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Ein wegweisendes Förderprojekt für Fahrradstraßen hat die Stadt Offenbach am Main von Sommer 2018 bis Sommer 2022 realisiert. Insgesamt sind auf sechs Radachsen 18 Kilometer fahrradfreundliche Infrastruktur, davon neun Kilometer Fahrradstraßen, neu entstanden. Die dadurch etablierte Marke Bike Offenbach soll auch weiterhin für Infrastrukturmaßnahmen rund ums Fahrrad in der kleinen Großstadt stehen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


„Radfahrende sind nun sicherer und schneller in und um Offenbach unterwegs“, sagt Planungsdezernent Paul-Gerhard Weiß. „Damit wollen wir Menschen aller Generationen zum Umsatteln motivieren – nur so können wir die Straßen in unserer wachsenden Stadt entlasten.“ Offenbach ist in den vergangenen zehn Jahren um 20.000 Einwohnerinnen auf eine Bevölkerung von mehr als 141.000 gewachsen: „Schon daher brauchen wir einen neuen Mobilitätsmix, damit wir nicht alle gemeinsam im Stau stehen,“ so Weiß. „Mit einem zügig ausgebauten Radverkehr können wir außerdem die Lebensqualität im Wohnumfeld verbessern und Standortvorteile schaffen.“ Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hatte im Frühjahr 2018 die Mittel für das Verbundprojekt Fahrrad-(Straßen-)Stadt Offenbach – genannt Bike Offenbach – bewilligt und stellte dafür 4,53 Millionen Euro aus den Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative zur Verfügung. Verbundpartnerin ist die benachbarte Stadt Neu-Isenburg, die ebenfalls eine Förderzusage bekam. Die Gesamtkosten des über die Rhein-Main-Region hinaus wegweisenden Projekts liegen bei rund 6,5 Millionen Euro. Das Projekt ist Teil der städtischen Strategie, umwelt- und klimafreundliche Mobilität zu fördern. Bürgermeisterin Sabine Groß betont die Bedeutung von Bike Offenbach für den Klimaschutz. „Wir alle haben auch in diesem weiteren Hitzesommer erlebt, dass der Klimawandel bereits jetzt Realität ist. Jeder Kilometer, der nicht mit dem Auto zurückgelegt wird, zahlt auf das Klimaschutzkonzept der Stadt Offenbach ein. Eine gut ausgebaute Infrastruktur bietet neue Anreize, mehr Strecken mit dem Fahrrad zu bewältigen.“ Für die Umsetzung wurde ein Expertinnenteam zusammengestellt, zu dem unter anderem das Frankfurter Planungsbüro „Radverkehr Konzept“ und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Offenbach (ADFC) gehörten. Mit dem Projektmanagement beauftragte das Stadtplanungsamt die bei den Stadtwerken angesiedelte OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft mbH. Zudem erhielt das Team wissenschaftliche Unterstützung. Ein Team der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach erarbeitete Designkonzepte für die Fahrradstraßen, und die AG Mobilitätsforschung der Goethe-Universität Frankfurt organisierte eine repräsentative Umfrage zum Radfahren vor Ort. Die Hochschule Darmstadt übernahm das Monitoring und die wissenschaftliche Begleitung über die gesamte Dauer des Förderprojekts.

„Mit ihrem Antrag für ein ganzes Netz von Fahrradstraßen war die Stadt Offenbach bundesweit Vorreiter.“

Martin Lanzendorf, Professor für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Mit Teststrecke im Zentrum lernen

Wie sollten Fahrradstraßen und ihr Umfeld gestaltet sein, damit sie als sicher gelten und gerne befahren werden? Diese Frage kam auf, nachdem im Herbst 2018 eine erste Teststrecke eröffnet worden war – bewusst kein Abschnitt in der Peripherie, sondern eine viel befahrene Route ins Zentrum der Stadt. „So konnten wir wirklich etwas aus unseren ersten Erfahrungen lernen“, meint OPG-Projektmanager Ulrich Lemke. Tatsächlich wurde die Einrichtung der Fahrradstraße an sich ebenso diskutiert wie ihre Gestaltung. Einige hielten die Ausweisung der sogenannten Dooring-Zone nahe an parkenden Autos irrtümlich für einen ausgewiesenen Radweg, sodass die Stadt die Gestaltung in Zusammenarbeit mit dem HfG-Team optimierte und die Bürgerinnen diesbezüglich mitentscheiden ließ. Als immer noch viele Autos zu schnell unterwegs waren, richtete das Planungsteam in Abstimmung mit der städtischen Verkehrskommission eine Busschleuse mit Einbahn-Regelung ein, die seitdem den Autoverkehr stadteinwärts von der Fahrradstraße fernhält. In den neu gestalteten Fahrradstraßen im Zentrum sowie in den Stadtteilen hat der Radverkehr Vorrang und damit auch Vorfahrt, die Radelnden dürfen nebeneinanderfahren, und es gilt maximal Tempo 30 für alle. Für Autofahrerinnen gilt, dass Anlieger hineinfahren dürfen, der Durchgangsverkehr aber andere Routen wählen muss. Infowürfel informierten über die neuen Regeln, und die neu definierten Abschnitte erhielten gerade in den Kreuzungsbereichen einen leuchtend roten Anstrich.

Unsere Stadt neu erfahren: Unter diesem Motto bot das Projektteam regelmäßig Radtouren über die neuen Verbindungen an.
Vor Ort für Bike Offenbach im Einsatz: Sukhjeet Bhuller und Ulrich Lemke von der bei den Stadtwerken angesiedelten OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft mbH waren mit Infoständen unterwegs, wenn im Stadtgebiet neue Fahrradstraßen entstanden.

Öffentlichkeitsarbeit schafft Akzeptanz

Vor der Einrichtung jedes neuen Abschnitts gab es umfangreiche Informationen: Mitteilungen für die Medien und auf Social Media, Flyer für die Anwohnerinnen und Stände des Projektteams vor Ort. Um die Stadt neu zu erfahren, fanden jeweils im Frühjahr und Sommer Radtouren für interessierte Bürgerinnen statt. Beim alljährlichen Stadtradeln trat ein Team von Bike Offenbach an, es gab Veranstaltungen zum Einrollen neuer Abschnitte und Infostände bei Straßenfesten. In Zeiten des pandemiebedingten Lockdowns wurden die Infoveranstaltungen und Workshops online angeboten.
Durch die umfassende Öffentlichkeitsarbeit wuchs die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung, auch wenn der Eingriff in bestehende Verkehrsstrukturen ein Gewöhnungsprozess blieb. So wurde auch dieses Projekt – wie viele Verkehrsthemen – kontrovers diskutiert. Den einen ging es nicht schnell genug, sie wollten Autos möglichst ganz aus der Innenstadt verbannen. Die anderen kritisierten schon kleinste Einschränkungen für den Pkw-Verkehr, der aber in der wachsenden Stadt mitten im Ballungsraum Rhein-Main nur einigermaßen fließen kann, wenn mehr Menschen aufs Rad umsteigen. „In Offenbach ist die Anzahl der zugelassenen Pkw von 2011 bis 2021 auf 67.190 und damit um 16,11 Prozent angestiegen. In einer kompakten und dicht besiedelten Stadt wie Offenbach wächst damit die Flächenkonkurrenz weiter an“, so Bürgermeisterin Groß. Bike Offenbach fährt hier einen Mittelweg. Beim Auf- und Ausbau der Fahrradstraßen ging es um ein vernünftiges Miteinander aller Verkehrsteilnehmerinnen – nicht um deren Trennung. Insgesamt scheint das Projekt viel Rückenwind zu erfahren. Wie eine gemeinsame Umfrage der Frankfurter Goethe-Universität und der Offenbacher Hochschule für Gestaltung zeigte, finden fast zwei Drittel aller Autofahrerinnen und 83 Prozent der Radfahrer*innen die Idee der Fahrradstraßen gut.
Die Forschungsarbeit der interdisziplinär arbeitenden Teams, auch zur bereits erwähnten Gestaltung der Fahrradstraßen, ist in die hessenweite Exzellenzforschung LOEWE integriert und hat damit Bedeutung über die Stadtgrenzen hinaus. „Mit ihrem Antrag für ein ganzes Netz von Fahrradstraßen war die Stadt Offenbach bundesweit Vorreiter, was unser Interesse geweckt hat“, berichtet Prof. Dr. Martin Lanzendorf, Professor für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. „Zu Fahrradstraßen und deren Gestaltung gab es davor nahezu keine Forschungen.“ Die Hochschule Darmstadt hat im Rahmen des Monitorings bis Ende September 2022 diverse Vor- und Nachzählungen sowie Geschwindigkeitsmessungen in den Fahrradstraßen und Befragungen realisiert.
Auch die Ausgliederung des Projektmanagements hat Vorbildcharakter. In vielen Kommunen dämpfen personelle Engpässe gerade bei der Verkehrsplanung die Bemühungen, den Ausbau der Radinfrastruktur voranzutreiben. Die Schader-Stiftung aus Darmstadt empfiehlt, in solchen Fällen dem Beispiel aus Offenbach zu folgen. Die Kommunen sollten bestehende Strukturen (wie in diesem Beispiel die OPG bei den Stadtwerken), die entsprechende Erfahrungen und Personalkompetenzen haben, mit der Umsetzung der verschiedenen Projekte und Radverkehrskonzepte betrauen.
Die OPG arbeitet auch daran, die Radverbindungen in den Kreis Offenbach hinein zu verbessern. Das Potenzial zum Umsatteln ist groß, weiß Verkehrsexperte Professor Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt: „Grundsätzlich sind 30 Prozent der mit dem Auto gefahrenen Wege kürzer als drei Kilometer.“ Und viele Kreisgemeinden wie Dreieich oder Heusenstamm liegen nur bis zu acht Kilometer entfernt: „Das ist gerade für E-Bikes eine angenehme Distanz.“

Vorher – nachher: „Anlieger frei“ gilt nun auch für die Taunusstraße. Damit wird das gesamte Offenbacher Nordend als Wohngebiet gestärkt.

Neue Behörde treibt Mobilitätswende weiter voran

Bisher wurden in Verlängerung der neuen Fahrradstraßen in Offenbach weitere neun Kilometer Radachsen – mit Schutzstreifen oder als neue Fahrrad- beziehungsweise Geh- und Radwege – ausgewiesen sowie Kreuzungen und Knotenpunkte fahrradfreundlich gestaltet. Gemeinsam mit Neu-Isenburg, dem Verbundpartner im Förderprojekt, und der Landesbehörde Hessen Mobil gelang es zudem, bis Frühjahr 2022 einen neuen Radweg entlang der Hauptverbindungsstraße zwischen beiden Orten zu realisieren. Dafür wurde die zuvor vierspurige Sprendlinger Landstraße im Rahmen eines zweijährigen Verkehrsversuchs auf zwei Spuren für Autos verringert, wodurch der Radverkehr nun sicherer und schneller unterwegs ist.
Die Marke Bike Offenbach und die Bemühungen in Richtung Mobilitätswende bleiben der Stadt auch nach Ablauf des Förderprojekts erhalten. „Dass wir im Juni 2022 das Amt für Mobilität gegründet haben, ist ein klares Bekenntnis der Stadt Offenbach zur Förderung des Radverkehrs“, betont Bürgermeisterin Sabine Groß. Amtsleiterin ist die frühere Radverkehrsbeauftragte Ivonne Gerdts, die das Förderprojekt von Anfang an begleitete. Mit ihrem Team und den Initiator*innen des Radentscheids hat sie die gerade im Stadtparlament beschlossene Vereinbarung zum Ausbau der Radinfrastruktur erarbeitet. „Damit wollen wir das Radfahren in Offenbach attraktiver machen“, so Gerdts. Insgesamt vereine das neue Amt die strategischen Planungen für den Auto-, Rad- und Fußgängerverkehr gleichberechtigt unter einem Dach, erklärt Sabine Groß. „Ziel ist es, die Lebensqualität für die Menschen in Offenbach zu erhöhen.“ Nun will die Stadt auch gemeinsam mit der Initiative Radentscheid Offenbach die Infrastruktur vor Ort deutlich verbessern. Beide Beteiligten haben sich auf viele kleinere und größere Maßnahmen geeinigt, die es in den nächsten Jahren umzusetzen gilt. Diesem Vorhaben hat die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Offenbach am 15. September 2022 zugestimmt. Demnach möchte die Stadt nun pro Jahr mindestens 600.000 Euro in die Verbesserung der Radinfrastruktur investieren. Zudem ist geplant, diesen Betrag über weitere Fördervorhaben deutlich zu erhöhen.

Radverkehrskonzept Offenbach

Das Projekt Bike Offenbach war und ist ein wichtiger Bestandteil des Radverkehrskonzepts der Stadt Offenbach. Hierzu zählen bereits umgesetzte oder in der Umsetzung befindliche Maßnahmen, wie Einbahnstraßen im Gegenverkehr zu öffnen, die Fußgängerzone für Radfahrende freizugeben und neue Radfahrstreifen im Stadtgebiet aufzubringen. Außerdem umfasst das Projekt eine neue Radwegweisung im Stadtgebiet, abschließbare Fahrradboxen, Verleihstationen für Pedelecs, Call-a-bike-Stationen, einen Radroutenplaner für Schüler*innen und den Fahrradstadtplan.

Mehr Informationen dazu gibt es auf: www.bikeoffenbach


Bilder: Alexander Habermehl, urbanmediaproject