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Mitarbeiterbindung: eine Antwort auf den Fachkräftemangel

Im Mai letzten Jahres haben wir mit dem Experten für strategische Personalarbeit im öffentlichen Sektor Rolf Dindorf ein Interview zum Thema Mitarbeitergewinnung geführt. Denn überall in den öffentlichen Verwaltungen fehlt Personal. Sein Credo: Kommunalverwaltungen müssen mit einem strategischen Personalmanagement langfristig gezielt planen. In seinem aktuellen Gastbeitrag geht es nun um das wichtige Thema Mitarbeiterbindung – vom „Onboarding“ neuen Personals bis zum Thema „Arbeit mit 67“. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


In Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel gewinnt die Mitarbeiterbindung in den Kommunen deutlich an Bedeutung. In den nächsten zehn Jahren scheiden etwa 30 Prozent der kommunalen Bediensteten aufgrund ihres Alters aus dem Dienst. Aktuell werden Angaben des dbb Beamtenbundes zufolge in den Kommunalverwaltungen etwa 145.000 Mitarbeitende gesucht. Da der Wettbewerb um Fachkräfte auf dem Markt enorm ist, gilt es stark umworbenes Personal wie z.B. Bauingenieure zu halten. Neben der Personalgewinnung wird somit auch das Binden von Beschäftigten ein zentraler Bestandteil der Personalstrategie.

29,4 %

Rund ein Drittel der Mitarbeitenden
in den Kommunalverwaltungen
scheidet in den nächsten zehn Jahren aus.

Warum das Thema Personalbindung von Bedeutung ist

„Land unter“ wird es in den nächsten Jahren verstärkt in Kommunalverwaltungen heißen. Fachkräftemangel in Bereichen wie Radverkehrsplanung, Kindergarten, Pflege, Landschaftsarchitektur, IT usw. führen zu hoher Arbeitsbelastung, schlechter Stimmung, schleppenden Planungs- und Prüfungsprozessen, unzufriedenen Bürgerin-nen und Fluktuation in den Rathäusern. Auch die Verkehrswende kommt nur langsam voran. Sorgenfalten erzeugen schon heute die Planung und der Bau von Qualitätsradwegen und zusammenhängenden Radwegenetzen. Die Personallage in den Ländern und Kommunen wird sich durch veränderte Mobilitätskonzepte noch verschärfen. Die Zahl der Neueinstellungen wird rapide steigen. Gleichzeitig reicht die Zahl der Berufsanfän-gerinnen nicht, damit der Nachfrage Rechnung getragen werden kann. Häufig unterschätzt wird in den Verwaltungsspitzen der wachsende Wettbewerb um Mitarbeitende innerhalb des öffentlichen Sektors. Wer sich frühzeitig auf die Entwicklung einstellt und geeignete Bindungsmaßnahmen einleitet, wird sich beim Kampf um die besten Köpfe auf der Gewinnerseite wiederfinden. Weiterhin lohnt sich die Mitarbeiterbindung auch aus wirtschaftlicher Perspektive: Wenn weniger Mitarbeitende wechseln, entfallen die Kosten für Personalgewinnung und Einarbeitung. Führungskräfte müssen seltener Bewerbungsgespräche führen und Mitarbeitende weniger Zeit für aufwendige Einarbeitungsprozesse aufbringen. Auch die Einschaltung eines Headhunters – über die Kommunen zunehmend nachdenken – entfällt.

Totengräberstimmung beim Arbeitgeberimage?

Ein attraktives Arbeitgeberimage als Teil einer Personalstrategie fällt nicht vom Himmel. Es erfordert einen Marathon aus Fleiß, Disziplin, Strategie, Innovation, Geld und Willen seitens der Verwaltungsleitung. Das Angebot an attraktiven Ausbildungsplätzen ist eine Möglichkeit, sein Arbeitgeber-image aufzuwerten. Doch für ein solches Angebot muss auch systematisch geworben werden. Nicht jeder Jugendliche (und deren Eltern) kennt die angebotenen Jobs wie beispielsweise Fachkraft für Straßen- und Verkehrstechnik. Positives Beispiel: Gelsenkirchen. Die Stadt wirbt unter anderem auf Instagram mit einer attraktiven Personalgewinnungskampagne.
Klappern gehört zum Handwerk, haben sich mehrere deutsche Städte gesagt. Unter dem Dach der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) wurde der Animationsfilm „Das Berufsbild als BauingenieurIn oder VerkehrsingenieurIn in der kommunalen Bauverwaltung“ produziert (Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=ZkxECFxKS5g). Illustriert wird die Vielseitigkeit der Aufgaben im Umfeld von kommunaler Mobilität, Verkehrsplanung und Straßenbau.

Woher nehmen? Deutschlandweit herrscht in den kommenden Jahren ein hoher Mangel an Fachkräften. Alarmierend sind die Zahlen für den öffentlichen Sektor. Mitarbeitergewinnung und -bindung kann man deshalb gar nicht hoch genug einschätzen.

Mitarbeiterbindung – 10 praxisorientierte Lösungen

Wie lässt sich eine verbesserte Mitarbeiterbindung in Landes- und Kommunalbehörden erreichen? Auf der Höhe der Zeit agieren Verwaltungsspitzen mit einer ausgefeilten Personalstrategie, die sowohl Personalgewinnungsstrategien als auch Mitarbeiterbindungslösungen umfasst.
Erfahrungsgemäß haben sich folgende Ansätze bei der Personalbindung bewährt:

  1. Statt Vogel-Strauß-Politik gilt es Ursachenforschung in den Rathäusern und Landesämtern zu betreiben. Warum verlassen uns qualifizierte Mitarbeitende? Was haben wir falsch gemacht? Wo können wir uns verbessern? Das verlangt eine systematische Analyse und konsequente Umsetzung der Schlussfolgerungen.
  2. Jede öffentliche Verwaltung muss eine glaubhafte Mission besitzen. „Egal, wie sehr die Welt sich verändert, die Menschen haben immer noch das elementare Bedürfnis, ein Teil von etwas zu sein, auf das sie stolz sein können. Sie haben ein elementares Bedürfnis nach Leitwerten und Zielen, die ihrem Leben und ihrer Arbeit Sinn geben.“ (Prof. Peter Drucker: Die fünf entscheidenden Fragen des Managements. Weinheim 2009. S.51.) Gerade in der immer komplexeren Arbeitswelt suchen Beschäftigte nach Sinn in der Arbeit. Punkten Sie daher mit einer Mission und sinnstiftenden Führungskultur. Das untermauert die Mitarbeiterbindung.
  3. Setzen Sie eine Duftnote beim Bewerbungsprozess. Eine effiziente Mitarbeiterbindung beginnt schon mit dem Bewerbungsprozess. Im Vorfeld der Einstellung sollte geprüft werden, ob der oder die Bewerbende zur Kreisverwaltung passt. Hat derjenige etwa zu hohe Erwartungen oder gänzlich andere Bedürfnisse, stimmt die Passung zwischen Dienstherr und Bewerbendem nicht. Demotivation oder Kündigung sind absehbar.
  4. „Am ersten Tag gab es keinen Schreibtisch und Stuhl für mich.“ Ein geschickter Schachzug liegt im richtigen Einarbeiten (Onboarding) neuer Mitarbeitender. Die Erfahrung zeigt, dass hier noch viel Luft nach oben liegt. Personalgewinnung endet nicht mit der Zusage. Der Prozess umfasst ein umfassendes Onboarding-Programm. Ein effektiver Einarbeitungsprozess (gerade auch in Zeiten von Corona) trägt deutlich zur Mitarbeiterbindung bei.
  5. Ein wesentlicher Bestandteil der Roadmap zur erfolgreichen Mitarbeiterbindung ist ein modernes Arbeitsumfeld. Manche Amtsräume verströmen den Charme der 80er-Jahre. Die Arbeitsplätze (technische Ausstattung) und Raumkonzepte sind digital, flexibel und teamorientiert umzugestalten. Damit die moderne Arbeitsweise in der kommunalen Bauverwaltung gelingt, bedarf es auch der steten (!) technologischen IT-Ausstattung. Eine technische Frischzellenkur – nicht nur in den Gesundheitsämtern – ist zwingend erforderlich. Dabei gilt es gedanklich einen Grundpfeiler einzurammen: Die digitale Transformation einer wissensbasierten Verwaltung erfordert ein regelmäßiges Update der digitalen Infrastruktur. Entsprechendes muss im Haushaltsplan berücksichtigt werden.
  6. Greifen Sie durch: Zeigen Sie individuelle Entwicklungsmöglichkeiten auf. Fehlende Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten führen zur Frus-tration. Eine Fachlaufbahn ohne Personalverantwortung ist ein weiteres Beispiel für Mitarbeiterbindung. Die hybride Arbeitswelt braucht digitale Kompetenzen. Was versteht man unter digitalen Kompetenzen? Etwa die Umwandlung eines Word-Dokumentes in ein PDF? Oder doch mehr? Wer verfügt über welche digitalen Kompetenzen in welchem Umfange (Stichwort: strategischer Fort- und Weiterbildungsplan)? Sind die Ausbildungsinhalte noch zeitgemäß? Deutlich wird, dass man nicht am falschen Ende sparen darf. Investitionen in die Fort- und Weiterbildung der Führungskräfte und Mitarbeitenden (strategische Kompetenzen, Medienkompetenz, Selbstmanagement, Eigenverantwortung, hybrides und agiles Führen, Informations- und Datenkompetenz, Veränderungsbereitschaft, Problemlösungskompetenzen, Vertrauen) sind zwingend über Jahre erforderlich, damit die nötige Breitenwirkung erzielt wird. Ergänzend müssen Verwaltungsspitzen über Anreize nachdenken, wie sich die Beschäftigten in den Amtsstuben für ein digitales Mindset öffnen.
  7. Verfolgt man die Diskussion um den Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor, geht es rasch darum, wie sich (junge) Fachkräfte der Generation Z gewinnen lassen. Wo bleibt die Generation Silberhaar? Wer „Arbeiten bis 67“ beschließt, muss auch entsprechende Anstellungsangebote machen. Lippenbekenntnisse allein reichen da nicht. Beim Blick auf die demografische Entwicklung wird klar, dass die Generation Z nicht reichen wird, die Lücken der Babyboomer in der öffentlichen und privaten Wirtschaft zu schließen. Die strategische Personalentwicklung im öffentlichen Dienst wird sich daher verstärkt der Generation 50plus zuwenden müssen. „Jung schlägt Alt“ ist immer noch in den Köpfen zahlreicher Führungskräfte auf der Kommandobrücke des öffentlichen Dienstes. Dabei hat ein 50-jähriger Radverkehrsplaner noch 17 Jahre zu arbeiten. „Jung und Erfahren – Hand in Hand“ lautet die zukunftsorientierte Zusammenarbeit zur Steigerung der Produktivität, Vermeidung von Fehlzeiten und zum Erhalt wertvollen Erfahrungswissens. Doch wie gelingt der erfolgreiche Schulterschluss zwischen der Generation Z und den Babyboomern? Die Praxis zeigt: Durch kombinierte Teams aus Jung und Erfahren steigern Sie Ihre Produktivität und Mitarbeiterbindung. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher Stärken und Kompetenzen in altersgemischten Teams nutzen Sie die vorhandenen Potenziale der Mitarbeitenden optimal. Die Mitarbeitermotivation wächst.
  8. Transparenz, Mitbestimmung und mehr Eigenverantwortung fordern die Mitarbeitenden auch im öffentlichen Dienst. Es sind keineswegs nur die jüngeren Verwaltungsangestellten der Generation Z, die so denken. Die wachsenden Ansprüche an den Arbeitgeber sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wer Mitarbeiterbindung ernsthaft angehen möchte, kommt um ein Hinterfragen der Verwaltungskultur nicht herum. Sicherheit allein ist für (hoch) qualifizierte Fachkräfte wie Bauingenieurinnen oder IT-Spezia-listinnen kein ausreichender Grund zu bleiben. Ansätze agiler Verwaltungskultur einschließlich agiler Werte sind ein Weg zur Steigerung der Personalbindung. Agile Methoden (u.a. Kanban, Design Thinking, Daily Stand-up Meetings), Führen auf Augenhöhe, sinnorientierte Tätigkeit, Innovation, individuelle Fortbildung oder Projektarbeit sind hier nur einige Schlagworte des Wertewandels der wissensorientierten Beschäftigten. Der Aufbruch in die Zukunft einer modernen Verwaltung erfordert Mitarbeitende in den (Bau-)Ämtern mit digitalen, beruflichen und fachübergreifenden Kompetenzen (Soft Skills) und Einstellungen (Mindset). Damit aus der agilen Verwaltung kein Strohfeuer wird, braucht es eine strategische und nachhaltige Personalentwicklung. Es reicht nicht mehr, nur Fortbildungskataloge vorzulegen.
  9. Machen Sie Ihre Führungskräfte fit, damit die Köpfe und Herzen Ihrer Mitarbeitenden erreicht werden. Die beste Form von Führung lässt sich nur durch ein stets aktuell gehaltenes Führungskräfteentwicklungsmodell erreichen. Sie erkennen beispielsweise Chancen und Nutzen digitaler Angebote. Daher agieren Führungskräfte als Vorbilder digitaler Anwendungen (Register, Datenbanken, E-Akte usw.). Oder wie formulierte es Reinhold Messner treffend: „Es fehlt an Visionen. Wir brauchen keine neuen Religionen und Sekten, wir brauchen starke Persönlichkeiten, die zeitbezogene Lebenshaltungen verbreiten können, weil sie sie selbst verkörpern, vorleben.“ (Reinhold Messner: Berge versetzen. 2010. S. 234.)
  10. Bazooka Homeoffice: Erkenntnisse aus der Krise aufarbeiten. Zum Lackmustest wird die Zeit nach der Pandemie. Was bleibt davon (Homeoffice und mobiler Arbeit) übrig? Wie wird es weiterentwickelt? Mitarbeitende setzen auf Verlässlichkeit. Systematisch gilt es eine teilweise durch Zufall entstandene Führungs- und Arbeitskultur in den Regelbetrieb zu transformieren. Dazu bieten sich Dienstvereinbarungen wie in Speyer (Dienstvereinbarung zur Modernisierung und Digitalisierung in der Stadtverwaltung Speyer) an.

Fazit: In Mitarbeiterbindung investieren lohnt sich!

Wer es noch nicht getan hat, sollte spätestens jetzt damit anfangen: Die Mitarbeiterbindung in den personalpolitischen Fokus nehmen. Es gilt eine Kultur der Personalbindung in den Verwaltungen zu etablieren. Je länger jetzt noch gewartet wird, desto härter wird der Fachkräftemangel die einzelnen Behörden treffen.



Rolf Dindorf

unterstützt den öffentlichen Dienst und angelehnte Dienstleistungsbranchen seit über 15 Jahren bei der strategischen Personalarbeit. Er kennt die aktuellen Herausforderungen und Rahmenbedingungen öffentlicher Organisationen und weiß, wie die Führungskräfte und Mitarbeitenden ticken. Er kämpft dafür, Personal so wichtig wie Finanzen zu sehen.
Praxisnah und mit einer übergreifenden, ganzheitlichenPerspektive hilft er öffentlichen Einrichtungen, strategisches Personalmanagement neu zu denken. Themenschwerpunkte unter anderem: agile Verwaltung, digitales Führen und mobiles Arbeiten, demografischer Wandel sowie sinnstiftende Unternehmenskultur.

Mehr Informationen unter rolf-dindorf.de


Bilder: Bild: stock.adobe.com – Andrey Popov, dbb 2021