterhin geben“, erklärt Martin Seißler. Der Verband nahm seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern auf. Mittlerweile sind es über 80.

Tom Assmann
Erster Vorsitzender des RLVD

Radlogistik hat Tradition

Trotz des jungen Verbandsalters gibt es Radlogistik nicht erst seit wenigen Jahren, erklärte ein Vertreter des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Daran erinnere ihn auch ein ausrangiertes Lastenrad, das bei einem Gemüsehändler in seinem Heimatort als Blumenbeet dient. Viele Herausforderungen, etwa bei multimodalen Transportketten, werden dennoch erst jetzt deutlich. In diese Kategorie fällt sicher auch das Thema der Routenführung. Für Lastenräder brauche es eigentlich eine angepasste Navigation. Daran arbeitet Michael Hess von der 7 Principles Mobility GmbH. Cargobikes bewegen sich anders als Autos, aber auch anders als Fahrräder, durch Städte hindurch. Problematisch sind zum Beispiel Umlaufsperren, Bordsteine oder für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen. Im Projekt iRouteCargobikes untersucht Hess deshalb Abweichungen von den Standardrouten. Das Ziel ist eine Navigationsanwendung, in der die Fahrer*innen ihre eigenen Präferenzen auswählen können.
Viele Themen im Ökosystem Radlogistik entwickeln sich stetig weiter. Das Projekt KV MD² bietet neue Mikrodepots, die sich an der Größe eines Parkplatzes orientieren und eine integrierte Rampe sowie ein IT- und Steuerungssystem haben. Umstellen lassen sie sich per Gabelstapler. Auch das Lieferantensystem hat sich entwickelt, sodass es mittlerweile selbst für Schwerlasträder einen ausgeprägten Lieferantenmarkt gibt, meint Inga Töller von der Onomotion GmbH.

Die Teilnehmer*innen der Konferenz tauschten sich über wichtige Herausforderungen der Radlogistikbranche aus. Dazu gehören stets auch technische Aspekte.

Mehr Vereinheitlichung

Projekte und Forderungen, die der Radlogistik helfen sollen, gibt es in der jungen Branche dennoch viele. Logistiker, die Lastenräder verschiedener Hersteller nutzen, wollen diese wie im Kfz-Bereich mit einem Standard-Diagnosegerät auslesen können. Generell dürfe die Radlogistik der motorisierten Logistik in Sachen Software in nichts nachstehen, sondern muss in dieser Hinsicht komfortabel und zuverlässig sein.
Das Potenzial für gewerbliche Lastenräder ist riesig. Pflegedienste, Bestatter, Gärtner oder ein Bringdienst der Osnabrücker Tafel wurden auf der Konferenz als Beispiele genannt. Auch für den Berliner Kreislaufwirtschaftsdienstleister Interzero, der Altkleider mit einem Cashback-System sammelt und transportiert, ist das Cargo-Bike das Mittel der Wahl. „Wir müssen nicht nach dem einen Gewerbe suchen. Wir haben diese Potenziale überall“, erklärte Seißler auf der Konferenzbühne. Um die Potenziale zu heben, brauche es faire Marktbedingungen. Neben den Straßen und anderen Infrastruktursystemen sind auch die Beschaffungs- und Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand ein wichtiger Hebel für die Radlogistik. Um dies zu fördern, müsse die Branche aktiv werden und sich in Gremien setzen, in denen Radlogistik eine Rolle spielen sollte.
Spannende Entwicklungen könnte es auch von regulatorischer Seite geben. Arne Behrensen von Zukunft Fahrrad stellte die Klasse H-Pedelec (Heavy Pedelec) in den Raum, die zum Beispiel mit Motorleistungen bis zu 500 Watt bis 25 km/h unterstützen könnte. Auch die neue europäische Lastenradnorm (EN 17860, Teil 1–7), die gerade entsteht, gilt es genau zu beobachten, so Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband.

Exkursionstag in Darmstadt

Für eine Teilmenge der Besucher*innen begann der erste Konferenztag mit einer Werksführung beim Unternehmen Riese & Müller, das im Ort Mühltal in der Nähe von Darmstadt produziert. Die Exkursion am Nachmittag machte Station bei verschiedenen Radlogistikakteuren in der hessischen Großstadt, darunter ein Weinhändler, ein Fahrradhändler, das Stadtkulturmagazin, sowie das Projekt LastenLeichtBauFahrrad. Dieses Forschungsprojekt ist im Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF angesiedelt, wo der erste Tag seinen Ausklang fand.
Als Veranstalter sei man sehr glücklich über die Wahl des Standorts Darmstadt, so Martin Seißler. „Man sieht deutlich, dass hier schon ganz viel passiert und im Schwange ist, was das Thema Radverkehrsförderung angeht, aber in der Radlogistik durchaus noch Entwicklungspotenzial besteht.“ Und weiter: „Thematisch betrachtet fand ich es am spannendsten, dass wir jetzt anfangen, über die reine Logistik hinaus zu denken. Wir betrachten breitere Anwendungsfelder und stellen die Frage, was alles Logistik ist. Wir gehen vom Stückgut zur Baustelle, zu den Handwerkern und allen, die in der Stadt Wirtschaftsverkehr machen. Ich glaube, das ist wichtig, weil im Endeffekt alles die gleiche Infrastruktur braucht, mit Ausnahme von Mikrodepots.“


Bilder: Andreas Lörcher – RLVD