Ein Platten darf wohl getrost als Worst Case für jedes kommerziell eingesetzte Fahrrad beschrieben werden. Egal ob beispielsweise Sharing-Bike, Logistik-Gefährt oder Teil einer betrieblichen Fahrradflotte: Mit Loch im Schlauch und ergo ohne Luft ist das Mobilitätsmittel Fahrrad ziemlich immobil. Einen gleichermaßen nachhaltigen wie auch auf die Lebenszeit gerechnet günstigen Schutz gegen Platten bietet nun der koreanische Pannenschutzspezialist Tannus. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Die Frage, wie ein Fahrrad am besten vor einem Platten geschützt werden kann, beschäftigt Reifenhersteller schon seit geraumer Zeit. Ein typischer Lösungsansatz sind dabei Pannenschutzeinlagen, die im Reifen zwischen Karkasse und Lauffläche eingearbeitet werden. Ein Nachteil dabei: Wenn der Reifen abgenutzt ist, wird das zusätzliche Pannenschutzmaterial zusammen mit dem Reifen entsorgt. Zudem schützen herkömmliche Pannenschutzeinlagen nur bedingt gegen Schäden am Schlauch infolge zu niedrigen Luftdrucks oder gegen Schnitte an der Reifenflanke.
Tannus (Vertrieb: Messingschlager/Baunach) hat deshalb nun die Pannenschutzeinlage von der Reifenkonstruktion losgelöst. Das koreanische Pannenschutzsystem aus einem leichten, bis zu 15 mm dicken Polymerschaum wird bei der Montage zwischen Reifen, Schlauch und Felgenhorn eingelegt. Dort schützt die Einlage nicht nur gegen Durchstiche, Schnitte oder Quetschungen, sondern bietet auch bei völlig luftleerem Schlauch noch eine gewisse Notlaufeigenschaft (bis 10 km/h) und beugt damit möglichen Felgenschäden vor. Zudem schützt das Tannus-System vor Durchschlagen und verbessert den Grip bei niedrigem Luftdruck.
Nach dem Lebensende des Reifens kann die Armour-Einlage im nächsten Reifen wiederverwendet werden. Übrigens interessant für sportliche Bike-Verleiher: Das Armour-System gibt es auch als Tubeless-Variante für (E-)Mountainbikes.

Weitere Infos finden Sie hier: www.tannus.messingschlager.com

Pannenschutz

Notfahreigenschaften


Die ZEG (Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG) ist Europas größter Einkaufsverband im Fahrradfachhandel. Die in Köln be-heimatete Genossenschaft ist mit der Service-Tochter EURORAD darüber hinaus aber längst auch ein führender Anbieter von Dienstleistungs- und Servicekonzepten rund ums Fahrrad. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Als die ZEG 1966 von sechs Fahrradfachgeschäften ins Leben gerufen wurde, lautete deren Gründungszweck, im Kräfteverhältnis mit der Fahrradindustrie durch zentralen Einkauf ein Gegengewicht aufzubauen. An dem Prinzip „Gemeinsam sind wir stark“ hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings definieren die inzwischen rund 1000 Mitgliedsbetriebe dieses Prinzip längst auch für Leistungen und Konzepte rund ums Fahrrad.
Für die Aufgabe, im Kontext sich verändernder politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen neue Herausforderungen zu adressieren, hat die ZEG ihre 100-%-Tochter EURORAD Deutschland GmbH gegegründet. „EURORAD screent die Märkte und entwickelt auf Basis dieser Erkenntnisse neue innovative Mobilitätsdienstleistungen“, erklärt deren Geschäftsführer Franz Tepe.
Das Spektrum der Leistungen und Konzepte aus einer Hand unter dem Dach der EURORAD ist beachtlich und reicht vom Dienstrad- und E-Bike-Leasing über das marktführende touristische Verleihangebot für E-Bikes bis hin zu Mobilitätsangeboten auf Sharing-Basis und Cargo-Lösungen für den professionellen, gewerblichen Einsatz.
Ein Merkmal der ­EURORAD dabei ist, dass die verschiedenen Konzepte zwar am Stammsitz in Köln entwickelt und vermarktet werden, aber auch von den angeschlossenen Handelsbetrieben vor Ort mitgetragen werden. Kunden der EURORAD haben somit nicht nur mit der Kölner Verbandszentrale einen leistungsfähigen Projektpartner, sondern auch mit den ZEG-Betrieben einen regionalen und immer ortsansässigen Ansprechpartner. Das über die ZEG-Mitglieder abgebildete Netzwerk an Werkstätten, deren hoher Qualitätsstandard bei allen Werkstattprozessen vom TÜV flächendeckend zertifiziert wird, ist das Fundament, auf dem alle Aktivitäten der EURORAD aufbauen.
Diese Aufgabenteilung lässt sich am Beispiel des Sharing-Konzepts Sharea gut illustrieren: Diese App-basierte Pay-per-use-Mobilitätslösung wurde von der EURORAD unter anderem für Wohnbaugesellschaften, Kommunen, Energieversorger uvm. entwickelt, die damit ohne Eigenaufwand ein förderfähiges Sharing-Angebot für E-Bikes, Lastenräder und andere Formen der Mobilität, wie sogar Autos, umsetzen können. Sharea zeichnet sich zudem durch die Zusammenarbeit mit den ZEG-Service-Partnern aus, die einen Top Service und Qualität der angebotenen Fahrzeuge gewährleisten.

Spezialist für die urbane Logistik: A-N.T. Cargo:4 mit einer Zuladung einer ganzen Europalette.

Multimodale Lösungen

Sharea ist ein Baustein in Richtung der Mobilitätswende! „Sharing allein schafft noch keine Mobilitätslösung“, erklärt Eurorad-Geschäftsführer Franz Tepe. „Damit ein Sharing-System zur Lösung von Kurzstreckenmobilität wird, muss es sich auch flexibel an lokale Anforderungen anpassen.“ Sharea ist deshalb keine Insellösung, sondern eine ganzheitliche, multimodale Mobilitätslösung für den jeweiligen Standort ohne administrativen Aufwand.
Ein weiteres Beispiel für die Verzahnung von lokalem Handel und einer starken Service-Organisation im Hintergrund ist das sehr erfolgreiche Dienstrad-Leasing der ZEG-Tochter EURORAD. Bereits über 8000 Arbeitgeber haben mit dem EURORAD Dienstrad-Leasing nicht nur eine kostenneutrale Möglichkeit geschaffen, die Gesundheit und Motivation ihrer Beschäftigten zu fördern, das eigene Image zu verbessern und Parkflächen und Mobilitätskosten zu reduzieren, sondern sind zusätzlich über die Integration einer jährlichen UVV-Prüfung (Unfallverhütungsvorschriften) in jederlei Hinsicht abgesichert.
Für bestmögliche Beratung, umfassenden Service und einen reibungslosen Leasing-Prozess sorgt wiederum das Netzwerk der angeschlossenen Fachbetriebe. Zusammen mit der Ausfallversicherung für den Arbeitgeber und dem Rundumschutz, der ohne Selbstbeteiligung alle Reparatur- und Verschleißkosten komplett abdeckt, bietet das Dienstrad-Leasing der EURORAD die Basis für sorgenfreies E-Bike-Fahren. Der Spaß an gesunder Aktivität abseits von Staus und überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln ist darüber hinaus eine optimale Maßnahme zur Infektions- und damit auch zur Quarantäneprophylaxe in Zeiten der Corona-Pandemie.

Marktführer im E-Bike-Tourismus

Apropos EURORAD: Ein weiteres Betätigungsfeld der ZEG-Tochter ist der Fahrradtourismus, wo der Kölner Verband mit der Marke Travelbike das größte E-Bike-Vermietungsnetzwerk betreibt. Der besondere Clou: Touristische (Verleih-)Partner vor Ort arbeiten eng mit einer zertifizierten ZEG-Meisterwerkstatt zusammen, die nicht nur perfekt gewartete Verleih-Bikes gewährleistet, sondern auch im Pannenfall einen schnellen und zuverlässigen Pick-Up-Service bieten.
Die A-N.T. GmbH entwickelt förderfähige Heavy Duty Cargo E-Bikes für den professionellen Dauereinsatz. Belastbar und flexibel für gewerbliche Transporte aller Art. Mit der Cargo:3 und dem neuesten Fahrzeug, der Cargo:4, hält die A-N.T. GmbH ein breites Portfolio für die zukunftsorientierte, innerstädtische Logistik bereit. Ausgestattet mit verschleißarmen und haltbaren Komponenten aus dem Motorrad- und Motorroller-Bereich, setzen die Fahrzeuge neue Standards und garantieren einen effizienten und wirtschaftlichen Einsatz. Dank der Einstufung als 25km/h Pedelec ist zudem das Fahren ohne Führerschein problemlos möglich. Dies eröffnet einen großen Kreis potenzieller Fahrer für interessierte Unternehmen. Kurzum, die A-N.T. GmbH ist ein Problemlöser im Logistik-Alltag.

Mehr Informationen: partner@eurorad.de


Nordrhein-Westfalen setzt Signale für den Mobilitätswandel. Im November 2019 stimmte der Verkehrsausschuss im Landtag einstimmig einem Antrag der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ für das erste Fahrradgesetz in einem Flächenland zu. Die Zeit für einen Umbruch scheint reif und die breite Zustimmung in der Bevölkerung mit über 200.000 gesammelten Unterschriften hatte Eindruck hinterlassen. Im Interview erläutert Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) Hintergründe und Ziele im Hinblick auf die Förderung des Radverkehrs und der Nahmobilität in NRW.


Herr Minister Wüst, Umfragen im Rahmen der NRW-Kommunalwahlen haben gezeigt, dass den Bürgerinnen und Bürgern die Themen Umwelt und Klima und in den Städten vor allem der Verkehr bzw. eine Verkehrswende sehr wichtig sind. Sehen Sie hier eine Zäsur?
Mobilität ist Lebensqualität und Standortfaktor. Mobilität muss besser, sicherer und sauberer werden. Wir erreichen die Klimaziele nur, wenn wir die Mobilität vielfach neu denken. Dazu müssen wir die Chancen der Digitalisierung für die Mobilität konsequent nutzen, den ÖPNV zum Rückgrat vernetzter Wegeketten machen, die Chancen der Elektrifizierung des Fahrrades nutzen und das Fahrrad überall im Land für die Pendler nutzbar machen. Und Deutschland muss wieder Bahnland werden. Die Zäsur besteht darin, dass das alles nicht nur von breiten Schichten der Bevölkerung mitgetragen wird, sondern dass jetzt auch sehr viel Geld dafür da ist und wir umsetzen.

Ihre Heimat und ihr Wahlkreis liegen in Rhede, direkt an der niederländischen Grenze. Was machen die Niederländer aus Ihrer Sicht besser und was würden Sie gerne übernehmen?
Unsere Nachbarn in den Niederlanden machen seit Jahren eine sehr pragmatische Verkehrspolitik. Davon haben wir uns viel abgeguckt, denn lange Zeit war das in Nordrhein-Westfalen politisch nicht gewollt. In den Niederlanden ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass in Infrastruktur für jeden Verkehrsträger investiert wird. In Nordrhein-Westfalen wurde viel zu lange Parteipolitik zulasten der Infrastruktur gemacht. Jetzt müssen wir große Rückstände bei der Sanierung und Modernisierung aufholen. Auf der Schiene. Auf der Straße. Und bei Wasser- und Radwegen.

Angesichts von Kämpfen um Platz für Fahrrad und Auto verweisen Sie in Interviews gerne auf intelligente Verkehrskonzepte aus den Niederlanden. Was kann man sich aus Ihrer Sicht hier konkret abschauen?
In den Niederlanden wird pragmatisch nach Lösungen gesucht, nicht um jeden Preis nach Konflikten. Bei unseren Nachbarn wird jedem Verkehrsträger nach seinen Stärken Raum gegeben. Es wird in langen Linien gedacht und dann Schritt für Schritt konsequent umgesetzt.

Aus dem Umfeld des Landesministeriums ist zu hören, dass das Fahrradgesetz mit hoher Priorität vorangetrieben wird, warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Ich komme aus dem Münsterland. Da ist das Fahrrad schon immer Teil der Alltagsmobilität. Mit digital vernetzten Wegeketten wird das Fahrrad – ganz besonders mit E-Bikes und Pedelecs – zu einem vollwertigen alltagstauglichen Allround-Verkehrsmittel, das das Klima schont und auch noch gesund ist. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen Fahrradland Nummer 1 bleiben. Deswegen investieren wir Hirn und Herz in das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz. Radverkehr ist ein elementarer Bestandteil moderner Mobilitätskonzepte.

Mitte Juni dieses Jahres haben Sie bereits Eckpunkte für ein Gesetz zur Förderung des Radverkehrs und der Nahmobilität (FaNaG) vorgestellt. Wie geht es jetzt weiter?
Zurzeit wird der Referentenentwurf erstellt, dann geht’s in die Ressortabstimmung und ins Kabinett. Danach wird es die Verbändebeteiligung geben. Anschließend soll der Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht werden, damit er dieses Jahr verabschiedet werden kann und das Gesetz Anfang 2022 in Kraft tritt.

Radverkehr ist ein elementarer Bestandteil moderner Mobilitätskonzepte.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst

Sie haben die Forderung der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“, dass künftig 25 Prozent des Verkehrsaufkommens in NRW auf das Rad entfallen sollen, als Ziel übernommen. Ist das realistisch?
Ja. Wir sind überzeugt, dass sich mit den angestrebten Verbesserungen für den Radverkehr so viele Menschen fürs Radfahren entscheiden, dass ein Radverkehrsanteil von 25 Prozent im Modalsplit erreicht wird. Der Modalsplit liegt im Münsterland im Durchschnitt schon jetzt deutlich über 25 Prozent. In Bocholt bei 38 Prozent, in Borken bei 30, in Coesfeld bei 32 Prozent. Mit E-Bikes und Pedelecs und besserer Infrastruktur geht das überall.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass es bei neuer Radinfrastruktur, wie Radschnellwegen, nicht richtig vorwärtsgeht. Woran liegt das?
In Nordrhein-Westfalen wurden seit dem Regierungswechsel 2017 485 Kilometer neue Radwege gebaut. Der Bau eines Radschnellweges ist nicht weniger aufwendig als der Bau einer Straße. Bis auf Lärmschutzgutachten gelten dort dieselben Regeln. Aber klar ist: Ich will mehr! Und es muss schnell vorangehen. Deshalb erhöhen wir seit Jahren die Haushaltsmittel für den Radverkehr. Standen 2017 noch 29 Millionen Euro zur Verfügung, werden es 2021 54 Millionen Euro sein. Zusätzlich stellt auch der Bund insgesamt 900 Millionen Euro Bundesmittel bis 2023 für den Radverkehr bereit.

Der passionierte Alltagsradler Hendrik Wüst bei der Eröffnung eines Teilstücks des Radschnellwegs RS1 in Mülheim an der Ruhr im Jahr 2019.

Wie wollen Sie die Prozesse künftig verbessern und beschleunigen?
Wir forcieren seit dem Regierungswechsel 2017 einen Planungs-, Genehmigungs- und Bauhochlauf. Und zwar für alle Infrastrukturen: Schiene, Straße, Wasser- und Radwege. Konkret heißt das: Neben unserer eigenen „Stabsstelle Radverkehr und Verkehrssicherheit“ im Verkehrsministerium haben wir zehn Planerstellen beim Landesbetrieb und fünf Stellen bei den Bezirksregierungen für mehr Tempo bei Planung, Genehmigung und Bau der Radinfrastruktur geschaffen.
Bei der Akquise der Fachleute gehen wir neue Wege. In Kooperation mit der AGFS starten wir eine Fachkräfteinitiative, um junge Menschen für das Berufsfeld der Radwegeverkehrsplanung zu begeistern. Flankiert wird das von einer Stiftungsprofessur „Radverkehr“ des Bundes bei uns an der Bergischen Universität Wuppertal.
Wir haben zudem das Landesstraßen- und Wegegesetz geändert, in dem auch die Planung der Radschnellwege geregelt ist, und dort überflüssigen Planungsaufwand herausgenommen.

Welche Änderungen sind mit dem Fahrradgesetz konkret in der Fläche zu erwarten?
Mit dem Gesetz werden wir unter anderem ein Radvorrangnetz in Nordrhein-Westfalen etablieren. Auf Premium-Radschnellverbindungen bieten wir den Menschen Routen für schnellen, sicheren und störungsfreien Radverkehr an. Mit dem Gesetz soll zudem die Möglichkeit geschaffen werden, verstärkt Wirtschaftswege für den Radverkehr zu nutzen. Durch Verbesserung von Wirtschafts- und Betriebswegen kann das Radwegenetz schnell durch zusätzliche Kilometer erweitert werden. Außerdem vernetzen wir das Fahrrad mit anderen Verkehrsträgern und schaffen so die Voraussetzung, dass das Rad mindestens für einen Teil der Wegstrecke zu einer echten Alternative für Pendlerrinnen und Pendler wird.

Die Mitinitiatorin der Volksinitiative Dr. Ute Symanski hofft auf starken Rückenwind durch das Gesetz für die Verantwortlichen in den Kommunen. Was sagen Sie ihr?
Ich mache gerade in einer digitalen Veranstaltungsreihe mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern, Landrätinnen und Landräten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern auf die erhöhte Förderung für den Radwegebau, auf unsere Zwei-Milliarden-Euro ÖPNV-Offensive und andere Fördermöglichkeiten aufmerksam. Im Wahlkampf war Mobilität oft Thema, jetzt müssen Taten folgen.

Anfang Februar 2020 stand der Minister auf der „RADKOMM Quarterly“ in Köln Rede und Antwort zu den Zielen und Problemen der aktuellen Mobilitätspolitik.

Weit nach vorne gedacht: Wie sieht die Mobilität am Ende der nächsten Legislaturperiode, also im Jahr 2027 in NRW aus?
Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung für eine bessere Vernetzung aller Verkehrsmittel. Mobilität wie wir sie heute kennen, wird sich deutlich verändern. Wir werden vernetzte Verkehre mit digital buchbaren Wegeketten haben.
Die Mobilität der Zukunft ist multimodal, vernetzt und automatisiert – und im Mittelpunkt stehen immer die Mobilitätsbedürfnisse der Nutzer nach flexibler und sauberer Mobilität. Das Fahrrad wird zu einem alltäglichen, alltagstauglichen Verkehrsmittel – überall im Land! Dafür wird Nordrhein-Westfalen ein gut ausgebautes, lückenloses Fahrradnetz aus Radvorrangrouten und weiteren Radverbindungen haben.
Intermodale Wegeketten werden effizienter, umweltfreundlicher und attraktiver für Pendler und Reisende. So schaffen wir in Nordrhein-Westfalen ein Mobilitätsangebot, in dem die unterschiedlichen Verkehrsträger mit ihren jeweiligen Stärken kombiniert werden.
Mobilstationen sind die Schnittstelle der Verkehrsträger. Hier steigen Pendler und Reisende vom (Leih-)Fahrrad, E-Scooter, Car-Sharing-Auto um auf Bus, Bahn und On-Demand-Verkehre. Tarifkenntnisse und aufwendige Planung von Wegeketten sind Geschichte. 2021 werden wir in Nordrhein-Westfalen einen landesweiten eTarif ohne Verbundgrenzen einführen. Einfach mit dem Smartphone einchecken, am Ziel auschecken. Bezahlt wird ein Grundpreis plus die Luftlinien-Kilometer zwischen Start und Ziel. Das geht einfach, ist transparent und bequem. Solche Angebote werden für das Verkehrsverhalten der Menschen entscheidend sein.
Vielleicht werden schon 2027 Hauptbahnhöfe und Flughäfen, Messen und Universitäten, aber auch suburbane Regionen mit bezahlbaren, elektrisch betriebenen Flugtaxis erreichbar sein. In der Logistik werden auf der letzten Meile emissionsfreie und automatisierte Fahrzeuge eingesetzt. In Nordrhein-Westfalen werden viele dieser Innovationen bereits heute erforscht, entwickelt – und sind teilweise auch jetzt schon erlebbar!

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Das Interview mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst hat VELOPLAN Chefredakteur Reiner Kolberg im Februar 2021 geführt. Erschienen in Ausgabe 1/21.

Hendrik Wüst

wurde 1975 in Rhede an der niederländischen Grenze geboren und lebt dort zusammen mit seiner Familie. Der gelernte Jurist und Rechtsanwalt war von 2000 bis 2006 Landesvorsitzender der Jungen Union Nordrhein-Westfalen und ist seit 2005 für die CDU im Landtag vertreten. Seit Juni 2017 ist Hendrik Wüst Minister für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Medienberichten zufolge hat er gute Chancen, Nachfolger von NRW Ministerpräsident Armin Laschet zu werden.


Bilder: NRW-Verkehrsministerium, Anja Tiwisina; RADKOMM, Diane Müller

Kann ein Fahrradparkhaus die Bahnhofsumgebung aufwerten? Wenn man nach Oranienburg schaut, dann lautet die Antwort ganz klar „Ja“. Sowohl in Bezug auf die Optik als auch den Mehrwert gelungen ist die Anlage eine echte Best-Practice-Empfehlung. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Nicht nur funktional, sondern auch optisch ansprechend und ein klares Statement für den Radverkehr.Spezialisierte Hersteller wie Orion Bausysteme beraten bei der Ausstattung und bieten erprobte und zertifizierte modulare Lösungen.

Nach knapp einjähriger Bauzeit wurde das Bike+Ride-Fahrradparkhaus am Bahnhof Oranienburg, rund 30 Kilometer nördlich von Berlin, 2018 eröffnet. Der Bedarf war durch die verbesserten Zugverbindungen ins rund 30 Kilometer entfernte Berlin entstanden. Mit den neuen Verbindungen stieg auch die Zahl der Bahnreisenden und Pendler, die mit dem Fahrrad zum Bahnhof kamen. Die Folge: eine Vielzahl wild geparkter Fahrräder im Umfeld. Zählungen im Vorfeld des Neubaus ergaben, dass der Bedarf mehr als doppelt so hoch war wie die Kapazität der alten Anlage mit 350 Plätzen.
Mit der Errichtung des neuen Fahrradparkhauses sollte aber nicht nur eine praktische Lösung zum sicheren und wettergeschützten Abstellen entstehen, der Bahnhofsbereich sollte auch insgesamt aufgewertet werden. So entstand das Fahrradparkhaus als architektonisch ansprechendes „durchlässiges“ Gebäude, das durch die gute Beleuchtung auch nachts attraktiv wirkt und ein sicheres Gefühl vermittelt. Auch in Bezug auf den Platz ist das Fahrradparkhaus ein Gewinn. Es wurde direkt am S-Bahndamm auf einer Fläche angelegt, die anderweitig kaum nutzbar gewesen wäre. An den Standort der alten Abstellanlage rückten überdachte Bushaltestellen und Taxistände – auch das ein Vorteil.
Das neue Fahrradparkhaus bietet auf zwei Etagen Platz für über 1.000 Räder. Die können kostenlos im sogenannten Doppelstockparksystem eingestellt werden. Während die Abstellplätze im Erdgeschoss vom Gehweg aus zugänglich sind, kann das Obergeschoss über zwei Treppenanlagen mit seitlichen Schieberampen erreicht werden. Von hier aus gibt es auch eine direkte Verbindung zum S-Bahnsteig. Neben den kostenfreien Abstellmöglichkeiten wurden zusätzlich Fahrradboxen zum Mieten und Schließfächer mit Lademöglichkeiten für E-Bike-Akkus eingeplant. Als Service gibt es zudem eine kombinierte Luftpumpstation mit Werkzeugausstattung. Auch eine WC-Anlage wurde als Ergänzung zur vorhandenen öffentlichen Toilette am Bahnhofsplatz in das Parkhaus integriert. Vorausschauend wurden auch gleich die technischen Voraussetzungen für eine Videoüberwachung geschaffen. Dank der modularen Bauweise des Fahrradparkhauses ist es zudem möglich, die Nutzung zu variieren, indem zum Beispiel ein Teil der Anlage für die Unterbringung einer Serviceeinrichtung (Werkstatt oder Fahrradverleih) abgetrennt wird.
Um die Verkehrssicherheit am nun aufgeweiteten Bahnhofsplatz zu erhöhen, wurde er als verkehrsberuhigter Bereich mit Tempo 20 ausgewiesen. Die Kosten für das Fahrradparkhaus beliefen sich auf rund 1,75 Millionen Euro. Die Finanzierung erfolgt aus Städtebaufördermitteln im Rahmen des Förderprogramms „Aktive Stadtzentren“, wonach je ein Drittel der Aufwendungen von Bund, Land und Kommune getragen werden.

Ausstattung Fahrradparkhaus Oranienburg im Überblick

  • 1.056 Abstellplätze in Doppelstock-parkern – nach DIN 79008 „stationäre Fahrradparksysteme“ geprüftes und vom ADFC zertifiziertes Modell
  • 14 Gepäckschließfächer inklusive Lademöglichkeit für E-Bike-Akkus
  • 9 Fahrradboxen zur Anmietung
  • Reparatursäule inklusive Luftpumpe, Werkzeugset und Haltevorrichtung
  • Die Kosten für die Ausstattung, die durch die Unternehmen Orion Bausysteme und Orion Stadtmöblierung realisiert wurde, beliefen sich auf 264.000 Euro. Mehr Informationen unter orion-bausysteme.de

Bilder: Orion Bausysteme – Nikolay Kazakov, Stadt Oranienburg – Sven Dehler

Was bürgerliches Engagement alles für eine Stadt bewegen kann, das hat Reinhold Goss, frisch gewählter „Bicycle Mayor“ in Köln, bereits als Mitinitiator und Sprecher der Initiative #RingFrei bewiesen, die 2019 mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet wurde. Aber das soll erst der Anfang sein. Für ihn kann und sollte Köln mithilfe von breitem zivilgesellschaftlichen Engagement bis 2025 Fahrradhauptstadt werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


In seiner Freizeit ist Reinhold Goss gerne auf dem Rad unterwegs – hier auf der Critical Mass mit einem E-Cargobike des Kölner Sharinganbieters Donk-ee.

Wie kommt man zum Ehrenamt als Bicycle Mayor von Köln und was sind Ihre Ziele?
Es gab viele Menschen, die mich dabei unterstützt haben. Ich freue mich sehr, für zwei Jahre diesem global agierenden Netzwerk anzugehören, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Ausbau des Radverkehrs in Städten zu beschleunigen, indem die Rolle der Zivilgesellschaft besonders hervorgehoben wird. Ich bin übrigens zusammen mit Dr. Ute Symanski, die als Mitinitiatorin der Radkomm-Konferenz und der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ bekannt ist, als Doppelspitze für dieses Amt angetreten. Leider war das aber aus formalen Gründen nicht möglich. Zu den Zielen: Das größte ist sicherlich, Köln bis 2025 zur deutschen Fahrradhauptstadt zu machen.

Köln ist nicht nur als Standort für Automobilbauer und Motorenproduzenten, sondern auch sonst als Autostadt bekannt. Ist das Ziel Fahrradhauptstadt nicht sehr ambitioniert?
Köln hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer autogerechten Stadt entwickelt. Damals wurden die engen Straßen radikal verbreitert und der Autoverkehr hatte Vorrang vor allem anderen. Inzwischen sehen das die Menschen in der Innenstadt anders, über 60 Prozent der Haushalte haben kein eigenes Auto mehr. Dazu kommt, wenn wir den Klimaschutz und die vereinbarten Ziele ernst nehmen, dann sind wir praktisch zum Erfolg verdammt. 2019 war das heißeste Jahr in der Geschichte Europas und Köln war, gemessen an der Durchschnittstemperatur, der wärmste Ort in Deutschland. Wir müssen die Stadt also für die Zukunft konsequent umbauen, unter anderem mit mehr als 50 Prozent Radverkehr und doppelt so vielen Bäumen.

Die gleiche Stelle an den Kölner Ringen. Nach der Umgestaltung gibt es einen klar sichtbaren geschützten Raum für Radfahrende.

Wie würden Sie Ihre Ziele als Fahrradbürgermeister am besten beschreiben?
Fortbewegung muss Spaß machen oder zumindest als angenehm empfunden werden, egal ob es um den Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder zu Freunden geht. Dafür brauchen wir eine Infrastruktur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – eine solche Infrastruktur verzeiht Fehler. Das ist wirklich wichtig! Außerdem kennt jeder das Sprichwort: „Man kann einem alten Hund keine neuen Tricks beibringen“ – es beschreibt ganz gut unsere besondere Verantwortung, sichere Möglichkeiten für Kinder zu schaffen, ihre Stadt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu entdecken.

Wollen die Menschen in der Stadt überhaupt mehr Radverkehr?
In den letzten Jahren hat sich hier eine Menge für den Radverkehr getan. Die laufende Umgestaltung der Kölner Ringe auf 7,5 Kilometern mit breiten Fahrradwegen und durchgehend Tempo 30 war sicher ein wichtiger Meilenstein. Wen ich heute mit den Menschen spreche, dann ist mein Eindruck, niemand will zurück. Die allermeisten wollen sogar, dass es schneller vorangeht beim Umbau hin zu mehr Radwegen, auf denen sich auch Schüler und Senioren sicher fühlen, und hin zu mehr Lebensqualität.

Vielfach wird darüber geklagt, dass die Stadt unattraktiver würde, wenn man das Autofahren zurückdrängt.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen intelligenter mit dem zur Verfügung stehenden Raum umgehen. Ein Beispiel: Vielfach wird die potenziell mangelnde Erreichbarkeit von Geschäften per Auto als kritisch angesehen. Dabei zeigen die Daten, dass ein bedeutender Teil des Verkehrs in der Innenstadt reiner Durchgangsverkehr ist. Im Klartext: Wenn es auf der Autobahn einen Stau gibt, leitet das Navi die Autofahrer mitten durch die Stadt. Und was die Parkplätze angeht. zeigen Untersuchungen, dass die Parkhäuser nicht ausgelastet sind, während auf der Straße auch Fahrradstreifen und Lieferzonen zugeparkt werden. Hier spielen sicher das oft geringe Entdeckungsrisiko und niedrige Bußgelder eine Rolle.

Manche Geschäfte klagen, ihr Kunden könnten sie nicht mehr erreichen.
Für mich gehört das mit zu den immer wieder gerne wiederholten Mythen. Kurz vor einem Ladengeschäft zu parken, ist auch heute legal praktisch unmöglich und andere Städte wie Maastricht zeigen, dass die Menschen sehr gerne vom Parkhaus zu Fuß zum Geschäft gehen und die Aufenthaltsqualität genießen. Auch hier ändert sich inzwischen einiges, denn die Ladenbesitzer registrieren sehr genau, dass ein besseres Umfeld zu höheren Umsätzen führt. Dazu kommt, dass sie auch selbst gerne mit dem Fahrrad kommen und die Situation damit durch eine neue Brille sehen.

„Wir müssen die Stadt für die Zukunft konsequent umbauen, unter anderem mit mehr als 50 Prozent Radverkehr und doppelt so vielen Bäumen.“

Mehr Platz für Radfahrende durch bis zu 2,50 m statt 0,95 m Breite und mehr für zu Fuß Gehende durch die Führung auf der Straße.

Aktuell hat man den Eindruck, dass Konflikte zwischen Autofahrenden und Radfahrenden, aber auch zwischen Radfahrenden und zu Fuß Gehenden zunehmen. as kann man dagegen tun?
Grundsätzlich geht es meiner Erfahrung nach vor allem darum, mehr gemeinsame Sache zu machen und nicht zu spalten. Konkret verzeichnen wir in der Pandemie einen starken Anstieg im Rad- und Fußverkehr. Das führt natürlich zu Konflikten, wenn es nicht mehr Raum gibt. Das haben wir übrigens auch vorher schon auf den Kölner Ringen so gesehen. Wichtig ist auch, zu realisieren, dass wir alle Fußgänger sind und viele sowohl Auto- und Radfahrer. Lösungen wären relativ schnell möglich. So könnten zum Beispiel schnell Pop-up-Radwege eingerichtet werden, um die Situation auf gemeinsam genutzten Wegen zu entspannen. Für mehr Sicherheit könnte Tempo 30 angeordnet werden und mehr Fahrradstraßen könnten entstehen.

Damit würde dem Autoverkehr allerdings wieder Platz weggenommen. Ist das akzeptabel?
Neben verkehrstechnischen Belangen wird es immer wichtiger auch ökologische, stadtklimatische, ökonomische, gesundheitspolitische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Dazu muss man natürlich zuerst Daten erheben und mit Zielen verknüpfen. Ein Beispiel aus der Praxis: ehrenamtliche Aktivisten erstellen regelmäßig auf Basis öffentlich verfügbarer Daten Analysen. So entstand erstmals eine Karte, auf der die Bildungseinrichtungen im Umfeld der Kölner Ringe erfasst wurden.

„Es gibt eine Menge an fachlichem Know-how und den Willen, sich in die Materie einzuarbeiten. Zudem kennen Bürger die Situation vor Ort oft am besten.“

Wie viele Bildungseinrichtungen gibt es entlang der Kölner Ringe und welche Schlüsse kann man daraus für den Verkehr ziehen?
Bei der Analyse kam man auf über 80 Bildungseinrichtungen, darunter die Technische Hochschule, eine Gesamtschule, Gymnasien, Berufsschulen und verschiedene private Bildungsträger. Viele Schüler, Studenten und Lehrkräfte kommen aus dem Nahbereich mit dem Fahrrad. Trotzdem wurde dem Durchgangsverkehr bislang eine deutlich höhere Priorität eingeräumt. Das müssen wir schnell ändern.

Brauchen Städte mehr Mitarbeit von ehrenamtlichen Aktivisten?
Wenn man schnelle Veränderungen anstrebt, und die brauchen wir, wenn wir auf die Klimaziele schauen, dann auf jeden Fall. Die Kommunen haben einen Schatz an Menschen und Ideen. Es gibt eine Menge an fachlichem Know-how und den Willen, sich in die Materie einzuarbeiten, zum Beispiel beim ADFC, beim VCD oder beim Verein Fuß e. V. Zudem kennen Bürger die Situation vor Ort oft am besten.

Wie kann man das ehrenamtliche Engagement mit einbinden?
Unsere Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat eine Verwaltungsreform angeschoben, die vieles verbessert. Darüber hinaus gibt es die berechtigte Forderung nach mehr Offenheit der Verwaltung nach außen, um das enorme Potenzial zu heben und deutlich schneller voranzukommen bei der Planung und Umsetzung. Es lohnt sich, mit möglichst vielen Gruppen, Parteien und Organisationen in den Dialog zu treten und zu bleiben. Man könnte zum Beispiel Aktivisten ein Planungsbüro zur Seite stellen, um zu konkreten und fachlich fundierten Vorschlägen zu kommen.

Weltweites Netzwerk der Fahrradbürgermeister

Das Bicycle Mayor Network ist nach eigener Definition eine globale Initiative, um den Fortschritt des Radverkehrs in Städten zu beschleunigen, indem es die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Durchsetzung dauerhafter, gemeinschaftlich getragener Veränderungen hervorhebt und unterstützt. Bicycle Mayors sollen „Change-Maker“ und das „menschliche Gesicht und die Stimme der Radverkehrsförderung“ in einer Stadt sein. Dabei geht es nicht nur um Mobilität, sondern auch darum, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen, die Zahl der Verkehrstoten zu senken, Gemeinschaften zu stärken, soziale Barrieren abzubauen und einen besseren Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu gewährleisten. Das Netzwerk wurde 2016 mit Amsterdams erstem Fahrradbürgermeister ins Leben gerufen und ist seitdem auf über 100 Botschafter aus Städten in mehr als 30 Ländern angewachsen.

Reinhold Goss

ist selbstständiger IT-Consultant und war lange Zeit Vorsitzender der Kölner Stadtschulpflegschaft, also der Vereinigung der Elternvertretungen aller Kölner Schulen. Zum Thema Sicherheit für Radfahrer kam der passionierte Amateur-Rennradfahrer durch mehre schwere und zum Teil tödliche Unfälle in der Kölner Innenstadt, verursacht durch abbiegende Lkws und Imponierfahrten von Autofahrern und illegale Straßenrennen. Zu den prominentesten Raseropfern gehört dabei der Sohn des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Fritz Schramma, der 2001 an den „Ringen“, der überregional bekannten Amüsier- und Flaniermeile, als unbeteiligter Fußgänger ums Leben kam.
Er ist Mitinitiator und Sprecher der mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichneten Initiative #RingFrei, die sich für Tempo 30 und einen umfassenden fahrrad- und fußgängerfreundlichen Umbau der Ringstraße entlang der ehemaligen Stadtmauer einsetzt und ist bestens auch über die Radverkehrsszene hinaus vernetzt. Als Bicycle Mayor für Köln hat sich der engagierte und ausdauernde Netzwerker unter anderem vorgenommen, den Dialog mit Organisationen zu suchen, die dem Radverkehr eher skeptisch gegenüberstehen, neue Projekte wie die Fahrradrikscha-Initiative „Radeln ohne Alter“ voranzutreiben und die Themen Vision Zero und sichere Schulwege für Kinder und Jugendliche als Ziele zu verankern.


Bilder: Radkomm – verenafotografiert.de, Reinhold Goss – privat, Reinhold Goss – #RingFrei, Qimby – Reinhold Goss – #RingFrei, Screenshot bycs.org, Reinhold Goss – privat

Schafft man die Mobilitätswende, ohne Denkweisen zu verändern und Blickwinkel zu erweitern? Gastautorin Isabell Eberlein, Mitgeschäftsführerin der Berliner Agentur Velokonzept und unter anderem engagiert bei den Initiativen Changing Cities, Women in Mobility und Woman in Cycling plädiert für mehr Diversität. Tatsächlich scheinen gerade die Bereiche Verkehr und Mobilität noch stark von alten, eigentlich überkommenen Sichtweisen, Rollenbildern und Stereotypen geprägt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


„Wo sind all die Frauen?“, fragte der Geschäftsführer des traditionsreichen Faltradherstellers Brompton, Will Butler-Adams, auf der weltweiten Fahrradleitmesse Eurobike in Friedrichshafen 2019 in einem Raum mit 200 Personen, weniger als ein Zehntel davon Frauen. „Ich sehe sie hier weder auf dem Panel noch im Publikum noch auf der Messe. Dabei repräsentieren sie die Hälfte meiner Kund*innen“. Da war es, das magische Wort: Repräsentation.
Es gibt keine aktuellen Zahlen über die Beschäftigungsquote von Frauen in der Fahrradwirtschaft. Wo man(n) auch hinblickt in der Industrie, im Handel oder bei den Dienstleistern: In den leitenden Positionen herrscht wenig Diversität. Natürlich gibt es die tollen Beispiele von Geschäftsführerinnen, Selbstständigen, Händlerinnen und Mechanikerinnen. Aber sie sind bis heute leider die Ausnahme und nicht die Regel. Richtet man den Blick über die Fahrradwirtschaft hinaus, dann sieht es ähnlich aus. Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau regiert. In der Fahrradwirtschaft und der Radverkehrsplanung sucht man fast ebenso vergeblich nach Frauen wie in leitenden Positionen der Zivilgesellschaft. Zwar beschäftigen NGOs und Stiftungen etwa 70 Prozent Frauen, doch nur rund 30 Prozent der Positionen in Leitungs- und Kontrollgremien sind derzeit mit Frauen besetzt, wie aus dem ersten „Fair Share“-Monitor hervorgeht. Was sind die dahinter liegenden Gründe?

Gleich sucht gleich

In einem Branchengespräch Ende November gab es mehr Männer mit Vornamen Frank auf dem Podium als Frauen – trotzdem wurde das Thema Diversität und vor allem der Fachkräftemangel heiß diskutiert. Die Fahrradbranche zeichnet beispielsweise gerne ein Bild von sich selbst als Traumarbeitgeber für alle Rad- und Sportbegeisterten und witzelt darüber, dass man sich um gute Köpfe zwar bemühen muss, aber es viele gibt, die im Fahrrad ihre Passion und ihren Purpose sehen. Das Problem hierbei ist aber: Menschen umgeben sich gerne mit ihresgleichen, weil es auf den ersten Blick weniger konfliktär erscheinen mag. Dafür schwebt man in der gleichen Blase: gleiche Prägung, Vorstellung und Einstellung. Sexismus gibt es nicht bei uns, sagt der Aufsichtsrat. Wie ist der besetzt? Akademisch, männlich, weiß, mittleren Alters.

Diversität als Prozess

Diversity-Management für Unternehmen beinhaltet nach der „Charta der Vielfalt“ (charta-der-vielfalt.de) einen fünfstufigen Prozess:

1) Wie und wo liegt der Nutzen von Diversität in der Organisation im Hinblick auf Nutzerinnen, Kundschaft oder Geschäftspartnerinnen?

2) Als Nächstes muss die Ausgangssituation analysiert und auch geprüft werden, ob bereits Maßnahmen unbewusst durchgeführt werden.

3) Im folgenden Schritt muss Diversität im Unternehmen umgesetzt werden. Dazu müssen sich die Umsetzungsdauer und Wirkung sowie etwaige Risiken bewusst gemacht werden.

4) Die tatsächliche Umsetzung und

5) die Messbarkeit von Erfolg.

Vielfalt: der nicht gehobene Schatz

Wenn der Fahrradsektor nur die Stimmen der Menschen hört, die sowieso schon Fahrrad fahren, ist er auf mindestens einem Auge blind. Roger Geller (Bicycle Coordinator, Portland Office of Transportation) unterscheidet nämlich vier Typen des Radfahrens: 0,5 % „Kampfradlerinnen“ (die überall und immer fahren), 6,5% überzeugte Radfahrerinnen und 33 %, die niemals unter irgendwelchen Umständen zum Radfahren zu bewegen seien. Die große Masse mit 60% würde dagegen mit der passenden Infrastruktur und den passenden Produkten Rad fahren. Tatsächlich erlebt das Fahrrad seit 2020 einen nie da gewesenen Boom und viele neue Zielgruppen entdecken es als pandemieresilientes Verkehrsmittel. Gleichzeitig werden viele potenzielle Adressatinnen außer Acht gelassen, an die das Fahrrad bisher nicht herankommt. Um diverse Zielgruppen wie beispielsweise post-migrantische Milieus zu erreichen, braucht es Vorbilder und vielleicht auch neue Wege der Kommunikation. Denn das Fahrrad ist noch längst nicht in allen Teilen der Gesellschaft als vollwertiges Verkehrsmittel anerkannt. An einer Schule in Berlin-Neukölln fand zum Beispiel vor rund einem Jahr eine Projektwoche zum Thema Fahrradmobilität statt. Zum ersten Mal seit Kindheitstagen mit dem Fahrrad konfrontiert, war der Eindruck der Jugendlichen wenig divers. Fahrradfahren sei körperlich viel zu anstrengend, dabei gleichzeitig zu langsam und vor allem aber peinlich! Wie erreicht man eine solche Gruppe, die die Radfahrerinnen der Zukunft sind oder sein sollen? Wohl, indem man sie direkt fragt und mit an den Tisch holt, Influencer aus ihren Bereichen wirbt und Personen identifiziert, die dieses Bild aufbrechen können. Denn Diversität bezieht sich nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf Alter, Hintergrund, sozialen Status, Religion und körperliche Fähigkeiten.

Durch Paritätsregelungen und eigene Wertungen bei Rennen ist Bewegung in den männlich dominierten Radsport gekommen.

Repräsentation: Wie denken wir alle mit?

Die Autorin Caroline Criado-Perez beschreibt in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“, wie sehr die bebaute Umwelt am „Standardfaktor Mann“ orientiert ist. Vom Anschnallgurt über Crashtest-Dummys bei Autounfällen bis zur Frage, welche Wege zuerst von Schnee und Eis befreit werden. Die meisten Glätte-Unfälle passieren übrigens auf Fuß- und Radwegen, die im Allgemeinen mehr von Frauen genutzt werden. Wir müssen also die Repräsentation von Diversität, die Beteiligung unterschiedlicher Zielgruppen und deren Bedürfnisse an allen Stellen, die das Radfahren betreffen, berücksichtigen. Angefangen von der bebauten Umwelt, die ein anderes Verhalten durch sichere, zugängliche und durchgängige Infrastruktur überhaupt erst ermöglicht, über eine Mobilitätskultur, die das Fahrradfahren als gleichwertiges und normales Verkehrsmittel für alle wahrnimmt, bis hin zu Design- und Entwicklungsprozessen von Produkten, die maßgeblich die spätere Nutzbarkeit und Zugänglichkeit gestatten.
Wenn sich die Menschen nicht in den Produkten und Kampagnen wiedererkennen, dann kaufen oder nutzen sie diese auch nicht. Dabei gilt es noch einmal deutlich festzuhalten, dass Diversität über die faire Repräsentation von Frauen hinausgeht und die Vielfalt in Alter, Herkunft, sozialem Status und religiöser Weltanschauung beinhaltet. Diese müssen auch in den unterschiedlichen Positionen repräsentiert sein. Dafür ist die „Mobility of Care“ ein gutes Beispiel. Bisher sind es zu einem Großteil Frauen, die die Pflegearbeit von Kindern und älteren Menschen erledigen. Doch dieses Bild bricht langsam auf und Lebensmodelle werden fließender. Deswegen hier noch mal der Warnhinweis: Frauen und Männer mit dem gleichen akademischen Hintergrund sind noch keine diverse Gruppe und Organisationen müssen sich immer wieder kritisch hinterfragen, ob sie für unterschiedliche Lebensentwürfe Möglichkeiten vorhalten. Was tun? Zunächst einmal sollte das Thema Diversität ernst genommen und nicht als nettes Zusatzthema betrachtet werden. Eine Studie von Boston Consulting aus dem Jahr 2017 belegt, dass diversere Teams 20 Prozent mehr Umsatz erwirtschaften. Dabei geht die Studie nicht nur auf das Zahlenverhältnis zwischen Frauen und Männern ein, sondern zeigt, dass auch die Repräsentation auf verschiedenen Ebenen dazu passen muss. Diversität bezieht sich gleichzeitig auf mehr als nur Gleichberechtigung der Geschlechter und darüber hinaus auch auf Vielfalt im Denken und im Handeln.

„Der Deutsche Fahrradpreis – best for bike“: Mit Dr. Eckhart von Hirschhausen ist die „Fahrradfreundlichste Persönlichkeit 2021“ zum siebten Mal in Folge ein Mann.

Wenig diverse Vorbilder

Es ist an der Zeit zu verstehen, dass Diversität elementar für die Zukunft des Fahrrads und des Radverkehrs ist. Das Fahrrad ist ein leicht zugängliches Verkehrsmittel. Mit der notwendigen Infrastruktur, die allen ein sicheres Fahrradfahren ermöglicht, geht auch eine neue Mobilitätskultur einher. Zählen Sie einmal, wie viele Frauen mit Kopftuch Sie heute schon auf dem Fahrrad gesehen haben. Oder wie viele Personen in Businesskleidung? Oder welche Personen ihr online bestelltes Essen liefern. Durch Werbung, Bilder und Sprache prägt die Industrie einen Lifestyle, aber wer ist auf den Fotos abgebildet und in welcher Situation? Kürzlich entbrannte zum Beispiel eine Diskussion in den sozialen Medien zur Verleihung des Preises „Fahrradfreundlichste Persönlichkeit 2021“, die zum siebten Mal in Folge an einen Mann verliehen wird. Aufsehen erregte zudem, dass der diesjährige Preisträger Dr. Eckhart von Hirschhausen in sportlichem, neonfarbenem Lycra abgebildet wurde, was deutlich eine Freizeit- statt einer Alltagsnutzung des Fahrrads darstellt. In den vergangen 19 Jahren, in denen der Deutsche Fahrradpreis verliehen wurde, ergibt sich eine Quote von 15 Männern gegenüber 4 Frauen, darunter keine Person mit Migrationshintergrund oder körperlichen Einschränkungen. Die Debatte zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur einen Typus als Radfahrenden abzubilden, sondern abzuwechseln, sodass sich alle angesprochen fühlen.
Wenn das Fahrrad ein Verkehrsmittel für alle ist, dann müssen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen auch mitreden. Wie kann der Fahrradsektor also diverser werden? Wichtig ist, diesen Prozess der Diversifizierung anzugehen, sich und das eigene Unternehmen oder die eigene Organisation zu hinterfragen und unangenehmen Gesprächen nicht aus dem Weg zu gehen. Hier gilt es klarzustellen, dass Diversität nicht bedeutet, unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Backgrounds auf Fotos abzubilden und so in eine Art Diversity-washing zu verfallen. Es geht vor allem darum, Diversität aktiv zu fördern!

Neu: Women in Cycling

Es gibt bereits sehr erfolgreiche Netzwerke zur Vernetzung von Frauen, darunter „Women in Mobility“, die kürzlich beim Deutschen Mobilitätspreis 2020 mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurden, oder „Women in Transport“ auf europäischer Ebene, die das Thema Vernetzung im Mobilitätsbereich über die Verkehrsmittel hinaus erfolgreich vorangetrieben haben. „Frauen im Fahrradsektor müssen sichtbarer werden, sodass keiner mehr fragen muss, wo sind die Frauen“, sagt Lauha Fried der Vereinigung Cycling Industries Europe. „Sie müssen repräsentiert sein auf Panels, in Magazinen, Berichten, Kongressen, Messen und Fachveranstaltungen in ihren unterschiedlichen Positionen.“ Deswegen gründeten Cycling Indus-tries Europe, die European Cyclist Federation, die niederländische Beratungsfirma Mobycon und die Berliner Agentur Velokonzept das Netzwerk „Women in Cycling“, das den ganzen Fahrradsektor umschließt, also Industrie, Handel, Infrastrukturplanung, Forschung, aber auch NGOs, Medien und den Sport inkludiert. Die Vision des Netzwerks ist ein diverserer und inklusiverer Fahrradsektor, der faire und gleiche Möglichkeiten für alle schafft und somit auch das volle Potenzial des Fahrrads ausschöpft. „Women in Cycling“ schafft eine Plattform, um sich zuerst untereinander in den eigenen Bereichen und über die Altersgrenzen hinweg zu vernetzen, und fördert eine stärkere Präsenz von Frauen in Beiräten, Entscheidungsgremien, auf Podien und in den Medien als Expertinnen.
Die Chance der Zusammenarbeit mit Akteurinnen aus anderen Bereichen über Wettbewerbsgrenzen hinweg ist ein wichtiges Werkzeug, um die gesellschaftliche Bedeutung des Fahrrads zu fördern. Mit einem Expertise-Portal schafft das Netzwerk
ein öffentlich zugängliches Tool, an dem alle Kuratorinnen und Organisatorinnen die passenden Expertinnen auswählen können. Damit sollten „All-male-Panels“ im Fahrradsektor ab jetzt der Geschichte angehören. Außerdem plant das Netzwerk, durch Mentoring und Leadership- Skills-Programme den Nachwuchs zu fördern. Durch Netzwerk, Förderung und Repräsentation zielt Women in Cycling letztendlich stark auf systemische Veränderungen ab. Zuletzt bleibt nur noch zu sagen, dass ein diverser Sektor allen zugutekommt, aber es auch eine Aufgabe aller ist, diesen Wandel zu beschreiten. Das heißt, wir können uns alle selbst fragen, welche repräsentativen Aufgaben wir vielleicht mal abgeben können, wie wir unser Umfeld bestärken und so gemeinsam den Fahrradsektor voranbringen.

Isabell Eberlein

ist Fahrrad- und Mobilitätsexpertin und berät als Teil der Berliner Agentur Velokonzept unter dem Namen „Okapi“ Unternehmen und öffentliche Verwaltungen mit Blick auf ein zukunftsfähiges Mobilitätsmanagement. Zudem engagiert sie sich im Verein Changing Cities, bei Women in Mobility und im neu gegründeten Netzwerk Woman in Cycling.


Bilder: VELOBerlin, Sebastian Doerken, Deutscher Fahrradpreis / Hirschhausens Quiz des Menschen XXL

281.000 Beschäftigte generieren mehr als 37,7 Milliarden Euro Umsatz – mit stark steigender Tendenz. Die hohe Relevanz und Dynamik der Fahrradbranche zeigt eine neue wissenschaftliche Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und dem Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Neben detailliertem Zahlenmaterial bietet die „Branchenstudie Fahrradwirtschaft in Deutschland: Unternehmen, Erwerbstätige, Umsatz“ (Dezember 2020) auf 38 Seiten auch vielfältige Hintergrundinformationen. Nach den Auftraggebern Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF), Verbund Service und Fahrrad (VSF) und Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) handelt es sich dabei um das bislang umfassendste Kompendium zur Fahrradwirtschaft in Deutschland.
Kurz zusammengefasst: In der deutschen Fahrradwirtschaft arbeiteten im Jahr 2019 ca. 281.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Selbstständige. Der gesamte steuerbare Umsatz lag im Jahr 2018 bei ca. 37,7 Milliarden Euro (Anm.: Aus technischen Gründen beziehen sich die Umsatzzahlen jeweils auf 2018 und die Zahl der Beschäftigten auf das Folgejahr). Allein in den drei Kernbereichen Herstellung, Handel und Dienstleistungen (Sharing/Verleih und Leasing) stieg die Zahl der Beschäftigten in fünf Jahren von 2014 bis 2019 im Mittel um 20 %, der Umsatz von 2013 bis 2018 gemittelt um 55 %. In der Summe stehen die Kernbereiche für 66.000 Arbeitsplätze und einen Umsatz von 24,2 Mrd. Euro. Starke Zahlen liefert auch der Fahrradtourismus mit 204.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 11,59 Mrd. Euro.
Herstellung: In der Herstellung stieg der Umsatz im Zeitraum von 2013 bis 2018 um 46 % auf 6,9 Mrd. Euro. Die Gründe dafür sind vor allem im E-Bike-Boom zu finden, aber auch in der allgemeinen Bereitschaft, mehr Geld in das eigene Fahrrad oder das der Kinder zu investieren. Mehr als vier Millionen neue Fahrräder wurden 2019 in Deutschland verkauft, davon 1,36 Millionen E-Bikes. Die Verkaufszahlen der E-Bikes haben sich – ohne staatliche Förderung – damit innerhalb von zwei Jahren verdoppelt und Marktexperten sehen hier auch in Zukunft ein weiteres starkes Wachstum.
Handel: Der Handel verzeichnete aus ähnlichen Gründen ebenfalls ein sattes Umsatzplus von 55 % auf 16,7 Mrd. Euro. Neben Fahrrädern und E-Bikes spielt hier auch der wachsende Markt für Zubehör und Bekleidung eine Rolle. Besonders erfreulich ist, dass der lokale Fachhandel seine starke Position mit einem Anteil von 68 % in 2019 im Gegensatz zu vielen anderen Branchen bislang sehr gut behaupten kann. Privat- und Geschäftskunden können sich damit über eine hohe Beratungsqualität vor Ort ebenso freuen wie über Services und Werkstattleistungen.
Dienstleistungen: Besonders rasant gewachsen ist zudem der Bereich Dienstleistungen (Sharing/Verleih und Leasing) um 608 % auf 560 Millionen Euro. Umsatztreiber ist hier vor allem das Leasing. Die Anzahl der in Deutschland geleasten Fahrräder und E-Bikes hat sich nach Schätzungen des Bundesverbands Zukunft Fahrrad (BVZF) zwischen 2017 und 2019 von 53.000 auf über 200.000 vervierfacht. Für das Jahr 2020 rechnet der BVZF mit über 340.000 Stück. Das Beispiel Leasing zeigt dabei eindrucksvoll, wie gut finanzielle Anreize wirken. Das Marktwachstum wäre ohne die Gleichstellung von Fahrrädern und E-Bikes mit Dienstwagen und Elektroautos inklusive 1-Prozent-Regel bzw. seit Neuestem der 0,25-Prozent-Regel zur Versteuerung des geldwerten Vorteils einfach nicht denkbar. Über Gehaltsumwandlungen profitieren heute so immer mehr Menschen von günstigen Leasingraten ohne Eigenkapitalbindung, was gerade bei E-Cargobikes, die schnell über 5.000 Euro kosten, optimal ist. Eine aus Kundensicht weitere gute Nachricht: Mit dem Leasing wächst auch ein attraktiver Markt für gut erhaltene Secondhand-E-Bikes heran. Für alle, die angesichts der pandemiebedingten Lieferverzögerungen gesund mobil bleiben wollen, ebenfalls eine sehr gute Nachricht.

„In naher Zukunft wird jedes zweite Fahrrad ein E-Bike sein und langfristig werden zwei von drei Fahrrädern eine Motorunterstützung haben.“

Claus Fleischer, Antriebshersteller Bosch eBike Systems

Wichtiger Faktor: Fahrradtourismus

Wichtig für viele Regionen und Kommunen sind vor allem die erhobenen Zahlen aus dem Fahrradtourismus. Denn gerade in strukturschwachen Regionen kann der Radtourismus erfahrungsgemäß eine große Rolle für die regionale Wirtschaft spielen. Anhand der vorliegenden Daten ermittelt die Studie ein Äquivalent von 204.000 Beschäftigten für 2019 und einen Umsatz von 11,59 Mrd. Euro für das Jahr 2018. Zum Vergleich: Eine ältere Studie für 2009 ging hier noch von 186.000 Beschäftigten aus. Gerade angesichts des Klimawandels mit eher trockenem Wetter sowie der Corona- und Post-Corona-Zeit gibt es hier nach Meinung von Experten künftig noch hohe, in vielen Regionen und Bereichen bislang wenig genutzte Potenziale.

Oft vergessen: vor- und nachgelagerte Teilbranchen

Nicht zu unterschätzen sind auch die vor- und nachgelagerte Teilbranchen der Wertschöpfungskette. Hierzu zählen u. a. Infrastruktur, Verwaltung, Stadt- und Verkehrsplanung, Aus- und Weiterbildung, Fachmedien und Informationsarbeit sowie weitere Leistungen zum Beispiel beim Ladenbau, in der Logistik etc. Die Studie verzeichnet hier 11.000 Beschäftigte für 2019 und 1,9 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2018.

Fazit der Verbände

  1. Wachstumspotenzial:
    Die Studie macht deutlich, dass die Fahrradwirtschaft stark im Aufwind ist. Es steht zu erwarten, dass sich der Boom der Branche fortsetzt und dass auch die Beschäftigung in Deutschland weiter aufgebaut wird. Die Wertschöpfung und das Steigerungspotenzial der Branchen sind enorm – von Herstellung und Fachhandel bis hin zu Dienstleistungen wie Leasing oder auch Tourismus.
  2. Wirtschaftspolitische Bedeutung:
    Die Förderung des Radverkehrs liegt nicht nur in klimapolitischem, umwelt- und gesundheitspolitischem und auch nicht nur in verkehrspolitischem Interesse, sondern Fahrräder und E-Bikes haben eine erhebliche wirtschaftspolitische Bedeutung!
  3. Resilienz:
    Der Aufbau krisenfester Lieferketten ist auch für die Fahrradwirtschaft wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund des großen Marktpotenzials und dynamischen Wachstums. Insofern erwartet die Fahrradwirtschaft eine Wirtschaftspolitik, die die Branche hierzulande als Wachstumsfaktor fördert (z. B. im Rahmen der E-Mobilität) und dabei die nationale und europäische Wertschöpfung besonders im Blick hat.
  4. Infrastruktur:
    Es stehen mittlerweile nicht unerhebliche finanzielle Mittel für die Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur bereit, aber es hapert nach wie vor an der Umsetzung. Die Fahrradwirtschaft fordert hier von Politik und Verwaltung eine deutlich höhere Dynamik als bisher. Know-how-Transfer und der gezielte Aufbau kommunaler Kompetenzen sind hier wichtige Schritte.
  5. Mobilitätswende:
    Radverkehrsförderung geht nicht ohne Auswirkungen auf andere Verkehrsträger. Der öffentliche Raum muss neu geordnet („Mehr Platz fürs Rad“), die Prioritäten neu gesetzt werden (Radschnellwege, Fahrradstraßen, Komfort-Radwege). Innerorts muss die Differenzgeschwindigkeit verschiedener Verkehrsträger verringert und damit die Sicherheit erhöht werden. Die Fahrradwirtschaft erwartet von den politischen Entscheidern konsequentes und wirksames Handeln, um die Mobilitätswende zügig voranzubringen. Ziel sind lebenswerte Städte mit einem leistungsfähigen und klimafreundlichen Verkehrssystem.

Studie, Zusammenfassung und Grafiken

Die vollständige „Branchenstudie Fahrradwirtschaft in Deutschland: Unternehmen, Erwerbstätige, Umsatz (2020)“ und weitere Informationen gibt es zum Download auf den Seiten der Verbände:

zukunft-fahrrad.org | vsf.de | ziv-zweirad.de


Bild: pressedienst-fahrrad, Riese & Müller

Genug sichere Plätze zum Abstellen sind für mehr Fahrradmobilität unverzichtbar. Gute Konzepte und Produkte gibt es, bislang hapert es hierzulande aber noch an der Umsetzung. Experten fordern angesichts neuer Fördermöglichkeiten mehr Dynamik. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Fahrräder und E-Bikes nehmen als städtische Verkehrsmittel immer mehr Fahrt auf, doch beim Abstellen wird es schwierig. Das Fahrrad vor das Haus stellen? Unsicher und auf den oft knappen Gehwegen wird es noch enger. Oder lieber in den Keller tragen? Insbesondere bei schwereren E-Bikes ein sehr mühsames Unterfangen. Und am Ziel? Kann man wenigstens dort sein teures Rad sicher abstellen – bei Bedarf auch über Nacht? Ganz reale Probleme im Alltag. Der Bedarf nach sicheren Parkmöglichkeiten und Abstellanlagen nimmt deutlich zu und wird sicher auch in den kommenden Jahren nicht nachlassen.

Begehrtes Diebesgut

Die Verkaufspreise für Fahrräder und E-Bikes liegen nach den Angaben der Branchenverbände bei Premium-Fachhändlern in der Regel zwischen rund 800 und 4.000 Euro. Noch einmal deutlich darüber liegen mit über 5.000 Euro sowohl E-Cargobikes als auch die von Pendlern geschätzten schnellen E-Bikes der 45-km/h-Klasse. Für Diebe lohnenswert ist auch der Teilediebstahl. Allein die Kosten für einen E-Bike-Akku belaufen sich auf 600 Euro und mehr und auch ein leistungsstarker Scheinwerfer kann schon mal 200 bis 300 Euro kosten.

Neue Mobilität braucht Diebstahlschutz

Andreas Hombach vom Abstellanlagen-Hersteller WSM betont die wichtige Rolle von E-Bikes für die Mobilitätswende: „Das E-Bike hat die neue Mobilität vor allem in Städten, in denen das Fahrrad bislang aus topografischen Gründen nicht angekommen war, vielfach verstärkt.“ Wie steht es aber mit Angeboten zum sicheren Abstellen im öffentlichen Raum? Schon im persönlichen Umfeld kennt wohl jeder Alltagsradler Orte, die er mit einem schlechten Gefühl anfährt, da es dort keine ausreichenden Möglichkeiten gibt, das Fahrrad sicher am Rahmen anzuschließen. Das Problem bremst die Mobilitätswende, weil hochwertige Fahrräder und E-Bikes auch bei Dieben immer begehrter werden. Abstellen, ohne den Rahmen anzuschließen, ist nirgends empfehlenswert, denn so landet das Rad trotz bestem Schloss schnell auf einem Transporter. Was also tun? Die gute Nachricht: An Geld fehlt es den Kommunen mittlerweile selten. An-dreas Hombach verweist als aktuelles Beispiel auf das „Sonderprogramm Stadt und Land“ des BMVI, das gerade in Kraft getreten ist. Dabei bekommen Regionen erstmals bis zu 90 Prozent der Kosten für Rad-Infrastruktur vom Bund – normal ist Radverkehr Ländersache. Dabei wird ausdrücklich auch Geld für den Bau von Abstellanlagen und Fahrradparkhäusern zur Verfügung gestellt. Oftmals fehlten jedoch die Planer und manchmal auch das tiefere Verständnis für das Thema. Noch immer sei zum Beispiel in vielen Verwaltungen nicht klar, welche Abstellanlagen empfehlenswert sind. „Bitte keine Felgenkiller für teure E-Bikes“, appelliert Andreas Hombach und spricht dabei den längst überholten Vorderradbügel an, der kaum Diebstahlschutz bietet, sondern parkende Räder nur ordnet, verbunden mit dem hohen Risiko, das Vorderrad zu beschädigen. Als „Eier legende Wollmilchsau“ empfiehlt der Experte stattdessen einen Anlehnbügel mit zweitem Querrohr, je nach Parksituation auch mit Überdachung. „Da kann man einfach alles anschließen; das ist auch die beste Lösung für Cargobikes und Liegeräder.“ Ein Vorteil sei, dass der Abstand der einzelnen Bügel zueinander flexibel angepasst werden kann. Wirklich sicher sind aber auch diese Lösungen nicht, denn mit der zunehmenden Verbreitung hochwertiger Räder wächst auch die Professionalität der Diebe. Mittlerweile werden an schlecht einsehbaren Orten statt der hochstabilen Schlösser lieber die Anlehnbügel durchschnitten. Diese Entwicklung könnte auch die Verbreitung von Fahrradparkhäusern oder abschließbaren Boxen für Fahrräder vorantreiben. Sie kosten zwar ein Vielfaches und benötigen mehr Platz, bieten dafür aber nicht nur Schutz vor Diebstahl und Nässe, sondern auch vor neugierigen Blicken.

10 %

Eigenfinanzierung.
Regionen erhalten bis zu 90 Prozent der Kosten für Radinfrastruktur
vom Bund – auch für Abstellanlagen und Fahrradparkhäuser.
Die Hamburger Fahrradhäuschen bieten Platz für 12 Räder und gehören seit den 1990er-Jahren zum Stadtbild.

Clevere Lösungen in Benelux und Hamburg

Während hierzulande in den letzten Jahren in Wohngebieten nach und nach immerhin mehr Abschließmöglichkeiten durch Bügelparker geschaffen wurden, gibt es bei den niederländischen Nachbarn schon seit Jahrzehnten bewährte Konzepte wie spezielle Parkhäuser oder die sogenannte Fietstrommel, eine geschlossene und überdachte Anlage in verschiedenen Versionen, die auf freien Flächen oder umgewidmeten Pkw-Parkplätzen aufgestellt wird. Anwohner können hier einen Radstellplatz im Abo für rund 60 Euro pro Jahr mieten. Die Nachfrage ist hoch und ähnliche Projekte und Anlagen finden sich (z. B. unter dem Namen Velo-Boxx) inzwischen auch großflächig in Belgien und Dänemark. In Deutschland gibt es zwar ebenfalls eine hohe Nachfrage, aber öffentlicher Raum ist knapp und Autoparkplätze umzuwidmen bleibt vielerorts bislang ein Tabu. Regional gibt es eine ähnliche Lösung tatsächlich aber auch hier. In Hamburg ist das „Fahrradhäuschen“ gut vertreten: „Wir haben mittlerweile einige Hundert in Wohngebieten aufgestellt“, sagt Rainer Köhnke, Geschäftsführer des Unternehmens Velopark. Ursprünglich entstanden war die Abstellanlage aus einem sozialpolitischen Projekt. Seit 1995 können Anwohner mit Platz vor dem Haus dieses zehneckige Häuschen von der Stadt aufstellen lassen. „Etwa 7.000 Euro kostet das, die Hälfte steuert die Kommune hinzu“, so Köhnke. Die Stadt Hamburg hat eine eigene Internetseite zur Beantragung eines Häuschens, das zu einem Hamburger Standard geworden ist. Es braucht maximal sechs Quadratmeter und bietet Platz für bis zu zwölf Räder. Die Aufhängung für die Hochkant-Unterbringung ist drehbar gelagert. So spart man Platz, da man den Raum nicht betreten muss. Wer sein Rad abholen will, öffnet die gut lenkerbreite Tür und dreht die Spindel so weit, bis sein Rad in der Öffnung erscheint. Das Rad in der Schiene leicht nach oben schieben, das Vorderrad aus dem Haken und aus dem Ständer nehmen, fertig. Trotz der Erfolgsgeschichte beliefert Velopark neben Hamburg nur wenige deutsche Städte. In Dortmund allerdings konnte das Hamburger Häuschen etwas Fuß fassen, auch hier subventioniert die Kommune einen Großteil der Anschaffungs- und Aufstellungskosten. In Düsseldorf und der Fahrraddiebstahl-Hochburg Münster schützen einige vergleichbare, regional und teils angelehnt ans Hamburger Vorbild entwickelte Fahrradgaragen E-Bikes und Fahrräder in Wohngebieten. Wichtig dabei immer: geringer Flächenbedarf bei maximaler Raumauslastung. Das originale Hamburger Häuschen ist laut Rainer Köhnke in der Schweiz stark vertreten.

„Man muss jetzt sehr schnell und groß handeln, es gibt heute eine enorme Dynamik.“

Jörg Thiemann-Linden, Mitglied Planerbüro „Team Red“, Bonn

Platz zum Abstellen ist eigentlich da

Ein Problem bei der Schaffung von Abstellflächen ist die Verfügbarkeit von Raum, vor allem in den Städten. Hier müssen die fehlenden Flächen künftig wohl vermehrt vom Auto kommen, was rein rechnerisch aber ein Vorteil ist. „Wir erreichen durch die Umwidmung eine enorme Stellplatzvermehrung“, so Jörg Thiemann-Linden, freier Planer für den Radverkehr und Mitglied des Planerbüros „Team Red“ in Bonn. „Ein Autostellplatz entspricht acht Stellplätzen für Fahrräder.“ Besonders wichtig für Fahrradabstellanlagen sei dabei die Positionierung nah an möglichen (Einkaufs-)Zielen. Auch die Geschäftsleute hätten mittlerweile erkannt, dass die Portemonnaie-Dichte steigt, je mehr Menschen ihr Fahrzeug abstellen können.
Mehr Platz fürs sichere Abstellen von Fahrrädern und gleichzeitig mehr Sicherheit verspricht auch das Konzept, das verbotene Kfz-Parken um Kreuzungen und Einmündungen wirkungsvoll mit Fahrradbügeln zu verhindern und wieder wichtige Sichtbeziehungen zu gewährleisten. So könnten allein an einer Standardkreuzung laut ADFC-Konzept 16 Bügel und damit 32 sichere Fahrradstellplätze entstehen.
Auch Lastenräder vergrößern das Platzproblem nach Expertenmeinung nicht, denn meist werden sie von Städtern anstelle eines Autos genutzt. Braucht es dazu spezielle Lastenrad-Parkplätze? „Meiner Einschätzung nach nicht“, so Arne Behrensen, Geschäftsführer der Beraterfirma Cargobike.jetzt und Mitglied im Vorstand des Radlogistik Verband Deutschland e. V. (RLVD). „Wenn der Raum vorhanden ist, ist nicht zu argumentieren, warum in diesem Gebiet separate Abstellanlagen für Cargobikes installiert werden sollten. Was die Ladezonen anbelangt: Wo geliefert wird, da muss eine Ladezone sein – ganz einfach.“
Zum Glück werde nach den Erfahrungen des Planers Thiemann-Linden heute fast grundsätzlich auch in Deutschland die Abstell-Infrastruktur einbezogen, wenn in einer Kommune neue Radweganlagen geplant werden oder wenn ein Marktplatz oder ein Shoppingcenter umgebaut wird. Das reiche aber noch nicht. „Man muss jetzt sehr schnell und groß handeln, es gibt heute eine enorme Dynamik.“

Bei ausreichendem Abstand lassen sich an Anlehnbügeln mit Querrohr auch Cargobikes bequem und sicher abstellen.
Beim Sharea-Angebot der ZEG-Tochter Eurorad können Kunden E-Fahrzeuge für spezifische Zeiträume aus extra gefertigten Garagen mit einem digitalen Verleihsystem mieten.

Neue Mobilität als Teamarbeit

Egal ob es ums sichere Abstellen, Abschließen, Lademöglichkeiten, neue Technologien oder Kommunikation geht, wenn neue Mobilität erfolgreich sein soll, dann ist persönlicher Einsatz und Teamarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren gefordert. Mit diesem Ziel lancierte der deutsche Sicherheitsspezialist Abus im letzten Jahr die Kampagne „Get Urbanized“. Ein Videoclip (s. Youtube / Get urbanized) motivierte dabei zum Radfahren. „Wir wollten zum Nachdenken anregen“, so Torsten Mendel, PR-Manager des Unternehmens. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Humor wurden in dem Clip die kleinen Schrecken des Arbeitspendelns per Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln dargestellt. Probleme, die man mit Fahrradpendeln umgehen kann. Interessant an der Kampagne: Sie zeigte keine Produktwerbung. „Das Primäre war für uns, für Fahrradmobilität zu werben. Erst dann der Gedanke: Wer sich aufs Fahrrad setzt, der kann unser Kunde werden“, sagt Mendel, dessen Unternehmen unter anderem Fahrradschlösser und -helme herstellt. Bei Abus glaubt man, dass man auch mit dem richtigen Schloss und dem passenden Anschließbügel die Mobilität vorantreiben kann. Dazu entwickelt der Hersteller heute auch digitale Lösungen, wie per App und Bluetooth steuerbare Schlösser mit Alarmfunktion. Für die weitere Entwicklung und neue digitale Lösungen ist man bei Abus mit Produzenten von Abstellanlagen genauso im Gespräch wie mit Stadtplanern und Wohnungsbaugesellschaften.
Auf vernetzte Lösungen setzt auch das Unternehmen Eurorad, einer der wichtigsten Innovatoren der Fahrradbranche. Unter dem Namen SHAREA stellt Eurorad Unternehmen, Städten und Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften, Energieversorgern etc. eine neuartige Plattform zur Verfügung, welche die Möglichkeit bietet, ein eigenes Sharing-Konzept zu betreiben. Die maßgeschneiderte E-Mobility-Lösung aus einer Hand umfasst topaktuelle IoT-vernetzte E-Bikes, Cargobikes und E-Scooter, modernste App-Technologie, individuelle Abstellanlagen, kompletten Service und einen umfassenden Rundum-Versicherungsschutz. Vorteile für die Betreiber: fest kalkulierbare Kosten und kein Aufwand im laufenden Betrieb.
Angesichts der dynamischen Entwicklung bei der Technologie und den Möglichkeiten der Vernetzung lohnt es sich also auf jeden Fall, nicht nur „in Metall“, sondern auch in neuen Lösungen zu denken. Die Niederländer sind bei ihren Fahrradparkhäusern hier übrigens bereits viel weiter und arbeiten mit integrierten Lösungen für Zugänge und Abrechnungen per Smartcard und Apps und sorgen so für eine lückenlose Verbindung mit Sharing-Anbietern und dem öffentlichen Verkehr.

Umfassender Leitfaden zur Planung aus Hessen

Einen umfassenden Leitfaden zur Planung von Radabstellanlagen hat das hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen herausgegeben. Für den Leitfaden wurden verschiedene Situationen vom Wohnhaus über den Gewerbebetrieb bis zu öffentlichen Plätzen untersucht. Die Aufgaben sei keineswegs trivial, so die Macherinnen und Macher, denn die Anforderungen seien von Ort zu Ort sehr unterschiedlich.

Zum Download:nahmobil-hessen.de/unterstuetzung/planen-und-bauen/radabstellanlagen


Bilder: SecuBike Fietstromme, Wikimedia – Creative Commons, Heinrich Strößenreuther, Eurorad

Wer Menschen in die Züge locken will, darf mit Parkplätzen für Fahrräder nicht geizen. Die Bahn hat mit ihrem Bike+Ride-Service die Errichtung für die Kommunen beschleunigt. Ein Blitzlicht und Projektbericht von Campaigner Heinrich Strößenreuther, der als Projektmanager half, die DB-Bike+Ride-Offensive mit aufzubauen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Die Verkehrswende ist eine Aufgabe, die es nicht nur in den Städten, sondern auch außerhalb zu lösen gilt: Denn jedes Auto, das nicht in die Stadt fährt, reduziert dort den Stau, die Parkplatzsorgen und den Flächenkonflikt. Klima- und verkehrspolitisch gesehen wird es noch interessanter: Auch, wenn 50 Prozent aller Pkw-Fahrten kürzer als fünf Kilometer sind und in der Stadt aufs Rad verlagert werden können, sorgen grob gerechnet ein Drittel aller Fahrten (die über 10 Kilometer) für fast Dreiviertel der Emissionen im Pkw-Verkehr. Die Pkw-Entfernungsklassen von 10 bis 30 Kilometern der ein- und auspendelnden Verkehre sind das verkehrspolitische Handlungsfeld, bei der die geschickte Kombination zwischen Fahrrad und ÖPNV/Schienennahverkehr städtische Verkehrsprobleme lösen kann, mit gut ausgestatteten Haltepunkten als Schlüssel.

Fahrräder und E-Bikes als Zubringer denken

Betrachtet man das Fahrrad zusammen mit der Schiene konzeptionell und aus Nutzersicht als einen Verkehrsträger („Bike-Transit“), ergeben sich daraus mehrere verkehrspolitische Handlungsfelder:

  • Die Einrichtung von Fahrradabstellanlagen am Zubringer-Bahnhof
  • außerhalb der Stadt.
  • Die Einrichtung von Fahrradabstellanlagen bei den Innenstadt-Haltepunkten.
  • Die Einrichtung von geschlossenen Fahrradabstellanlagen für hochwertige Fahrräder wie E-Bikes.
  • Die Bereitstellung von ausreichenden Bikesharing-Angeboten.
  • Die sichere und attraktive An- und Abfahrt mit dem Rad zum Bahnhof.
  • Die Mitnahme von Fahrrädern im Zug.


Der Bike-Transit ist der reinen Autofahrt in vielen Punkten deutlich überlegen: Er ist häufig schneller, da er nicht mit Staus zur Rushhour konfrontiert ist. Dazu kommt, dass die Zeit im Zug heute mit modernen Devices bestens produktiv oder zur Unterhaltung genutzt werden kann. Der Bike-Transit ist im Vergleich zum Bus-Bahn-Bus zudem wesentlich pünktlicher, da Radfahrende auf der ersten und letzten Meile nicht durch Staus beeinträchtigt werden. So manche Familie erspart sich so den Zweit- oder Drittwagen. Richtig designt kann damit zudem die eine oder andere Autobahn oder Ausbauspur überflüssig werden, ganz abgesehen von weniger Verschleiß und Straßeninstandsetzung. Ebenfalls wichtig: Bei einem attraktiven, passenden Angebot spielt die Mitnahme von Fahrrädern in den Zügen für Pendler kaum noch eine Rolle, wie Erfahrungen aus den Niederlanden eindrucksvoll zeigen. Insbesondere in den Ballungsräumen ist der Bike-Transit damit häufig dem Auto-Pendeln überlegen.

„Die systematische Verknüpfung von Fahrrad und Bahnhof stand jahrzehntelang nicht im Fokus.“

Meike Niedbal, DB Station&Service

Hohe Potenziale zum Umsteigen

Bei unseren niederländischen Nachbarn ist die enorm hohe Ausstattung mit Bike+Ride-Plätzen nicht nur ein Ergebnis jahrzehntelangen systematischen Managements des Bike-Transits; sie ist ebenfalls durch starke verkehrspolitische Unterstützung aus den entsprechenden Ministerien und Kommunen entstanden. Während dort die Fahrradmitnahme-Kapazitäten gegenüber deutschen Nahverkehrszügen bestenfalls ein Viertel der Menge betragen, verfügen die Bahnhöfe über hervorragende Abstellmöglichkeiten – als High-End-Parkhäuser, aber auch als große, nicht überdachte Doppelstockanlagen. Und in Deutschland? „Die systematische Verknüpfung von Fahrrad und Bahnhof stand jahrzehntelang nicht im Fokus. Mit der Mobilitätswende wird es aber immer wichtiger, aktive Angebote für den Umstieg auf die Schiene zu machen“, erläutert Meike Niedbal, Leiterin Produktmanagement von DB Station&Service die Ausgangslage. In ihren Verantwortungsbereich fällt die Bike+Ride-Offensive, an deren Start sie 2018 beteiligt war. „Die Verantwortung für den ruhenden Verkehr wurde mit der Bahnreform 1994 den Kommunen übertragen. Für die Verantwortlichen in den Bahnhofsmanagements hießen zusätzliche B+R-Plätze mehr Investitionen und Aufwand ohne zusätzliche Erlöse zur Refinanzierung.“
Schaut man nach dem Bedarf an Bike+Ride-Anlagen in Deutschland, fällt auf, dass die meisten Fahrradabstellanlagen hierzulande regelmäßig stark überfüllt sind. Tatsächlich klagt eigentlich jeder darüber, dass selbst an die letzte Laterne Fahrräder gekettet sind, um den Diebstahl zumindest zu erschweren. Gleichzeitig wächst der Radverkehr seit einigen Jahren überproportional: Waren es in den 2010er-Jahren bislang häufig nur 5 Prozent pro Jahr, so zeigen die Zählstellen, aber auch die Navigations- und Handydaten von Dienstleistern wie Strava für die 2020er-Jahre (und im Corona-Jahr) an einzelnen Messstellen und Straßen jährliche Steigerungen um 10 bis 30 Prozent.
Bei einer Fahrgastanalyse für die S-Bahn Halle-Leipzig stellte sich schon im Jahr 2015 heraus, dass jeder fünfte Fahrgast zum Bike-Transit gehört und entweder die erste oder die letzte Meile mit dem Rad fuhr (oder auch beide). Überraschenderweise waren die Fahrgäste mit Rad im Zug die absolute Minderheit (nur 5 Prozent). Insgesamt kamen in diesem Großraum aber nur 13 Prozent mit dem Rad zum Bahnhof und nur 9 Prozent fuhren mit dem Rad weiter. Zum Vergleich: In den Niederlanden kommt jeder zweite Bahnfahrer mit dem Rad zum Bahnhof und jeder Zehnte fährt am Zielort mit dem Rad weiter. Aus Befragungen des BMVI (2015) wird deutlich, dass Radfahrer durchschnittlich 5,6 Kilometer radeln, aber beim Bike-Transit nochmals 11,6 Kilometer im Zug dazukommen. Das Einzugsgebiet einer Stadt steigt damit um das Neunfache von 100 auf 930 Quadratkilometer. Auch das Zehnminuten-Einzugsgebiet um einen Bahnhof steigt um das Zehnfache, wenn Bahnreisende nicht zu Fuß, sondern mit dem Rad zum Bahnhof kommen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass sie ihre wertvollen Fahrräder oder E-Bikes dort auch sicher abstellen können und es wiederfinden, wenn sie abends mit der S-Bahn nach Hause kommen.

Der Roll-out läuft. 100.000 zusätzliche B+R-Plätze hat sich die Deutsche Bahn bis 2022 vorgenommen. Doppelstockanlagen sind ein guter Kompromiss aus Bahnsteignähe, Platzangebot und Bedarf.

In sechs Schritten zum B+R-Erfolg

Mit dem Bundesumweltministerium und dem Projektträger Jülich konnte im Rahmen der Kommunalrichtlinie ein Förderinstrumentarium aufgebaut werden, das den Kommunen in der Regel 60 bis 70 Prozent der Kosten per Antrag über den Projektträger Jülich erstattet und mit weiteren Drittförderungen von Landes- oder EU-Ebene aufgefüllt werden kann. Diese Förderung ist in den Prozess integriert, den die Bahn ihrerseits aufgebaut hat und der neben dem zentralen B+R-Team Mitarbeiter von DB Immobilien und in den rund 50 Bahnhofsmanagements umfasst.

Zum Ablauf:

  1. Die Kommunen melden für ihren Bahnhof ihr Interesse, ihr Projekt und ihren Bedarf an. Das Projektteam meldet sich dann innerhalb kurzer Zeit für ein erstes Projektscreening.
  2. In einer gemeinsamen Bahnhofsbegehung von Kommune, Bahnhofsmanagement und B+R-Team, bei kleineren Bahnhöfen und während der Lockdown-Zeiten teilweise auch als Videokonferenz, werden Bedarf und mögliche Standorte sowohl auf DB- als auch auf kommunalen Flächen identifiziert. Im Kern erhält die Kommune nach diesem Schritt ein kostenloses Grob-B+R-Konzept.
  3. Für alle gewünschten DB-Flächen werden DB-intern die Verfügbarkeiten geprüft und gegen eine Bearbeitungsgebühr von 950 Euro ein Gestattungsvertrag ausgefertigt. Die Flächen der DB werden mietfrei für mindestens fünf Jahre bei stillschweigender jährlicher Verlängerung zur Verfügung gestellt, sofern sie nicht für Schienenausbau-Vorhaben, Notfall- oder Logistikflächen erforderlich sind.
  4. Das Projektteam unterstützt die Kommunen, wenn der Förderantrag über die Kommunalrichtlinie des Bundesumweltministeriums gestellt wird; gleichzeitig muss die Kommune ihre eigenen Genehmigungen, verkehrlichen Widmungen und ggf. Beschlüsse rechtzeitig sicherstellen.
  5. Schließlich kann die Kommune ohne weitere Ausschreibung in die Rahmenverträge der Bahn auf eigene Rechnung einsteigen; diese sind EU-weit im Offenen Verfahren, dem strengsten Ausschreibungsverfahren, ausgeschrieben worden; ein weiteres Novum für den DB-Konzern, sodass den Radverkehrsbeauftragten hier viel Arbeit abgenommen wird und mindestens drei bis sechs Monate Zeit eingespart werden.
  6. Abschließend begleitet das lokale Bahnhofsmanagement die Kommune und den Lieferanten bei der Montage und Inbetriebnahme der Anlage.

2018: Start des B+R-Ausbaus bei der DB

Die Idee für den Aufbau einer Bike+Ride-Offensive hatte ich im Herbst 2017 an die Bahn herangetragen. Standen im Winter 2017/18 erste Gespräche mit dem Bundesumweltministerium auf der Agenda, gab es kurze Zeit später das Signal für einen schnellen gemeinsamen Startschuss noch im Jahr 2018. Im Sommer 2018 bekam ich den Auftrag, das Projekt für die DB Station&Service, die Bahnhofstochter des Bahn-Konzerns, mit aufzubauen. Eine erste Benchmark-Analyse im In- und Ausland half, den derzeitigen Stand an B+R-Plätzen sowie den kurz- und mittelfristigen Ausbaubedarf abzuschätzen. An rund 5.400 Haltepunkten gibt es in Deutschland zurzeit ca. 400.000 Plätze, die kurzfristig für den Bedarf auf 650.000 Plätzen ausgebaut werden müssten. Mittelfristig, mit Horizont 2030, lässt sich ein Zielbedarf von ca. zwei Millionen Plätze ableiten – verteilt auf verschiedene Ausführungen, von einfachen, kurzfristig installierbaren Anlagen bis hin zu hochwertigen, aber nicht schnell verfügbaren Fahrradparkhäusern.
Als erstes Ziel hat sich die B+R-Offensive 100.000 zusätzliche Plätze bis 2022 vorgenommen. Um diesen enorm großen Zuwachs „kurzfristig“ realisieren zu können, wurde der Fokus auf schnell wahrnehmbare Veränderungen, eine konsequente Standardisierung und hohe Prozesseffizienz gelegt. Ein Problem war die Standardisierung für den Kunden „Kommune“. Bahnintern fehlten Regelprozesse und Zuständigkeiten, was es den Kommunen und Planern nicht einfach machte. Auch die dünne Personaldecke aufseiten der Kommunen machte einfache standardisierte Prozesse erforderlich. Dementsprechend wurden schnell montierbare Anlagen in den Fokus genommen, die auch Zwischenlösungen ermöglichten und vor allem keine Tiefbauplanung benötigten: einfache Reihenbügelanlagen, Doppelstockanlagen für große Kapazitäten auf begrenzten Flächen sowie Dächer und Sammelschließanlagen. Fahrradstationen oder Fahrradparkhäuser wurden zunächst zurückgestellt, um für die einfachen Lösungstypen effektive, schnelle und kundenorientierte Serviceleistungen einzuführen. „Wir wollten unseren Partnern, den Kommunen, einen Service anbieten, mit dem sich B+R-Projekte kurzfristig und unkompliziert umsetzen lassen“, so Marco Ladenthin, verantwortlicher Projektmanager bei der DB. „Dieses Ziel haben wir erreicht und haben gleichzeitig das Image gewonnen, schnell und effektiv helfen zu können.“ Die Offensive traf auf eine riesige Nachfrage: Inzwischen wurde ein zehnköpfiges Team aufgebaut, das die Kommunen berät, sie bei der Flächensuche unterstützt, ihnen zu mietfreien Gestattungsverträgen verhilft und außerdem bei der Anlagen-Beschaffung unter die Arme greift.

Zahlen

  • 71 % der Befragten sagen gemäß Fahrrad-Monitor 2017, dass Fahrradabstellplätze das Wichtigste sind, um mehr mit dem Fahrrad zu fahren.
  • 55 % der Befragten erwarten von der Politik, für sichere Radabstellanlagen zu sorgen, und 43 % erwarten von der Politik mehr Abstellanlagen.
  • In den Niederlanden beginnt schon heute jede zweite Bahnfahrt mit dem Fahrrad. Jede zehnte Bahnfahrt wird am Zielort mit dem Fahrrad fortgesetzt.
  • 85 % aller Bike+Ride-Nutzer in den Niederlanden schließen ihr Fahrrad an Reihenbügel- oder Doppelstock-Anlagen ab, nur 15 % nehmen das Angebot des zahlungspflichtigen Einschließens wahr.

Quelle: Factsheet DB Bike+Ride-Offensive, Stand 11/2018

Zwischenfazit und Ausblick

Trotz Corona haben mit über 400 Kommunen Vor-Ort-Termine zur Flächenidentifikation stattgefunden, die für hochgerechnet 50.000 B+R-Plätze stehen. Für über 30.000 neue Stellplätze liegen bereits fertige B+R-Konzepte vor – abgestimmt zwischen DB und Kommune sowie mit einem mietfreien Gestattungsvertrag für DB-Flächen, sofern nötig. Die schnellsten 30 Kommunen haben in Summe bereits 4.000 Plätze in Zusammenarbeit mit den DB-Rahmenvertragspartnern für die B+R-Anlagen installiert. „Die Verknüpfung von Fahrrad und Bahn leistet gerade im Pendlerverkehr einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Um hier deutlich voranzukommen, hat das Bundesumweltministerium seine Förderung ausgebaut und deutlich verbessert“, resümiert Dr. Sven Reinhardt, Referatsleiter des Referats Nationale Klimaschutzinitiative und Kommunaler Klimaschutz. „Das Interesse der Kommunen an der Initiative ist groß. Um auch unerfahrenen Kommunen bei der Antragstellung zu helfen, können sie mit Antragspaten durch das Verfahren begleitet werden.“
Die ersten Anlagen wurden in der Pilotphase in weniger als 18 Monaten vom ersten Kontakt bis zur Einweihung realisiert, unter anderem in Freising (800 Plätze), Mainz (700), Fulda (225) und Aschaffenburg (124). Im eingespielten Ablauf soll die Realisierungszeit deutlich weniger als ein Jahr betragen. Die Bahn hat ihre Zusage gehalten, einen kundenorientierten, schnellen und effektiven Service für Standardanlagen zu realisieren. Aktuell sind die Kommunen gefordert, die Prozesse ihrerseits auf einen zügigen Ablauf auszurichten. Jede Abweichung vom einfachen Standard verzögert beispielsweise die Abläufe. Entsprechend wurden in den Niederlanden viele Anlagen ohne Dach (und damit ohne Stromversorgung, Kabellegung und die dann etwa erforderliche Sprengstoffprüfung) errichtet.
Für die Zukunft werden zunehmend auch Fahrradstationen mit Stellplatzgrößen über 500 Plätzen oder Fahrradparkhäuser mit mehr als 2.000 Plätzen erforderlich sein, um die Kapazitätsanforderungen an den großen Bahnhöfen umsetzen zu können. Das Bundesumweltministerium hat seine Förderung im Rahmen der Kommunalrichtlinie inzwischen auf Fahrradparkhäuser ausgeweitet und fördert hier bereits die ersten kommunalen Projekte. Man könnte meinen, dass der Appetit beim Essen kommt.

Infos und Leitfaden Bike+Ride

Das baden-württembergische Ministerium für Verkehr hat im November 2019 einen Leitfaden mit 42 Seiten erstellt, der motivieren und dabei unterstützen soll, das Thema Bike+Ride ambitioniert anzugehen, mit Informationen zur bedarfsgerechten Planung und dem nutzerorientierten Betrieb.

Zum Download:
vm.baden-wuerttemberg.de/de/service/publikation/did/leitfaden-bike-ride

Weitere Informationen zum Vertiefen: deutschebahn.com/bikeandrideclevere-staedte.de/projekt/BikeAndRide

Heinrich Strößenreuther

ist „serial political entrepreneur“ und laut der Tageszeitung taz Deutschlands erfolgreichster Verkehrslobbyist. 2015 hat er den Volksentscheid Fahrrad, 40 Radentscheide und das Berliner Mobilitätsgesetz und 2019 GermanZero mit seinen 20 Klimaentscheiden und einem 1,5-Grad-Klimagesetz angeschoben. Er ist Geschäftsführer der Agentur für clevere Städte, die die Rheinbahn, die BVG und die Deutsche Bahn in B+R-Projekten als Berater unterstützte.


Bilder: DB Station&Service AG / Bike+Ride / Philipp Boehme, Qimby, Tony Schröter und ADFC SH e.V.

Mit dem Entschluss, die wohl berühmteste Allee der Welt komplett neu zu gestalten und dafür 225 Millionen Euro zu investieren, hat Paris ein starkes Zeichen für die Transformation der Stadt gesetzt. Statt Durchgangsverkehr, Lärm, Hitze und Smog soll es künftig ein grünes Band mit viel Platz zum Flanieren, Verweilen und nur noch Langsamverkehr geben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Paris geht voran: flächendeckend Tempo 30 sofort, 170.000 neue Bäume und sichtbare Ergebnisse bis zu den Olympischen Spielen 2024.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die ehemalige Prachtstraße mit Ladengeschäften für Luxusartikel, teuren Cafés und den weltweit höchsten Gewerbemieten zu einer Hauptverkehrsader mit 3.000 Fahrzeugen pro Stunde gewandelt. Attraktiv ist die rund zwei Kilometer lange Allee vom Louvre-Palast zum Triumphbogen nach den Analysen der Architekturfirma PCA-Stream, die das Projekt mit initiierte, nur noch für Tourismus und Unternehmen. Von den schätzungsweise 100.000 Menschen, die hier vor der Pandemie täglich unterwegs waren, entfielen 72 Prozent auf Touristen, vorwiegend aus dem Ausland, und 22 Prozent auf dort Arbeitende. Von Pariserinnen und Parisern selbst wurde die berühmte Meile, abgesehen von Großveranstaltungen wie der jährlichen Parade am Nationalfeiertag, eher gemieden. Mit zum Niedergang haben zuletzt auch Ausschreitungen der „Gelbwesten“, die Gesundheits- und Wirtschaftskrise und nicht zu vergessen auch der Internethandel beigetragen. Deshalb brauchte nicht nur die Allee, sondern das ganze Viertel eine neue Perspektive. Dazu kommen als weitere zunehmende Probleme Smog und Hitze in der Stadt, die den Bedarf an Frischluftschneisen und baumbeschatteten Straßen immer drängender machen.

Aufenthaltsqualität? Eingequetscht zwischen acht Autospuren bleibt heute kaum Raum für ein Foto. Nach dem Umbau soll der Platz wieder zum Flanieren einladen.

Breite Zustimmung zum Leuchtturmprojekt

Bei der Neugestaltung geht es nach den Plänen vor allem darum, den Einwohnern das Herz der Stadt zurückzugeben. Aufenthaltsqualität steht deshalb ganz oben auf der Prioritätenliste, mit Bäumen, Parkflächen, Sitzgelegenheiten, Spielplätzen, Außengastronomie und viel Raum für Fußverkehr. Unterstützung für die Änderungen kommt nicht nur aus verschiedenen politischen Lagern, sondern auch von den Unternehmen und aus der Bevölkerung. Die mythenhafte Avenue habe in den vergangenen drei Jahrzehnten ihren Glanz verloren, schreibt das „Komitee Champs-Élysées“, ein Zusammenschluss aus 180 Geschäftsleuten, Kulturschaffenden und Ladeninhabern, das vor zwei Jahren den Architekten Philippe Chiambaretta beauftragte, Vorschläge für die Begrünung und Umgestaltung zu entwickeln. Für eine breite Beteiligung der Bevölkerung sorgte eine Ausstellung mit Entwürfen und Modellen in der Halle Pavillon de l’Arsenal und eine Befragung im Internet, an der 100.000 Menschen teilnahmen. Zurückgedrängt werden soll der Autoverkehr unter anderem durch eine Umverteilung des Raums von acht auf maximal vier geschwindigkeitsreduzierte Fahrspuren mit hellem Straßenbelag, der sich weniger stark aufheizt. Geplant ist wenig Autoverkehr und, zumindest in den ersten Visualisierungen, eine gesonderte Spur für den Radverkehr. Neben der Allee sollen vor allem die berühmten Plätze umgestaltet und begrünt werden. Zum Beispiel der Place de la Concorde mit dem Obelisken und der Place Charles-de-Gaulle (ehem. Place de l‘Étoile) mit dem Triumphbogen. Denn hier werden im Sommer inzwischen regelmäßig Temperaturen von über 40 Grad gemessen. Seitenstraßen sollen zu Fußgängerzonen umgewandelt werden und insgesamt wieder „ein großer Garten“ entstehen.

„Wir müssen ein neues Modell erfinden. Die Stadt der Zukunft ist grün und verkehrsberuhigt.“

Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris

Ziel: Re-Transformation

Bürgermeisterin Anne Hidalgo und die Planer verweisen darauf, dass sie mit der Neugestaltung das Quartier zu seiner ursprünglichen Berufung zurückführen und damit gewissermaßen eine Re-Transformation planen. Denn noch bis 1833 bestanden die Champs-Élysées (übersetzt „die Gefilde der Seligen“) aus Park- und Grünflächen. Erst im 19. Jahrhundert kam es zur systematischen Bebauung und nachfolgend zu dem überbordenden Auto- und Lkw-Verkehr, der heute den Bereich um die berühmten Denkmäler bestimmt. Auch die Umgebung des Eiffelturms soll deshalb künftig grundlegend umgestaltet und begrünt werden. „Wir müssen ein neues Modell erfinden“, so die Bürgermeisterin. Die Stadt der Zukunft sei grün und verkehrsberuhigt. Auch in Bezug auf den zeitlichen Horizont hat sich Paris ambitionierte Ziele gesetzt. In diesem Jahr wird bis auf wenige Ausnahmen flächendeckend Tempo 30 in der Stadt eingeführt, und viele der geplanten Änderungen sollen bereits zu den Olympischen Sommerspielen in Paris im Jahr 2024 umgesetzt sein. Bis 2025 sollen beispielsweise rund 170.000 Bäume gepflanzt werden. Die komplette Umgestaltung der Champs-Élysées soll dann, wie viele andere Projekte der grünen und fahrradfreundlichen „Stadt der 1/4 Stunde“, bis 2030 abgeschlossen
sein.

Michel Lussault, Geograf Universität Tours:

„Die Champs-Élysées sind einer jener Hyper-Orte, die die Besonderheit haben, Repräsentationsräume im strengen Sinne des Wortes zu sein, in denen die Dynamik einer Gesellschaft inszeniert wird. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass sich das moderne Modell der Champs-Élysées erschöpft hat, denn es verkörpert, was wir als urbane Gesellschaft geworden sind, das heißt, es zeigt, wie mächtig die Urbanisierung in den letzten sechzig Jahren war, aber auch, wie problematisch ihre Auswirkungen waren. Wenn die Pariser die Champs nicht mehr mögen, und wenn die Champs die Pariser nicht mehr mag, dann liegt das daran, dass dort die Sackgassen eines Entwicklungsmodells inszeniert werden.“


Bilder: PCA-Stream, Salem Mostefaoui