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Am 22. und 23. November tagten viele Mobilitätsplaner*innen und weitere Fachleute auf der Fahrradkommunalkonferenz. In Aachen fanden sie inspirierende Praxisbeispiele vor und konnten sich zu den drängenden Themen austauschen, die Planungsvorhaben derzeit noch ausbremsen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Die Konferenz trug das Motto „Mobilitätswende umsetzen – Gute Pläne und jetzt Strecke machen“. Viele Rednerinnen nahmen Bezug auf den Leitsatz und wünschten sich eine Macher-Mentalität und mehr Geschwindigkeit dabei, die Pläne umzusetzen. Das Vortrags- und Diskussionsprogramm diente dazu, über den Tellerrand der eigenen Kommune zu blicken und sich von Projekten im ganzen Bundesgebiet, zum Beispiel aus dem Kreis Coesfeld oder Hannover, inspirieren zu lassen. Unter der Moderation von Totinia Hörner bot die Bühne einen Gesprächsraum für Menschen aus der Planung, Verbandsarbeit oder Forschung. Rund 300 Mobilitätsfachleute kamen in der Veranstaltungsstätte „Das Liebig“ in Aachen zusammen. Weitere Interessierte nutzten den Livestream. Zumindest vor Ort blieb es aber nicht bei passivem Zuhören. In zwei Slots bot die Veranstaltung je vier Arbeitsgruppen, die zu Schwerpunkten wie Radentscheiden, digitalen Planungstools und Kreuzungssituationen arbeiteten. Die gastgebende Stadt Aachen bot zudem ein Exkursionsprogramm zu wichtigen Orten und Themen der dortigen Verkehrswende an. Auf diesen Touren und am Veranstaltungsort selbst sollten die Teilnehmerinnen sich miteinander austauschen und vernetzen.
Als Flaschenhals der Radverkehrsentwicklung scheint neben dem fehlenden neuen Straßenverkehrsgesetz der Fachkräftemangel zu wirken. Ein Lösungsansatz dafür können Fachkräftekampagnen sein, wie sie die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte (AGFS) ins Leben gerufen hat. Es sei aber auch wichtig, die Fachkräfte besser zu bezahlen, um ein zu starkes Lohngefälle zum privaten Sektor zu verhindern. Steigende Kosten bei baulichen Maßnahmen kommen als weitere Schwierigkeit hinzu.

Erwartungshaltungen managen

Kommunen müssen bei Änderungen im Straßenverkehr genau verdeutlichen, warum diese von kollektivem Interesse sind, da die Vorstellungen der Zivilgesellschaft mitunter weit auseinandergehen. Auch Professorin Dr. Jana Kühl sieht das gesellschaftliche Selbstverständnis als einen Schlüsselfaktor der Verkehrswende. Derzeit würden Konflikte von der Straße auf die Fuß- und Radwege verlagert. „Man hat gelernt, zu improvisieren“, beschreibt sie das Dasein der Radfahrerinnen, die mit Mängeln umgehen müssen. Im Kfz-Verkehr gäbe es auf der anderen Seite eine tief in der Gesellschaft verwurzelte Erwartungshaltung. Ausgerichtet wurde die Fachtagung vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr und dem Mobilitätsforum Bund. Unterstützend wirkte das Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU). Dagmar Köhler, Teamleiterin im Forschungsbereich Mobilität am DIfU sagt: „Die Konferenz in Aachen steht für Innovationskraft, Zusammenarbeit und Verstetigung für eine umweltfreundliche, gesunde Mobilität – auch wenn die Sonne mal nicht scheint. Ein besonderer Schwerpunkt war in diesem Jahr die Fokussierung auf den Menschen – und zwar nicht nur mit Blick auf Rad fahrende Bürgerinnen: Nie zuvor tauschten sich die Radverkehrsfachleute so intensiv über Organisationsstrukturen, Prozessabläufe, Changemanagement und den Umgang mit Radentscheiden der Zivilbevölkerung aus Sicht der Verwaltungen aus. Ein weiteres Fokusthema war die Gestaltung komfortabler und sicherer Radwege und Kreuzungen.“ Wie sich diese Herausforderungen und der Fokus im nächsten Jahr verändert haben werden, wird sich in Regensburg zeigen. Die Stadt an der Donau ist dann nämlich gastgebende Kommune der Fahrradkommunalkonferenz.


Bild: Doris Reichel

Als großes Finale des ersten Konferenztages wurde in Aachen der Plan F Award vergeben. Dieser Preis soll vorbildliche Projekte aus der Praxis hervorheben, mit denen Kommunen den Radverkehr fördern. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Carolin Kruse, Geschäftsführerin von Fair Spaces, prämierte diese gemeinsam mit Schirmfrau Rebecca Peters, der Bundesvorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs. Der erste Platz ging an die Verbandsgemeinde Wallmerod, die ihren Preis, ein fünftägiges Audit mit Fair Spaces, einer niederländischen Professorin und einigen Student*innen bereits durchgeführt hat. Herausgekommen ist dabei ein Ad-hoc-Radaktionsplan für Radwege und Fahrradkultur. Auch die Zweit- und Drittplatzierten, die Stadt Aachen und der Zweckverband Landfolge Garzweiler, erhielten ein Audit, das online stattfand beziehungsweise stattfindet.
Namensgeber des Awards ist das Projekt Plan F. In diesem arbeitet Fair Spaces gemeinsam mit dem Software-Unternehmen FixMyCity an vier Punkten. Neben einer interaktiven Website soll ein übersichtliches Radverkehrs-Handbuch entstehen. Mit dem Plan F Check sollen Kommunen sich selbst evaluieren können und passende Handlungsempfehlungen erhalten. Außerdem umfasst das Projekt einen interaktiven E-Learning-Kurs. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr fördert Plan F im Kontext des Nationalen Radverkehrsplans.
Auf der Website identifiziert das Projekt-Team neun Handlungsfelder der kommunalen Radverkehrsförderung, darunter zum Beispiel Bildung und Trainings, Services, Wirtschaft und Verkehrsberuhigung. Neben den Gesamtgewinnern wurden zwei bis drei Projekte pro Handlungsfeld hervorgehoben. Auch über die auf dieser Seite zusammengestellten Erstplatzierten hinaus ist die Internetpräsenz von Plan F eine Best-Practice-Goldgrube. Neben Kurztexten zu den prämierten Maßnahmen und Projekten findet sich dort eine Mappe mit allen 66 Bewerbungen zum Download.

Preisträger des Plan F Awards:

Infrastruktur
Verbandsgemeinde Wallmerod: Wäller ALLEn-Weg

Der Wäller ALLEn-Weg soll, wie der Name schon sagt, allen zur Verfügung stehen. Auf zwölf Kilometern verbindet er zwei Verbandsgemeinden und ist dabei nicht nur mit dem Rad, sondern auch mit Rollstuhl oder Kinderwagen komfortabel befahrbar. Den ersten Preis der Gesamtwertung in Form eines Audits nahm die Verbandsgemeinde bereits im Oktober wahr.

Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Aachen: Kommunikation rund um den Radentscheid

Aachen hat in der Gesamtwertung den zweiten Platz belegen können. Neben den Kommunikationsmaßnahmen zwischen Verwaltung, Radentscheid und Stadtgesellschaft wurde auch eine Bildungskampagne mit dem dritten Platz in der entsprechenden Kategorie bedacht. Sie heißt FahrRad und adressiert Grundschulkinder.

Governance
Zweckverband LANDFOLGE Garzweiler: Rheinisches Radverkehrsrevier

Im Zweckverband LANDFOLGE Garzweiler arbeiten verschiedene Kommunen zusammen.
Ihr gemeinsames Ziel ist, ein durchgängiges regionales Radverkehrsnetz zu erschaffen. Dafür gab es den dritten Platz in der Gesamtwertung des Plan F Awards.

Bildung und Trainings
Landkreis Osnabrück: Bike to School

Services
Gelsenkirchener Fahrradservice-Stationen

Multimodalität und Nahmobilität
Fellbach: Automatisiertes Fahrradparkhaus / Verkehrsverbund Rhein-Neckar GmbH: VRNradbox (jeweils zweitplatziert)

Wirtschaft
kein Preis vergeben

Tourismus und Freizeitverkehr
Morsbach: Fahrrad-Schnitzeljagd

Verkehrsberuhigung
Neuss: Fahrradachse Innenstadt

Mehr Informationen zum Projekt und die komplette Liste der prämierten Projekte: https://plan-f.info/


Bild: Fair Spaces