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„Verkehrswende jetzt“ steht auf Bautafeln in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Gemeint sind damit aber nicht nur Baumaßnahmen, sondern vor allem Digitalisierung und Sharing als Schlüsselwörter für die Zukunft. Mobilitätsdezernent Jochen Kral erklärt, wie die Neue Mobilität aussehen soll und was moderne Großstädte tun sollten. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Er scheint zunächst nur ein kleiner Schritt zu sein, zeigt aber beispielhaft die Richtung, in die die Neue Mobilität in deutschen Großstädten gehen soll: der Lastenrad-Automat, der Ende Januar 2022 in einem Düsseldorfer Quartier aufgestellt wurde. Für einen Euro pro Stunde können Anwohner*innen hier E-Cargobikes ausleihen. Drei Räder sind elektronisch an der Station gesichert, können digital per Handy ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden. Auch die Zahlung erfolgt über eine App von Velocity Mobility, einem Mobilitätsservice-Anbieter, der mit vielen Kommunen zusammenarbeitet. Zwei Universitäten in der Region sollen Daten über Zielgruppe, Nutzung und Nachfrage eruieren und verarbeiten. Anhand dieser will man in Düsseldorf schon ab 2023 das Projekt größer ausbauen. Es soll so zu einem Schritt in die Klimaneutralität 2035 werden. Die Kosten für das Projekt werden über den Klimafonds der Stadt Düsseldorf finanziert.

Mobilität und Digitales

Warum ist das Projekt beispielhaft? Digitalisierung und Sharing sind die Schlüsselwörter für Düsseldorfs Zukunft: „Wir haben drei Probleme in unseren Städten“, erklärt Jochen Kral, seit April 2021 Dezernent für Mobilität bei der Stadt Düsseldorf, den allgemeinen Hintergrund. „Die Städte sind mit den Maßnahmen zur Klimavorsorge nicht weitergekommen. Ein Prozent Rückgang an CO2-Ausstoß pro Jahr seit 1990 ist deutlich zu wenig. Damit sind wir in Düsseldorf aber nicht allein“, schiebt er hinterher.
Zweitens sei die schnelle Erreichbarkeit von Arbeits-, Einkaufs- und Kulturorten innerhalb der Stadt und aus dem Umland derzeit nicht gewährleistet. „Und drittens muss der städtische Raum attraktiver, die Stadt lebenswerter werden – und das ist übrigens durchaus wirtschaftskonform zu machen.“

„Die Städte sind mit den Maßnahmen zur Klimavorsorge nicht weitergekommen.“

Jochen Kral, Mobilitätsdezernent der Stadt Düsseldorf

Auch autonomes Fahren als Standbein

Wie kann man das angehen? Dazu braucht es für den 52-Jährigen eben Digitalisierung und Sharing. Und natürlich nicht nur im eingangs genannten Beispiel der Cargobike-Flotte, sondern über alle Fahrzeuggattungen hinweg: Kral verweist zum Beispiel auf das Projekt Komodnext. Auf einer zwanzig Kilometer langen, häufig genutzten Zufahrtstrecke in die Stadt werden derzeit neuen Fahrzeug-Infrastruktur-Vernetzungen getestet. Was sich wie Zukunftsmusik anhört, soll tatsächlich einmal autonomes Fahren sicherer und flowiger machen. Ampeln, die ihren Status bei Ankunft des anfahrenden Fahrzeugs melden, Park-and-Ride-Plätze, die ihre Auslastung an Fahrzeuge weitergeben oder Brücken, die dem Fahrzeug signalisieren, dass der Asphalt eisglatt sein könnte. Auch wenn sich das Auto-fokussiert anhört: Diese Digitalisierung ist wichtiger Bestandteil der allgemeinen weiteren Entwicklung hin zu neuer Mobilität – nämlich der Möglichkeit, mit wesentlich weniger Autos mehr Mobilität zu fördern.

Modale Mobilität und Handy als Wegbereiter

Dazu braucht es auch einen Wandel in der Gesellschaft: den Wechsel vom Besitz zum Leihen. In puncto Leihräder und E-Scooter ist das heute in manchen Altersgruppen schon selbstverständlich. Aber dieser Wandel ermöglicht nach Kral auch Szenarien, in denen etwa Nutzerinnen von ÖNV-Fahrzeugen wie U-Bahnen im Zug die Weiterfahrt mit ihrem Smartphone planen oder planen lassen. So könnte das Handy per App ein automatisiertes Fahrzeug bestellen, das Nutzerin-nen mit ähnlicher Endstation am U-Bahnhof erwartet und sie dann die letzte Meile nach Hause fährt. Erst mit dem Sharing von Fahrzeugen ergäben sich Möglichkeiten wie diese: das Teilen von Fahrzeugen, die von einem Anbieter zur Verfügung gestellt werden, die flexibel sein können – und dank ihrer digitalen Vernetzung und Steuerung nicht auf Fahrer*innen angewiesen sein werden. „Erst im Rahmen einer Digitalisierung kann ich die intermodale Welt strukturieren“, sagt Kral. Ganz so futuristisch ist das nicht. Schon jetzt kann man mit einer App des Nahverkehrsanbieters Rheinbahn optional verschiedene Fahrzeuge vom Leihrad über den E-Scooter bis hin zur Straßenbahn buchen, um von A nach B zu kommen – allerdings kann man sich nicht die Routen von der App kombinieren lassen.

Velo-orientierte Beiträge zur Düsseldorfer Mobilitätswende: breit angelegte und klar strukturierte Radwege mit Abbiegeweichen und aufgestockte (Lasten-)Radabstellplätze.

E-Scooter statt Bike-Sharing?

Die E-Scooter und ihre Nutzerinnen sind auch in Düsseldorf nicht von allen Verkehrsteilnehmerinnen gut beleumundet. Das Ziel für den Mobilitätsdezernenten ist, hier „nicht nur zu dezimieren, sondern auch den Einsatz der E-Scooter zu optimieren!“ Dazu gehört, die Abstellflächen zu definieren. „Die Regeln dazu muss die Gesellschaft erst lernen“, sagt Kral mit einem Lächeln. „Tatsache ist: E-Scooter kannibalisieren derzeit Fuß- und Radverkehr. Wir müssen sie besser in die intermodalen Wegketten einbauen!“ Die Koppelung mit dem ÖPNV soll dabei selbstverständlicher werden.
Doch wie sieht man die Rolle des Radverkehrs in Düsseldorfs Zukunft? Viele Projekte zeigen: Er soll zu einer noch wichtigeren Säule der Neuen Mobilität werden – und sich in ein intermodales System einordnen. Gerade erst hat der Stadtrat den Bau der ersten von zwei geplanten Radleitrouten vom Flughafen im Norden, den Rhein und die Altstadt entlang bis in den Süden beschlossen. Die Routen sind in Teilen vorhanden und müssen optimiert werden, große Teile werden neu geschaffen. Standards sind hierbei entschärfte Kreuzungen und Vorrang für den Radverkehr – ähnlich den Radschnellwegen. „Dass diese Routen als Protected Bikelanes verlaufen, hat derzeit nicht erste Priorität“, meint Kral zum Modus dieser Radinfrastruktur.
Das gesamte Düsseldorfer „Radhauptnetz“ wird nun vorrangig bearbeitet und soll erweitert werden. Die Radinfrastruktur stellt sich dabei uneinheitlich dar und ist – auch an sicherheitsrelevanten Punkten – tatsächlich noch Flickwerk. Doch man merkt den Impuls des Ausbaus als Radfahrender in Düsseldorf tatsächlich. Auf mehrspurigen Straßen zum Zentrum hin fallen rechte Autospuren zum Teil zugunsten von Radspuren weg, – auch wenn gerade diese Routen noch lückenhaft sind.
Doch da sollen natürlich auch noch andere Zutaten zur Initiative „Verkehrswende jetzt“ greifen: „Wir wollen viel mehr 30er-Zonen ausprobieren“, so Kral etwas vorsichtig, der sich in diesem Zusammenhang vor Kurzem mit Vertretern vieler anderer Kommunen beim Städtetag für mehr Entscheidungsverantwortung auf kommunaler Ebene ausgesprochen hatte. „Nicht auf allen Hauptverkehrsstraßen“, sagt er, „um den Verkehrsfluss bündeln zu können.“ Viele breite Straßen werden einspurig. Auch hier gibt es bereits Anfänge. Parkplätze werden an neuralgischen Punkten zu Radabstellplätzen.
Als ganz wichtig sieht der Dezernent auch die interne Umstrukturierung an. Eine neue Projektgruppe wertet das frühere Büro für Radverkehr in Düsseldorf auf. Die Mitarbeiterzahl wird erhöht, aber wichtiger noch: Die Mitarbeiterinnen sollen in alle Bereiche der Stadtentwicklung involviert werden, sodass bei Entwicklungsvorhaben ein koordiniertes Vorgehen gesichert ist. „Sie haben auch Eingriffsbefugnis“, bekräftigt Kral. „Das Verkehrsmanagement wird so auf Radverkehr programmiert.“ Die Kommunikation mit den Bürgerinnen scheint mittlerweile allgemein in den Städten angekommen. Auch in Düsseldorf finden regelmäßig Bürgerdialoge unter dem neuen Titel „Düsseldorf fahrradfreundlich“ statt – aktuell als Online-Veranstaltung. „Ziel ist es, ein breites Feedback zu sammeln, das wir bei der Ausarbeitung unseres ganzheitlichen Programms zur Radverkehrsförderung berücksichtigen können“, so Kral in einer Ankündigung zum Dialog auf den Seiten der Stadtverwaltung.

„Eine Stadt braucht auch Bürger und Bürgerinnen, die bereit sind, mit Verkehrsmitteln zu experimentieren. Man kann nicht nur aus der Theorie heraus sagen, was letztendlich herauskommt.“

Jochen Kral, Mobilitätsdezernent der Stadt Düsseldorf

Ziel: erst weniger Autos, dann „Superblocks“

Das Ziel, die Stadt wieder zu einem attraktiveren Lebensraum zu machen, wird mit der Verkehrsberuhigung großer Abschnitte ins Visier gefasst. An Superblocks, wie die beruhigten und zu neuem Straßenleben erweckten Wohnblöcke in Barcelona oder Berlin genannt werden, denkt man auch in Düsseldorf, aber bislang eher vage. „Superblocks nach Berliner Vorbild sind im gesamtstädtischen Entwicklungskonzept für die nächsten zehn Jahre mitgedacht. Und natürlich planen wir auch quartiersbezogen“, so Kral. Derzeit ist vor allem ein digitaler Superblock in der Entwicklung: In Derendorf, nördlich der Innenstadt, entsteht gerade ein Wohnviertel, das Arbeiten, Wohnen und Leben vereinen soll. Fahrradstraßen und Spielstraßen, Erholungsräume und alle wesentlichen Geschäfte des täglichen Bedarfs sollen in diesem neu geplanten Viertel vertreten sein. Ein Vorbild für ganze lebenswerte Städte? Sicher. Allerdings kann man selbstverständlich nicht alles neu entwickeln. Man muss auf dem Vorhandenen aufbauen und die Stadtteile sukzessive wandeln.


Bilder: Amt für Verkehrsmanagement der Stadt Düsseldorf, Georg Bleicher