Die aktive Mobilität schafft für einige Unternehmen neue und unerwartete Geschäftsfelder. Bestes Beispiel ist der österreichische Maschinenbauer Wintersteiger, der mit Technologien aus dem Ski-Verleih neuerdings auch Fahrradpendler in Betrieben bedient. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Je schrecklicher das Wetter und je weiter der Weg, desto heldenhafter fühlen sich viele Menschen, die das ganze Jahr über das Fahrrad für den Weg an den Arbeitsplatz nutzen. Bis dann am Abend der Heimweg in müffelnden und meist noch schweiß- und/oder regenfeuchten Fahrradklamotten droht. Da würde auch so mancher Radheld manchmal vielleicht lieber den Sattel gegen die Sitzheizung im Auto tauschen. Der österreichische Maschinenbauer Wintersteiger, bekannt vor allem als Ausrüster für Ski-Service und -Verleih, hat nun eine Technik aus dem Wintersport für radelnde Berufspendler adaptiert, die den Heimweg künftig deutlich angenehmer gestalten soll: Die Technologie der „Drytech“-Kondensationsschränke, die bisher vor allem Skischuhe im Verleih oder in der Skistation über Nacht trocknen, eignen sich genauso auch für die Bekleidung von Radfahrern. Die Kondensationstrocknung funktioniert dabei ähnlich wie bei einem Wäschetrockner unabhängig von den Umgebungsbedingungen, also zum Beispiel auch in feuchtwarmen Duschräumen oder kühlen Bahnhofshallen. Die Schränke können optional zudem mit einer Ozon-Desinfektion gegen Geruchsbildung und intelligenten Schließsystemen ausgerüstet werden.


Bilder: Wintersteiger

„Nicht die Idee des Lastenradtransports an sich macht den Erfolg und eine Revolution im Wirtschaftsverkehr möglich, sondern die Kombination hochleistungsfähiger Komponenten“, betont Berger. „Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade einen Durchbruch erleben. Cargobikes mit neuer Technik sind eine echte Alternative, nicht irgendwann in der Zukunft, sondern jetzt.“

Neue Geschäftsmodelle und Chancen

Auch veränderte Kundenerwartungen und neue Geschäftsideen dürften den Markt künftig weiter befeuern. Zu den Abnehmern des Tricargo Lademeisters gehört beispielsweise das im Raum Köln/Bonn tätige wertegetriebene Unternehmen „Himmel un Ääd“ – analog zum rheinischen Gericht Äpfel (Himmel) und Kartoffeln (Ääd/ Erde). Das Geschäftsmodell ruht dabei auf zwei Säulen: Radlogistik und ein Onlineshop für regionale Lebensmittel, die mit dem Lastenrad ausgeliefert werden. Ein weiterer Kunde und gleichzeitig Multiplikator ist die Memo AG. Der Spezialist für nachhaltigen Öko-Bürobedarf mit über 20.000 Produkten im Sortiment legt Wert darauf, dass Bestellungen auf der letzten Meile mit E-Lastenrädern ausgeliefert werden, die ausschließlich Ökostrom als Energie nutzen und so komplett emissionsfrei unterwegs sind. Um das zu gewährleisten stellt das Unternehmen Radlogistikern entsprechend gebrandete Räder zur Verfügung.
Generell sind die Einsatzgebiete von Profi-Cargobikes enorm vielfältig. Aktuell sind sie nicht nur technisch ausgereift, sie passen auch in die Zeit und hervorragend zu wieder lebenswerten Städten und Quartieren. Entsprechende Verbesserungen bei der Infrastruktur vorausgesetzt, zum Beispiel mit mobilen oder stationären Sammelpunkten für Pakete, sogenannten Micro-Hubs/Mikro-Depots, breiten Radwegen und ausreichend großen Park- und Halteflächen, verschiedenen Push- und Pull-Faktoren und neuen gesetzlichen Regelungen könnte hier ein völlig neuer, klimafreundlicher Multimillionen-Markt entstehen. Technologietreiber sind aktuell vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Sie aktiv zu fördern und neuen Entwicklungen für den nachhaltigen Lastentransport keine unnötigen Steine, wie bei der Begrenzung der Motorkraft, in den Weg zu legen, sollte mit Blick auf die Herausforderungen der Zeit eine Selbstverständlichkeit sein. Besonders wichtig für die Zukunft ist laut Experten unter anderem, dass die rechtliche Gleichstellung von Schwerlasträdern bis zu einem Gewicht von 500 kg zum Fahrrad erhalten bleibt. Eine umfangreiche Stellungnahme zum Nationalen Radverkehrsplan 3.0 mit Wünschen an die Politik hat der Radlogistik Verband Deutschland e.V. (RLVD) vorgelegt.

Steckbrief Lademeister

Das Schwerlastrad Lademeister von Tricargo ist optimiert für den Transport von Europaletten und allen kompatiblen Kistenformaten. Er lässt sich ergonomisch be- und entladen – auch per Gabelstapler. Die effektive Nutzlast beträgt 210 kg und das zulässige Gesamtgewicht 425 kg, bei 140 kg Leergewicht inkl. Box. Die Reichweite beträgt in der Praxis 40 bis 60 km. Für die Energie sorgt ein Greenpack-Wechselakku mit 1.456 Wh und einer Ladezeit von vier Stunden. Der Vorderradnabenmotor unterstützt mit 250 Watt und verfügt über eine Anfahr- bzw. Schiebehilfe. Die hintere Scheibenbremsanlage sowie die Laufräder kommen aus dem Motorradbau. Die optionale Transportbox hat ein Volumen von 2,17 Kubikmetern, Ladefläche in der Box 1522 × 815 × 1520 mm (L × B ×H).
Weitere Konfigurationen sind optional verfügbar. Informationen: www.lademeister.bike / www.pinion.eu.

Technisch einzigartig: Als einzige Schaltung am Markt sind Pinion T-Linien-Getriebe optional mit einem Neutralgang ausgestattet. Dieser ermöglicht ergonomisches Rückwärtsrangieren schwerer Cargo-Fahrzeuge.

Text: Reiner Kolberg

Bilder:

Tricargo, Wikimedia Commons, Pinion

Auf der jährlichen Velo-City-Konferenz tauschen sich internationale Experten mit Vertretern von Kommunen und Verbänden aus und werfen einen Blick auf den internationalen Radverkehr. Über 1300 Teilnehmer waren diesen Sommer in Dublin dabei und diskutierten vor allem die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Jahrelang, so der Eindruck, mühte man sich ab auf der Velo-City-Konferenz für mehr und besseren Radverkehr. Aber darum schien es in diesem Jahr gar nicht mehr hauptsächlich zu gehen. Angesichts der weltweiten Probleme in den Städten mit immer mehr und immer mehr älteren Einwohnern, akuten Platzproblemen und weiter zunehmenden Staus, höherer Luftverschmutzung, Bewegungsmangel und einer bedenklichen Zahl an Verletzten und Toten im Verkehr gehen die Gedanken viel weiter. Es geht nicht nur um Verkehr und Mobilität. Es geht auch nicht nur um den Klimawandel. Es geht darum, wieder lebenswerte Städte zu schaffen. Das Fahrrad kann hier ein wichtiger Teil der Lösung sein. Die vielfältigen Potenziale, so der Tenor vieler Speaker bei Velo-City, würden bislang aber noch viel zu wenig erkannt und genutzt.

Städte der Zukunft: Drohnen-Taxis oder eher grün?

In der Keynote zur Eröffnung des Kongresses stellte Philippe Crist, Berater für das International Transport Forum (ITF) bei der OECD, die Frage, wie die Anwesenden sich die Stadt der Zukunft in ihrer Kindheit vorgestellt hätten. Per App konnte sich das Publikum zwischen drei Alternativen entscheiden:
A) fliegende Autos, Roboter, Drohnen
B) keine Städte – die Menschen leben in Raumschiffen
C) shared spaces, grün und sicher
Jeder, der an Bücher und Science-Fiction-Filme aus der eigenen Kindheit und Jugend zurückdenkt, wird nicht erstaunt sein, dass Alternative A mit Abstand die meisten Stimmen (rund dreimal so viel wie C und achtmal so viel wie B) bekam. Die Reflektion der Frage zeigt, dass „modern und hochtechnisiert“ nicht grundsätzlich das wünschenswerteste Ergebnis liefert und sich unsere Vorstellung von einer zukunftsweisenden Stadt gerade in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen und den Entwicklungen und Herausforderungen formt sich gerade ein neues Bild. Ein Bild von Städten als urbane, lebenswerte Räume. Trotzdem bleibt das, was wir vor Jahrzehnten als wahrscheinlich und wünschenswert gesehen haben, immer noch in den Köpfen präsent. Kein Wunder also, wenn aus manchem Mund beim Thema Mobilität der Zukunft eher von neuen Antrieben, selbstfahrenden Autos oder High-Tech-Lösungen wie Hyperloops oder Flugtaxis die Rede ist, als vom über 200 Jahre alten Fahrrad.

Vorträge, Workshop-Formate und Austausch auf der Ausstellungsfläche, wo sich u.a. Lösungsanbieter und Dienstleister präsentierten.

Bestens angebunden: Blick aus dem Konferenzgebäude auf die Samuel Beckett Bridge, einer Schrägseilbrücke in Form einer Harfe.

Mit dabei bei der Bike-Parade durch Dublin: Die Gruppe „Freedom Machine“, die an Heldinnen der Dubliner Emanzipationsbewegung und die wichtige Rolle des Fahrrads erinnert.

Mobilitätsformen prägen das Zusammenleben

Das Ziel, wieder lebenswerte Städte zu schaffen, war quasi Dreh- und Angelpunkt einer kaum überschaubar wirkenden Menge an Informationen aus Vorträgen und Diskussionen bei Velo-City. Die zentrale Erkenntnis: So unterschiedlich die Mobilitätskulturen, regionalen und sozialen Gegebenheiten weltweit sind, Radfahren, Zufußgehen und ähnliche Mobilitätsformen haben nicht nur etwas zu tun mit Umwelt- und Klimaschutz, sondern ganz zentral mit den Menschen. Mit Gesundheit, Demokratie, sozialem Miteinander, Gleichberechtigung und sogar Kriminalitätsbekämpfung.
Städte und Gesellschaften verändern sich zum Negativen, wenn die Mehrheit isoliert hinter abgedunkelten Scheiben unterwegs ist, so eine weitere zentrale Erkenntnis, genau wie zum Positiven, wenn mehr Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind, man kommuniziert, unterwegs Bekannte trifft oder Fremden freundlich zulächelt. Auch die Regierungen und Kommunen spielen dabei eine zentrale Rolle: Menschen nach dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ in Eigenverantwortung zu belassen und damit die Stärkeren und Wohlhabenden zu fördern, habe genauso seine Wirkung, wie die bewusste Vorsorge und der Schutz der Schwächsten, also der Kinder und der Alten. Dazu Philippe Crist: „Es gibt eine Konstante in der Stadtentwicklung, die immer im Mittelpunkt der Diskussion stehen wird. Wir sind es. Es ist das, was wir als Menschen verkörpern.”

Mexico City:

Bis vor Kurzem brauchte man für den Führerschein
keine Qualifikation und Alkohol wird im Verkehr
ebenso geduldet wie grobe Verstöße gegen die Verkehrsregeln.

Südamerika: Radfahren vs. Autochaos und Kriminalität

Radfahren und Zufußgehen haben eine bedeutende soziale Komponente. Das wurde aus Vorträgen zur Millionen-Metropole Mexiko City und Queimados, einem Vorort von Rio de Janeiro, deutlich.
Hier werde sichtbar, was passiert, wenn der Staat auf wenig Regulation und weitgehende Selbstverantwortung setzt und sich aus der geregelten Verkehrsplanung und -überwachung zurückzieht. So sind in Mexico City nicht nur stundenlange Staus für wenige Kilometer Fahrtstrecke die Regel, die ein Familienleben neben der Arbeit oder einen Halbtagsjob in der Stadt praktisch unmöglich machen, sondern auch Laissez-faire und das Recht des Stärkeren Programm. Bis vor Kurzem brauchte man für den Führerschein keine Qualifikation und Alkohol wird im Verkehr ebenso geduldet wie grobe Verstöße gegen die Verkehrsregeln.
Das Fahrrad könnte in den dauerverstopften Straßen eine gute Alternative für Pendler sein. Aber es gibt zum einen keine Infrastruktur und zum anderen ist es für ungeschützte Verkehrsteilnehmer hier einfach lebensgefährlich. Laut Statistik entfällt auf Fußgänger, trotz geringem Anteil am Modal Split, rund die Hälfte der Verkehrstoten. Statistisch weniger Tote gibt es bei Radfahrern – aber nur deshalb, weil es kaum welche gibt. Daran und an der Sicherheit der Fußgänger arbeite man jetzt, wie die mexikanische Verkehrssicherheitsexpertin Clara Vadilio betonte.
Wie Radfahren auch zur Lösung sozialer Probleme beitragen kann, zeigt die brasilianische Stadt Queimados, nahe Rio de Janeiro – 2018 die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in Brasilien. Mit dem Projekt „Cycling for the future“ hat es sich die Stiftung „Pedal Queimados“ zum Ziel gesetzt, wieder soziale Perspektiven, zwischenmenschliche Kontakte und gemeinsame Ziele zu schaffen. Unter anderem mit Radtouren und Werkstätten, in denen Fahrräder repariert und Bambusräder neu gebaut werden. Die ersten Ergebnisse stimmen hoffnungsvoll: Mit der neugewonnenen Mobilität und neuen Aussichten gibt es laut Projektleiter Carlos Oliveira für viele Menschen einen Lichtblick und einen Weg heraus aus dem Kreislauf von Langeweile, Drogen und Bandenkriminalität.

Schweden: Sicherheit für Radfahrer an erster Stelle

Genau das Gegenteil von Laissez-faire verfolgt man in Schweden. Mit dem im Jahr 1997 verabschiedeten erfolgreichen Verkehrskonzept „Vision Zero“ haben die Schweden weltweit Maßstäbe gesetzt. Die aus dem Arbeitsschutz bekannte präventive Strategie folgt die Annahme, dass Menschen Fehler machen und Unfälle daher nicht gänzlich vermieden werden können. Es müsse jedoch dafür gesorgt und die Systeme so gestaltet werden, dass diese Fehler nicht zu ernsthaften Personenschäden führen. Ein Beispiel ist die Geschwindigkeitsreduktion und -überwachung gemäß der simplen Erkenntnis, dass die meisten Menschen, die von einem Fahrzeug mit 30 km/h angefahren werden, überleben, während es bei Tempo 50 dafür kaum eine Chance gibt. In der Öffentlichkeit vielfach unbeachtet blieb, dass die schwedische Regierung die erfolgreiche Strategie 2017 unter dem Motto „Moving Beyond Vision Zero“ deutlich erweitert und die Förderung von Gesundheit und Lebensqualität durch aktive Mobilität in den Mittelpunkt gerückt hat.

80 %

So viele Wege sollen in London
bis zum Jahr 2041 zu Fuß, mit dem Fahrrad
und mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden.

London: Healthy Streets

Noch weiter geht die britische Hauptstadt London. Was Planern und Politikern in Deutschland noch als Zukunftsvision erscheinen mag, ist in London vielfach bereits Realität. Bereits 2014 wurde „Healthy Streets“ als Konzept in die städtische Planungspolitik aufgenommen. Das von Lucy Saunders entwickelte und auf der Konferenz vorgestellte Konzept verbindet die Gestaltung der Straßen mit Verkehrs- und Gesundheitsfragen, fördert die Akzeptanz von aktiver Mobilität und stellt das Wohlbefinden des Einzelnen und die positive Erfahrung mit der städtischen Umwelt in den Mittelpunkt der Stadtplanung. In der Konsequenz bedeutet das: Straßen sind nicht mehr primär für Fahrzeuge gedacht, sondern wieder für Menschen, wobei das grundlegende Element das tägliche Leben ist. Sie werden umgedeutet und umgestaltet zu Räumen, in denen die Londoner interagieren, in denen Kinder spielen, man entspannt einkaufen, verweilen, arbeiten und aktiv zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein kann.
Die damit verbundenen Ziele: die Luftqualität verbessern, Staus verringern und die Londoner Gemeinden grüner, gesünder und attraktiver machen. Das Konzept, das inzwischen in die langfristigen Zielsetzungen von Politik und Verwaltung Eingang gefunden hat, sieht unter anderem vor, dass 80 Prozent aller Wege in London bis zum Jahr 2041 zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden und alle Londoner pro Tag mindestens 20 Minuten aktive Mobilität leben.

Und Deutschland? Wortgewaltig beklagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork die Stagnation beim Radverkehr.

Und bei uns in Deutschland?

Offensichtlich bewegen wir uns hierzulande beim Radverkehr irgendwo im guten Mittelfeld. Aber als Vorbild taugt Deutschland bislang nur bedingt – auch wenn sich inzwischen einiges bewegt. Trotz gegenteiliger Bekenntnisse und einzelner Verbesserungsmaßnahmen sind wir bis heute weiter autozentriert und die Zuwächse beim Radverkehr bleiben in der Fläche überschaubar, wie ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork auf dem Podium betonte.
Zudem alarmierend: Entgegen dem sonstigen Trend steigt hierzulande seit Jahren die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Radfahrer. Allein im ersten Halbjahr 2019 kamen 158 Radfahrer ums Leben, was einen Anstieg um 11,3 Prozent und 16 Tote mehr als im Vorjahreszeitraum bedeutet. Laut Statistischem Bundesamt starben im Jahr 2018 insgesamt 445 Fahrradfahrer bei Unfällen. Im Jahr 2017 waren es noch 382 Radfahrer. Eine deutliche Reduktion wäre auch in Deutschland problemlos möglich, aber bis vor Kurzem habe bei der Abwägung zwischen Sicherheit und flüssigem (Auto-)Verkehr politisch gewollt das Auto gewonnen.
Aber nicht nur beim politischen Willen, auch beim Personal, beim Know-how und der Infrastruktur sind wir noch weit von den Vorbildern in Dänemark, den Niederlanden, Schweden oder London entfernt, wie Verantwortliche aus Deutschland hinter vorgehaltener Hand zugaben. Hier könnten wir deutlich stärker als bislang von international erfahrenen Experten lernen. Institutionen wie Copenhagenize oder die Dutch Cycling Embassy und Personen wie Philippe Crist oder Lucy Saunders verfügen über reiche Erfahrung und bieten überall auf der Welt ihre Beratung an. Vielleicht ja auch (öfters) mal bei uns. Wie gesagt, es geht nicht nur um mehr und sicheres Radfahren, sondern vor allem um lebenswertere Städte. Und wer will die nicht?

Zum Vertiefen: Buchtipp

„Man sollte nicht Korridore, sondern Wohnzimmer planen“, schreibt der dänische Architekt und Städteplaner Jan Gehl in seinem Buch „Städte für Menschen“. Auf der anderen Seite gäbe es kein effizienteres Mittel, um das Leben in einer Stadt zu ersticken, als Autos und Hochhäuser.

Jan Gehl:
Städte für Menschen,
Jovis Verlag, Berlin, 2015


Bilder: Velo-City 2019, Reiner Kolberg, Ebony & Pearl Photography

Rund 200 Vertreter der jungen Lastenradbranche trafen sich mit Experten, Verbänden, Politikern und Journalisten. Darunter politische Prominenz wie Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther, Staatssekretär Steffen Bilger vom BMVI und Professor Ralf Bogdanski von der Technischen Hochschule Nürnberg. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Mit einer groß angelegten Konferenz hat der im letzten Jahr gegründete Radlogistik Verband Deutschland e.V. (RLVD) Ende Oktober in Berlin ein Ausrufezeichen gesetzt.
Die gelungene dreitägige Konferenz in Berlin inklusive vielfältigem Rahmenprogramm und der Möglichkeit, sich mit den Anbietern und verschiedenen Beteiligten auszutauschen und die neuesten Cargo-Bike-Modelle auch direkt vor Ort zu testen, zeigte eines sehr klar: Der Bedarf ist da und auch bei den Lösungsangeboten geht es mit großen Schritten voran. Die Radkurierszene nutzt ihre langjährige Erfahrung, beste Ortskenntnisse und bestehende Kundenbeziehungen und entwickelt sich mit Logistik-Know-how weiter. Dazu kommen neue Hard- und Software-Anbieter, auch aus der Automobilzulieferbranche, die genau das liefern, was die aufstrebende junge Branche braucht: Leistungsstarke E-Bike-Antriebe, neue Fahrzeugkonzepte und verschiedene Aufbauten für unterschiedliche Einsatzzwecke, hochbelastbare und weniger wartungsintensive Komponenten, Software für GPS-optimierte Tourenplanung und -Steuerung, automatische Buchungssysteme und vieles mehr.

Neue Lösungen für mehr als 4,4 Mrd. Sendungen gesucht

„Der Kurier-, Express- und Paketmarkt wächst weiter stabil – schwächelnden Konjunkturprognosen zum Trotz.“ Diese Überschrift zu einer aktuellen Studie des Bundesverband Paket- und Express-Logistik (BIEK) wird viele Unternehmen und Investoren freuen. Kommunen, Stadtbewohner, Rad- und Autofahrer dürften vom anhaltenden Wachstum der KEP-Branche weniger begeistert sein. Denn die negativen Begleiterscheinungen sind in den Städten immer deutlicher sichtbar. Ohne Veränderungen und neue Konzepte werden die Probleme vor allem in den Städten von Jahr zu Jahr immer größer – und das nicht mehr nur zur Weihnachtszeit.
Allein im Jahr 2018 wurden laut BIEK erstmals mehr als 3,5 Milliarden Sendungen transportiert – mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2000 (+108 %). Für das Jahr 2023 erwartet der Verband bundesweit 4,4 Milliarden Sendungen. Getrieben vor allem vom B2C-Sektor und hier unter anderem auch vom stark wachsenden Bereich der Lebensmittellieferung. Wie diese Menge in den Städten verteilt werden soll, ohne, dass es zu enormen Problemen kommt? Dieser Aufgabe werden sich Politik, Verwaltung und Kommunen künftig zusammen mit den Unternehmen stellen müssen.

Dringender Bedarf für neue Ansätze

Die umfassende Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle und neue Kundenerwartungen führen zu einer immer weiteren Zunahme des Lieferverkehrs in den Kommunen. Mit allen negativen Begleiterscheinungen. Allen voran die steigende Zahl an Lieferwagen, die Straßen verstopfen und zu Behinderungen und Gefahrensituationen führen, wie Experten auf dem Kongress einhellig betonten. Neue Ansätze und Lösungen sind damit gefragt, sowohl von den Verantwortlichen in den Kommunen, wie den Unternehmen der KEP-Branche (Kurier – Express – Paket) und immer stärker auch von den Einwohnern und den Bestellern selbst, so das Feedback der beteiligten Unternehmen.
Wie solche Lösungen aussehen können, zeigte unter anderem die Konferenzbegleitende Radtour zu Radlogistik-Hotspots, wie dem bislang einmaligen Forschungsprojekt „KoMoDo Berlin“, an dem sich die fünf größten nationalen Paketdienstleister DPD, DHL, GLS, UPS und Hermes auf der letzten Meile zusammen beteiligen. Dabei steht die „kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lastenrädern in Berlin“, so der Volltext, im Mittelpunkt. Ein echtes Novum in der sonst von strikter Abgrenzung und Konkurrenzkampf geprägten Branche, wie unter anderem Martin Schmidt, Geschäftsführer der Cycle Logistics CL GmbH und Vorsitzender Vorstand des Radlogistik Verband Deutschland e.V. erläuterte.

Der KEP-Markt wächst ungebremst und stärker als alle anderen Bereiche im Güterverkehrsmarkt (Straße, Schiene und Luft).

Praxistests erfolgreich, Cargobikes ready to run

Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther betonte, dass die Praxistests in Berlin gezeigt hätten, wie moderner, umwelt- und klimafreundlicher Lieferverkehr funktionieren kann. Die Berliner Senatorin hält Cargobikes für einen wichtigen Baustein, wenn es um die Neuorganisation des innerstädtischen Verkehrs geht. Noch ist die Radlogistik überschaubar. Aber die Dynamik bei Produkten, Services und Rahmenbedingungen beeindruckt. Was die neue Branche sicher auszeichnet, ist ihr Selbstverständnis, in einem hochdynamischen Markt am besten durch Kooperationen agieren und wachsen zu können. Das zeigt sich zum Beispiel bei neuen Coworking-Formen wie im „MotionLab.Berlin“, einem laut Eigenbeschreibung „Prototyping-Space für Mobilität von morgen“. Hier haben unter anderem innovative Logistik-Bike-Hersteller wie Citkar oder Ono eine Heimat gefunden haben. In der riesigen Halle, in der zur Abendveranstaltung geladen wurde, wird getüftelt, entwickelt, geschraubt und sich ausgetauscht. Mit einigem Erfolg, wie die fahrfertigen Prototypen, die vor Ort ausprobiert werden konnten, zeigten.

Lastenräder als Lösung für
die City-Logistik

„Auf der letzten Meile macht das Lastenfahrrad das Rennen“, so Prof. Dr.-Ing. Ralf Bogdanski, der an der Technischen Hochschule Nürnberg im Fachbereich Betriebswirtschaft zu Logistik und Umweltmanagement forscht.
Die Staubelastung und Verfügbarkeit von Parkplätzen für Lieferanten und potenzielle Kunden, der vielfach drohende Verkehrsinfarkt in den Städten und eine sich verschärfende Umweltproblematik stelle die Logistik vor neue Herausforderungen. Die letzte Meile müsse ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig bewältigt werden.
Hier setze das Konzept der Lastenfahrräder an, insbesondere das der zweispurigen Pedelec-Lastenfahrräder. In Kombination mit dem Micro-Depot-Konzept und der Einbindung von Lkw/Transportern ergäben sich für den Einsatz von sogenannten Light Electric Vehicles (LEV) in multimodalen Konzepten für eine nachhaltige Stadtlogistik hoch interessante Einsatzmöglichkeiten – nicht nur für die KEP-Logistik.
In seinem 2019 dazu erschienen Buch thematisiert Professor Bogdanski unter anderem Rahmenbedingungen der urbanen Verkehrsinfrastruktur für Fahrräder und LEV aus Sicht der kommunalen Verkehrsplanung.

Probleme: Infrastruktur, Gesetzgebung…

Große Hoffnung auf einen dynamisch wachsenden Markt weckte auch Professor Ralf Bogdanski, Fachbuchautor und Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Nürnberg, um sie dann gleich wieder zu dämpfen: „Die Lastenrad-Logistik könnte perspektivisch etwa 30 Prozent des urbanen Lieferverkehrs abdecken“, betonte er in seinem Vortrag. Unabdingbar sei dafür aber nicht nur der Ausbau der Radwege-Infrastruktur, auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten sich rasch ändern. Damit sprach er unter anderem die Radwegebenutzungspflicht für Lastenräder sowie das derzeitige Verbot an, am Fahrbahnrand parken zu dürfen. Zumindest beim zweiten Punkt kündigte der anwesende BMVI-Staatssekretär Steffen Bilger auf dem Podium eine schnelle Reform im Rahmen der anstehenden StVO-Novelle an. Problematisch sieht Professor Bogdanski aber auch Punkte wie bislang nicht definierte Fahrzeugabmessungen, Maximalgewichte, allgemein die Sicherheit im Straßenverkehr oder die bislang auf 250 Watt Dauerleistung beschränkte Tretkraftunterstützung. Hier sollte möglichst schnell der rechtliche Rahmen auf nationaler und europäischer Ebene gesetzt bzw. erweitert werden.

Lastenrad 2.0: Gefährte wie der „Loadster“ der Berliner citkar GmbH oder das „Ono“ (Bild oben) wollen die Logistik auf der letzten Meile revolutionieren.

Falsche Prioritäten bei der Förderung

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Förderungen der Automobilindustrie in Milliardenhöhe erscheinen die bisherigen Förderprogramme für Cargobikes und Radlogistik bislang äußerst zaghaft. Abgesehen vom Geld zeigen auch hier andere Städte, dass es und wie es geht. Zum Beispiel indem Kommunen Logistiker in der Innenstadt zur Zusammenarbeit untereinander verpflichten, Auslieferungen in der City per Lkw drastisch einschränken und wichtige Flächen als Hubs für Mikro-Logistik bereitstellen. Auch wenn erste Ansätze, wie KoMoDo, in die richtige Richtung weisen: Von ganzheitlichen Lösungen ist man hierzulande bislang noch ziemlich weit entfernt.

Weitere Aussichten? Trotz allem sehr gut!

Die Unternehmen und viele Experten hoffen, dass das Berliner Beispiel Schule macht und sich mehr und mehr Verantwortliche für eine aktive Förderung entscheiden und sich dafür auch auf Bundesebene stark machen. Der Druck in den Kommunen wächst, die Produkte und die Technik sind da und alte und neue Markteilnehmer professionalisieren sich. Die Rahmenbedingungen scheinen also insgesamt günstig und manche Experten prognostizieren bereits einen neuen Milliardenmarkt. Und wenn der vielzitierte Satz stimmt, dass sich der Mobilitätsmarkt aktuell in fünf Jahren so schnell bewegt, wie früher in 30 Jahren, dann könnten tatsächlich auch bei der (Rad-)Logistik disruptive Veränderungen bevorstehen.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Buchtipp:
Ralf Bogdanski: „Nachhaltige Stadtlogistik: Warum das Lastenfahrrad die letzte Meile gewinnt“ Huss-Verlag, 2019

Studie:
KEP-Studie 2019 – Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK)

Download unter:
www.biek.de/presse/meldung/kep-studie-2019.html


Bilder: Sven Buschmeier, Reiner Kolberg

Wie können Kommunen und Planer zu Radlogistik-Lösungen beitragen? Was sollten sie beachten? Wir haben für Sie einige Tipps und Anregungen zusammengestellt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


WSM-Konzeptstudie:

Umschlagstation und Mikrodepot für die letzte Meile

Zur Entlastung des Innenstadtverkehrs hat das Unternehmen WSM – Walter Solbach Metallbau das Konzept einer sogenannten „Logistic-Station“ als betriebsfertigen Micro-Hub entwickelt. Von dort aus könnten künftig entsprechende Lastenräder der KEP-Dienste die Haustürzustellung übernehmen. Die Logistic-Station ist modular zweigeschossig angelegt. Ebenerdig wird ein mobiles Raumsystem zur Organisation der Lagerfläche verbaut. Eine angebaute Überdachung bietet Regenschutz beim Umladen der Pakete vom Lkw ins Raumsystem und in die Cargobikes. Die Überdachung kann über ein Rolltor geschlossen werden, um dort die Cargobikes über Nacht sicher zu parken bzw. aufzuladen. Darüber ist ein zweites Geschoss mit Umkleide- und Pausenräumen sowie Sanitäranlagen für die Fahrer vorgesehen. Aktuell befindet sich die Station laut WSM im Konzeptstadium und soll zusammen mit Kunden und Kommunen weiterentwickelt werden.

www.wsm.eu

Universitätsprojekt:

Planungsleitfaden verfügbar

Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat im Oktober dieses Jahres einen „Planungsleitfaden für Lastenradumschlagsknoten“ vorgestellt. Er soll Kommunen und Wirtschaftsunternehmen bei der Planung sogenannter Micro-Hubs für den Einsatz von Lastenrädern in innerstädtischen Bereichen unterstützen. Der gemein­­-same Leitfaden der beiden Lehrstühle für logistische Systeme und Um­welt­­psychologie fokussiert dabei auf den Kurier-, Express- und Paketmarkt (KEP) und seine Akteure. Viele Erkenntnisse seien jedoch auch auf andere Bereiche und generell für die urbane Stadt-, Verkehrs- und Logistikplanung übertragbar, so die Wissenschaftler.


Inhalte u.a.:
  • Vermittlung von Überblickswissen zur Radlogistik in Logistikketten.
  • Empfehlungen aus logistischer, verkehrlicher und Akzeptanzsicht zu Umsetzung und Gestaltung der Komponenten und zur langfristigen Planung und Verbesserung der Rahmenbedingungen.
  • Der Leitfaden steht hier zum Download zur Verfügung:
    www.ilm.ovgu.de/inilm_media/Planungsleitfaden_Lastenrad.pdf
  • Gedruckte Versionen können per Mail bei tom.assmann@ovgu.de bestellt werden.

Bilder: WSM, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Ein fester Termin in der Fahrradwelt ist die Leitmesse der Branche Eurobike, die in diesem Jahr wieder rund 40.000 Fachbesucher, über 21.000 Fahrradfans und Teilnehmer aus 99 Nationen anzog. Eines der Top-Messethemen: urbane Mobilitätslösungen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Die Wurzeln der Eurobike liegen Anfang der Neunziger Jahre im damals jungen Mountainbike-Segment. Aber die „wilden Zeiten“, in denen Fahrradmessen vor allem etwas für eingefleischte Enthusiasten und Radsportler waren und Neuentwicklungen eher in der Nische stattfanden, sind längst vorbei. In den Medien, in der Gesellschaft und bei Verbrauchern nehmen Fahrräder und E-Bikes heute einen breiten Stellenwert ein.

Innovationsgeladene Mobilitäts-Show

Neue technische Entwicklungen, allen voran die Motorunterstützung, die inzwischen alle Gattungen durchdrungen hat, neue Designs und neue Modellvarianten haben aus dem vielfach belächelten Drahtesel längst ein hochattraktives Produkt gemacht. Das zeigte einmal mehr die Eurobike, die sich als Fachmesse mit gewandelt hat und sich in diesem Jahr unter anderem mit einer großen Cargo Area und Ausstellern aus den Bereichen Kleinstfahrzeuge, E-Mobility-Lösungen und E-Scootern präsentierte. „Die Eurobike 2019 war eine innovationsgeladene Mobilitäts-Show, auf der Hersteller aus aller Welt die Zukunft des Fahrrads mit all seinen Komponenten als Sportgerät wie auch begehrter Mobilitätsträger beleuchteten“, resümierte Messe-Geschäftsführer Klaus Wellmann zur 28. Eurobike in Friedrichshafen.

Messe unterstreicht deutsche Rolle als Leitmarkt

„Deutschland ist in Europa der größte Markt für Fahrräder und inzwischen auch mit Abstand der größte für E-Bikes“, unterstreicht der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Gerade bei der E-Bike-Technik gehören neben bekannten Branchengrößen wie Shimano oder dem E-Motor- und Batterie-Pionier Panasonic viele deutsche Unternehmen weltweit zu den Innovationsführern. Darunter mehr und mehr bekannte Namen aus der Automobil-Zulieferindustrie, wie Bosch, Brose, Mahle oder die ZF-Gruppe. Aber auch viele weitere international renommierte Unternehmen und Marken aus Deutschland und Europa gehören im Hinblick auf die Innovationskraft und Qualität weltweit zu den Marktführern. Auch im noch jungen Bereich der E-Cargo-Bikes, der sich dank Motorunterstützung gerade im Aufbruch befindet.

„Cargobikes zählen nach unserer Beobachtung gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Produktkategorien im deutschen Fahrradmarkt.“

David Eisenberger, Zweirad-Industrie-Verband

Ausgerüstet mit Motor und hochbelastbaren Komponenten eignen sich Cargobikes auch für den professionellen Einsatz. Die Eurobike ist ein Treffpunkt für Inspiration und Information, zum Fachsimpeln und nicht zuletzt zum Ordern. Die Themen Nachhaltigkeit und faire Produktion spielen eine wichtige Rolle in der Fahrradindustrie, wie bei Fahrrädern mit Bambusrahmen.

Neue Lastenräder und Vernetzungslösungen

Ausgereifte elektrisch unterstützte Zweiräder revolutionieren laut ZIV die Freizeitnutzung und sorgen umweltfreundlich für „neue touristische Angebote und intensivere Erlebnisse für jeden Anspruch und alle Altersklassen“. Dem kann man beim Gang durch die Messehallen und bei den vielfältigen Gelegenheiten zu Testfahrten nur zustimmen. Auch im Bereich der Individualmobilität liefern Fahrräder, E-Bikes und neue Formen der Mikromobilität in allen Ausprägungen beste Voraussetzungen für die verkehrstechnischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Dynamik der Entwicklungen ist dank vielen Startups, Geldern von finanzkräftigen Investoren, Crowdfunding-Plattformen, einem hohen Tempo der etablierten Unternehmen und einer wachsenden Nachfrage nach innovativen Produkten so stark wie nie. Gerade beim Lastentransport zeichnet sich ein laut ZIV „noch kaum abzuschätzender Bedarf nach Cargo-E-Bikes ab“. Dazu kommen spezielle Angebote für Logistiker – ein noch sehr junger Markt, der vor allem individuelle Lösungen ins Auge nimmt. Eine Stärke der von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägten Branche. Neue Angebote und Mehrwerte zeichnen sich auch durch die fortgeschrittene Vernetzung ab. Die macht beispielsweise frei skalierbare Sharing-Lösungen für kleine Flotten per App möglich. Ideal unter anderem für Unternehmen, autofreie Wohngebiete oder Kleinlösungen auf dem Land.

Cargo boomt – auch auf der Eurobike

Die Absatzzahlen für Cargobikes gehen steil nach oben. Ein Trend, der sich in den Messehallen und den dazugehörigen Diskussions- und Informationsforen der Eurobike ebenso widerspiegelt, wie in den Verkaufszahlen. Für 2018 hat der Zweirad-Industrie-Verband die Cargobikes in seinem Marktbericht erstmals als eigene Kategorie erfasst und diesem Segment einen Anteil von vier Prozent innerhalb des E-Bike-Marktes attestiert. In Zahlen entspricht das einem Absatz von rund 40.000 E-Cargo-Bikes in Deutschland, die typischerweise in einem Preisbereich zwischen 4.000 und 8.000 Euro liegen. „Cargobikes zählen nach unserer Beobachtung gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Produktkategorien im deutschen Fahrradmarkt“, so ZIV-Sprecher David Eisenberger. Auch in den Messehallen war der Trend unübersehbar: Neben vielen Angeboten der Hersteller am Stand gab es auch eine im Vergleich zum Vorjahr deutlich vergrößerte Sonderfläche mit 32 Spezialisten, darunter einige Newcomer. Das Angebot reicht dabei von der Familienkutsche mit bis zu drei Kindersitzen bis zu Heavy-Duty-Cargo-Bikes für den professionellen Einsatz. Vom Lieferdienst über den Handwerker, Entsorger oder Geschäftsbetrieb gibt es inzwischen für alle und jede(n) etwas – bis hin zu individuellen Aufbauten als Food- oder Coffee-Bike.

Globale Leitmesse über das Produkt Fahrrad hinaus

„Die Eurobike hat sich als globale Leitmesse des Bike-Business etabliert“, so Stefan Reisinger, Bereichsleiter der Eurobike. „Sie zieht das ‚Who is Who‘ der Szene nach Friedrichshafen und schafft als Netzwerk- und Knowhow-Plattform viele reale Mehrwerte über das Produkt hinaus. Viele der Newcomer sind etablierte Unternehmen aus dem Technologiesegment und bringen ihre Sicht auf den aktuellen Megatrend Mobilität ein.“


Bilder: Messe Friedrichshafen

Wir haben auf der internationalen Fahrradleitmesse Eurobike mit Lastenradexperte Arne Behrensen (cargobike.jetzt) gesprochen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Auf der diesjährigen Fahrradmesse Eurobike hatte man den Eindruck Cargobikes stehen vor einem Durchbruch im Markt.
Das kann man auf jeden Fall so sagen. Es gibt immer mehr Hersteller innovativer Lastenradkonzepte für den privaten und gewerblichen Bereich und die Branche hat sich stark professionalisiert. Gute Voraussetzungen also, um echte Alternativen zu Pkws und Lieferwagen zu bieten.

Im letzten Jahr wurde der Radlogistik Verband Deutschland (RLVD) gegründet, warum?
Auf europäischer Ebene gab es bereits die European Cycle Logistics Federation (ECLF), um den Einsatz von Cargobikes in der urbanen Logistik voranzubringen. Der RLVD ist nun die deutsche Sektion und bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Fahrrad- und Logistikbranche. Die RLVD-Mitglieder sind zum einen Logistik-Unternehmen, die mit großen E-Lastenrädern und Lastenanhängern mit teilweise über 200 kg Zuladung unterwegs sind. Das erfordert ganz neue Konzepte. Bei den Fahrzeugen, den eingesetzten Komponenten, bei der Standardisierung, aber auch bei der Information, der Beratung und im Service. Deswegen sind auch die entsprechenden Hersteller und Experten für Logistikprozesse und -infrastrukturen im RLVD organisiert.

Warum setzen neben Familien immer mehr Paket- und Lieferdienste, Handwerker oder Kommunen auf Cargobikes?
Steigende Emissionen und ständig verstopfte Städte führen auch bei Unternehmen zu einem Umdenken. Im Wirtschaftsverkehr gibt es riesige Verlagerungspotenziale. Dazu braucht es Cargobikes mit hoher Belastbarkeit, verlässlichem Service und einer Vielfalt von professionellen Transportaufbauten. Inzwischen gibt es immer mehr Cargobike- und Anhängerhersteller, die sich auf gewerbliche Anwendungen spezialisieren und auch auf den Messen der Nutzfahrzeugbranche ausstellen. Doch der Schwerpunkt der Cargobike-Nutzung dürfte noch für lange Zeit beim privaten Kindertransport, Einkäufen und Ausflügen liegen.

„Steigende Emissionen und ständig verstopfte Städte führen auch bei Unternehmen zu einem Umdenken.“

Arne Behrensen, cargobike.jetzt

Lastenradförderung: Köln stockt auf

Zu Beginn des Jahres hat die Stadt Köln eine Förderung von Lastenfahrrädern bzw. Gespannen (Lastenrad + Anhänger) aufgelegt. Laut Kölner Verwaltung wurden bis zum Ende des Antragszeitraums innerhalb rund eines halben Jahres 958 Anträge zur Förderung eingereicht. Sie verteilten sich gemäß den Förderrichtlinien zu 47,5 % auf private Gemeinschaften von drei bis fünf Haushalten, zu 47,5 % auf die beruflich-gewerblichen Nutzung und zu 5 % auf Vereine und gemeinnützigen Organisationen. Die Anträge zur beruflich-gewerblichen Nutzung kamen dabei überwiegend aus den Branchen Gesundheit, Medien, Handwerk, Handel, Beratungsdienstleistungen, den Bereichen Lebensmittelhandel und Gastronomie sowie von Kindertageseinrichtungen.

Aufwand für die Stadt:

Ursprünglich standen mit Ratsbeschluss 200.000 Euro zur Förderung zur Verfügung. Da die Anzahl der Anträge das Förderbudget sehr deutlich überstieg, wurde es angepasst und eine abschließende Erhöhung des
Fördervolumens auf 1,9 Millionen Euro beschlossen. Für die Bearbeitung der kompletten 958 Anträge wurde in Summe ein Arbeitsaufwand von zusammen 2.250 Stunden ermittelt.

Wie geht es weiter in Köln?

Die Prüfung und Bewilligung der Anträge wird sukzessive fortgeführt. Die Stadt erhält aber auch aktuell viele weitere Anfragen. Bezüglich der Schaffung von Lastenrad-Stellplätzen im öffentlichen Raum prüft die Kölner Verwaltung derzeit die Anforderungen und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die verkehrlichen Auswirkungen der Lastenfahrradförderung auf den städtischen Wirtschaftsverkehr werden im Rahmen einer studentischen Abschlussarbeit untersucht. Für die Zukunft wird im Kölner Rat über eine weitere Förderung nachgedacht.

Ist ein Massenmarkt für Cargobikes nicht noch Zukunftsmusik?
Laut Marktdaten des Zweirad-Industrie-Verbands ZIV hatten wir 2018 bei E-Cargobikes ein Marktwachstum von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mit knapp 40.000 Verkäufen lagen die E-Cargobikes dabei vor E-Autos mit rein elektrischem Antrieb. So wird es auch weitergehen. Denn immer mehr Kommunen und Bundesländer starten Kaufprämien-Programme für Cargobikes. In Städten wie Köln, Münster und Hamburg gab es dieses Jahr bereits einen riesigen Ansturm auf die Förderprogramme. In Köln hat die Oberbürgermeisterin das geplante Förderbudget kurzerhand von 200.000 Euro auf 1,9 Million Euro erhöht.

Wen würden Sie gerne für Cargobikes gewinnen?
Pioniere und Botschafter für diese neue Mobilität: privat zum Beispiel beim Kindertransport. Und bei den Profis in der Kurierszene, bei Händler und bei den Kommunen. Wir brauchen aber auch Fürsprecher in der Politik und der Verwaltung, um die nötigen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Gesetzgebung und die Infrastruktur zu schaffen.

Was können Kommunen konkret tun?
Wir brauchen eine gezielte Information zu den Möglichkeiten, die es heute gibt und eine Förderung dieser neuen nachhaltigen Mobilität. Beim Elektroauto gibt es ja langfristig angelegte, großzügige Förderprogramme. Das brauchen wir auch für den Bereich der Lastenräder. Und wir brauchen eine gute Infrastruktur mit ausreichend Platz.

Also sollten wir jetzt mit Cargobikes starten?
Auf jeden Fall. Sie bieten Lösungen für Business und Alltag, Fahrspaß und Unabhängigkeit, sind kostengünstig im Unterhalt und emissionsfrei. Man bewegt sich und kommt zudem oft schneller zum Ziel, als mit dem Auto. Ganz ohne Parkplatzprobleme. Mein Tipp: Einfach ausprobieren. Viele Anbieter haben auch Test-Bikes zum Leihen. Und Cargobike-Sharing-Angebote gibt es bereits in über 70 deutschen Städten.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Enorme Verlagerungspotenziale durch Cargobikes

Laut einer Studie des Cycle Logistics Projekts (2011 bis 2014) können mit Hilfe von Cargobikes und Lastenanhängern ­51 Prozent aller motorisierten Transporte in europäischen Städten auf Fahrräder verlagert werden. Dabei geht es um Transporte mit einer Wegstrecke bis 5 Kilometern und 200 kg bzw. 1 m³ Zuladung. 69 Prozent davon sind private und 31 Prozent gewerbliche Fahrten. Private Einkaufsfahrten machen allein 40 Prozent aller verlagerbaren Fahrten aus. Die EU-Verkehrsminister haben 2015 in einer gemeinsamen Erklärung bekräftigt: „more than half of all motorized cargo trips in EU cities could be shifted to bicycles”.

Studie „cyclelogistics – moving Europe forward“ (www.cyclelogistics.eu)


Bilder: Reiner Kolberg, graphicsdeluxe stock.adobe.com, Urban Arrow

Wir wollten es genauer wissen und haben uns mit Mathias Kassel unterhalten. Er ist studierter Bauingenieur und arbeitete als Verkehrsplaner zuerst in Karlsruhe und dann als Abteilungsleiter Verkehrsplanung in Offenburg. Hier leitet er seit 2018 engagiert die Stabsstelle Mobilität der Zukunft. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Mathias Kassel wurde 2015 vom Landesverkehrsministerium Baden-Württemberg als einer von zehn „Heldinnen und Helden der neuen Mobilität“ ausgewählt.

Herr Kassel, wie sind Sie zum Thema Radverkehrsplanung gekommen?
Ich habe seit den frühen 1980er Jahren Interesse für das Thema Verkehrsplanung entwickelt. Dazu kommt, dass ich ein passionierter Radfahrer bin. Da lag es nahe, mich auch intensiv mit dem Radverkehr zu beschäftigen.

Was zeichnet einen guten Verkehrsplaner aus?
Im Studium lernt man die Grundkompetenzen. Meiner Erfahrung nach ist es darüber hinaus von entscheidender Bedeutung, dass man sich in Verkehrsabläufe hineindenken kann. Hier ist die Vorstellungskraft genauso gefordert wie praktische Erfahrung. Man muss Verkehrsverhalten antizipieren können. Es braucht Empathie. Das ist genau die Diskrepanz zwischen „im Prinzip können“ und „wirklich können“.

Wie sieht für Sie eine gut geplante Radinfrastruktur aus?
Die Infrastruktur muss so sein, dass ihre Nutzung auch Spaß macht. Die Planer und Verantwortlichen müssen auch selbst mit dem Fahrrad unterwegs sein. Das gilt auch für die Politik. Dort zu entscheiden, wo man selbst nicht betroffen ist, ist immer leicht. Man muss aus Fuß-, Rad- Auto- und ÖPNV-Perspektive schauen und die anderen immer mitdenken.

„Mir macht mein Beruf wirklich Spaß – auch noch nach rund 30 Jahren.“

Mathias Kassel, Leiter Stabsstelle Mobilität der Zukunft, Stadt Offenburg.

Was ist das Besondere an der Verkehrsplanung?
Im Bereich Radverkehr haben wir es zum Beispiel bei den Fahrern mit einer schnellen, willkürlichen Reaktion und einem hohen Maß an Spontanität und Flexibilität zu tun. Insgesamt ist das Gebiet unheimlich spannend und attraktiv. Andererseits gibt es auch hohe Herausforderungen. Man wird von unterschiedlichsten Seiten mit unterschiedlichsten Vorstellungen konfrontiert. Für den einen ist das schwierig – für andere, und auch für mich, ist es das Salz in der Suppe.

Für wen ist der Beruf geeignet?
Für Menschen, die flexibel, kreativ und kommunikativ unterwegs sind, kann das ein wunderbarer Beruf sein. Interessante Aufgaben mit interessanten Menschen, das ist das, was herausfordert und zufrieden stellt. Das Gehalt war für mich nie das Wichtigste. Mir macht mein Beruf wirklich Spaß – auch noch nach rund 30 Jahren.

Was würden Sie Nachwuchsplanern raten?
In der praktischen Arbeit ist es wichtig, sich Rückendeckung zu holen. Dann kann man auch Dinge anstoßen und ausprobieren. Planern muss aus meiner Sicht immer klar sein: Die Richtlinien sind erste Anhaltspunkte, keine Gesetze. Eine Eins-zu-eins-Übersetzung klappt nicht – es kommt immer auf die Gegebenheiten an. Mit Mindestmaßen sollte man möglichst wenig planen. Und schon gar nicht in Kombination. Der Verstand muss noch eine Rolle spielen.

Wie sehen Sie die Personalsituation?
Im Moment haben wir eine Situation, wo wir händeringend nach Nachwuchs suchen, gerade in den Kommunen. Die Bereitschaft, als Mitarbeiter auch schwierige Situationen auszuhalten, ist meiner Wahrnehmung nach geringer geworden.

Bekommen Sie auch Mitarbeiter aus der Privatwirtschaft? Wo liegen die Unterschiede in den Aufgaben, im Vergleich zu Planungsbüros?
Viele haben zuerst in Planungsbüros gearbeitet und gehen dann in die Kommunen. In den Büros hat man vielleicht mehr Freiheiten. Andererseits ist man sehr auf bestimmte Aufgaben fixiert. In den Kommunen gibt es mehr Themenbereiche, mehr Abwechslung. Hier fließen neben verkehrlichen Aspekte genauso Stadtentwicklung und städtebauliche Aspekte mit ein. Hier gibt es interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine hohe Vielfalt, die mich immer gereizt hat und immer noch reizt.

Was hat sich in der Vergangenheit verändert?
Die Anforderungen werden komplexer. Seit fünf bis acht Jahren findet ein Umdenken statt. Es wird mehr interdisziplinär gedacht. Wir führen viele Gespräche und führen regelmäßig Sicherheitsaudits durch. Die große Veränderung ist, dass das Thema Verkehr und hier der Radverkehr immer mehr ins Bewusstsein dringt.

Vor welcher zentralen Herausforderung steht Ihre Kommune?
Mobilität endet nicht an der Gemarkungsgrenze. Im Verkehr kommt es zu enorm zunehmenden Pendlerströmen. Hier in Offenburg haben wir prozentual bei 60.000 Einwohnern und über 30.000 Pendlern eine größere Pendlerdichte bezogen auf die Einwohnerzahl, als zum Beispiel in Stuttgart oder Frankfurt.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Mehr Kompetenz für Fahrradplaner

Nach vielfach geäußerten Expertenmeinung-en gibt es in Deutschland bei ausgebildeten Radverkehrsplanern deutlichen Nachholbedarf. Verschiedene Initiativen wollen das ändern.

Radverkehr wird Uni-Fach

Das BMVI hat das Förderprogramm „Stiftungsprofessuren Radverkehr“ gestartet. Zum Sommersemester 2020 sollen W2- und W3-Professuren an deutschen Hochschulen inklusive Personal eingerichtet und über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren gefördert werden. Mit den Professuren will das BMVI Fachkräfte auszubilden lassen, die ihr Know-how dann vor Ort einbringen und in den Kommunen und Städten umsetzen. Förderungswürdig sind Professuren zu radverkehrsrelevanten Themen aus den Fachrichtungen Ökonomie, Verkehrsplanung, Politikwissenschaft, Psychologie, Rechtswissenschaften, Technik und Digitalisierung.

Neue Weiterbildung: Fachplaner für Radverkehr

Seit November dieses Jahres bietet das Europäische Institut für postgraduale Bildung (EIPOS), die neue Fortbildung „Fachplaner für Radverkehr“ an. In sechs Studienkursen können sich Bau- und Verkehrsingenieure, Raumplaner, Landschaftsarchitekten und Geografen berufsbegleitend qualifizieren. Die Kurse werden in Kooperation mit der TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik und der Landeshauptstadt Dresden, Geschäftsbereich Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften angeboten. Der Pilot mit 18 Teilnehmern pro Jahr ist aktuell ausgebucht.

www.eipos.de

Bild: Mathias Kassel

Allen Forderungen und Empfehlungen von Lobbyverbänden, Stadt- und Verkehrsplanern sowie Umweltexperten zum Trotz: Bei Veränderungen im Mobilitätsverhalten und der Abkehr vom privaten Pkw mit Verbrennungsmotor stockt es bislang. Die um sich greifende Digitalisierung könnte das allerdings rasant ändern. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Wirtschaftsexperten und Wissenschaftler sprechen von einer dritten industriellen Revolution und disruptiven Veränderungen. Während sich Änderungen in vielen Lebensbereichen früher eher in Jahrzehnten abspielten, macht sich heute eine neue Dynamik breit. Sowohl die technischen Innovationen selbst, wie auch gesellschaftliche Veränderungen und globale Entwicklungen beschleunigen die Veränderungsprozesse inzwischen in einem Tempo, das kaum jemand für möglich gehalten hätte. Auch und gerade im Bereich Verkehr.

„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“

Kaiser Wilhelm II. (um 1900)

Alte Mobilitätskonzepte in der Sackgasse

Das Festhalten großer Teile der Bevölkerung und der Politik an alten Verkehrskonzepten und dem Wunschdenken nach automobiler Freiheit, billigem Treibstoff und immer mehr Leistung ist nachvollziehbar, nach aber Expertenmeinung aber nicht nur unlogisch, sondern auch kontraproduktiv. Da helfen weder ein Elektroantrieb, noch simple Formen der Digitalisierung, wie „intelligente“ Ampelschaltungen, die, so die Versprechung, den Verkehr verflüssigen helfen sollen. Städte und Straßen sind übervoll und auch die Zunahme der schädlichen Emissionen fordert ein Umlenken. Aber wohin?

Mobilität as a Service: Per Smartphone werden alle verfügbaren Optionen angezeigt und nach Nutzung abgerechnet.

Umbrüche sind längst sichtbar

Mit aktuellen Szenarien, Chancen, Hinderungsgründen und Risiken beschäftigen sich die Mobilitätsforscher Dr. Weert Canzler und Prof. Dr. phil. Andreas Knie in ihrem Buch „Die digitale Mobilitätsrevolution: Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten.“ Ihre Erkenntnis: „Digitale Techniken eröffnen neue Möglichkeitsräume und erleichtern – im Fall des Verkehrs – eine einfache, günstige und zugleich ökologisch schonendere Mobilität, weil sie einen neuen Blick auf die materielle Wirklichkeit ermöglicht.“ Dabei gehen die beiden Experten davon aus, dass durch die Nutzung der Smartphones die Wünsche und Bedürfnisse und mit ihnen das Konsumentenverhalten unbewusst verändert werden. Man entscheide sich nicht mehr primär für einen Verkehrsträger, eine Automarke oder einen Anbieter, sondern setze seine Prioritäten neu. Nach pragmatischen Kriterien und der unmittelbaren Verfügbarkeit. „Die ursprünglichen Entscheidungskriterien wie Marken oder spezifische technische Eigenschaften werden zurückgedrängt oder verschwinden ganz“, so die Autoren.
Die simple Logik: Reserviert wird einfach das nächstbeste und in der jeweiligen Situation praktischste Fahrzeug. Typ, Ausstattung, konventioneller oder E-Antrieb? Eher zweitrangig. Vor diesem Hintergrund scheint es nur logisch, dass sich auch für andere Mobilitätsformen, wie Schiene und ÖPNV, Bikesharing, Scooter, Tretroller und Fahrdienste wie Uber bislang ungeahnte Chancen und Optionen ergeben. Zukunftsmusik? Keineswegs. Die Technik ist längst da – und bei genauerer Betrachtung sind viele Umbrüche bereits heute deutlich sichtbar.

„Reserviert wird einfach das nächstbeste und in der jeweiligen Situation praktischste Fahrzeug.“

Neue Mobilitätswelt per Smartphone

Das wohl größte Potenzial der Digitalisierung ist, komplexe Systeme für die Kunden einfach nutzbar zu machen und Informationen individualisiert bereitzustellen. Auf Anbieterseite können Daten zu Standorten von Fahrzeugen und Personen, Tarife und Routenauskünfte verknüpft und so neue, vernetzte Angebote geschaffen werden. „Auf Anwenderseite ist dabei vor allem die inzwischen erfolgte Durchdringung der Gesellschaft mit Smartphones als Schnittstelle zum Menschen wichtig“, betont die Journalistin und Autorin des Fachbuchs „Digitalisierung in Mobilität und Verkehr“ Dagmar Rees. „Vor rund fünf Jahren wären die aktuellen Entwicklungen noch nicht denkbar gewesen.“ Tatsächlich eröffnet das Smartphone inzwischen auch eine vollkommen neue Mobilitätswelt: Jüngst sichtbar geworden bei den E-Scootern, die in einem kaum für möglich gehaltenen Tempo nicht nur in Deutschland die Großstädte geflutet haben. So gehören beispielsweise die beiden aus der kalifornischen Tech-Szene finanzierten Roller-Sharing-Anbieter Lime und Bird laut Presseberichten zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen aller Zeiten. In 14 Monaten haben sie zusammen fast eine Milliarde US-Dollar eingesammelt und werden aktuell mit mehr als einer bzw. zwei Milliarden Dollar bewertet.

Was heißt eigentlich „Digitalisierung im Verkehr“?

Nach Meinung der Journalistin und Fachbuchautorin Dagmar Rees löst das Zusammenspiel von vier Faktoren aktuell eine Welle aus:

  1. Künstliche Intelligenz durch enorm gewachsene Kapazitäten in der Datenverarbeitung, die eine tiefgehende Datenauswertung ermöglichen.
  2. Unbelebte Gegenstände bekommen „Sinne“ durch Kameras und Sensoren.
  3. Die Möglichkeit der exakten Verortung von Gegenständen in Ort und Zeit über Satellitensysteme (z.B. GPS).
  4. Die Vernetzung von allem – in der physischen Welt und mit dem Menschen über drahtlose Netzwerke/Mobilfunk.

BMW-Tochter Designworks: Wandel verläuft extrem schnell

„Befeuert von der Digitalisierung und gestiegenen Kundenerwartungen, der Urbanisierung und der gesellschaftlichen und politischen Einflüsse, lösen sich die Grenzen zwischen Branchen wie Automobil-, Zug- oder Luftfahrtindustrie zugunsten eines ganzheitlichen Ecosystems auf“, stellt Tim Müller, Director Creative Consulting bei Designworks, einer Tochter der BMW Group fest. Auch das Fahrrad würde in diesem System „seine Rolle und seinen Beitrag erweitern und neu erfinden“. Das exponentielle digitale Wachstum sorge für eine nur schwer vorstellbare Beschleunigung der Veränderung. „Deshalb erwarten viele in der Branche in den nächsten fünf Jahren dasselbe Maß an Wandel, wie in den vergangen 30 Jahren“, so Tim Müller.
Die BMW-Group-Tochter Designworks arbeitet industrieübergreifend in Europa, Asien und Nordamerika an Mobilitätskonzepten für die Zukunft. Das Portfolio der Design- und Beratungsagentur reicht dabei vom Auto über Motorräder, E-Bikes und Wasserstofftanksäulen bis zu E-Ladestationen für die Langstreckenmobilität, neue Mobilitätskonzepte für die Stadt Berlin oder ein Hyperloop-Konzept für Abu Dhabi. In Zusammenarbeit mit renommierten Herstellern und Marken denkt Designworks auch über die Gestalt und die zukünftige Rolle des Fahrrads nach.

„Das eigene Auto ist eine vorübergehende Erscheinung“

Der Tagesspiegel 2019

Mobilität as a Service: Per Smartphone werden alle verfügbaren Optionen angezeigt und nach Nutzung abgerechnet.

Neue Mobilitätsanbieter investieren Milliardenbeträge

In einem kaum von der Öffentlichkeit beachteten Joint-Venture haben die BMW Group und die Daimler AG Anfang des Jahres nicht nur ihre Carsharing-Töchter DriveNow und Car2go zusammengelegt, sondern gleichzeitig mehr als eine Milliarde Euro in einen gemeinsamen Mobilitätsdienstleister investiert. „Wir schaffen einen weltweit führenden Gamechanger. Er wird unseren heute bereits rund 60 Millionen Kunden Mobilität in einem nahtlos vernetzten, nachhaltigen Ökosystem aus CarSharing, Ride-Hailing, Parking, Charging und Multimodalität ermöglichen“, so Harald Krüger, bis August 2019 Vorsitzender des Vorstands der BMW AG.
Vernetzung und Mobilität on demand heißen dabei die Schlagworte, mit denen die beiden Konzerne ein europäisches Pendant schaffen wollen zum gerade mal 10 Jahre alten und inzwischen über 80 Milliarden Dollar schweren Fahrdienstanbieter Uber. Bei dem rasant wachsenden Unternehmen aus dem Silicon Valley, gehen die Pläne aber noch viel weiter: Zusammen mit dem Verleih von E-Bikes, Tretrollern und weiteren Angeboten, wie zum Beispiel im Bereich Food Delivery, in die kräftig investiert wird, setzt Uber dazu an, zu einem zentralen Mobilitätsanbieter zu werden.

ÖPNV + Fahrrad + Auto:
Augsburg führt Mobilitätsflatrate ein

Was es in einigen europäischen Städten wie Helsinki bereits seit kurzem gibt, hatte im September in Augsburg Premiere. Die Stadtwerke Augsburg (SWA) haben ein Jahr lang eine Mobilitätsflatrate getestet und daraus zwei Paketpreise entwickelt. Für 79 Euro im Monat können Kunden den ÖPNV im zentralen Tarifgebiet unbegrenzt nutzen. Die Leihräder der SWA können jeweils bis zu 30 Minuten kostenlos gefahren werden, auch mehrmals am Tag. Und Carsharing-Fahrzeuge können bis zu 15 Stunden oder 150 Kilometer genutzt werden. Zahlt der Bürger 109 Euro, kann er bis zu 30 Stunden pro Monat ohne Kilometerbeschränkung Autofahren. „Wir gehen mit der Flatrate völlig neue Wege im Nahverkehr“, so SWA-Geschäftsführer Dr. Walter Casazza. „Zusammen mit neuen Abrechnungsmodellen für den ÖPNV ist das die Zukunft im Nahverkehr.“

Mehr Informationen: www.sw-augsburg.de

Umdenken essenziell für Hersteller und Automobilregionen

Unternehmensberatungen entwerfen längst konkrete Szenarien für die neue Rolle der Automobilhersteller: „Urbanisierung, Digitalisierung und autonomes Fahren entziehen den Geschäftsmodellen teilweise die Grundlage“, betont zum Beispiel die Unternehmensberatung Deloitte, mit über 280.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 43 Mrd. USD in 2018 einer der Big Player in der Branche. In einer 2017 erschienen Sonderbeilage der Automobilwoche entwerfen die Berater verschiedene Szenarien für das Jahr 2025: Die gesamte Wertschöpfung müsse neu gedacht und ausgerichtet werden. Umsätze könnten „im besten Fall um über 70 Prozent steigen, sofern OEMs es schaffen, sich als Manager von Daten- und Mobilitätsdienstleistungen zu positionieren.“ Wenn das nicht gelänge, könnten andererseits in einem Worst-Case-Szenario bis zu 50 Prozent der Belegschaft ihre Arbeit verlieren.

Verkehrswende bietet Chancen für Verbünde

Eine Verkehrswende ist nach der Überzeugung vieler Experten lediglich zum Teil eine Frage der Technologien, sondern eher des politischen Willens. Dabei ergeben sich bei genauer Betrachtung viele Lösungsansätze und neue Verdienstmöglichkeiten – in der Stadt, wie auf dem Land. Free-floating-Angebote im Bereich Car-, Bike- oder Scooter-Sharing, Ridesharing und Ridepooling-Systeme und vieles mehr machen das private Auto zunehmend verzichtbar, wenn nicht überflüssig. Neue Chancen ergeben sich auch für Kommunen und Verkehrsverbünde, zum Beispiel mit der Einführung von Rufbus-Systemen, Mobilitätsabos, bestehend aus Monatsfahrkarte, Mietradangebot und Carsharing oder der Attraktivitätssteigerung von Bahn und ÖPNV durch bessere Informations-, Buchungs- und Abrechnungssysteme, schnelles Internet und digitale Entertainmentangebote.

Zum Vertiefen: Buchtipp

Dagmar Rees:
„Digitalisierung in Mobilität und Verkehr – Schiene und öffentlicher Verkehr“,
PMC Media House 2018

Stephan Rammler:
„Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“,
Fischer Verlage 2014


Bilder: BMW Group / Daimler AG, SWA

Kurz nach der Ankündigung des VELOPLAN-Starts erreichte uns eine Mail, in der in Bezug auf Radverkehrsplanung zwei Problemfelder angesprochen wurden: Fachliche Kompetenz und fachliche Kapazitäten in den Kommunalverwaltungen. Grund genug, uns mit dem Themengebiet in der ersten Ausgabe und sicher auch in Zukunft intensiver zu beschäftigen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Ausreichendes und ausreichend qualifiziertes Personal ist ein Problem in der Wirtschaft, aber vor allem im öffentlichen Dienst. „Der Staat hat Geld genug – aber keine Angestellten, die es ausgeben könnten“, titelte jüngst das Magazin Stern unter der Überschrift „Kassen voll, Land kaputt“. Keine andere Branche sei so stark vom Fachkräftemangel betroffen wie der öffentliche Dienst. Schon jetzt könnten über 200.000 Stellen nicht besetzt werden, bis zum Jahr 2030 würde sich die Zahl der unbesetzten Stellen im Staatsdienst auf 800.000 vervierfachen.

„Bei uns in der AGFK ist es inzwischen keine Frage mehr, dass wir eine Verkehrswende brauchen.“

Günter Riemer, AGFK-Vorstandsvorsitzender

Mittel für Radverkehr können oft nicht abgerufen werden

Eine schnelle Verkehrswende mit ausreichenden finanziellen Mitteln vom Bund? Das klingt verführerisch einfach. In der Praxis gibt es aber Probleme. So ist es unter Fachleuten kein Geheimnis, dass aktuell und in Zukunft wegen fehlendem Personal Mittel nicht abgerufen werden können und damit für den Radverkehr in den Kommunen verloren gehen. Das erklärte auf einem Symposium in Bochum auch Susanne Düwel, Leiterin des Bochumer Tiefbauamts. Zwar verfüge die Verwaltung hier über eine ausreichende Anzahl an Verkehrsplanern – aber ohne Expertise zu fahrradspezifischen Lösungen.
Die gleichen Erfahrungen macht Günter Riemer als Erster Bürgermeister der Stadt Kirchheim unter Teck und Vorstandsvorsitzender der Aktionsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundliche Gemeinden und Kommunen in Baden-Württemberg e. V. (AGFK). Aus allen Bereichen würden ihn in der AGFK Klagen über fehlende Kapazitäten bei Planern erreichen. „Insbesondere geht es um spezifische Kompetenzen im Bereich Radverkehr, die dringend benötigt werden.“ Oftmals sei einfach das Know-how nicht so vorhanden, wie es erforderlich wäre. „Ich habe das in der Praxis während meines Studiums zum Bauingenieur selbst erfahren – eine sehr autokonforme Berufsausbildung“, so Günter Riemer. „Radverkehr ist aber ein separates Aufgabengebiet.“
Auch die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern, also Planungsbüros, helfe nicht wirklich weiter, da es nur vier bis fünf spezialisierte Büros in Deutschland gäbe und sich die üblichen Büros schwer täten mit dem Thema Radverkehr.

Günter Riemer (r.) im Gespräch mit Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (l.) und Michael Adler von der Agentur tippingpoints

Bestehende Strukturen verhindern schnelle Maßnahmen

„Planungsverläufe sind langwierig“, erläutert Günter Riemer im Gespräch. „Die Mühlen mahlen langsam.“ Damit sich hier etwas zum Positiven ändere, sei vor allem der Bund in der Pflicht. „Wenn Bundesminister Scheuer sagt, die Kommunen sollen mehr Mut haben, Dinge anzupacken und umzusetzen, dann muss er dafür auch die Rahmenbedingungen schaffen.“ Aktuell habe man beispielsweise ein sich immer weiter ausdehnendes Konglomerat an Vorschriften. Dementsprechend
wäre seiner Meinung nach mehr Offenheit und Entscheidungskompetenz bei den Kommunen wichtig. Zum Beispiel im Rahmen von Experimentier- oder Öffnungsklauseln.
Aber nicht nur bei der Planung kämpfe man mit Schwierigkeiten, sondern auch in Bezug auf die Umsetzung. Denn in Baden-Württemberg gäbe es kaum geeignete Fachfirmen. „In der Vergangenheit wurden auch hier Kapazitäten abgebaut. Man muss auch ganz klar sagen: Geld zu haben für den Radverkehr ist ein ganz neues Symptom.“ Wichtig wäre vor allem auch eine Stetigkeit in der Finanzierung.

65 %

Bei Klimaschutzmanagern werden
bis zu 65 Prozent der Personalkosten gefördert.
Für Mobilitätsplaner gibt es bislang keine Förderung.

Wünschenswert: Gleichzeitige Förderung von Personal

Ausschließlich Planung und Bau zu fördern, greift vor dem Hintergrund fehlenden Personals aus Sicht des AGFK-Vorstandsvorsitzende zu kurz. Aber auch dafür gäbe es Lösungen: „Wir finden den Plan der Bundesregierung, den Radverkehr deutlich zu fördern, sehr gut. Aber ich würde da gerne die konkrete Forderung anschließen, nicht nur Bau und Planung zu fördern, sondern auch das Personal. So könnten die 80 größeren Kommunen in Baden-Württemberg, aber vor allem die Landkreise, durch eine gezielte Förderung bislang fehlendes Fachpersonal aufbauen.“ Für Günter Riemer keine abwegige Vorstellung. Schließlich würden Klimaschutzmanager beispielsweise mit 65 Prozent der Personalkosten gefördert. Bei der Mobilitätsplanung gäbe es dagegen keine Förderung.

Erforderlich: Mehr Zusammenarbeit und mehr Kompetenzen

Eigenverantwortung und eine gute Zusammenarbeit löst Probleme und stärkt die Identifikation und die Zufriedenheit. An beidem mangelt es nach Günter Riemer, der sich im Kompetenznetzwerk AGFK regelmäßig mit den Facharbeitskreisen trifft, allerdings öfters. Beispielsweise gäbe es nach wie vor das Problem, dass die Planung an den Gemarkungsgrenzen aufhöre. Seine Kritik: Bewohner orientierten sich in ihrem Mobilitätsverhalten nicht an Ortsgrenzen und Verwaltungsabläufen. Hier wäre es deshalb wünschenswert, wenn Bundesländer und Landkreise stärker als bislang an gemeinsamen Zielen arbeiten und vermehrt Projekte gefördert würden, bei denen mehreren Kommunen mit eingebunden werden.
Zudem bräuchten Straßenbauverwaltungen mehr Einfluss auf die Entscheidungsgewalt und zusammen mit der Kommune „mehr Freiheit, die Dinge anzupacken“: „Es muss die Möglichkeit geben, auch Dinge zu machen, die sich im Nachhinein als nicht optimal erweisen. Sonst bewegt sich nichts. Nichts zu tun und Themen nur zu diskutieren, das reicht heute einfach nicht mehr aus.“

Studie: Öffentliche Hand kann mehr

Warum im öffentlichen Dienst der Nachwuchs fehlt, wird oft diskutiert. Die Autoren der McKinsey-Studie „Die Besten, bitte – wie der öffentliche Sektor als Arbeitgeber punkten kann“ bemängeln, dass der öffentliche Sektor für die Allgemeinheit arbeite, dabei aber Gefahr liefe, die Beschäftigten innerhalb ihrer Organisation zu vernachlässigen. Es gäbe aber durchaus Handlungsmöglichkeiten. Das sollten Arbeitgeber den Studienmachern zufolge tun:

  • Vorteile der Arbeit im öffentlichen
  • Sektor klar benennen
  • z.B. Sicherheit des Arbeitsplatzes,
  • Nutzen für die Allgemeinheit, gute Work-Life-Balance
  • Nachwuchsarbeit zur Chefsache machen
  • gezielte Karriereförderung motiviere Mitarbeiter
  • inspirierendes Arbeitsumfeld schaffen
  • Weiterbildungen anbieten
  • Austauschprogramme zwischen
  • Führungskräften von Behörden und
  • Unternehmen

Bilder: Rawpixel.com stock.adobe.com, AGFK-BW