Wer Verkehrswendeprojekte kommunikativ gestalten will, muss lokale Akteure und ihre Themen kennen. Um Konflikten vorzubeugen, sollten Bürger*innen rechtzeitig beteiligt werden. Die lauten ebenso wie die leisen Stimmen gehören dazu. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Konflikte zwischen Verkehrsplanung und Bürger*innen können laut und spektakulär werden. Mitunter werden Maßnahmen der Politik oder der Verkehrsplanung dann von Gerichten kassiert. So geschehen bei dem bekannten Beispiel Friedrichstraße, wo das Berliner Verwaltungsgericht die Sperrung des Kfz-Verkehrs für rechtswidrig erklärte. Geklagt hatte eine Geschäftsfrau vom Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße“. Umgekehrt gelten jene Beteiligungsverfahren als gelungen, von denen man seltener hört. „Die erfolgreichen Projekte sind die leisen“, sagt Christian Klasen von DialogWerke. Das Beratungsbüro konzipiert und moderiert Prozesse um nachhaltige Mobilität. Klasen begleitete erfolgreiche Bürgerbeteiligungen unter anderem in Freiburg, Köln und Dresden.

Am Anfang eines Verfahrens besteht oft geringes Interesse seitens der Bevölkerung, Einfluss zu nehmen. Im Zeitverlauf steigt der Wunsch nach Mitsprache. Zugleich sinkt die Möglichkeit einer wesentlichen Einflussnahme.

Das Beteiligungsparadoxon im Blick

„Die Beteiligung ist eine Art Versicherung“, sagt der Experte. „Macht man sie nicht, kann es richtig laut, teuer, zeitintensiv werden.“ Im Blick haben sollte man das Verhältnis von Interesse zu den Möglichkeiten der Einflussnahme im Zeitverlauf eines Verfahrens. Es wird im Beteiligungsparadoxon ausgedrückt. Demnach ist das Interesse von Bürger*innen am Anfang eines Projekts gering. Die Möglichkeiten auf Planungen Einfluss zu nehmen ist zu diesem Zeitpunkt jedoch hoch. Im Verlauf des Prozesses nimmt das Engagement der Bevölkerung zu. In der Umsetzungsphase erreicht es seinen Höhepunkt. Gleichzeitig nimmt die Möglichkeit der Einflussnahme dann ab. Wenn die Betroffenen das größte Interesse am Beteiligungsverfahren zeigen, besitzen sie nur noch geringe Einflussmöglichkeiten. Klasen: „In einem Koordinatenkreuz dargestellt, treffen sich irgendwann beide Linien. Spätestens dann müssen wir die Leute eingebunden haben.“

Positive Narrative versus Verlustängste

Hinter Protesten gegen Maßnahmen stehen oft Verlustängste bei den betroffenen Anrainerinnen. „Mobilität ist eine Gewohnheitssache“, erklärt Klasen. „Das hat mit Rationalität wenig zu tun. Bei der Mobilitätswende geht es darum, den Raum neu aufzuteilen. Egal in welcher Stadt wir arbeiten: Der meiste Ärger dreht sich um den Platz für den ruhenden und fahrenden Kfz-Verkehr.“ Als Konsequenz müssen die Vorteile einer Veränderung klar kommuniziert werden. So vollzog man in Hamburg eine Wende von der „autofreien“, zur „autoarmen“ Stadt. Darauf wies der ehemalige Projektleiter von „freiRaum Ottensen“ , Bastian Hagmaier Anfang dieses Jahres gegenüber der Tageszeitung taz hin: „Angefangen hat es mit dem Verkehrsversuch Ottensen macht Platz 2019/2020, in dem einzelne Straßenzüge als autofreier Raum erprobt worden sind. Auf Basis dessen hat die Bezirkspolitik im Februar 2020 den Beschluss gefasst, dass es eine Verstetigung geben soll, und auch schon den Terminus des autoarmen Quartiers statt wie im Verkehrsversuch den des autofreien genutzt.“ Als weiteres Beispiel nennt Christian Klasen die Vision des Hannoveraner Bürgermeisters Belit Onay. Der betonte, dass es für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, zukünftig leichter sein wird, ihre Ziele zu erreichen. „Er verpackt das in eine Geschichte und erläutert den Mehrwert. Das ist ein Erfolgsfaktor.“ Das alte Narrativ von der alleinerziehenden Nachtschwester, nach der sich die Regeln für alle übrigen Verkehrsteilnehmerinnen orientieren sollen, wird durch eine neue Story ersetzt. Immerhin gewann Onay mit seiner Vision der Verkehrswende den Wahlkampf.

In Freiburg hatten die Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung vor Ort und online die Möglichkeit, sich mit ihren Fragen, Wünschen und Anregungen aktiv in den Klimamobilitätsplan einzubringen.

Von der Vorbereitungsphase bis zum Freiburger Gemeinderatsbeschluss wurden in einem zweijährigen Entstehungsprozess die fachliche Bearbeitung und die Öffentlichkeitsbeteiligung eng miteinander verzahnt.

Freiburger Mobilitätsplan vor Ort und im Livestream

Hilfreich ist eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung der Bürgerinnen. Sie beginnt mit der Kommunikation über eine Projektidee. „Man muss den Leuten sagen: Es ist noch eine Idee und noch nicht geplant. Sonst gibt es sofort Protest“, warnt der DialogWerke-Experte. Dazu gehören ein Ansprechkontakt sowie ein brauchbares Format. Ein gutes Beispiel für solche Formate ist der zweijährige Beteiligungsprozess zum Klimamobilitätsplan (KMP) 2023 in Freiburg. Darin geht es um Maßnahmen mit dem Ziel, mindestens 40 Prozent der Treibhausgase bis zum Jahr 2030 einzusparen. Am Anfang standen Interviews mit der Stadtgesellschaft, vom ADFC über die IHK bis hin zu Fridays for Future. Es folgte eine prominent besetzte Auftaktveranstaltung mit Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Oberbürgermeister Martin Horn im Konzerthaus Freiburg. Damals unter Pandemie-Auflagen: „Rund 280 Teilnehmende vor Ort und im Livestream waren dabei“, erinnert sich Klasen. „Weil wir die Aufmerksamkeit hatten, folgte noch eine Online-Beteiligung zum Mobilitätsverhalten mit etwa 800 Leuten.“ Darin priorisierten Teilnehmende den Ausbau des Radnetzes, einen sicheren und umweltverträglichen Ausbau des Straßenverkehrs sowie des ÖV. Es folgten zwei Ein-Tages-Foren, auf denen mit Stakeholdern und zufällig ausgewählten Bürgerinnen über den KMP diskutiert wurde. Klasen findet: „Das war konkreter. Wir konnten verschiedene Maßnahmen nebeneinanderlegen und fragen: Was heißt das eigentlich, wenn wir die Parkpreise vervierfachen?“

„Wollen wir dreihundert Leute haben, schreiben wir drei- bis viertausend an. Die Rücklaufquote beträgt weniger als zehn Prozent.“

Christian Klasen, DialogWerke

Die Arbeit mit ausgewählten Zufallsbürgerinnen

Die Arbeit mit Zufallsbürgerinnen fußt auf einem möglichst heterogenen Auswahlfeld nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Einkommen, Wohnort oder Mobilitätsverhalten. Klasen: „Wollen wir dreihundert Leute haben, schreiben wir drei- bis viertausend an. Die Rücklaufquote beträgt weniger als zehn Prozent.“ In Freiburg wurden 550 Personen zufällig aus dem Melderegister gezogen und angeschrieben. Auf Basis der Rückmeldungen wurde eine Gruppe ausgewählt, welche die Breite der Stadtgesellschaft widerspiegelt. Im Alter von 23 bis 80 Jahren mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen und einem diversen Mobilitätsverhalten.
Man muss auch wissen: Je mehr Daten abgefragt werden, desto geringer die Rücklaufquote. Klasen sagt sogar: „Am besten wäre, man würde nur sagen: Es geht um die Gestaltung der Zukunft der Stadt.“ Dahinter steckt die Erfahrung, dass die eine Gruppe zum Thema Mobilität abwinkt und sagt: „Ist doch alles gut, ich will keine Veränderung.“ Die Menschen, die eine Veränderung wollen, neigen eher dazu, sich zu beteiligen. Dann wird es unausgewogen.

Um mit Bürger*innen über Mobilität zu reden, die durch herkömmliche Bewerbung nicht erreicht werden können, braucht es die aufsuchende Beteiligung wie hier in Köln.

Beteiligung braucht die richtigen Orte

Unter der Beteiligung der DialogWerke fanden ähnliche Foren in Dresden und Köln statt. Nach Klasens Erfahrung kann dabei ein besonderer Ort dem Thema Wertschätzung verschaffen. So lud die Kölner Oberbürgermeisterin anlässlich des Mobilitätsforums ins historische Rathaus. „Wer nicht gerade heiratet am Wochenende, kommt da nicht unbedingt rein. Das muss natürlich gut beworben werden.“ Geht es nur um eine Straßenraumgestaltung, reicht auch eine Schule oder Turnhalle. Ein Dialogangebot sollte man den Menschen immer machen und dabei etwas zum Anfassen mitbringen. „Am besten Pläne“, sagt Klasen. „Sich mit den Leuten zusammen darüberbeugen, um konkret zu verstehen, worum es geht.“

Laute Stimmen und andere Überraschungen

Für Verzerrung im Meinungsbild sorgen die lautstarken Stimmen. Auch wenn sie in Minderheit sind, lassen sie sich nicht einfach ignorieren. Sie müssen zu Wort kommen. Klasen rät: „Dazu muss man sagen, dass es sie in beide Richtungen gibt. Den einen gehen Maßnahmen nicht schnell genug. Die anderen sagen, jetzt bricht der ganze Wirtschaftsverkehr zusammen. Wichtig ist, gib ihnen einen klaren Rahmen, in dem sie zu Wort kommen können. Schaue aber auch, dass man die breite Mitte mitbekommt.“
Ein Diskussionspapier des Deutschen Instituts für Urbanistik DIfU („Bürgerinnen und Bürger an der Verkehrswende beteiligen“) empfiehlt, lautstarken Stimmen gegenzusteuern, indem Meinungen „vorab bzw. zu Beginn einer Bürgerversammlung z. B. per Punktabfrage erhoben werden, um unterschiedliche Positionen (Pro und Contra) auch quantitativ sichtbar zu machen.“ Auch „Fokusgruppendiskussionen“, eignen sich, um leise Stimmen zu erfassen.
Schließlich gibt es noch andere Überraschungen. Beispiel Hamburg-Bramfeld: Dort wollte die Stadtverwaltung Radwege ausbauen – und dafür alte Bäume fällen. Plötzlich stellten sich diejenigen Bürger*innen dagegen, die sonst für die Verkehrswende sind. „Wenn wir an ein Projekt rangehen, hängen wir eine Akteurs- und Themenlandkarte an die Wand“, erläutert Klasen. „Deswegen der Hinweis an die Planer: Führt gleich am Anfang ein paar Gespräche. Lernt das Thema und die Akteure kennen.“

„Mobilität ist eine Gewohnheitssache. Das hat mit Rationalität wenig zu tun. Bei der Mobilitätswende geht es darum, den Raum neu aufzuteilen.“

Christian Klasen, DialogWerke

Das Kölner Mobilitätsforum fand im historischen Rathaus in der Altstadt auf Einladung von Oberbürgermeisterin Henriette Reker statt. Ein angemessener Ort kann förderlich sein.

Erfolgreich trotz Push-Maßnahmen

In Freiburg stand am Ende des Beteiligungsprozesses die Verabschiedung des Klimamobilitätsplans. Er enthält 17 Maßnahmen, die sukzessive bis 2030 umgesetzt werden sollen. Darunter der geforderte Ausbau des Radnetzes und des ÖPNV. Aber auch Maßnahmen, die sonst viel Konfliktpotenzial mitbringen: Klasen sagt: „Da sprechen wir nicht nur von Pull-Maßnahmen: Wir machen alles schöner und laden die Leute ein, mehr Fahrrad zu fahren. Sondern über Push-Maßnahmen. Das heißt, wir drücken Fahrzeuge raus aus der Stadt.“ Obwohl der KMP ein massives Verteuern des Parkens, die Reduktion des Parkraums mit Schlüsselvorgaben für neue Siedlungen vorsieht, wurde er zum Erfolg. „Das war ein Prozess, der vom Gemeinderat am Ende über alle Parteigrenzen hinweg stark gelobt wurde,“ sagt Klasen.

Politischer Mut gehört dazu

Für den Experten von DialogWerke gehört politischer Mut zum Erfolg von Maßnahmen. Mit Blick auf Reallabore wie in Hamburg Ottensen sei es empfehlenswert, eine Sache einfach mal zu starten, gemäß dem Tenor „Ich hab euch das erklärt. Wir haben eure Bedenken ernst genommen. Wir machen das aber jetzt mal. In einem halben oder einem Jahr evaluieren wir das Ganze.“ Zwar kann es passieren, dass ein Projekt nicht funktioniert. Oder dass es das so noch nicht war. Was von Versuch und Irrtum übrig bleibt, wäre dennoch ein Lerneffekt. Der Haken daran, das weiß Klasen ebenso: „Politisch zu sagen, vielleicht machen wir auch einen Fehler, funktioniert häufig nicht.“
Mut braucht es auch am Ende eines Verfahrens, etwa bei der Frage, wo Kompromisse im Bürgerdialog eigentlich enden sollten. Klasen: „Viele Städte haben sich das Ziel einer Klimaneutralität bis 2035 gesetzt. Das werden wir allein mit Elektrofahrzeugen nicht schaffen. Also braucht es gewisse Maßnahmen in der Stadt. Da gibt es Modellierungen und Verkehrsmodelle. Am Ende, so sind unsere demokratischen Verhältnisse, entscheidet darüber in der Regel der Stadtrat, der Gemeinderat oder ein Verkehrsausschuss. Da sind dann irgendwo die Grenzen der Beteiligung gesetzt.“


Bilder: Stadt Köln – Thomas Banneyer, Grafik: Velobiz, Stadt Freiburg, Stadt Freiburg – Patrick Seeger, DialogWerke

Das Durcheinander auf der Venloer Straße in Köln war sehr gefährlich. Ein Verkehrsversuch sollte das ändern, schuf Verwirrung und lieferte dann doch „Verzauberung“. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Die Venloer Straße in Köln ist eine Arterie in einem äußerst lebhaften Organismus. Sie durchzieht mittig das boomende Stadtviertel Ehrenfeld, wo sich eine urbane Mischung aus Cafés und Restaurants, Kebab-Läden, Schnäppchen-Shops, Bio-Boutiquen mit einer dichten Wohnbesiedlung mischt. Die Venloer ist Hauptgeschäftsstraße, Pendler-Achse im Kölner Westen und Shopping-Meile, zudem steht hier Kölns wichtigstes islamisches Gotteshaus, die sogenannte Zentralmoschee des türkisch-islamischen Religionsvereins Ditib. Mit gut 10.000 Pkw am Tag war die Venloer seit Langem eine Hauptverkehrsachse, die auch die meistfrequentierte Fahrradstrecke der Millionenstadt ist. Die Dauerzählstelle dort zeigte 2022 5500 Fahrradfahrer*innen am Tag an. Bei diesem Treiben wundert es nicht, dass die Venloer einer der Unfallschwerpunkte Kölns ist – und in einer Analyse der „Allianz Direct“ sogar als einzige Straße in NRW unter den zehn gefährlichsten Straßen des Landes rangierte. „Wir sind da als Kommunalpolitik gefragt, das hat vordergründig auch gar nichts mit Verkehrswende zu tun. Wir mussten das entschärfen“, sagt Volker Spelthann (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld.

Im Laufe des Jahres 2023 machte die Venloer Straße einen oft sehr unsortierten Eindruck, was auch an Baumaßnahmen in anliegenden Straßen lag. In Ehrenfeld war das Durcheinander Dauerthema.

Alles auf sechs Meter gequetscht

Die Problematik ist seit Langem bekannt. Die Venloer war, man kann es so klar sagen, ein Alptraum für alle Verkehrsteilnehmerinnen. Sie führte gleich neben dem Fußgängerweg einen baulich getrennten, schmalen Radweg neben der Fahrbahn, die einspurig in jede Richtung ausgelegt ist. 2009 brachte die Stadtverwaltung Piktogramme für Radfahrerinnen auf dem Asphalt auf, denn der Radweg war inzwischen in einem sehr schlechten Zustand. Ab 2010 dann ließ die Verwaltung die Straße umbauen. Am Rand ist die Straße mit vier Reihen Steinen gepflastert, daneben verläuft ein rot gefärbter Schutzstreifen für die Radlerinnen. Diese Gestaltung führte ein Maximum an Verkehrsteilnehmerinnen auf engen Raum. Über Jahre wuchsen der öffentliche Druck und die Unzufriedenheit mit dieser Lage. Bezirksbürgermeister Spelthann spricht von einer „Lebenslüge“ der vergangenen 15 Jahre. Hier habe die Verwaltung alles auf sechs Meter Breite gequetscht. „Politische Gremien und Verwaltung haben dann immer eine große Lösung aus einem Guss angestrebt, bei der alles passen sollte.“ Deswegen habe sich nichts bewegt in der Politik, und so gelinge auch Verkehrswende nicht.

„Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf Jahren, wo wir sind.“

Volker Spelthann, Bezirksbürgermeister Ehrenfeld

„Realer Irrsinn“ Verkehrsversuch

Am 8. November 2023 traf man den Kommunalpolitiker aber an einem windigen Herbsttag in gelöster Stimmung an. Der Grüne, studierter Wirtschaftsgeogeograf, war Beobachter eines Pressetermins der Stadt Köln. Neben einer Kebab-Bude auf einem Platz neben der Venloer Straße und mitten im Mittagstrubel informierte die Stadtverwaltung über ein Projekt, das hohe Wellen geschlagen hat. Spelthann kam mit einer klaren Meinung: „Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf, sechs Jahren da, wo wir jetzt sind“, sagte der gut gelaunte Bezirksbürgermeister. Und das ist schon erstaunlich, denn die Venloer Straße hatte gerade in den zurückliegenden Monaten noch einmal richtig viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die lokalen Medien hatten im Laufe des Jahres 2023 über ein großes Durcheinander berichtet, das hier ausgebrochen war. Im NDR gab es einen Bericht mit dem Titel „Realer Irrsinn“, Kabel 1 zog über „Chaos auf der Straße“ her. Wer die Venloer im Frühling oder Sommer nutzte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die ohnehin überlastete Verkehrsmeile hatte noch chaotischere Züge angenommen als ohnehin schon. Einen erheblichen Anteil daran hatten die Behörden, die eigentlich für Orientierung sorgen sollten.

Vorstoß aus der Kommunalpolitik

Rückblende ins Jahr 2021. Damals gab es nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen einen politischen Vorstoß in der Stadt. Der Verkehrsausschuss und die Bezirksvertretung 4 (Ehrenfeld) beauftragten die Verwaltung mit der Einrichtung eines Verkehrsversuchs. Vorausgegangen war in Ehrenfeld die Arbeit an einem Radverkehrskonzept, im Mai 2021 beschloss die Bezirksvertretung dann das neue Ziel: Die Venloer sollte zur Einbahnstraße werden. Zudem sollte ein „verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“ eingerichtet werden, mit Tempo-20-Zone und „Shared Space“ an verschiedenen Schlüsselstellen auf der Straße zwischen Ehrenfeldgürtel und Innerer Kanalstraße. Dieser politischen Forderung lag die Einschätzung eines Gutachters zugrunde. Er hatte vor allem die Einrichtung dieses Tempo-20-Segments für einen großen Wurf gehalten: „Dies hat unter den Einzelmaßnahmen die höchste Entlastungswirkung und weist zudem, anders als bei der reinen Einbahnstraßenführung, weniger negative Auswirkungen in Bezug auf die kleinräumige Verlagerung in die umliegenden Wohnstraßen auf“, so lässt es sich in der Beschlussvorlage des Verkehrsausschusses nachlesen.

Vorschrift ist Vorschrift: Während der ersten Phase des Verkehrsversuchs hob die Verwaltung mit gelber Farbe die Wirkung vorheriger Verkehrszeichen auf. Das führte zu Fehlwahrnehmungen im Alltag.

Gelbe Farbe sollte es richten

Zwei Jahre später lässt sich feststellen, dass die Einschätzung des Gutachters und die Realität des Kölner Straßenverkehrs miteinander kollidiert sind. Der Verkehrsversuch, den die Verwaltung infolge des politischen Beschlusses startete, lieferte Durcheinander auf Stein und Teer. „Im Verfahren gab es auch immer wieder Überraschungen. So scheint es bei vielen Stellen eine ungenügende Kenntnis der Straßenverkehrsordnung gegeben zu haben“, kommentiert Christoph Schmidt, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs in Köln. Er war es, der den Vorstoß zur Einbahnstraße im Facharbeitskreis des damaligen Radverkehrskonzepts Ehrenfeld ins Rollen brachte. Was sich dann in der Realität zeigte, war allerdings eher ein politischer Kompromiss, der die Menschen in Desorientierung stürzte. Schmidt erklärt, was falsch gedacht war: „Auch in einem verkehrsberuhigten Geschäftsbereich hat man keinen Shared Space, auch wenn das oft anders verstanden wurde.“ So war die Fahrbahn eben weiterhin Fahrbahn, aber viele Menschen verstanden das falsch. Die Tempo-20-Zone ging mit einer Rechts-vor-links-Regelung einher, doch auch das setzte sich nicht durch im Verkehrsgeschehen. Plötzlich rollten also Kraftfahrzeuge und Radler durch einen Verkehrsversuch, auf dem andere Regeln galten als zuvor – bei gleicher Verkehrslast. Es kam hinzu, dass die Straßenverkehrsbehörden der Bezirksregierung und der Stadt eher „konservativ“ (Schmidt) auf die Regeln der Straßenverkehrsordnung und der Verwaltungsverordnungen bestanden. Im Ergebnis waren die weißen Fahrradpiktogramme auf der Straße mit gelber Farbe überstrichen, Ampeln abgeschaltet, Verkehrsteil-nehmer*innen verwirrt. Die Logik dahinter: Gelb sticht Weiß. Was die Verwaltungsexperten dabei nicht im Blick hatten, war die Realität des Straßenraums. Die konkrete Umsetzung des Verkehrsversuchs brachte Hohn und Empörung. „Das hat sicher nicht dazu beigetragen, dass die Lage auf der Straße übersichtlicher wurde“, sagt Schmidt heute.

Mit Schildern, Zeichen und Farbe: Seit 23. Oktober gilt eine neue Einbahnstraßenregelung. Vorher überstrichene Verkehrspiktogramme wurden nun wieder freigelegt.

Zweite Stufe ab 23. Oktober

Inzwischen hat die Stadtverwaltung nachgesteuert. Der Verkehrsversuch, so hat man es aus dem Rathaus stets kommuniziert, ist eine zweistufige Angelegenheit. Stufe eins, so ließ sich schon nach kurzer Zeit feststellen, brachte Desorientierung in den Straßenraum. Der Verkehr blieb, wie er war; die durchgestrichenen Zeichen und die gelbe Farbe auf dem Asphalt verwirrten die Menschen ebenso wie auf der Fahrbahn aufgestellte Hindernisse, mit denen der Verkehrsfluss beruhigt werden sollte. Das Ergebnis war gerade für Radfahrende eine erheblich gefährlichere Lage auf der Straße. Nun aber, mit Stichtag 23. Oktober, hat sich das Bild auf der Venloer Straße vollständig gewandelt. „Das ist eine Verzauberung“, sagt Bezirksbürgermeister Spelthann, „wer die Straße vorher kannte, sieht nicht nur eine Verbesserung, der sieht quasi eine ganz andere Straße.“

Verbesserungen fallen ins Auge

Dem Orientierungsverlust der vergangenen Monate folgt nun eine zweite Versuchsphase, in der noch mal alles neu ist. Für den Kraftverkehr gilt zwischen dem Ehrenfeldgürtel und der Piusstraße seit dem 23. Oktober eine Einbahnstraßenregelung. Radfahrende dürfen weiter in beide Richtungen fahren. Die alten Zeichen gelten wieder, die Straße ist nun auch wieder mit Tempo 30 befahrbar, auch Ampeln sind wieder angeschaltet. Wer die Straße in den Wochen seither beobachtet, erkennt augenscheinlich verbesserte Bedingungen nicht nur für die Fahrradfahrer*innen, sondern auch entspanntere Zustände für die Menschen in Pkw und Lkw. Die Straße ist ruhiger, Hindernisse sind beseitigt, statt durchgestrichener Zeichen gibt es nun vor allem Hinweise auf die Einbahnstraßenregelung. In Aussicht gestellt hat die Stadtverwaltung auch, die Markierungen für den Radverkehr noch einmal zu verbessern – gerade entgegen der Einbahnstraße ist das relevant, um diese Verkehrsteilnehmenden vor dem Kraftverkehr zu schützen. Denn trotz aller Schilder und Öffentlichkeitsarbeit: Man kann nicht davon ausgehen, dass sich die Menschen schlagartig an neue Regelungen halten und sie auch verstehen.

„Wir brauchen Anpassungen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“

Ascan Egerer, Beigeordneter für Mobilität, Stadt Köln

Erste Zwischenbilanz: Im November zog Kölns Mobilitätsbeigeordneter Ascan Egerer (M.) mit Kolleginnen aus der Stadtverwaltung ein erstes positives Fazit der neuen Einbahnregelung. Dabei stellte die Verwaltung auch ihr Partizipationsmodell vor.

Verkehrsversuch in Deutz scheiterte vor Gericht

Zur Präsentation der zweiten Phase dieses Verkehrsversuchs war auch Ascan Egerer anwesend. Für den Mobilitätsdezernenten der Stadt Köln ist das Projekt eine wichtige Angelegenheit. Zwei Wochen nach Start der Einbahnstraßenregelung sah auch er ein deutlich reduziertes Verkehrsgeschehen: „Bei dem Ziel, die Verkehrssicherheit in diesem viel befahrenen Bereich der Stadt zu erhöhen, ist es ein Meilenstein.“ Mit Verkehrsversuchen hat die Stadtverwaltung unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Für viele Autofahrer überraschend hatte sie vor einiger Zeit Poller auf der Zülpicher Straße aufgestellt, um den Durchfahrtsverkehr zu stoppen – die Maßnahme war ein großer Erfolg für den innerstädtischen Verkehr. Im Herbst kassierte Egerers Behörde dann jedoch eine gewaltige Schlappe: Ein autofreier Verkehrsversuch in Köln-Deutz ist verwaltungsgerichtlich gestoppt worden – die Sache brachte der Verwaltung massive Negativschlagzeilen.

Botschaft nach Berlin: Lockerungen im Regelwerk gebraucht

Egerer sieht ein, dass die erste Phase des Verkehrsversuchs problematisch war. „Die Menschen haben manches nicht verstanden. Das hat zu Verwirrung geführt.“ Man habe darum sehr schnell nachgesteuert. Mitnichten gehe es seinen Leuten in der Verwaltung darum, überhaupt erst Verwirrung aufkommen zu lassen, um dann eine einfache Lösung durchzubekommen. Doch Egerer leitet daraus auch ein Problem ab. „Das ist genau der Punkt, den wir auch weitergeben müssen, auch in Richtung Berlin, dass wir da Anpassungen brauchen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“ Es brauche Lockerungen im Regelwerk, weil sonst lokale Verkehrswende-Maßnahmen nicht möglich oder in angestrebten Kombinationen „nicht vorgesehen“ sind. Und wenn die Fachleute aus der Verwaltung an Orientierung denken, sind sie vielleicht oft überrascht darüber, dass die Nutzer*innen der Straßen damit nicht klarkommen. So war es eben auch mit der Regel „rechts vor links“ während Stufe 1 – sie müsste eigentlich jedem bekannt sein, wurde aber nicht praktiziert. Egerer sieht das inzwischen ein. Das Beispiel zeige vielleicht auch, dass es auf der Venloer einfach zu unübersichtlich war. „Es ist ja ein lebhafter Raum hier. Hier ist viel los, hier ist es bunt, hier sind viele Menschen unterwegs. Da muss man genau hingucken, denn wir haben auch jetzt den Raum wirklich sicherer machen wollen.“

Erste Stufe als „politischer Zaubertrick“

Politisch lässt sich allerdings festhalten, dass erst Durcheinander herrschen musste, um zu der neuen Lösung zu gelangen. Die Stufe 1 mit „verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich“ war ein bundesweites Kuriosum. Sie war aber, so sagt es Bezirksbürgermeister Spelthann, auch ein „politischer Zaubertrick“. Gern hätte man im grünen Milieu und bei Radfahrer*innen direkt die Einbahnregelung gehabt. Aber dafür hätte es keine Mehrheiten gegeben. Und so machten die Vorkämpfer für eine veränderte Venloer Straße Zugeständnisse, um ans Ziel zu kommen. Diejenigen, die einer Einbahnstraße gegenüber skeptisch waren, konnten mit dem zweistufigen Verfahren leben. Und nun, mit Stufe zwei, entfalte der eigentliche Plan seine Wirkung.

Erweiterte Beteiligung der Öffentlichkeit

Aber was halten die Menschen von diesem Ergebnis politischer Taktik? Die Verwaltung hat das, nach einer eher kritikwürdigen Beteiligung in der ersten Phase, jetzt zum wichtigen Thema gemacht. Das „Meinungs-Mobil“ der Verwaltung ist auf der Venloer anzutreffen, die Mitarbei-terinnen sammeln Rückmeldungen aus der Bevölkerung, auch online kommt Feedback an. Begleitet wird diese Phase von Workshops, in denen Bürgerinnen mitwirken. So soll der Versuch um sich greifen. Christoph Schmidt vom ADFC sieht das mit Genugtuung. „Vor der ersten Phase des Verkehrsversuchs hat man die Öffentlichkeit nicht gut mitgenommen“, sagt er, das habe sich nun wie schon seinerzeit beim Radverkehrskonzept geändert. „Die Verwaltung hat hier alle Akteure eingebunden, spricht die Öffentlichkeit an. Da wurde nichts durchgeboxt, es hat das Potenzial, dass sich so Legitimation erhöht.“ Und das geht natürlich nur, wenn die Leute sich auch auf der Venloer Straße zurechtfinden.


Bilder: stock.adobe.com – tashalex, Tim Farin

Gut gestaltete, schöne Räume beeinflussen das Verhalten der Menschen. Wege und Warteräume für Fußgänger, Radfahrer sowie Bus- und Bahnreisende sind jedoch im besten Fall praktisch. Mehr Schönheit im öffentlichen Raum kann ein Booster sein für den Umweltverbund. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Öffentliche Räume verwandeln: Vor der Gestaltung wurde die Unterführung als öffentliche Toilette missbraucht. Heute lassen sich dort Hochzeitspaare fotografieren.

Lange Zeit wurde die Unterführung des Brooklyn-Queens-Expressway in New York von den Besuchern der umliegenden Bars als öffentliche Toilette missbraucht. Das endete, als die Designer Stefan Sagmeister und Jessica Walsh die Tunnelseiten schick gestalteten, mit dem Schriftzug „Yes“ als Blickfang. Die Gestaltung veränderte die Atmosphäre des Ortes und gab ihm ein komplett neues Image. Die Unterführung ist bei Passanten und Touristen beliebt. Mittlerweile lassen sich sogar Hochzeitspaare vor dem Schriftzug fotografieren. Als Pissoir wird sie nicht mehr genutzt.
„Schönheit kann uns verwandeln. Sie kann verändern, wie wir uns fühlen und wie wir uns benehmen“, erklären Walsh und Sagmeister in ihrem Buch „Beauty“. Aus ihrer Sicht gilt das sowohl für Gegenstände des Alltags als auch für die Stadt- und Verkehrsplanung. In der Forschung, Planung oder dem Design von Mobilität taucht der Begriff „Schönheit“ jedoch praktisch nie auf. Er ist Wissenschaftlern zu unpräzise. Aber auch sie beobachten und erforschen sehr genau, wie Fuß- oder Radwege, Warteräume und auch Stadtmöbel wirken. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen und seinen Emotionen rückt zunehmend in den Mittelpunkt, wenn es darum geht, aktive Mobilität zu fördern und zu steigern. Den Experten ist bewusst, dass das Angebot besser werden muss. Und vielleicht auch schöner.
Aber was macht Schönheit oder eine schöne Umgebung überhaupt aus? „Unsere Forschung zeigt, dass Schönheit unseren Blick anzieht und bindet. Unser Blick verweilt bei dem Schönen“, sagt Helmut Leder, Schönheitsforscher und Professor für Psychologie an der Uni Wien. Eine schöne Umwelt erzeuge automatisch eine Sequenz von glücklich machenden Momenten. „Sie wirkt wohltuend, dort bin ich gerne unterwegs, weil ich dort Impulse empfange, die mir guttun“, sagt Leder.
Wissenschaftler wie Helge Hillnhütter verwenden den Begriff der Schönheit nicht. Der Professor und Stadtplaner lehrt an der Norwegischen Universität für Naturwissenschaften und Technik und forscht seit Jahren zum Fußverkehr. Er untersucht, wann Menschen eine Umgebung oder einen Stadtraum als angenehm empfinden. Dazu gehören Aspekte wie: Sicherheit, Grünanlagen, Schaufenster, stimulierende Fassaden, andere Menschen und eine Gestaltung des Stadtraums. „Fußgänger reagieren am meisten auf das, was nicht weiter als fünf bis sechs Meter entfernt ist“, sagt Hillnhütter. Demnach ist ein interessanter Stadtraum nicht zu groß.
„Eine angenehme Stimulanz durch die Umgebung unterstützt positive Emotionen, die das Gehen zu einer angenehmen Erfahrung machen“, sagt Hillnhütter. Wer an großflächigen Fassaden entlanglaufe, empfinde den Weg schnell als langweilig und der Weg erscheint länger. Wenn es obendrein noch dunkel oder laut sei und es übel rieche, summierten sich die negativen Empfindungen. Das führe dazu, dass man beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr zu Fuß gehe, sofern andere Optionen bestehen.

„Wir müssen in Netzen denken, die den gesamten Umweltverbund umfassen, aber auch stets ein Nachtnetz mitdenken.“

Katja Striefler, Fachbereich Verkehr, Region Hannover

Die Reisezeit zu Fuß und im ÖPNV sind identisch

Lange Zeit wurde der Fußverkehr von der Verkehrsforschung vernachlässigt. Hillnhütters Studien zeigen: Das ist ein Fehler. „Wir gehen überall und ständig zu Fuß“, sagt der Wissenschaftler. Selbst Autofahrer gehen vom Parkplatz zu einem Geschäft in einem Einkaufszentrum drei bis sechs Minuten zu Fuß. Eklatant sind jedoch die Wege, die Bus-, S- und U-Bahn-Nutzerinnen zurücklegen. Hillnhütter hat alle Wege-, Warte- und Umsteigezeiten addiert und festgestellt: „Die Reisezeit, die wir als Fußgänger zum Gehen, Warten und Umsteigen im öffentlichen Raum verbringen, ist fast genauso lang wie die Zeit als Passagier im Verkehrsmittel.” Für Städte und öffentliche Verkehrsbetriebe ist das eine wichtige Information. „Meistens wissen wir überhaupt nicht, was während des Teils der Reise passiert, der zu Fuß zurückgelegt wird“, sagt der Professor. Dabei ist die Qualität dieser Wege und auch die Wartesituation ausschlaggebend für die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs. Warten an Haltestellen und auf Bahnsteigen ist in Deutschland jedoch oft kein Vergnügen. Professor Peter Eckart und Prof. Dr. Kai Vöckler von der Hochschule für Gestaltung in Offenbach erforschen seit Jahren unter anderem, wie das Design von Bahnhofshallen, Bahnsteigen und Zu- und Ausgängen das Mobilitätsverhalten der Nutzerinnen beeinflusst. „Räume haben neben ihrer praktischen Dimension auch eine psychische Dimension mit symbolischen und ästhetischen Aspekten“, sagt Eckart. Das bedeutet, die Menschen sollen sich intuitiv in einem Bahnhofsgebäude zurechtfinden. Sie sollen sich aber auch willkommen fühlen, sich also wohl- und wertgeschätzt fühlen.

Vor dem Umbau prüfen Eckart und Vöckler ihre Ideen zu Sitz- und Anlehnmöbeln unter VR-Testbedingungen.

Mehr Komfort für Bahn- und S-Bahnnutzer in Hamburg: Im Bahnhof Harburg wurden bereits Holzmöbel installiert, ebenso an der neuen Vorzeigehaltestelle „Elbbrücken“.

Bessere Sitzmöbel für Warteräume

Für Eckart ist das ein wichtiger Aspekt. Er sagt: „Wenn ich als Kunde die U-Bahn oder S-Bahn nutze, möchte ich mit meinen unterschiedlichen Bedürfnissen wahrgenommen und wertgeschätzt werden.“ Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Viele Warteräume oder Zu- und Ausgänge von S- und U-Bahnhöfen sind vor allem praktisch. Das spiegeln die Sitzmöbel aus Gittergeflecht wider. „Das Gittergeflecht soll Obdachlose davon abhalten, sich dort auszuruhen, und ist zudem leicht zu reinigen“, sagt Eckart.
Mittlerweile hat bei der Deutschen Bahn ein Umdenken begonnen. Mit ihrem Projekt „Zukunftsbahnhof“ will das Unternehmen Fahrgästen und Besucherinnen die Zeit am Bahnhof angenehm gestalten. Vöckler und Eckart haben im Rahmen des Projekts „Zukunftsbahnhof Offenbach“ für eine S-Bahnhaltestelle vorgeschlagen, dort Sitzmöbel aus Holz zu installieren. „Der Pflegeaufwand ist zwar höher, aber bereits das hochwertige Material drückt die Wertschätzung gegenüber dem Kunden aus“, sagt der Professor. In einer Studie mit Kognitionspsychologinnen hat er festgestellt, dass Menschen gerne auf Holzmöbeln sitzen und sie sich wohlfühlen. Infolgedessen erscheint ihnen die Wartezeit kürzer. „Was wiederum die Kundenzufriedenheit steigert“, sagt Vöckler.
Dieser Anspruch muss aus ihrer Sicht auf den gesamten Umweltverbund angelegt werden. „Momentan wird er aber gar nicht als System zusammen gedacht“, sagt Eckart. Weder von der Politik noch von den Planern oder auf organisatorischer Ebene. Das sei aber für die Verkehrswende entscheidend. „Das Ziel muss sein, dass die Menschen, wenn sie aus der U- oder S-Bahn aussteigen, intuitiv erfassen, wo der Ausgang ist, und auf dem Weg dorthin erkennen, was sie in 100 bis 200 Metern an Mobilitätsangeboten vorfinden“, sagt Eckart.
Katja Striefler, zuständig für den Fachbereich Verkehr in der Region Hannover, stimmt dem zu: „Wir müssen in Netzen denken, die den gesamten Umweltverbund umfassen, aber auch stets ein Nachtnetz mitdenken“, sagt sie. Nur dann könne sichergestellt werden, dass Menschen jeden Alters und auch Frauen, den Umweltverbund nutzen. Wer bei der Planung dann noch den Schönheitsaspekt einbeziehe, habe eine lebenswerte Stadt, eine lebenswerte Gemeinde oder ein lebenswertes Dorf.

Clock Tower als Wegweiser

Ein Klassiker, der die Aspekte Ästhetik, Wegweisung und Mobilitätsknotenpunkt kombiniert, ist die Turmuhr an englischen Bahnhöfen. „Den Clock Tower findet man an fast jedem Bahnhof in England“, sagt Professor Eckart. Der Wiedererkennungswert sei immens. Jeder in England wisse: Beim Clock Tower ist der Bahnhof. Ein Forschungsprojekt hat laut Eckart gezeigt: Die große Uhr wirkt beruhigend, selbst auf die 18- bis 25-Jährigen. Zudem haben die Reisenden stets die Uhrzeit im Blick. Diesen Aspekt haben die beiden Wissenschaftler auf eine Station am Offenbacher Marktplatz übertragen. Die Ankommenden sehen auf dem digitalen Infowürfel sämtliche Abfahrten von Bus- und S-Bahn nebst Richtungsanzeigen. „Sie wissen sofort, ob sie den Zug noch erreichen oder laufen müssen“, sagt er.
Wie Menschen den dicht bebauten Stadtraum erleben, was ihnen gefällt oder wo ihr Blick hinfällt, wird schon lange untersucht. „Die Technologie ermöglicht uns zu messen, wie der Körper auf die Umgebung reagiert“, sagt Hillnhütter. Demnach brauchen wir eine Umgebung, die uns stimuliert. Eine zentrale Rolle spielt dabei, was wir sehen.
Deshalb sind laut Hillnhütter die Fußgängerzonen in Innenstädten so beliebt. Das bunte Treiben mit Straßenkünstlern, unterschiedlichsten Angeboten von Kunst bis zum Café wirke stimulierend. Wer dort unterwegs ist, schätzt Entfernungen deutlich kürzer ein. Die Distanzempfindung kann laut Hillnhütter in unterschiedlichen Stadträumen variieren und der Unterschied bis zu 30 Prozent betragen.

Vor dem Umbau war die High Line in New York ein vergessener Ort. Heute ist sie eine Oase inmitten der Metropole, die Anwohner und Touristen anzieht.

Ein schöner Verkehr funktioniert besser

Für den Schönheitsforscher Helmut Leder und die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher steht fest: Schönheit und ästhetische Wertigkeit im öffentlichen Raum sind kein „nice to have“. „Mit ihnen funktioniert der Straßenverkehr besser“, sagt Elisabeth Oberzaucher. Ein klassisches Beispiel ist für sie die Mariahilfer Straße in Wien. In der neu geschaffenen Begegnungszone wurde die Fahrbahn mit großzügigen Blumenkübeln und weitläufigen Sitzecken so verjüngt, dass die Autos dort automatisch mit maximal 30 Kilometern pro Stunde oder langsamer unterwegs sind. „Dort funktioniert das Tempolimit über die Gestaltung, man braucht dort keine Schilder“, sagt sie. Die niedrige Geschwindigkeit erzeugt mehr Gleichheit unter den Verkehrsteilnehmern. „Sie begegnen sich eher auf Augenhöhe“, sagt die Wissenschaftlerin. Dieser Respekt setzt sich in der Fußgängerzone fort. Dort sind in den Sommermonaten rund 5000 Radfahrer unterwegs und das Miteinander zwischen Fuß- und Radverkehr funktioniert.
„Diese Begegnung auf Augenhöhe stärkt das individuelle Sicherheitsempfinden, aber erhöht auch die Sicherheit im Allgemeinen“, sagt Elisabeth Oberzaucher. Das sei gut für die Verkehrswende. Denn auf diese Weise entscheiden Menschen über die intuitive Ebene, sich eher aktiv zu bewegen, als ins Auto zu steigen.

„Alles, was uns in urbanen Räumen umgibt, ist mittlerweile von Menschen gestaltet.“

Helmut Leder, Schönheitsforscher und Professor für Psychologie an der Uni Wien

Die Nordbahntrasse ist ein Aushängeschild von Wuppertal. Sie ist Radlerparadies, Veranstaltungsort, Touristenmagnet und kurbelt zudem noch die Wirtschaft an.

Stimulierende Wirkung von Grünanlagen

Eines der bekanntesten Beispiele, wie die Umgestaltung eines Raums sein Umfeld zum Positiven verändern kann, ist die High Line in New York. Die 2,6 Kilometer lange stillgelegte Hochbahntrasse sollte eigentlich abgerissen werden. Seit ihrer letzten Fahrt Ende der 1980er-Jahre verkam die Trasse immer mehr und mit ihr die Viertel entlang der Strecke. Abfallberge, Kriminalität, Drogen und der Straßenstrich prägten die Gegend. Dann gründete sich eine Nachbarschaftsinitiative, die die Trasse begrünen wollte. Die Idee fand Zuspruch. Heute ist die High Line eine Oase am Rand Manhattans für die Anwohner. Zwischen den Grünflächen finden regelmäßig Veranstaltungen statt und es werden wechselnde Kunstobjekte ausgestellt. Mit der High Line veränderte sich auch ihre Umgebung. Die drei Distrikte, die sie quert, sind zu Szenevierteln geworden mit Galerien, Cafés und renovierten Straßenzügen.
Dass diese Erfolgsgeschichte reproduzierbar ist, zeigt die Nordbahntrasse in Wuppertal. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt haben die vergessene und zugewucherte Bahnlinie in den vergangenen 17 Jahren in eine 23 Kilometer lange Flaniermeile für Radfahrerinnen und Fußgängerinnen umgebaut. Heute verbindet der Freizeitweg im Norden der Stadt fünf Bezirke miteinander und beschert Wuppertal einen immensen Image-Wandel: von der Pleitestadt zum Radlerparadies. Seit ihrer Eröffnung haben sich entlang der Trasse Restaurants, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen angesiedelt. Wer im Norden der Stadt lebt und arbeitet, nutzt die Flaniermeile zum Pendeln mit dem Fahrrad.
Die High Line und die Nordbahntrasse haben das Leben in den angrenzenden Vierteln verändert. Die Anwohnerinnen haben einen neuen Freiraum in Laufnähe. Menschen jeden Alters sind dort zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs und erleben gleich mehrere schöne Momente: die grüne Umgebung, die Ruhe durch den fehlenden Autoverkehr, den Blick aus der Vogelperspektive auf die umliegenden Stadtteile und immer wieder auch Kunstobjekte auf der Route. „Wenn die Bewegungsumgebung so attraktiv gestaltet ist, dann bedeutet das nicht nur, dass wir sie gerne für aktive Mobilität nutzen, sondern, dass wir uns dort auch lieber aufhalten. Das bedeutet, wir entschleunigen“, sagten Leder und Oberzaucher. Hinzu kommt: Es werden Freizeitfahrten mit dem Auto vermieden. Die Anwohnerinnen kommen zu Fuß oder per Rad zur Nordbahntrasse.
„Alles, was uns in urbanen Räumen umgibt, ist mittlerweile von Menschen gestaltet“, sagt Helmut Leder. Wir können durch eine schöne, ästhetische Gestaltung des öffentlichen Raums das Wohlbefinden der Menschen in der Stadt enorm heben. Er sagt: „Wenn wir es nicht tun, verschenken wir das eigentliche Potenzial unserer engen Städte.“


Bilder: Stefan Sagmeister, Maggie Winters, OIMD, Andrea Reidl, Friends of the High Line – Timothy Schenck, Friends of the High – Line Liz Ligon, Christa Mrozek – Wuppertalbewegung

Zum fünfjährigen Verbandsjubiläum des RLVD zeigte die Radlogistikbranche, wie weit sie in den letzten Jahren gekommen ist. Obwohl große Ziele und viel Mut vorhanden sind, ist die Branche auch von politischen Entscheidungen abhängig. Nun gilt es für die Akteure der Radlogistik, ihre Hausaufgaben zu machen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Das deutsche Ökosystem für Radlogistik ist divers. Trotz (oder wegen) dieser Vielfalt gaben 45 Prozent der Kommunen in einer Umfrage im Projekt iKnowRadlogistik an, einen schlechten bis sehr schlechten Wissensstand zur Radlogistik zu haben. Das Vorhaben, welches Luise Braun für den Radlogistikverband Deutschland (RLVD) verantwortet, soll deshalb eine Wissensdatenbank entwickeln und Best-Practice-Beispiele beleuchten. Dass auch innerhalb der Branche weiterhin wichtige Fragen zu klären sind, bewies das Programm der Radlogistikkonferenz, die Mitte September mit rund 140 Teilnehmer*innen in Darmstadt stattfand.

Die Aussteller und Speaker*innen der Radlogistikkonferenz waren so divers wie die Branche selbst. Der Radlogistikverband hat seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern aufgenommen. Mittlerweile sind es 80.

Keine einfachen Rahmenbedingungen

Tom Assmann, erster Vorsitzender des RLVD, ordnete bei der Eröffnung der Konferenz den aktuellen Stand der Radlogistik und die Rahmenbedingungen ein. „Das Ökosystem Radlogistik ist ausgereift und setzt neue Trends. Alles ist da! Politik und Kommunen sind jetzt mehr denn je gefordert, passende und zukunftsweisende Rahmenbedingungen zu schaffen, um innovativen, modernen Stadtverkehr für die nächste Generation zu gestalten.“ Das letzte Jahr sei für die Radlogistik von Herausforderungen geprägt gewesen, auch durch Parteien, denen Sachlichkeit weniger wichtig sei als Populismus, so Assmann. Insbesondere Schwerlastenräder werden auch innerhalb der Branche durchaus kritisch gesehen. Das Auf und Ab müsse gestaltet werden und die Branche ihre Hausaufgaben machen, sagte Assmann. Die Branche zeige viel Mut und bekomme durch den Trend, die Innenstädte wieder stärker für Menschen zu gestalten, Aufwind.
Martin Seißler, Geschäftsführer von Cargobike.jetzt und Organisator der Konferenz, erläutert weiterhin die aktuelle Situation: „Viele Flottenmanager, von welchen Unternehmen auch immer, treffen aktuell keine Entscheidungen über größere Investitionen in ‚neuartige‘ Fahrzeuge. Deshalb werden im gewerblichen Bereich sehr viel weniger Lastenräder verkauft als vor einem Jahr.“ Als große Bedrohung der Wirtschaftssparte wertete Andreas Schumann vom Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste ein drohendes Verbot von Werkverträgen, welches die Gewerkschaft Ver.di zuletzt Mitte September forderte. Die Forderung, die gegen undurchsichtige Subunternehmerketten helfen soll, könnte auch die Radlogistikbranche viele Aufträge kosten. Unter diesen Umständen wird besonders ersichtlich, wie wichtig die Verbandsarbeit auch für die Radlogistikbranche ist. „Man merkt deutlich, wie wichtig es ist, dass es die Nationale Radlogistikkonferenz gibt, weil dort Gespräche stattfinden, die auf anderen Veranstaltungen nicht stattfinden. Genau deshalb wird es diese Veranstaltung auch weiterhin geben“, erklärt Martin Seißler. Der Verband nahm seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern auf. Mittlerweile sind es über 80.

Tom Assmann
Erster Vorsitzender des RLVD

Radlogistik hat Tradition

Trotz des jungen Verbandsalters gibt es Radlogistik nicht erst seit wenigen Jahren, erklärte ein Vertreter des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Daran erinnere ihn auch ein ausrangiertes Lastenrad, das bei einem Gemüsehändler in seinem Heimatort als Blumenbeet dient. Viele Herausforderungen, etwa bei multimodalen Transportketten, werden dennoch erst jetzt deutlich. In diese Kategorie fällt sicher auch das Thema der Routenführung. Für Lastenräder brauche es eigentlich eine angepasste Navigation. Daran arbeitet Michael Hess von der 7 Principles Mobility GmbH. Cargobikes bewegen sich anders als Autos, aber auch anders als Fahrräder, durch Städte hindurch. Problematisch sind zum Beispiel Umlaufsperren, Bordsteine oder für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen. Im Projekt iRouteCargobikes untersucht Hess deshalb Abweichungen von den Standardrouten. Das Ziel ist eine Navigationsanwendung, in der die Fahrer*innen ihre eigenen Präferenzen auswählen können.
Viele Themen im Ökosystem Radlogistik entwickeln sich stetig weiter. Das Projekt KV MD² bietet neue Mikrodepots, die sich an der Größe eines Parkplatzes orientieren und eine integrierte Rampe sowie ein IT- und Steuerungssystem haben. Umstellen lassen sie sich per Gabelstapler. Auch das Lieferantensystem hat sich entwickelt, sodass es mittlerweile selbst für Schwerlasträder einen ausgeprägten Lieferantenmarkt gibt, meint Inga Töller von der Onomotion GmbH.

Die Teilnehmer*innen der Konferenz tauschten sich über wichtige Herausforderungen der Radlogistikbranche aus. Dazu gehören stets auch technische Aspekte.

Mehr Vereinheitlichung

Projekte und Forderungen, die der Radlogistik helfen sollen, gibt es in der jungen Branche dennoch viele. Logistiker, die Lastenräder verschiedener Hersteller nutzen, wollen diese wie im Kfz-Bereich mit einem Standard-Diagnosegerät auslesen können. Generell dürfe die Radlogistik der motorisierten Logistik in Sachen Software in nichts nachstehen, sondern muss in dieser Hinsicht komfortabel und zuverlässig sein.
Das Potenzial für gewerbliche Lastenräder ist riesig. Pflegedienste, Bestatter, Gärtner oder ein Bringdienst der Osnabrücker Tafel wurden auf der Konferenz als Beispiele genannt. Auch für den Berliner Kreislaufwirtschaftsdienstleister Interzero, der Altkleider mit einem Cashback-System sammelt und transportiert, ist das Cargo-Bike das Mittel der Wahl. „Wir müssen nicht nach dem einen Gewerbe suchen. Wir haben diese Potenziale überall“, erklärte Seißler auf der Konferenzbühne. Um die Potenziale zu heben, brauche es faire Marktbedingungen. Neben den Straßen und anderen Infrastruktursystemen sind auch die Beschaffungs- und Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand ein wichtiger Hebel für die Radlogistik. Um dies zu fördern, müsse die Branche aktiv werden und sich in Gremien setzen, in denen Radlogistik eine Rolle spielen sollte.
Spannende Entwicklungen könnte es auch von regulatorischer Seite geben. Arne Behrensen von Zukunft Fahrrad stellte die Klasse H-Pedelec (Heavy Pedelec) in den Raum, die zum Beispiel mit Motorleistungen bis zu 500 Watt bis 25 km/h unterstützen könnte. Auch die neue europäische Lastenradnorm (EN 17860, Teil 1–7), die gerade entsteht, gilt es genau zu beobachten, so Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband.

Exkursionstag in Darmstadt

Für eine Teilmenge der Besucher*innen begann der erste Konferenztag mit einer Werksführung beim Unternehmen Riese & Müller, das im Ort Mühltal in der Nähe von Darmstadt produziert. Die Exkursion am Nachmittag machte Station bei verschiedenen Radlogistikakteuren in der hessischen Großstadt, darunter ein Weinhändler, ein Fahrradhändler, das Stadtkulturmagazin, sowie das Projekt LastenLeichtBauFahrrad. Dieses Forschungsprojekt ist im Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF angesiedelt, wo der erste Tag seinen Ausklang fand.
Als Veranstalter sei man sehr glücklich über die Wahl des Standorts Darmstadt, so Martin Seißler. „Man sieht deutlich, dass hier schon ganz viel passiert und im Schwange ist, was das Thema Radverkehrsförderung angeht, aber in der Radlogistik durchaus noch Entwicklungspotenzial besteht.“ Und weiter: „Thematisch betrachtet fand ich es am spannendsten, dass wir jetzt anfangen, über die reine Logistik hinaus zu denken. Wir betrachten breitere Anwendungsfelder und stellen die Frage, was alles Logistik ist. Wir gehen vom Stückgut zur Baustelle, zu den Handwerkern und allen, die in der Stadt Wirtschaftsverkehr machen. Ich glaube, das ist wichtig, weil im Endeffekt alles die gleiche Infrastruktur braucht, mit Ausnahme von Mikrodepots.“


Bilder: Andreas Lörcher – RLVD

Die IAA Mobility sieht sich auf dem richtigen Weg. Das Thema Fahrrad blitzte dieses Jahr aber nur am Rande auf. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Das Fahrrad spielte auf der IAA mobility 2023 eine deutlich geringere Rolle als noch zwei Jahre davor. Dennoch gab es manche spannende Produktneuheit vor Ort zu sehen und auch zu testen.

Die zweite Auflage der Fachmesse IAA Mobility ist schon wieder Geschichte. Die konsequente Neuausrichtung der Veranstaltung nach dem Umzug aus Frankfurt wurde weitergegangen. Nach dem holprigen Start vor zwei Jahren, der noch stark von den Einflüssen der Corona-Pandemie auf das Messegeschehen insgesamt geprägt war, sieht sich der veranstaltende Automobilverband VDA nun auf dem richtigen Weg.
„Die diesjährige IAA Mobility 2023 war ein großer Erfolg und wegweisend für die Mobilität der Zukunft. Die deutsche Automobilindustrie ist selbstbewusst und zeigt sich entschlossen. Wir sind bereit für die Herausforderungen der Zukunft. Wir sind zuversichtlich, mit unseren Innovationen im weltweiten Wettbewerb die Standards zu setzen. Die IAA Mobility ist ein Aufbruchssignal, die Automobilindustrie zeigt die Willensstärke und die Innovationsfähigkeit, die es braucht, um die Transformation zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte zu machen. Das ist der Spirit, der von München in die Welt geht“, wird deren Frontfrau Hildegard Müller im Schlussbericht zur IAA Mobility zitiert. Als Erfolg kann die IAA Mobility für sich sicherlich wieder verbuchen, die geballte politische Prominenz begrüßen zu können, angeführt von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem bayerischen Staatsoberhaupt Markus Söder sowie seinem zuletzt viel gescholtenen Vize Hubert Aiwanger.
Wer den Schlussbericht der IAA Mobility weiter studiert, dem wird schnell klar: Zukunftsträchtige Mobilität ist aus Sicht der IAA-Macher zwar künftig elektrisch, aber gleichzeitig vorwiegend auf vier Rädern zu suchen. Diese „Mobilitätslösungen“ wurden dann gewohnt aufwendig in der Münchner Innenstadt dem Publikum präsentiert. Es handelte sich um meist großräumige Boliden, die jetzt im dichten Verkehr einer Großstadt wie München künftig um Straßen und Parkraum konkurrieren wollen. Das Thema Fahrrad, zu dem bei der ersten Ausgabe der IAA Mobility noch eine große Nähe gesucht wurde, reduzierte sich hingegen eher zu einer Randerscheinung. Eine Handvoll Aussteller war im Münchner Hofgarten zu entdecken, wenn man im Besucherstrom der Ludwigstraße hinauf in Richtung Norden zur rechten Zeit abbog. Wer wollte, konnte von hier aus auf verschiedene Teststrecken durch den Englischen Garten starten, was durchaus zahlreich genutzt wurde. Alles in allem blieb das Thema Fahrrad im Open Space der IAA Mobility allenfalls eine Randnotiz.
Von 500.000 Besucherinnen und Besucher sprechen die IAA-Veranstalter, die man während der sechs Messetage gezählt haben will. Das hört sich zunächst nach einer beeindruckenden Zahl an. Wie belastbar sie ist, sei dahingestellt. Nachdem der Zugang der Ausstellungsflächen zum Open Space über die ganze Innenstadt verteilt war und der Zutritt kostenfrei war, dürfte es sich hier um grobe Schätzungen handeln. Gleichzeitig gilt zu bedenken, dass sich auch ohne Open Spaces einer IAA bei bestem Kaiserwetter und am Ende der bayerischen Sommerferien ohnehin Zigtausende durch die offenen Flächen der Münchner Innenstadt drängen.

Leistungsschau auf dem Messegelände

Getrennt vom aufs Publikum ausgerichteten Spektakel in der Innenstadt lief auf dem Messegelände der IAA Summit als klassische B2B-Fachmesse ab, die aufgrund der fachlichen Ausrichtung wenig Endververbraucher*innen angelockt haben dürfte. Genaue Besucherzahlen für den sogenannten IAA Summit wurden bislang nicht veröffentlicht. Die räumliche Trennung von Publikums- und Fachveranstaltung erscheint jedoch als stimmiges Konzept. Im Gespräch mit Ausstellern auf dem IAA Summit klang dies zumindest immer wieder durch. Sechs Messehallen wurden auf der Messe München bespielt. Abgesehen von einigen Autoaustellern aus China, die ganze Fahrzeugflotten präsentierten, reduzierten sich viele Auftritte auf wenige Modelle und konzentrierten sich viel mehr auf Detailneuheiten und Entwicklungen. Ein Start-up-Bereich gab jungen Unternehmen die Möglichkeiten, ihre Innovationen vorzustellen. Eine Vielzahl von Fachforen, Konferenzen und Workshops unterstrich hier die Zielrichtung Fachpublikum.
Für das Thema Fahrrad gab es auf dem IAA Summit in diesem Jahr zwar keine eigenen Hallen mehr. Präsent war das Fahrrad jedoch an deutlich mehr Ständen, als es das Ausstellerverzeichnis hätte vermuten lassen. Als reinrassiger E-Bike-Hersteller bildete Stromer aus der Schweiz mit den Marken Stromer und Desiknio eine der Ausnahmen, die sich einen großflächigen Messeauftritt leisteten. Wenig überraschend, dass Unternehmen wie Bosch, Brose, Schaeffler oder auch der französische Konzern Valeo die Plattform nutzten, um das konzerneigene Fahrradstandbein in Szene zu setzen. So zeigte Valeo beispielsweise sein Mittelmotor-Antriebssystem, in das ein Automatikgetriebe integriert ist.

Automobilbranche schielt aufs Fahrrad

Ihre Ambitionen im Fahrradsegment machte die Hirschvogel Group auf der IAA Mobility deutlich. Der Automobilzulieferer hat einen eigenen Geschäftsbereich Mikromobilität gegründet. Für den Markt der Mikromobilität entwickelt und produziert Hirschvogel unter dem Markennamen Aximo einen Baukasten an Komponenten, mit dem sich elektrifizierte Fahrzeugkonzepte vom E-Bike bis zu Leichtfahrzeugen (L2e bis L7e) wirtschaftlich verwirklichen lassen. Als Projektmanager in München für Hirschvogel am Start war Matthias Blümel, in der Fahrradbranche bekannt als Gründer und Macher der oberbayerischen Fahrradmarke Electrolyte. Gemeinsam mit dem Kooperationspartner FIT bringt Aximo demnächst ein E-Bike-Drive-System mit wartungsfreiem Radnabenmotor auf den Markt. Eyecatcher auf der IAA aus Fahrradsicht am Stand von Hirschvogel: Das seit Mai erhältliche Cube Trike Hybrid mit Aximo-Achssystem, das von Auszubildenden in einen Fahrsimulator integriert wurde.
Die Idee, mit einheitlichen Wechselakkus verschiedene elektrische Verkehrsmittel wie E-Bikes, E-Roller oder E-Autos betreiben zu können, zeigte Entwicklungsdienstleister Akkodis während der IAA Mobility. Verbindendes Element ist die Akkodis Smart Battery, ein modulares Batteriesystem, das flexibel für die unterschiedlichen Mobilitätsformen verwendet werden kann. Auf der Messe konnten sich die Besucher und Besucherinnen nun ein eigenes Bild der verschiedenen Anwendungsfelder des Konzeptes machen. Ein besonderes Highlight ist das von Akkodis-Experten entwickelte Urban Lifestyle Vehicle (ULV), mit dem die Anwendung der Akkodis Smart Battery veranschaulicht wurde.
Friwo, ein internationaler Hersteller von Ladegeräten und E-Antriebslösungen, zeigte in München die E-Bike-Ladesäule „e-load“, die bereits mit dem Red Dot 2023 und dem IF Design Award ausgezeichnet wurde. Mit der Ladesäule will das Unternehmen eine Marktlücke im Bereich E-Bike-Ladestruktur schließen und die E-Bike-Nutzung attraktiver gestalten.
Insgesamt war das weniger Fahrradspektakel als vor zwei Jahren; wie man sieht, gab es dennoch manche Perle zu entdecken.


Bilder: VDA / IAA Mobility – David Höpfner

Sogar für E-Bikes mit guter Grundausstattung bietet der Beleuchtungsmarkt inzwischen lohnende Upgrades. Die Hersteller zeigen sich innovativer, als die StVZO es zulässt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Der Sprung in das LED-Zeitalter war einer der stärksten Umbrüche, die die Hersteller von Fahrradbeleuchtung bisher erleben durften. Frontscheinwerfer und Rücklichter sind heute heller und leistungsfähiger als je zuvor. Die Firmen in dieser Komponentensparte zeigen sich aber weiterhin innovativ. Die Lichtanlagen moderner Fahrräder und vor allem E-Bikes beherbergen schon heute zukunftsweisende Technologien. Gegenwärtige Highlights bieten weit mehr als nur Licht im Dunkel. Alps Alpine bietet mit dem Ride Safety System RS 1000 eine mit dem Smartphone koppelbare Kamera, die in das Rücklicht integriert ist. Sie fungiert als digitaler Rückspiegel und erkennt Gefahren mithilfe künstlicher Intelligenz. Auch Garmin hat das Radar Varia im Angebot, welches Kamera und Rücklicht kombiniert. Mit der Street-Screen-Technologie, die Trelock auf der letztjährigen Eurobike vorstellte, dürften bald E-Bikes der Oberklasse Informationen auf die Straße vor ihnen projizieren. Dass diese Innovation nicht als einzige an den Automobilbereich, genauer gesagt an Head-up-Displays erinnert, zeigt, wie fortschrittlich die Lichthersteller bereits sind. David Gedanitz, Head of Marketing bei Supernova, ordnet ein: „Wir haben mittlerweile Scheinwerfer, die schon längst mit Autoscheinwerfern konkurrieren und teilweise sogar heller sind.“ Nicht nur die Beleuchtungsstärke, auch die Qualität der Ausleuchtung habe sich verbessert, so Gedanitz, der als Beispiel den Matrix-Reflektor aus dem Scheinwerfer M99 anführt. „Wir haben einen angenehmen, homogenen Lichtteppich, auch für die Nah- und für die Fernausleuchtung.“

„Wir haben mittlerweile Scheinwerfer, die schon längst mit Autoscheinwerfern konkurrieren und teilweise sogar heller sind.“

David Gedanitz, Supernova

Fahrradbeleuchtung ist in den letzten Jahren deutlich heller geworden. Ein Matrixreflektor sorgt für einen homo-genen Lichtteppich.

Sehen statt nur gesehen werden

Gutes Licht hilft, sich im Dunkeln schnell zu orientieren und potenzielle Gefahren wahrzunehmen. Zusätzlich sorgt eine gute Ausleuchtung des Straßenraums dafür, dass die Menschen das Radfahren als komfortabler empfinden. Insbesondere Berufspendlerinnen dürften mit moderner Beleuchtung eher gewillt sein, das Fahrrad anderen Verkehrsmitteln vorzuziehen. Besonders gut verkaufen sich auch bei Supernova die Frontleuchten mit Fernlicht. In Zukunft will die Firma keine neuen Produkte mehr ohne dieses Feature herausbringen. Auch die Funktion Tagfahrlicht erfreut sich großer Beliebtheit. Bei moderner Fahrradbeleuchtung geht es ums Sehen, nicht nur ums Gesehenwerden. Vor allem E-Bikes, die die Lampen aus ihrem Akku speisen können, kommen diese Trends zugute. Bei Fahrrädern mit Dynamos stehen nur wenige Watt an Leistung zur Verfügung. Dennoch sagt Sebastian Feßen-Fallsehr von Busch + Müller: „Die Entwicklung von den E-Bikes färbt natürlich auch auf die Dynamo-Fahrräder ab.“ Der Standard habe sich insgesamt deutlich erhöht, so Feßen-Fallsehr. Die Leuchten sind viel heller als früher. Rücklichter ohne Standlicht gebe es kaum noch. Nicht alle Innovationen im Beleuchtungsbereich haben Gemeinsamkeiten mit Autos oder Motorrädern. Die Trelock Vision etwa ist eine 100-Lux-USB-Lampe, die sehr beliebt ist. Verkaufstreibend bei diesem Modell ist zum einen die Level-Funktion, die dafür sorgt, dass der Gegenverkehr nicht geblendet wird. Der Scheinwerfer signalisiert über LEDs oder über das Leuchten-Display, ob die Lampe zu hoch, passend oder zu niedrig arretiert ist. Der große Akku des Modells lässt sich auch als Powerbank nutzen, um externe Geräte mit Strom zu versorgen. Auch bei Hersteller SON aus Tübingen kann die Frontleuchte als Stromquelle dienen. Genauer gesagt, zeigte das Team um Wilfried Schmidt auf der vergangenen Eurobike einen Aufbau, bei dem ein Edelux-Scheinwerfer als Puffer-Akku fungiert und so vom Nabendynamo produzierten Strom mit bis zu 10 Watt abgeben kann. So lässt sich dann beispielsweise ein Smartphone laden. Die Firma Trelock spricht ebenfalls vom großen Trend des Fernlichts, der für Pendlerinnen, aber auch im Segment der E-Mountainbikes sehr gefragt ist. Der optische Trend, dass alles möglichst klein sein sollte, sei mit dem Aufkommen dieses Segments in der Vergangenheit geblieben, erklärt Brand-Managerin Katrin Dröge-Berzedjou. Vielfach stehe jetzt die Design-Prämisse der Inte-gration im Vordergrund. Rücklichter werden in die Sattelstütze oder Scheinwerfer in den Rahmen inte-griert. Auf diesen Trend blicke man bei Trelock auch kritisch, so Dröge-Berzedjou. Defekte Lichter, die nur für einen Hersteller oder sogar ein einziges Modell produziert wurden, könnten ein Ersatzteilproblem verursachen.
Aktuell sieht die Trelock-Managerin durch den Trend der Gravel-Bikes eine zunehmende Bedeutung von Akku-Beleuchtung. Um den Bedürfnissen des sportlichen Segments gerecht zu werden, bietet Trelock Adapter für Garmin- oder GoPro-Halter an. Der Platz am Fahrrad-Cockpit ist schließlich begehrt.

70 %

Ob ein Scheinwerfer richtig eingestellt ist, entscheidet darüber, ob er den Gegenverkehr blendet. Ein Upgrade kann auch darin bestehen, das Licht statt an der Gabel am Lenker zu montieren.

Untergeordnete Rolle beim Verkauf

Innovationen gibt es am Lichtmarkt also viele. Gerade der Nachrüstmarkt sei entscheidend für die Hersteller, sagt Supernova-Mann Gedanitz. „Der Kunde greift im After-Market genau nach seinem Wunschprodukt.“ Das könnte auch daran liegen, dass die Beleuchtung bei der Wahl des richtigen Fahrrads für viele zunächst eher eine untergeordnete Rolle spielt. Der richtige Moment, um Beleuchtung aktiv zu vermarkten, sei aber im aktiven Fahrradverkauf, so Gedanitz. Inzwischen lassen sich gute Leuchten auch im Sommer gut an die Kundschaft bringen, auch weil sie durch die politischen Regelungen gemeinsam mit Leasing-Fahrrädern finanziert werden können.
Dass das Licht nicht die höchste Priorität bei der Wahl des richtigen Fahrrads hat, dürfte noch einen Grund haben. Der Lichtteppich, den moderne Scheinwerfer, projizieren, lässt sich im Fachgeschäft gerade tagsüber schlecht ausrollen. Dieses Problem hat die Branche schon früh erkannt. Supernova bietet deshalb ein Dealer-Display als Blickfang an. „Beleuchtung aus einer Verpackung zu verkaufen, ist sehr schwierig, weil man sich keine klare Vorstellung machen kann.“ Das Display hat Räder und die Bestseller sind an diesem montiert. Man kann die Leuchten anfassen oder den Taster fürs Fernlicht testen.

„Wir arbeiten mit Unterstützung des ZIV und des DVR daran, dass sinnvolle Funktionen, die den Verkehrsteilnehmer zusätzlich sicherer fahren lassen, in Zukunft in die Gesetze aufgenommen werden.“

Katrin Dröge-Berzedjou, Trelock

Häufig falsch eingestellt


Trelock legt Wert darauf, die Lichter nicht nur erfahrbar, sondern auch vergleichbar zu machen. „Wir versuchen das über Lichtbilder zu lösen. Dafür haben wir auf Postern, der Webseite oder im Katalog die Lichtkegel der Produkte abfotografiert“, sagt Katrin Dröge-Berzedjou. „Wir bieten auch Lichtschulungen an für unsere Fachhändler. Wir besuchen sie dann direkt und schulen zu den neuesten Produkten, die wir haben, und zur Lichttechnik im Allgemeinen. Meiner Meinung nach sollte jeder Fachhändler seinem Kundenstamm zum Herbst hin einen Licht-Check anbieten.“
Auch Supernova empfiehlt diese Dienstleistung. Die korrekte Montageposition ist ausschlaggebend. Wenn ein Radfahrer den Gegenverkehr blendet, so Gedanitz, liegt das zu mehr als 70 Prozent an falsch eingestellten Frontscheinwerfern. In diesem Herbst hat Supernova im Rahmen einer Partnerschaft mit Bike24 in den Stores der Firma in Dresden und Berlin einen Licht-Check-up und etwaige Installationen kostenlos angeboten. Wer an den Geschäften vorbeifuhr, bekam neben dem Einstellservice auch Tipps, wie sich aus der bestehenden Beleuchtung mehr herausholen lässt. Die Leuchte statt an der Gabel am Lenker zu montieren, kann zum Beispiel die Reichweite erhöhen. Die Hell-Dunkel-Grenze markiert an der vorderen Seite des Lichtteppichs markant das Ende des ausgeleuchteten Bereichs. Diese Grenze gilt es auf die passende Entfernung einzustellen. Je schneller ein Fahrzeug fährt, desto weiter entfernt sollte der Lichtkegel der Frontleuchte enden.

Modernes Fernlicht kann mit Scheinwerfern aus dem Kfz-Bereich mithalten. Damit verschiedene Leuchten vergleichbar sind, fotografiert Trelock die Lichtkegel.

StVZO hemmt Innovation

Die lichttechnischen Einrichtungen, also Lampen und Reflektoren, sind in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) präzise geregelt. Pflicht ist ein Scheinwerfer für weißes Abblendlicht mit integriertem oder zusätzlichem Front-Reflektor. Hinten braucht es ein Rücklicht als Schlussleuchte und einen Rückstrahler der Kategorie Z, der nicht dreieckig sein darf. Auch die Montagehöhe ist genau in der StVZO reglementiert. Alle Leuchten müssen ein amtliches Prüfzeichen tragen. Blinkende Scheinwerfer und Rücklichter sind nicht erlaubt.
Diese Details sind wichtig und sorgen dafür, dass Radfahrerinnen auch im Dunkeln gut als solche identifiziert werden können. Die Hersteller bemängeln allerdings, dass die Gesetzgeberinnen nur langsam auf Innovationen reagieren, die ein Sicherheitsplus für viele Verkehrsteilnehmer*innen bedeuten könnten. Zum Beispiel eine adaptive Einstellung, erklärt Sebastian Feßen-Fallsehr, die den Scheinwerfer je nach Geschwindigkeit anhebt, sei technisch denkbar, aber durch die StVZO verhindert. Auch bei anderen Herstellern gibt es gehemmtes Innovationspotenzial, sagt Katrin Dröge-Berzedjou: „Wir haben zum Beispiel eine Warnlicht-Funktion entwickelt. Wenn ein E-Bike-Fahrer stürzt, erkennt der Scheinwerfer automatisch den Sturz und fängt an zu blinken wie ein Warnlicht. Diese Funktion ist leider aktuell in der StVZO nicht reguliert. Wir arbeiten mit Unterstützung des ZIV und des DVR daran, dass sinnvolle Funktionen, die den Verkehrsteilnehmer zusätzlich sicherer fahren lassen, in Zukunft in die Gesetze aufgenommen werden.“


Bilder: Alps Alpine / Supernov / pd-f.de – Kay Tkatzik / Trelock

Die Firma Asphalt Art sorgt seit über 15 Jahren mit einem einzigartigen Produkt dafür, dass öffentliche Räume ästhetisch und übersichtlich gestaltet sind. Die Asphaltfolie des Unternehmens setzt unter anderem für den Straßenverkehr, das Stadtmarketing oder Unternehmen der freien Wirtschaft optische Akzente. Wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten sind, zeigen die Beispiele aus der Praxis. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Andreas Schmich, Geschäftsführer von Asphalt Art, entwickelte die besondere Asphaltfolie gemeinsam mit 3M und ließ sie im Jahr 2009 patentieren. Bereits drei Jahre zuvor zog das Unternehmen einen ersten prestigeträchtigen Auftrag an Land. „Wir haben gesehen, dass die Tour de France immer mit ihren Sponsoren in den Zielbereichen wirbt. Dann sind wir an den Veranstalter herangetreten. Der hat uns an die Firma vermittelt, die die ganzen Aufbauten und die Werbetechniken vor Ort erledigt.“ Asphalt Art wurde für einen Test eingeladen und überzeugte mit einem einfachen Arbeitsablauf. Um für das Logo von Sponsor Škoda im Zielbereich nicht mehr mehrere Schichten Farbe, viel Arbeitskraft und Zeit aufwenden zu müssen, kam die Lösung von Asphalt Art wie gerufen. „Für uns war es erstaunlich, zu sehen, wie man das davor gemacht hat. Es wurde zunächst mit schwarzer Farbe die Fläche grundiert, dann hat man eine Schablone darübergelegt, die weiße Farbe aufgebracht. Dann haben wir denen mit unserer fertig gedruckten Folie gezeigt, wie einfach es doch gehen kann, und waren innerhalb kürzester Zeit fertig.“
Die Folie von Asphalt Art ist rutschfest und lässt sich individuell bedrucken. Um das zu ermöglichen, hat der Anbieter eine Folie für Straßenmarkierungen als Grundlage genommen und diese weiterentwickelt. Eine neue Beschichtung sorgt dafür, dass die Folie bedruckbar ist. Die materielle Grundlage enthält als Basismaterial ein Weichaluminium und verleiht dem Produkt die Eigenschaft, dass es sich an die Straßenoberfläche und sogar an Wände anschmiegt. Es sieht aus wie gemalt. Dadurch ist die Asphaltfolie haltbarer als die üblichen PVC-Folien anderer Hersteller, sagt Schmich. Diese sind aufgrund der Weichmacher schnell rissig und hätten mitunter dafür gesorgt, dass Floor Marketing etwas in Verruf geraten ist, erklärt er. Die bedruckbare Beschichtung ist bei Asphalt Art aus einem speziellen Polyurethan.

„Die Asphaltfolie ist fast überall einsetzbar.“

Andreas Schmich, Asphalt Art

Rückstandslos entfernen

Auf der Rückseite sorgt ein besonderer Kleber auf Kautschukbasis dafür, dass die Folie keine Rückstände hinterlässt, wenn sie entfernt wird. Zum Beispiel ist das beim Projekt bei der Tour de France auch für die Umwelt ein großer Vorteil. Die Folie kann schnell entfernt werden und muss nicht, wie gemalte Logos, mit Hochdruckreinigern und großem Aufwand beseitigt werden.
Wenn sie ihren Dienst getan hat, ist die Folie recyclingfähig. Bei größeren Projekten sammelt Asphalt Art sie deshalb selbst wieder ein. Für kleinere Baustellen weist das Team seine Kunden und Kundinnen darauf hin, dass die Folie in die gelbe Tonne gehört oder beim lokalen Entsorgungsunternehmen abgegeben werden kann.
Dienstleistungen wie diese kommen Kunden aus der öffentlichen Hand besonders zugute, da diese zwar eigene Markierungsarbeiten machen, die Teams aber oft ausgelastet sind. Der Kundenstamm von Asphalt Art geht aber weit über die öffentliche Hand hinaus. Die Firma gestaltete bereits Testparcours und Orientierungshilfen auf Messegeländen oder an Bahnhöfen. Farbliche Markierungen helfen etwa Kindern, ihren Schulweg zu finden, oder Menschen, die nicht lesen können, sich an Bahnhöfen zurechtzufinden.
Asphalt Art unterstützte die Stadt Köln zuletzt bei einem Kampagnenvideo. Gedreht werden sollte ein Film in einer Fußgängerzone, die mithilfe der Asphaltfolie vorübergehend zur Fahrradstraße umgestaltet wurde. „Die Stadt Köln fährt im Moment eine Kampagne, in der es um die Fahrradstraßen geht, weil die Akzeptanz nicht sehr groß ist, diese zu installieren. Wir haben für die Filmaufnahmen schnell unsere Folie installiert. Die waren überrascht, dass das so einfach und schnell ging“, erklärt Schmich.

Von der Planung bis zur Montage


Dass die Folie auch vorübergehend nutzbar ist, lädt zum Experimentieren ein. Das Produkt lässt sich zudem etwa als Rechteck, rund oder mit halbrunden Ecken bestellen. Die Standardbahn, die Asphalt Art bedruckt, ist 1,22 Meter breit, wovon 1,20 Meter für den Druck zur Verfügung stehen. Wer mehrere Bahnen verklebt, kann auch große Flächen mit individuellen Designs oder Botschaften bedecken. Das Team um Schmich steht als Projektpartner von der Planung über den Druck bis zur Montage zur Seite. „Die Asphaltfolie ist fast überall einsetzbar. Selbst im Straßenverkehr wird sie verwendet“, erzählt Schmich. Die einzigartige Asphaltfolie wurde nach der neuesten ÖNORM EN 16165 geprüft und hat diese Prüfung mit Bravur bestanden. Damit ist das Produkt von Asphalt Art auf Straßen und Gehwegen für diesen Zweck uneingeschränkt einsetzbar. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Markierungsfolien fehlen lediglich die Glaspartikel, die das Scheinwerferlicht reflektieren. „Das wäre bei uns auch gar nicht umsetzbar, weil wir mit UV-Druck, also mit Licht arbeiten. Die Farbe wird auf die Folie aufgebracht und härtet sofort aus. Das Licht würde von den Glaspartikeln reflektiert werden und die Druckköpfe kaputt machen.“ Kleine Nano-Kügelchen sorgen dafür, dass die Folie rutschfest ist.


Mehr Informationen über Asphalt Art: http://www.asphalt-art.de

Bilder: Asphalt Art

Das Lastenrad City von Babboe ist in drei Versionen verfügbar. Als einspuriges Fahrzeug ist es praktisch im dichten Stadtverkehr und kann auch voll beladen jede Verkehrssituation spielend meistern. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Die Version Babboe City kommt als unmotorisiertes Lastenrad und ist damit für den Einsatz in urbanen Gebieten prädestiniert. Es kann mit einer zweiten Sitzbank ausgestattet werden, womit sich dann bis zu vier Kinder transportieren lassen. Die vorhandene Maxi-Cosi-Halterung in der Transportbox ermöglicht auch die Mitnahme eines Babys. Ein Zweibeinständer sorgt für sicheren Stand beim Ein- und Ausladen. Das Lastenrad ist ausgelegt auf Fahrerinnen und Fahrer ab einer Körpergröße von 1,57 Metern. Vorne und hinten wird mit einer Rollenbremse das Bike im Zaum gehalten.
Das Babboe City-E kommt mit einem Hinterradmotor, der mit seinen 40 Newtonmetern Drehmoment jeder Last den Schrecken nimmt. In vier bis sechs Stunden Ladezeit liefert der Akku, verfügbar in drei Varianten mit 375 Wh, 450 Wh und 500 Wh, eine Reichweite von 50 bis 70 Kilometern. Die große Box ist für die verschiedensten Nutzungsszenarien konfigurierbar. Wenn doch einmal geschoben werden muss, sorgt die integrierte Schiebehilfe auch dann für ein angenehmes Vorankommen.
Als Mountain-Version kommt das Babboe-Lastenrad City ausgestattet mit einem Yamaha-Mittelmotor und NuVinci-Gangschaltung. Wie bei der E-Version sorgen hy-draulische Scheibenbremsen vorne und hinten für eine sichere Verzögerung. Der Akku ist in zwei verschiedenen Größen mit 400 Wh oder 500 Wh Energiegehalt erhältlich, was dann für 40 bis 60 Kilometer Reichweite und größere Steigungen genügt. In allen Varianten ist der Rahmen durch seine stoßfeste Pulverlackierung besonders robust und innen mit einem Rostschutz vor Wettereinflüssen geschützt.


Bilder: Babboe

Cateye zeigt mit seinem Sortiment an Lampen, wie praktische und leistungsfähige Lichtlösungen heute am Fahrrad und insbesondere E-Bike aussehen. Alle Leuchten sind StVZO-zugelassen. Daneben zeigt Cateye auch seine Expertise im Fahrradcomputerbereich. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Frontlicht GVolt 70.1

Das Frontlicht GVolt 70.1 von Cateye ist ein Frontlicht mit einem herausragenden Lichtbild. Es wird unterhalb des Lenkers oder eines Out-Front-Halters montiert und wirft dann 70 Lux auf die Straße. Die kleine und schlanke Bauform hat hohen Nutzen im Alltag. Mit der Mode-Memory-Funktion speichert die Leuchte den zuletzt genutzten Modus.

Fahrradcomputer Quick

Ein besonders schicker Fahrradcomputer ist der Quick von Cateye. Er verfügt über ein sehr flaches, aufgeräumtes, im Out-Front-Halter integriertes Display. Dieses ist abnehmbar und mit invertiertem LCD zur besseren Lesbarkeit ausgestattet. Die Verbindung zu den Sensoren erfolgt kabellos über eine analoge Frequenz. Der automatische Stromsparmodus mit langlebiger Batterie sorgt für eine lange Nutzungsdauer.

Frontlicht GVolt 10

Das StVZO-zugelassene Frontlicht GVolt 100 von Cateye verfügt über einen abnehmbaren und drehbaren Lampenkopf und kann sowohl über wie unterhalb des Lenkers montiert werden. Der Lithium-Ionen-Akku ist austauschbar und kann einfach über einen Mikro-USB-Anschluss geladen werden. Bei voller Leuchtstärke strahlt er seine homogenen 100 Lux für 1,5 Stunden auf die Straße. Das Pendant dazu ist das E-Bike-Frontlicht G E100 Connect. Es nutzt den identischen Lampenkopf, wird jedoch direkt vom E-Bike-Akku versorgt. Über den Verbindungsstecker bleibt es abnehmbar und eignet sich zusammen mit den vielen Anbringungsmöglichkeiten ideal zum Nachrüsten von E-MTBs. Als Teil des Dual-Systems kann der Lampenkopf beider Lampen mit einem separat erhältlichen Akkupack oder E-Bike-Adapter verbunden werden.

Rücklicht Rapid X2 Kinetic

Das Rapid X2 Kinetic ist ein Rücklicht mit kinetischer Bremslichtfunktion. Dabei reagiert ein integrierter Beschleunigungssensor auf Verzögerung und schaltet bei der Erkennung eines Bremsvorgangs ein helleres Licht zu. Der Bremslichtmodus ist weitaus heller als StVZO-Rückleuchten ohne Bremsfunktion. Das Licht bietet maximale Auffälligkeit durch eine große, rundum sichtbare Fläche. Mit Energie versorgt wird die Rückleuchte durch einen Lithium-Polymer-Akku, der über Micro-USB aufladbar ist.


Bilder: Cateye

Damit Radwege außerhalb bebauter Gebiete nutzbar sind, spielt Beleuchtung eine große Rolle. Doch wie bringt man Licht auf die Route? Wir haben zwei Unternehmen gefragt und stellen ein prämiertes Beispiel aus Münster vor. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Wer Radmobilität vorantreiben will, muss Fahrradfahren sicherer und komfortabler machen. Vor allem abseits straßenbegleitender Routen heißt das neben der angemessenen Breite, dem leicht laufenden Belag und anderen Faktoren des Weges auch: Beleuchtung. Dabei geht es vor allem um Sicherheit. Radfahrende müssen Hindernisse vor sich früh genug erkennen können. Doch Licht stellt in puncto Umweltschutz eine Herausforderung dar. Beleuchtung ist immer auch eine Bedrohung für die Fauna. Ein Gesichtspunkt: Laternen locken unter anderem Insekten an, die im Licht zur leichten Beute werden und selbst, im Bann des Lichts, keine Nahrung finden. Andererseits meiden Fledermäuse, die sich von Insekten ernähren, meist Kunstlicht und finden so ebenfalls weniger Nahrung. „Doch Flutlicht braucht es für einen Radweg nicht. Das Licht, das eine helle Vollmondnacht bietet, reicht schon fast“, sagt Jörg Blume, technischer Leiter bei Lunux-Lighting. Das Unternehmen, schon 1895 unter dem Namen Hellux in Hannover gegründet, entwickelt und vertreibt unter anderem Beleuchtungssysteme für Straßen und Plätze und arbeitet auch für Großkunden wie die DB. „Zwei bis drei Lux sind für eine Radwegbeleuchtung ausreichend“, so Blume weiter.

Auf den ersten Blick schlichte Laternen. Doch Mastleuchten an einem Radweg, im Bild von Sunleds, können heute viel mehr: Sie tragen zu Sicherheit und Komfort der Radfahrenden bei – und fördern so die Verkehrswende.

Adaptive Beleuchtung mit IR-Sensoren

Der Lichtstrom, die Stromstärke und die verwendete technische Optik werden vom Einsatzbereich definiert. „Unser Fokus dabei liegt auf adaptiver Beleuchtung“, so der technische Leiter. „Meist wird über einen PIR-Sensor-Bewegungsmelder eine Reihe der vor dem Radfahrer liegenden Leuchten hochgedimmt.“ Diese Sensortechnik arbeitet mit Infrarot-Strahlung, die herannahende Menschen durch deren Temperaturstrahlung erkennt. Die vor dem Radfahrenden liegenden Leuchten werden also erst hochgefahren, wenn sich jemand dem Sensor nähert. So spart man einen enormen Teil der Kosten, die Beleuchtung ist nur „auf Abruf“ in Betrieb. Die moderne LED-Technik als besonders stromsparendes und gut dimmbares Leuchtsystem macht es möglich. Denkbar wäre auch eine Steuerung über ein Astro-Dimm-System, also eine autarke Steuerung der Beleuchtung über vorprogrammierte Zeiteingaben. Allerdings wird man dadurch nur der wahrscheinlichen Nutzung eines Radweges zu verschiedenen Zeiten gerecht. Das Licht muss immer gleichmäßig stark gedimmt sein, wenn die Radfahrer*innen die Leuchten passieren, um ihnen möglichst wenig Anpassungsleistung aufzubürden. Das Fahren würde sonst sehr anstrengend werden, und Komfort ist schließlich ein wichtiges Thema, um zum Radfahren zu motivieren.
„Faktoren wie Masthöhe, optisches System der Leuchten, Abstände der Masten, die Radwegbreite und Weiteres müssen bei dem System außerdem aufeinander abgestimmt werden. Deshalb findet die Beratung hierzu und zu allen anderen Punkten des Projekts grundsätzlich bei einer Begehung vor Ort statt“, erklärt Blume. Über sogenannte Zhaga-Schnittstellen kann das System an die Infrastruktur der Kommune angeschlossen werden. Die Kosten: um die 65.000 Euro muss man, ganz grob gerechnet, für einen Kilometer Beleuchtung einplanen.

Die Hella Park Streetline und Twin Streetline von Lunux Lighting können mit adaptiver Beleuchtung ausgestattet werden – Light on demand, sozusagen.

Solarenergie für Radfahrende

Das Unternehmen Sunleds setzt bei der Beleuchtung von Radwegen auf Solarenergie. 2016 gegründet, war es schnell eines von zwei Unternehmen, die sich in diesem Bereich breiter aufstellten. „Adaptive LED-Straßen- und Wegebeleuchtung mit Solarbetrieb ist noch ein Nischenmarkt“, sagt Geschäftsführer Henrik Brockmann. Trotzdem ist es für viele Situationen die einzige Lösung. „Ein wichtiges Einsatzgebiet für solare Leuchten sind entlegene Bushaltestellen, da dorthin oft keine Stromversorgung verlegt wird.“
Das ist für Brockmann auch einer der wesentliche Vorteile des Systems. Man spart Kosten. Zum einen ist das natürlich der Aufwand für die Kabelverlegung und entsprechenden Materialien. Zum anderen sind es die Stromkosten selbst. Diese Mastleuchten stellen die Energie selbst her und halten den Strom im integrierten Akku bereit. „Bis zu drei Nächte Beleuchtung kann eine Solar-Mastleuchte mit einem vollständig aufgeladenen Akku erreichen“, so Brockmann. Das bedeutet, dass man im besten Fall auch sehr trübe Tage im Winter überbrücken kann. Das setzt aber voraus, dass sich die jeweiligen Örtlichkeiten für den Betrieb mit Solarenergie grundsätzlich eignen. „Gibt es dort wo die Solarsysteme aufgestellt werden sollen, zu viel Schattenwurf, dann kann eine ausschließlich mit Solarenergie arbeitende Mastleuchte nicht ohne Beeinträchtigungen funktionieren, was wir unseren Kunden vorab mitteilen.“

„Adaptive LED-Straßen- und Wegebeleuchtung mit Solarbetrieb ist noch ein Nischenmarkt.“

Henrik Brockmann, Sunleds

Integrierte Insektenfreundlichkeit

An die Umwelt muss hier natürlich auch gedacht werden. Der Aufbau der LED-Systeme eliminiert weitgehend Streulicht, der Lichtkegel wird also klar abgegrenzt und das Licht trifft asymmetrisch-breitstrahlend auf den Radweg auf. Man nimmt, beispielsweise im meistverwendeten Modell ESL-18pro ECO, LEDs mit einer warmweißen Farbtemperatur von als „insektenfreundlich“ geltenden 3000 Kelvin. Ausgelöst werden das Aufleuchten und Abdimmen hier über einen aktiven Bewegungsmelder in sogenannter MWS-Technologie. Im Gegensatz zum Infrarot-Sensor, der passiv Wärmebild-Veränderungen wahrnimmt und darauf reagiert, erkennt dieser Mikrowellensensor Bewegungen, indem er selbst Signale aussendet und ihr Echo interpretiert – Radartechnologie also, die derzeit noch etwas hochpreisiger ist als Infrarotsysteme, aber von vielen als noch zuverlässiger eingeschätzt wird. Und die Stromversorgung? „Wo keine entsprechenden Kabel vorhanden sind, kann man mit autarker Beleuchtung durch Solarenergie bis zu zwei Drittel der Kosten einsparen.“ Ist die Stromversorgung über das Ortsnetz vorhanden, ist laut Brockmann eher eine netzgebundene oder kombinierte Lösung aus Solar- und Netzbetrieb angezeigt.
Bis zu zwölf Jahre Lebensdauer sollen die Lithium-Eisenphosphat-Akkus erreichen, bei Schäden oder ladezyklisch bedingtem Erreichen der Lebensdauer können sie getauscht werden. Entwickelt wird hauptsächlich in Deutschland, dazu gibt es sogar ein eigenes Testgelände am Hauptsitz Dresden. Die Kosten für eine Kommune beginnen bei der Nutzung von solaren Mastleuchten bei rund 900 Euro netto pro komplettes System, inklusive Lichtmast. Offiziell gibt es drei Jahre Garantie, erweiterbar auf fünf Jahre. Service-Leistungen erfolgen dazu oft über Kulanz-Regelungen.

Entlang von Straßen muss die Beleuchtung spezielle Vorgaben erfüllen. Schließlich wird den Radfahrenden oft durch entgegenkommende, blendende Autos die Sicht erschwert.

Radwege, die leuchten?

Wo bleiben da die selbstleuchtenden Radwege oder Lichtleisten-Radwegbegrenzungen am Boden? Dazu sind einige Ideen in der Testphase. Grundsätzliche Herausforderungen gibt es dabei allerdings. Gegenstände auf dem Radweg erscheinen weitgehend im Gegenlicht, was wenig hilfreich ist. Auch reicht das emittierende Licht zur Erkennbarkeit des Radwegs, aber je nach Ausführung nicht zur eigentlichen Beleuchtung aus. Gleichzeitig ist ein leuchtender Radweg aber ein Problem in puncto Lichtverschmutzung. Das Bundesnaturschutzgesetz und das Bundesimmisionsschutzgesetz könnten diesen Konzepten auch deshalb einen Riegel vorschieben. Doch es gibt ja, wie gezeigt, sinnvolle andere Lösungen.


Bilder: Sunleds GmbH, Lunux Lighting GmbH