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Fahrradwirtschaft ist Umsatz- und Jobmotor

281.000 Beschäftigte generieren mehr als 37,7 Milliarden Euro Umsatz – mit stark steigender Tendenz. Die hohe Relevanz und Dynamik der Fahrradbranche zeigt eine neue wissenschaftliche Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und dem Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Neben detailliertem Zahlenmaterial bietet die „Branchenstudie Fahrradwirtschaft in Deutschland: Unternehmen, Erwerbstätige, Umsatz“ (Dezember 2020) auf 38 Seiten auch vielfältige Hintergrundinformationen. Nach den Auftraggebern Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF), Verbund Service und Fahrrad (VSF) und Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) handelt es sich dabei um das bislang umfassendste Kompendium zur Fahrradwirtschaft in Deutschland.
Kurz zusammengefasst: In der deutschen Fahrradwirtschaft arbeiteten im Jahr 2019 ca. 281.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Selbstständige. Der gesamte steuerbare Umsatz lag im Jahr 2018 bei ca. 37,7 Milliarden Euro (Anm.: Aus technischen Gründen beziehen sich die Umsatzzahlen jeweils auf 2018 und die Zahl der Beschäftigten auf das Folgejahr). Allein in den drei Kernbereichen Herstellung, Handel und Dienstleistungen (Sharing/Verleih und Leasing) stieg die Zahl der Beschäftigten in fünf Jahren von 2014 bis 2019 im Mittel um 20 %, der Umsatz von 2013 bis 2018 gemittelt um 55 %. In der Summe stehen die Kernbereiche für 66.000 Arbeitsplätze und einen Umsatz von 24,2 Mrd. Euro. Starke Zahlen liefert auch der Fahrradtourismus mit 204.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 11,59 Mrd. Euro.
Herstellung: In der Herstellung stieg der Umsatz im Zeitraum von 2013 bis 2018 um 46 % auf 6,9 Mrd. Euro. Die Gründe dafür sind vor allem im E-Bike-Boom zu finden, aber auch in der allgemeinen Bereitschaft, mehr Geld in das eigene Fahrrad oder das der Kinder zu investieren. Mehr als vier Millionen neue Fahrräder wurden 2019 in Deutschland verkauft, davon 1,36 Millionen E-Bikes. Die Verkaufszahlen der E-Bikes haben sich – ohne staatliche Förderung – damit innerhalb von zwei Jahren verdoppelt und Marktexperten sehen hier auch in Zukunft ein weiteres starkes Wachstum.
Handel: Der Handel verzeichnete aus ähnlichen Gründen ebenfalls ein sattes Umsatzplus von 55 % auf 16,7 Mrd. Euro. Neben Fahrrädern und E-Bikes spielt hier auch der wachsende Markt für Zubehör und Bekleidung eine Rolle. Besonders erfreulich ist, dass der lokale Fachhandel seine starke Position mit einem Anteil von 68 % in 2019 im Gegensatz zu vielen anderen Branchen bislang sehr gut behaupten kann. Privat- und Geschäftskunden können sich damit über eine hohe Beratungsqualität vor Ort ebenso freuen wie über Services und Werkstattleistungen.
Dienstleistungen: Besonders rasant gewachsen ist zudem der Bereich Dienstleistungen (Sharing/Verleih und Leasing) um 608 % auf 560 Millionen Euro. Umsatztreiber ist hier vor allem das Leasing. Die Anzahl der in Deutschland geleasten Fahrräder und E-Bikes hat sich nach Schätzungen des Bundesverbands Zukunft Fahrrad (BVZF) zwischen 2017 und 2019 von 53.000 auf über 200.000 vervierfacht. Für das Jahr 2020 rechnet der BVZF mit über 340.000 Stück. Das Beispiel Leasing zeigt dabei eindrucksvoll, wie gut finanzielle Anreize wirken. Das Marktwachstum wäre ohne die Gleichstellung von Fahrrädern und E-Bikes mit Dienstwagen und Elektroautos inklusive 1-Prozent-Regel bzw. seit Neuestem der 0,25-Prozent-Regel zur Versteuerung des geldwerten Vorteils einfach nicht denkbar. Über Gehaltsumwandlungen profitieren heute so immer mehr Menschen von günstigen Leasingraten ohne Eigenkapitalbindung, was gerade bei E-Cargobikes, die schnell über 5.000 Euro kosten, optimal ist. Eine aus Kundensicht weitere gute Nachricht: Mit dem Leasing wächst auch ein attraktiver Markt für gut erhaltene Secondhand-E-Bikes heran. Für alle, die angesichts der pandemiebedingten Lieferverzögerungen gesund mobil bleiben wollen, ebenfalls eine sehr gute Nachricht.

„In naher Zukunft wird jedes zweite Fahrrad ein E-Bike sein und langfristig werden zwei von drei Fahrrädern eine Motorunterstützung haben.“

Claus Fleischer, Antriebshersteller Bosch eBike Systems

Wichtiger Faktor: Fahrradtourismus

Wichtig für viele Regionen und Kommunen sind vor allem die erhobenen Zahlen aus dem Fahrradtourismus. Denn gerade in strukturschwachen Regionen kann der Radtourismus erfahrungsgemäß eine große Rolle für die regionale Wirtschaft spielen. Anhand der vorliegenden Daten ermittelt die Studie ein Äquivalent von 204.000 Beschäftigten für 2019 und einen Umsatz von 11,59 Mrd. Euro für das Jahr 2018. Zum Vergleich: Eine ältere Studie für 2009 ging hier noch von 186.000 Beschäftigten aus. Gerade angesichts des Klimawandels mit eher trockenem Wetter sowie der Corona- und Post-Corona-Zeit gibt es hier nach Meinung von Experten künftig noch hohe, in vielen Regionen und Bereichen bislang wenig genutzte Potenziale.

Oft vergessen: vor- und nachgelagerte Teilbranchen

Nicht zu unterschätzen sind auch die vor- und nachgelagerte Teilbranchen der Wertschöpfungskette. Hierzu zählen u. a. Infrastruktur, Verwaltung, Stadt- und Verkehrsplanung, Aus- und Weiterbildung, Fachmedien und Informationsarbeit sowie weitere Leistungen zum Beispiel beim Ladenbau, in der Logistik etc. Die Studie verzeichnet hier 11.000 Beschäftigte für 2019 und 1,9 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2018.

Fazit der Verbände

  1. Wachstumspotenzial:
    Die Studie macht deutlich, dass die Fahrradwirtschaft stark im Aufwind ist. Es steht zu erwarten, dass sich der Boom der Branche fortsetzt und dass auch die Beschäftigung in Deutschland weiter aufgebaut wird. Die Wertschöpfung und das Steigerungspotenzial der Branchen sind enorm – von Herstellung und Fachhandel bis hin zu Dienstleistungen wie Leasing oder auch Tourismus.
  2. Wirtschaftspolitische Bedeutung:
    Die Förderung des Radverkehrs liegt nicht nur in klimapolitischem, umwelt- und gesundheitspolitischem und auch nicht nur in verkehrspolitischem Interesse, sondern Fahrräder und E-Bikes haben eine erhebliche wirtschaftspolitische Bedeutung!
  3. Resilienz:
    Der Aufbau krisenfester Lieferketten ist auch für die Fahrradwirtschaft wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund des großen Marktpotenzials und dynamischen Wachstums. Insofern erwartet die Fahrradwirtschaft eine Wirtschaftspolitik, die die Branche hierzulande als Wachstumsfaktor fördert (z. B. im Rahmen der E-Mobilität) und dabei die nationale und europäische Wertschöpfung besonders im Blick hat.
  4. Infrastruktur:
    Es stehen mittlerweile nicht unerhebliche finanzielle Mittel für die Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur bereit, aber es hapert nach wie vor an der Umsetzung. Die Fahrradwirtschaft fordert hier von Politik und Verwaltung eine deutlich höhere Dynamik als bisher. Know-how-Transfer und der gezielte Aufbau kommunaler Kompetenzen sind hier wichtige Schritte.
  5. Mobilitätswende:
    Radverkehrsförderung geht nicht ohne Auswirkungen auf andere Verkehrsträger. Der öffentliche Raum muss neu geordnet („Mehr Platz fürs Rad“), die Prioritäten neu gesetzt werden (Radschnellwege, Fahrradstraßen, Komfort-Radwege). Innerorts muss die Differenzgeschwindigkeit verschiedener Verkehrsträger verringert und damit die Sicherheit erhöht werden. Die Fahrradwirtschaft erwartet von den politischen Entscheidern konsequentes und wirksames Handeln, um die Mobilitätswende zügig voranzubringen. Ziel sind lebenswerte Städte mit einem leistungsfähigen und klimafreundlichen Verkehrssystem.

Studie, Zusammenfassung und Grafiken

Die vollständige „Branchenstudie Fahrradwirtschaft in Deutschland: Unternehmen, Erwerbstätige, Umsatz (2020)“ und weitere Informationen gibt es zum Download auf den Seiten der Verbände:

zukunft-fahrrad.org | vsf.de | ziv-zweirad.de


Bild: pressedienst-fahrrad, Riese & Müller