Beiträge

Wir haben auf der internationalen Fahrradleitmesse Eurobike mit Lastenradexperte Arne Behrensen (cargobike.jetzt) gesprochen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Auf der diesjährigen Fahrradmesse Eurobike hatte man den Eindruck Cargobikes stehen vor einem Durchbruch im Markt.
Das kann man auf jeden Fall so sagen. Es gibt immer mehr Hersteller innovativer Lastenradkonzepte für den privaten und gewerblichen Bereich und die Branche hat sich stark professionalisiert. Gute Voraussetzungen also, um echte Alternativen zu Pkws und Lieferwagen zu bieten.

Im letzten Jahr wurde der Radlogistik Verband Deutschland (RLVD) gegründet, warum?
Auf europäischer Ebene gab es bereits die European Cycle Logistics Federation (ECLF), um den Einsatz von Cargobikes in der urbanen Logistik voranzubringen. Der RLVD ist nun die deutsche Sektion und bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Fahrrad- und Logistikbranche. Die RLVD-Mitglieder sind zum einen Logistik-Unternehmen, die mit großen E-Lastenrädern und Lastenanhängern mit teilweise über 200 kg Zuladung unterwegs sind. Das erfordert ganz neue Konzepte. Bei den Fahrzeugen, den eingesetzten Komponenten, bei der Standardisierung, aber auch bei der Information, der Beratung und im Service. Deswegen sind auch die entsprechenden Hersteller und Experten für Logistikprozesse und -infrastrukturen im RLVD organisiert.

Warum setzen neben Familien immer mehr Paket- und Lieferdienste, Handwerker oder Kommunen auf Cargobikes?
Steigende Emissionen und ständig verstopfte Städte führen auch bei Unternehmen zu einem Umdenken. Im Wirtschaftsverkehr gibt es riesige Verlagerungspotenziale. Dazu braucht es Cargobikes mit hoher Belastbarkeit, verlässlichem Service und einer Vielfalt von professionellen Transportaufbauten. Inzwischen gibt es immer mehr Cargobike- und Anhängerhersteller, die sich auf gewerbliche Anwendungen spezialisieren und auch auf den Messen der Nutzfahrzeugbranche ausstellen. Doch der Schwerpunkt der Cargobike-Nutzung dürfte noch für lange Zeit beim privaten Kindertransport, Einkäufen und Ausflügen liegen.

„Steigende Emissionen und ständig verstopfte Städte führen auch bei Unternehmen zu einem Umdenken.“

Arne Behrensen, cargobike.jetzt

Lastenradförderung: Köln stockt auf

Zu Beginn des Jahres hat die Stadt Köln eine Förderung von Lastenfahrrädern bzw. Gespannen (Lastenrad + Anhänger) aufgelegt. Laut Kölner Verwaltung wurden bis zum Ende des Antragszeitraums innerhalb rund eines halben Jahres 958 Anträge zur Förderung eingereicht. Sie verteilten sich gemäß den Förderrichtlinien zu 47,5 % auf private Gemeinschaften von drei bis fünf Haushalten, zu 47,5 % auf die beruflich-gewerblichen Nutzung und zu 5 % auf Vereine und gemeinnützigen Organisationen. Die Anträge zur beruflich-gewerblichen Nutzung kamen dabei überwiegend aus den Branchen Gesundheit, Medien, Handwerk, Handel, Beratungsdienstleistungen, den Bereichen Lebensmittelhandel und Gastronomie sowie von Kindertageseinrichtungen.

Aufwand für die Stadt:

Ursprünglich standen mit Ratsbeschluss 200.000 Euro zur Förderung zur Verfügung. Da die Anzahl der Anträge das Förderbudget sehr deutlich überstieg, wurde es angepasst und eine abschließende Erhöhung des
Fördervolumens auf 1,9 Millionen Euro beschlossen. Für die Bearbeitung der kompletten 958 Anträge wurde in Summe ein Arbeitsaufwand von zusammen 2.250 Stunden ermittelt.

Wie geht es weiter in Köln?

Die Prüfung und Bewilligung der Anträge wird sukzessive fortgeführt. Die Stadt erhält aber auch aktuell viele weitere Anfragen. Bezüglich der Schaffung von Lastenrad-Stellplätzen im öffentlichen Raum prüft die Kölner Verwaltung derzeit die Anforderungen und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die verkehrlichen Auswirkungen der Lastenfahrradförderung auf den städtischen Wirtschaftsverkehr werden im Rahmen einer studentischen Abschlussarbeit untersucht. Für die Zukunft wird im Kölner Rat über eine weitere Förderung nachgedacht.

Ist ein Massenmarkt für Cargobikes nicht noch Zukunftsmusik?
Laut Marktdaten des Zweirad-Industrie-Verbands ZIV hatten wir 2018 bei E-Cargobikes ein Marktwachstum von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mit knapp 40.000 Verkäufen lagen die E-Cargobikes dabei vor E-Autos mit rein elektrischem Antrieb. So wird es auch weitergehen. Denn immer mehr Kommunen und Bundesländer starten Kaufprämien-Programme für Cargobikes. In Städten wie Köln, Münster und Hamburg gab es dieses Jahr bereits einen riesigen Ansturm auf die Förderprogramme. In Köln hat die Oberbürgermeisterin das geplante Förderbudget kurzerhand von 200.000 Euro auf 1,9 Million Euro erhöht.

Wen würden Sie gerne für Cargobikes gewinnen?
Pioniere und Botschafter für diese neue Mobilität: privat zum Beispiel beim Kindertransport. Und bei den Profis in der Kurierszene, bei Händler und bei den Kommunen. Wir brauchen aber auch Fürsprecher in der Politik und der Verwaltung, um die nötigen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Gesetzgebung und die Infrastruktur zu schaffen.

Was können Kommunen konkret tun?
Wir brauchen eine gezielte Information zu den Möglichkeiten, die es heute gibt und eine Förderung dieser neuen nachhaltigen Mobilität. Beim Elektroauto gibt es ja langfristig angelegte, großzügige Förderprogramme. Das brauchen wir auch für den Bereich der Lastenräder. Und wir brauchen eine gute Infrastruktur mit ausreichend Platz.

Also sollten wir jetzt mit Cargobikes starten?
Auf jeden Fall. Sie bieten Lösungen für Business und Alltag, Fahrspaß und Unabhängigkeit, sind kostengünstig im Unterhalt und emissionsfrei. Man bewegt sich und kommt zudem oft schneller zum Ziel, als mit dem Auto. Ganz ohne Parkplatzprobleme. Mein Tipp: Einfach ausprobieren. Viele Anbieter haben auch Test-Bikes zum Leihen. Und Cargobike-Sharing-Angebote gibt es bereits in über 70 deutschen Städten.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Enorme Verlagerungspotenziale durch Cargobikes

Laut einer Studie des Cycle Logistics Projekts (2011 bis 2014) können mit Hilfe von Cargobikes und Lastenanhängern ­51 Prozent aller motorisierten Transporte in europäischen Städten auf Fahrräder verlagert werden. Dabei geht es um Transporte mit einer Wegstrecke bis 5 Kilometern und 200 kg bzw. 1 m³ Zuladung. 69 Prozent davon sind private und 31 Prozent gewerbliche Fahrten. Private Einkaufsfahrten machen allein 40 Prozent aller verlagerbaren Fahrten aus. Die EU-Verkehrsminister haben 2015 in einer gemeinsamen Erklärung bekräftigt: „more than half of all motorized cargo trips in EU cities could be shifted to bicycles”.

Studie „cyclelogistics – moving Europe forward“ (www.cyclelogistics.eu)


Bilder: Reiner Kolberg, graphicsdeluxe stock.adobe.com, Urban Arrow