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Große Hitze und Starkregen setzen den Innenstädten zu. Um die Folgen des Klimawandels abzupuffern, müssen Stadtstraßen zukünftig deutlich grüner werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Es sind die Städte, die die Folgen des Klimawandels besonders spüren. Während der Sommermonate ist die Hitze im Zentrum ihr größtes Pro-blem. Die asphaltierten Straßen und die Gebäude heizen sich überproportional stark auf und erwärmen wie riesige Heizkörper die Umgebung bis spät in die Nacht. Zudem führen die hohen Temperaturen zu extremen Regen, der die Abwasserkanäle schnell überlastet und zu Überschwemmungen führt. Verkehrsforscherinnen und -planerinnen sind sich einig: Ein weiter so wie bisher können sich Städte und Gemeinden nicht mehr leisten. Ihre Straßen und Plätze sollten zügig an das veränderte Klima angepasst werden.
Dr. Michael Richter erforscht seit Jahren, wie die klimagerechte Straße aussehen kann. Der Geoökologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HafenCity Universität (HCU) in Hamburg und Experte für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung. In den vergangenen Jahren hat er mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des „BlueGreen-Streets“-Projekts Werkzeuge und Methoden entwickelt, um Städte gezielt abzukühlen. Ein zentraler Hebel ist dabei der Umbau der Straßen. „Im Gegensatz zu vielen Gebäuden gehören die Straßen den Städten. Die Politik und die Verwaltung haben es demnach in der Hand, diese Flächen relativ schnell an die neuen Gegebenheiten anzupassen“, sagt er.
In der Praxis heißt das: auf der Fläche zwischen den Gebäuden ausreichend blaue und grüne Infrastruktur einplanen, also ausreichend Flächen für Wasser, Bäume und Grün anzulegen. „Die zentrale Aufgabe ist, den Wasserkreislauf wieder in Gang zu bringen und über Speichersysteme im Boden das Stadtgrün auch während Trockenperioden mit Wasser zu versorgen“, sagt Richter. Nur wenn das gelingt, können Bäume ihre Aufgabe erfüllen und in den Sommermonaten Wasser verdunsten und die Zentren abkühlen.

„Im Gegensatz zu vielen Gebäuden gehören die Straßen den Städten.“

Dr. Michael Richter, HafenCity Universität Hamburg

Königstraße in Hamburg-Altona: Wo jetzt noch Beton und Asphalt den Eindruck prägen, will die Hansestadt eine „Straße der Zukunft“ errichten.

Blaugrünes Projekt

Einige der Elemente, die Richter mit seinen Kolleginnen und Kollegen entwickelt hat, um Stadtbäume besser mit zu Wasser versorgen, wurden im Rahmen von „BlueGreenStreets“-Projekten bereits in Berlin und Hamburg getestet. Außerdem begleiten die Wissenschaftler den Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), den Umbau der Königstraße zur „Straße der Zukunft“. Für Hamburg ist das ein Leuchtturmprojekt. Auf der 1,2 Kilometer langen Straße zwischen der Reeperbahn und dem Altonaer Rathaus verknüpft die Hansestadt Klimaschutz und Klimaanpassung mit der Mobilitätswende.
Es ist ein Umdenken in großem Stil. Die Flächen für die Alltagsmobilität sollen dort in den kommenden Monaten grundlegend neu verteilt werden. Geplant ist, die zwei äußersten Fahrstreifen der vierspurigen Straße jeweils zu 2,5 Meter breiten Protected Bikelanes umzubauen und die Gehwege auf 2,65 m zu verbreitern. Zusätzlich werden mehr Grünstreifen angelegt und 47 zusätzliche Bäume gepflanzt. Sie sollen der Straße Allee-charakter verleihen und Grünanla-gen miteinander verbinden, die noch von der Königstraße zerschnitten werden.
Damit sich die Bedingungen für Radfahrende bereits vorher verbessern, wurden 2021 76 Parkplätze am Fahrbahnrand provisorisch entfernt und mit Farbe zu Radwegen markiert. Fahrspuren können relativ schnell mit Farbe, Poller, Baustellenbaken oder Fahrbahnschwellen in alltagstaugliche Radspuren verwandelt werden. Bei Grünanlagen ist das deutlich schwieriger. Trotzdem lohnen sich laut Richter auch hier provisorische Lösungen.
„Pop-up-Lösungen schaffen sofort Entlastung für Anwohnende, Radfahrer und Fußgänger und überbrücken die Zeit bis zum Umbau“, sagt er. Das zeigt das Beispiel vom Jungfernstieg in Hamburg. Der breite Prachtboulevard mit Blick auf die Alsterfontäne wurde 2020 für den privaten Autoverkehr provisorisch gesperrt. Seitdem teilen sich Radfahrer*innen dort die Fahrbahn mit Bussen und Taxis. In der Mitte der vier Fahrspuren wurden Pflanzkübel für Bäume und Blumen aufgestellt sowie Stadtmöbel zum Verweilen. Seitdem überqueren die Menschen entspannt die Straße und nutzen den gewonnenen Raum. Wird der Zeitplan eingehalten, rücken im kommenden Sommer die Baufahrzeuge an. Dann wird die Breite der Fahrbahn baulich reduziert und an der Wasserseite eine vierte Baumreihe angelegt.
Neue Bäume zu pflanzen oder großzügige Grünanlagen anzulegen, funktioniert in der Regel nur beim Sanieren von Straßen oder im Neubau. Selbst dann ist das Pflanzen von Bäumen laut Richter oft schwierig. Das liegt am Erdreich. Der Untergrund ist in Innenstädten stark verdichtet. Unter der Fahrbahn verläuft eine Vielzahl von Kabeln und Rohren für Gas, Strom, Telekommunikation und vieles mehr. Am Jungfernstieg befindet sich außerdem der Zugang zu einer U- und S-Bahnhaltestelle. Neue Bäume zu pflanzen, ist hier eine Herausforderung. Neben dem Platz im Erdreich für ihre Wurzeln fehlt den Bäumen obendrein oft das Wasser.
Wie in vielen anderen Städten war auch in Hamburg lange die Vorgabe: Regenwasser soll schnellstmöglich in die Kanalisation geleitet werden. In der Königstraße soll dieser Prozess nun rückgängig gemacht werden. „Entscheidend ist, dass wir den Wasserkreislauf wieder in Gang bringen“, sagt Uwe Florin, Mitarbeiter der Abteilung „Grün“ beim Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG). Mit Mitarbeitern des „BlueGreenStreets“-Projekts will die LSBG verschiedene neue Systeme testen, um die entsiegelten Flächen zu bepflanzen und zu bewässern. Das saubere Niederschlagswasser von den öffentlichen Flächen wird in der Königstraße direkt zu den Bäumen oder in die Grünflächen geleitet, damit es dort versickern kann. Das entlastet bei Starkregen das Siel und reduziert das Risiko von Überschwemmungen.
Für die Bäume werden außerdem sogenannte Baumrigolen angelegt. Ihr Markenzeichen ist, dass ihre Pflanzmulden größer sind als die herkömmlicher Stadtbäume. Das gilt für die unversiegelte Oberfläche wie für die Pflanzmulde. Zudem leiten die verwendeten Materialien, wie Kies und andere Substrate, das Regenwasser entweder direkt ins Grundwasser und ins umliegende Erdreich oder sie speichern es wie ein Schwamm, um es nach und nach ins umliegende Erdreich abzugeben. Auf diese Weise sollen Bäume Hitzeperioden besser überstehen und an heißen Tagen die Umgebung kühlen.

Vorher, nachher: Der Sankt-Kjelds-Platz in Kopenhagen ist nach dreijähriger Umbauphase kaum wiederzuerkennen.

Bäume machen einen Unterschied

Mehr Bäume sind entscheidend, um das Stadtklima zu verbessern. Sie sind natürliche Klimaanlagen. Ihr Blätterdach hält die Sonnenstrahlen ab und beim Verdunsten von Wasser kühlen sie ihre Umgebung. „Im Idealfall senkt ein ausgewachsener Baum die Temperatur seiner Umgebungsluft um etwa fünf Grad“, sagt Florin. Das steigert die Aufenthaltsqualität und macht Radfahren oder Zufußgehen selbst an heißen Tagen erträglich.
„Wir versuchen blue-green, also mehr Wasser und Grün, inzwischen bei jeder Straßenbaumaßnahme in Hamburg umzusetzen, und es gelingt uns sehr häufig“, sagt Professorin Dr. Gabriele Gönnert, die bei der LSBG den Fachbereich Hydrologie und Wasserwirtschaft leitet. Aber die Flächenkonkurrenz ist groß – auf der Straße wie im Untergrund.
Torsten Perner kennt das aus seinem Alltag. Er ist Verkehrsplaner bei Ramboll, einem international tätigen Beratungsunternehmen, das auch im Bereich Stadt- und Verkehrsplanung tätig ist. „Die verschiedenen Behörden, die Industrie, die Wirtschaftskammer, Umweltverbände und viele andere ringen bei der Planung um jeden halben Meter Straßenraum“, sagt er. Um die Straßen jetzt fit für die Zukunft zu machen und ausreichend Platz für Grünanlagen und für den Rad- und Fußverkehr unterzubringen, sei ein Umdenken bei der Stadt- und Verkehrsplanung notwendig. „Wir müssen die Straße neu denken“, sagt er, „sie ist mehr als Verkehr auf 20 bis 40 Meter Breite.“ Gut gestaltet werde sie zum attraktiven Aufenthaltsraum mit verschiedenen Funktionen, den die Menschen gerne passieren.

Der Steindamm zählt nicht unbedingt zu Hamburgs schönsten Straßen. Dass bei der Umgestaltung der Straße kaum Parkplätze entfernt wurden, ändert daran wenig.

Umdenken nach Milliardenschaden

Wie das aussehen kann, macht Kopenhagen vor. Die dänische Hauptstadt war zwischen 2010 und 2014 dreimal von Starkregen und Überflutungen betroffen. Der stärkste Wolkenbruch im Juli 2011 überflutete Straßen und Keller und verursachte Schäden von fast einer Milliarde Euro. Daraufhin hat die Stadtverwaltung mit dem Kopenhagener Ver- und Entsorgungsbetrieb 2012 den Sky-brudsplan (Wolkenbruchplan) beschlossen. Dieser legt fest, wie die Stadt zukünftig vor Überschwemmungen geschützt werden soll. 300 Projekte wurden innerhalb von drei Jahren identifiziert, die in den nächsten 20 Jahren schrittweise umgesetzt werden, um die Stadt zur Schwammstadt umzubauen.
Dazu gehören der Sankt-Kjelds-Platz und die angrenzende Straße Bryggervangen im Stadtteil Osterbro. Etwa 25 Prozent der Fläche des Platzes und der Straße wurden entsiegelt und zu einem grünen Regenwasserschutzgebiet umgewandelt. Der Boden ist dafür teilweise abgesenkt worden und es wurden 586 neue Bäume gepflanzt. Bei Starkregen kann sich das Wasser in den Vertiefungen sammeln und langsam versickern.
Wer sich die Vorher-Nachher-Bilder anschaut, erkennt die Umgebung rund um den Platz und die Straße Bryggervangen nach dreijähriger Umbauphase kaum wieder. Wo früher der Boden versiegelt war und Autos parkten, laufen heute Passanten auf verwinkelten Wegen zwischen Bäumen und Büschen zur Arbeit, zum Einkauf oder zum Parkhaus. Zahlreiche begrünte Ecken und Nischen mit und ohne Sitzgelegenheiten laden die Anwohner*innen dazu ein, Zeit draußen zu verbringen.
Der Sankt-Kjelds-Platz und die Bryggervangen Straße wurden komplett neu strukturiert. Um Ähnliches in Deutschland zu realisieren, müssten nach den Ramboll-Experten alle Beteiligten Abstriche machen. Stets mit dem Ziel vor Augen, die Straße fit für den Klimawandel zu machen. „Dazu gehört, dass Radfahrer sich mit schmaleren Wegen zufriedengeben, wenn die Straße zu schmal ist“, sagt Perner. Im Gegenzug drosseln Autofahrer ihr Tempo auf 30 km/h, damit Radfahrer sicher unterwegs sind. Das funktioniert momentan jedoch nur in der Theorie. In der Praxis dürfen laut Straßenverkehrsordnung die Verkehrsplaner Tempo 30 nur in Ausnahmefällen anwenden.
Ein schnelles Mittel, um mehr Grün in die Straßen zu bringen, ist laut Perner auch der Umbau von Parkplätzen an Hauptverkehrsstraßen. „Mit dem gezielten Abbau dieser Parkplätze kann schnell viel Fläche für Grün geschaffen werden“, sagt Perner. Für ihn ist das überfällig. Aber viele Städte tun sich damit schwer. Auch Hamburg. Beim Umbau der Hauptstraße Steindamm wurden von den 132 Parkplätzen beispielsweise nur 31 entfernt.
„Bisher ist die Klimaanpassung eine freiwillige Aufgabe von Kommunen“, sagt Richter. Er fordert einen zentralen Klimaanpassungsplan, der bundesweit gültig ist. „Nur so schaffen wir es, schnell von der Phase der Pilotprojekte zur Standardanwendung in der Praxis zu kommen“, sagt er. Die Zeit drängt. Das hat der Sommer 2022 gezeigt.

Zukunft Schwammstadt

Für etliche Stadtplanerinnen und Verkehrsforscherinnen ist die Schwammstadt eine Lösung, um die Städte an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Wenn es regnet, sollen die Grünflächen so viel Wasser aufnehmen und speichern wie nur möglich. Richtig angelegt, haben sie eine Doppelfunktion. Sie werden zu einem natürlichen Klärwerk. Die Pflanzen, Erdreich und Mikroorganismen filtern die schädlichen Inhaltsstoffe aus dem Wasser, bevor es tiefer in den Boden sickert.
So können die Grundwasserspeicher wieder aufgefüllt werden und die wie Schwämme vollgesogenen Böden über längere Zeit Wasser an die Pflanzen ringsum abgeben. Berlin investiert massiv in neue Stauräume. Bis 2024 sollen gut 300.000 Kubikmeter Zwischenspeicher entstehen. Bei starken Regenfällen soll das Wasser über Notwasserwege auf Sport- und Spielplätze fließen, um kritische Infrastrukturen zu schützen. Damit soll verhindert werden, dass das alte Mischkanalsystem überläuft und das Schmutz- und Regenwasser ungefiltert samt schädlicher Stoffe in die Gewässer fließt.

Link zu Toolbox A und B

Mit seinen Kolleginnen hat der Wissenschaftler im Rahmen des „BlueGreenStreets“-Projekts die einen Leitfaden nebst Praxisbeispielen entwickelt. Beides soll Planerinnen und Praktiker*innen dabei helfen, Lösungen für ihre Straßenzu entwickeln.

repos.hcu-hamburg.de/handle/hcu/638


Bilder: SLA, Andrea Reidl, stock.adobe.com – Jusee