(erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Gemeinsames Engagement

Zukunft Fahrrad schließt Kooperation mit „Radeln ohne Alter Deutschland“

Der Branchenverband Zukunft Fahrrad und der Verein „Radeln ohne Alter Deutschland“ haben sich zusammengetan.

Als Dachorganisation setzt sich Radeln ohne Alter Deutschland e.V. für mobilitätseingeschränkte Menschen deutschlandweit ein: 2200 Freiwillige sind dafür bereits an 150 Standorten im Einsatz. Allein im Jahr 2023 wurden über 230.000 Rikscha-Kilometer geradelt und rund 35.000 Fahrgäste befördert.
Natalie Chirchietti, Gründerin und Geschäftsführerin von Radeln ohne Alter Deutschland: „Im nächsten Jahr wollen wir noch inklusiver werden und die Lücken auf unserer Deutschlandkarte weiter schließen, indem wir mithilfe von Spenden mindestens 100 weitere Fahrradrikschas auf die Straße bringen – und so noch vielen weiteren Menschen Lebensfreude und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.“ Einzel- oder Unternehmensspenden können unter www.radelnohnealter.de/unterstuetzen/ getätigt werden.
Künftig schiebt der Verband Zukunft Fahrrad hier mit an. Elena Laidler-Zettelmeyer, Leiterin strategische Kooperationen bei Zukunft Fahrrad, sagt: „Verkehrsplanung richtet sich noch immer weitgehend nach dem Auto, dabei hat ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht die körperlichen oder finanziellen Voraussetzungen, um Auto zu fahren. Dazu gehören Kinder, ältere Menschen, Menschen mit geringem Einkommen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Wenn Städte und Kommunen ihre Radwegenetze und ihre Infrastruktur richtig planen, integrativ gestalten und benutzerfreundlich umsetzen, eröffnen sich neue Freiheiten für alle. Und die Fahrradwirtschaft bietet passgenaue Produkte: vom Laufrad bis zum Spezialrad.“

(jw)


Historischer Wechsel

Deutsche Verkehrswacht wählt erstmals eine Präsidentin an die Spitze

Bei der Deutschen Verkehrswacht steht erstmals in der 100-jährigen Geschichte eine Frau an der Spitze des Verbandes. Anfang November wurde Kirsten Lühmann in ihr Amt gewählt.

Kirsten Lühmann folgt auf Kurt Bodewig, der sein Amt nach 17 Jahren vorzeitig niedergelegt hat. Lühmann bringt Erfahrung und Expertise für die Aufgaben mit. Sie war 27 Jahre lang Polizistin in Niedersachsen und 12 Jahre lang Abgeordnete im Deutschen Bundestag, unter anderem als Verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Zudem ist sie bereits seit 2022 Vizepräsidentin der DVW.
Kirsten Lühmann: „Ich glaube an die Vision Zero. Als Polizistin habe ich viele Jahre lang erleben müssen, welches Leid Verkehrsunfälle bei Angehörigen verursacht. Als Politikerin habe ich mich darum für legislative Maßnahmen eingesetzt, um die Verkehrssicherheit zu stärken. Als Präsidentin der DVW freue ich mich nun, zusammen mit den vielen Ehrenamtlichen der Verkehrswacht weiter daran zu arbeiten, Menschen eine sichere und selbstbestimmte Mobilität zu ermöglichen.“
Die Mitglieder und Delegierten sprachen Kirsten Lühmann einstimmig ihr Vertrauen aus. Kurt Bodewig wurde im Anschluss für sein langjähriges Engagement zum ersten Ehrenpräsidenten der DVW gewählt. Zur Hauptversammlung im Langenbeck-Virchow-Haus kam auch Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und hob in seiner Rede die besondere Geschichte der Verkehrswacht und die Leistung für die Sicherheit im Straßenverkehr hervor.

(jw)


Von Leipzig nach Europa

Nextbike weitet Präsenz in neue Länder aus

Seit 20 Jahren etabliert Nextbike ganzheitliche und nachhaltige Mobilitätslösungen als Teil des öffentlichen Nahverkehrs in ganz Europa. Zuletzt sind drei neue Länder hinzugekommen.

Neben zahlreichen neuen Angeboten in bestehenden Märkten wie z.B. in Polen (Metrobike in Oberschlesien) und Spanien (TUeBICI in Santander), hat Nextbike in diesem Jahr auch drei neue Märkte erschlossen. In den vergangenen Monaten hat Nextbike seine Mobilitätslösungen in den Kosovo, nach Portugal und Griechenland gebracht. Darüber hinaus wurde gerade eine Ausschreibung zur Erweiterung der Präsenz in Frankreich gewonnen: Ab dem Frühjahr 2025 wird Nextbike auch in der Region Mulhouse im Elsass ein öffentliches Bike-Sharing System betreiben.
Jhon Ramirez, Regional General Manager South West Europe: „Der Bedarf an nachhaltigen und gleichzeitig auch dynamischen und erschwinglichen Mobilitätslösungen wächst in ganz Europa, insbesondere im Süden, wo EU-Fördermittel aus dem Social Climate Fonds sehr wertvoll sind, um die Klimaziele zu erreichen und den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen.“ Mittlerweile betreibt Nextbike Bike-Sharing Systeme in 24 europäischen Ländern.

(jw)


Jugendorganisation und Doppelspitze

ADFC stellt sich auf Bundeshauptversammlung neu auf

Der ADFC bringt eine neue Generation von engagierten Radfahrenden an den Start. Die Weichen dafür wurden auf der Bundeshauptversammlung 2024 in Nürnberg gestellt.

In Nürnberg wurde am Wochenende eine Satzungsänderung verabschiedet, durch die im nächsten Jahr die Jugendorganisation „Junger ADFC“ gegründet werden kann. Weiterhin bekommen die ADFC-Bundesorgane künftig eine zweiköpfige Leitung mit mindestens einer Frau an der Spitze.
ADFC-Bundesvorsitzender Frank Masurat erklärt dazu: „Mit der Gründung des Jungen ADFC und der garantierten Präsenz von Frauen an der Verbandsspitze machen wir den ADFC zukunftsfähiger, vielfältiger und repräsentativer. In gesellschaftlich herausfordernden Zeiten ist es uns wichtig, Verantwortung zu übernehmen und unterschiedliche Perspektiven in unsere Arbeit einzubinden. Unser Ziel ist ein lebenswertes, fahrradfreundliches Land mit bezahlbarer, klimafreundlicher Mobilität für alle – eine Vision, für die es sich einzusetzen lohnt. Besonders freut uns, dass künftig viele junge Köpfe mit neuen Ideen das Fahrradland Deutschland im ADFC mitgestalten werden.“

Neue Dynamik

Ein Netzwerk junger Menschen im ADFC, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam fahrradpolitische Aktionen organisieren, gibt es schon seit einigen Jahren. Nun wird die Rolle der jungen Menschen im ADFC durch eine Satzungsänderung und eine Vertretung im ADFC-Bundesvorstand weiter gestärkt. Die Gründungsversammlung des Jungen ADFC ist für das Frühjahr 2025 geplant. Angesprochen sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 26 Jahren. Ziel ist, das Engagement junger Menschen für ein fahrradfreundliches Deutschland zu fördern.

Lösung statt Spaltung

Mit dem politischen Leitantrag bekannte sich die ADFC-Bundesversammlung erneut zu ihren demokratischen Werten. Statt für Spaltung tritt der ADFC für eine Verkehrswende ein, die allen dient, indem sie die Lebensqualität steigert, Emissionen reduziert und bezahlbare Mobilität gewährleistet. Das Fahrrad ist eine Lösung für alle Menschen, im Alltag, in der Freizeit oder im Urlaub – so die Delegierten des ADFC. Radfahren steht für ein positives Lebensgefühl für alle.

(jw)


Bund fördert das Projekt

KI-basiertes Assistenzsystem soll Radfahren sicherer machen

Ein Assistenzsystem für Autos und Lkw, das Radelnde erkennt und den Abstand zu ihnen misst, könnte den Fahrradverkehr in Zukunft sicherer machen. Den Grundstein dafür soll das Forschungsprojekt BikeDetect an der Universität Oldenburg unter Leitung des Wirtschaftsinformatikers Prof. Dr. Jorge Marx Gómez legen.

An dem Vorhaben beteiligt sind die Iotec GmbH aus Osnabrück, assoziierte Partner sind die Stadt Osnabrück sowie der ADFC Osnabrück. Das Projekt wird für 18 Monate vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) in der Innovationsinitiative mFUND mit knapp 200.000 Euro gefördert.
Hauptziel des Projekts ist es, herauszufinden, welche Kombination von Sensoren am besten geeignet ist, um Radfahrende von einem Fahrzeug aus zuverlässig zu erkennen. Dabei setzt das Team auf möglichst kostengünstige Verfahren. Zur Abstandsmessung testen die Forschenden Ultraschall-, Radar- und optische Verfahren, zum Erkennen von Personen auf einem Fahrrad setzen sie auf LiDAR, 3D-Kameras und Wärmemessungen. Entstehen soll ein KI-System, das die aufgenommenen Daten auswertet. Dieses System wird schrittweise entwickelt und im Labor, auf einem Parkplatz und im Straßenverkehr erprobt und verbessert. An der Auswahl möglichst unterschiedlicher Routen für die Feldtests sind die Stadt Osnabrück sowie der ADFC beteiligt.
Die Stadt Osnabrück sieht das Projekt als Möglichkeit, die Sicherheit im Radverkehr zu erhöhen. Ziel ist es, dass motorisierte Verkehrsteilnehmerinnen Werkzeuge an die Hand bekommen, mit denen sie selbst noch besser zum Schutz von Radfahrenden beitragen können. Das Team plant, die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Der ADFC Niedersachsen verspricht sich von dem Projekt eine deutlichere Sensibilisierung aller motorisierten Verkehrsteilnehmerinnen für den Radverkehr. „Von eminenter Wichtigkeit ist aber auch, dass die Ergebnisse und Werkzeuge nach Ende der Studie den Kommunen in Niedersachsen landesweit für die Eigennutzung zur Verfügung gestellt werden“, sagt Rüdiger Henze, Landesvorsitzender des ADFC Niedersachsen. Das Ziel müsse nach wie vor die „Vision Zero“ sein, also das Ziel, ein sicheres Verkehrssystem ohne Getötete und Schwerverletzte zu verwirklichen.
Am Ende von BikeDetect soll ein prototypisches Sensorsystem inklusive eines passenden Konzepts zum Datenmanagement zur Verfügung stehen. „Unsere Vision ist es, dass zukünftige Fahrassistenzsysteme auch den Radverkehr im Blick haben und Autofahrer dabei unterstützen, einen sicheren Abstand zu Radfahrerinnen und Radfahrern zu halten“, sagt Projektleiter Jorge Marx Gómez. Das Projekt leiste damit einen wichtigen Beitrag, um die Sicherheit im Radverkehr zu steigern.

(pm)


ADAC hat getestet

Bike+Ride-Anlagen zwischen Licht und Dunkel

Viele der 80 untersuchten Anlagen schneiden im Bike+Ride-Test des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) gut ab. Oft mangele es jedoch an Ausstattungsmerkmalen wie Überdachungen oder Anschließmöglichkeiten, so das Fazit des Automobilclubs.

Vor allem für den Pendelverkehr sind gute Abstellanlagen an öffentlichen Verkehrsmitteln wichtig.

Bike+Ride-Anlagen helfen Pendler*innen dabei, das Fahrrad mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu kombinieren. Der ADAC hat sich 80 dieser Anlagen im Einzugsgebiet von zehn deutschen Großstädten mit hohem Pendlervolumen genauer angesehen. In die Gesamtwertung floss neben der Lage, der Ausstattung und der freien Kapazität auch die Sonderausstattung ein. In der Kategorie Lage schnitten 86 Prozent der geprüften Anlagen gut oder sehr gut ab. Positiv wertete der ADAC auch, dass nur zehn Prozent der Anlagen stark ausgelastet oder überlastet waren. Ein Großteil wies zu den Testzeitpunkten noch mindestens 20 Prozent freie Stellplätze auf.
Ausstattung mit Luft nach oben Eine komfortable und wirklich sichere Nutzung ist nicht bei allen Bike+Ride-Anlagen möglich. Etwa ein Viertel der Stellplätze war nicht überdacht. An 84 Prozent fehlt es zudem an Lademöglichkeiten für E-Bikes und an 94 Prozent der untersuchten Bahnhöfe gibt es keine Schließfächer.
An der Hälfte der untersuchten Orte waren abschließbare Anlagen wie Fahrradgaragen oder -boxen überhaupt nicht vorhanden. Wenn es sie doch gab, zeigte sich eine hohe Auslastung. Der ADAC bemängelt weiterhin, dass bei 81 Prozent der Anlagen der Platz zum Anschließen des Rades meist zu eng ist. Als häufigsten Mangel identifiziert der Verein, dass es in 98 Prozent der Fälle keine gesonderten Flächen für Lastenräder gab.

Nutzung und Akzeptanz steigern

Ein Lichtblick lässt sich laut der Analyse des ADAC dennoch erkennen: „Immerhin: Es tut sich etwas. An mehreren Bahnhöfen im Umland der Großstädte werden derzeit neue Abstellmöglichkeiten für Fahrräder gebaut oder sind nach ADAC-Informationen geplant“, heißt es auf der Website des Vereins. Um die Nutzung und Akzeptanz des Bike+Ride-Konzepts weiter zu steigern, empfiehlt der Automobilclub, diese möglichst nah an den Bahnhofszugängen einzurichten. Wichtig seien außerdem Überdachungen und eine komfortable und sichere Nutzung. Es sollte nicht bloß das Laufrad, sondern auch der Rahmen anschließbar sein. Das Platzangebot sollte ausreichend sein, auch an Fahrradgaragen und Boxen, um höherwertige Fahrräder und E-Bikes ebenfalls angemessen zu sichern.
Der Test des ADAC fand außerhalb der Ferien im Zeitraum von April bis Juni 2024 von Dienstag bis Donnerstag zwischen 9 und 16 Uhr statt. Untersucht wurden Anlagen im Umland von Berlin, Bremen, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Kiel, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. Ausführliche Ergebnisse des Tests finden sich auf der Website des ADAC.

(sg)


Bilder: Radeln ohne Alter, Deutsche Verkehrswacht – Heidi Scherm, Nextbike, pd-f, ADAC – Theo Klein

Klar, die Niederlande sind ein flaches und dicht besiedeltes Land, in dem Radeln („fietsen“) ohne E-Motor oder hocheffiziente Kugellager, Reifen und Schaltungen einfacher ist, trotz Wind, Regen und Kälte. Natürlich entstand gerade dort ein „Fiets-Paradies“. Doch so einfach ist diese Geschichte nicht. Die niederländische Fahrradkultur fasziniert Menschen weltweit. Doch wie ist sie entstanden und wie funktioniert sie? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Warum setzen viele Niederländerinnen ihre Kinder mit einem zweiten Sattel auf der Stange vorne auf ihr Fahrrad, anstatt hintendrauf? Kinder sollen früh mitbekommen, wie man vernünftig und trotzdem effizient am Straßenverkehr teilnimmt und sich die Weidevögel mitanschauen können. Außerdem bilden Kinder einen guten natürlichen Wind- und Regenschirm. Sie sollen sich an das mitunter raue Wetter gewöhnen. Nicht zuletzt sind sie im Falle eines Sturzes gut gesichert zwischen den Armen der Eltern. Man kann sich zudem auch besser mit den Kleinen unterhalten. Der Wind trägt ihre Stimmen nicht davon. So wurde es zumindest mir selbst erklärt als Teil meiner Erziehung als Niederländer. Zum Kulturbild gehört aber auch, dass ein weitverbreitetes, aber auch sehr unterschiedliches Fahrradverhalten stark durch vorhandene Infrastruktur bedingt ist. Niederländerinnen fietsen nicht unbedingt zum Supermarkt oder zur Arbeit, weil sie niederländisch sind. Menschen aus aller Welt ziehen aus unterschiedlichsten Gründen in die Niederlande und lernen schnell, dass Fietsen nicht nur normal ist, sondern im niederländischen Kontext auch einfach, gesund, nachhaltig, günstig, effizient, herrlich, befreiend, und relativ ungefährlich. Also macht es fast jeder.
Chris Bruntlett ist Manager Internationale Beziehungen bei der Dutch Cycling Embassy und steckt hinter dem Begriff „Fiets-Paradies“. Laut ihm ist Sicherheit ein deutlich gewichtigerer Faktor als Hügel oder das Wetter, der Menschen weltweit davon abhält, auf einen Drahtesel zu steigen.
Wer auf dem Rad im niederländischen Straßennetz aufwächst, der staunt beim Beobachten der Umstände und Einstellungen im Ausland. Wenn sich das Fahrrad im Kopf als Hauptverkehrsmittel etabliert, entstehen andere Selbstverständlichkeiten. Wie oft hatte ich in meiner Kindheit und Jugend einen platten Reifen und bin noch fünf Kilometer nach Hause gelaufen? Meine Eltern hätten mich nicht abgeholt. Das gehört zu der Freiheit, sich selbst zu bewegen. Zu meinen eigenen Erfahrungen als Fietser zählt auch, im Winter über zugefrorene Straßen zur Schule zu schlittern oder die verrücktesten Gegenstände auf Fahrrädern zu transportieren.
Seit etwa einem Jahr fahre ich im Schnitt zwischen 50 und 100 Kilometer pro Woche für Alltagsziele auf deutschen Straßen, über Land und durch die Stadt. In der Zeit wurde ich mindestens eine Handvoll Male von Autofahrenden angeschrien, mehrmals fast angefahren, weil sie beim Abbiegen nicht um sich schauen, und etliche Male von Fremden ungefragt und manchmal inkorrekt auf die Verkehrsregeln hingewiesen. Dergleichen ist mir in den Niederlanden in quasi nie passiert. Inzwischen trage ich hierzulande trotz des Risikos von meinen alten Freund*innen ausgelacht zu werden, immer einen Fahrradhelm. Damit habe ich mich jetzt wohl der deutschen Kultur gefügt. Ein gewissermaßen rebellischer Fahrstil ist mir jedoch geblieben. Die Straße gehört uns allen!

Chris Bruntlett von der Dutch Cycling Embassy hat den Begriff Fiets-Paradies geprägt. Dazu gehören auch die ÖPNV-Fahrräder und Fahrradparkhäuser.

Eine kleine Fiets-Geschichte

Dass Autofahrende im öffentlichen Raum so viel Platz wegnehmen dürfen, obwohl sie heute weiterhin eine Lebensgefahr darstellen, war nicht immer salonfähig. Thalia Verkade, Journalistin für Mobilität bei De Correspondent, und Marco te Brömmelstroet, kritischer Soziologe und bekannt als Fiets-Professor, publizierten dazu das Buch Gesellschaft in Bewegung. Laut diesem Buch starben in den USA, wo das Auto erstmals die Straßen wortwörtlich mit Gewalt eroberte, zwischen 1920 und 1930 etwa 200.000 Menschen im Autoverkehr. Heute werden in Europa ganz selbstverständlich 500 Menschen pro Woche umgebracht im Tausch für komfortable Fahrgeschwindigkeiten für Kfz. Die Niederlande sind hier nur knapp besser als der EU-Durchschnitt. Überall wo im zwanzigsten Jahrhundert das Auto eingeführt wurde, veränderte sich die Straßenkultur auf fundamentale Art, vom Treffpunkt zum Zirkulationsfluss. Nach einigen Jahren gesellschaftlichen Widerstands gegen die Gefahrenursache entstand ein Konsens für mehr Sicherheitsmaßnahmen: Jedes Kind muss heute lernen, im Autoverkehr aufzupassen. Damit normalisierte sich eine nur wenig diskutierte Schuldumdrehung, die im Vergewaltigungskontext vom Feminismus stark kritisiert wird, wie Verkade vergleichend erklärt: „Der Fokus liegt auf der Frage, was verletzliche Opfer anders tun können, um sicherer am Straßenverkehr teilnehmen zu können.“ Derartige Täter-Opfer-Umkehr gibt es auch an anderen Stellen: „Mädchen sollen einfach keine kurzen Röcke tragen.“
Was heute als „richtiges Fahrradland“ oder „Fiets-Paradies“ gilt, ist im historischen Vergleich eher schwach. 1923 waren in den Niederlanden 74 Prozent der Verkehrsteilnehmenden Radfahrerinnen. Ein Rad aus 1920, damals auch schon gebraucht im guten Zustand zu kaufen, würde noch heute am Verkehr teilnehmen können. 1939 gab es 40-mal mehr Fahrräder in den Niederlanden als Autos. 1959 war das letzte Jahr, in dem mehr Kilometer Rad gefahren wurde als Auto: 1500 Kilometer pro Jahr und Person oder etwa vier Kilometer pro Tag. Grob 65 Jahre später schaffen die Niederländerinnen erst seit dem Aufkommen elektrischer Unterstützung wieder rund zwei Drittel dieses Rekordwerts.
Tatsächlich gab es bereits 1901 erstmals öffentliche Gelder für den Bau von Radwegen. Radbesitzende zahlten bis 1941 auch eine Steuer, wie heute für das Auto. Für deutliche Entwicklungsrückschritte sorgte dann der Zweite Weltkrieg. Die Nazis konfiszierten Millionen Räder, der Preis für Ersatzteile explodierte, Vorfahrtsregeln wurden zugunsten motorisierter Fahrzeuge geändert und das Händchenhalten beim Radeln wurde verboten. Starke Einflüsse des US-amerikanischen Marshall-Plans und neue Narrative einer hochtechnologischen Zukunft verliehen dem Auto weiteren Aufwind.

Der Fahrradverband ENFB, die Aktionsgruppe „Stoppt den Kindermord“ und der Verein „Beschützt Fußgänger“ sitzen 1980 bei einer Pressekonferenz zusammen. Sie haben das Fahrradland Niederlande mitgeprägt.

Tiefpunkt in den 70ern

Gute Fahrradinfrastruktur, die nicht nur Platz für Autos auf der Straße schafft, sondern das Radeln wirklich sicher und sinnvoll ermöglicht, wurde auch in den Niederlanden nicht immer selbstverständlich mitgedacht. Die 1970er bilden den historischen Tiefpunkt der niederländischen Fahrradkultur. Etwa 400 Kinder pro Jahr wurden zu der Zeit von Autofahrern im Straßenverkehr umgebracht. Viele Expertinnen machen zivilgesellschaftlichen Widerstand für die Wiederbelebung des Fietses verantwortlich. Der Verein gegen den Kindermord war eine der verkehrsaktivistischen Bewegungen der 70er, die mit ihren vielen Protestaktionen einen demokratischen Prozess in Gang setzten. Und das mit Erfolg: Danach wurden massenweise Radwege gebaut und eine langfristig gedachte Fahrradstrategie in der niederländischen Politik verankert. Der langjährige Ministerpräsident Mark Rutte fuhr bekanntlich mit dem Rad zur Arbeit. International wird diese Selbstdarstellung manchmal missverstanden als „ein gutes Beispiel abgeben“ für nachhaltige und gesunde Mobilität. Dabei wollen sich die Politikerinnen nur als richtige Niederländer*innen präsentieren. Die Menschen fahren Rad, weil es normal ist und nicht, weil sie sich nichts „Besseres“ leisten können. Doch wie sich schon aus dem historischen Vergleich zeigt, ist die Deutung eines Fahrradparadieses ziemlich relativ, und es gibt stark unterschiedliche Perspektiven darauf. Die Dutch Cycling Embassy steht für eine feierliche und optimistische Haltung zum Fiets-Paradies und betont die Vorreiterrolle des Landes. Chris Bruntlett: „Die meisten Städte der Welt sind den Niederlanden 50 Jahre hinterher. Um sichtbar zu verändern, zeigt die Erfahrung, muss die Politik hoch ansetzen.“ Aus internationaler Sicht kann die Infrastruktur für den niederländischen Radverkehr zweifelsfrei schnell beeindrucken. Der Verkehr ist inklusiver für Kinder und Ältere, viele Menschen machen automatisch Sport und die Luft wird weniger verunreinigt. Außerdem werden weniger Rohstoffe und finanzielle Ressourcen für Mobilität ausgegeben, es entsteht mehr öffentlicher Raum für Grün und Spiel und die Leute stehen in der Theorie weniger im Stau.
Der Radverkehr kann sich einer größeren gesellschaftlichen Wertschätzung erfreuen. Radwege werden bei Frost früh gestreut und die Autofahrenden haben gegenüber den Radfahrenden mehr Respekt und sind im Umgang mit ihnen erfahren. International juristisch außergewöhnlich ist zudem, dass Autofahrende in den Niederlanden im Falle eines Unfalls immer für mindestens 50 Prozent der entstandenen Kosten haften, auch wenn sie als unschuldig gelten. Damit spiegeln die Gesetze wider, was auch im Denken verankert ist: Autobesitzende sind kollektiv verantwortlich für eine Gefahr auf der Straße und sollten sich deswegen auch kollektiv gegen den Schaden versichern.
Doch stellen sowohl Thalia Verkade als auch Chris Bruntlett fest, dass dieses Narrativ nicht ohne den Kontext des Autos gedacht und erzählt werden sollte. Dessen Dominanz ist in der Gesamtsicht unausweichlich. Auf 23 Millionen Räder kommen auch in den Niederlanden noch 9 Millionen Pkw und fast die doppelte Menge nur dafür bestimmte Parkplätze. Etwa 92 Prozent dieser Parkplätze können trotz großer Kosten für die Gesellschaft umsonst genutzt werden. Autos sollen vor der Tür parken können, Spielplätze für Kinder dürfen ruhig etwas weiter entfernt liegen. Dass sich diese Realität nicht wirklich verbessert, zeigen Neubauwohnviertel, die weiterhin darauf ausgelegt werden, sogar wenn Bahnhöfe gut erreichbar sind. Es wäre stark übertrieben, zu behaupten, dass infrastrukturelle Kompromisse meistens zugunsten des Rades entschieden werden.

Wem gehört die Straße? Wie sollen Gäste sich benehmen?

Knotenpunkte, wie hier in Utrecht, sind in den Niederlanden oft für Raddurchfluss durchdacht, Autos müssen warten.

Erfolgsfaktoren einer gesellschaftlichen Mobilitätstransformation

Was lässt sich lernen aus der niederländischen Realität und Geschichte? Was können deutsche Städte und Kreise tun, um den Radverkehr zu fördern und zu normalisieren? Sowohl Verkade als auch Bruntlett und die Dutch Cycling Embassy bieten eine ganze Liste wichtiger Punkte. Pragmatisch formuliert ist das Radeln attraktiv zu machen und das Autofahren teuer, langsam und mühsamer. Hilfreich ist es, Straßen so einzurichten, dass Autos, wenn überhaupt, nur als Gäste auf ihnen unterwegs sein dürfen, so gut wie nie Vorfahrt haben, und maximal 30 km/h fahren dürfen. Auch die Haftungsfrage bei Unfällen zugunsten der Fahrradfahrerinnen zu verändern, könnte die Autokultur eindämmen. Die Kosten beim Parken von Autos sollten sich zudem an den realen Kosten orientieren. Durch gute Carsharing-Angebote könnte der Autobesitz drastisch reduziert werden. Bruntlett meint dazu: „Als Radler besitzt man eigentlich nur das ganze Jahr ein Auto, um im Sommer in den Urlaub zu fahren.“ Und weiter: „Politikerinnen brauchen viel Mut, um gegen eine bestehende, manchmal aggressiv verteidigte Autokultur anzugehen. Es gibt aber auch Beispiele von Kommunalpolitik, wo dieser Mut bei der Wiederwahl belohnt wurde.“
Auf dem Weg zu einer Fahrradkultur nach niederländischem Vorbild sind das Modell der 15-Minuten-Stadt, eine bessere Verknüpfung von ÖPNV und Fahrrad und eigene Infrastruktur fürs Fahrrad weitere geeignete Instrumente.
Für große Fortschritte besonders wichtig ist allerdings die dahinter liegende gesellschaftlich Diskussion. Die Zukunft der Straße ist eine politische und soziale und nicht nur eine technische Frage, wie Chris Bruntlett am Beispiel der Wahlfreiheit resümiert: „Bei der typischen Strategie, Wahlfreiheit zwischen Transportmitteln zu behalten und keine Angst zu schüren mit autofreien Städten, lautet die Frage, ob dieser Kompromiss auf lange Sicht ausreicht, um viele Menschen davon zu überzeugen, den privaten Autobesitz aufzugeben.“ Verkade und te Brömmelstroet zeigen einige typische Denkfehler in der Auto-Fahrrad-Diskussion auf, und welche Entscheidungen oft unangefochten oder unsichtbar in einer Mobilitätskultur verankert sind. Ein zentrales Beispiel ist das fragwürdige Kriterium effizienter Mobilität. Historisch führten schnellere Wege nicht zu weniger Reisezeit, sondern zu größeren Wohnungen und größeren Abständen der Reiseziele. Menschen könnten auch wieder näher an ihren Zielen wohnen, auf weniger Fläche, mit weniger Leerstand in Stadtzentren. Die Niederlande als Fahrradparadies zeigen historische Erfolge und beeindrucken weltweit. Als Autoparadies werfen sie mitunter aber die gleichen Fragen auf wie in Deutschland.


Bilder: stock.adobe.com – ChiccoDodiFC, Dutch Cycling Embassy, stock.adobe.com – salarko, stock.adobe.com – creativenature.nl, Fotocollectie Anefo, Stadt Utrecht

Die Möglichkeiten, in privaten Räumen Fahrräder zu parken, unterscheiden sich hierzulande mitunter deutlich. Eine neue Umfrage bringt Licht ins Dunkel, wie es um die Qualität der Fahrradparkmöglichkeiten bestellt ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Es steht die Frage im Raum, inwieweit die öffentliche Hand gefordert ist, für bessere Parkmöglichkeiten zu sorgen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Das Fahrradparken wird zunehmend als Aufgabe der kommunalen Verkehrsplanung diskutiert. Nachdem vielerorts Konzepte für den fließenden Radverkehr erarbeitet und häufig auch umgesetzt wurden, rückt nun zunehmend der ruhende Radverkehr in den Fokus. Es ist allgemein bekannt, dass unzureichende, fehlende oder ungeeignete Fahrradabstellanlagen ein Hemmnis für die Fahrradnutzung darstellen. Fahrräder werden am Wohnort in viel zu engen Treppenhäusern, oft auch in den oberen Stockwerken, direkt in der Wohnung oder auf dem Balkon abgestellt. Sie verengen dort die Räume und reduzieren die Wohnfläche. Der Zugang zu Keller- oder Abstellräumen, die oftmals nur über steile Treppen oder eng an Mülltonnen vorbei erreichbar sind, erschwert die Fahrradnutzung im Alltag. Die Liste der offensichtlichen Mängel beim Abstellen von Fahrrädern am Wohnort ließe sich noch weiter fortsetzen.
An Zielorten wie zum Beispiel beim Einkaufen, bei Kneipenbesuchen oder beim Besuch von Freund*innen werden ebenfalls sehr häufig Verlegenheitslösungen gewählt. Während der Bedarf an den Zielorten im Straßenraum sichtbar ist, bleiben die Behelfslösungen in den Wohngebäuden oder der gänzliche Verzicht auf ein eigenes Fahrrad im öffentlichen Raum meist unsichtbar.
Aus Quellen wie der Mobilitätsbefragung Hamburg 2022 lässt sich bereits ableiten, dass viele Menschen mit ihrer privaten Abstellsituation unzufrieden sind. Die negativen Auswirkungen von schlechten Abstellmöglichkeiten für Fahrräder könnten sich somit auch darauf auswirken, wie die Menschen ihre Fahrräder nutzen. Die Abstellsituation am Wohnort zu verbessern, dürfte ein großes Potenzial zur Steigerung der Fahrradnutzung bergen.

Das Parken von Fahrrädern in Wohnungen kostet wertvollen Wohnraum und ist oft umständlich.

Wenig Einfluss in bestehenden Gebäuden

Die Verantwortung für die Erfüllung der entsprechenden Anforderungen an das Fahrradparken liegt grundsätzlich bei den Grundeigentümerinnen. Die Realität zeigt allerdings ein anderes Bild. Den seit den 90er-Jahren etablierten Anforderungen, bei Neu- und Umbauten für ausreichende Fahrradabstellmöglichkeiten zu sorgen, steht ein großer Altbaubestand gegenüber, der Bestandsschutz genießt und daher nicht diesen Anforderungen unterliegt. Dort könnte zwar im Sinne der Bewoh-nerinnen nachgerüstet werden, der Anteil der tatsächlich getroffenen Maßnahmen ist jedoch überschaubar, sodass die Problematik in großem Umfang bestehen bleibt. Auch bei Neubauten kommt es immer wieder vor, dass Baugenehmigungen erteilt werden, obwohl Fahrradabstellplätze zwar in ausreichender Zahl, aber in unzureichender Qualität (Zugang über Treppen, zu geringe Abstände zwischen Fahrradbügeln, umständliche Befestigung etc.) vorhanden sind. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit sich die öffentliche Hand dieser offensichtlichen Aufgabe annimmt, und Abhilfe schafft, da es letztlich im öffentlichen verkehrspolitischen Interesse liegt, Hindernisse für die Fahrradnutzung abzubauen.

Bedarf und Defizite

Um abzuschätzen, wie hoch der Bedarf an adäquaten Abstellmöglichkeiten für Fahrräder am Wohnort tatsächlich ist und in welchem Umfang Defizite bestehen, die den Verantwortlichen für die Radverkehrsplanung bisher nicht bekannt waren, wurde von Ende Juli bis Mitte September 2024 bundesweit eine breit angelegte Online-Befragung zur Abstellsituation von Fahrrädern am Wohnort durch das Büro Argus Stadt und Verkehr durchgeführt. Aufgrund des beruflichen Hintergrunds und der Verbreitung der Umfrage in entsprechenden Verteilern kann davon ausgegangen werden, dass der Großteil der ca. 3200 Teilnehmerinnen aus einem eher fahrradaffinen Umfeld stammt, was einerseits die Alltagserfahrungen gut abbildet, andererseits aber möglicherweise die Zielgruppe derer unterrepräsentiert, die durch eine verbesserte Abstellsituation das Fahrrad häufiger nutzen könnten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Bewertung der vorhandenen Abstellmöglichkeiten auch durch die unterschiedlichen Ansprüche der verschiedenen Gruppen beeinflusst wird. Die Befragung erhebt daher keinen Anspruch auf Repräsentativität. Der Großteil der Teilnehmerinnen stammt aus deutschen Großstädten. Aufgrund der Streuung der Befragung kamen die meisten von ihnen aus Hamburg, gefolgt von Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen. Trotz dieser Einschränkungen lassen sich aus den Ergebnissen konkrete Hinweise ableiten.

Differenziert nach Fahrradtypen zeigt sich, dass die Befragten in erster Linie Stadt- und Trekkingräder nutzen.

Wo parken die Fahrräder?

Die Umfrage ergab, dass rund 80 Prozent der Befragten ein hochwertiges Fahrrad und zwei Drittel mehr als ein Fahrrad pro Person besitzen. Etwa 15 Prozent der Befragten nutzen E-Bikes, knapp 4 Prozent Lastenräder.
Rund drei Viertel der Fahrräder werden im oder direkt am Haus abgestellt. Hochwertige Fahrräder werden fast ausschließlich im Haus oder in einem gesicherten Raum am Haus abgestellt. So werden ca. 40 Prozent im Keller, ca. 20 Prozent in der Garage/Tiefgarage, ca. 20 Prozent in Fahrradschuppen und knapp 15 Prozent in der Wohnung selbst abgestellt. In jedem sechsten Fall beeinflusst das Fahrradparken also die Wohnsituation, da ein oder mehrere Fahrräder in der Wohnung geparkt werden müssen.
Die stichprobenartigen Städtevergleiche zeigen, dass die strukturellen Probleme in den Großstädten grundsätzlich und quantitativ ähnlich sind.

Bewertung der Parksituation zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Nur etwa ein Viertel der Befragten gab an, zu Hause keine Hindernisse mit dem Fahrrad überwinden zu müssen. Dennoch bewerteten drei Viertel der Befragten die Erreichbarkeit der Fahrradabstellanlagen am eigenen Wohnort als gut bis sehr gut und nur etwa 25 Prozent als eher schlecht.
Auch bei den anderen Qualitätsmerkmalen wie Diebstahlschutz, Witterungsschutz und Erreichbarkeit liegt die Bewertung jeweils nur bei etwa einem Fünftel im negativen Bereich.
Dennoch wünscht sich mehr als die Hälfte der Befragten eine Verbesserung ihrer Fahrradabstellsituation. Knapp 30 Prozent würden bis zu fünf Euro pro Monat zahlen, 25 Prozent bis zu zehn Euro pro Monat und rund sieben Prozent bis zu 20 Euro pro Monat.
Eine Spanne wird deutlich – zwischen dem eigentlich wünschenswerten Zustand und dem Abfinden mit den mäßigen Gegebenheiten. Diebstahlschutz ist für die meisten das entscheidende Kriterium, wenn es um das Abstellen des Fahrrades geht.

Mit der Wohndichte steigen die Probleme

Die Abstellsituation ist je nach Gebäudetyp sehr unterschiedlich. Während die meisten Befragten in Einfamilienhäusern Zugang zu abschließbaren Räumen außerhalb des Hauses haben, können die Fahrräder in Neubauten sehr häufig in Gemeinschaftsräumen innerhalb der Gebäude abgestellt werden. In Nachkriegsbauten und insbesondere in Altbauten sind diese Möglichkeiten deutlich seltener gegeben und die Fahrräder müssen oft in privaten Räumen oder an Fahrradbügeln oder Ähnlichem im Freiraum abgestellt werden. Dennoch nutzen die Bewohnerinnen von Altbauten das Fahrrad tendenziell am häufigsten, was möglicherweise auch auf die oft zentrumsnahe Lage vieler Altbauquartiere zurückzuführen ist. Bei der Bewertung der Abstellsituation gibt es große Unterschiede zwischen den Gebäudetypen. In Einfamilienhäusern wird die Situation in Bezug auf Zugänglichkeit, Witterungsschutz und Sicherheit generell sehr positiv bewertet. Vor allem in Altbauten, aber auch in Nachkriegsbauten bewerten die Befragten ihre Situation hinsichtlich dieser drei Aspekte negativ. Hier kumulieren Engpässe innerhalb der Gebäude und der Nutzungsdruck auf die wohnungsnahen Freiräume. Im Altbau müssen die Bewohnerinnen ihre Fahrräder im Vergleich zu den anderen Gebäudetypen am häufigsten in höhere Stockwerke tragen, nämlich in etwa jedem sechsten Fall. Im Vergleich zu den anderen Gebäudetypen wird hier auch am häufigsten auf die Nutzung hochwertiger Fahrräder verzichtet.

In hoch verdichteten Quartieren häufen sich Verlegenheitslösungen.

Verhaltensanpassungen

Hervorzuheben ist, dass gut ein Fünftel der Befragten aufgrund der Parksituation am Wohnort eindeutig oder zumindest teilweise weniger Fahrrad fährt – dies auch vor dem Hintergrund der oben genannten generell hohen Fahrradaffinität unter den Teilnehmer*innen.
Von den Befragten mit einem hochwertigen Fahrrad nutzen über 80 Prozent dieses auch im Alltag. Die im Vorfeld der Befragung vermuteten häufigen Verlegenheitslösungen (zum Beispiel das Abstellen der Räder innerhalb der Wohnung), wurden vielfach und facettenreich beschrieben. Von den Befragten, die derzeit aufgrund der Abstellsituation auf ein hochwertiges Fahrrad verzichten, würde sich die Mehrheit (ca. 85 Prozent) ein hochwertiges Alltagsrad anschaffen, wenn die Abstellsituation am Wohnort besser wäre.

Qualitativ hochwertige Angebote im öffentlichen Raum schaffen

Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen, dass das Abstellen von Fahrrädern am Wohnort in den Städten ein strukturelles Problem ist. Der Bedarf, Räder adäquat abstellen zu können, steigt mit zunehmender Dichte. Behelfslösungen und Verhaltensanpassungen haben verschiedene gravierende Nachteile. In Altbauquartieren und ähnlich verdichteten Wohngebieten kann in der Gesamtschau auf alle aufgeführten Teilergebnisse eine Bandbreite von einem Viertel bis zur Hälfte der vorhandenen Fahrräder als grober Orientierungswert dienen, für den ein qualitativ hochwertiges Angebot im öffentlichen Raum geschaffen werden sollte. Hinzu kommen notwendige Angebote für Besucher*innen. Auch auf privaten Grundstücken müssen mehr Abstellmöglichkeiten entstehen. Die Qualität bemisst sich in erster Linie am Diebstahlschutz, muss aber zwingend weitere Anforderungen erfüllen und beispielsweise gut zugänglich und nah am Wohnort sein. Die Städte müssen sich dieses Themas annehmen, wenn sie das Verlagerungspotenzial von anderen Verkehrsmitteln auf das Fahrrad voll ausschöpfen wollen. Es bedarf einer Systematik, aus der sich die lokale Nachfrage und deren Verteilung ableiten lässt. Mittelfristig gilt es, auch die Abstellsituation von Lastenrädern und Pedelecs vertieft zu untersuchen, da sich deren Parksituation aufgrund von Größe und Gewicht deutlich anders darstellt. Die Umfrage von Argus Stadt und Verkehr soll in einen Vorschlag für eine systematische Herangehensweise einfließen, der die fachliche Diskussion über dieses Thema weiter antreiben soll.


Bilder/Grafiken: ARGUS

Zum Thema „Verkehrsunfälle mit Pedelecs“ lohnt sich ein genauer Blick in die Statistik. Wie sich zeigt, stimmt die öffentliche Wahrnehmung zu den Gefahren des elektrifizierten Fahrrads nicht mit der tatsächlichen Gefahrenlage überein. Das E-Radfahren ist sicherer, als vielerorts geglaubt wird.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Seltsamerweise scheint es in der öffentlichen Wahrnehmung eine Tendenz zu geben, die Gefahren von E-Bikes hervorzuheben, ohne eine korrekte statistische Einordnung mitzuliefern. Selbst die jüngste Auswertung zu den Pedelec-Unfallzahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis), von Amts wegen eigentlich ein Ort der neutralen, sachlich fundierten und daher in der Regel nüchternen Darstellung, kommt nicht umhin, auf Formulierungen wie »Zahl der Pedelec-Unfälle mit Personenschaden gegenüber 2014 mehr als verzehnfacht« oder „Insgesamt ist die Zahl der Pedelec-Unfälle in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen“ zurückzugreifen. Es mutet seltsam an, dass praktisch nie oder nur unzureichend die absoluten Verunglücktenzahlen mit der zunehmenden Nutzung ins Verhältnis gesetzt werden.
Wäre es wirklich so schwer, auch die geschätzten Fahrleistungen mit anzugeben? Zumindest der ZIV hat sich diese Mühe in der Vergangenheit gemacht. Der Verband hat wenigstens bis 2020 die zurückgelegten Fahrleistungen in Bezug zu den Unfalltoten gesetzt. Wurden 2007 im Schnitt etwa 290 Kilometer pro Bürger und Jahr auf einem Fahrrad zurückgelegt, hat sich dieser Wert bis 2020, einem Zwischenhoch der Fahrradnutzung fast verdoppelt. Das Ergebnis lautete, dass 2007 alle 46,4 Millionen gefahrene Kilometer ein Radfahrer oder eine Radfahrerin tödlich verunglückte. Im Jahr 2020 war diese Zahl bereits auf fast 98 Millionen Kilometer gestiegen. Das wäre eine bemerkenswerte Verbesserung der Situation.

Die älteren Pedelec-Fahrenden haben seit jeher das größte Risiko, mit ihrem Fahrzeug zu verunglücken. Relativ neu ist die zunehmende Zahl an Unfällen mit E-Bikes für Kinder.

E-Bikes gefährlicher als Fahrräder?

Völlig eindeutig ist die Formulierung, die Destatis beim Vergleich zwischen tödlichen E-Bike- und tödlichen Fahrradunfällen wählt: „Pedelec-Unfälle mit Personenschaden enden häufiger tödlich als Unfälle mit Fahrrädern ohne Hilfsmotor.“
256 Menschen kamen im Jahr 2023 bei Verkehrsunfällen auf nicht motorisierten Fahrrädern ums Leben. Weitere 188 Menschen starben im Verkehr auf einem Pedelec. Die Summe ergibt eine Zahl, die erstens viel zu hoch ist und zweitens leider im langjährigen Durchschnitt liegt. In den Jahren seit 2007 bis 2020 starben zwischen 354 Radfahrende (im Jahr 2013) und 462 Menschen (im Jahr 2009) auf deutschen Straßen. Ein naheliegender Schluss wäre also, dass sich die Infrastruktur nicht maßgeblich verbessert hat. Doch auch hier wäre es angemessen, angesichts der mehr genutzten Pedelecs die Kilometerleistungen zu berücksichtigen. Zumindest Destatis scheint etwas in Relation gesetzt zu haben, denn wenn man sagt, dass „Pedelec-Unfälle mit Personenschaden häufiger tödlich enden“, obwohl die absoluten Zahlen geringer sind als bei unmotorisierten Fahrrädern, dann wurde die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrenden offenkundig mit irgendetwas in Bezug gesetzt. Tatsächlich wurde die Zahl der Toten in Relation gesetzt zu je 1000 regis­trierten Pedelec-Unfällen. Gleiches geschah mit normalen Fahrrädern. Im Ergebnis starben 2023 damit 7,9 Fahrerinnen pro 1000 Pedelec-Unfällen, während 3,6 Menschen pro 1000 Fahrradunfällen tödlich verunglückten. Das ist aber etwas anderes, als die tödlich endenden Unfälle mit Fahrleistungen in Relation zu setzen oder mit den Fahrrad- und E-Bike-Beständen. Bereits vor zwei Jahren hat eine Untersuchung der Unfallforscher der Versicherer (UDV) die Zahlen auf Kilometerleistungen bezogen. Das (in vielen Medien als überraschend bezeichnete) Ergebnis damals: E-Bikes sind nicht gefährlicher als unmotorisierte Fahrräder. Angenommen wurde, dass E-Bikes im Durchschnitt 1,8 Mal längere Strecken zurücklegen als klassische Fahrräder. Ob diese Zahl aktuell noch stimmt, sei dahingestellt (die Zahlen stammten aus der Studie „Mobilität in Deutschland“, 2017). Schon der Faktor 1,8 verändert alles. „Im Ergebnis zeigte sich, dass erwachsene Pedelec-Fahrer:innen zwischen 35 und 74 Jahren kein erhöhtes fahrleistungsbezogenes Unfallrisiko aufweisen“, heißt es in der Studie. „Hingegen zeigte sich für jüngere (18- bis 34-jährige) und ältere (über 75-jährige) Pedelec-Fahrer:in-nen ein erhöhtes fahrleistungsbezogenes Risiko, an einem Unfall beteiligt zu sein beziehungsweise diesen zu verursachen“, berichten die UDV-Expertinnen.

Risikofaktor Alter

Das Alter der Rad- und Pedelec-Fahrenden ist also tatsächlich ein größerer Einflussfaktor als ihr Fahrzeug. Insbesondere gilt beim Pedelec darauf hinzuweisen, dass die Nutzerinnen durchschnittlich älter sind als die unmotorisierten Radfahrenden: »Menschen, die auf einem Pedelec verletzt oder getötet wurden, waren im Durchschnitt 53 Jahre alt und damit trotz des sinkenden Durchschnittsalters älter als auf einem nichtmotorisierten Fahrrad Verunglückte mit durchschnittlich 42 Jahren. Bei älteren Menschen ist die Wahrscheinlichkeit höher, sich bei einem Sturz schwer oder tödlich zu verletzen als bei jüngeren«, heißt es dazu von Destatis. Das sinkende Durchschnittsalter von Pedelec-Nutzerinnen ist nicht bloß ein Markterfolg für die Branche, sondern schlägt sich auch in den Unfallzahlen nieder, wie auch Destatis bemerkt: „Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahl der Menschen, die mit einem Pedelec tödlich verunglückten, je 1000 Pedelec-Unfälle mit Personenschaden in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist: 2014 waren es noch 17,4 Getötete je 1000 Pedelec-Unfälle (gegenüber 7,9 Getöteten im Jahr 2023). Auch dies ist unter anderem auf das sinkende Alter der Verunglückten zurückzuführen.“
Für die Fahrradwelt muss wohl in Zukunft die Aufgabe lauten, viel deutlicher auf die Relation zur Fahrleistung hinzuweisen, diese zu kommunizieren und diese Zahlen dann auch griffbereit parat zu haben. Die Darstellung des Fahrrads als eine gefährliche Art der Fortbewegung ist mindestens irreführend. Gleichzeitig kann sich niemand mit jährlich über 400 tödlich verunglückten Fahrradfahrenden abfinden. Dazu kommt das Leid derjenigen, die überleben, aber bei ihren Unfällen mehr oder weniger stark verletzt werden. Über diese 70.900 Unfälle auf Fahrrädern und weitere 23.658 auf Pedelecs wurde hier gar nicht eingegangen. Ebensowenig wie auf das Auto als Hauptverursacher dieser Unfälle. Die Infrastruktur bleibt der Schlüssel für den langfristigen Erfolg des Fahrrads. Den Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur empfahl auch der UDV als Ergebnis seiner Untersuchung.


Bild: stock.adobe.com – VanHope
Grafik: Destatis

Der CO₂- und Kosteneffizienzrechner (CoKo) dürfte vor allem Klimaschutzbeauftragten in Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsalltag und die Kommunikation erleichtern. Das Projekt zeigt aber auch auf, wie komplex die Aufgabe der CO₂ -Bilanzierung ist.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Klimaschutz zu bilanzieren ist eine Pflicht, an der heute keine Kommune mehr vorbeikommt. Der genaue Blick auf die Emissionen ist wichtig, um effektiv an den Klimazielen arbeiten zu können. Marius Reißner vom Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) erläutert: „Das Thema Klimaschutz ist meistens in den Kommunen primär eben bei speziell für diesen Zweck eingestellten Klimaschutzmanagerinnen und -managern angesiedelt. Die haben den Auftrag, für ihre jeweilige Kommune eine Klimaschutzbilanz zu erstellen.“
Längst läuft diese Tätigkeit mithilfe digitaler Tools, etwa dem sektor-übergreifenden Klimaschutzplaner oder der Software ClimateOS von Anbieter ClimateView ab. Mit dem neuen Berechnungs-Tool CoKo wollen Reißner und seine Kolleg*innen aus dem Zukunftsnetz Mobilität NRW und vom VRS-Schwesterunternehmen Go.Rheinland die herkömmlichen Werkzeuge nicht ersetzen. In den Bereichen, die diese abdecken, gehen der Klimaschutzplaner und Co. weit über den Leistungsumfang von CoKo heraus. „Da sind Themen wie Industrie und Gebäude mit drin, auch Themen, die aus meiner Sicht anders gelagert sind und die man anders betrachten muss als Verkehr, weil es sich um stationäre Anlagen handelt“, sagt Reißner.
Anstelle detaillierter Bilanzierungen bietet CoKo eine einfache und schnelle Übersicht, welche Maßnahmen im Mobilitätssektor welche Einsparungen an Emissionen und welchen Modal Shift in einer bestimmten Kommune erreichen können. Das Werkzeug befindet sich seit Juni dieses Jahres nach einer Testphase im Live-Betrieb. Primär finanziert vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen steht das Projekt allen Kommunen in NRW kostenlos zur Verfügung.

1000 neue Fahrradstellplätze für Bonn, fertiggestellt in 2024: So schätzt CoKo die Klimaschutzwirkung dieser Maßnahme ein.

Niedrigschwellige Kalkulation

Die Kernzielgruppe von CoKo sind Mobilitätsmanagerinnen, die in ihrer Schnittstellenfunktion viele Themenbereiche verknüpfen. Manchmal fehle ihnen die Kapazität, sich vertieft in das Thema Klimaschutzwirkung einzuarbeiten, erklärt Reißner. „In diese Lücke soll CoKo gehen. Es ist eben ein sehr niederschwelliges Tool und soll einen niederschwelligen Zugang zu dem Thema Klimaschutz im Verkehrsbereich bieten.“ Reißner und das restliche Projekt-Team sehen in ihrem Werkzeug den Vorteil, dass es der Verwaltung viel Arbeit abnehmen kann. Das gilt gerade im Vergleich zu komplexeren Tools wie dem Klimaschutzplaner, wo man zunächst viele Daten auf kommunaler Ebene akquirieren muss. Hinzu kommt, dass der Verkehr sich in seinen Auswirkungen auf das Klima von anderen Sektoren unterscheidet und eine gesonderte Betrachtung insofern Sinn ergibt. Reißner: „Im Verkehrsbereich behandelt man sich bewegende Objekte, was die Bilanzierung durchaus herausfordernder macht. Da kommen Fragen auf, die bei Gebäuden oder Industrie gar nicht von Belang sind. Macht es zum Beispiel Sinn, Wege an Kommunengrenzen abzuschneiden und hat man dafür die passenden Daten?“ In der Mobilität wirken verschiedene Einflussfaktoren zusammen. Reißner identifiziert hier einen Forschungsbedarf: „Man weiß nicht genau, wie sich verschiedene Maßnahmen zueinander verhalten. Haben die eher sich verstärkende oder sich abschwächende Effekte? Nehmen wir mal das Beispiel Radverkehr: Man baut die Radwege aus, baut aber auch Radabstellanlagen. Hat das eher einen Effekt, der über die Summe der Einzelmaßnahmen hinausgeht? Oder zielt man eher auf die gleiche Zielgruppe ab?“ Wo aktuell noch die Grenzen eines generischen Tools wie CoKo liegen, könnten sie durch zukünftige Forschung weiter verschoben werden. Reißner und seine Kolleginnen planen außerdem, die hinterlegten Daten aktuell zu halten. Außerdem wolle man die Maßnahmeneingabe weiter vereinfachen. Diese Änderungen sollen im laufenden Betrieb möglich sein.

Marius Reißner, Verkehrsverbund Rhein-Sieg

Kommunikation unterstützen

CoKo liefert keine genaue Bilanzierung, sondern nur eine Ersteinschätzung. Dennoch könne die Quantifizierung die Planer*innen kommunikativ ermächtigen, ob innerhalb der Verwaltung oder gegenüber der kommunalen Bevölkerung. Die Kommunikation erweise sich oft dann als besonders wichtig, wenn lokale Veränderungen über lockende Pull-Maßnahmen hinaus in den Bereich der Push-Maßnahmen gehen. Diese schätzt Reißner als sehr wichtig ein, entsprechende Beschlüsse zu erwirken sei aber schwierig: „Aus unserer Erfahrung ist für Kommunen die Etablierung des Zusammenspiels aus Push- und Pull-Maßnahmen sehr herausfordernd.“ Als Beispiel nennt er Bewohnerparkgebühren. „Es ist mittlerweile in vielen Bundesländern so, dass Kommunen das selbst entscheiden können. Das versuchen wir natürlich, zu unterstützen. Die Beschlüsse kommen langsam rein, es ist aber sehr zurückhaltend und zaghaft, da die Kommunalpolitik den geschaffenen Handlungsspielraum noch zu selten nutzt.“
Diese ausbleibende Klimaschutzwirkung lässt sich mit CoKo verdeutlichen. Verwaltungen können zeigen: „Wenn wir uns nur auf bestimmte Pull-Maßnahmen konzentrieren können, verschenken wir Potenzial und können mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen.“, erklärt Reißner. Konkrete Ziele können schließlich Handlungsdruck erzeugen. Und sie lassen sich mit einem Strauß an Maßnahmen am besten erreichen.


Bild: go.Rheinland – Smilla Dankert
Grafik: Zukunftsnetz Mobilität NRW

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Branchenreport veröffentlicht

Radlogistikbranche erwartet stabiles Wachstum

Im Branchenreport 2024 zeichnet der Radlogistikverband Deutschland (RLVD) ein positives Bild, was die Entwicklung im Bereich Radlogistik anbelangt. Eine Vision stellt noch eine besondere Herausforderung dar.

Rund 5400 Beschäftigte waren 2023 in der Radlogistik tätig, vor allem in kleinen und mittelständischen Betrieben.

Trotz globaler Herausforderungen verzeichnet die Radlogistikbranche stabiles Wachstum und blickt optimistisch in die Zukunft. Das ist eine zentrale Aussage aus dem soeben veröffentlichten Branchenreport 2024, der in der vollständigen Version auf der Website des RLVD verfügbar ist.
„Unser Ziel ist es, bis zum Ende der 2020er-Jahre 30 Prozent des urbanen Wirtschaftsverkehrs auf Lastenräder oder -anhänger zu verlagern“, erklärt Tom Assmann, Vorstand des RLVD. „Dieser Bericht zeigt, dass wir trotz widriger Umstände weiter aktiv für eine nachhaltige Wirtschaft kämpfen.“ Der Branchenreport prognostiziert ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 10 Prozent, was jedoch nicht ausreicht, um die Vision einer CO2-neutralen urbanen Logistik vollständig zu realisieren.
Assmann fordert daher die Politik auf, faire Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit und Innovation zu schaffen. Dazu gehören die Integration von Lastenrädern in die öffentliche Beschaffungspolitik, die Wiederauflage der Lastenradförderung des Bundes und eine verlässliche Finanzierung des Ausbaus der Radverkehrsinfrastruktur.

Branchenzahlen

Im Jahr 2023 waren rund 5400 Beschäftigte in der Radlogistik tätig. Der Report zeigt, dass die meisten Unternehmen kleine und mittelständische Betriebe sind. Der Umsatz der Branche lag im vergangenen Jahr bei 183 Millionen Euro, was eine stabile bis leicht wachsende Tendenz gegenüber dem Vorjahr darstellt. Insgesamt wurden 37.650 Lastenräder und -anhänger für den gewerblichen Sektor im Jahr 2023 verkauft, 95 Prozent davon mit elektrischer Antriebsunterstützung. Lastenanhänger stellen mit ca. 12.000 abgesetzten Modellen einen immer relevanteren Anteil des Verkaufs dar.
Nicolas Schüte, Hauptautor der Studie von der Technischen Hochschule Wildau, betont: „Die Nutzung von Lastenrädern für gewerbliche Zwecke ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein nachhaltiges Konzept mit viel Potenzial. Wir sehen immer mehr Anwendungsfälle, von mobilen Kaffeebars bis zur ambulanten Pflege, die von der Radlogistik profitieren können.“

Klimaschutz

Die Radlogistik leistet einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. Im Jahr 2023 wurden rund acht Millionen Kilometer mit Lastenrädern zurückgelegt, was zu einer Einsparung von etwa 2100 Tonnen CO2 führte, wie der RLVD vorrechnet. Der Verband verweist zudem auf Umfrageergebnisse, die aufzeigen, dass die Verkehrssicherheit durch Radlogistik deutlich verbessert wird.
Bisher gibt es seit Start der Erhebung keine Schwerverletzten oder Verkehrstoten. „Die tendenziösen Negativschlagzeilen zu Tests von Lastenrädern und -anhängern sind vorwiegend Quatsch. Die Berichte sind leider fast durchweg aus dem Zusammenhang herausgerissen dargestellt. Im Tagesgeschäft auf der Straße sehen wir, dass die Fahrzeuge sicher sind“, kommentiert Martin Schmidt, Vorstand im RLVD.


(jw)


Umfrage gestartet

Wie steht es ums Fahrradparken in Deutschland?

Das Hamburger Planungsbüro Argus Stadt und Verkehr versucht mit einer aktuellen Umfrage, den Wissensstand zum Fahrradparken in der Stadtverkehrsplanung zu verbessern.

Die Mobilitätswende werde vielerorts durch bessere Bedingungen für das Fahrradfahren vorangetrieben, ordnen die Studienmacher ein. Das Parken von Fahrrädern sei in urbanen Wohnquartieren jedoch häufig von Verlegenheitslösungen gekennzeichnet. Das könnte potenziell die Fahrradnutzung hemmen. Doch wie genau ist es um die Abstellmöglichkeiten im Wohnumfeld der Deutschen bestellt? Und welche Folgen ergeben sich daraus? Diesen Fragen will Argus Stadt und Verkehr in einer neuen Umfrage nachgehen.

Teilnahme bis 18. September möglich

Wer an der Umfrage teilnehmen möchte, kann dies mit einem Smartphone, Tablet oder Computer bis zum 18. September tun. Danach will das Team von Argus Stadt und Verkehr die Ergebnisse auswerten und publik machen. Insbesondere für die Stadtverkehrsplanung soll die Umfrage wichtige Erkenntnisse liefern.

(sg)


Von Yunex Traffic

Ein grünes Band für den Radverkehr

In Hamburg hat die Yunex Traffic GmbH ihre Lösung PrioBike an einer weiteren Kreuzung verbaut. Welche Vorteile die LED-Bodenleuchten für den Radverkehr bieten.

Die Stadt Hamburg will mit der Installation der Lösung PrioBike von Anbieter Yunex Traffic den Radverkehr stärken. Dafür wurde die optische Geschwindigkeitsempfehlung an der Kreuzung Jahnring/Saarlandstraße installiert. 18 LED-Bodenleuchten im Abstand von 3,5 Metern simulieren ein grünes Band, das den Radfahrenden anzeigt, wie sie die Grünphase optimal nutzen können. Dies erhöhe die Sicherheit, den Komfort und die Effizienz des Radverkehrs, heißt es vom Hersteller. „Durch die Anzeige werden abrupte Bremsmanöver und das Überqueren in letzter Sekunde vermieden. Diese Technologie trägt zu einem gleichmäßigeren und flüssigeren Verkehrsfluss auf den Radwegen bei und steigert sowohl die Sicherheit als auch die Effizienz des Radverkehrs. Eine angenehmere Fahrerfahrung ist das Ergebnis dieser Maßnahme“, heißt es vom Unternehmen.
Die einzelnen LEDs zeigen nacheinander grünes Licht und erscheinen den Radfahrer*innen wie ein mitlaufendes Band, das die Grünphase der Ampel symbolisiert. Wer innerhalb des grünen Bands fährt, kann die Kreuzung sicher queren. Im Dezember 2022 war bereits eine PrioBike-Fahrradsäule an der Kreuzung Rothenbaumchaussee/Ecke Edmund-Siemers-Allee in Hamburg installiert worden.

(sg)


Statistisches Bundesamt

Neue Zahlen zu E-Scooter-Unfällen veröffentlicht

Die Zahl der genutzten E-Scooter in Deutschland steigt Jahr für Jahr an. Demzufolge überrascht auch nicht, dass die Zahl der Unfälle mit diesen Fahrzeugen zunimmt. Das Statistische Bundesamt hat die genauen Daten veröffentlicht.

Das häufigste Fehlverhalten von E-Scooter-Fahrer*innen war im vergangenen Jahr die falsche Benutzung der Fahrbahn oder der Gehwege.

Insgesamt ist die Zahl der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden um 14 Prozent auf 9423 im Jahr 2023 gestiegen. Dabei kamen 22 Menschen (Vorjahr 11) ums Leben. 1220 Menschen wurden 2023 schwer und 8911 leicht verletzt. 83 Prozent der Verunglückten waren selbst mit dem E-Scooter unterwegs, darunter auch 21 der 22 Todesopfer.
Besonders junge Menschen sind bei solchen E-Scooter-Unfällen beteiligt. Diese nutzen die Fahrzeuge auch eher als ältere Menschen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, waren im vergangenen Jahr 41,6 Prozent der verunglückten E-Scooter-Fahrenden jünger als 25 Jahre, 80,4 Prozent waren jünger als 45 Jahre.
Dagegen gehörten nur 3,4 Prozent der E-Scooter-Nutzerinnen, die an einem Unfall mit Personenschaden beteiligt waren, zur Altersgruppe 65+. Zum Vergleich: Bei den Unfallopfern, die mit dem Fahrrad oder Pedelec unterwegs waren, war der Anteil in dieser Altersgruppe mit 19,6 Prozent deutlich höher. Gleichzeitig war nur knapp die Hälfte (48,7 Prozent) von ihnen jünger als 45 Jahre, nur 22,1 Prozent waren nicht älter als 25 Jahre. Unfälle entstehen häufig durch Fehlverhalten. Das häufigste Fehlverhalten mit einem Anteil von 19,4 Prozent war die falsche Benutzung der Fahrbahn oder der Gehwege. Vergleichsweise häufig legte die Polizei den E-Scooter-Fahrerinnen das Fahren unter Alkoholeinfluss zur Last (15,1 Prozent). Zum Vergleich: Im selben Zeitraum waren es bei Fahrradfahrenden 8,1 Prozent und bei zulassungsfreien Krafträdern wie Mofas, S-Pedelecs und Kleinkrafträdern 7,4 Prozent. Nicht angepasste Geschwindigkeit war das dritthäufigste Fehlverhalten, das die Polizei bei E-Scooter-Fahrerinnen feststellte (7 Prozent), danach folgte die Missachtung der Vorfahrt (5,8 Prozent). An knapp zwei Dritteln (6115) der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden war eine zweite Person beteiligt, meist fuhren diese Personen Autos (3930 Unfälle). Knapp die Hälfte (48 Prozent) der verunglückten E-Scooter-Nutzenden wurden bei eben solchen Zusammenstößen mit Pkw verletzt. Zum Vergleich: An 913 (9,7 Prozent) E-Scooter-Unfällen waren Radfahrende beteiligt, bei diesen Zusammenstößen wurden aber nur 4,5 Prozent der verunglückten E-Scooter-Fahrenden verletzt. Insgesamt spielen E-Scooter im Unfallgeschehen eine vergleichsweise geringe Rolle: 2023 registrierte die Polizei insgesamt 291.890 Unfälle mit Personenschaden, lediglich an 3,2 Prozent waren E-Scooter-Fahrerin-nen beteiligt. 2022 war der Anteil mit 2,9 Prozent noch etwas geringer. Deutlich wird der Unterschied im Vergleich zu Fahrradunfällen: Im Jahr 2023 hat die Polizei deutschlandweit rund 94.468 Unfälle mit Personenschaden registriert, an denen Fahr-radfahrer*innen beteiligt waren, das war ein knappes Drittel (32,4 Prozent) aller Unfälle mit Personenschaden.


(jw)


Mobilitätsstudie von Linexo by Wertgarantie

Was hindert Deutsche am Radfahren?

Für eine Mobilitätsstudie hat Linexo by Wertgarantie in Zusammenarbeit mit Statista rund 5000 Personen befragt. Die Ergebnisse daraus wurden jetzt veröffentlicht.

Fahrrad und E-Bike sind wichtige Bausteine bei der Verkehrswende und der nachhaltigen Mobilität. Gleichwohl ist immer noch viel Luft nach oben, dies voranzutreiben. 51,4 Prozent der Deutschen nutzen ihr E-Bike und 46 Prozent das Fahrrad, um umweltschonend unterwegs zu sein, geht aus der neu veröffentlichten Studie hervor. Für nahezu die Hälfte aller E-Bike- und immerhin 46 Prozent der Fahrradfahrenden ist das Zweirad eine Alternative zum Pkw und ÖPNV.
Nachhaltigkeit beginnt jedoch bereits bei der Anschaffung des Bikes: Ein gutes Drittel der E-Biker*innen achtet auf Herkunft und Produktionsweise; beim Fahrrad sind es knapp 30 Prozent. Doch nur etwa 40 Prozent der Fahrrad- und gut 36 Prozent der E-Bike-Fahrenden würden mehr Geld für ein nachhaltig hergestelltes Rad zahlen. „Bike-Leasing könnte die Lücke zwischen Umweltbewusstsein und nachhaltiger Konsumentscheidung schließen“, stellt Sören Hirsch, Bereichsleitung Bike bei Linexo by Wertgarantie, fest. „Ohne Fahrrad und E-Bike ist klimafreundliche und aktive Mobilität nicht mehr denkbar“.
Der Anteil der Lastenrad-Fahrenden unter den Befragten ist mit rund 10 Prozent noch gering. Das Interesse ist weitaus größer: Etwa 15 Prozent derjenigen, die bislang kein Lastenrad haben, zeigen großes Interesse – jedoch schrecken nahezu 70 Prozent vor den hohen Anschaffungskosten zurück. Die Bereitschaft zu klimafreundlicher Mobilität fällt damit wirtschaftlichen Bedenken zum Opfer.


(jw)


Minister Wissing rudert zurück

STVZO-Verschärfung für Fahrradanhänger offenbar vom Tisch

Die Hersteller von Fahrradanhängern gingen auf die Barrikaden, als die Pläne des Verkehrsministeriums hinsichtlich einer Verschärfung für die Nutzung von Fahrradanhängern publik wurden. Die Bedenken wurden offenbar erhört.

Pläne des Verkehrsministeriums, die StVZO so zu ändern, dass für die Nutzung von Fahrradanhängern ab einem bestimmten Gesamtgewicht eine Auflaufbremse zwingend vorgeschrieben ist, sind zwischenzeitlich wieder vom Tisch. Nachdem die Pläne bekannt wurden, formierte sich Widerstand – und unter Führung von Peter Hornung vom Anhängerhersteller Hinterher wurde argumentativ eine PR-Kampagne aufgesetzt, die auf die Folgen einer solchen Verschärfung in der Praxis hinwies. Zudem wurde eine Petition auf der Kampagnen-Website Campact gestartet, die 83.000 Menschen unterschrieben. „Das ist ein toller Achtungserfolg“, erklärt Peter Hornung.
Auch politisch hat der Druck aus der Industrie und Bevölkerung wohl gewirkt. Spiegel Online zitiert dazu eine Sprecherin des Ministeriums. Demnach werde es lediglich bei einer „Empfehlung“ bleiben. Das Ziel der verschärften Vorschrift sei es gewesen, die Sicherheit der Nutzung von Fahrradanhängern im Straßenverkehr zu erhöhen.

(jw)


Bilder: Markus Franke – Argus Stadt und Verkehr, Yunex Traffic, Tier Mobility, Hinterher.com

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Nach Insolvenz:

Deutscher Elektroroller-Hersteller übernimmt UNU

Für die Elektrorollermarke Unu geht es weiter. Nachdem das Unternehmen im vergangenen Oktober Insolvenz anmelden musste, findet es sich jetzt unter einem neuen Firmendach wieder.

Bis zu 60 Kilometer Reichweite mit einer Akku-Ladung bieten die Elektroroller von Unu.

Der im Jahr 2013 von Mathieu Caudal und Pascal Blum in Berlin gegründet Elektrorollerhersteller Unu war im vergangenen Herbst aufgrund einer stark rückläufigen Nachfrage in Verbindung mit gestiegenen Material- und Logistikkosten in eine finanzielle Schieflage geraten. Jetzt konnte Insolvenzverwalter Dr. Gordon Geiser den Abschluss des Insolvenzverfahrens vermelden. Der Elektrorollerhersteller Emco hat die Geschäftsanteile, den Vertrieb und den Service der Marke Unu übernommen. Mehr als 10.000 bestehende Unu-Kunden haben damit auch künftig einen Ansprechpartner in Sachen Service. Allerdings werden Garantieansprüche aus der Vergangenheit nicht übernommen, wie es in einer Mitteilung von Unu heißt.
Die Fortführung des Berliner Flagship-Stores sowie die Integration einiger Unu-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen geprüft werden.
Dr. Gorden Geiser erklärt: „Trotz eines äußerst schwierigen Marktumfeldes und der Insolvenz zahlreicher Wettbewerber ist es uns gelungen, eine für alle Beteiligten tragfähige Lösung zu finden. Mit Emco Electroroller GmbH steht uns ein starker Partner zur Seite, der mit über 480 Partnerwerkstätten in Deutschland und einer profunden Marktkenntnis die Werte und das Erbe von Unu wertschätzt und weiterentwickeln wird.“
Gavin von Schweinitz, Geschäftsführer von Emco Electroroller GmbH, sagt zur strategischen Bedeutung der Übernahme: „Unu steht nicht nur für Innovation und starkes Design, sondern ist eine starke und etablierte Marke. Diese Attribute passen perfekt zu Emco, und wir sind entschlossen, die Marke Unu erfolgreich in unser Portfolio zu integrieren. Die Reichweite einer bekannten und beliebten Marke wie Unu, gepaart mit unserer langjährigen Erfahrung im Markt, ermöglicht es uns, neue Zielgruppen zu begeistern. Wir sind zuversichtlich, dass sich der Markt für Elektromobilität erholen wird und dass Emco und Unu gemeinsam eine führende Rolle in diesem spannenden Zukunftsmarkt einnehmen werden.”

(jw)


37,4 Millionen Radurlauber

ADFC-Radreiseanalyse zeigt differenzierte Entwicklung

Die verschiedenen Arten der Ausflüge und Reisen mit dem Rad entwickeln sich sehr unterschiedlich. Die repräsentative ADFC-Radreiseanalyse untersucht erstmals neue Segmente des Radtourismus und wird diesen Unterschieden dadurch besser denn je gerecht.

Der ADFC hat seine jährliche Radreiseanalyse neu aufgesetzt und sie auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) präsentiert. Die Umfrage schnitt 2024 mit einer Rekordbeteiligung ab. In der Bilanz ergab die Analyse, dass 37,4 Millionen Menschen in Deutschland das Rad im Urlaub und für Tagesausflüge nutzten. Gegenüber 2022 ist die Zahl der Radreisenden zurückgegangen, die Zahl der Tagesausflüge aber deutlich gestiegen. Der ADFC hat erstmals auch die täglichen Ausgaben erhoben, die die Reisenden tätigen.
ADFC-Tourismusvorstand Christian Tänzler sagt: „Mit dem Relaunch der ADFC-Radreiseanalyse machen wir das riesige Potenzial des Radtourismus erstmals komplett sichtbar. Und die Zahlen sind beeindruckend: Gut 37 Millionen Menschen in Deutschland sind 2023 im Urlaub und auf Tagesausflügen Rad gefahren, das ist mehr als die Hälfte der Erwachsenen. Deutschland ist eben das beliebteste Radreiseland der Welt. Trotz rückläufiger Zahlen bei den Radreisen freue ich mich über einen Trend besonders: 2024 wollen wieder mehr Menschen Radreisen unternehmen und auch häufiger im Urlaub Fahrradfahren. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen.“
Nach dem Relaunch nimmt die Untersuchung nun vier Segmente des Radtourismus in den Blick. Neu ist neben den klassischen Radreisen und Tagesausflügen auch das Radfahren im Urlaub, wenn es nicht das Hauptmotiv der Reise ist. Dieses Segment, so zeigt sich, ist groß: 10,6 Millionen Menschen sind 2023 im Urlaub Rad gefahren, mehr als die Hälfte hat das Rad dabei mindestens an zwei Dritteln der Tage genutzt.
Ebenfalls neu ist die Kategorie der Kurzradreisen mit ein bis zwei Übernachtungen. 2023 haben fünf Millionen Menschen insgesamt sieben Millionen dieser Kurzreisen unternommen. Klassische Radreisen verzeichnen dagegen einen deutlichen Rückgang. Statt 4,6 Millionen Menschen wie in 2022 haben nur 3,6 Millionen Menschen 2023 eine Reise aus dieser Kategorie auf sich genommen. Die Entwicklung der Tagesausflüge ist gegenläufig. Die Gesamtzahl der Tagesausflüge stieg um 10 Millionen, von 445 im vorletzten auf 455 Millionen im letzten Jahr.

Erstmals erhoben: Tagesausgaben

Um zu schätzen, wie wirtschaftlich bedeutsam der Radtourismus in Deutschland ist, hat der Fahrradclub auch die Ausgaben der Radreisenden untersucht. Kurzreisende gaben im Schnitt 130 Euro pro Tag aus, wodurch dieses Segment insgesamt auf zwei bis drei Milliarden Euro kommt.
Im Segment mit mindestens drei Übernachtungen lagen die Durchschnittskosten bei 117 Euro pro Tag, was in der Summe 6 bis 7 Milliarden Euro bedeutet. Bei den Tagesausflügen investierten die Radreisenden rund 32 Euro weniger.
Die Gesamtausgaben lagen 2023 bei etwa 14 bis 15 Milliarden Euro. Wer im Urlaub Rad fuhr, gab im Schnitt 123 Euro pro Person und Tag aus.

Beliebte Ziele ähnlich wie 2022

Wenig verändert haben sich die Ergebnisse, wenn es darum geht, welche Radfernwege und Radreiseregionen beliebt sind. Die Favoriten verlaufen an der Weser, der Elbe und der Ostseeküste, alle Radfernwege in den Top 10 führen an Gewässern entlang. Die meistbesuchten Regionen sind die Grafschaft Bentheim-Emsland-Osnabrücker Land, Bodensee, die schleswig-holsteinische Ostsee- und die niedersächsische Nordseeküste.

(sg)


Wirtschaftsfaktor Fahrrad & Co.

Nachhaltige Mobilitätswirtschaft sorgt für 118 Milliarden Euro Wertschöpfung

Ein Bündnis aus vier Mobilitätsverbänden, darunter Zukunft Fahrrad, hat eine Studie präsentiert, die die wirtschaftliche Bedeutung der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft beziffert. Außerdem wurden zehn gemeinsame Forderungen aufgestellt.

Vier Verbände haben gemeinsam den volkswirtschaftlichen Nutzen alternativer Mobilitäts-formen untersucht.

1,7 Millionen Beschäftigte und 118 Milliarden Euro Wertschöpfung. Diese Kennzahlen hat die Studie „Volkswirtschaftliche Effekte der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft“ hervorgebracht, die von einem Bündnis aus Zukunft Fahrrad, der Allianz pro Schiene, dem Bundesverband CarSharing (BCS) und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen in Auftrag gegeben und durch das Conoscope-Institut umgesetzt wurde. Der Wirtschaftsstandort Deutschland profitiere stark von den Unternehmen der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft, resümiert das Bündnis die Ergebnisse mit Blick auf die Wertschöpfung, aber auch hinsichtlich der Beschäftigungs- und Einkommenseffekte.
Untersucht wurden der Schienenverkehr, der Busverkehr, die Fahrradwirtschaft, das Carsharing sowie die Taxibranche in ihrer Gesamtheit als Wirtschaftsfaktor für Deutschland. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen wurden hinsichtlich direkter, indirekter und induzierter (durch die Einkommen der Beschäftigten hervorgerufenen) Effekte unterschieden. Die direkte Wertschöpfung liegt bei 34,9 Milliarden Euro, indirekt und induziert führt die nachhaltige Mobilitätswirtschaft weitere 82,7 Milliarden Euro an Wertschöpfung herbei. Der Multiplikator zwischen diesen Werten liegt bei 2,4 und damit höher als in vielen anderen Branchen (Automobil: 2,1; Chemie: 1,9; Luftfahrt 1,7). „Jeder Euro, der durch Unternehmen der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft in Deutschland erwirtschaftet wird, erzeugt eine zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von 2,40 Euro“, erklärt das Bündnis.
1,7 Millionen Voll- und Teilzeitbeschäftigte finden aktuell durch die nachhaltige Mobilitätswirtschaft Arbeit. Davon sind 499.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt bei den Betrieben des Wirtschaftszweigs beschäftigt, der Rest etwa bei Zulieferern und nachgelagerten Dienstleistern. Insgesamt werden 66,8 Milliarden Euro an Einkommen generiert, davon 22,9 Milliarden direkt in der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft.
Wasilis von Rauch von Zukunft Fahrrad fasst bei der Pressekonferenz in Berlin zusammen: „Wir können eben zeigen, dass die nachhaltige Mobilitätswirtschaft sich nicht nur aus Klimasicht für lebenswerte Städte oder eine gerechtere Gesellschaft lohnt, sondern eben auch als volkswirtschaftlicher Aspekt.“ Die volkswirtschaftliche Leistung sei insbesondere im Mittelstand spürbar. Dort könne man gegebenenfalls auch Fachkräfte aus anderen Branchen auffangen. In einer Mitteilung erklärt von Rauch weiter: „Gefragt ist jetzt ein politischer Gestaltungswille, der nachhaltige Mobilität sowohl mit den Zielen Sicherheit, Gesundheit, Klima und Lebensqualität sowie mit Blick auf die wirtschaftlichen Chancen gezielt fördert. So können Bahn, ÖPNV, Fahrrad und Carsharing gemeinsam ihre Stärken ausspielen.“

Mehr Mobilität mit weniger Verkehr

Begleitend zur Studie wurde eine Umfrage durchgeführt, die zeigt, dass die Menschen eine Veränderung wahrnehmen. Die Angebote für nachhaltige Mobilität haben sich für 6 Prozent der Befragten deutlich und für 34 Prozent etwas verbessert. Starke Unterschiede ergäben sich allerdings je nach Größe der Kommune. Den größten Handlungsbedarf sehen 80 Prozent der Befragten bei Bus- und Bahnverbindungen. Für 44 Prozent ist eine bessere Radinfrastruktur und für 42 Prozent die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel innerhalb eines Weges wichtig. In diesen Forderungen, so betont das Bündnis, stecken große Chancen sowohl für die Verkehrs- als auch für die Wirtschaftspolitik.
Das Bündnis nachhaltige Mobilitätswirtschaft betont die großen Chancen, die für die Bundesregierung, Länder und Kommunen in der Förderung nachhaltiger Mobilität sowohl für die Verkehrs- als auch für die Wirtschaftspolitik liegen. „Wenn 80 Prozent der Menschen in Deutschland den Ausbau von Bus- und Bahnverbindungen als notwendig ansehen, ist das ein klarer Auftrag an Bund und Länder, die Regionalisierungsmittel zu erhöhen“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer Allianz pro Schiene.

Zehn Forderungen

Alexander Möller vom VDV sieht eine Diskrepanz dazwischen, dass die Politik eine maximale Transformation von den Unternehmen und Beschäftigten erwarte, aber nicht passend priorisiere: „Der Ausbau- und Modernisierungspakt aus dem aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel ist die Chance, das Angebot des ÖPNV zu erhalten, auszubauen und zu digitalisieren. Dabei müssen Ballungsräume, ländliche Räume und Dienste wie On-demand-Angebote besonders in den Fokus genommen werden. Zusätzlich müssen die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz für den Neu- und Ausbau sowie für die Modernisierung der Infrastrukturen im ÖPNV erhöht werden.“ Niemand sollte mehr aufs Auto angewiesen sein, so Möller bei der Pressekonferenz. Im ländlichen Raum könne es derzeit aber schon als Erfolg gewertet werden, wenn das zweite oder dritte Auto abgeschafft werde.
Das Bündnis fordert weiterhin etwa, die steuerrechtliche Anwendung von Mobilitätsbudgets zu vereinfachen. Auch müssen die Bahnhöfe aufgewertet und die Regionalisierungsmittel erhöht werden.

(sg)


Das Hochbahnviadukt entlang der Berliner U-Bahn-Linie 1 wird größtenteils für geparkte Autos genutzt und ist durch Verschmutzung, Abgase und Lärm belastet, was die Aufenthaltsqualität stark mindert. Das Reallabor Radbahn plante, diesen Raum im Sinne der Verkehrswende und nachhaltigen Stadtentwicklung auf einer Teilstrecke umzugestalten, um eine leisere, saubere, sichere und klimaresiliente Umgebung zu schaffen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Konkret verfolgt das Reallabor Radbahn die Idee, den städtischen Raum unter dem Viadukt in Kreuzberg partizipativ neu zu gestalten und als Testfeld zu erproben. Ursprünglich wurde das Konzept als neun Kilometer langer überdachter Radweg zwischen Oberbaumbrücke und Zoologischem Garten vorgestellt. Jetzt wird es als Prototyp auf einem Testfeld von einigen Hundert Metern in Berlin-Kreuzberg umgesetzt. Die Idee wurde erstmals 2015 vom Verein Paper Planes e.V. präsentiert und wird seit 2019 als Nationales Projekt des Städtebaus vom Bund und vom Land Berlin gefördert sowie gemeinsam mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt.
Das Hauptziel des Reallabors Radbahn war es, das Testfeld gemeinschaftlich zu planen, zu gestalten und umzusetzen. Der Fokus lag nicht nur auf dem Radfahren unter dem Viadukt, sondern auch darauf, die umliegenden Freiflächen umzunutzen und umzugestalten, um verschiedene Nutzungsmöglichkeiten für diesen öffentlichen Raum praktisch zu erproben. Dabei waren insbesondere die zahlreichen planungsrechtlichen Vorgaben, die fachübergreifende Zusammenarbeit mit der Berliner Verwaltung und weiteren städtischen Akteur*innen sowie die verschiedenen Beteiligungsformate wichtig. Dieses komplexe Zusammenspiel ergab weitreichende Einblicke ins gemeinsame Stadtmachen und zeigte zahlreiche Herausforderungen auf, die im Kontext einer nachhaltigen Verkehrs- und Stadtentwicklung entstehen können.

Das Testfeld unter dem U-Bahn-Viadukt in Berlin-Kreuzberg. Der Blick geht vom Görlitzer Bahnhof in Richtung Mariannenstraße. In der Mitte verläuft der Radweg, links und rechts befinden sich die ehemaligen Parkplätze, die nun entsiegelt, begrünt und mit Aufenthaltsmöglichkeiten ausgestattet wurden. Mobil sein und mobil bleiben – die Radinsel des Radbahn-Testfeldes bietet eine Reparaturstation.

Rechtliche Vorgaben

Als zeitlich begrenztes und finanziell klar definiertes Förderprojekt durch Bundes- und Landesmittel bot das Reallabor Radbahn die Möglichkeit, das Konzept der Radbahn in einem kleinen Teilabschnitt in Berlin-Kreuzberg als Testfeld zu realisieren. Das Projekt zu planen und genehmigen zu lassen, gestaltete sich aufgrund der Vielzahl an Beteiligten, komplexen Terminfindungen sowie strikten rechtlichen Vorgaben zäh und zeitaufwendig. Außerdem war das Projekt den verwaltungsrechtlichen Vorgaben sowie den verkehrstechnischen Richtlinien für Radwege und den formalen Anforderungen an Planungs- und Bauverfahren unterworfen. Dazu gehören die „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen”, die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen”, das Berliner Mobilitätsgesetz sowie der Radverkehrsplan. Zusätzliche Vorgaben gab es aufgrund des Denkmalschutzes, der für das Viadukt der Berliner Hochbahn gilt.

Etwa drei Viertel der final formulierten Ideen der Bürger*innen flossen in die Genehmigungsplanung ein.

Komplexe Akteurslandschaften

Das Testfeld zu planen und zu bauen, erforderte eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteur*innen der Berliner Verwaltung auf Bezirks- und Landesebene sowie stadtweiten Versorgungsunternehmen und Behörden (Verkehrsbetriebe, Stadtreinigung, Denkmalschutz, Stromnetz und Polizei). Außerdem ergaben sich weitere Abstimmungsprozesse, unter anderem mit den Tierschutzbeauftragten von Bezirk und Stadt, den Berliner Wasserbetrieben und weiteren Parteien. Schließlich wurden in öffentlichen Planungsprozessen zumeist wenig gehörte Personengruppen konsultiert: Dazu gehörten zum Beispiel der Fuß e.V., der Berliner Blinden- und Sehbehindertensportverein, der Sozialhelden e.V., die Seniorenvertretung Friedrichshain-Kreuzberg, der Junge Menschen und Mobilität e.V. sowie die Kidical Mass.
Die Zusammenarbeit mit der Berliner Verwaltung auf Bezirks- und Landesebene war von Anfang an sehr intensiv. Die Fördermittel gebende Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (SenSBW) war von Beginn an stark involviert und über regelmäßige Abstimmungsrunden und täglichen Austausch eng daran beteiligt, das Projekt zu entwickeln.
Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) war an verschiedenen Stellen des Projekts beteiligt: Sie verfolgte lange Zeit die Idee, eine weitere Teilstrecke zwischen Mariannenstraße und Kottbusser Tor, einschließlich der Kreuzung Skalitzer Straße/ Mariannenstraße, mit entsprechenden Zu- und Abfahrten zu realisieren. In diesem Zusammenhang wurden auch Abstimmungen bezüglich möglicher Lichtsignalanlagen und der verkehrstechnischen Einbindung der Zu- und Abfahrten auf das Testfeld vorgenommen. Weil die Kreuzung und die Zu- und Abfahrten wegfielen, konnte ein zentraler Baustein für den Radverkehr nicht umgesetzt werden. Im Jahr 2021 gab die SenMVKU zudem eine technische Machbarkeitsstudie in Auftrag, deren Ergebnisse Mitte 2023 veröffentlicht wurden. Die mögliche Umsetzung der Studienergebnisse bleibt jedoch bisher offen.
Als direkter Projektpartner erhielt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (BA FK) ein jährliches Budget zur Finanzierung einer Teilzeitstelle, um das Projekt seitens des Bezirksamtes personell zu unterstützen. Ursprünglich war geplant, dass das BA FK die Verkehrsplanung übernehmen würde, jedoch konnte dies nicht adäquat umgesetzt werden. Stattdessen wurde ein externes Planungsbüro beauftragt, was den Start der Verkehrsplanung erheblich verzögerte. Im Jahr 2023 wurden ein neuer Projektleiter beim Bezirk und ein externer Projektsteuerer eingebunden. Unabhängig von den verkehrsplanerischen Abstimmungen gab es Klärungsbedarf zu verschiedenen Themen, darunter Übernahme- und Rückbaupflichten sowie Genehmigungen für die Verkehrsführung und zahlreiche Sondergenehmigungen für Veranstaltungen unter dem Viadukt.

Ursprünglich wurde das Konzept als neun Kilometer langer überdachter Radweg zwischen Oberbaumbrücke und Zoologischem Garten vorgestellt. Jetzt wird es als Prototyp auf einem Testfeld von einigen Hundert Metern in Berlin-Kreuzberg umgesetzt.

Streckenplan der sogenannten Radinsel, die als Aufenthaltsfläche und Service-Einrichtung in der Mitte des Testfeldes für die Bedürfnisse von Radfahrenden konzipiert wurde.

Partizipativer Planungsprozess

Die Neugestaltung der Fläche unter dem Viadukt basiert sowohl auf den oben beschriebenen planerischen Rahmenbedingungen und komplexen Akteurslandschaften als auch ganz wesentlich auf den Ergebnissen verschiedener Beteiligungsverfahren. Die bestehenden finanziellen, regulatorischen und administrativen Restriktionen bestimmten einerseits maßgeblich den Beteiligungsgegenstand und -spielraum und waren andererseits fortwährend offenzulegen, um realistische, glaubhafte und verbindliche Beteiligungsprozesse zu gewährleisten.
In insgesamt vier verschiedenen Beteiligungsformaten wurden Bür-gerinnen sowie diverse Interessenvertretungen und Stakeholder in die Planungen einbezogen: ein mehrstufiges Bürgerbeteiligungsverfahren zur Gestaltung der Freiflächen, ein Radbahn-Gespräch zur Barrierefreiheit des Testfeldes sowie zwei Stakeholder-Workshops zu grün-blauen Infrastrukturen sowie zu Erfahrungen des gemeinsamen Stadtmachens. Diese Formate entwickelten sich organisch und bauten inhaltlich aufeinander auf. Das wurde durch die enge Zusammenarbeit zwischen eigenen Planerinnen und dem Team für Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation sowie externen Planungsteams ermöglicht.
Die Empfehlungen aus dem Bürgerbeteiligungsverfahren wurden als finale Vorschläge an das Freianlagen-Planungsteam übergeben. Sie dienten als Planungsgrundlage dafür, das Testfeld auszugestalten. Das Planungsteam griff die Idee der „Inseln”, verbunden durch großzügige Grünflächen, auf und entwickelte sie weiter. Etwa drei Viertel der final formulierten Ideen der Bürgerinnen fanden Einzug in die Genehmigungsplanungen. Dies erforderte neben der engen Zusammenarbeit aller Akteurinnen eine Sensibilität und Ernsthaftigkeit des Planungsteams gegenüber Beteiligungsprozessen und -ergebnissen.

Einblick in den Stakeholder-Workshop zum Thema „Lust und Frust des gemeinsamen Stadtmachens“. Im November 2023 diskutierten verschiedene Akteur*innen der Berliner Stadtentwicklung über Perspektiven, Erfahrungen und Erfolgsfaktoren urbaner Transformation.

Lust und Frust des gemeinsamen Stadtmachens

Mit dem Status eines Experimentierlabors und der direkten Partnerschaft mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war die Erwartung verbunden, personelle Unterstützung durch einen direkten Ansprechpartner zu haben, langwierige hausinterne Prozesse zu beschleunigen und schneller von der Planung in die Umsetzung überzugehen. Diese Erwartungen erwiesen sich als zu optimistisch. Ursprünglich war die Testfeld-Öffnung für den Herbst 2021 geplant, doch aufgrund verschiedener Verzögerungen wurde sie mehrfach verschoben. Langwierige Abstimmungsprozesse zu Zuständigkeiten und der Kostenverteilung trugen zu mehrfachen Umplanungen bei.Schließlich begannen die Bauarbeiten für das Testfeld im November 2023, und die Fertigstellung erfolgte im April 2024. Das entspricht einer Verschiebung um knapp zwei Jahre im Vergleich zur ursprünglichen Planung, die nur teilweise durch eine Laufzeitverlängerung um neun Monate aufgefangen werden konnte.
Die Umgestaltung der Kreuzung Mariannenstraße/Skalitzer Straße sollte ursprünglich allen Verkehrsteil-nehmerinnen ein sicheres Überqueren ermöglichen und gleichzeitig einen reibungslosen Zugang zur Radbahn ermöglichen. Dies sollte als Prototyp dafür dienen, wie sich ein mittig verlaufender Radweg gestalten lässt. Gleichzeitig sollte die Kreuzung das Testfeld in das geplante Radinfrastruktur-Netz Berlins integrieren, da die Mariannenstraße bereits eine Fahrradstraße ist. Diesen Plan umzusetzen, gestaltete sich jedoch äußerst komplex und ressourcenintensiv. Trotz monatelanger Bemühungen und Verhandlungen mit verschiedenen Projektbeteiligten liegt seit Ende des vergangenen Jahres die Verantwortung für Planung, Bau und Finanzierung bei der SenMVKU in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Anfang 2024 hielten die neuen Verantwortlichen fest, dass es aufgrund fehlender Mittel vorerst nicht möglich wäre, die Planung der einzubindenden Kreuzung fortzuführen. Die Zusammenarbeit mit der Berliner Verwaltung verlief in vielen Fällen zielgerichtet und erfolgreich. In einigen Situationen waren jedoch aufgrund unterschiedlicher struktureller Logiken und inhaltlicher Differenzen deutliche Grenzen spürbar – wie beispielsweise bei der Umgestaltung der Kreuzung. Die Vielzahl und Komplexität der Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse, personelle Engpässe und unterschiedliche Vorstellungen führten zu zeitlichen Verzögerungen und zahlreichen Kompromissen bei der Umsetzung einzelner Elemente des Testfeldes, teilweise sogar zu ihrem Wegfall. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Reflexionen vor allem individuelle Erfahrungen und Perspektiven des Reallabors Radbahn widerspiegeln. Die Ergebnisse eines zweiten Stakeholder-Workshops zum Thema „Gemeinsames Stadtmachen“ stützen jedoch diese Einschätzungen: Auch dort wurden einige zentrale Punkte wie Bürokratieabbau und eine gute finanzielle Ausstattung der Bezirke als entscheidende Erfolgsfaktoren einer gelingenden urbanen Transformation genannt. Andere Aspekte zielten darauf ab, die langfristige Finanzierung und Weiterführung von einmal projektfinanzierten Neuerungen sicherzustellen sowie Prozesse und administrative Strukturen zu optimieren. Diese Ergebnisse sind insgesamt bemerkenswert, da sie von einer heterogenen Gruppe von Stadtmacherinnen inklusive Verwaltungshandelnden gemeinsam diskutiert und bewertet wurden. Sie sind daher keine Einzelmeinungen, sondern Ausdruck gemeinschaftlicher Erfahrungen im Kontext städtischer Umgestaltungsprozesse und verdeutlichen, dass die Umsetzung integrierter Projekte im Rahmen einer nachhaltigen Verkehrs- und Stadtentwicklung ein fortlaufender Lernprozess ist. Dieser erfordert es, dass sich die Projekte an die Strukturen der Verwaltung annähern und dass die Verwaltung offen ist für die Visionen und Motivationen einzelner Umsetzungsprojekte.

Dr. Maximilian Hoor ist Geschäftsführer des Reallabor Radbahn gUG und promovierte an der TU Berlin zu Mobilitätskulturen und dem städtischen Radfahren. Beim Projekt Reallabor Radbahn Berlin ist er für die Partizipation, Evaluation und die wissenschaftliche Begleitung des Projektes verantwortlich.

Dr. Silke Domasch koordiniert die übergreifenden Studien des Reallabors Radbahn Berlin und ermöglicht als Expertin für Beteiligung vielfältige Diskussionen und Dialoge mit allen Beteiligten, vor allem den Bürger*innen, dem Beirat und anderen Stakeholdern.


Bilder: Reallabor Radbahn, Illustration: Lena Kunstmann, Plan: fabulism – Reallabor Radbahn

Lastenräder erfordern von ihren Fahrerinnen eine andere Routenwahl als ein wendiges Stadtrad oder ein sportliches Mountainbike. Im Projekt I-Route-Cargobike wurde gewerblichen Lastenrad-Nutzerinnen deshalb genau auf die Finger geschaut. Im Veloplan-Interview erklären Michael Heß (Seven Principles Mobility GmbH) und Johannes Gruber (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) das Forschungsprojekt und die Vision dahinter. Passend navigiert zu werden, könnte immer wichtiger werden, wenn in Zukunft neben Kurier-Profis auch Anfänger*innen vermehrt mit dem Lastenrad unterwegs sind. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Michael Heß (oben) und Johannes Gruber (unten) bringen Cargobike-Expertise aus der Praxis und der Forschung zusammen.

Wie ist das Projekt I-Route-Cargobike entstanden und was genau wollten Sie damit herausfinden?
Johannes Gruber: Alle Arten von Betrieben – vom großen Logistiker bis hin zum Handwerksbetrieb – nutzen Lastenräder, und auch die technologische Entwicklung von Lastenrädern ist extrem dynamisch. Vor diesem Hintergrund haben wir gesehen, dass es noch nicht wirklich Support-Tools gibt, wenn jemand auf das Cargobike umsteigen möchte, der noch nicht bereits jahrelang als Kurierfahrer tätig war. Etwa beim Thema Navigation und Routing: Wir sind davon ausgegangen, dass gewerbliche Cargobike-Fahrende andere Vorlieben und Rahmenbedingungen für die Routenwahl haben als normale Fahrradfahrende.
In der Zusammenarbeit haben wir uns ideal ergänzt, da die Seven Principles Mobility GmbH aus der Praxis kommt und eine datengetriebene IT-Lösung beitragen will. Wir bringen die Vorerfahrung mit Cargobike-Nutzern ein. Aus bestehenden Datengrundlagen haben wir ermittelt, wie sich diese Präferenzen für verschiedene Routencharakteristiken von Lastenradfahrern unterscheiden und bieten damit eine Grundlage, wie sich Strazoon Cargobike, das Produkt von 7P Mobility, weiterentwickeln lässt.

In Ihrem Projekt stützen Sie sich auf den Datensatz eines großen DLR-Projekts. Wie bewerten Sie diese Arbeitsgrundlage?
Gruber: Wir haben ein sehr großes Daten-Set gehabt aus dem früheren Projekt „Ich entlaste Städte“, für das wir insgesamt 750 Unternehmen und Betriebe deutschlandweit begleitet haben. Dabei haben wir im Projekt den Unternehmen und Betrieben Lastenräder zur Verfügung gestellt. Über GPS-Tracking und appbasierte Befragungen haben wir einen einzigartigen Datensatz aufgebaut, was reale Fahrten von Neuanfängern im Lastenradgeschäft betrifft. Das waren Unternehmen jeder Couleur, Lieferdienste, Handwerker, öffentliche Einrichtungen, Werksverkehre, Agenturen oder Gebäudedienstleistungen – alles, wo hin und wieder solche Güter zur Aufrechterhaltung von Betrieben transportiert werden müssen, die in ein Cargobike passen. Das war die Grundlage. Die gefahrenen Routen haben wir ergänzt um Kontextfaktoren, zum Beispiel, ob ein Radweg genutzt wurde, der Weg durch Grünflächen ging, wie hoch die Knotendichte ist oder ob das Haupt- oder Nebenstraßennetz genutzt wurde.
Michael Heß: Was in der Datenqualität etwas schwieriger war, sind die Open-Street-Map-Daten. Die sind grundsätzlich sehr gut, aber als wir erstmals ein spezielles Cargobike-Routing entwickeln wollten, sind wir auf verschiedene Probleme gestoßen. Zum Beispiel heißen Datenelemente in unterschiedlichen Regionen oder Ländern anders. Verschiedene Communitys pflegen das in Open Street Map unterschiedlich ein. Da wäre es natürlich super, wenn noch mehr und weltweit einheitliche Daten verfügbar wären, mit denen man eine Route noch besser berechnen kann. So etwas wie Poller und Drängelgitter zum Beispiel. Solche Barrieren würden wir den Lastenradfahrenden auf ihrer Route gerne ersparen. Da ist noch Potenzial in den Datengrundlagen vorhanden.

Profikuriere in Zürich wurden mit Kameras ausgestattet, um die von ihnen gewählten Routen später detailliert verstehen zu können.

Zusätzlich zu den Fahrten aus „Ich entlaste Städte“ haben Sie auch qualitative Daten erhoben, unter anderem in Zürich. Spielt das Land, in dem die Nutzer*innen unterwegs sind, kaum eine Rolle? Oder sind die Schweiz und Deutschland in dieser Hinsicht besonders gut vergleichbar?
Gruber: Hinter den Datenerhebungen stecken zwei unterschiedliche Ansätze. Wir haben für die Analyse der quantitativen Daten real gefahrenen Routen alternative Routen gegenübergestellt. Diese basierten auf einem Vorschlag von 7P Mobility, der ein normales Fahrrad-Routing mit speziellen Logiken erweiterte, um zum Beispiel Treppen oder steile Anstiege zu vermeiden. Auf dieser Basis haben wir versucht herauszufinden, welche Einflussfaktoren bei der Routenwahl wirken. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass ein hoher Grünflächenanteil sehr wertgeschätzt und dass das Nebenstraßennetz tendenziell bevorzugt wird von Cargobike-Fahrenden. Eine größere Abweichung vom normalen Radverkehr war, dass Fahrradinfrastruktur nicht per se genutzt wird, sondern nur dann eine Rolle spielt, wenn es sich um die schlanken einspurigen Lastenräder handelt. Wir konnten in den Daten also nachweisen, dass dreirädrige und größere Lastenräder zumindest durch die aktuell vorhandene Fahrradinfrastruktur keinen Vorteil haben.
Beim qualitativen Zugang spielen der individuelle Hintergrund des Fahrenden und der räumliche Kontext eine stärkere Rolle. Wir haben mit Berliner Profi-Logistikern gesprochen und die Daten verglichen. Noch detaillierter sind wir mit Züricher Lastenradkurieren vorgegangen, die wir drei Tage begleitet haben. So individuell, wie die Fahrradwege manchmal beschaffen sind, Kreuzungen besonders sind oder es sogar leichte Unterschiede zwischen den Regulierungen verschiedener Länder gibt, so hilfreich ist es doch, durch ganz konkrete Beobachtungen von einzelnen Situationen abzuleiten, wo wir gute Nutzungsentscheidungen treffen und diese vielleicht sogar generalisieren können. Wo ist es für Anfänger nützlich, wenn das Wissen von Profis in so eine Software-Lösung einfließt? Und wo sehen wir aber, dass es ganz individuelle, situative Entscheidungen gibt, die nicht generalisiert abgebildet werden können?
Heß: Die Bedeutung lokaler Besonderheiten fand ich bemerkenswert. Der Profi-Logistiker aus Berlin sagte zum Beispiel „Durch den Tiergarten fahre ich nicht! Da laufen lauter Touristen und Jogger rum“. Solche spezifischen Details kennt man halt nur, wenn man schon vor Ort war und sich durch einen Touristenstrom gekämpft hat.

„Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind.“

Johannes Gruber, DLR

Gibt es sonst noch Verhaltensweisen der Lastenradprofis, die Sie überrascht haben?
Gruber: Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind. Gerade wenn wir an Handwerker denken, die drei bis vier Kundentermine haben und bei denen das Geld woanders erwirtschaftet wird. Da kann man in so einer App später sagen: „Ich nehme lieber den komfortablen Weg oder den Weg durch den Park und bin daher bereit, auch 10, 20 oder 30 Prozent längere Wege in Kauf zu nehmen.“

Da sind wir dann beim Punkt Stadtgrün, der auf vielen Routen präferiert wurde. Was steckt denn hinter einer anderen Präferenz, den Strecken mit vielen Knotenpunkten? Warum sind die für die Nutzer*innen attraktiv?
Gruber: Ein klassisches Erklärungsmuster ist, dass viele Knoten, also eine hohe Konnektivität, eine möglichst direkte, individuell passende Route ermöglichen. Das würde ich in dem Fall auch mit der großen Präferenz für Nebenstraßen zusammenbetrachten. Dieses Netz hat mehr Kreuzungen, die sind aber leichter einsehbar, ohne Ampeln und können einfacher passiert werden. Die hohe Knotendichte ist da also nicht schädlich. Große Kreuzungen gilt es zu vermeiden, da es dort viel Passantenaufkommen und viele Busspuren und Tramlinien mit gefährlichen Bodenbeschaffenheiten gibt. Die sind deutlich schädlicher.

War Strazoon Cargobike, das Tool, mit dem Sie die Vergleichsrouten entwickelt haben, von Anfang an eine Anwendung spezifisch fürs Cargobike? Mit welcher Navigationslogik sind Sie in das Projekt gestartet?
Heß: Wir waren auf der Suche nach innovativen Lösungen für die letzte Meile und hatten damit schon vor dem Forschungsprojekt begonnen. In Strazoon Cargobike haben wir uns drauf konzentriert, primär die alltäglichen Prozesse der Kuriere abzubilden, also Track & Trace, Nachweis der Übergabe oder auch Handling im Mikrodepot. Wir haben gelernt, dass die Prozesse der Radlogistiker aktuell zu heterogen sind, als dass wir sie alle abbilden könnten. Die machen alle tolle Sachen, aber leider alle ein bisschen anders. Die einen holen Korken beim Restaurant ab und bringen sie zum Wertstoffhof, die anderen haben Container mit Mini-Depots in der Stadt verteilt und vieles mehr.
Auch eine erste Version der Touren- und Routenplanung war bereits in Strazoon Cargobike enthalten. Aufgebaut haben wir die auf einer Open-Source-Lösung, dem Open-Route-Service. Der hatte bereits ein Routing-Profil „E-Bike“. Da war zum Beispiel schon hinterlegt, dass Treppenstufen komplett zu vermeiden sind. Das war unser Startpunkt, weil es den Routing-Bedürfnissen eines Cargobikes nahekommt.

Was haben Sie nach dem Projekt nun mit der Anwendung Strazoon Cargobike für eine Vision?
Heß: Für mich persönlich ist das ein bisschen frustrierend. Die Idee, Logistiker mit unserer Lösung glücklich zu machen, funktioniert derzeit wegen der zu geringen Volumina und Heterogenität leider nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Das ist für mich zwar sehr schade, aber dann ist das halt so. Wir sehen zwar noch weitere Kundengruppen – die eine oder andere Supermarktkette liefert zum Beispiel per Lastenrad aus –, die haben aber meist schon Track-and-Trace-Lösungen und Apps für ihre Fahrer. Für uns ist daher klar, dass wir uns noch mehr fokussieren und auf einen Kernteil spezialisieren wollen. Das ist, das Cargobike-Routing als API-Lösung anzubieten. Kunden können ihre Anwendung dann über eine Internetschnittstelle anbinden und unser Routing direkt in ihre eigenen Applikationen integrieren. Dort bekommen wir dann die anzufahrenden Stopps und liefern für Cargobikes optimierte Touren und Routen zurück. Damit lösen wir uns davon, ein sehr heterogenes Kundenumfeld bedienen zu müssen und konzentrieren uns auf den Innovations-Aspekt unserer Lösung.

Inwiefern ist diese Innovation auch für private Nutzer*innen von Lastenrädern interessant?
Heß: Wir haben den Versuch gewagt und eine App gebaut, die nur Zielführung und Navigation bietet. Im Prinzip eine Zweitverwertung des Routings. Die App ist auch schon im Play-Store zu finden. Wir haben aber nicht geglaubt, dass man damit die Menschen besonders glücklich machen kann, da man als Privatnutzer sehr häufig dieselben Routen fährt, so die Annahme. Man fährt da, wo man sich gut auskennt, und braucht die Routing-Unterstützung eher selten. Wir wollten es trotzdem ausprobieren.
Was wir noch auf dem Zettel haben, aber noch nicht als Feature eingebaut haben, ist eine unfallfreie Route. Man kann sich zum Beispiel anschauen, wo Unfallschwerpunkte sind und diese meiden, um sicherer durch die Stadt zu kommen. Das wäre ein Feature, das vielleicht auch für private Kunden einen Mehrwert bietet.
Gruber: Die Erkenntnisse, die wir herausgezogen haben – wie zum Beispiel die Wichtigkeit eines guten Nebenstraßennetzes oder die Radwegebreite – sind natürlich Aussagen, die auch für die Planung von Relevanz sein können. Dass man das Fahrradnetz nicht nur an Hauptstraßen denkt, sondern zum Beispiel durch Fahrradstraßen auch Möglichkeiten schafft in den Nebenstraßen. Ich denke, dass Privatleute das eher bevorzugen würden und tendenziell große Knoten und Ansammlungen eher meiden. Wenn man sich die stark wachsenden Lastenradverkaufsanteile ansieht, verbunden mit Substitutionsquoten, die manche Kommunen und Unternehmen rausgeben, dann können über den Aspekt der Planung auch Privatleute profitieren.

„Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.“

Michael Heß, 7P Mobility

Was hoffen Sie, wie sich das Thema Lastenradnavigation in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, und welche Projekte und Forschung sind zu diesem Thema noch nötig?
Gruber: Ich denke, wir haben einige Ansatzpunkte, an denen es Optionen gibt, weiterzumachen. So könnte man vielleicht die situativen Aspekte wie den aktuellen Verkehrsfluss berücksichtigen oder unterschiedliche Stadttypen und Nutzungsarten unterscheiden.
Heß: Wir versuchen, einen Teil dessen, was ich mir auch persönlich wünsche, umzusetzen: nämlich, dass wir das, was wir jetzt erarbeitet haben, Open Source bereitstellen. Damit können auch andere zum Thema beitragen. Denn die Entwicklung einer Navigation, die an einen Radkurierprofi heranreicht, ist sehr herausfordernd. Mein Erlebnis war bisher auch immer, dass die Profis das ein wenig abtun und sagen „euer Algorithmus kann nicht so gut sein wie ich, wenn ich hier unterwegs bin“ – was ja ehrlicherweise auch stimmt. Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind aber nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.
Gruber: Wahrscheinlich müsste man direkt beim Absatz, also bei Händlern oder Herstellern anfangen. Man kann sich überall sein Smartphone auf den Lenker schnallen. Jedes Auto hat ein Touchdisplay, braucht es das nicht auch noch stärker? Wo ich auswählen kann, wo ich hinwill und ob der Weg schnell, sicher, bequem oder landschaftlich reizvoll sein soll. Das könnte ein Hebel sein für nachhaltige Fahrradlogistik, aber eben auch für Routing-Lösungen.


Bilder: DLR – Amac Garbe, 7 Principles, DLR, Johannes Gruber

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Natenom ist verstummt

Andreas Mandalka hat zu Lebzeiten vermieden, dass Bilder von ihm öffentlich gemacht werden. Der kleine Stoffelefant Kagube war sein Begleiter bei Fahrradtouren und sein Alter Ego im Internet.

Andreas Mandalka, als Fahrradaktivist und Blogger unter dem Pseudonym Natenom bekannt, ist am Abend des 30. Januars bei einem Verkehrsunfall auf dem Fahrrad ums Leben gekommen. Der Unfallhergang war zum Redaktionsschluss noch Gegenstand polizeilicher Ermittlungen, gesichert ist wohl bereits, dass Mandalka von hinten bei Dunkelheit auf einer Landstraße von einem 77-jährigen Autofahrer angefahren wurde. Er verstarb noch am Unfallort.
Die Landstraße, auf der sich der tödliche Unfall unweit seines Wohnortes Neuhausen im Nordschwarzwald ereignete, war regelmäßig Gegenstand von Mandalkas Blog-Beiträgen. Die Situation dort ist exemplarisch für ein zentrales Anliegen des Radaktivisten gewesen. Teilweise verläuft neben der Landstraße ein Radweg, der jedoch aufgrund seines schlechten Zustands nicht mehr benutzungspflichtig ist. Um dem holprigen Belag und Schlaglöchern dort auszuweichen, nutzte Mandalka regelmäßig die Straße.
Bundesweite Bekanntheit erlangte Mandalka unter anderem als Radfahrer mit einer Poolnudel als Abstandhalter auf dem Gepäckträger. In seinem Blog ist nachzulesen, wie er 2019 von der Polizei auf einer Landstraße gestoppt und ihm die Weiterfahrt mit Abstandhalter untersagt wurde. Begründung: Der 1,50 Meter breite Abstandhalter verhindere, dass der Radfahrer auf der Landstraße überholt werden könne.
Als Radaktivist dokumentierte Natenom mit Videoaufnahmen und Open-Bike-Sensor, wenn er von Autofahrenden nicht mit dem vorgeschriebenen Mindestabstand überholt wurde. Besonders gefährliche Überholmanöver brachte er bei der Polizei zur Anzeige, die diese aber offenbar nur widerwillig aufnahm. Sein Blog ist eine Dokumentation, mit welchen hanebüchenen Argumenten Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Ermittlungsverfahren bei offenkundiger Gefährdung eines Radfahrenden einstellen. So sei beispielsweise das Überholen eines Pkws mit Dauerhupe lediglich als akustische Ankündigung des Überholvorgangs von der Polizei abgetan worden. An anderer Stelle zitiert Natenom aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft, die ihm angesichts seiner häufigen Anzeigen einen „gewissen Belastungseifer“ unterstellt habe. Bei einer Gedenkveranstaltung für den im Straßenverkehr getöteten Andreas Mandalka sagte einer seiner Mitstreiter: „Er hat für sein Recht die Hilfe der Polizei eingefordert, diese Hilfe aber nur selten erhalten.“
Die Nachricht von Mandalkas Tod hat viele Menschen erschüttert, auch weit über sein persönliches Umfeld hinaus. Menschen, die ihn gut kannten, beschreiben Andreas Mandalka als „engagierte und akribische“ Persönlichkeit. Mandalka sagte einmal, er sei kein Ideologe gegen das Auto, sondern setze sich für eine Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer ein. Als die „Zeit“ vor fünf Jahren mit Mandalka ein Interview führte, sagte er, „einige Autofahrer meinen, die Straße sei nur für Autos da. Die erwarten von Radfahrern, dass sie mitten durch den Wald fahren“. Mit dieser Ungerechtigkeit wollte sich Mandalka nicht abfinden. Seine konsequente und geradlinige Einstellung war den Behörden wohl vor allem unbequem, in seinem dörflichen Lebensumfeld ist dem Aktivisten durchaus auch Hass entgegengeschlagen. Dieser äußerte sich nicht nur zu seinen Lebzeiten durch vorsätzliche Gefährdungen im Straßenverkehr und gezielte Gewaltaufrufe in sozialen Medien, auch wurde eine Gedenkstätte für Mandalka an der Unfallstelle bereits einen Tag nach deren Einweihung von Unbekannten mutwillig zerstört.
Im zuvor genannten „Zeit“-Interview sagte Mandalka auch: „Es braucht sichere Infrastruktur, am besten geschützte Radwege, die von der Straße abgetrennt sind. Weil dieser Umbau dauert, ist es wichtig, dass die Polizei Fälle wie meine ernst nimmt und Abstandskontrollen durchführt. Sie sollte Kampagnen organisieren, bei denen sie Autofahrer aufklärt, wie viel Abstand sie halten müssen.“ Wäre dieser Appel gehört worden, könnte Andreas Mandalka noch leben.


(mf)


Fahrradverband sorgt sich um Image von Lastenrädern

In Zusammenhang mit der Berichterstattung in der Tagespresse zum Verkaufsstopp von Lastenfahrrädern des niederländischen Herstellers Babboe befürchtet der Verband Zukunft Fahrrad offenbar, dass das Image für diese boomende Fahrradgattung insgesamt Schaden erleiden könnte. Ein Pressestatement soll hier entgegenwirken.

Der von der niederländischen Behörde für die Lebensmittel- und Verbrauchsgütersicherheit NVWA im Februar angeordnete Verkaufsstopp für Lastenfahrräder der Marke Babboe hat rasch auch Wellen in der Tagespresse geschlagen. Jüngster Stand bei Redaktionsschluss ist, dass Babboe über die Website – auch auf der deutschsprachigen – über den Verkaufsstopp informiert und Besitzer von betroffenen Babboe-Lastenfahrrädern direkt angeschrieben hat, dass diese ihr Fahrrad vorläufig nicht mehr nutzen sollen. Gemeinsam mit der NVWA wurde eine Rückrufaktion der betroffenen Babboe-Modelle angekündigt.
Beim Branchenverband Zukunft Fahrrad beobachtet man diese Schlagzeilen offenbar mit Sorge und stellt dabei jedoch fest: „Klar ist: Produktsicherheit ist für die Verkehrssicherheit essenziell. Rückrufe von Produkten kommen deswegen in allen Branchen vor. Gerade erst musste VW weltweit über 47.000 Modelle verschiedener Baureihen wegen Brandgefahr zurückrufen.“ Zudem gebe es keine Hinweise auf ein erhöhtes Unfallgeschehen mit Lastenrädern in Deutschland.
Arne Behrensen, Lastenrad-Experte bei Zukunft Fahrrad ergänzt dazu: „Außerdem fahren Eltern mit Kindern an Bord eher defensiv. Beides senkt die Unfallgefahr. Würden mehr Menschen und Unternehmen ihre Transporte mit dem Lastenrad statt dem Auto erledigen, wäre der Straßenverkehr für alle sicherer und ruhiger.“ Gleichzeitig ruft er Konsumentinnen und Konsumenten in dem Presse-statement auf, auf Sicherheitsstandards der Branche zu achten und sich im Fachhandel beraten zu lassen.


(jw)


E-Lastenrad-Verleiher Sigo startet in die neue Saison

Nach der Übernahme durch einen Investor im vergangenen Herbst startet E-Lastenrad-Verleiher Sigo unter neuer Firmung und neuer Geschäftsführung in die neue Saison. Zudem grüßt das Unternehmen neu als Mitglied von Zukunft Fahrrad.

Schon kurz nach der letztjährigen Insolvenzanmeldung im Juni standen die Zukunftsaussichten für den E-Lastenrad-Verleiher sehr gut. Das Unternehmen war auf Wachstumskurs, stolperte aber über die erheblichen Zinserhöhungen am Kapitalmarkt im vergangenen Jahr und eine gescheiterte Finanzierungsrunde.
Das Insolvenzverfahren gehört jedoch längst der Vergangenheit an. Eine Investorenlösung wurde bereits im vergangenen Jahr erzielt. Die Sigo Green GmbH wurde neu gegründet und der Geschäftsbetrieb übertragen, alle Arbeitsplätze blieben erhalten.
Neuer Gesellschafter ist Felix von Borck mit seinem Investmentunternehmen Fanta4. Felix von Borck ist ein bekannter Unternehmer und Gründer des Batteriespezialisten Akasol AG. Wie die mit der Restrukturierung beauftragte Rechtsanwaltskanzlei Pluta bei der Verkündung der Übernahme im vergangenen Jahr erklärte, verfüge der Investor über große Erfahrung in den Bereichen Elektromobilität, Unternehmensgründung und -entwicklung. Mit seinem Know-how und einer neuen Geschäftsführung soll die neue Sigo Green zum geplanten Wachstum und einem gewinnbringenden Betrieb geführt werden. Der Investor sieht großes Potenzial für das Start-up. „Ab sofort sitzt die Sigo Green fester im Sattel denn je“, so Felix von Borck.
Die Sigo Green GmbH mit Sitz in Darmstadt ist mit den induktiven Ladestationen einer der ersten Anbieter eines vollautomatischen E-Lastenrad-Systems in Deutschland. Als neuer Geschäftsführer grüßt nach der Übernahme durch Fanta4 Kai von Borck. Auch unter neuer Führung bleiben das Sigo-Logo und die Mission erhalten, E‑Lastenräder und E‑Bikes als Sharing-Dienstleistung zu den Menschen zu bringen und damit einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Aktuell ist Sigo Green an über 150 Standorten in 34 Städten präsent. Seit Kurzem unterstützt das Unternehmen wie berichtet auch die politische Arbeit als Mitglied des Branchenverbands Zukunft Fahrrad.

(jw)


Bundesregierung will Blinker erlauben

Fahrtrichtungsanzeiger sind derzeit nur bei mehrspurigen Fahrrädern und Fahrzeugen mit einem Aufbau zulässig. Künftig, so geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hervor, soll sich das ändern.

Geplant werden die Regelungen im Rahmen der Neufassung der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO). Wann genau der Bundesrat sich mit der Neufassung beschäftigen wird und Blinker für alle erlaubt sein werden, lässt sich jedoch noch nicht genau prognostizieren.
Begrüßt wird das Vorhaben unter anderem vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), der die Änderung im Rahmen einer Verbändeanhörung im Sommer vergangenen Jahres eingebracht hat. Manfred Wirsch, Präsident des DVR, ordnet ein: „Es ist Zeit, dass in der StVZO die Möglichkeit geschaffen wird, die Sichtbarkeit von Fahrradfahrenden mit Blinkern – oder Fahrtrichtungsanzeigern – zu verbessern. Denn Blinker können einen Beitrag für mehr Verkehrssicherheit und weniger Verletzte im Straßenverkehr leisten. Abbiegevorgänge werden sicherer, weil beide Hände am Lenker bleiben, und insbesondere nachts ist die Abbiegeintention für andere Verkehrsteilnehmende besser sichtbar. Zusammenstöße mit linksabbiegenden Fahrradfahrenden ziehen oft schwerwiegende Verletzungen nach sich und könnten so reduziert werden. Ein Blick zurück zeigt, dass Blinker sich an motorisierten Zweirädern und auch an Elektrokleinstfahrzeugen bewährt haben und u. a. für mehrspurige Fahrräder und Fahrradanhänger bereits zugelassen sind.“
Roland Huhn, Rechtsexperte des ADFC, erklärt, weshalb sich auch der Verband schon länger für eine freiwillige Nutzung von Blinkern an Fahrrädern und Pedelecs einsetzt: „Fahrtrichtungsanzeiger sind vor allem bei Dunkelheit besser erkennbar als das Handzeichen und bleiben auch tagsüber während des gesamten Abbiegevorgangs wirksam, bei dem oft beide Hände zum Betätigen der Bremsen benötigt werden.“
Skepsis kommt unter anderem von Stefan Gelbhaar, dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Blinker an normalen Straßenrädern werden die Verkehrssicherheit nicht erhöhen“, äußerte er gegenüber der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Da normale Straßenräder sehr schmal sind, seien die Blinker kaum wahrnehmbar. Sinnvoller wäre es, den Weg für gute Radverkehrsinfrastrukturen und angemessene Geschwindigkeiten zu bereiten.

(sg)


Politische Leitung neu besetzt

Der ADFC hat seit Mitte Februar eine neue politische Bundesgeschäftsführerin. Die Führung des weltweit größten Interessenverbandes ist damit wieder komplett.

Dr. Carolin Lodemann übernimmt die Position, die Ann-Kathrin Schneider im vergangenen Juni abgelegt hatte. Sie ist damit beim Bundesverband künftig zuständig für die Bereiche Politik, Kommunikation und Verband. Die Bundesgeschäftsführung teilt sie sich mit Maren Mattner, die für Tourismus und Dienstleistungen sowie den kaufmännischen Bereich verantwortlich ist.
Die neue Geschäftsführerin hat sich zum Ziel gesetzt, die Präsenz des ADFC weiter zu steigern. Dr. Caroline Lodemann sagt: „Mich motiviert das ganzheitlich Gute am Fahrrad. Denn das Fahrradfahren fördert ja nicht nur Gesundheit und Wohlbefinden derer, die es selbst praktizieren. Es ist auch gut für jene, die selbst nicht Rad fahren können oder wollen. Denn Radfahren hilft beim Klimaschutz, reduziert Lärm und Abgase und macht unsere Orte lebenswerter. Das Radfahren ist also ein Gewinn für uns alle. Umso mehr müssen Radwege flächendeckend sicher sein – damit es überall selbstverständlich werden kann, mit dem Rad zur Schule, zur Arbeit, zum Einkaufen und zum Sport zu fahren. Dazu möchte ich beitragen und möglichst viele Menschen für das Rad und die Ziele des ADFC gewinnen.“
Bisherige berufliche Stationen der Literaturwissenschaftlerin lagen in Bildungs- und Forschungsorganisationen. Unter anderem war Lodemann langjährige Leiterin des Präsidialstabs und der Kommunikation der Leibniz-Gemeinschaft.
Der ADFC-Bundesvorsitzende Frank Masurat freut sich über den Neuzugang der Geschäftsleitung: „Der ADFC-Bundesvorstand ist sehr glücklich, mit Caroline Lodemann eine ausgemachte Kommunikationsexpertin als Bundesgeschäftsführerin gewonnen zu haben, die viel Managementerfahrung und wissenschaftliche Expertise mitbringt und bestens vertraut ist mit Politikberatung und Interessenvertretung. In der sonst eher männlich geprägten Verkehrspolitik wird die weibliche Doppelspitze beim ADFC wieder einen erfrischenden Kontrapunkt setzen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, auf kraftvolle politische Kampagnen für die Verkehrswende und viel Sichtbarkeit für einen sympathischen, professionell aufgestellten ADFC.“


(sg)


Schwedischer E-Bike-Hersteller ist insolvent

Der schwedische Mikromobilitätsanbieter Vässla wurde von einem Gericht in Schweden für insolvent erklärt.

Vässla hatte große Pläne als Hersteller von Mobilitätslösungen, insbesondere in Deutschland als Anbieter von E-Bikes. Nachdem das Unternehmen den deutschen Markt zunächst mit einem Fahrzeug, das eine Mischung aus E-Bike und Moped darstellt, in Angriff genommen hatte, präsentierte Vässla im Herbst 2022 ein erstes E-Bike, das aus der Design-Feder des Münchner Studios Zanzotti Industrial Design stammte. Vorausgegangen war eine Finanzierungsrunde, die insgesamt neun Millionen Euro ins Unternehmen pumpte.
Die Zukunft von Vässla ist nun jedoch ungewiss. Wie CEO und Gründer Rickard Bröms via LinkedIn mitteilt, wurde von einem schwedischen Insolvenzgericht eine Verlängerung der Unternehmensumstrukturierung in Eigenregie abgelehnt. Das Unternehmen wird in Folge für insolvent erklärt und ein Insolvenzverwalter übernimmt das Ruder.
Man sei nur wenige Tage davon entfernt gewesen, die notwendigen Mittel für den Ausstieg aus der Restrukturierung zu beschaffen, schreibt Bröms und berichtet gleichzeitig über die geleisteten Erfolge im Rahmen des Umstrukturierungsprozesses. So sei es gelungen, Väss-la von fast 8 Millionen Euro Verlust pro Jahr innerhalb von sechs Monaten in die Gewinnzone zu führen, zudem seien Abschreibungen mit Gläubigern in Höhe von 85 Prozent ausgehandelt und die Betriebskosten deutlich gesenkt worden. Hinzu kam die Erschließung neuer Märkte in Übersee und strategische Schließungen anderer Märkte. In Summe sieht Bröms im Unternehmen Potenzial für eine erfolgreiche Zukunft. Das Unternehmen sei vollständig umstrukturiert und bereit für ein neues Kapitel. Den Treuhänder wolle Bröms beim Übergang von Vässla in die nächste Phase und unter neuer Führung unterstützen.

(jw)


Bochum gewinnt Vorentscheid für Fahrradprofessur

Der Fachkräftemangel ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn es darum geht, Radverkehrsinfrastruktur zu planen und zu bauen. Die Universität Bochum hat sich in einer Vorauswahl durchgesetzt und bekommt künftig eine Fahrradprofessur, die aus Landesmitteln Nordrhein-Westfalens gefördert wird.

Fünf wissenschaftliche Einrichtungen hatten an der Vorauswahl teilgenommen, die nun von einer Jury mit Experten und Expertinnen aus Verwaltung, Planung, Bau und Verbänden entschieden wurde. „Die Hochschule Bochum hat uns mit ihrem praxisorientierten Konzept auf ganzer Linie überzeugt. Die zukünftige Professur setzt auf die Planung und den Bau von Radverkehrsinfrastruktur, ohne dabei den interdisziplinären Ansatz zu vernachlässigen oder relevante Themenfelder wie die Digitalisierung aus dem Blick zu verlieren. Zusammen mit dem ÖPNV ist der Radverkehr das Rückgrat der Mobilität der Zukunft“, gratulierte NRWs Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer. „In Nordrhein-Westfalen sollen Fachkräfte insbesondere für den Landesbetrieb Straßenbau und den kommunalen Bereich auf hohem Niveau ausgebildet werden. Mit einer Professur können wir auch über die akademische Schiene für eine langfristige Ausbaubeschleunigung der Radverkehrsinfrastruktur sorgen.“
Die Hochschule Bochum hatte bis Ende Februar 2024 Zeit, den Förderantrag einzureichen. Die Professur wird durch das Land Nordrhein-Westfalen für die Dauer von zehn Jahren mit bis zu 400.000 Euro jährlich gefördert. Auch die Stadt Bochum habe bereits signalisiert, sich finanziell an einer wissenschaftlichen Mitarbeitendenstelle beteiligen zu wollen, heißt es aus dem Ministerium.
Prof. Dr. Andreas Wytzisk-Arens, Präsident der Hochschule Bochum, erklärt, welche Rolle Radverkehr an der Hochschule spielt. „Die Stärkung einer nachhaltigen Mobilität ist ein zentrales Anliegen der Hochschule Bochum. Daher haben wir schon früh begonnen, das Thema Radverkehr strategisch in Forschung und Lehre zu verankern. Die Hochschule Bochum liefert damit nicht nur wichtige Impulse für die Verkehrswende, sondern setzt auch bei der Ausbildung der für den Ausbau von Radverkehrsinfrastrukturen so dringend benötigten Fachkräfte ein Zeichen. Der Bedarf ist immens. Die erfolgreiche Einwerbung der vom Verkehrsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Fahrradprofessur und die damit verbundene substanzielle Stärkung des Lehr- und Forschungsgebietes ‚Radverkehr‘ sind für die Hochschule daher von enormer strategischer Bedeutung“.


(sg)


Fahrradfahren hat noch viel Potenzial

Die achte Ausgabe des vom Sinus-Institut durchgeführten Fahrradmonitors zeigt, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel gefragt ist und die Ausgabebereitschaft in den letzten Jahren nach oben geschnellt ist. Die Studie enthält aber auch Handlungsempfehlungen, die den Radverkehr zum Beispiel durch mehr Sicherheit noch attraktiver machen könnten.

Das Interesse an E-Bikes und Fahrrädern und die Kaufbereitschaft der Menschen in Deutschland sind hoch. 46 Prozent wollen in Zukunft häufiger mit dem Fahrrad oder Pedelec fahren. Ein Viertel hat zudem angegeben, innerhalb des nächsten Jahres ein Fahrrad oder Pedelec erwerben zu wollen. Das zeigen Ergebnisse des Fahrradmonitors. Diese Studienreihe erhebt im Zwei-Jahres-Rhythmus das subjektive Stimmungsbild der Radfahrenden in Deutschland. Seit 2009 liegt nun bereits die achte Ausgabe vor.

Ausgabebereitschaft steigt rasant

Die Summe, die die Menschen für ihr neues Rad zu investieren bereit sind, liegt im Schnitt bei 1424 Euro pro Person. 2019 lag dieser Wert noch bei 1052 Euro, 2019 sogar bei 685. Bei 48 Prozent der Stichprobe sind Fahrräder mit Elektroantrieb besonders begehrt. Sieben Prozent planen, sich ein Lastenrad zu kaufen, und 26 Prozent der Kaufinteressenten und -interessentinnen planen, für den Kauf ein Leasingangebot ihres Arbeitgebers zu nutzen.
Spannende Ergebnisse bietet die Studie auch beim Blick auf die Details. Regelmäßig, also täglich oder mehrmals die Woche, nutzen 39 Prozent der Befragten das Fahrrad. Dieser Wert ist unter den Erwachsenen konstant, hat sich allerdings, auf die verschiedenen Altersgruppen aufgeschlüsselt, angeglichen. Auch die Gruppe der 50- bis 69-Jährigen kommt auf 38 Prozent und schließt damit zu den jüngeren Befragten auf. Kinder hingegen nutzen das Fahrrad häufiger. 47 Prozent der Befragten zwischen 0 und 15 Jahren fahren mehrmals pro Woche Rad. Großes Potenzial besteht beim Pendelverkehr. Unter den Berufstätigen nutzen 22 Prozent das Verkehrsmittel regelmäßig auf dem Weg zur Arbeit.

Verschenktes Potenzial

Radfahrende, die das Rad selten oder nie zum Pendeln nutzen, begründen das am häufigsten damit, dass der Weg zu weit ist oder die Fahrt zu lange dauert. Der Fahrradmonitor 2023 unterstreicht, wie wichtig die Kombination von öffentlichem Verkehr und dem Fahrrad mit Blick auf das Pendeln ist. Im Nah- und Regionalverkehr ist es wichtig, ein Fahrrad gut mitnehmen oder abstellen zu können.
Vergebenes Potenzial hat aber auch einen anderen Hintergrund, wie die Studie hervorhebt. 60 Prozent sind es, die sich beim Radfahren sehr sicher oder meistens sicher fühlen. Unsicherheit erzeugen vor allem rücksichtsloses Verhalten von Autofahrenden und zu viel Verkehr auf den Straßen. In der neuen Studie wurde erstmals auch das Sicherheitsempfinden auf unterschiedlichen Führungen des Radverkehrs abgefragt. 94 Prozent fühlen sich vor allem auf Radwegen sicher, die vom Auto- und Fußverkehr getrennt sind. Das schließt auch Protected Bike
Lanes ein, die zum Beispiel durch Poller oder ähnliche Elemente vom Autoverkehr abgetrennt sind. 83 Prozent bewerten Fahrradstraßen positiv. Unsicher fühlen sich die Radfahrenden vor allem dort, wo die Fahrbahn mit dem Kfz-Verkehr geteilt wird. Bei Tempo 50 fühlen sich in dieser Konstellation nur 13 Prozent, bei Tempo 30 hingegen 21 Prozent sicher. Auf freigegebenen Bus-Sonderfahrstreifen fühlen sich 29 Prozent sicher. Der Fahrradmonitor räumt weiter mit Vorurteilen auf. So lässt sich zwischen Stadt und Land beim Interesse an Lastenrädern kein Unterschied mit den Daten belegen. Auch bei anderen Themen sind die Unterschiede zwischen Stadt und Land geringer als oft vermutet.

Wo die Politik gefragt ist

Andere Unterschiede sind sehr wohl belegbar. Frauen fahren immer noch seltener mit dem Fahrrad als Männer. Bei ihnen liegt die regelmäßige Nutzung mit 36 Prozent sechs Prozentpunkte unter der der Männer. Unverändert sind auch die meistgewünschten Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Seitens der Befragten gibt es klare politische Forderungen. Unter den Top 5 finden sich dort die Forderungen, mehr Radwege zu bauen (56 Prozent), Radfahrende von den Pkw-Fahrenden zu trennen (50 Prozent), mehr Schutz- und Radfahrstreifen einzurichten und sichere Abstellanlagen zu bauen (je 41 Prozent). Auf Platz 5 landet mit 39 Prozent der Wunsch, mehr Fahrradstraßen einzurichten. Obwohl diese Wünsche unverändert sind, wird die Politik auf verschiedenen Ebenen etwas fahrradfreundlicher wahrgenommen als in der letzten Ausgabe des Fahrradmonitors. 62 Prozent bewerten die Kommunalpolitik als fahrradfreundlich, auf Landesebene sind es 58 und auf Bundesebene 52 Prozent.

(sg)

Die Studienreihe Fahrradmonitor wird seit 2009 im Zweijahresrhythmus vom Sinus-Institut durchgeführt. 4003 Bürgerinnen und Bürger zwischen 14 und 69 Jahren wurden von Mitte Mai bis Anfang Juni des vergangenen Jahres zu ihrem Mobilitätsverhalten und ihren Mobilitätspräferenzen mit Radverkehrsfokus befragt. Die Quotenstichprobe repräsentiert die deutsche Wohnbevölkerung nach Geschlecht, Alter, Bildung und Ortsgrößenklassen. Das Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr hat den Fahrradmonitor als Maßnahme zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans gefördert.