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Wird Tempo 30 zum neuen Standard?

Angesichts hoher Todeszahlen im Verkehr einigte man sich Mitte der 1950er-Jahre erstmals auf eine Tempobegrenzung in Ortschaften. Heute stellt sich die Frage, ob Tempo 50 noch zeitgemäß ist. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Viele Städte setzen europaweit inzwischen auf niedrigere Geschwindigkeiten als Tempo 50 und auch die WHO forderte in diesem Jahr Tempo 30 als weltweite Norm. Die Zahlen würden die positiven Effekte untermauern. Das Umweltbundesamt hat sich in einer Broschüre aus dem Jahr 2017 mit den Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen beschäftigt und kommt zum Schluss, dass es überwiegend positive Folgen wie Gewinne bei der Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung und bei den Aufenthaltsqualitäten, gibt. Gleichzeitig werde die Auto-Mobilität nicht übermäßig eingeschränkt. Das Bundesverkehrsministerium lehnt Tempo 30 innerorts dagegen bislang entschieden ab. Eine Absenkung der Regelgeschwindigkeit in Gemeinden sei „nicht erforderlich und nicht sinnvoll“. Das sehen nicht nur viele Städte und Kommunen inzwischen anders und fordern größere Gestaltungsspielräume zur Verkehrslenkung, zum Beispiel bei der Gestaltung der Gebühren für das Anwohnerparken und eben auch der Abkehr von Tempo 50 als Regelgeschwindigkeit in den Städten. Wie deutlich sich die Einführung von Tempo 30 auf die Unfallzahlen auswirkt, zeigt die Umgestaltung der Kölner Ringe, einer beliebten Flaniermeile, die in der Vergangenheit regelmäßig Raser und Autoposer anzog. Im Jahr 2016 gab es hier laut Polizeistatistik 291 Unfälle mit Verletzten und schwerem Sachschaden. Nach der Einführung von Tempo 30 und der Umwidmung von Teilabschnitten der Fahrbahn in Radwege waren es 2017 nur noch 102 Unfälle und 2019 sogar nur noch 94. Aktuell wird das Projekt, das auf die Initiative #RingFrei zurückgeht, die dafür mit dem Deutschen Fahrradpreis 2019 in der Kategorie Kommunikation ausgezeichnet wurde, Stück für Stück weiter ausgebaut.

EU: Tempobremse ab 2022

Die EU verpflichtet Auto- und Lkw-Hersteller ab 2022 auf eine ganze Reihe von elektronischen Assistenz- und Kon-trollsysteme. Eine „Intelligent Speed Assistance“ soll beispielsweise Fahrzeugführer bei einer dauerhaften Überschreitung des Tempolimits durch akustische und visuelle Signale warnen, dazu soll es eine Tempobremse geben. Weiterhin geplant sind unter anderem Datenrekorder, Alkoholkon-trollsysteme sowie Abbiege-assistenten, Sensoren und Kameras für Lkw.

Die Zukunft des Stadtverkehrs ist langsam und bunt!

Kommentar von Reiner Kolberg

Wir brauchen eine bessere In-frastruktur und ein besseres Verständnis für Radfahrer! Oder doch besser für E-Bike-Fahrer und E-Tretroller-Nutzer? Was ist eigentlich mit E-Cargo-Bikes und mehrspurigen Fahrzeugen wie Pedelcars und neuen 45-km/h-Mobilen wie S-Pedelecs, Motorrollern oder Microcars wie dem Citroën Ami? Ich denke, man lehnt sich angesichts der aktuellen Entwicklungen und künftigen Erfordernisse nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass die Mobilität des nächsten Jahrzehnts nicht mehr eine Entscheidung zwischen dem eigenen Auto, dem privaten Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr sein wird. Schon heute ist der Verkehr in Großstädten geprägt von einem bunten Mix aus verschiedensten Mobilitätslösungen, die je nach Verfügbarkeit, Ziel, Fahrtzweck, Wetter und Budget flexibel genutzt werden. Neue nachhaltige, sprich vor allem mit Blick auf die CO2-Bilanz emissionsarme und gleichzeitig erschwingliche Fahrzeugkonzepte passen in eine Zukunft, die die Bevölkerung mit großer Mehrheit will und die nach dem Dafürhalten von Klimaökonomen wohl mittel- und langfristig auch alternativlos ist. Was eher nicht in diese neue Welt passt, sind Mischverkehre mit hohen Geschwindigkeiten, bis auf den letzten Meter zugeparkte Städte und in jeder Hinsicht überdimensionierte Autos, die abseits der Prüfstände die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in aller Deutlichkeit zeigen. Wer von neuen Technologien redet, mit denen sich die weitere Verschärfung der Klimakrise vermeiden lässt, oder dem Erreichen des gesetzten Ziels Vision Zero kann und darf heute nicht mehr auf Klein-Klein setzen oder auf das übernächste Jahrzehnt verweisen, in dem autonome Fahrzeuge oder Flugtaxis (sic!) die Probleme von heute möglicherweise lösen – ziemlich wahrscheinlich aber eben nicht. Das Momentum für eine aktive Veränderung ist da und auch die nötigen Technologien und Konzepte sind alle vorhanden. Jetzt kommt es auf uns an. Die Zukunft des Verkehrs ist bunt, spannend und sie beginnt genau jetzt. Also, Ärmel hochkrempeln und gerne (nach)machen. Abkupfern von anderen Ländern und Städten ist ausdrücklich erlaubt.


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