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Fahrrad-Industrie in Alarmstimmung

„Batteriezellen für leichte Verkehrsmittel müssen von unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können.“ Dieser Satz im Entwurf zu einer neuen EU-Verordnung versetzt gegenwärtig die Fahrradbranche in Alarmstimmung. „Aus unserer Sicht widerspricht das dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik“, sagt Tim Salatzki, Leiter Technik und Normung beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Bereits seit 2020 arbeiten EU-Kommission und -Parlament an einer Novelle der Richtlinie 2006/66/EC, die künftig als Batterieverordnung mit dem Aktenzeichen 2020/0353/COD unter anderem die Wiederverwertbarkeit und den ökologischen Fußabdruck von Energiespeichern in der EU regulieren soll. Eine wesentliche Neuerung ist dabei neben technischen Details die Umwidmung von einer Richtlinie zu einer Verordnung. Während die EU-Mitgliedsstaaten bei einer Richtlinie, im Fachjargon auch Direktive genannt, noch gewisse Freiheiten bei der Umsetzung in nationales Recht besitzen, ist eine Verordnung ab dem Moment ihrer Veröffentlichung in der gesamten EU rechtlich bindend. Nicht nur deshalb schauen gegenwärtig insbesondere die Marktteilnehmer der Fahrradindustrie auf die bislang in einem Entwurf enthaltenen Änderungen, denn neben den Kategorien Industriebatterien (unter die bisher auch E-Bike-Batterien fielen) und Gerätebatterien will die EU-Kommission eine neue zusätzliche Kategorie für E-Bikes und E-Scooter einführen, sogenannte LMT-Batterien (LMT: Light Means of Transport).
Bis Ende letzten Jahres befand sich die Verordnung im sogenannten Trilog von EU-Kommission und -Parlament sowie dem Rat der Europäischen Union. Noch im Juni soll die neue Verordnung von Rat und Parlament nun final bestätigt werden, bereits einen Monat später könnte sie in Kraft treten.
Nach aktuellem Stand enthält die Verordnung für LMT-Batterien unter anderem einen Passus, demzufolge künftig die einzelnen Akkuzellen eines E-Bike-Akkupacks von „unabhängigen Wirtschaftsakteuren“, also somit nicht nur von deren Herstellern, entnehmbar und austauschbar sein müssen. Für Tim Salatzki vom Zweirad-Industrie-Verband wäre diese Änderung der geltenden Rechtslage nicht nur mit den Regelungen der Vereinten Nationen für Gefahrgut unvereinbar, sondern schlicht auch technisch unsinnig: „Die Akkuzellen in einer E-Bike-Batterie sind üblicherweise wassergeschützt eingebaut und fest miteinander verbunden. Damit wird die nötige Standfestigkeit und somit Sicherheit im E-Bike-Betrieb gewährleistet. Diese Verbindungen lassen sich nicht so einfach lösen, ohne den Akkupack zu beschädigen. Darüber hinaus gibt es bei den E-Bike-Batterien praktisch kein Einzelversagen von Akkuzellen, sodass die Austauschbarkeit einzelner Zellen schon deswegen keinen Sinn machen würde“, erklärt der Technikexperte des Branchenverbands. „Das ist eine Lösung für ein Problem, das nicht existiert.“

„Das ist eine Lösung für ein Problem, das nicht existiert.“

Tim Salatzki, Zweirad-Industrie-Verband

Sammelquote bildet den Markt nicht ab

Ein weiterer Punkt, der in der Fahrradindustrie für einiges Kopfzerbrechen sorgt, sind die neu formulierten Anforderungen an die Sammelquote von E-Bike-Batterien an deren Lebensende, um diese dem Recycling zuzuführen. „Was das einheitliche Rücknahmesystem für Batterien angeht, da waren wir als Fahrradbranche bisher schon führend. Aber die neue, von der EU geplante Berechnungsmethode für die Sammelquote kann schlicht nicht funktionieren“, sagt ZIV-Mann Salatzki. Auch wenn noch nicht alle Details im Entwurf der Verordnung ausgestaltet seien, wäre absehbar, dass die EU in einer ersten Stufe erreichen will, dass eine Quote von 51% der durchschnittlich in den letzten drei Jahren in Verkehr gebrachten E-Bike-Batterien verbindlich wieder dem Recycling zugeführt werden müssen. Ab 2029 soll die Quote dann auf 61 % steigen. „Eine E-Bike-Batterie hat typischerweise eine Lebensdauer von sieben bis zehn Jahren, bei guter Pflege auch deutlich länger“, erklärt Salatzki. Eingedenk der starken Zuwächse im Absatz der letzten Jahre sei die von der EU geforderte Quote rein rechnerisch nicht umsetzbar, denn die allermeisten der im Markt befindlichen Batterien werden erst in der kommenden Dekade für das Recycling zur Verfügung stehen.
Einige weitere Inhalte der neuen Verordnung sind aus Sicht der Fahrradindustrie zwar mitunter anspruchsvoll in der Umsetzung, aber technisch machbar und aus Gründen der Nachhaltigkeit auch sinnvoll. So sollen beispielsweise künftig Quoten festgelegt werden, wie viel recyceltes Material, also zum Beispiel wiedergewonnenes Nickel oder Lithium, in neuen Zellen enthalten sein muss. Auch die CO2-Bilanz einer E-Bike-Batterie soll für die Verbraucherinnen künftig transparenter dargestellt werden. Denkbar sei eine verbindliche entsprechende Kennzeichnung mit einem QR-Code, hinter dem sich dann weitergehende Verbraucherinformationen zu den Eigenschaften und Inhaltsstoffen der jeweiligen Batterie verbergen. Die genaue Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen sollen der Verordnung in den kommenden 12 bis 18 Monaten noch nachgeschoben werden. Ein weiterer Punkt, der im Fahrradsegment bisher zwar schon marktüblich ist, aber noch nicht verbindlich geregelt wurde, ist eine Ersatzteilverfügbarkeit für E-Bike-Batterien von mindestens fünf Jahren nach dem Inverkehrbringen der letzten Einheit eines Bautyps. Unterdessen laufen hinter den Kulissen nicht nur beim ZIV einige Anstrengungen, um die (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch) offenbar unlösbaren Bestandteile der neuen Verordnung an die Realitäten von Technik und Markt anzupassen. Bei der jüngsten Mitgliederversammlung des ZIV am 21. April in Berlin sagte jedenfalls auch die Radverkehrsbeauftragte im Bundesministerium für Digitales und Verkehr Karola Lambeck den anwesenden Branchenvertreterinnen ihre Unterstützung zu, die aus ihrer Sicht nicht umsetzbaren Punkte der neuen Verordnung noch zu ändern.

Auszüge aus dem Entwurf

der neuen EU-Batterieverordnung:

„Batterien, die für die Traktion in leichten Verkehrsmitteln wie E-Bikes und E-Scooter verwendet werden, (…) haben aufgrund ihres zunehmenden Einsatzes in der nachhaltigen urbanen Mobilität einen erheblichen Marktanteil. Es ist daher angemessen, diese Batterien (…) als neue Kategorie von Batterien einzustufen, nämlich als Batterien für leichte Verkehrsmittel.“

„Bis zum 1. Januar 2024 müssen in Geräte eingebaute Gerätebatterien und Batterien für leichte Verkehrsmittel so konstruiert sein, dass sie mit einfachem und allgemein verfügbarem Werkzeug leicht und sicher entfernt und ausgetauscht werden können, ohne das Gerät oder die Batterien zu beschädigen. Gerätebatterien müssen vom Endnutzer entfernt und ausgetauscht werden können, und Batterien für leichte Verkehrsmittel müssen während der Lebensdauer des Geräts, spätestens aber am Ende der Lebensdauer des Geräts vom Endnutzer oder unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können, wenn die Lebensdauer der Batterien kürzer ist als die des Geräts. Batteriezellen für leichte Verkehrsmittel müssen von unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können.“

„Gerätebatterien und Batterien für leichte Verkehrsmittel müssen mindestens zehn Jahre lang nach dem Inverkehrbringen der letzten Einheit des Modells zu einem angemessenen und nichtdiskriminierenden Preis für unabhängige Wirtschaftsakteure und Endnutzer als Ersatzteile für die von ihnen betriebenen Ausrüstungen erhältlich sein.“ Anm. der Redaktion: Laut ZIV wurde diese Frist auf fünf Jahre geändert.

„Die Hersteller bzw. die in ihrem Namen handelnden Organisationen (…) müssen mindestens die folgenden Sammelziele für Batterien für leichte Verkehrsmittel erreichen und jährlich erfüllen, die als Prozentsatz der Mengen an Batterien für leichte Verkehrsmittel errechnet werden, die von dem betreffenden Hersteller oder kollektiv von den durch eine Organisation zur Herstellerverantwortung vertretenen Herstellern erstmals in einem Mitgliedstaat auf dem Markt bereitgestellt wurden: 75 % bis 31. Dezember 2025; 85 % bis 31. Dezember 2030.“ Anm. der Redaktion: Laut ZIV wurden diese Quoten zwischenzeitlich auf 51 % bis 2028 bzw. 61 % bis 2031 angepasst.

Quelle: https://eur-lex.europa.eu/procedure/EN/2020_353


Bild: Bosch E-Bike Systems