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Eine der interessantesten Optionen, nahtlose Mobilität anzubieten, und gleichzeitig Datengold zu schürfen, erarbeiten gerade die Berliner Verkehrsbetriebe BVG. „Einmal anmelden und alles fahren: Bus, Bahn, Roller, Fahrrad, Auto, Ridesharing und Taxi.“ Das ist das Versprechen der BVG-App Jelbi. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Wir haben mit Christof Schminke gesprochen. Er ist Managing Director Germany des litauischen Mobilitäts-App-Spezialisten Trafi. Die international renommierten Spezialisten setzen den Service zusammen mit der BVG um. Neuester deutscher Trafi-Kunde sind die Münchner Verkehrsbetriebe.

Herr Schminke, warum macht die BVG Jelbi?
Die Berliner Verkehrsbetriebe haben sich vorgenommen, Aggregator von Mobilität zu werden. Deswegen integrieren wir kontinuierlich weitere Services. Das heißt, wir haben angefangen mit dem ganzen öffentlichen Nahverkehr, dann zuerst Roller von Emmy integriert, dann Tier E-Scooter und Carsharing. Nextbike ist schon drin und dieses Jahr werden wir noch weitere Carsharer im System sehen. Das macht natürlich auch die Attraktivität für die Kunden aus, denn der Nutzen wird über die Menge deutlich größer. Das Besondere ist, dass alle Services tiefenintegriert sind. Das heißt, der Nutzer hat einmal seine Zahlungsdaten hinterlegt und, sofern er Carsharing nutzen möchte, einmal seinen Führerschein verifiziert, und kann dann wirklich alle Services in einer Applikation nutzen. Er muss nicht mehr in eine andere App gehen.

Es gibt schon diverse Apps für verschiedene Mobilitätsangebote in der Stadt. Reichen die nicht aus?
Nein, damit ist überhaupt nichts gewonnen. Zuerst einmal ist es für den Kunden einfach kein gutes Erlebnis: Er sieht, dass da Fahrräder stehen und Autos, muss dann aber trotzdem fünf verschiedene Apps haben, bei jeder Zahlungsdaten hinterlegen und die Führerscheinprüfung durchlaufen. Vor allem kann er nicht verschiedene Verkehrsmittel vergleichen und keine multimodale Route planen. Und auch für Stadt ist es schlecht: Wenn ich die Mobilitätsangebote nicht tiefenintegriert habe, bekomme ich natürlich auch keinen Zugriff auf die Daten. Das heißt, ich weiß am Ende des Tages nicht, ob die Person den Carsharer genommen oder im Anschluss an die Fahrt mit dem ÖPNV noch den E-Scooter genutzt hat.

„Ich glaube, nur wenn die Städte das selber machen und verstehen, dann können sie auch künftig Einfluss nehmen.“

Christof Schminke

Also empfehlen Sie Kommunen das volle Programm?
Es geht hier nicht darum, nur eine App zu launchen, das wäre viel zu kurz gesprungen. Wir sagen: Als Stadt musst du die Mobilität verstehen, du musst im Mittelpunkt stehen und jetzt anfangen zu begreifen, wie sich Leute bewegen und welche Modi miteinander kombiniert werden. Ich glaube, nur wenn die Städte das selber machen und verstehen, dann können sie auch künftig Einfluss nehmen. Wenn die Städte das Firmen wie Google überlassen, dann wird es natürlich schwierig, weil sie dann einfach nicht die Datenhoheit haben und es dann immer schwerer fällt, auch Einfluss zu nehmen.

Haben Sie Echtzeitdaten? Kann man die in Ihrem System verfolgen?
Echtzeitdaten im Sinne von, wo fährt der Bus und die Straßenbahn, sodass wir auch die Möglichkeit haben, dass die Menschen wirklich den Bus fahren sehen können. Es kommt aber immer drauf an, was wir an Daten von unseren Partnern zur Verfügung gestellt bekommen.

Das gäbe doch auch den Städten die Möglichkeit zur Steuerung?
Genau da muss es hingehen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen in ein paar Jahren morgens zur Arbeit fahren und können dann genau sehen: Wenn ich jetzt das private Auto nehme, dann muss ich auf der Straße so viel Maut bezahlen, weil die Stadt heute eine große Veranstaltung hat und das Autofahren teuer macht. Zudem sehe ich schon, wie viel ich fürs Parken bezahlen muss und was mich das Laden des Autos kostet, und kann dann als Alternative schauen, was es mich kostet, wenn ich geteilte Mobilität nehme. Das Ziel muss natürlich genau das sein: Dass die Stadt zukünftig in Realtime steuert, wie die Verkehrssituation ist, und damit natürlich Einfluss auf Emissionen, auf Verkehrsbelastung und weitere Faktoren nehmen kann. Dafür muss ich natürlich als Stadt jetzt den ersten Schritt machen und genau verstehen, wie das System funktioniert.

MaaS-Spezialisten im Kommen

„Mobility as a Service“ (MaaS) ist eine Kombination aus öffentlichen und privaten Verkehrsdiensten innerhalb einer Region, die es Menschen ermöglicht, immer die beste Kombination von Verkehrsmitteln für den Weg von A nach B zu finden und diese an einer Stelle zu buchen. Trafi ist ein Technologieunternehmen mit Sitz in Vilnius, Litauen, London und Berlin, das komplette MaaS-Lösungen für Städte anbietet. Zurzeit in Vilnius, Prag, Jakarta und Berlin, ab Herbst 2020 auch in München. Ein ähnliches Angebot bietet MaaS Global aus Helsinki mit der Plattform Whim. Bei Whim können Kunden Pakete kaufen, die zum Beispiel unbegrenzte Fahrten per Bahn, Leihrad oder Mietwagen beinhalten und außerdem Zugang zu Taxis oder E-Scootern bieten. Whim gibt es neben Helsinki in Antwerpen, Wien, Tokio, Singapur und Teilen Großbritanniens.


Bilder: BVG, BVG – Oliver Lang