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Die Generation Z denkt ökologisch – und handelt pragmatisch. Flexibel, schnell und bequem soll ein Verkehrsmittel sein. Unterschiede im Mobilitätsverhalten sind erkennbar. Aber wie groß sind sie wirklich? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Mobilitätsentscheidungen Jugendlicher fallen unterschiedlich aus: abhängig von der speziellen Altersgruppe und der sozialen Lage, von Bildungsgrad, Verkehrsprägung in der Kindheit durch das Elternhaus, Stadt oder Land. Zur aktuellen Generation Z (Gen Z), den sogenannten Post-Millennials, gehören junge Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind. In diversen Studien werden manchmal frühere Jahrgänge angesetzt. Zu den jüngeren Befragungen über das Verkehrsverhalten der Gen Z gehört die „Mobility Zeitgeist“-Studie von 2020. Sie wurde für Ford vom Zukunftsinstitut erstellt.

Für junge Erwachsene verbindet sich Mobilität mit dem Wunsch nach Autonomie. Zugleich werden die kostengünstigeren Verkehrsmittel bevorzugt.

Führerscheinfrage: Weniger Bock auf den Lappen?

Die pauschale Aussage, der Führerschein würde unter jungen Erwachsenen an Bedeutung verlieren, stimmt nur teilweise. Nach der Ford-Studie besitzen in der Gen Z (18 bis 23 Jahre) nur noch 72 Prozent einen Pkw-Führerschein. Zum Vergleich: In der Gen Y (24 bis 39 Jahre) waren es noch 87 Prozent. Das Deutsche Kraftfahrtbundesamt veröffentlicht in seinem Zentralregister (ZFER) jährliche Bestandszahlen auch nach Alterskohorten. Während der Führerscheingesamtbestand bei Menschen bis 17 Jahren von 2013 (270.526) bis 2022 (126.953) rückläufig ist, liegt er unter den 21- bis 24-Jährigen in den letzten Jahren konstant bei knapp 2,6 Millionen. Bei der Interpretation der Zahlen gilt zu beachten: Gleichzeitig sank der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass zum Jahresende 2021 etwa 8,3 Millionen Menschen 15 bis 24 Jahre alt waren. Das entspricht einem Anteil von 10 Prozent an der Gesamtbevölkerung. 2013 lag sie noch bei 10,8 Prozent. Zudem gibt das ZFER keine Auskunft über die Ursache rückläufiger Zahlen bei den Erstanwärter*innen auf den Führerschein. Möglicherweise verfahren jüngere potenziell Berechtigte nach dem Motto „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“. Dr. Juliane Stark vom Institut für Verkehrswesen an der Uni Wien sagt für das Nachbarland: „Dass das Führerscheineintrittsalter gestiegen ist, lässt sich signifikant an Zahlen belegen. Für Österreich verschiebt sich der Führerschein von 18,5 auf 20 Jahre.“


Jugendmobilität der Generation Z in Zahlen

10 % (8,3 Millionen) der deutschen Bevölkerung sind 15 bis 24 Jahre alt *

55 % der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland sorgen sich um den Klimawandel **

72 % der Gen Z besitzen einen Führerschein ***

87 % der Gen Y besitzen einen Führerschein ***

58 % der Gen Z besitzen ein Auto (Gen Y: 71 Prozent) ***

46 % der jungen Erwachsenen in der Stadt besitzen ein Auto ***

71 % der jungen Erwachsenen auf dem Land besitzen ein Auto ***

32 % leihen sich lieber ein Auto in der Familie ***

29 % suchen lieber nach Mitfahrgelegenheiten ***

04 % nutzen eine Autovermietung oder Carsharing ***

18 % sehen das Auto als Top-Konsumentscheidung ***

30 % präferieren das Reisen als Top-Konsumentscheidung ***

23 % sehen ein Studium im Ausland als Top-Konsumentscheidung ***

22 % verzichten aus Umweltgründen aufs Auto ***

27 % zählen das Fahrrad zu den am häufigsten genutzten Verkehrsmitteln ***

20 % nutzen Sharing-E-Scooter ***

14 % nutzen Sharing-Bikes ***

48 % der 20- bis 29-Jährigen interessieren sich für Pedelcs ****

78 % der 14- bis 29-Jährigen würden auf ausgebauten Radschnellwegen häufiger pendeln ****

70 % wünschen sich bessere Mobilitätsangebote im ländlichen Raum ***

56 % fordern den Ausbau von Radwegen sowie mehr Stellflächen für Fahrräder ***

63 % wünschen sich zukünftig hohe Umweltstandards, Ressourcen- und Klimaschutz ***

61 % wünschen sich die Verbindung von individueller Mobilität und ÖV ***

* Statistisches Bundesamt – 2021, ** Jugend in Deutschland – Sommer 2022, *** Zeitgeist-Studie, **** Fahrradmonitor 2021


Lieber Reisen, Auslandsstudium oder ein Fahrrad

Klar scheint indes: Der Führerscheinerwerb steht bei den jüngsten Anwerbern nicht an erster Stelle. Das mag am Budget liegen. Immerhin kostet ein Führerschein Klasse B mittlerweile bis zu 3500 Euro. Zugleich steigt die Gen Z später in Beruf und Verdienstmöglichkeiten ein als frühere Generationen. So muss der Führerschein hinter anderen Konsumwünschen anstehen. Schon länger wird beobachtet, dass sich die Präferenzen verschieben: „Jung, deutsch, autolos“, brachte vor wenigen Jahren die Deutsche Welle das gesunkene Jugendinteresse am Auto auf den Punkt. Dort sagte der Wirtschaftssoziologe Holger Rust: „In den Wirtschaftswunderjahren war die individuelle Motorisierung so etwas wie das eingelöste Versprechen der Nachkriegsdemokratie. Beruflicher und persönlicher Erfolg zeigten sich in der Wahl des Autos. Über die Jahrzehnte hat das Auto dann als Statussymbol langsam seine Bedeutung verloren.“ Nach Rust zeigen junge Menschen ihre Milieuzugehörigkeit übers Smartphone, ein bestimmtes Fahrrad oder die Einrichtung ihrer Wohnung. Entsprechend die Ergebnisse der Zeitgeist-Studie: Unter den Top-Konsumentscheidungen rangiert das Auto nur bei 18 Prozent. Bevorzugt genannt werden Reisen oder ein Auslandsstudium. Besaßen in der Gen Y noch 71 Prozent ein Auto, sinkt die Zahl innerhalb der nachfolgenden Gen Z auf 58 Prozent.

Mieten statt Besitzen liegt bei der Gen Z voll im Trend: Die flexiblen E-Scooter sind mittlerweile das am häufigste genutzte Sharing-Modell.

Sharing statt Besitz – außer auf dem Land

Der Trend geht also vom Besitz zum Sharing. So leihen sich 32 Prozent ein Auto lieber innerhalb der Familie. 29 Prozent suchen nach Mitfahrgelegenheiten. Lediglich 4 Prozent nutzen eine Autovermietung oder Car-sharing. Dabei fällt auf, dass das Auto dann als Alternative genannt wird, wenn es an der Infrastruktur hapert. Tenor: „Wenn ich schnell mal irgendwo hinkommen muss und öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu langsam oder zu umständlich sind.“
Dies betrifft besonders ländliche Verkehrsräume mit infrastruktureller, aber auch tradierter Fixierung auf das Auto, die von Kindheit an geprägt wird. Hinzu kommt ein schlecht ausgebauter öffentlicher Verkehr. Auf einen beachtlichen Unterschied zwischen Stadt und Land verweist die Zeitgeist-Studie auch beim Autobesitz: Demnach geben 46 Prozent der Befragten aus der Gen Z in der Stadt an, ein eigenes Auto zu besitzen. Auf dem Land hingegen sind es noch 71 Prozent.
Mobilitätsforscher Weert Canzler schreibt in einem Beitrag für den Datenreport 2021: „Ein Hinweis auf die sich öffnende Schere zwischen Stadt und Land sowie zwischen Jung und Alt könnte sich in der Entwicklung des Pkw-Besitzes von 2002 bis 2017 zeigen. In allen Regionstypen mit Ausnahme der Metropolen ist in diesem Zeitraum der Pkw-Besitz bezogen auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner gestiegen. Das Wachstum ist in den dörflichen und kleinstädtischen Räumen am stärksten. Ein wichtiger Grund dafür dürften fehlende digital unterstützte intermodale Verkehrsangebote sein.“ Die Ursache für eine Negativspirale: „Wo es keine Bus- und Bahnanbindungen mehr gibt, werden beispielsweise auch keine Mietrad- oder E-Scooter-Angebote installiert, wie man sie in fast allen großen Städten kennt. Das bedeutet zugleich, dass die Abhängigkeit vom Auto weiter steigt.“

Zukunftswünsche der Post-Millennials: Mobilitätslücken auf dem Land und für Pendler*innen schließen, klimafreundliche Fahrzeuge, E-Tanken gratis.

Klimakrise nicht die einzige Sorge

Umgekehrt lädt eine entsprechend entwickelte Infrastruktur auch Jugendliche zur Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel ein. Die Ford-Studie fragt nach den Verkehrsmitteln, die am häufigsten an einem Tag genutzt werden. Unter den umweltfreundlichen liegt das Zufußgehen mit knapp 60 Prozent an erster Stelle. Es folgen der ÖPNV mit 47 Prozent und das Fahrrad, das von einem knappen Drittel genutzt wird. Unter den Sharing-Modellen stehen E-Scooter mit 20 Prozent an erster Stelle. Leihfahrräder werden von 14 Prozent, Cargo Bikes von 6 Prozent genutzt.
Laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland – Sommer 2022” der Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann sorgen sich 55 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland um den Klimawandel. Dazu passt, dass 58 Prozent laut Ford-Umfrage ein „ökologisch nachhaltiger, sozial verantwortungsvoller“ Lebens- beziehungsweise Konsumstil wichtig ist. Trotzdem steht unter den fünf häufigsten Gründen, warum die Gen Z kein Auto nutzt, die Klimakrise nicht an erster Stelle. Nur 22 Prozent geben an, aus Umweltgründen aufs Auto zu verzichten. Weitere 13 Prozent sagen, sie verzichten „aus Überzeugung“. Mehr als die Hälfte, 56 Prozent, nutzt stattdessen öffentliche Verkehrsmittel. Rund ein Drittel fährt lieber Fahrrad oder geht zu Fuß. Abschreckend wirken Anschaffung und Unterhalt. Mit 31 Prozent geben ein knappes Drittel an, dass ihnen die Kosten zu hoch sind.
„Jedes Verkehrsmittel hat seine Vor- und Nachteile. Als ,idealʹ wird oft pragmatisch das Verkehrsmittel genannt, das am besten in die derzeitige Lebenssituation der Jugendlichen passt.“ Zu diesem Schluss kommt die Sinus-Jugendstudie, die sich 2016 noch explizit mit der Mobilität von 14- bis 17-Jährigen beschäftigte. Weiter heißt es dort: „Vorteile des Fahrrads sind, dass es (fast) nichts kostet, nicht von einem Fahrplan abhängt und schneller sein kann, da es nicht anfällig für Staus und Streiks ist. Welches Verkehrsmittel am besten ,passtʹ, hängt vom Reisezweck ab.“
Juliane Stark weist darauf hin, dass Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit eine sehr große Rolle spielen: „Da hat das Fahrrad natürlich einen großen Vorteil.“ Isoliert von individueller Abhängigkeit kann die Motivation zur Verkehrsmittelwahl nicht betrachtet werden. Insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen stellt sich die Frage, wie autonom Verkehrsentscheidungen überhaupt getroffen werden können, wenn sie von den Eltern fremdbestimmt sind.

Die Studie fragte nach den 5 am häufigsten genutzten Verkehrsmitteln an einem normalen Tag. In der Grafik fehlt der Favorit: 56 Prozent gehen zu Fuß.

Selbst wenn man die Beifahrer*innen einbezieht, rangiert das Auto nicht mehr unter den Top-Favoriten bei der individuellen Verkehrsmittelwahl.

Gesundheitsfaktor Bewegung

Dabei hat die Verkehrsmittelwahl Auswirkungen auf die Gesundheit junger Menschen. Lediglich ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland erreichen die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Untersuchungen zeigen, dass gleichzeitig die Raten von Fettleibigkeit in jungen Altersgruppen steigen. Mehr als 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Juliane Stark konstatiert eine zunehmende Institutionalisierung der Jugendorte.
Ebenso wenig außer Acht gelassen werden kann die Verkehrssicherheit Jugendlicher: Häufiger als andere Altersgruppen verunglücken die 18- bis 24-Jährigen mit dem Auto. Das Statistische Bundesamt spricht in diesem Zusammenhang von den sieben risikoreichsten Jahren. Schlüsselt man die Todesopfer im Verkehr 2020 nach Verkehrsbeteiligung auf, verunglückten rund 63,4 Prozent der jungen Erwachsenen als Pkw-Insassen. 23.791 dieser jungen Menschen waren Fahrerinnen und 8.030 Mitfahrerinnen. Unter den Ursachen liegt eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ vorn.

Wünsche für die Zukunft

Die Forscherinnen des Sinus-Fahrradmonitors 2021 fragten die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen, welche Verkehrsmittel sie in Zukunft gerne häufiger nutzen würden. Die Hälfte der Befragten nannte das Fahrrad und das Pedelec an erster Stelle. Mit Blick auf Veränderungswünsche für die Zukunft sprachen sich in der Ford-Studie 56 Prozent für eine Stärkung des Radverkehrs durch den Ausbau von Radwegen sowie mehr Stellflächen für Fahrräder aus. 45 Prozent teilten die Ansicht, es sollte in den Metropolen mehr autofreie Zonen geben, die mehr Raum für Fahrradfahrende und Fußgängerinnen bieten. Der Fahrradmonitor erkundete auch das Pendelpotenzial durch Radschnellwege unter den 14- bis 29-Jährigen, die das Fahrrad für den Weg zur Schule, Uni oder zu ihrer Ausbildungsstätte nutzen. Im Ergebnis können sich satte 78 Prozent vorstellen, die Strecke mit dem Rad häufiger als bisher zurückzulegen.
Von der Gen Z wird eingefordert, bestehende Mobilitätsdefizite zu schließen. Auf die Frage „Wo ist Ihrer Meinung nach der Bedarf zur Verbesserung der Mobilität am größten?“, antworten 54 Prozent „im ländlichen Raum“, 46 Prozent „beim Pendeln zwischen Umland und Städten“. 30 Prozent sehen Bedarf bei der „Mobilität innerhalb der Stadt“.
Schließlich halten junge Erwachsene die Multimodalität im Sinne einer Vernetzung der Verkehrsmittel für zukunftsfähig. So sprechen sich 56 Prozent für Mobilitätssysteme aus, „die automatisch für eine schnellere, reibungslose Mobilität mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln sorgen“. Die Hälfte wünscht sich Mobilitätsservices, die selbstständig Verkehrsmittel und Mobilitätsoptionen kombinieren, sodass sie problemloser von Haustür zu Haustür unterwegs sein können.

„Von einem altersgerechten Verkehrssystem profitieren am Ende alle“

Interview mit Dr. Juliane Stark, Institut für Verkehrswesen, BOKU Wien

Frau Stark, welche Motivationen haben Jugendliche, klimafreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad zu nutzen?
Mehr als jeder zweite Jugendliche sagt, die Klimakrise ist das größte Problem, das wir jetzt haben. Daraus leitet sich ein erhöhtes Umweltbewusstsein ab. Aber was bei Jugendlichen nach unseren eigenen Erhebungen bei der Verkehrsmittelwahl eine große Rolle spielt, ist Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit. Da hat das Fahrrad natürlich seinen großen Vorteil.
Wenn wir Jugendliche betrachten, müssen wir auch immer zurückschauen: Wachse ich im Kindesalter in einer nicht fahrradaffinen Familie auf? Dann entwickelt sich das als Jugendlicher nicht noch mal von alleine anders. Verkehrsverhalten ist ein habitualisiertes Verhalten. Hat man im Kindesalter schon verloren, kommt da nicht mehr viel. Da kann ich erst wieder ran, wenn sich ein Lebensumbruch ergibt. Zum Beispiel, dass sie selbst Kinder bekommen oder einen neuen Job starten und umziehen.

Ist der Führerschein unter jungen Menschen out?
Man muss ein bisschen aufpassen mit der Aussage: Wir haben hier einen Trend, die Zahl der Führerscheinneulinge sinkt, wenn alles nach hinten raus kompensiert wird. Dass das Führerscheineintrittsalter gestiegen ist, lässt sich signifikant an Zahlen belegen. Für Österreich verschiebt sich der Führerschein von 18,5 auf 20 Jahre. Leider schleicht sich der coole Effekt dann aus. Es macht auch einen Unterschied, ob ich in der Stadt bin oder auf dem Land. In der Stadt mache ich den Führerschein später. Hauptsache, ich habe meine Mobilität. Aber wenn junge Erwachsene auf dem Land ihre Ausbildung anfangen, sind sie eher affin für den motorisierten Individualverkehr.

Der E-Scooter scheint in der Altersgruppe besonders beliebt zu sein …
Junge Erwachsene sind viel offener für Sharing-Angebote, dieses Nutzen statt Besitzen. Für die E-Roller und Scooter, die ganze Mi-kromobilität. Auch wenn ich kein großer Fan bin, weil sie sich nicht bewegen, wenn sie da draufstehen: Gleichzeitig ist es ein erweitertes Mobilitätsangebot. Es erhöht ihren Aktionsradius. Sie können selbstständig unterwegs sein. Das ist etwas, was extrem zurückgegangen ist: eigenständige Mobilität. Gerade für die letzte Meile ist das sehr wichtig geworden. Von der U-Bahn nach Hause. Aber die Sharing-Angebote sind auch nicht billig. Für alle Wege den Scooter – das machen Jugendliche deshalb sicher nicht.

Welche Herausforderungen besitzt Jugendmobilität unter Gesundheitsaspekten?
80 Prozent der Jugendlichen erfüllen die WHO-Bewegungsempfehlungen nicht. Heute haben die Heranwachsenden teilweise eine geringere Lebensqualität als ihre Eltern. Dabei spielen verschiedene Trends eine Rolle: Dazu gehört die Verhäuslichung, also eher drinnen zu bleiben. Man spricht auch von der Institutionalisierung der Kindheit. Alles ist durchgetaktet. Es fehlen diese Zwischenverbindungen, die man früher einfach mal zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Wenn sie nur einen Standort haben, da hingebracht und abgeholt werden, verlieren sie den Bezug zwischen Räumen. Dabei spielt das Smartphone ebenso eine große Rolle. Viele Dinge werden jetzt im Sitzen oder Liegen durchgeführt.

Wie können Jugendliche in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden?
In einem Vortrag habe ich kürzlich gesagt: „Jeder Weg ist eigentlich ein Schulweg.“ Denn diese Strecke sollte nicht allein hervorgehoben werden. Wie ich aus eigenen Datenerhebungen beobachtet habe: Der Schulweg wird oft brav zurückgelegt mit dem Umweltverbund. Schüler sind aber sehr viel in ihrer Freizeit unterwegs. Ist das Angebot nicht so flexibel, werden sie oft mit dem Elterntaxi kutschiert. Da sehe ich ein großes Potenzial, die Freizeitwege mit einzubeziehen. Die sollten mehr mit dem Rad zurückgelegt werden.
Wichtig ist es, das Verkehrssystem so zu gestalten, dass es kinder- und jugendfreundlich ist. Dabei spielen drei Punkte eine wesentliche Rolle: Die Verkehrsgeschwindigkeit muss runter. Weiter müssen die Sichtbeziehungen gewährleistet sein. Drittens geht es um die Verkehrsmenge des motorisierten Individualverkehrs.
Dann sollten Verkehrsplaner daran denken, Jugendliche auch an Planungsprozessen zu beteiligen. Weil sie eine relativ große Menge der Bevölkerung bilden und ein Recht darauf haben. Jugendliche wollen auch viel Grün, sie haben einen großen Anspruch auf Aufenthaltsqualität, wo sie herumspazieren oder chillen. Habe ich so ein altersgerechtes Verkehrssystem, profitieren davon am Ende alle.
Mit unseren 12- bis 14-Jährigen haben wir geschaut: Wenn ich bewusstseinsbildende Maßnahmen mache und ihnen sage, wie gesund das ist, wie umweltfreundlich und bequem: „Schau mal, diesen Weg könntest du auf jeden Fall mit dem Fahrrad fahren, dann sind schon die Bewegungsempfehlungen der WHO erfüllt.“ Doch ob das überhaupt etwas bringt? Wenn wir in solche weichen Maßnahmen wie Flyer und Hochglanzbroschüren investieren, dann habe ich das Problem, dass es kaum Evaluierungen dazu gibt. Käme später heraus, dass das nicht so viel bringt? Dann sollte ich besser das Geld nehmen und einen Radweg bauen, damit die Infrastruktur attraktiv ist.

Info:

Ford Mobility Zeitgeist 2020

https://media.ford.com/content/fordmedia/feu/de/de/news/2020/09/30/mobility-zeitgeist–ford-studie-untersucht-die-mobile-generation.html

Fahrrad-Monitor Deutschland 2021

https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/StV/fahrrad-monitor-2021.pdf

Jugend in Deutschland – Trendstudie: Sommer 2022

Bilder: iStock – RossHelen, Grafiken: Zukunftsinstitut GmbH, Ford-Werke GmbH 2020, Juliane Stark