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Wer den Verkehrsraum umgestalten und neu verteilen will, begegnet meist großen Widerständen, egal ob durch die Bevölkerung oder das ortsansässige Gewerbe. Albert Herresthal, Herausgeber des Informationsdienstes Fahrradwirtschaft, sprach mit Kirsten Pfaue, Leiterin des Amts Mobilitätswende Straßen in Hamburg, darüber, wie sie in der Hansestadt Akzeptanz für ihre Maßnahmen erzeugt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Verkehrspolitik ist immer ein Konfliktfeld, denn Veränderungen gefallen nicht jedem. Wie gelingt es Ihnen, vor Ort eine möglichst breite Akzeptanz für die Umgestaltungen zu schaffen?
Die Hamburger Radverkehrsförderung haben wir einerseits durch das stadtweite Erheben und Analysieren von Daten untermauert. Wir haben in Hamburg ein dauerhaftes und automatisiertes Radverkehrszählnetz aufgebaut. Die Daten von rund 100 Messquerschnitten mit Wärmebildtechnik sind online abrufbar. Darüber können wir Entwicklungen erläutern und konkrete Maßnahmen erklären. Zahlen, Daten, Fakten schaffen Akzeptanz und Verständnis. Denn am Ende bilden sie das Verhalten der Menschen selbst ab und diese gehören als Nutzerinnen und Nutzer in den Mittelpunkt. Außerdem haben wir einen guten Maßnahmen-Mix hinbekommen zwischen Marathon, also lang andauernden Projekten wie dem Netzausbau und Sprints, also schnell umzusetzenden Maßnahmen wie der Roteinfärbung von Kreuzungsbereichen, der Umsetzung von Pop-up-Bikelanes und der Schaffung von mehr Protektion. Letztlich ist es so, dass Maßnahmen Akzeptanz haben, wenn die Menschen merken, dass sie ihre tägliche Mobilität verbessern. Durch mehr Komfort und mehr Sicherheit.

Setzen Sie Planungen auch gegen Widerstände durch oder ist die Akzeptanz der unmittelbar Betroffenen für Sie eine Voraussetzung für die Umsetzung?
Mit dem Kopf durch die Wand ist keine gute Grundhaltung und sicher nicht meine. Ich bin überzeugt davon, dass in jeder Kritik auch eine Botschaft und eine Chance stecken. Deshalb gilt es, in einem ersten Schritt ernsthaft zuzuhören, die Belange in den Prozess einzubauen und dann abzuwägen.

„Mit dem Kopf durch die Wand ist keine gute Grundhaltung.“

Kirsten Pfaue, Leiterin des Amts Mobilitätswende Straßen in Hamburg

Vielerorts kämpfen ansässige Einzelhändler um jeden Parkplatz und eine optimale Anbindung mit dem Auto. Erleben Sie das in Hamburg auch so? Welchen Weg haben Sie im Gespräch mit den Händlern gefunden, Verständnis für Ihre Planungen zu erreichen?
Wir haben uns in unserem „Hamburger Bündnis für den Rad- und Fußverkehr“ einen Grundsatz gegeben und zwischen allen Partnern abgestimmt, der heißt, dass alle Beteiligten der Information von Bürgerinnen und Bürgern, Betroffenen, Politik und Interessenverbänden in ihren Zuständigkeiten einen hohen Stellenwert einräumen. Dies insbesondere dort, wo bereits artikuliertes öffentliches Interesse, eine Verknüpfung mit anderen Planungsprozessen im Stadtteil, hoher Einzelhandels- und Gewerbebesatz, Parkplatzmangel oder viele Straßenbäume in engem Straßenraum Konflikte möglich erscheinen lassen. Hier soll stets eine Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden. Unser Ziel in Hamburg ist es, ins Gespräch zu kommen und zu verdeutlichen, welche Chancen auch für Händlerinnen und Händler durch eine bessere Radverkehrsanbindung bestehen – vor allem in Kombination mit dem ÖPNV.

Gibt es Projekte, die am Widerstand gescheitert sind, und wie gehen Sie damit um?
Natürlich ist es auch schon vorgekommen, dass wir Projekte „on hold gestellt“ oder umgeplant haben, weil es Rückmeldungen und Diskurse gab, die uns veranlasst haben, Dinge zu überdenken. Wichtig ist, sich dann nicht festzubeißen, sondern die Dinge in Ruhe mit allen Stakeholdern zu erörtern.

Welche Rolle spielen Presse und Medien für Ihre Arbeit und wie gelingt es, dass sie eine konstruktive Rolle einnehmen?
Der gesellschaftliche Konsens, dass wir eine Mobilitätswende brauchen, der ist in Hamburg da, und die Zahlen zeigen dies auch eindrucksvoll. In 2022 wurden 68 Prozent aller Wege der Bevölkerung Hamburgs mit Verkehrsmitteln des Umweltverbunds, also im ÖPNV, mit dem Fahrrad und zu Fuß, zurückgelegt. Im Vergleich zu 2017 ist dieser Anteil um 4 Prozentpunkte gestiegen. Den größten Zuwachs erreichte dabei das Fahrrad, dessen Anteil in 2022 gegenüber 2017 um sieben Prozentpunkte auf 22 Prozent angestiegen ist. Das ist enorm! Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs sank von 36 Prozent in 2017 auf 32 Prozent in 2022. Dies gibt meiner Arbeit natürlich viel Rückenwind und letztlich wissen wir doch alle, auch Presse und Medien, dass ein „einfach weiter so“ nicht geht. Auch gegenüber den Medien ist es deshalb wichtig, und dies ist unser Bestreben, transparent und klar zu erläutern, was wir warum tun. Dies hilft enorm.

Zur Person

Kirsten Pfaue hat mit dem Thema Fahrrad eine erstaunliche Karriere gemacht: Von 2010 bis 2014 war sie Landesvorsitzende des ADFC Hamburg, 2015 wurde sie Radverkehrskoordinatorin der Freien und Hansestadt Hamburg und heute leitet sie das Amt „Mobilitätswende Straßen“. Doch auch bundesweit ist Kirsten Pfaue gefragt. So wurde sie 2022 zur Vorsitzenden des Beirats Radverkehr im Bundesverkehrsministerium gewählt.
Doch Posten sind nur das eine, spannender sind die tatsächlichen Ergebnisse auf der Straße. Und hier hat Hamburg in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht, wenn auch beginnend auf sehr niedrigem Niveau (Bewertung Fahrradklimatest 2012: Schulnote 4,4). Heute findet man Velorouten und Fahrradstraßen, gerade auch an sehr prominenten Stellen, etwa entlang der Außenalster. Zwar ist Hamburg von durchgängigen Netzen für den Radverkehr noch weit entfernt, aber es ist eine konsequente Strategie erkennbar, deren Umsetzung im Vergleich zu vielen anderen Städten relativ geräuscharm erfolgt.


Bild: bvm.hamburg

Berlin hat eine neue Regierung. Die ersten Amtshandlungen der neuen Verkehrssenatorin brachten Radaktivist*innen in Aufruhr. Was steckt dahinter – und was ist zu erwarten? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Die Aufregung in der Hauptstadt vor den Sommerferien war enorm. „Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin, die zwar ‚Miteinander‘ propagiert, während ihr Herz aber eindeutig für die autogerechte Stadt schlägt“, kommentierte Ragnhild Sørensen die Aktivitäten der neuen Berliner Senatsverwaltung. Nicht nur die Sprecherin vom Verein Changing Cities, der seinerzeit den Volksentscheid zum Fahrradverkehr vorangetrieben hatte, Tausende waren in Berlin innerhalb weniger Tage mobilisiert worden und protestierten gegen den vermeintlichen Autopopulismus des neuen schwarz-roten Senats. Ende Juni feuerte Changing Cities aus vollem Rohr: „Verkehrssenatorin wickelt das Mobilitätsgesetz ab“, stand über einer Pressemitteilung. Die Medien der Hauptstadt berichteten über „mögliche Kürzungen beim Radverkehr“.

Neue Senatorin lässt Maßnahmen ruhen

Der konkrete Anlass für den Aufruhr war ein Verwaltungsvorgang, den selbst politische Widersacher der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) für eine legitime Maßnahme halten. Die Politikerin hatte am 16. Juni angekündigt, dass alle von der rot-grün-roten Vorgängerregierung beschlossenen Radwege-Bauprojekte überprüft würden. Während Schreiner von vornherein von einem „Ruhen“ der Maßnahmen und einer „Priorisierung“ mit dem Ziel eines funktionierenden Verkehrsmixes sprach, wähnten Vertreterinnen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) ebenso wie grüne Politikerinnen in den Berliner Bezirken einen möglichen „Stopp“ des Radwege-Ausbaus. Der ADFC sah die Gefahr, dass „bewusst Politik gegen die Radfahrer“ gemacht werde.

Freigabe nach Check durch die „Task Force“

Faktisch war Folgendes geschehen: Senatorin Schreiner hatte mit ihrer Verwaltung 19 Radwege-Baumaßnahmen überprüft, die noch von der alten Regierung beschlossen worden und in den folgenden drei Monaten für die Umsetzung vorgesehen waren. Eine „Task Force“ im Verkehrssenat hatte die Aufgabe, diese Projekte zu prüfen. Wer genau sich hinter dieser „Task Force“ verbarg, beantwortet die Pressestelle des Verkehrssenats wie folgt: „Die Task Force ist eine kleine agile Einheit, die sich aus Expertinnen und Experten der Radwegeverkehrsplanung zusammensetzt. Die Gruppe prüft und plant ideologiefrei Radwege in der ganzen Stadt. Sie wird dies auch weiterhin machen.“ Die Ergebnisse kamen in den folgenden Wochen Stück für Stück an die Öffentlichkeit, in der längst eine Negativberichterstattung hohe Wellen schlug. Mit drei Ausnahmen gab die Senatorin schließlich die geplanten Vorhaben und die Finanzmittelzusagen wieder frei. Viel Lärm um nichts also? Stefan Gelbhaar, direkt gewähltes Bundestagsmitglied für Bündnis 90/Die Grünen im Bezirk Berlin-Pankow und Radpolitik-Vordenker, ordnet das Handwerk ein: „Wie das kommunikativ in die Wege geleitet wurde, wie an die Bezirke gegangen wurde, was die Bezirke teilweise daraus gemacht haben, das war jetzt nicht nur kommunikativ, sondern auch politisch: einfach sehr schlechte Governance.“

„Die Verkehrswende will keiner stoppen, auch nicht die Senatorin.“

Andreas Knie
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Wahlkampfthema: „Politik gegen Autofahrer“

Die jüngste Eskalation zwischen Verkehrsaktivistinnen, Vertreterinnen der Bündnis-Grünen und der CDU-Senatsverwaltung geschah vor dem Hintergrund einer verankerten politischen Auseinandersetzung. Ein dankbares Wahlkampfthema für die CDU war die vermeintliche Ideologie, mit der wiederum die Grünen in der alten Regierung Mobilitätspolitik betrieben hätten. Das Motiv der leidenden Autofahrer schwang in Berlin ständig mit. Nach der Wahl sagte der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner, die Mehrheit in seiner Stadt sei es leid gewesen, dass laufend Politik gegen Autofahrer gemacht werde. „Dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“ Allerdings kann kaum die Rede davon sein, dass Wegner mit einem harten Autofahrer-Wahlkampf agiert hätte, sagen die politischen Beobachter. „Die Grünen hätten im Mobilitätswahlkampf stärker und überzeugter auftreten können. So musste die CDU nicht einmal einen harten Auto-Wahlkampf machen“, sagt etwa Heinrich Strößenreuther, Radverkehrsaktivist mit CDU-Parteibuch. Auch Andreas Knie, Mobilitätsforscher beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, hielt die Aufregung für übertrieben. „Kontroversen werden schon mal gerne künstlich herbeigeschafft“, sagt Knie, „die große Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner weiß um die Situation, weiß um die Probleme mit versiegelten Flächen und dem Verkehr.“ Daher ist der Forscher sicher: „Um es klar zu sagen: Die Verkehrswende kann man gar nicht mehr stoppen und die will auch keiner stoppen, auch nicht die Senatorin.“

Gewachsene Unzufriedenheit trifft neuen Senat

Mit einem etwas distanzierteren Blick auf die Vorgänge des Sommers tritt ein spannendes Muster zutage. Eine neue, eher konservative, Regierung tritt das Erbe jener Politiker an, die wiederum vor einigen Jahren stark vom Erfolg der Radverkehrs-aktivistinnen angetrieben worden waren. Die Baumaßnahmen in der Hauptstadt haben auch überregional Aufsehen erregt. 130 Kilometer hatte die Vorgängerregierung nach Berechnungen von „Changing Citites“ als neue Radwege ausgewiesen, das war deutlich weniger als eigentlich angestrebt. „Außerdem war das sehr großzügig gerechnet und oftmals nicht in der Qualität, wie sie im Berliner Mobilitätsgesetz gefordert wird“, urteilt Strößenreuther. Aus seiner Sicht war der Protest, der sich nun im Sommer gegen die neuen Verant-wortungsträgerinnen entlud, länger schon gewachsen. „Der Boden für den Widerstand gegen die Verkehrssenatorin ist sehr fruchtbar“, sagt Strößenreuther, „denn die Unzufriedenheit hat sich bereits mit der rot-grün-roten Regierung aufgestaut, kann sich aber jetzt eher entladen, da die eigene Klientelpartei nicht mehr in der Regierung ist.“

Auch nach sechs Jahren rot-grün-rotem Senat gibt es in Berlin beim Radverkehrsausbau noch viel zu tun. Die Berliner Verwaltungsstruktur mit viel Entscheidungskompetenz in den Bezirken macht den Weg dabei nicht einfacher, sagen Beobachter.

„Ideale Voraussetzungen für Aktivisten“

Was das bedeutet, war in Berlin gut zu erkennen in den vergangenen Wochen. Fahrradvertreterinnen und Politikerinnen der Grünen gingen in Alarmismus über. Auch die SPD, Regierungspartnerin der CDU, schloss sich öffentlich dem Widerstand gegen vermeintliche Sparmaßnahmen beim Radverkehr an. So erbte Senatorin Schreiner einerseits den Frust, andererseits hat sie eine besonders aufmerksame Community um sich herum. „Als Aktivist“ sei er erstaunt gewesen, „dass das Mobilitätsgesetz so schnell und so stark auf der Agenda war, wie nur ein kleiner Funke eine verkehrspolitische Explosion entzündet – das sind optimale Voraussetzungen, um miteinander das Thema Verkehrswende voranzutreiben, den sonst bleiben alle in ihren Schützengräben“, sagt Strößenreuther.
Grünen-Abgeordneter Gelbhaar sieht die kritische Masse als wichtige Rahmenbedingung. Anderthalb Wochen nach der Bekanntgabe des Moratoriums für die Radwege habe es einen zwölf Kilometer langen Demonstrationszug von Radfahrenden gegeben. „Das ging sehr schnell“, sagt Gelbhaar: „Das hat CDU und SPD im Senat beeindruckt und richtigerweise aufgeschreckt.“ So lässt sich bislang auch zumindest in den Äußerungen der Politikerin Schreiner keinesfalls eine Abkehr vom Radwegeausbau erkennen. „Der neue Senat hat ein ganz klares Ziel: Mehr Radwegekilometer zu bauen als die Vorgängerregierung“, heißt es aus der Pressestelle des Verkehrssenats.

Was hinterließ der alte Senat?

Mobilitätsforscher Andreas Knie hat sich selbst ein Bild gemacht. Er urteilt positiv: „Die Senatorin will es richtig machen. Und da muss man auch tatsächlich selbstkritisch sagen, dass die bisherige Regierung im Kampf um diese Gebiete, im Kampf um die ersten Meter das eine oder andere Stückwerk hinterlassen hat.“ Am Plan, ist Knie sicher, werde nicht gerüttelt. Tatsache ist, dass die alte Regierung den Prozess zwar vorangetrieben hat, die Maßnahmen aber teilweise sehr schleppend vorankamen. Gelbhaar verteidigt hingegen die Arbeit der Vorgängerregierung. Auf Bezirks-ebene hätten vor sechs Jahren die Straßenbau-Fachleute den Radverkehr „mitgemacht“, auf Landesebene habe es „anderthalb Leute für ganz Berlin“ gegeben. „Das hat sich geändert. In jedem Bezirk gibt es Menschen, die für den Radverkehr zuständig sind. In der Senatsverwaltung ist eine ganze Abteilung aufgebaut worden.“
Heinrich Strößenreuther sieht eine Verwaltungsbeschleunigung als elementar an. Die Lage habe sich schon mit der neuen Staatssekretärin unter der Vorgängerregierung verbessert, nun sei mit Claudia Elif Stutz eine Fachfrau und erfahrene Beamtin aus dem Bundesverkehrsministerium in den Senat gewechselt. Wichtig: Elif Stutz fahre selbst ganzjährig Rad, sagt Strößenreuther. Die von Rot-Grün-Rot geschaffenen personellen Kompetenzen, etwa 80 Personen, reichten zwar eigentlich nicht aus, glaubt Strößenreuther. Aber es sei eben eine Beschleunigung der Verwaltungsarbeit relevant, um das Thema voranzutreiben.

„Für die Verkehrswende muss beständig nachgelegt werden. “

Stefan Gelbhaar
Bündnis 90/Die Grünen

Sorge vor Veröden der Radpolitik

Grünen-Radpolitiker Stefan Gelbhaar hingegen ist in Sorge. Klar könne man jetzt nicht offen gegen die Radverkehrspolitik agieren. „Nach diesen Vorgängen steht im Raum, dass die Abteilung eben politisch abgeschnitten wird, dass sie langsam verödet, relevante Entscheidungen nicht getroffen oder verzögert werden.“ Seine Sorge: Bei den Haushaltsberatungen könnte die neue Regierung eher Budgets für Großprojekte freiräumen, etwa den U-Bahn- und Straßenbau. „Dann fehlen Geld und Personal bei realistischen Projekten in Sachen Straßenbahn und Fahrrad.“ Er befürchtet, dass sich zwar auf dem Papier zunächst nichts ändern werde, aber die Priorität des Radverkehrs nach unten rücke. „Die Frage ist: Kommen weiter viele neue Projekte dazu oder wird das Thema entschleunigt? Derzeit sehen wir nur Projekte, die von der alten Regierung noch auf den Weg gebracht wurden. Für die Verkehrswende muss allerdings beständig nachgelegt werden.“

Senat „will“ Budget auch nutzen

Die neue Regierung kündigt an, dass sie nicht nur Gelder für den Radverkehr im Haushalt einstellen wolle (29,32 Mio. Euro 2024, 29,81 Mio. Euro 2025), sondern anders als die Vorgängerregierung diese Mittel auch tatsächlich ausgeben „will“. Dies ist ein bekanntes Problem ineffizienter, aber ambitionierter Politik. Und hier setzen die Beobachter auf die Kraft der neuen Führung. Für Heinrich Strößenreuther wird es besonders wichtig sein, an die S-Bahn-Stationen auch qualitativ hochwertige Bike-and-Ride-Anlagen zu bauen und gefährliche Kreuzungen zu entschärfen. Hier stockte der Fortschritt zuletzt. Forscher Andreas Knie weist auf ein spezifisches Thema der Hauptstadt hin: In Berlin kümmern sich abseits der großen Straßen die Bezirke um den Straßenbau. „Es bräuchte ein Landestiefbauamt, wo der Senat nicht nur anordnet, sondern auch baut – oder wo die Bezirke Anträge stellen können.“ Eine Verwaltungsreform wäre seiner Ansicht nach also geboten, um dem Radverkehr nachhaltig Schub zu verleihen.

„Verkehrsbuch ohne Autohass“

Radverkehrs-Aktivist Heinrich Strößenreuther schreibt derzeit gemeinsam mit Michael Bukowski und Justus Hagel ein neues Buch, das die nachhaltige Stadtentwicklung inspirieren soll und dabei das „Gegeneinander“ durch „Miteinander“ ersetzen soll. „Das Verkehrsbuch ohne Autohass – wie wir alle den Kulturkampf um die Straßen gewinnen“ heißt das Projekt, für das seit Anfang August auf der Crowdfunding-Plattform Startnext Geld gesammelt wird. Strößenreuther kündigt gegenüber VELOPLAN an, dass das Buch auf jeden Fall veröffentlicht werde. Mit dem Crowdfunding möchten die Autoren auch Aufmerksamkeit darauf lenken, dass „Verkehrsfrieden“ geschafft werde.

https://www.startnext.com/verkehrsbuch-ohne-autohass/blog/beitrag/crowdfunding-ohneautohass-super-angelaufen-p102201.html


Bilder: stock.adobe.com – Tobias Seeliger, Stefan Gelbhaar, Albert Herresthal, stock.adobe.com – Marco

Der 8. Nationale Radverkehrskongress hat in Frankfurt von der Verzahnung mit der Eurobike profitiert. Rund 700 Radverkehrsakteur*innen kamen ins Kap Europa. Der gastgebende Verkehrsminister Dr. Volker Wissing begrüßte sie allerdings nur digital. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


„Es ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich“, fasste Frankfurts Bürgermeister Mike Josef die Arbeit der Radverkehrsplanung beim Eröffnungsplenum des NRVK zusammen. Die gastgebende Stadt sei auf dem Weg zur Fahrradstadt bereits mit großen Schritten vorangekommen, dennoch bleibe besonders im Gebäude- und Verkehrssektor viel zu tun. Das betrifft vor allem die Politik, die den Planer*innen Rückendeckung geben muss. In dieser Hinsicht wurden besonders Aussagen hinsichtlich des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) beziehungsweise der ihr nachge-
lagerten Straßenverkehrsordnung (StVO) vom rund 700-köpfigen Plenum mit Applaus untermalt. MdB Mathias Stein von der SPD betonte in einer Diskussion des Parlamentskreises Fahrrad, dass die kommende StVG-Novelle das Präventionsprinzip beinhalten sollte, nach dem Schutzmaßnahmen auch ohne bereits geschehene Unfälle leichter angebracht werden sollen. Der Parlamentskreis wurde in der letzten Wahlperiode gegründet, um parteiübergreifend Querschnittsthemen wie Industrie oder Tourismus zu besprechen.

Mehr Handlungsspielraum für Kommunen

Der parlamentarische Staatssekretär Oliver Luksic freute sich über die Frankfurter Woche des Radverkehrs und kündigte an, dass es zeitnah einen Gesetzesentwurf geben soll. Zu erwarten ist in diesem, dass gemäß dem Subsidiaritätsprinzip mehr Handlungsspielraum für Kommunen entsteht. „Das Thema des Kongresses ist gut gewählt – schneller mehr, besserer und sichererer Radverkehr. Denn die schnelle Umsetzung von Maßnahmen ist das Gebot der Stunde. Die Fördermittel für den Radverkehr stehen im Haushalt des Bundes bereit. Wir haben in dieser Legislatur Finanzierungs‐ und Planungssicherheit für die Kommunen geschaffen. Wir fördern den Radverkehr mit zahlreichen Programmen und unterstützen die zuständigen Länder und Kommunen unter anderem dabei, ihre Radinfrastruktur sicherer und komfortabler zu machen“, so Luksic. Er plädierte außerdem dafür, die Mittel zu nutzen, die der Bund zur Verfügung stellt. Luksic vertrat den Minister Volker Wissing als Gastgeber. Wissing sei in Berlin im Rahmen der deutsch-chinesischen Konsultationen vom Bundeskanzler einbestellt worden. Neben Luksic und Josef trat der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir als Eröffnungsredner auf: „Besonders freut es mich, dass der Nationale Radverkehrskongress erstmals im Zusammenhang mit der Eurobike durchgeführt wird. Das zeigt die wirtschaftliche Bedeutung des Radverkehrs und verstärkt den Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren.“ Al-Wazir plädierte dafür, die positive Wirkung des Radverkehrs auf die Lebensqualität zu kommunizieren. „Die Kopie ist die höchste Form der Anerkennung“, zitierte er weiterhin Oscar Wilde. Das Land Hessen fördert aktuell zum Beispiel Nahmobilitätskoordinatoren und -koordinatorinnen, die kleinen Kommunen beratend zur Seite stehen.

Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef war zum NRVK gerade noch frisch im Amt, hier bei der Radtour zur Eurobike mit Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und PStS Oliver Luksic.

Branchenverbände zeigen Präsenz

Nachdem die zweijährlich stattfindende Veranstaltung 2021 digital durchgeführt wurde, war sie 2023 zum ersten Mal an die Eurobike angegliedert. Auch die Fahrradbranche war auf dem NRVK durchaus präsent. Der Zweirad-Industrie-Verband, der Verbund Service und Fahrrad sowie Zukunft Fahrrad suchten an ihren Ständen den Austausch und waren inhaltlich in das Vortragsprogramm involviert. Die zwei Kongresstage boten 16 Fachforen, sieben Side-Events und 14 Exkursionen. Im Zentrum steht, den Nationalen Radverkehrsplan 3.0 umzusetzen. Auf der großen Bühne kamen namhafte Experten und Expertinnen zu Wort, darunter Patrick Döring von Wertgarantie, die Paracycling-Weltmeisterin Denise Schindler und Fairnamic-Chef Stefan Reisinger sowie Madeleine Brüse, Geschäftsführerin des Fahrradherstellers Müsing Bikes. Am zweiten Konferenztag fanden elf Exkursionen statt, die interessante Beispiele für Infrastruktur, Kampagnen und Projekte in Frankfurt und anderen Orten in Hessen besuchten. Auch Führungen über das Eurobike-Gelände waren Teil des Programms.
Die Sieger des Deutschen Fahrradpreises wurden in Frankfurt ebenfalls geehrt. In der Kategorie Infrastruktur konnte sich die Stadt Münster mit der Kanalpromenade durchsetzen. Auf einem Betriebsweg entstanden dort 27 Kilometer kreuzungsfreier Radweg. In der Rubrik Service & Kommunikation übergab Christine Fuchs von der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e.V. den 1. Preis an die Kölner Verkehrsbetriebe. Im dortigen Pilotprojekt können ÖPNV-Nutzer*innen kostenlos Lastenräder ausleihen. Zur fahrradfreundlichsten Persönlichkeit wurde in diesem Jahr nicht ein Mensch, sondern mit dem Freiburger SC gleich ein ganzer Verein ernannt.


Bilder: Bernd Roselieb, Dirk Michael Deckbar

Ist die Umsetzung der Verkehrswende nur eine Frage der Zeit oder ist noch gar nicht entschieden, wohin die Reise rund um die Mobilität in Deutschland überhaupt geht? In den letzten Jahren hatten viele den Eindruck, dass mehr über das „Wie“ einer Verkehrswende als über das „Ob“ gestritten wurde. Doch inzwischen scheint es, als habe sich der Wind grundlegend gedreht. Tatsächlich kommt die Verkehrswende zumindest auf Bundesebene kaum voran. Die Gegner jedweder Veränderungen im Verkehrsbereich werden zunehmend selbstbewusster und offensiver. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Dass im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien Ende 2021 das Wort „Verkehrswende“ kein einziges Mal vorkommt, hatte bereits hellhörig gemacht. Es hätte politisch ja gar nichts gekostet, den Begriff aufzunehmen, schließlich wäre er für alle Partner jederzeit interpretationsfähig geblieben. Von einer Antriebswende bis hin zu einer substanziellen Neuausrichtung deutscher Verkehrspolitik über die Elektrifizierung hinaus wäre hier alles drin gewesen. Stattdessen: Nicht mal das.
Mittlerweile ist die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Verkehrswende voll entbrannt. Jetzt rächt sich auch, dass nicht eindeutig diskutiert wurde, warum die Verkehrswende notwendig ist. Viele Menschen verbinden das Thema ausschließlich mit dem Klimaschutz. Andere denken dabei in größeren Kategorien, über das Klima hinaus: Schließlich ist auch der Wandel zu lebenswerten, inklusiven und menschengerechten Aufenthaltsräumen in unseren Städten und Dörfern erstrebenswert. Die Schaffung von Begegnungsräumen für Jung und Alt und auch der Lärmschutz durch weniger Autoverkehr sind ohne eine strukturelle Neugestaltung unseres Verkehrs kaum möglich. Fast überflüssig hier zu sagen, dass hierbei der Radverkehr eine tragende Rolle spielen kann und auch der Fußverkehr gestärkt werden muss.

„Bayern ist Autoland und die CSU bleibt auch Autopartei.“

Markus Söder

Autofahrer als Opfer der aktuellen Verkehrspolitik? Wahlslogan einer rechts-populistischen Partei.

Stumme Wirtschaft

Die Fahrradwirtschaft selbst ist in dieser Debatte wenig sichtbar. Das ist bedauerlich, denn die Rolle des Fahrrads als Wirtschaftsfaktor in Deutschland kann nur sie authentisch darstellen. Der Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) mahnt: „Die Branche insgesamt muss sich bewusst werden, dass Erfolge insgesamt nur durch politische Lobbyarbeit funktionieren.“ Das Auto konnte nur deshalb so erfolgreich sein, weil die frühen Automobilisten viel dafür geworben hätten, dass die Regeln geändert werden, dass es mehr Platz und mehr Geld für Autos gibt. „Und die Fahrradindustrie glaubt immer, das fiele vom Himmel.“
Das Thema Verkehrswende sollte auch nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Klimakatastrophe diskutiert werden, das würde zu kurz greifen. Bereits der Begriff „Verkehrswende“ ist unglücklich gewählt. „Mobilitätswandel“ wäre treffender, weil der Mobilitätsbegriff umfassender ist. Jede Wende, jede Veränderung macht Menschen Angst, wie der Kommunikationsexperte Michael Adler feststellt, „weil die unter archaischen Gesichtspunkten immer mit Bedrohung verbunden war“. Daher ist es auch besser von „Wandel“ zu sprechen, denn Wandel kommt von innen, er wird von vielen mitgestaltet, ist häufig ein gesellschaftlicher Prozess.
Solche Spitzfindigkeiten sind all denen egal, die heute für die Kontinuität der Dominanz des Automobils kämpfen. Dass die AfD das Auto in Deutschland als „bedrohte Art“ sieht, überrascht nicht, „Rettet den Diesel“ wurde zum Schlachtruf. Als dann die FDP den Verbrenner mit dem Argument klimaneutraler E-Fuels vor der Verbannung durch die EU schützen wollte, wurde deutlich, dass das Thema offensichtlich auch für den Wahlkampf taugt. Aus dieser Überzeugung schöpft auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der Anfang Mai vor großem Publikum erklärte „Bayern ist Autoland und die CSU bleibt auch Autopartei“. Er fügt noch an, dass der ländliche Raum das Auto eben braucht und deshalb auch die Autobahnen weiter ausgebaut werden müssen. Es scheint, als stünden wir wieder ganz am Anfang der Debatte über den Sinn oder Unsinn einer Verkehrswende in Deutschland. Weit her ist es dabei mit dem Niveau vieler Äußerungen zu dieser Auseinandersetzung nicht, besonders wenn man in die digitalen Medien schaut. Die Verkehrswende wird Teil eines Kulturkampfes.
Dabei ist gar nicht so entscheidend, was da gesagt wird, sondern wie etwas vorgebracht wird. So sagte der im April noch designierte Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, man werde nicht „gegen den Willen vieler Anwohner 2,30 Meter breite Fahrradwege fertigstellen, die am Ende kaum einer nutzt“. Er sagte das in einem Ton, als wären 2,30 Meter breite Radwege eine absurde Idee. Dabei entspricht diese Breite dem seit 2018 geltenden Berliner Mobilitätsgesetz. Dieses soll jetzt auch vom neuen, CDU-geführten Senat „weiterentwickelt“, sprich: autofreundlicher verändert werden. Kai Wegner wollte aber auch auf den „Klassiker“ der politischen Polemik nicht verzichten: Es ginge den Anhängern von mehr Radverkehr wohl mehr um Ideologie als um Lösungen. Die anderen wollten mit dem „Kopf durch die Wand“.
Ja, der gute alte Ideologie-Vorwurf. Merke: Man selbst lässt sich grundsätzlich nur von sachlichen Fakten, von pragmatischer Vernunft und gesundem Menschenverstand leiten. „Alle anderen sind ja immer Ideologen“, sagt Prof. Andreas Knie. Ideologie als abqualifizierendes Schimpfwort. Zwar stammt der Begriff aus dem Griechischen und bedeutet eigentlich etwas Positives, nämlich die „Lehre von den Ideen“. Aber im gängigen politischen Sprachgebrauch steht die Ideologie heute meist für starre und totalitäre Weltanschauungen. Ein Totschlag-Vorwurf also.
Der Riss zum Thema Verkehrswende geht nicht nur durch die Parteilandschaft, sondern auch durch die Wählerschaft innerhalb ein und derselben Stadt. Das zeigt sich vielerorts an den Wahlergebnissen der Stadtteile und Bezirke. Meist sind die Bewohner*innen des Stadtkerns tendenziell eher Befürworter der Verkehrswende, während in den Außenbezirken eher konservativ und autofreundlich gewählt wird.

Widerstände gegen Veränderungen gehören dazu, selbst wenn es um Dinge geht, die wir heute für selbstverständlich halten, wie etwa die Einführung der Gurtpflicht 1975.

Vergiftete Atmosphäre

Die verkehrspolitische Auseinandersetzung ist in Deutschland heutzutage oft schon so vergiftet und emotional aufgeladen, dass ein vernünftiger gesellschaftlicher Diskurs über sinnvolle Ziele für die Verkehrsentwicklung fast unmöglich scheint. Dabei entzündet sich der häufigste Streit am Ausbau von Radverkehrsinfrastruktur. Meist geht es hier um die Konkurrenz beim begrenzten Verkehrsraum, insbesondere dann, wenn dem Automobil Platz weggenommen und die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs (MIV) eingeschränkt werden soll. Dann wird auch nicht mehr von Kritikern gesprochen, sondern von „Autohassern“. Neben der Pathologisierung einer anderen Meinung wird die Gegenseite auch gern bewusst missverstanden. Bei der Forderung nach „weniger Verkehrsbelastung“ wird gleich unterstellt, das Auto solle komplett abgeschafft werden. Gegnerinnen jeglicher Veränderungen entdecken dann auch gern ihr soziales Herz: Wo soll der Pflegedienst denn parken? Wie soll die Oma zum Arzt kommen? Und der kleine Handwerks-Familienbetrieb, wie soll der die Kundschaft erreichen? Und ja, natürlich: Ein Tempolimit bedroht grundsätzlich das hohe Gut der Freiheit. Wir stecken also mitten in einer Auseinandersetzung, in der die wahren Motive der Protagonistinnen meist geschönt sind. Auch handfeste wirtschaftliche Interessen werden verschleiert. Offensichtliche Lobbyisten sind klug genug, nicht offen aufzutreten und lieber Dritte „soziale“ Argumente vorbringen zu lassen. Auch die interessierte Politik sorgt sich um den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und fordert deshalb, man müsse bei jeder Veränderung „die Menschen mitnehmen“. Das klingt nett und ist im Kern auch richtig, wird aber einseitig interpretiert. Denn die Politik muss sich natürlich fragen lassen, was sie dafür getan hat, „die Menschen“ auf notwendige gesellschaftliche Veränderungen rechtzeitig offen und ehrlich vorzubereiten. Maßnahmen gegen die Klimakrise beispielsweise sind Handlungen zur gesellschaftlichen Gefahrenabwehr, um noch viel größere Schäden für die Spezies Mensch abzuwenden. Das ist nicht ideologisch, sondern schlicht eine Güterabwägung. Über die darf sicher gestritten werden, doch das geschieht bei uns nicht mit „offenem Visier“. Der Debatte fehlt es häufig an der Redlichkeit ihrer Akteur*innen. So kann ein gesellschaftlicher Dialog nicht gelingen.

„Wir müssen viel mehr sagen, wo die Reise hingeht, in fünf oder zehn Jahren, auf welche Vorteile wir zusteuern.“

Michael Adler

Widerstände überwinden

„Die Menschen mitnehmen“ ist eine nette Floskel, besonders wenn der Ausspruch unterstellt, man müsse alle Menschen überzeugen können. Ein Blick zurück zeigt, dass es gegen gesellschaftliche Veränderungen immer lautstarke und emotional gezeigte Widerstände gab, auch gegen solche, die heute gewiss niemand wieder rückgängig machen will. Drei Beispiele genügen, um das zu belegen: Die Einführung von Fußgängerzonen in den 1950ern (Widerstand der ansässigen Kaufleute), die zwangsweise Einführung des Sicherheitsgurts beim Auto in den 1970er- Jahren und das Rauchverbot in Gaststätten 2008. Immer wurden die Debatten erbittert und oft auch mit fadenscheinigen und vorgeschobenen Argumenten geführt. Doch am Ende war die Zustimmung überwältigend.
Redlichkeit in der Debatte ist ein wichtiges Stichwort. Wenn sie fehlt, ist einer fruchtbaren Diskussion die Grundlage entzogen. Beim Klimaschutzgesetz spielt aber auch die Bundesregierung selbst eine zwielichtige Rolle. Der Staat erwartet von seinen Bürgerinnen und Bürgern zu Recht Gesetzestreue, aber das muss auch umgekehrt gelten dürfen. Es war schon grenzwertig genug, dass erst das Bundesverfassungsgericht 2021 die Bundesregierung zwingen musste, ihr Klimaschutzgesetz wirkungsvoll nachzuschärfen. Aber gut. Dann stellt die Bundesregierung fest, dass der Verkehrsbereich die gesetzlichen Klimaziele deutlich verfehlt und bei unveränderter Verkehrspolitik auch weiter verfehlen wird. Doch anstatt nun entsprechende Maßnahmen aufzusetzen, beschließt die Regierung die künftige Aufweichung der Sektorenziele, um nicht weiter gegen das Gesetz zu verstoßen. Eine „Insolvenzanmeldung“ nennt das Prof. Andreas Knie: Die Regierung sage damit, „Wir wollen uns nicht ändern, weil wir glauben, wir können uns nicht ändern“. Dieser Winkelzug der Bundesregierung, das Klimaschutzgesetz jetzt anzupassen, um sich aus der Schusslinie zu nehmen, hat in der Bevölkerung viel Vertrauen gekostet. Das führt zu einer weiteren Verhärtung.
Anders als bei der Corona-Pandemie, als sich die politischen Entscheider*innen intensiv von der Wissenschaft beraten ließen, scheint die Bundesregierung und allen voran Bundesverkehrsminister Volker Wissing völlig taub gegen jede fachliche Kritik. Die kommt ja nicht nur von den „üblichen Verdächtigen“, sondern praktisch von allen Seiten, auch von Sachverständigen aus dem eigenen Haus.

„Viele Chancen (…) wurden nicht genutzt, andere (…) werden nur langsam realisiert.“

OECD-Bericht über Deutschland

Verkehrsblockaden sind kein neues Phänomen, aber selten war die politische Bewertung so kritisch wie gegenwärtig gegen die Klimaproteste.

Resistenz gegen Kritik

Die auf die Klimakrise bezogene Kritik an der Verkehrspolitik der Bundesregierung ist so eindeutig, dass diese Resistenz schon beispiellos ist. Zuletzt hat Anfang Mai die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Wirtschaftsbericht für Deutschland eine Verdreifachung des Tempos bei den Klimaschutzmaßnahmen und mehr Entschlossenheit bei der Verkehrswende angemahnt: „Anstelle von Einzelmaßnahmen, die in erster Linie umweltfreundlichere Autos auf die Straße bringen sollen, braucht es eine ganzheitliche Strategie für nachhaltige Mobilität.“ Die OECD gibt auch Hinweise, welche Instrumente Deutschland nutzen könnte: „Viele Chancen, wie zum Beispiel ein breiterer Einsatz von Tempolimits, Mautgebühren für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge oder City-Mauten, wurden nicht genutzt; andere, beispielsweise die Anhebung der Parkgebühren, werden nur langsam realisiert.“
Vor diesem Hintergrund, wo Worte und die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Bewegung offenbar wenig nützen, kann es nicht verwundern, dass sich radikalere Formen des Widerstands bilden. Alle wissen, dass die Zeit wirkungsvoller Maßnahmen gegen die Klimakrise extrem begrenzt ist. Besonders betroffen von dieser Situation sind jüngere Menschen, die sich zuletzt mit verschiedenen spektakulären Aktionen (in Museen) oder Verkehrsblockaden in die Schlagzeilen gebracht haben. Aktivisten der „Letzten Generation“ sorgen mit ihren Aktionsformen für Aufmerksamkeit.
Besonders die Verkehrsblockaden erregen die Gemüter. Hier scheint ein Nerv getroffen zu sein, der Bürger wie Politik maximal emotionalisiert. Von „Klimaterroristen“ ist die Rede und die „Bild“-Zeitung heizt die Stimmung weiter an. Die politische Debatte verlagert sich in dieser Phase weg von den Defiziten der Klimapolitik der Regierung hin zu einem Streit über die Aktionsformen. Einigen dürfte das durchaus entgegenkommen. Es wird der Vorwurf formuliert, die „Klimakleber“ schadeten dem Klimaschutz mehr, als dass sie nutzten. Prof. Andreas Knie hält dagegen: „Nur durch die Regelübertretung passiert etwas. Ende Gelände, Extinction Rebellion und die Letzte Generation sind solche Regelbrecher und nur durch Regelbrecher wird ein gesellschaftliches Bewusstsein wach.“
Verkehrsblockaden sind übrigens keine Erfindung der „Klima-Kleber“. Es gab auch zuvor schon massive Blockaden in Deutschland und auch anderswo durch protestierende Landwirte. Und letztlich ist jeder Bahnstreik eine Einschränkung der persönlichen Freiheit all derer, die mit der Bahn mobil sein wollen. Doch das scheint im kollektiven Bewusstsein anders abgespeichert zu sein. Es scheint im Rechtsverständnis für viele akzeptabler zu sein, wenn Straßenblockaden wegen materieller Forderungen einzelner Gruppen durchgeführt werden, als wenn es um das Gemeininteresse Klimaschutz geht.

„Die Branche insgesamt muss sich bewusst werden, dass Erfolge insgesamt nur durch politische Lobbyarbeit funktionieren.“

Prof. Andreas Knie

Bahnstreiks sind gesellschaftlich akzeptiert, Blockaden durch Trecker von Landwirten ebenfalls, die Verkehrsblockaden der „Letzten Generation“ aber nicht?

Emotionale Sprengkraft

Die Verkehrsblockaden der „Letzten Generation“ besitzen eine solche emotionale Sprengkraft, dass sie sogar die Grundfeste unserer Demokratie erschüttern. Bundesfinanzminister Christian Lindner erklärte beim FDP-Bundesparteitag im April, Straßenblockaden seien „nichts anderes als physische Gewalt“. Und Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte angesichts der immer häufigeren Gewaltaktionen durch blockierte Autofahrende, Gewalttaten und Selbstjustiz gegen Klimaaktivisten müssten „leider dann eben auch zur Rechenschaft gezogen werden“. Leider. Aha. Rechtsstaat sieht anders aus. In diesem Klima langte zuletzt auch die Polizei ordentlich hin. Videos von unverhältnismäßiger Polizeigewalt mit sogenannten Schmerzgriffen lösten bei vielen Empörung aus. Hier läuft offenkundig etwas aus dem Ruder. Alles deutet auf eine weitere Eskalation des Protests hin, was für unser Gemeinwesen nicht ungefährlich ist.
Angesichts der verfahrenen Situation stellt sich die Frage, wie es mit der Entwicklung hin zu einer gesellschaftlich breit getragenen Mobilitätswende voran gehen kann. „Wir müssen positiv über eine veränderte Zukunft reden“, sagt Kommunikationsexperte Adler. „Der sprachliche und visuelle Rahmen, der um ein Thema gesetzt wird, bestimmt auch die Gefühle, die mit dem Thema verbunden werden.“ So etwas braucht natürlich Zeit, bevor es seine Wirkung entfalten kann. Anders gesagt: Es wäre gut gewesen, wenn wir mit der „neuen Sprache“ und den „neuen Geschichten“ schon vor vielen Jahren begonnen hätten. Michael Adler: „Wir müssen viel mehr sagen, wo die Reise hingeht, in fünf oder zehn Jahren, auf welche Vorteile wir zusteuern.“
Zum Bild einer positiven Fahrradkultur kann auch die Fahrradwirtschaft einiges beitragen. Dazu muss sie sich allerdings stärker in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Branchenverbände, deren Schwerpunkt naturgemäß die politische Lobbyarbeit sein wird. Eine Fahrradkultur setzt sich aus unzähligen kleinen Bausteinen zusammen, die in der Summe dann das Mindset der Menschen prägen. Wenn sich die Unternehmen der Fahrradwirtschaft, Hersteller wie Fachhändler vor Ort, überall auf der lokalen Ebene für eine stärkere Fahrradkultur engagieren, dann leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Mobilitätswandel mit all seinen positiven Auswirkungen.


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„Batteriezellen für leichte Verkehrsmittel müssen von unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können.“ Dieser Satz im Entwurf zu einer neuen EU-Verordnung versetzt gegenwärtig die Fahrradbranche in Alarmstimmung. „Aus unserer Sicht widerspricht das dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik“, sagt Tim Salatzki, Leiter Technik und Normung beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Bereits seit 2020 arbeiten EU-Kommission und -Parlament an einer Novelle der Richtlinie 2006/66/EC, die künftig als Batterieverordnung mit dem Aktenzeichen 2020/0353/COD unter anderem die Wiederverwertbarkeit und den ökologischen Fußabdruck von Energiespeichern in der EU regulieren soll. Eine wesentliche Neuerung ist dabei neben technischen Details die Umwidmung von einer Richtlinie zu einer Verordnung. Während die EU-Mitgliedsstaaten bei einer Richtlinie, im Fachjargon auch Direktive genannt, noch gewisse Freiheiten bei der Umsetzung in nationales Recht besitzen, ist eine Verordnung ab dem Moment ihrer Veröffentlichung in der gesamten EU rechtlich bindend. Nicht nur deshalb schauen gegenwärtig insbesondere die Marktteilnehmer der Fahrradindustrie auf die bislang in einem Entwurf enthaltenen Änderungen, denn neben den Kategorien Industriebatterien (unter die bisher auch E-Bike-Batterien fielen) und Gerätebatterien will die EU-Kommission eine neue zusätzliche Kategorie für E-Bikes und E-Scooter einführen, sogenannte LMT-Batterien (LMT: Light Means of Transport).
Bis Ende letzten Jahres befand sich die Verordnung im sogenannten Trilog von EU-Kommission und -Parlament sowie dem Rat der Europäischen Union. Noch im Juni soll die neue Verordnung von Rat und Parlament nun final bestätigt werden, bereits einen Monat später könnte sie in Kraft treten.
Nach aktuellem Stand enthält die Verordnung für LMT-Batterien unter anderem einen Passus, demzufolge künftig die einzelnen Akkuzellen eines E-Bike-Akkupacks von „unabhängigen Wirtschaftsakteuren“, also somit nicht nur von deren Herstellern, entnehmbar und austauschbar sein müssen. Für Tim Salatzki vom Zweirad-Industrie-Verband wäre diese Änderung der geltenden Rechtslage nicht nur mit den Regelungen der Vereinten Nationen für Gefahrgut unvereinbar, sondern schlicht auch technisch unsinnig: „Die Akkuzellen in einer E-Bike-Batterie sind üblicherweise wassergeschützt eingebaut und fest miteinander verbunden. Damit wird die nötige Standfestigkeit und somit Sicherheit im E-Bike-Betrieb gewährleistet. Diese Verbindungen lassen sich nicht so einfach lösen, ohne den Akkupack zu beschädigen. Darüber hinaus gibt es bei den E-Bike-Batterien praktisch kein Einzelversagen von Akkuzellen, sodass die Austauschbarkeit einzelner Zellen schon deswegen keinen Sinn machen würde“, erklärt der Technikexperte des Branchenverbands. „Das ist eine Lösung für ein Problem, das nicht existiert.“

„Das ist eine Lösung für ein Problem, das nicht existiert.“

Tim Salatzki, Zweirad-Industrie-Verband

Sammelquote bildet den Markt nicht ab

Ein weiterer Punkt, der in der Fahrradindustrie für einiges Kopfzerbrechen sorgt, sind die neu formulierten Anforderungen an die Sammelquote von E-Bike-Batterien an deren Lebensende, um diese dem Recycling zuzuführen. „Was das einheitliche Rücknahmesystem für Batterien angeht, da waren wir als Fahrradbranche bisher schon führend. Aber die neue, von der EU geplante Berechnungsmethode für die Sammelquote kann schlicht nicht funktionieren“, sagt ZIV-Mann Salatzki. Auch wenn noch nicht alle Details im Entwurf der Verordnung ausgestaltet seien, wäre absehbar, dass die EU in einer ersten Stufe erreichen will, dass eine Quote von 51% der durchschnittlich in den letzten drei Jahren in Verkehr gebrachten E-Bike-Batterien verbindlich wieder dem Recycling zugeführt werden müssen. Ab 2029 soll die Quote dann auf 61 % steigen. „Eine E-Bike-Batterie hat typischerweise eine Lebensdauer von sieben bis zehn Jahren, bei guter Pflege auch deutlich länger“, erklärt Salatzki. Eingedenk der starken Zuwächse im Absatz der letzten Jahre sei die von der EU geforderte Quote rein rechnerisch nicht umsetzbar, denn die allermeisten der im Markt befindlichen Batterien werden erst in der kommenden Dekade für das Recycling zur Verfügung stehen.
Einige weitere Inhalte der neuen Verordnung sind aus Sicht der Fahrradindustrie zwar mitunter anspruchsvoll in der Umsetzung, aber technisch machbar und aus Gründen der Nachhaltigkeit auch sinnvoll. So sollen beispielsweise künftig Quoten festgelegt werden, wie viel recyceltes Material, also zum Beispiel wiedergewonnenes Nickel oder Lithium, in neuen Zellen enthalten sein muss. Auch die CO2-Bilanz einer E-Bike-Batterie soll für die Verbraucherinnen künftig transparenter dargestellt werden. Denkbar sei eine verbindliche entsprechende Kennzeichnung mit einem QR-Code, hinter dem sich dann weitergehende Verbraucherinformationen zu den Eigenschaften und Inhaltsstoffen der jeweiligen Batterie verbergen. Die genaue Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen sollen der Verordnung in den kommenden 12 bis 18 Monaten noch nachgeschoben werden. Ein weiterer Punkt, der im Fahrradsegment bisher zwar schon marktüblich ist, aber noch nicht verbindlich geregelt wurde, ist eine Ersatzteilverfügbarkeit für E-Bike-Batterien von mindestens fünf Jahren nach dem Inverkehrbringen der letzten Einheit eines Bautyps. Unterdessen laufen hinter den Kulissen nicht nur beim ZIV einige Anstrengungen, um die (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch) offenbar unlösbaren Bestandteile der neuen Verordnung an die Realitäten von Technik und Markt anzupassen. Bei der jüngsten Mitgliederversammlung des ZIV am 21. April in Berlin sagte jedenfalls auch die Radverkehrsbeauftragte im Bundesministerium für Digitales und Verkehr Karola Lambeck den anwesenden Branchenvertreterinnen ihre Unterstützung zu, die aus ihrer Sicht nicht umsetzbaren Punkte der neuen Verordnung noch zu ändern.

Auszüge aus dem Entwurf

der neuen EU-Batterieverordnung:

„Batterien, die für die Traktion in leichten Verkehrsmitteln wie E-Bikes und E-Scooter verwendet werden, (…) haben aufgrund ihres zunehmenden Einsatzes in der nachhaltigen urbanen Mobilität einen erheblichen Marktanteil. Es ist daher angemessen, diese Batterien (…) als neue Kategorie von Batterien einzustufen, nämlich als Batterien für leichte Verkehrsmittel.“

„Bis zum 1. Januar 2024 müssen in Geräte eingebaute Gerätebatterien und Batterien für leichte Verkehrsmittel so konstruiert sein, dass sie mit einfachem und allgemein verfügbarem Werkzeug leicht und sicher entfernt und ausgetauscht werden können, ohne das Gerät oder die Batterien zu beschädigen. Gerätebatterien müssen vom Endnutzer entfernt und ausgetauscht werden können, und Batterien für leichte Verkehrsmittel müssen während der Lebensdauer des Geräts, spätestens aber am Ende der Lebensdauer des Geräts vom Endnutzer oder unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können, wenn die Lebensdauer der Batterien kürzer ist als die des Geräts. Batteriezellen für leichte Verkehrsmittel müssen von unabhängigen Wirtschaftsakteuren entfernt und ausgetauscht werden können.“

„Gerätebatterien und Batterien für leichte Verkehrsmittel müssen mindestens zehn Jahre lang nach dem Inverkehrbringen der letzten Einheit des Modells zu einem angemessenen und nichtdiskriminierenden Preis für unabhängige Wirtschaftsakteure und Endnutzer als Ersatzteile für die von ihnen betriebenen Ausrüstungen erhältlich sein.“ Anm. der Redaktion: Laut ZIV wurde diese Frist auf fünf Jahre geändert.

„Die Hersteller bzw. die in ihrem Namen handelnden Organisationen (…) müssen mindestens die folgenden Sammelziele für Batterien für leichte Verkehrsmittel erreichen und jährlich erfüllen, die als Prozentsatz der Mengen an Batterien für leichte Verkehrsmittel errechnet werden, die von dem betreffenden Hersteller oder kollektiv von den durch eine Organisation zur Herstellerverantwortung vertretenen Herstellern erstmals in einem Mitgliedstaat auf dem Markt bereitgestellt wurden: 75 % bis 31. Dezember 2025; 85 % bis 31. Dezember 2030.“ Anm. der Redaktion: Laut ZIV wurden diese Quoten zwischenzeitlich auf 51 % bis 2028 bzw. 61 % bis 2031 angepasst.

Quelle: https://eur-lex.europa.eu/procedure/EN/2020_353


Bild: Bosch E-Bike Systems

Die Vision der autogerechten Stadt drückt dem aktuellen Verkehrsrecht immer noch ihren Stempel auf. Verkehrsexperten und kommunale Entscheider fordern schon lange eine Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrsordnung (StVO), um die darin enthaltenen Blockaden für einen nachhaltigeren Verkehr zu lösen. Der Experte für Umweltrecht Prof. Dr. Stefan Klinski hat nun einen kleinen Eingriff mit großer Wirkung ins Spiel gebracht. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Seit Jahren blockiert das Verkehrsrecht nach gängiger Meinung den Umbau von Straßen für mehr Klimaschutz und nachhaltigeren Verkehr. Bürgermeisterinnen, Verbandsvertreterinnen und anderen Verkehrsexpert*innen warten deshalb schon länger auf einen Reformvorschlag zum Straßenverkehrsgesetz (StVG) und zur Straßenverkehrsordnung (StVO). Vor Kurzem hat nun Prof. Dr. Stefan Klinski als einer der führenden Rechtsexperten auf dem Gebiet einen Regulierungsvorschlag veröffentlicht, der mit vergleichsweise wenigen Worten beschreibt, was sich in StVG und StVO ändern sollte, damit Länder und Kommunen zügig die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Verkehr schaffen können. Der entscheidende Hebel ist dabei aus Sicht von Prof. Dr. Klinski, den Aspekt der „Prävention“ im StVG zu verankern. „Das wäre ein Richtungswechsel in der Verkehrspolitik“, sagt der Experte für Umweltrecht. Prävention, also die vorsorgende Verkehrsplanung bedeutet, dass Planer frühzeitig Maßnahmen ergreifen können, um mögliche Gefahren abzuwenden, die der Autoverkehr verursacht. Das betrifft Unfälle, aber auch Schäden, die Autos durch ihren Platzverbrauch, Lärm oder Emissionen verursachen, sowie mögliche Folgeschäden fürs Klima, die Umwelt oder die Gesundheit. Hinzu kommt, dass die Verkehrsbehörden damit auch die Weichen für den nichtmotorisierten Verkehr stellen können. Etwa indem sie Busspuren einrichten oder bedarfsgerechte Radnetze entwerfen. Auch städtebauliche Belange gehören laut Klinski zu einer vorsorgenden Verkehrsplanung, wie die Umwandlung von Stellflächen in Grünanlagen, um einzelne Standorte besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen.
All das sei bislang nicht möglich, weil der fließende Verkehr immer Vorrang hat. „Das Verkehrsrecht von heute entspringt den Visionen der autogerechten Stadt der 1950er- Jahre“, sagt Klinski. „Es ist konsequent darauf ausgerichtet, auf den Straßen möglichst viel Autoverkehr zu ermöglichen“. Diese Philosophie der Verkehrsplanung wurde bereits in den 1980er-Jahren kritisiert. In dieser Zeit setzten erste Initiativen Spielstraßen und verkehrsberuhigte Zonen durch. Ende der 1990er-Jahre wurde die Entwicklung eines beruhigteren Verkehrs immer wichtiger. „Im Jahr 2011 hat der Verordnungsgeber dann den existierenden Paragrafen 45 Absatz 9 StVO verschärft“, sagt Klinski. Seitdem darf der fließende Autoverkehr nur beschränkt werden, wenn eine ganz besondere Gefahrenlage vorliegt, die zudem belegt werden muss.

Schneller zu mehr Busspuren, zusammenhängenden Radnetzen und mehr Grün in der Stadt. Eine vorsorgende Verkehrsplanung macht das möglich.

§ 6 Absatz 1 StVG

(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen:

(4) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 8 oder Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 3, können auch erlassen werden

1. zur Abwehr von Gefahren, die vom Verkehr auf öffentlichen Straßen ausgehen,

2. zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, die von Fahrzeugen ausgehen, oder

3. zum Schutz der Verbraucher.

Vorrangstellung des Autos beenden

In Kombination mit besagtem Paragrafen der Straßenverkehrsordnung wird das Straßenverkehrsgesetz vielerorts zum Knebel für die Verkehrsplanung. „Das Straßenverkehrsrecht zielt momentan allein auf die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs“, sagt Klinski (siehe Kasten § 6 Absatz 1 StVG, einleitende Formel). Wollen die Planer an Hauptstraßen beispielsweise lokal begrenzt Tempo 30 anordnen, um die Sicherheit von Radfahrenden, Fußgängerinnen oder Kindern zu erhöhen, scheitern sie an der Rechtslage. „Es ist momentan nicht möglich, in den Verkehrsfluss einzugreifen, wenn mit besonderen Gefahren zu rechnen ist, sondern nur, wenn die Gefahrenlage bereits besteht“, sagt der Rechtsexperte. Es müssen also schwere Unfälle stattgefunden haben, um nachträglich regelnd eingreifen zu können. „Die Flüssigkeit des Verkehrs wird damit im Einzelfall über die Sicherheit und über die Sicherheitsvorsorge gestellt“, so Klinski. Um diese Verkehrspolitik pro Auto aufzubrechen, schlägt er vor, den § 6 StVG anzupassen. Normalerweise regelt ein Gesetz die wesentlichen Grundzüge eines Rechtsbereichs. Anders § 6 StVG: Dort werde nicht festgelegt, was den Straßenverkehr ausmachen soll, sondern er enthalte eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Verordnungsermächtigungen, die sich auf Fahrerlaubnis, Fahrzeugtechnik und das Verkehrsgeschehen beziehen. Obwohl erst im Jahr 2021 angepasst, ist der Paragraf sehr unübersichtlich. Seitdem regelt der erste Absatz ausschließlich das Interesse von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Interessant ist für den Rechtsexperten § 6 Absatz 4 StVG: Dort geht es erstmals auch um die Auswirkungen des Verkehrs auf andere Belange. „Allerdings in sehr schwach ausgeprägter Form“, sagt Klinski. An dieser Stelle will der Rechtsexperte den Hebel ansetzen. Werde hier der Aspekt der Vorsorge systematisch ergänzt, entfalte er schnell eine weitreichende Wirkung. Beispielsweise könnten die Kommunen an Hauptstraßen Tempo 30 anordnen, wenn die Geschwindigkeit zu mehr Lärm, Abgasen oder Unfällen führt. „Der Alexanderplatz in Berlin ist einer der Unfallschwerpunkte der Hauptstadt“, sagt Prof. Klinski. Tempo 30 würde die gesamte Verkehrssituation dort entspannen. Aber momentan ist es laut StVO nicht möglich, an Hauptstraßen im Kreuzungsbereich Tempo 30 anzuordnen. Den Ver-kehrsplanerinnen sind die Hände gebunden. Ebenso bei Busspuren: „Momentan dürfen sie nur angeordnet werden, wenn mindestens 18 Busse pro Stunde eine Stelle passieren“, sagt er. Mit einer vorsorgenden Verkehrsplanung könnte der Busverkehr vor einem Bahnhof oder einem Einkaufszentrum priorisiert und der Autoverkehr ausgesperrt werden.
Der Professor weiß, für Laien klingt die Platzierung der Änderungen in § 6 Absatz 4 StVG unspektakulär. Dort werden nur die sogenannten „Nebenzwecke“ der StVO behandelt. Aber deshalb werden sie nicht unbedeutender. Im Gegenteil. Dort platziert seien sie deutlich wirkungsvoller, als in die Allgemeinklausel des § 6 zu schreiben „sämtliche Absätze dienen auch dem Klimaschutz“. Davor warnt er. „Das klingt zwar gut, hat aber keine unmittelbare Wirkung“, sagt Klinski. Das Verkehrsministerium könnte auf die Antriebswende verweisen und sämtliche weiteren Änderungen ablehnen.
Klinskis Vorschlag dagegen wirke sofort. „Die Regelung kann bereits auf die bestehende StVO ergänzend angewandt werden“, sagt er. § 45 Absatz 9 StVO, der bislang alle vorsorgenden Maßnahmen blockiert, würde mit einer neuen Formulierung im § 6 Absatz 4 StVG wirkungslos. Die Straßenbehörden könnten eine Mobilitätswende beschleunigen, die aktive Mobilität, den Umweltverbund und klimagerechte Straßen fördert.

§ 6 Absatz 4 StVG

Änderungsvorschlag vom Prof. Dr. Stefan Klinski

Rechtsverordnungen nach Absatz1 Satz 1, durch die oder auf deren Grundlage durch Anordnungen der zuständigen Straßenverkehrsbehörde bestimmt wird, wie öffentliche Straßen benutzt werden können, dienen auch

1. zur Minderung von nachteiligen Auswirkungen durch die Benutzung von Fahrzeugen im Straßenverkehr auf die Umwelt einschließlich des Klimas sowie auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen, insbesondere im räumlichen Umfeld der Straßen,

2. zur Schaffung günstiger Bedingungen im Straßenverkehr für einen künftig zunehmenden nichtmotorisierten Verkehr, insbesondere für die Nutzung von Fahrrädern sowie für die Mobilität zu Fuß und für Menschen mit Beweglichkeitseinschränkungen,

3. zur Sicherstellung eines flüssigen, erforderlichenfalls vorrangigen Verkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln,

4. zur zeitlich und räumlich differenzierenden Ordnung des Verkehrs in Rücksichtnahme auf Bedürfnisse der Nacht-, Feiertags- und Sonntagsruhe, auf Ferienzeiten und auf kulturelle, sportliche, religiöse oder sonstige nicht verkehr-liche Anlässe sowie

5. zur Berücksichtigung städtebaulicher Belange auf Initiative der Gemeinde, auch bezogen auf einzelne der in Nummer 1 bis 5 angesprochenen Zwecke und Maßnahmen, und können durch die zuständigen Straßenverkehrsbehörden ohne weitere Voraussetzungen für Anordnungen auf Grundlage der Rechtsverordnungen angewendet werden, soweit dies im Einzelfall zu einem dieser Zwecke erforderlich ist und Belange der Sicherheit des Verkehrs oder zwingende sonstige öffentliche oder private Belange nicht entgegenstehen. Für Anordnungen im Sinne von Satz 2 ist in den Rechtsverordnungen vorzusehen, dass Gemeinden Anträge auf solche Maßnahmen stellen können und diese pflichtgemäß zu
bescheiden sind.

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Radfahren wird im politischen und gesellschaftlichen Kontext vor allem als verkehrstechnische Chance und Herausforderung behandelt. Das Potenzial des Fahrrads zur Eindämmung vieler Volkskrankheiten wird hingegen in der öffentlichen Diskussion seltener beachtet. Daran ist auch das Ressortdenken in Politik und Verwaltung mitschuldig. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Das von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Mindestmaß an Bewegung liegt bei 150 Minuten intensiver Bewegung bei gleichzeitig zweimaligem Krafttraining pro Woche. In Deutschland erreichen nur 20 % der erwachsenen Bevölkerung dieses Ziel im Alltag. Bei Kindern und Jugendlichen sieht es kaum besser aus. Schon vor der Covid-19-Pandemie bewegten sich zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen nicht genug. Seit 2020 hat sich die Situation noch verschärft: Im vergangenen Jahr stellten verschiedene Studien fest, dass sich die Hälfte der Kinder noch weniger bewegt als vor der Pandemie, 25 % essen mehr Süßigkeiten, jedes sechste Kind leidet unter Gewichtszunahme.
Welche Konsequenzen die Bewegungsarmut der nachwachsenden Generationen für die Zukunft der Gesellschaft haben wird, ist in der Gesamtheit bisher kaum abzuschätzen. Aktuelle Studien zu den geschätzten Folgekosten oder zum volkswirtschaftlichen Nutzen von Sport und Bewegung im Allgemeinen gibt es kaum. Der „Global Status Report on Physical Activity“ der WHO von 2022 geht jedoch davon aus, dass in der aktuellen Dekade weltweit 500 Millionen Menschen unter Zivilisationskrankheiten leiden werden. Dabei geht die WHO von Folgekosten in Höhe von 27 Mrd. US-Dollar für die Behandlung unter anderem von Herz-Kreislauf-Leiden, Adipositas und Diabetes aus, welche hauptsächlich für die entwickelten Industrieländer anfallen werden. Wissenschaftler*innen mahnen schon seit Jahren, dass es eines Paradigmenwechsels hin zu mehr Bewegung bedarf.

Dienstrad-Leasing schafft nicht nur zusätzliche Anreize für Arbeitnehmer*innen, sondern zahlt positiv auch unmittelbar auf die Krankheitstage der Beschäftigen ein.

Politik und Bewegung

Verkehrspolitik sei bislang sehr technisch geprägt, sagt die Bundestagsabgeordnete Swantje Michaelsen. Die Grünen-Politikerin ist Co-Vorsitzende des Parlamentskreises Fahrrad im Bundestag und Mitglied des Verkehrsausschusses. Das Fahrrad als Querschnittsthema habe es schwer in einem von Ressortdenken geprägten System. Die engen festgelegten Zuständigkeiten erschweren eine ressortübergreifende Zusammenarbeit. Dies sehe sie auch im Gesundheitsbereich, in dem wiederum das Thema Alltagsmobilität zu kurz käme. Um in diesem politischen Koordinatensystem systemische Veränderungen zu initiieren, bedürfe es einer enormen Anstrengung. Auf Initiative einiger fahrradaffiner Gesundheitspolitiker*innen wird nun die nächste Sitzung des überparteilichen Parlamentskreises zu dem Thema „Fahrrad und Gesundheit“ ausgerichtet. Anzeichen für ein Umdenken also. Offenbar auch seitens des Bundesministers für Gesundheit – zugesagt hat auch Sabine Dittmar, parlamentarische Staatssekretärin des Ministers.

Die Sportwissenschaftlerin Susanne Tittlbach hat zusammen mit Kollegen ermittelt, dass ein per Rad zurückgelegter Arbeitsweg das Gesamtmortalitätsrisiko im Vergleich zum Gehen um mehr als das Doppelte reduziert.

Fahrradfahren als Beitrag zum Kampf gegen Bewegungsarmut

In einem demnächst erscheinenden Artikel haben sich die wissenschaftler*innen Professorin Susanne Tittlbach, Dr. Julia Lohmann und Professor Peter Kuhn mit dem Thema „Bewegung, Gesundheit und Nachhaltigkeit“ auseinandergesetzt. Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema Fahrradmobilität als Verknüpfung von Bewegung, Gesundheit und Nachhaltigkeit. In der mit dem Fahrrad praktizierten aktiven Mobilität sehen sie eine große Chance für die Bekämpfung von Bewegungsarmut.
Sowohl aus der Perspektive der Public Health als auch der Global Health könne man auf eine Reihe positiver Faktoren verweisen. Auch wenn das Radfahren im Alltag das Krafttraining als einen Teil der WHO-Bewegungsempfehlungen nicht ersetzen kann, wäre der Aspekt der ausdauerorientierten Aktivität der WHO-Bewegungsempfehlung über die Woche allein über die Arbeitswege erreichbar, wenn an fünf Tagen ein je 15-minütiger Hin- und Rückweg zur Arbeit aktiv mit dem Rad zurückgelegt würde.
„Ein per Rad zurückgelegter Arbeitsweg senkt das Gesamtmortalitätsrisiko um mehr als das Doppelte im Vergleich zum Gehen. Zusätzlich sind weitere Präventionseffekte möglich, beispielsweise auf Diabetes- oder Krebsrisiko, auf welches ausschließliches Gehen im Alltag keine signifikanten Effekte aufweisen konnte“, heißt es in dem zuvor erwähnten Artikel. Infrastrukturelle Voraussetzungen für einen Arbeitsweg per Fahrrad zu verbessern, lohnt sich also auch aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Hinzu kommt der positive Einfluss auf die mentale Gesundheit. Laut Tittlbach, Lohmann und Kuhn zeigen sich in den wenigen vorhandenen Studien dazu „positive Assoziationen von aktiver Mobilität mit mentaler Gesundheit, kognitiven Fähigkeiten und geringer wahrgenommenem Stress“. Dies können Fahrradfahrende leicht aus eigener Erfahrung bestätigen. Mit dem Rad ließen sich also die gesellschaftlichen Folgekosten von Bewegungsarmut buchstäblich „runterfahren“.

Initiativen wie die Aktion Fahrrad wollen das Fahrrad an den Schulen nicht nur als Verkehrsmittel, sondern auch als Sportgerät stärker verankern.

Das Fahrrad in der Bildung

„Bildungspolitik ist die beste Sozialpolitik. Sie ist auch die beste Wirtschaftspolitik, die beste Klimaschutzpolitik“, sagte die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) Jutta Allmendinger jüngst im Interview. Ebenso wie Gesundheitspolitik, könnte man ergänzen. Doch gerade im Bildungsbereich hat Bewegung in Form des Sportunterrichtes eine schwache Position. Schulen haben zum Teil keine benutzbare Sporthalle, oft wird der Unterricht von fachfremden Lehrerinnen ausgeübt. Es verwundert kaum, dass sich das im gesundheitlichen Status von Kindern und Jugendlichen niederschlägt. Die Active Healthy Kids Global Alliance, eine internationale Vereinigung von Wissenschaftlerinnen, hat in der Global Matrix 4.0 den Status der körperlichen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen untersucht und konnte trotz relativ guter Voraussetzungen hinsichtlich der Rahmenbedingungen hierzulande nur die Note 4 vergeben.
Verkehrsverbände wie der VCD und der ADFC und auch einige Krankenkassen haben sich auf die Förderung aktiver Mobilität auf dem Schulweg der Kinder konzentriert. Diesen mit dem Fahrrad zu erfahren, verringert nicht nur die durch Elterntaxis verursachten Autounfälle. Positive Gesundheitswirkungen sind auch im physischen und psychosozialen Bereich nachweisbar, etwa im Hinblick auf körperliche Fitness, der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem Sozialverhalten. Signifikant ist auch die damit einhergehende Abnahme von Verkehrsunfällen und verunfallten Kindern in der Nähe von Schulen.
Man könnte jedoch mit dem Fahrrad auch direkt in die Schule vordringen: Eine Integration des Fahrrades in den Sportunterricht würde gesundheitspolitisch ebenso wie verkehrstechnisch positive Effekte haben. Radfahren als Kulturtechnik ist ebenso wie Schwimmen enorm wichtig. Ihm komme für die Ausprägung einer Bewegungskompetenz eine große Bedeutung zu, so Professor Tittlbach im Interview. Doch das Fahrradfahren sei zwar als Wahlfach sehr beliebt, im Sportartenkanon aber nicht obligatorischer Bestandteil der Lehrerinnenausbildung. In Berlin kann man inzwischen an einigen Schulen bereits Radfahren als Abiturfach belegen. Weiteres Potenzial für die Integration des Fahrrades in den schulischen Bereich könnte auch über das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) erschlossen werden, welches ab 2026 schrittweise rechtskräftig werden wird. In der Umsetzung stellt das Gesetz die Schulbetreiber vor enorme Herausforderungen. Ohne externe Partnerinnen wird eine hochwertige Einbindung von Bewegungskonzepten in den Ganztagsbereich kaum möglich sein. Hier sind zum einen die Radsportverbände gefragt, welche ohnehin über Nachwuchssorgen klagen. Aber auch der VCD könnte hier seine Erfahrung in der Mobilitätsbildungsarbeit einbringen, so Anika Meenken vom VCD. Die dringend nötige personelle Unterstützung könnte aber auch aus der fahrradaffinen Zivilgesellschaft kommen. Je nach geografischer Verortung ist eine Heranführung ans Mountainbike oder ans BMX auch unter dem Aspekt der Ausbildung zukünftiger Olympioniken vielversprechend. Eine Einbindung des Einrades oder von Mannschafts-Ballsportarten wie Radball oder Radpolo könnte auch der Popularität der Radsportarten nutzen. Denkbar ist auch eine Kooperation mit der Fahrradwirtschaft, immerhin ist ein Heranführen von Kindern an das Fahrrad auch für sie nicht unwichtig. E-Scooter und andere relativ neue Formen der Mikromobilität stehen ebenfalls bereit, den Kund*innen von morgen flexible Mobilität zu ermöglichen.

Projekte zur Stärkung des Fahrradfahrens für Kinder und Jugendliche

Das Projekt „Zu Fuß und mit dem Fahrrad zur Schule und zum Kindergarten“ ist eine Mitmachaktion für Kinder, die seit knapp 20 Jahren vom Deutschen Kinderhilfswerk und dem VCD durchgeführt wird. Jeden September werden Schulklassen und Kindergartengruppen zu Aktionen aufgerufen, bei denen sie lernen, den Weg zum Kindergarten oder zur Schule selbst zurückzulegen.

www.zu-fuss-zur-schule.de

„FahrRad! Fürs Klima auf Tour“ ist ein Fahrradkilometer-Wettbewerb für Jugendgruppen. Ziel ist es, gemeinsam möglichst viele Fahrradkilometer zu sammeln. Jeder geradelte Kilometer wird zusammengerechnet und ins Internet übertragen.

www.klima-tour.de

Der VCD Bildungsservice bietet umfangreiche Lehr- und Lernmaterialien rund um das Thema nachhaltige Mobilität vom Kindergarten bis zur Berufs- und Hochschule und für außerschulische Bildungseinrichtungen.

bildungsservice.org

Eine weitere Aktion ist die Kidical Mass, die zweimal jährlich von einem breiten Aktionsbündnis, dem auch ADFC und VCD angehören, organisiert wird.

kinderaufsrad.org

Außerdem gibt es die AKTIONfahrRAD , die gemeinsam mit Partnerinnen aus der Fahrradwirtschaft deutschlandweit (Schul-)Projekte wie beispielsweise die Schoolbikers umsetzt, Schulen Fahrräder zur Verfügung stellt und sich in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen engagiert.

www.aktionfahrrad.de

Gesunde Arbeitnehmer*innen

Schon 2016 belegte eine Studie, wie sehr Radfahrende im ökonomischen Interesse von Arbeitgeberinnen liegen. Menschen, die ihren Arbeitsweg ganzjährig zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen, wiesen durchschnittlich zwei Krankheitstage weniger auf, haben einen niedrigeren BMI-Wert, sind zufriedener und bleiben länger arbeitsfähig. Den Grünen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar veranlasste diese positive Bilanz zu der Forderung nach einem zusätzlichen Urlaubstag für alle, die regelmäßig mit dem Rad zur Arbeit fahren. Seine Forderung wurde damals auch aus Angst vor einer „Gesundheitspolizei“ abgewiesen. In Anbetracht einer längeren Lebensarbeitszeit und des demografischen Wandels wird das Thema Gesundheit im Arbeitskontext jedoch weiter an Bedeutung gewinnen.
Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren eine Reihe von steuer- und beitragsfreien Zuschüssen zur Gesundheitsförderung von Beschäftigten ins Leben gerufen. Diese Präventionsmaßnahmen und finanziellen Anreize kommen aber der Bewegungsförderung mit dem Fahrrad nicht zugute. Hier wäre ein Inspirationsschub in Richtung Fahrrad für die Politik hilfreich.
Die gängigste Maßnahme, die Arbeitgeberinnen zur Förderung des Fahrrades zur Hand haben, ist das Dienstrad-Leasing. Mit ihm wird betriebliche Mobilität ebenso wie der Verkauf hochwertiger Fahrräder gefördert. Doch nur 4 Prozent der Bevölkerung können bislang von entsprechenden Angeboten profitieren. Betrachtet man es genau, ist ein klarer Objektfokus auf das Fahrrad erkennbar; die Gesundheit der Fahrradfahrenden steht dabei nicht im Mittelpunkt. Wie oft das geleaste Rad am Ende tatsächlich bewegt wird, ist weder für den Gesetzgeber und Arbeitgeberinnen noch für die Fahrradwirtschaft entscheidend. Technisch betrachtet wäre die Erfassung der real gefahrenen Kilometer durchaus machbar und beispielsweise als Grundlage für Boni der Krankenkassen denkbar.

Ein praktischer Blick nach vorn

Für Kommunen ergäbe sich durch die Wertschätzung der bewegungsfördernden Effekte des Fahrrades eine zusätzliche Motivation und Argumentation für den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur. Auch neue Fördertöpfe ließen sich durch einen Fokus auf den Bereich Gesundheit und Bewegungsförderung bereitstellen oder zielführend abschöpfen. Ebenso sollten strategische Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention Fahrradmobilität mit einbinden. Ein Beispiel hierfür ist der Entwicklungsplan Sport, in dem das Potenzial des Fahrrades unbedingt sichtbar sein sollte.
Die Fahrradwirtschaft hätte die Option, ihren Beitrag zur Bewegungsförderung jenseits des Verkaufens von Fahrrädern auszuweiten. Eine Möglichkeit hierfür wäre etwa eine Verstärkung des kommunalen Engagements, beispielsweise durch Aktionen pro Fahrrad in Schulen und Sportvereinen. Auch ehrenamtliches Engagement, das im Bereich „Sport und Bewegung“ auf eine lange Tradition zurückblicken kann, würde das Fahrrad als Thema stärken und Kinder bewegen. Da in den Kommunen die tatsächliche Förderung von Bewegung und der Ausbau von Radwegen geschieht, lohnt sich hier ein Kulturwandel hin zu einer aktiveren Stärkung des Themas Fahrrad absolut.
Letztendlich muss es darum gehen, die große Gruppe der potenziell Interessierten aber durch die schlechte Infrastruktur vom Radfahren abgehaltenen Menschen zur (häufigeren) Nutzung des Fahrrades zu motivieren. Unter dieser Zielsetzung sind Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und auch kreative Köpfe gefragt. Ein moralischer Zeigefinger wird niemanden auf das Rad bringen; hier braucht es eine gute Story, weiterhin einen interdisziplinären Ansatz, gute Zusammenarbeit der Stakeholder und Geld. Eine Einbeziehung des gesundheitsfördernden Aspektes in die Arbeit pro Fahrrad könnte einen Beitrag für diesen Paradigmenwechsel leisten.


Bilder: stock.adobe.com – Kara, Jobrad, Stefan Dörfler, Aktion Fahrrad, Grafik Quelle: Institut für Generationenforschung

Während viele Entscheider*innen aus Verwaltung und Politik noch über mehr Radverkehr oder weniger Autos nachdenken, überholen die hochdynamischen Entwicklungen alte Realitäten. Vieles spricht dafür, dass verschiedenste Formen von Mikromobilität und Mobility as a Service (MaaS) dabei sind, unsere Gewohnheiten und Routinen und auch Märkte gründlich zu verschieben.(erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2021, Sept. 2021)


Selbst in hochkarätig besetzten Diskussionspanels geht es meist um die gleichen Themen. Verkürzt gesprochen: Wie kann man Verkehr (meist gemeint: Autoverkehr) flüssiger und umweltfreundlicher gestalten, wie lässt sich Radverkehr störungsfrei und einigermaßen sicher in diese Strukturen integrieren und wie kann der ÖPNV dazu beitragen, Straßen vom Autoverkehr zu entlasten?

Mikromobilität bei Entscheidern unterschätzt


Wie wenig bislang neue Mobilitätsformen mitgedacht werden, zeigte exemplarisch kürzlich eine Runde der Bundesregierung zum Thema „Mobilität der Zukunft“ und die Antworten auf die Frage, warum auf der einen Seite private Elektroautos und mutmaßlich eher umweltschädliche Hy-brid-Fahrzeuge gefördert und auf der anderen Seite deutlich umweltschonendere Mikromobilität ausgespart würde. Die Antwort: Erst Ratlosigkeit, ausgerechnet aus dem Bundesumweltministerium, und dann die Ergänzung einer Vorständin von Continental, dass man ja wisse, welche Pro-bleme mit den Tretrollern verbunden wären und dass diese gerne in Gewässer geworfen würden. „Die Unkenntnis und Ignoranz der Politik beim Thema Mikromobilität ist ein absoluter Skandal“, sagt dazu der Experte Dr. Hans-Peter Kleebinder, der mit den Schwerpunkten Mobilität, Smart Cities, strategische Markenführung sowie Innovationsmanagement unter anderem als Lehrbeauftragter der Universität St. Gallen und als freier Berater tätig ist.

Mikromobilität ist viel mehr als nur E-Kick-scooter. Marktreife Pkw-Alternativen stehen bereit zum Kauf, als Miet-Abo oder als Sharing-Fahrzeuge.

Bereits die Reduktion auf das Thema E-Tretroller spricht wohl dafür, dass das Thema entweder nicht verstanden oder bewusst in eine bestimmte Ecke gedrängt wird. Harsche Kritik kommt von ihm auch zur Verteilung der Fördermittel: „Die Förderpraxis ist absurd und die Umweltprämie de facto reine Wirtschaftsförderung. Das meine ich als Bürger und Beirat bei Microlino“ (red. Anm.: neues Microcar, Kategorie Light Electric Vehicle LEV).

E-Kickscooter als „Feindbild“?


Viele neue Technologien und Produkte bleiben nicht ohne Risiken, Nebenwirkungen oder handfeste Pro-bleme. Vor allem in der Anfangsphase. Neben berechtigter Kritik gibt es zudem oftmals aber auch eine Reihe von Vorurteilen, die sich, bewusst oder unbewusst mit verschiedenen Motiven und Ängsten vermischen – in der Steigerung bis hin zu Ächtungs- und Verbots-Szenarien.

Perfekte Basis für multimodale Mobilität. Alternative Angebote werden, wie bei Free Now (ehemals MyTaxi), direkt in die App integriert.

Mit Blick auf die im Grunde ja eher harmlosen E-Kick-scooter stellt man schnell fest, dass es inzwischen fast schon zum guten Ton gehört, sie samt den Nutzerinnen pauschal abzuwerten oder zu verdammen. Zu den Vorwürfen gehören sowohl das Fehlverhalten, sicher auch bedingt durch mangelnde Fahrfertigkeiten und sonstige Kenntnisse der Nutzerinnen, wie auch allgemeine gesellschaftliche Phänomene wie Vandalismus, Formen von unsozialem oder ignoranten Verhalten oder ganz simpel Platzprobleme. Was hilft, ist eine differenzierte Sichtweise und sicher auch ein Blick in die Vergangenheit. Denn Ähnliches hat man schon zu Karl von Drais‘ Erfindung, der Draisine gesagt, zu den folgenden „Hochrädern“ und den deutlich sichereren „Niederrädern“, dem E-Bike oder den „unsportlichen“ E-Mountainbikes. Auch Autos und ihren Fahrer*innen stand man lange skeptisch gegenüber. Teils musste sogar ein Mensch mit roter Flagge als Warnung vorauslaufen. Jede Menge Kritik kennt man auch mit Blick auf Skifahrerinnen, den Snowboard-Trend, Skateboarder etc. Was die Sichtweise mit Blick auf E-Kickscooter betrifft, kann man immer wieder feststellen, dass hier viele Fragen in den Fokus gerückt werden, die man umgekehrt bei Autos oder Motorrädern so nur selten oder gar nicht stellt: Werden sie eher als Freizeitfahrzeuge oder echte Transportmittel genutzt? Wo sollen sie bloß parken? Wie sieht es mit der Umweltfreundlichkeit aus? Wie mit der Sicherheit? Was ist mit der Befolgung der StVO? (…)
Beim Thema Parken kann man sich beispielsweise fragen, warum von offiziellen Stellen in Diskussionen einerseits beklagt wird, dass Städte „mit E-Scootern vollgemüllt“ würden, während andererseits Autos großflächig auf Fußwegen geduldet werden und in der Politik um jeden (Auto-)Parkplatz, der umgewidmet werden soll, gerungen wird.

Die E-Kickscooter machen hier als Vorreiter schlicht ein Problem deutlich, das auch andere Mobilitätsformen, wie 45-km/h-E-Scooter, Lastenräder, Mikromobile für Senioren oder Carsharer teilen: Platz wäre da, aber die Kapazitäten sind durch die schiere Menge an privaten Pkws faktisch längst erschöpft. Wenig hilfreich erscheinen auch Diskussionen darüber, welche Wege im Einzelnen substituiert werden, denn letztlich entscheiden die Menschen aus vielfältigen Motiven, wie, warum und wohin sie sich bewegen.

Herausforderungen für Politik und Verwaltung


Tatsächlich gibt es für die Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene viel zu tun, was den Rahmen und die Infrastruktur für die neuen Mobilitätsformen und den Wandel hin zu Mobility as a Service als Türöffner der Mobilitätswende angeht. Die E-Kickscooter-Anbieter setzen sich mit dafür ein und sie entwickeln die Technik in rasantem Tempo weiter. Die Scooter selbst werden immer langlebiger, sicherer und beispielsweise durch Akkuwechselsysteme und den Einsatz von Schwerlastenrädern oder Wechselstationen für den Tausch deutlich umweltfreundlicher. Auch die eingesetzte Software wird immer ausgefeilter. Mit ihr lassen sich in definierten Zonen schon heute automatisiert Park- und Fahrverbote oder Geschwindigkeitsreduzierungen umsetzen. So wird beispielsweise das Parken in der Nähe von Gewässern unmöglich, damit sie nicht von Fremden hineingeworfen werden. Auch Bildaufnahmen des ordentlich geparkten Scooters via App gehören bei vielen Anbietern inzwischen zum Standard. Möglich sind künftig noch viele weitere Anwendungen, beispielsweise, um alkoholisiertes Fahren, Mehrfach-Spaßfahrten, die Nutzung von Fußwegen oder Fahrten mit zwei Personen zu erkennen und möglichst auszuschließen. Neben den Innovationen setzen die Anbieter auch auf eine gute Zusammenarbeit mit den Städten. Einige, wie Voi, Tier oder die Ford-Tochter Spin, setzen sich dabei inzwischen öffentlich für eine stärkere Regulierung und limitierte Ausschreibungsverfahren ein. „Städte sollten sich gezielt auf einen oder einige wenige Partner einlassen und lokalspezifische Maßnahmen entwickeln“, heißt es dazu von Voi. Das sieht auch Tier so: „Ziel sollte es sein, den besten Anbieter auszuwählen, und so die höchste Qualität für Nutzer*innen sowie eine optimale Zusammenarbeit mit der Stadt sicherzustellen.“ In europäischen Metropolen habe man damit gute Erfahrungen gemacht. In Deutschland ist der Markt dagegen bislang weitgehend unreguliert. Hier sieht man Nachholbedarf, ebenso wie bei der Infrastruktur und fehlenden Stellplätzen. In einem offenen Brief fordert das Branchenbündnis „Dialog Mikromobilität“ beispielsweise mehr Stellflächen für Fahrräder und E-Kleinstfahrzeuge, Flächen für Microhubs, breitere und sichere Radwege sowie Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Innenstädten.

Türöffner für Neudefinition von Mobilität


Vor Problemen steht zunehmend auch der öffentliche Verkehr. Wie gehen die Anbieter mit der neuen Konkurrenz um? Bezieht der ÖV sie mit in sein Angebot ein oder lässt er sie links liegen? „Ohne neue Partnerschaften, die eine flexible Nutzung von E-Trotties (Schweizerisch für E-Kickscooter) bis Cargobikes ebenso inkludieren wie Taxis und Mietwagen, wird der ÖV in vielen Zielgruppen nicht erfolgreich sein“, meint der Züricher Mobilitätsexperte Prof. Dr. Thomas Sauter-Servaes mit Blick auf die Zukunft. Vorreiter in der Integration ist aktuell Google Maps.

„Ohne neue Partnerschaften wird der ÖV in vielen Zielgruppen nicht erfolgreich sein.“

Prof. Dr. Thomas Sauter-Servaes

Der Kartenanbieter integriert seit Kurzem nicht nur den öffentlichen Verkehr, sondern auch die Angebote von Mikromobilitäts-Anbietern in seiner App. So können Nutzer*innen zum Beispiel sofort entscheiden, ob sich beispielsweise der Fußweg zur Haltestelle oder das Warten auf die nächste Bahn lohnt, oder ob man lieber einen Scooter in der Nähe mietet. Auch andere Anbieter, wie die aus dem Joint-Venture zwischen BMW und Daimler hervorgegangene Marke Free Now (ehemals MyTaxi) bieten seit Kurzem eine umfassende Mobilitätspalette, vom Taxi über Ride- und Carsharing, bis hin zu E-Kickscootern oder E-Scootern der 45-km/h-Klasse.
Ungeachtet der negativen Berichte spricht aktuell vieles dafür, dass sich E-Kickscooter als tatsächlicher Türöffner oder „Enabler“ einer neuen Mobilität und Mobility as a Service entwickeln. Nach einer Schätzung des Mobility Market Outlook von Statista werden in diesem Jahr in Deutschland rund elf Millionen Menschen E-Scooter-Sharing genutzt haben. Der Umsatz wird im Jahr 2021 demnach etwa 140 Millionen Euro betragen. Damit ist Deutschland der weltweit zweitgrößte Markt für den Verleih von E-Kickscootern – vor Frankreich und nach den USA. Laut Prognose wird im Jahr 2025 in Deutschland ein Marktvolumen von 228 Millionen Euro erreicht; dies entspricht einem erwarteten jährlichen Umsatzwachstum von 13 Prozent.

Innovative Angebote und neue Geschäftsmodelle


Der Erfolg und die Wachstumsprognosen im Mikromobilitätsmarkt, den die Berater von McKinsey bereits 2019 auf 100 bis 150 Milliarden US-Dollar in Europa schätzten, lassen Investorengelder sprudeln. Absehbar werden sie in der Folge neben Wachstum in der Fläche auch eine ganze Reihe neuer Produkte, Services und innovativer Geschäftsmodelle mit sich bringen. Einige Beispiele: Der E-Kickscooter-Sharer Bird hat eigene Modellserien für den Verkauf aufgelegt, integriert inzwischen auch hochmoderne E-Bikes als Sharing-Modell und zum Verkauf in sein Programm und arbeitet aktuell an innovativen Mobilitätshilfen für Gehbehinderte und Senioren. Ein großer Trend sind Akkuwechselstationen für Schwerlasträder, zum Beispiel von Swobbee und für E-Motorroller.

In einem unregulierten Markt platzieren Sharing-Anbieter quasi über Nacht Tausende Fahrzeuge. Führende Anbieter setzen sich inzwischen für mehr Regulation in Deutschland und Ausschreibungen ein.

Bei Zweitem gehören sie, beispielsweise in Taiwan mit Anbietern wie Gogoro und Kymco, inzwischen zum Standard. Auch bei Lastenrädern stellt sich grundsätzlich die Frage, ob diese nicht vielfach besser im Rahmen von Abo- oder Sharing-Modellen genutzt werden. Für diesen Markt hat sich der spezialisierte Sharinganbieter Sigo ein System einfallen lassen und andere rücken schnell nach. Konzerne, wie die französische PSA-Gruppe mit „Free2Move“ (Mobility as a Service/Microcars), Ford mit „Spin“ (E-Kickscooter) oder die niederländische Pon-Gruppe machen sich mit VW daran, den neuen Markt zu gestalten. Die Pon-Gruppe, zu der unter anderem renommierte Fahrradmarken gehören, bietet dabei seit Kurzem unter dem Namen „Dockr“ Abo-Angebote für elektrische Transportfahrzeuge an, von E-Cargobikes über Personenwagen bis hin zu großen Lieferwagen. Was die Anbieter und Geschäftsmodelle besonders macht, ist das Bestreben, Märkte disruptiv zu verändern, sie in kurzer Zeit als Marktführer zu erobern und mit hohem Aufwand gegen Konkurrenten abzusichern und weiterzuentwickeln. Was das konkret bedeutet, ist noch nicht ausgemacht. Einige Parameter des Wandels scheinen allerdings bereits festzustehen: Sowohl die finanziellen Ressourcen, über die die Anbieter verfügen, wie auch der Konkurrenzdruck werden immer größer. Der Wandel lässt sich wohl nicht aufhalten und das Tempo nimmt weiter zu. In Frankreich haben die Verkaufszahlen der E-Kickscooter zum Beispiel bereits die der E-Bikes überholt. Mit den Technologien und Tools verändern sich auch die Nutzungsgewohnheiten. Andere Bereiche, wie die Film- und Musikbranche, haben solche Umbrüche in wenigen Jahren erlebt. Ob man in zwei, drei Jahren auf Konferenzen noch über das Thema „Fahrrad versus Auto“ spricht und ob es in zehn Jahren noch separate Automobil-, Fahrrad- und Motorrad-Industrien und MaaS-Anbieter gibt? Zweifel scheinen angebracht.


Bilder: Microlino, Bird, Dockr; Free Now (Screenshot Werbung); stock.adobe.com – Trygve; Qimby.net; Birdstock.adobe.com – hanohiki

Das Verkehrsministerium geht überraschend an die FDP. Wie stehen die Chancen für eine Verkehrswende mit den Liberalen? Bislang hatte sich weder die FDP selbst noch eine(r) ihrer Kandidat*innen nach allgemeiner Einschätzung in diesem Bereich ein besonderes Renommee aufgebaut. Aber vielleicht werden die Möglichkeiten und Perspektiven für Veränderungen, die sich mit der neuen Situation ergeben, ja auch unterschätzt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Ein Bild, das durch alle Medien ging: das gemeinsame Selfie nach dem ersten Spitzengespräch zwischen FDP und Grünen. Mit Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck.

Nicht einmal eine Woche vor der Präsentation des Koalitionsvertrags und der Verteilung der Ministerien habe ich mit Stefan Gelbhaar, MdB und Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr bei Bündnis 90/Die Grünen, ein Interview geführt. Alles deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass das Verkehrsministerium künftig zum Ressort der Grünen werden würde. Tage vor der Vorstellung kursierten sogar vollständige Listen mit Posten von Ministerinnen und Staatssekretärinnen. Und dann am 24.11., 15.00 Uhr völlig überraschend die Nachricht: Das Verkehrsministerium geht an die FDP. Wir gehörten sicher nicht zu den Einzigen, die bereits ein Bild gezeichnet hatten von den Kompetenzen und dem politischen und persönlichen Werdegang der Kandidaten Anton Hofreiter und Cem Özdemir, denn auf einen von ihnen, so die Meinung einer großen Mehrheit, würde es ganz sicher hinauslaufen als neuer Verkehrsminister. Und jetzt?

Erster Eindruck: große Ernüchterung – nicht nur bei den Grünen

„Die Verkehrswende ist nach der Energiewende mit das wichtigste Projekt, das wir aktuell haben und um das wir uns kompetent und sehr intensiv kümmern müssen“, so Stefan Gelbhaar im Interview. Tatsächlich haben die Grünen hier in der Vergangenheit unter anderem mit Symposien und Fachkongressen einiges getan, um Kompetenz und Glaubwürdigkeit aufzubauen. Auch personell schienen sie hier sehr gut aufgestellt: Der gebürtige Münchner Anton „Toni“ Hofreiter war beispielsweise von 2011 bis 2013 Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Verkehrspolitik war, nach eigener Aussage, für ihn immer eines der Lieblingsfelder. Mindestens ebenso viel Kompetenz und dazu nach Umfragen ein hohes Ansehen bei Fachleuten und in der Bevölkerung hätte der zweite Kandidat Cem Özdemir aus Bad Urach bei Reutlingen mitgebracht. Der „anatolische Schwabe“ war bislang Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale In-frastruktur, ist bodenständig und bestens vernetzt und dazu ein bekennender und praktizierender Fahrradfan: „Das Fahrrad ist ein Gewinnertyp und gehört in die Bundesliga der Politik.“ In einem Interview mit dem ADFC skizzierte er einige zentrale Herausforderungen: „Wir sind in puncto Fahrradwegen in Deutschland Entwicklungsland.“ Der Anteil fürs Fahrrad im Etat des Verkehrsministeriums liege bisher bei unter einem Prozent. Die Kommunen bräuchten beispielsweise die Freiheit, unbürokratisch Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen einrichten zu können.
Auch wenn die Koalitionsvereinbarung weitgehend Zustimmung findet, sorgt die Tatsache, dass das Bundesministerium für Verkehr und Digitales nicht an die Grünen gegangen ist, bei vielen Fahrradinteressierten erst einmal für Unverständnis und Frustration. Deutliche Worte fand zum Beispiel der Grüne Landtagsabgeordnete Arndt Klocke, der sich in Nordrhein-Westfalen für ein Fahrradgesetz starkgemacht hat, auf Twitter: „Mein fachlicher Eindruck: Im Koalitionsvertrag sind die Bereiche Verkehr und Wohnen inhaltlich für Grün tragfähig. Natürlich müssen aus Worten im Vertrag jetzt politische Taten werden. Bedauerlich bis ärgerlich ist, dass das Verkehrsministerium nicht grün besetzt wird.“ Nach Medienberichten, unter anderem im Spiegel, stößt die Entscheidung unter etlichen Experten auf Unverständnis. Andererseits wird in der Presse auch berichtet, dass die Sozialdemokraten aus industriepolitischen Gründen ein Grünes Verkehrsministerium unbedingt verhindern wollten und deswegen die Bemühungen der FDP unterstützten, das Ressort zu erhalten.

„Das Fahrrad

gehört in die

Bundesliga der Politik“

Cem Özdemir, Grüne

Passen FDP und Verkehrsministerium zusammen?

Auf den ersten Blick ergeben sich mit Blick auf die immer wieder angemahnte Notwendigkeit einer Mobilitäts- oder Verkehrswende sicher Zweifel, ob die FDP und Volker Wissing hier eine optimale gute Lösung sind. Auf den zweiten Blick lassen sich aber auch gute Argumente und neue Optionen erkennen:

Punkt 1: mehr Freiheit, weniger zusätzliche Belastungen.

Durch die Pandemie ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zuletzt deutlich gesunken. Viele Menschen sind zudem sichtbar und nachvollziehbar verbotsmüde geworden. Hier kann die FDP, die als Markenkern auf individuelle Freiheitsrechte und weniger Staat pocht, in der aktuellen Situation viele Menschen wahrscheinlich besser mitnehmen als die Grünen, die den Staat im Bereich Verkehr in einer eher paternalistischen Rolle sehen, zum Beispiel mit flächendeckenden Tempobeschränkungen oder Dieselfahrverboten. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und galoppierender Energiepreise sind auch zusätzliche Belastungen momentan eher schwierig zu vermitteln. Ein Versprechen für tatsächliche Umbrüche in der Mobilität liegt, genau betrachtet, aber durchaus in der vielfach von der FDP beschworenen freien Wahl der Verkehrsmittel. Denn de facto können Bürger oftmals gar nicht frei wählen, da das Auto entweder alternativlos ist oder Alternativen wie Radfahren oder ÖV-Nutzung zumindest gefühlt zu unpraktisch, zu teuer oder zu gefährlich sind.

„Es sind enorme Veränderungsprozesse nötig.“

Volker Wissing, FDP
Punkt 2: mehr Eigenverantwortung.

Die FDP könnte zum Beispiel für die Städte und Kommunen mehr Gestaltungsräume eröffnen, was der parteiunabhängige Deutsche Städtetag schon seit Langem (vergeblich) fordert. Unter anderem bei der Einrichtung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, bei der Verkehrslenkung, der Parkraumbewirtschaftung oder der Freigabe von Radspuren für schnelle E-Bikes. Das wäre sicher im Sinne des von den Liberalen schon immer vertretenen Subsidiaritätsprinzips. Das besagt, dass eine höhere staatliche Institution nur dann regulativ eingreifen sollte, wenn die Möglichkeiten des Einzelnen, einer kleineren Gruppe oder niedrigeren Hierarchie-Ebene allein nicht ausreichen, eine bestimmte Aufgabe zu lösen. „Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen. Dafür brauchen wir aber vor Ort mehr Entscheidungsspielräume“, forderte Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages, nochmals im Juni dieses Jahres zum Thema Tempo 30. Die Kommunen könnten am besten entscheiden, welche Geschwindigkeiten in welchen Straßen angemessen seien.

Punkt 3: Transformation von Wirtschaft und Mobilität.

„Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen“, so heißt es im Koalitionsvertrag. Unter Experten ist klar, dass eine Verkehrswende immer auch die Belange der Wirtschaft und der Automobilwirtschaft im Blick haben muss. Traut man das der wirtschaftsnahen FDP zu? Ja. Und traut man ihr auch die, ebenfalls im Koalitionspapier vereinbarte Transformation zu? Im Koalitionspapier zumindest sind die Ziele gesteckt. Hier heißt es „Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen.“

Punkt 4: neue Technologien und Digitalisierung.

Erstaunlich konkret wird der Koalitionsvertrag beim Thema Digitalisierung, ebenfalls eins der Kernthemen der FDP und als zweiter Schwerpunkt im Ministerium angesiedelt. „Für eine nahtlose Mobilität verpflichten wir Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter, ihre Echtzeitdaten unter fairen Bedingungen bereitzustellen“, heißt es dort zum Beispiel. „Anbieterübergreifende digitale Buchung und Bezahlung wollen wir ermöglichen. Den Datenraum Mobilität entwickeln wir weiter.“ Und im Folgenden: „Digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing werden wir unterstützen und in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre einbeziehen.“ Im Bahnverkehr soll „die Digitalisierung von Fahrzeugen und Strecken prioritär“ vorangetrieben werden. Kaum jemand wird bestreiten, dass digitale Systeme und Mobility as a Service Kernpunkte der künftigen Mobilität sind und Deutschland beim Thema Digitalisierung Nachholbedarf hat.

Punkt5: Abstimmungsbedarf mit Grünem „Superministerium“.

Fraglich bleibt ersten Einschätzungen nach, ob die von vielen als übergroß wahrgenommene Nähe zur Automobilindustrie so aufrechterhalten wird und ob der FDP-Minister nicht andere Prioritäten setzt – zum Beispiel im Bereich Digitalisierung. Dazu kommt die Frage, wie frei das Verkehrsministerium agieren kann mit den anspruchsvollen Vorgaben aus Brüssel und dem neu geschaffenen „Superministerium“ für Wirtschaft und Klima am Kabinettstisch, das von Robert Habeck geführt werden soll. Es soll zwar nur ein abgeschwächtes Vetorecht des Ministeriums geben, nicht zu unterschätzen sind aber die Berichtspflichten für den Verkehrssektor. Damit steht zu vermuten, dass banale Erklärungen wie „die Klimaziele sind nicht erreicht worden, weil der Verkehr insgesamt zugenommen hat“ künftig nicht mehr ausreichen werden und stattdessen ernsthaft an Alternativen und der dringend benötigten klimaneutralen Transformation im Automobil- und Verkehrssektor gearbeitet wird. Wie sich die neuen Ministerien im Einzelnen und die Regierung insgesamt positionieren, bleibt also noch abzuwarten.


„Die Ampelkoalition muss sich unterscheiden“

Interview: Stefan Gelbhaar MdB, Verkehrspolitiker bei Bündnis 90/Die Grünen und ehemaliger Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr

Herr Gelbhaar, kommt es mit der Ampelkoalition zu einer Mobilitätswende?
Eins ist klar: Die Ampelkoalition muss sich unterscheiden. Darin waren wir uns in den Koalitionsgesprächen alle einig. Und wir alle sehen die Probleme und Herausforderungen. Die Verkehrswende ist nach der Energiewende mit das wichtigste Projekt, um das wir uns kompetent und intensiv kümmern müssen. Das ist nun mit dem FDP-Verkehrsministerium in beständiger Zusammenarbeit nach vorne zu entwickeln. Einfach wird das mit so unterschiedlichen Partnern natürlich nicht – aber dass es einfach wird, hat ja auch niemand gedacht.

Inwiefern wird es Unterschiede geben zur alten Bundesregierung?
Die Ziele, die sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren gesetzt hat, sind nicht ansatzweise erfüllt worden. Wir haben, je nachdem, wie wir es interpretieren wollen, die letzten vier, acht oder zwölf Jahre verschenkt. Das betrifft auch, aber nicht nur den Bereich Verkehr. Es ist in den Gesprächen klar geworden, dass es nicht ausreicht, nur hier und da einen Akzent zu setzen.

Welche konkreten Ziele sehen Sie mit der Ampelkoalition in Reichweite?
Im Bereich Verkehrssicherheit sind wir beispielsweise nah beieinander, was die Zielbeschreibung Vision Zero angeht. In der Vergangenheit haben sich die Hersteller erfolgreich um die Insassensicherheit in Fahrzeugen gekümmert. Vernachlässigt wurde allerdings die Umfeldsicherheit. Da gibt es ganz viele Ansatzpunkte auf der Bundes-, aber auch auf der EU-Ebene. Was die Sicherheit angeht, ist die EU ja normalerweise Treiber. Bei Technologien wie Lkw-Abbiegeassistenten kann und sollte die Bundesregierung – auch in der EU – mehr Druck machen.

Wo sehen Sie allgemeine Schwerpunkte in der Verkehrspolitik?
Viele Punkte finden sich im Koalitionspapier. Ein wichtiges Feld, das zu bearbeiten ist, ist neben der Verkehrssicherheit und der Antriebswende die Vernetzung der Mobilität. Bei der geteilten Mobilität etwa besteht die gemeinsame Einschätzung: Das ist ein großer Baustein der künftigen Mobilität. Die Zeit ist reif, die vorhandenen Angebote viel stärker zu vernetzen. Wir müssen uns generell fragen: Was haben wir schon? Was können wir wie besser nutzen?

Was braucht es konkret?
Wir brauchen bessere rechtliche Regelungen, Zuschüsse, mehr Personal, mehr Forschungsgelder und mehr Freiheiten für die Kommunen. Wir müssen ran an das Verkehrsrecht und den Bußgeldkatalog, und wir brauchen Forschungsgelder, nicht nur, wie in der Vergangenheit, für die Belange des Autos, sondern beispielsweise auch beim ÖPNV und im Bereich Mikromobilität. Natürlich brauchen wir auch mehr Radinfrastruktur, zum Beispiel entlang von Bundesstraßen, und eigenständige Radnetze. Und ganz wichtig: Wir müssen die Kommunen befreien und empowern.

Wo liegen die Herausforderungen in den Kommunen?
Alle sind sich beispielsweise über die Probleme im Klaren mit dem zunehmenden Wirtschaftsverkehr im städtischen Raum. Dazu kommt, dass wir auch die Infrastruktur schnell anpassen müssen, wenn wir mehr Radverkehr wollen. Der Bund kann beispielsweise bei der Finanzierung von Fahrradbrücken, Radparkhäusern oder beim Aufbau von zentralisiertem Know-how helfen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Förderung und der Kompetenzaufbau bei der DB für Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen.

Wie stehen Sie als Berliner zur Zunahme der E-Kickscooter in der Stadt?
Ich denke, E-Scooter sind in der Mobilität eine gute Ergänzung, und oft habe ich das Gefühl, dass die Debatte schief ist. Wir empfinden über 1,2 Millionen zugelassene Pkw in Berlin als normal, einige Tausend E-Scooter sind dagegen ein Aufreger. Was wir aus meiner Sicht aber brauchen, ist eine gute Evaluation, aus der wir dann gezielt Maßnahmen ableiten können.

Welche Aufgaben sehen Sie in der Bundespolitik über das Verkehrsministerium hinaus?
Wir sehen aktuell beispielsweise die Versorgungsengpässe der Fahrradindus-trie. Hier könnte es eine Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sein, dabei zu helfen, Teile der Produktion wieder nach Deutschland oder in die EU zu holen. Auch das betriebliche Mobilitätsmanagement und das Thema Mobilitätsbudget gehören mit auf die bundespolitische Agenda. Umweltfreundliche Mobilität sollte beispielsweise nicht länger steuerlich benachteiligt werden.

Was sagen Sie Kritikern, denen es nicht schnell genug geht?
Wir haben die Wahl nicht mit 51% gewonnen. Deshalb geht es darum, immer wieder Wege und auch zufriedenstellende Kompromisse mit den Ampelpartnern zu finden. Das gehört mit zur Wirklichkeit und es ist klar, dass wir da auch einen seriösen Umgang mit Konflikten finden. Mit zur Wirklichkeit gehört aber genauso: Mobilität ist nicht statisch. Das Thema ist schon aus Klimasicht enorm wichtig. Wir sind in der Pflicht. Paris, die 1,5-Grad-Grenze gelten für diese Ampelkoalition, das müssen wir gestalten – und wir werden den künftigen Verkehrsminister dabei unterstützen, den Pfad zum Klimaschutz seriös und zügig zu beschreiten.


Volker Wissing bezieht Stellung in Interview

In einem ersten Interview mit dem Fernsehsender Phoenix im Anschluss an die Vorstellung des Koalitionspapiers, das er als Generalsekretär der FDP wesentlich mit verhandelte, hat der designierte neue Bundesverkehrsminister Volker Wissing Stellung bezogen und erste Schwerpunkte gesetzt. Deutschland stehe im Bereich der Mobilität in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. „Es sind enorme Veränderungsprozesse nötig. So wie es ist, kann es nicht bleiben“, erklärte Wissing im Fernsehsender. Es gehe künftig darum, die Balance zu wahren zwischen einer Klimaneutralität bei der Mobilität und den Bedürfnissen derjenigen, die auch künftig auf das Auto angewiesen seien. Gleichzeitig müsse man „den Bahnverkehr besser vertakten, wir brauchen einen Deutschland-Takt, und wir müssen gleichzeitig eine Ladesäulen-Infrastruktur aufbauen, die es jedem ermöglicht, mit Elektromobilität auch größere Strecken zurückzulegen“, so Wissing. Auch müsse die neue Koalition eine Antwort auf die Frage finden, wie die Menschen im ländlichen Raum mobil bleiben könnten. „Politik ist ein Inklusionsauftrag. Wir müssen jeder und jedem ein Angebot machen“, ist der FDP-Politiker überzeugt. Die neue Ampelkoalition werde das Land modernisieren und besitze den Mut, diese große Aufgabe auch anzugehen. „Wir werden das nicht so machen, dass wir die Menschen überfordern, aber wir werden es in dem Maße tun, wie es das Land braucht“, so Wissing. Es gelte, die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren und sowohl Arbeitsplätze wie auch die Zukunft der jungen Generation zu sichern.

Über Volker Wissing

Stand Redaktionsschluss ist der FDP-Generalsekretär Volker Wissing designierter Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer bringt seit 2016 Ampel-Erfahrung aus seinem Heimatbundesland mit und gilt als einer der zentralen Architekten der Koalition.
Medienberichten zufolge hat er im rot-gelb-grünen Kabinett bis Mai dieses Jahres einen respektablen Landesminister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie stellvertretenden Ministerpräsidenten abgegeben. Auf den ersten Blick deutlich spröder als sein Vorgänger Andreas Scheuer gilt der Vollblutjurist, der unter anderem als Richter am Landgericht Landau tätig war, als guter Redner, inhaltlich qualifiziert und in Unternehmerkreisen geschätzt. In ersten Äußerungen war ihm anzumerken, dass das BMVI nicht sein Wunschministerium ist. Seine Aufgabe sieht er nach eigenen Aussagen darin, das Land insgesamt wieder nach vorne zu bringen. Auf deutlichen Widerspruch stießen seine kürzlich gegenüber der Bild-Zeitung getätigten Aussagen, höhere Energiesteuern auf Dieselkraftstoffe durch geringere Kfz-Steuern auszugleichen.


Bilder: stock.adobe.com – monika pinter/EyeEm, Sedat Mehder, Stefan Kaminski, Volker Wissing

Das Thema Mobilitätswende wird unabhängig von Parteien und Koalitionen wohl auch nach der Bundestagswahl im Fokus stehen. Eine Lösung vom Paradigma der allmählichen Veränderungen und eine fundamentale Transformation fordern dabei nicht nur Parteien und Verbände, sondern auch die EU-Kommission. Es gibt künftig also viel zu tun und zu entscheiden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2021, September 2021)


Zu sagen, es bewege sich nichts in Deutschland in Richtung Mobilitätswende, würde den vielfältigen Bemühungen auf allen Ebenen sowie den in weiten Teilen veränderten Wünschen der Bürgerinnen und Bürger sicher nicht gerecht. Andererseits lässt sich anhand vieler Beispiele festmachen, wie hoch die Beharrungskräfte hierzulande sind, vor allem bei politischen Entscheidungsträgern. Wenn man die Online-Konferenzen und Diskussionen verfolgte, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass trotz aller Bekenntnisse zu Veränderungen vor allem das Festhalten am Status quo Priorität hat. Egal, ob bei der Vorstellung des „Nationalen Radverkehrsplans – NRVP 3.0“, dem „3. Deutschen Fußverkehrskongress“ oder Kongressen und Diskussionsrunden zur Zukunftsmobilität in der Stadt oder auf dem Land – man kann zum Schluss kommen, dass es grundsätzlich nicht an Erkenntnissen mangelt, aber am Willen, diese konkret umzusetzen. Expert*innen und Verbände weisen immer wieder auf die Diskrepanz zwischen Wissen und Tun und das Fehlen konkreter Ziele und Planungen hin. Dabei scheint es fast egal, um welche Themen es im Einzelnen geht: mehr Gestaltungsfreiheit für die Kommunen, zum Beispiel beim Thema Tempo 30, wirksame Maßnahmen für deutlich weniger Tote und Verletzte, Geschwindigkeitsreduzierungen auf Autobahnen und Landstraßen oder das Ziel 25 Prozent Fahrradanteil in Nordrhein-Westfalen. Selbst der Vorschlag, private Lastenräder zu fördern, gerät schnell zum Politikum. Die Rahmenbedingungen könnten mit Blick auf die vielfältigen, längst erkannten Probleme, allen voran notwendige Klimaschutzmaßnahmen, sicher deutlich besser sein.

Notwendig: eine fundamentale Transformation

Ein alles andere als positives Fazit zieht auch die Agora Verkehrswende, die zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die vorliegenden Daten im Verkehr gründlich analysiert hat. „Der immer noch wachsende motorisierte Verkehr auf Deutschlands Straßen führt zu erheblichen Nachteilen in anderen Bereichen“, heißt es hier. „Er beeinträchtigt zum Beispiel die Lebensqualität großer Bevölkerungsgruppen und rückt die Ziele der Verkehrswende in weite Ferne. Jenseits der hoch aggregierten Daten offenbart die präzise Betrachtung von Einzelindikatoren zwar auch positive Entwicklungen. Sie werden aber, noch, durch das schiere Mengenwachstum überlagert.“
Dazu der ergänzt der Verkehrsclub Deutschland VCD, dass die Entwicklung des Verkehrsgeschehens in Deutschland nicht nur in deutlichem Kontrast zu artikulierten Wünschen der Bevölkerung stehe, sondern auch zu politischen Ambitionen, die seit mindestens 20 Jahren in diversen Koalitionsverträgen verabredet worden seien. Ein grundlegender Hemmschuh seien die weiterhin bestehenden rechtlichen Regelwerke, die aus den 1930er-Jahren stammten und mit der Absicht geschaffen wurden, die Massenmotorisierung herbeizuführen. Ein anderer Systemfehler sei, dass eine in diversen Koalitionsvereinbarungen avisierte „integrierte Verkehrspolitik“ nach wie vor fehle. Selbst die OECD hat das jüngst in ihrem „Wirtschaftsbericht Deutschland 2018“ bemängelt: „Im Verkehrssektor fehlt es an einer übergeordneten Politikstrategie.“
Verändert sich etwas mit den anstehenden Bundestagswahlen in Deutschland? Die Umfragen sprechen bislang dafür. Vielfach unterschätzt und wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird aber ein ganz anderer Faktor, dessen Einfluss mindestens genauso groß dürfte: der sogenannte Green Deal, der von den 27 EU-Mitgliedsstaaten beschlossenen wurde und sukzessive mit Leben gefüllt wird. Was in der politischen Diskussion hierzulande oft untergeht, ist, dass es dabei um nicht weniger geht als die Umgestaltung der Wirtschaft und Gesellschaft in den EU-Ländern, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Ganz oben auf der Liste der konzeptuellen Grundlagen für diesen Wandel steht der Bereich Verkehr, mit klaren Ansagen und Vorgaben an die Politik der Mitgliedsstaaten. „Grundsätzlich müssen wir uns vom bisherigen Paradigma der allmählichen Veränderungen lösen – denn wir brauchen eine fundamentale Transformation“, heißt es in einer im Dezember 2020 veröffentlichten Mitteilung der EU-Kommission mit dem Titel „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität: Den Verkehr in Europa auf Zukunftskurs bringen“.

„Der europäische Grüne Deal fordert uns auf, die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 90 % zu verringern.“

EU-Kommission

Verkehr auf Zukunftskurs bringen

Wenn man sich anschaut, was andere EU-Länder und Städte in den letzten Monaten und Jahren beschlossen, geplant und in Teilen umgesetzt haben, dann verfestigt sich der Eindruck, dass Deutschland bei den beschlossenen Zielen im Verkehrssektor im europäischen Vergleich mittlerweile um einiges hinterherhängt. Dazu braucht man längst nicht mehr nur auf die Niederlande oder die skandinavischen Länder zu schauen, es lohnt sich auch ein Blick nach Spanien, wo vor Kurzem landesweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Ortschaften eingeführt wurde, oder nach Frankreich, wo die Mobilitätswende nicht nur in Paris mit vielen Akteuren sowie der Zustimmung der Bevölkerung und der großen Parteien in großen Schritten vorangetrieben wird.
Die EU geht im Rahmen des Green Deals sogar davon aus, dass Mobilität „neu erfunden“ werden muss. Angesichts des hohen Anteils des Verkehrssektors am gesamten europäischen Treibhausgasausstoß könne das EU-Ziel einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 und der Klimaneutralität bis 2050 nur erreicht werden, wenn sofort ehrgeizigere Maßnahmen ergriffen werden. Zugleich lägen darin große Chancen für mehr Lebensqualität und als Impuls für die europäische Industrie, auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette zu modernisieren, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, neue Waren und Dienstleistungen zu entwickeln, wettbewerbsfähiger zu werden und eine weltweite Spitzenposition einzunehmen.

Jetzt Maßnahmen umsetzen

Um die Ziele zu erreichen, müssten erstens alle Verkehrsträger nachhaltiger gemacht, zweitens nachhaltige Alternativen in einem multimodalen Verkehrssystem allgemein verfügbar sein und drittens die richtigen Anreize geschaffen werden, um den Wandel zu beschleunigen, so die EU-Kommission. Nötig seien unter anderem die Verlagerung auf nachhaltige Verkehrsträger sowie die Internalisierung externer Kosten. Wie soll das gehen? Detaillierte Pläne, wie die Ziele in Deutschland auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene umgesetzt werden können, welcher rechtliche Rahmen benötigt wird und wie die Infrastruktur aussehen muss, gibt es inzwischen.
Die Expert*innen, Vereinigungen und Verbände aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Transformation, Verkehr, Fahrrad, Umwelt und seit Kurzem auch Mikromobilität bringen sich aktiv mit ihrem Know-how ein. In Nordrhein-Westfalen fordert beispielsweise ein breites Bündnis aus Radkomm, ADFC, Fuß e.V., NABU und VCD deutliche Verbesserungen beim geplanten Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz. Hauptkritikpunkte: Die Forderung, den Anteil des Radverkehrs von heute etwa 8 auf 25 Prozent zu steigern, bleibe bislang ohne Zieljahr. Insgesamt fehle es an Konsequenz, Verbindlichkeit, konkreten Aktionsplänen und messbaren Zwischenzielen. Auf Bundesebene fordert der Verkehrsclub Deutschland (VCD) zusammen mit Umweltverbänden ein Bundesmobilitätsgesetz, das einen modernen rechtlicher Rahmen bieten und eine integrierte Verkehrsplanung und -finanzierung vorschreiben soll. Die Verbände der Fahrradwirtschaft und der ADFC fordern gemeinsam unter anderem konkrete Zielsetzungen und Maßnahmen, um den Radverkehrsanteil bis 2025 auf 20 Prozent und bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen, ein neues Straßenverkehrsgesetz und die Reform der StVO und der Regelwerke, mehr Handlungsspielräume für Kommunen und mehr Planungssicherheit bei der Finanzierung. Konkrete Vorschläge zur Änderung des Rechtsrahmens hat der ADFC bereits 2019 unter dem Titel „Das Gute-Straßen-für-alle-Gesetz“ vorgelegt. Was auch immer die Bundestagswahl bringt, das Thema Verkehr wird ganz sicher weiter im Fokus stehen, und auf den nächsten Minister/die nächste Ministerin kommt viel Arbeit zu. Positiv ist sicher, dass inzwischen eine ganze Palette an neuen technischen Möglichkeiten zur Verfügung steht, die Menschen zunehmend bereit sind für Veränderungen und die Länder, Städte und Kommunen viel voneinander lernen können.

Was war gut, was kommt?

Prominente Stimmen, gesammelt von „Agora Verkehrswende“

Was war für Sie der wichtigste Fortschritt für die Verkehrswende in den vergangenen fünf Jahren?

„Ein Fortschritt der Verkehrswende ist sicherlich, dass die Wahl der Mobilität bewusster geworden ist und Verkehrsangebote übergreifend genutzt und kombiniert werden: ob Fahrrad, Zug, ÖPNV, Roller oder das Auto; ob geliehen, geteilt oder das eigene.“

Dörte Schramm,
Abteilungsleiterin Regierungs- und Politikbeziehungen, Robert Bosch GmbH




„Die Notwendigkeit einer Verkehrswende wird nicht mehr bestritten. Wir sind mittendrin.“

Dr. Thomas Steg,
Leiter Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit, Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG




„Die stärksten Impulse für die Verkehrswende kamen von neuen Playern in der Automobilindustrie und der Sharing Economy. Sie rufen nicht nach Subventionen und politischer Flankierung. Sie fordern Freiräume.“

Dr. Bernhard Rohleder,
Hauptgeschäftsführer Bitkom e.V.




„Der Fortschritt bei E-Autos und E-Fahrrädern ist beachtlich. Das E-Auto muss Benziner und Diesel schnell ersetzen, das E-Fahrrad viele Zweitwagen, und es kann das Pendeln zur Arbeit revolutionieren.“

Dietmar Oeliger,
Programme Director Transport, European Climate Foundation (ECF)




Auf welchen Fortschritt für die Verkehrswende hoffen Sie in den kommenden fünf Jahren?

„Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen. Dafür brauchen wir vor Ort noch mehr Entscheidungsspielräume, um Neues unter Realbedingungen zu erproben.“

Burkhard Jung,
Präsident, Deutscher Städtetag; Oberbürgermeister, Stadt Leipzig




„Wir müssen weg von symbolpolitischen Maßnahmen aus dem Werkzeugkasten der Vergangenheit und Mobilität ganzheitlich denken, klar an Ergebniszielen von Nachhaltigkeit orientiert. Dabei sind neue, digitale Optionen der Schlüssel.“

Dr. Thomas Becker,
Unternehmensstrategie, Leiter Nachhaltigkeit, Mobilität, BMW Group




„Sichere Radinfrastruktur, viele Radschnellwege, den Deutschlandtakt bei der Bahn und noch bessere Batterien für die E-Mobilität.“

Dietmar Oeliger,
Programme Director Transport, European Climate Foundation (ECF)




„Alle zusammen müssen aus dem Fordern oder Ankündigen ins Umsetzen kommen. Es fehlt die Zeit, auf neue Technologien zu warten; Klimaschutz und Soziales müssen gemeinsam gedacht und angegangen werden.“

Jens Hilgenberg,
Leitung Verkehrspolitik, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)

Diese Studie von Agora Verkehrswende in Zusammenarbeit mit dem Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) liefert einen Einblick in tiefere Schichten der Verkehrsentwicklung und damit in die grundsätzlichen Baustellen der Mobilitätswende.

Bilder: VCD – Jörg Farys