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Online-Beteiligung hat gerade durch die Corona-Pandemie viel Aufwind erhalten. In den kommenden Jahren dürften bestehende und neue Methoden ihre Wirkung entfalten und Verwaltungen noch näher mit den Bürger*innen zusammenbringen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Ein Radwegenetz zu entwickeln kann echte Kleinstarbeit sein. Auch wenn dieses Netz instand gehalten werden soll, zeigen sich manchmal viele kleine Schwierigkeiten. Damit ein Radweg im täglichen Leben seine volle Wirkung entfaltet, muss er sich in ein Geflecht aus sozialen Gewohnheiten und baulichen Strukturen einfügen. Diese lassen sich vom planerischen Reißbrett aus nur bedingt überblicken. Umso nützlicher ist es, in der Planung nah an den Bürgerin-nen zu handeln. Bürgerbeteiligungen können Kommunen helfen, dieses Wissen zu heben und daran anzuknüpfen. „Die Radfahrer, die dort jeden Tag langfahren, wissen natürlich genau, wo es hakt“, sagt Christin Pfeffer. „Sie kennen die Schlaglöcher und Stolperstellen und wissen auch genau, wo noch Entwicklungsbedarf bei der Radmobilität besteht.“ Pfeffer ist für die Wer denkt was GmbH tätig. Das Darmstädter Unternehmen bietet unter anderem Partizipationsmaßnahmen an. Die gelebte Expertise der Menschen, die ein Wegenetz tagtäglich nutzen, lässt sich gerade durch bestimmte Online-Werkzeuge gut und niedrigschwellig nutzbar machen. Dazu zählen zum Beispiel sogenannte Mängelmelder. Das sind Online-Plattformen, auf denen Bür-gerinnen einer Stadt auf Mängel im Bestand hinweisen können. Das können etwa Glasscherben oder Schlaglöcher auf einer Strecke sein, die den Weg qualitativ abwerten. Die Lösung mängelmelder.de von Wer denkt was ist auch als App verfügbar. Sie ist nicht nur für den Radverkehr hilfreich, sondern steht den Bürger*innen als allgemeines Sprachrohr zur Verfügung. Auf der Karte lassen sich auch Einträge für illegal entsorgten Müll oder defekte Straßenbeleuchtung erstellen und mit einem Foto und dem genauen Standort des Mangels einreichen. Auf der Website sind Zuständigkeiten für bestimmte Ortsabschnitte oder organisatorische Bereiche hinterlegt. „Niemand muss die Anliegen einzeln sichten und entscheiden, ob für diesen Fall Kollege A, B oder C zuständig ist. Das wird alles im Rahmen der Einführung einer solchen Plattform definiert und im System hinterlegt. So erfolgt die Zuordnung anhand von Kategorie, Ortsposition etc. automatisch und das beschleunigt die internen Abläufe bei der Bearbeitung erheblich“, so Pfeffer.

Kartenbasierte Beteiligungsplattformen erlauben es, schnell Mängel zu erkennen und auf diese zu reagieren. Städte können sie aber auch für neue Planungen einsetzen.

Hinweisen und kommentieren

Mit Dialogplattformen können Städte einen anderen Fokus setzen, denn diese dienen eher dem Austausch. „Die Dialogplattform dient vor allem der Diskussion von Vorhaben oder der Ideensammlung für zukünftige Planungen. Hier geht es also um politische Entscheidungsprozesse. Die Mängelmeldeplattform dient dagegen der unmittelbaren Bearbeitung eines Anliegens und zielt auf direktes Verwaltungshandeln ab. Jede Meldung ist mit einer direkten Aktion in der Verwaltung verbunden. Es werden somit unterschiedliche Ebenen angesprochen. Das ist der große Unterschied“, erklärt Christin Pfeffer.
Auf dieser Art Online-Plattform können die Radfahrerinnen dann einbringen, wo sie schwer einsehbare Stellen wahrnehmen oder wo es immer wieder zu brenzligen Situationen mit Autofahrerinnen kommt. Während ein Mängelmelder meist auf unbestimmte Zeit zur Verfügung steht, ist eine Dialogplattform üblicherweise nur ein paar Wochen oder Monate offen. Nach Ende dieses Beteiligungszeitraums werden die Hinweise und Kommentare ausgewertet. Den Dialog können Planerinnen suchen, um Meinungen zu bereits geplanten Strecken einzuholen. Alternativ ist die Methode auch geeignet, um Meinungen zu sammeln und sie anschließend in ein Konzept zu überführen. Wie erfolgreich eine Beteiligungsphase abläuft, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Pfeffer erzählt von einem Beispiel aus Wuppertal, bei dem in drei Wochen Laufzeit 400 Beiträge und 1700 Bewertungen zustande kamen. Dieses Ergebnis sei relativ gut. Das hänge aber auch damit zusammen, dass Online-Beteiligungen dieser Art in der Stadt kein Novum mehr sind. Die Bürgerinnen kennen die Methode und konnten Vertrauen in das Verfahren entwickeln. Allgemein müssten Beteiligungen einen thematischen Nerv treffen, so Pfeffer. Wenn eine Idee dann doch nicht umgesetzt wird, sollte das ebenfalls erklärt werden. Das beeinflusse dann, wie die nächste Beteiligung läuft.

„Die Radfahrer, die dort jeden Tag langfahren, wissen natürlich genau, wo es hakt. Sie kennen die Schlaglöcher und Stolperstellen und wissen auch genau, wo noch Entwicklungsbedarf bei der Radmobilität besteht.“

Christin Pfeffer, Wer denkt was GmbH

Kommunikation ist Handarbeit

Besonders wichtig ist, dass die Bürgerschaft überhaupt mitbekommt, dass eine Beteiligung stattfindet. Maßnahmen sollten schon im Vorfeld angekündigt werden. Diese Informationen breit zu streuen, bedarf einigen Aufwands, weiß auch Hanna Kasper. Sie ist Geschäftsführerin des Unternehmens Translake GmbH, das sich mit Bürgerbeteiligung befasst. „Das ist auch ein bisschen Handarbeit, dass man das in die Stadtgesellschaft hineinverteilt“, so Kasper. Translake begleitet die Kommunikationsstrategien der Kommunen, die am besten breit aufgestellt sein sollten und viele Kanäle nutzen.
Geeignete Kommunikationswege gibt es viele, darunter Plakate, soziale Medien, Zeitungsbeiträge oder auch Aufkleber auf der Straße. Neben der breit gestreuten Kommunikation an die Bürgerschaft sollten bestimmte Akteure auch direkt angesprochen werden. „Die Stakeholder sind den Planungsorganisationen eigentlich immer schon bekannt“, meint Kasper. Dazu zählen Naturschutzverbände, die Landwirtschaft, Interessensvertretungen wie ADFC und VCD ebenso wie Unternehmen, die an der geplanten Strecke liegen.
Als sehr gelungen wertet Kasper die Beteiligungsprozesse zum Radverkehrsnetz in Tübingen. Dort begleitete Translake die Fortschreibung des bestehenden Radverkehrskonzepts unter anderem mit einer Beteiligungsstrategie und der digitalen Beteiligungskarte Mitmap. Auf dieser konnten Bürger*innen vier Wochen lang Ideen und Vorschläge für Routen, Radabstellplätze und zum Thema Sicherheit in die Planung einbringen. „Wir halten dann die Bürgerinnen und Bürger auf dem Laufenden. Bei einem Hinweis wird der Umsetzungsfortschritt angezeigt. Da reicht ein Zeitungsbericht nicht. Wenn wir die Leute schon dabeihaben, sollten wir sie einbinden.“ In Tübingen kamen dabei rund 3000 Feedbacks zusammen. Jeweils zur Hälfte handelte es sich dabei um Hinweise, zur anderen Hälfte um Kommentare. Besonders gut habe die Stadt Tübingen die Partizipationsformate kommuniziert.

Crowdmapping nutzt das Wissen der Bürger*innen. Diese sind sich nicht immer einig, können sich in den Kommentarspalten zu einzelnen Hinweisen aber austauschen.

Online-Beteiligungen mit einer Auftakveranstaltung zu beginnen, erzeugt einen Spannungsbogen, meint Hannna Kasper. Sie ist Geschäftsführerin des Unternehmens Translake GmbH.

Beteiligungswege kombinieren

Für die Plattformen gab es eine digitale Auftaktveranstaltung, an der rund 100 Bürgerinnen teilnahmen. „Dass man so einen gemeinsamen Auftakt hat, schafft in gewisser Weise einen Spannungsbogen und auch noch mal Aufmerksamkeit in den Medien“, erklärt Hanna Kasper. Auch in den Auftaktveranstaltungen können die Bürgerinnen das Crowdmapping direkt nutzen und die Beiträge sofort sehen. „Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Hinweise auf der Karte auch gleich zu sehen sind, weil das motiviert, wenn man sieht, was andere da gedacht haben. Man kann sich auch ein Bild machen, wie unterschiedlich die Perspektiven auf ein Thema sind. Eine leere Karte motiviert nicht zum Mitmachen.“
Dass passive Beteiligungsportale durch solche Begleitveranstaltungen nicht der einzige Partizipationsweg sind, hat gute Gründe. Selbst bei einer gelungenen Kommunikationsstrategie spricht Online-Partizipation Menschen, die nicht digitalaffin sind, einfach nicht an. Gleichzeitig haben Online-Formate ihre eigene Zielgruppe. „Leute in Schichtarbeit oder Familien mit kleinen Kindern, Leute, die man sonst nie bei Beteiligungen bekommt, die erreicht man hier eher“, so Kasper.
Unterschiedliche Formate haben ohnehin ihre spezifischen Eigenschaften. Beteiligungskarten sind zeit- und ortsunabhängig. Dadurch können die von einer Planung betroffenen Menschen sie flexibler nutzen. Eine Veranstaltung hingegen, egal ob online, vor Ort oder hybrid, gibt den Bürgerinnen die Möglichkeit, die Planungsvorhaben mit einem Gesicht zu verbinden. Außerdem können die Verwaltungen dort Input in die Bürgerschaft geben. Für gute Veranstaltungen, insbesondere im digitalen Raum, braucht es kurze, knackige und gut gebriefte Beiträge. Eine Schlüsselrolle komme außerdem der Moderation und dem Zeitmanagement zu. Komplexe Themen sollten die Referentinnen verständlich vermitteln können, so Kasper. Zugute kommt den digitalen Formaten sicher, dass die Abstandsregeln der Corona-Pandemie diese normalisiert und als Katalysator für sie gewirkt haben. „Online-Beteiligung gibt es schon länger. Aber mit dem Start der Pandemie ist das Interesse an digitalen Formaten spürbar angestiegen“, meint Christin Pfeffer.
Dass die Menschen in Zukunft noch digitalaffiner werden, ist ein realistisches Szenario. Neuere, verbesserte technische Möglichkeiten dürften dann auch in der Partizipation Einzug erhalten. Im Kontext des Smart-City-Trends dürften Crowdmappings in Zukunft mehr Daten einbeziehen, schätzt Christin Pfeffer. In den Karten ließe sich dann auch die Luftqualität und Verkehrsflüsse darstellen. Auch die sogenannte Gamification, also der Versuch, Prozesse spielerischer zu gestalten, dürfte vor Beteiligungsprozessen nicht Halt machen. „Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger zu motivieren und insbesondere schwierig zu erreichende Zielgruppen zu aktivieren“, erklärt Pfeffer. In einem Forschungsprojekt der TU Darmstadt, in welches auch die Wer denkt was GmbH eingebunden ist, wird zudem erforscht, wie Künstliche Intelligenz dazu beitragen kann, Sprachbeiträge auf crowd-basierten Plattformen automatisch zu verarbeiten und zu erstellen. Hier gibt es besonders im englischsprachigen Raum große Durchbrüche. Mit der deutschen Sprache scheinen diese noch etwas auf sich warten zu lassen.

„Der digitale Zwilling ist sehr breit aufgestellt. Wir haben begonnen mit dem Thema Mobilität, sind aber auch beim Thema Energie- und Wärmeplanung, Circular Economy und generell Stadtentwicklung und Stadtplanung längst angekommen.“

Markus Mohl, Kompetenzzentrum Digitaler Zwilling

Neben Filmen und einer Web-Anwendung kann die Münchner Kommunalverwaltung den digitalen Zwilling auch einsetzen, um Planungsvorhaben in der virtuellen oder erweiterten Realität zu zeigen.

Der digitale Zwilling ist mehr als ein 3D-Modell. Die Stadt setzt die „digitale Infrastruktur auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stadt“ auch in der Planung ein.

Mehr als ein 3D-Modell

In drei deutschen Großstädten wird ein Teil der zukünftigen Entwicklungen bereits heute erprobt. 2021 begann das Pilotprojekt Connected Urban Twins, an dem neben den Städten Leipzig und Hamburg auch München beteiligt ist. Zum Einsatz kommt die Methode eines digitalen Zwillings. Dabei handelt es sich um ein virtuelles Abbild der Stadt, das deutlich über die Funktionen eines 3D-Modells hinausgeht. Der Münchener Projektleiter Markus Mohl erklärt, was dieses Modell besonders macht. „Digitaler Zwilling heißt eben noch viel mehr. Das bedeutet, wir rechnen damit auch Analysen und Simulationen, zum Beispiel Luft-Schadstoff-Modellierungen. Der digitale Zwilling ist sehr breit aufgestellt. Wir haben begonnen mit dem Thema Mobilität, sind aber auch beim Thema Energie- und Wärmeplanung, Circular Economy und generell Stadtentwicklung und Stadtplanung längst angekommen.“ Der Stadtrat sieht den Zwilling als digitale Infrastruktur, die München auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stadt begleiten soll. „Wichtig dabei ist, dass der digitale Zwilling nutzerzentriert ist. Das sind natürlich bei der Öffentlichkeitsbeteiligung die Bürgerinnen und Bürger, aber es geht genauso auch um die Fachbereiche in der Verwaltung. Die sollen unterstützt werden, um ihr Vorhaben, das sie präsentieren möchten, besser darstellen zu können und auch besser intern darüber sprechen zu können.“
Bei Beteiligungsverfahren kommt das Modell als Web-Anwendung zum Einsatz. Es können aber auch Filme produziert werden, die zum Beispiel den Bestand und eine geplante Veränderung im Überflug nebeneinanderstellen. Ein Vorteil, so Mohl, ist, dass die gezeigten Bilder realistischer sind als sonstige Visualisierungen. „Es sind keine Pläne von einer Agentur, sondern es sind die Daten, mit denen die Verwaltung tatsächlich arbeitet“, erklärt er.
Der digitale Zwilling erlaubt es der Stadt München, bei der Öffentlichkeitsbeteiligung auch Augmented Reality (AR – erweiterte Realität) und insbesondere Virtual Reality (VR – virtuelle Realität) einzusetzen. Mohl erzählt von einem Beispiel aus dem vergangenen Sommer. „Es gab eine Informationsveranstaltung und wir sind mit VR-Brillen und Tablets rausgegangen und die interessierte Anwohnerschaft konnte die Brillen aufsetzen, sich ein wenig orientieren, wie es jetzt aussieht und dann umschalten, wie so eine Vision aussehen könnte.“ Die neue Technik steigere die Akzeptanz für Baustellen und rege den Austausch an, so Mohl. „Erst mal ist es natürlich auch nur Technik, aber es regt dazu an, darüber zu diskutieren, weil man es auch schnell versteht.“ Weitere Funktionen des digitalen Zwillings sollen in Zukunft ausgerollt werden. Denkbar ist viel, zum Beispiel könnte sich die Berufsfeuerwehr auf dem Weg zum Einsatz schonmal mit der Situation vor Ort vertraut machen. Zunächst scheint das Modell sich positiv auf den Planungsalltag und Beteiligungsprozesse auszuwirken. Bei einem Stadtteilfest im neu entstehenden Münchner Stadtteil Freiham brachten Mohl und seine Kolleg*innen drei VR-Brillen mit. „Die Bürgerinnen und Bürger haben sich bei uns bedankt, weil sie gesagt haben: ‚Okay, jetzt kann ich mir endlich mal vorstellen, was hier alles entsteht, weil ich sehe nur Baustelle“, erklärt Mohl.


Bilder: Stadt Tübingen, griesheim-gestalten.de, Wer denkt was GmbH, Landeshauptstadt München