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Bikepacking bedeutet Fahrradfahren mit Gepäck. So viel zur Bedeutung dieser jungen Wortneuschöpfung. Aber was unterscheidet Bikepacking von den typischen Radreisen? Und welche Wünsche und Herausforderungen beschäftigen die Szene?

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Erschöpft, aber glücklich am Ziel. Stefan Barth am Cabo de Sao Vincente, dem südwestlichsten Punkt Europas, und gleichzeitig Endpunkt des knapp 7600 km langen European Divide Trail.

Daniel Gruber, Vorstand des Bikepacking Deutschland e.V., bringt auf den Punkt, wofür Bikepacking steht: „Radurlaub ist Urlaub mit dem Rad. Der Urlaub ist eine wichtige Komponente. Beim Bikepacking hingegen geht es darum, dass ich Rad fahren will. Es hat dadurch eine notwendige sportliche Komponente. Das Radfahren steht im Mittelpunkt.“ Daraus ergeben sich drei wesentliche Punkte, die diese Form des Radfahrens kennzeichnen.

  1. Die Ausrüstung ist minimalistisch
    Das Fahrverhalten des Rads soll möglichst vom Gepäck unbeeinflusst bleiben. Das Rennrad soll nach Möglichkeit trotz verschiedener Bikepacking-Taschen aerodynamisch und relativ leicht bleiben. Das Gravel- oder Mountainbike soll trotz kompletter Ausrüstung noch agil und wendig auf den Trails sein. Wie minimalistisch die Ausrüstung am Ende tatsächlich ist, schwankt zwischen Bikepacker*innen deutlich. Aber der Drang zur Reduktion eint sie. Schwere Gepäckträger mit klobigen Satteltaschen links und rechts sind nur die Notlösung.
  2. Die sportliche Komponente lockt zu Events
    Das Radfahren steht im Mittelpunkt. Wer einen Radurlaub macht, fährt nicht notwendigerweise das ganze Jahr über viel Fahrrad. Wer einen Bikepacking-Trip plant, trainiert gerne ganzjährig, um während des Trips möglichst fit zu sein und trotz einer großen Strecke viel Spaß zu haben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Bikepacking-Szene zahlreiche Events etabliert haben. Hier treffen sich Gleichgesinnte und fahren dieselbe Strecke im selben Zeitraum. Das Spektrum reicht dabei von kompetitiven Rennen auf der Straße bis hin zu möglichst idyllischen Routen in entlegenen Gegenden.
  3. Radsport und Outdoor-Erlebnis verschmelzen
    Beim Bikepacking kommen der Radsport und das Outdoor-Erlebnis zusammen. Einige Bikepackerinnen betreiben Bikepacking mit klarem Fokus auf das sportive Element. Im Vordergrund steht die Teilnahme an Events mit dem Ziel, möglichst schnell enorm große Distanzen zu überwinden. So etwa beim „Transcontinental Race“. Hier fahren die Athletinnen ca. 4000 km quer durch Europa – die Schnellsten in weniger als neun Tagen. Andere hingegen verspüren den Drang, vor der eigenen Haustür loszufahren und ihren Sehnsuchtsort zu erreichen – sei es nun das Mittelmeer, die Alpen oder die Ostsee. Beiden Gruppen ist jedoch gemein, dass das „Draußensein“ ein elementarer Bestandteil des Bikepacking ist. Zwar steht das Radfahren im Mittelpunkt, aber dennoch muss irgendwo übernachtet werden.

Grundbedürfnisse beim Bikepacking

Bikepacking beinhaltet immer Reduktion und einen gewissen Minimalismus. Entsprechend ist die Erwartungshaltung der Bikepacker*innen im Grunde genommen gering. Nichtsdestotrotz gibt es einige Basisbedürfnisse. Diese lassen sich herunterbrechen auf geeignete Routen, Übernachtungsmöglichkeiten und eine gute Infrastruktur zur An- und Abreise.
Egal ob die Bikepacking-Tour mit dem Rennrad auf der Straße oder mit dem Gravel- beziehungsweise Mountainbike offroad stattfindet, eine schöne Route ist das A und O eines gelungenen Bikepacking- Trips. Unter anderem liegt genau hierin ein Grund verborgen, warum sich in der Bikepacking-Szene so viele Events etablieren konnten. Es geht nicht nur um das geteilte Erlebnis oder den kompetitiven Charakter, sondern auch um liebevoll und mühsam gescoutete Routen. Denn trotz moderner GPS-Computer und digitaler Kartendienste ist die Planung einer schönen Tour äußerst mühsam. Wo gibt es Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten? Was sind landschaftliche Highlights? Wo ist wenig motorisierter Verkehr? Wo sind die Wege nicht überlaufen? Wo darf ich überhaupt Fahrrad fahren? All diese Fragen wirken trivial, sind aber in der Praxis mitunter nur mühsam recherchiert und beantwortet.
Denn im Vergleich zu einer Wanderung oder einem Radurlaub mit der Familie ist das Einzugsgebiet schnell riesig. Das Extrembeispiel wurde bereits oben mit dem „Transcontinental Race“ geliefert. 4000 km. Das sind viele Regionen, Bundesländer, Länder. Und verdeutlicht: Auch ein kürzerer Bikepacking-Trip von nur einigen Tagen ist oft grenzüberschreitend und mit entsprechenden Hürden in der Informationsbeschaffung verknüpft.

Übernachtung: Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun

Insbesondere bei kompetitiven Events setzen viele Bikepackerinnen auf die Übernachtung im Hotel oder Gasthof. Unter freiem Himmel ruhen sie sich lediglich tagsüber kurz aus. Der Großteil der Bike-packerinnen allerdings entschei-det sich bewusst für das Übernachten in der Natur. Das Erlebnis des draußen Schlafens ist Teil des Abenteuers. Auch hier kommt minimalistische Ausrüstung zum Einsatz. Ein kleiner Biwacksack, je nach Wetter kombiniert mit einer Isomatte und einem Schlafsack, genügt den meisten. Bei ausgedehnten Trips oder harschen Wetterbedingungen kommen auch kleine Zelte, Tarps (leichte abspannbare Planen) und Hängematten zum Einsatz. Die Erwartungshaltung an den Schlafplatz als solches ist gering. Eine Trinkwasserquelle und eine Trockentoilette sind wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig. Eine viel größere Problematik ergibt sich aus der Frage: Wo dürfen Bikepackerinnen überhaupt mal kurz die Augen zu machen und sich ausruhen? Offizielle Biwack-Zonen oder Trekkingplätze sind in Deutschland eine Seltenheit und vor allem schwierig aufzufinden. Viele Bikepackerinnen fühlen sich daher beim draußen Übernachten unwohl. Es ergibt sich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Dabei geht es in der Regel nur darum, sich nachts etwas auszuruhen. Der Vergleich mit klassischem Camping hinkt. Entsprechende Ausrüstung fehlt und gesucht ist kein Rastplatz für einen langen Aufenthalt, sondern lediglich ein Schlafplatz.

Um auch die technischen Passagen gut meistern zu können, muss das Mountainbike trotz Ausrüstung leicht und wendig bleiben. Beim Schlafkomfort darf auf einer langen Tour dennoch nicht gespart werden. Zelt, Daunenschlafsack, Luftmatratze und Kissen sind mit dabei.

An- und Abreise ungern mit dem Auto

Wer seine Freizeit auf dem Rad verbringt, möchte den Bikepacking-Trip nicht unbedingt mit einer langen Autofahrt beginnen oder beenden. Aber für die An- und Abreise per Rad reicht oftmals die Zeit schlichtweg nicht aus. Gesucht sind daher Destinationen mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr – und zwar inklusive Fahrradmitnahme. Wer im Sommer einmal versucht hat, einen Fahrradplatz im ICE zu reservieren, weiß, wie rar diese aktuell gesät sind.

Transparenz und zentrale Informationsmöglichkeiten

Um die Erwartungen der Bikepacker*innen zu erfüllen, bedarf es keiner großen Infrastruktur. Bereits mehr Transparenz und zentrale Anlaufstellen zur Informationsbeschaffung wären ein großer Schritt. Für eine mehrtägige Wanderung findet sich eine Karte oder ein Reiseführer mit allen nötigen Informationen inklusive Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten. Bei den zahlreichen hervorragend ausgeschilderten Wanderwegen in Deutschland ist während der Tour selbst ein Blick auf die Karte oftmals überflüssig. Beim Bikepacking ergibt sich jedoch das Problem der großen Distanz. Einzelne Routen sind nicht vernetzt. Die Informationen über Schutzhütten, Trekkingplätze etc. ist verteilt und im schlimmsten Fall nicht einmal digitalisiert. Gerade letzterer Punkt bietet ein enormes Potenzial. Die Routenplanung erfolgt primär über digitale Anbieter wie etwa Komoot oder Ride with GPS. Analoge Beschilderung ist dank Smartphone und Fahrradnavi kaum noch notwendig. Wenn Destinationen beispielsweise ihr Angebot an legalen Übernachtungsmöglichkeiten dort verfügbar machten, würde dies die Planung enorm erleichtern. Ähnliches gilt für die Routen. Gerade im Offroad Bereich mangelt es oftmals an der Transparenz, welche Wege befahren werden dürfen und welche in dieser speziellen Region gegebenenfalls nicht. Von den Regionen kuratierte Routen, die untereinander vernetzt sind, würden diesem Problem begegnen.

Es fehlt an Biwack-Zonen und Trekkingplätzen

Absolute Mangelware sind aktuell die naturnahen Übernachtungsmöglichkeiten. Auch hier ist die Verbesserung der Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung der erste Schritt. Dennoch sind mehr Initiativen zur Schaffung von legalen Biwack-Zonen, Trekkingplatzen und Ähnlichem gefragt. Eine Vorreiterrolle in Europa nimmt hier Dänemark ein. Landesweit gibt es zahlreiche kleine Shelter in verschiedensten Ausprägungen. Mit und ohne Zeltwiese, weit abgelegen oder sogar direkt am Fährhafen, mit Trinkwasser und Trockentoilette oder nur als Wetterschutz. Die Koordinaten und Ausstattung der Shelter finden sich zentral in einer App beziehungsweise online. Besser geht es kaum.
Ähnliche Angebote finden sich auch in Deutschland. In Schleswig-Holstein betreibt die Stiftung Naturschutz etwa einige Trekkingplätze. Zum Teil befinden sich diese auf dem eigenen Stiftungsland, andere hingegen sind auf Privatbesitz. Derartige Angebote erhöhen die Attraktivität einer Region für Bikepacker*innen enorm. Idealerweise sind sie nicht nur auf den eigenen Websites geteilt, sondern in zentraleren Informationskanälen enthalten. Mit kleinen Schritten wie diesen lassen sich die Bedingungen für das Bikepacking spürbar verbessern.


Bilder: Deuter – Florian Meinhardt, Stefan Barth

Alles für Microadventure und Bikepacking

von Gunnar Fehlau

Ein Abenteuer muss nicht groß sein – und schon gar nicht teuer, weiß Gunnar Fehlau aus vielfältiger eigener Erfahrung. Der Gründer vom Pressedienst-Fahrrad lebt das mit dem Rad und teilt in der handlichen Fibel sein Wissen und seine Begeisterung. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


„Abenteuer erlebt, wer sich auf sie einlässt“, schreibt der als Komiker bekannte Rad- und Outdoor-Enthusiast Wigald Boning im Vorwort und empfiehlt, die Freizeit nicht vor Bildschirmen, sondern „im wahren Leben“ zu verbringen. Damit trifft er ein allgemeines Lebensgefühl in unserem allzu durchorganisierten, serviceverwöhnten und wohltemperierten Umfeld. Aber wie und womit anfangen?
Gunnar Fehlau kennt als begeisterter Querfeldeinradler und Outdoor-Overnighter die Glücksgefühle aus der Praxis, genauso aber auch die inneren und äußeren Hemmschuhe, technische Tücken und sonstige Fallstricke. Sein Tipp: „Raus aus dem Büro, rauf aufs Rad und für die Nacht oder ein Wochenende in die Natur. Das Erlebnis beginnt direkt vor der eigenen Haustür.“ Damit nicht jeder die gleiche, oftmals anstrengende Lernkurve wie er selbst machen muss, hat er das handliche Buch geschrieben, in dem wirklich alles behandelt wird. Von der Vorbereitung und Eigenmotivation „Jetzt! Gegen alle Widerstände“ über Anfängerfehler „Niemals ohne …“ bis hin zu Tipps für Outdoor-Routiniers „Die Sache mit dem Schmerz“. Weitere Themen im Überblick: alles Wissenswerte zum richtigen Material und zur richtigen Ausrüstung; Survival-Know-how und Wissenswertes zu Übernachtungen in der Natur; Tipps zur Tour-Planung.
Angesichts der Aussicht wie einfach und schön das Leben eigentlich sein kann, und des Frusts, der sich schnell einstellt, sobald man merkt, dass man eine eiserne Kalorienration, eine Notfalldecke oder Kabelbinder doch sehr gut hätte brauchen können, eine sehr gute Investition. Unser Tipp: Beschenken Sie sich selbst, Freunde oder ihre Familie mit dem Buch – und einer gemeinsamen Tour.

Auszug Klappentext

Man braucht nicht viel für eine Kurzreise mit dem Fahrrad inklusive Übernachtung. Was man benötigt, lässt sich leicht am Rad unterbringen – und schon kann das „Feierabenteuer“ beginnen. Eine Radtour, ein Lagerfeuer, eine Übernachtung unterm Himmelszelt.


Rad und Raus: Alles für Microadventure und Bikepacking | von Gunnar Fehlau | Verlag Delius Klasing | 2. Auflage 2018 | 160 Seiten | Taschenformat 12,7 × 18,6 cm | ISBN 978-3-667-10929-3 | 16,90 Euro


Bilder: Verlag Delius Klasing, Gunnar Fehlau

Kleine Outdoor-Abenteuer als erholsame Fluchten vom Alltag liegen im Trend. Und das Thema Bikepacking schickt sich an, aus dem Nischendasein auf die große Bühne zu treten. Gunnar Fehlau, Fahrradexperte, Buchautor und nicht zuletzt begeisterter Anhänger dieser neuen Form des sportlichen Radtourismus abseits üblicher Routen erläutert die Hintergründe und Chancen für den Tourismus. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


„Backpacking“ bezeichnet im englischen Sprachraum Rucksackreisen. Diese erfolgen keinesfalls aus „Geldmangel“, sondern sind in der Regel eine bewusste Entscheidung. Das Reisen mit dem Rucksack bringt einen in Regionen, die ansonsten nur schwer zugänglich sind. Man ist nahe an Land und Leuten und man erlebt sich selbst bei der direkten Interaktion mit Witterung und Topografie sehr intensiv. Unter anderem in Gestalt des modernen Pilgers ist dies auch in Europa in den vergangenen Jahren populär geworden. Das Bikepacking überträgt diese Idee aufs Fahrradfahren: mit leichtem Gepäck durch mitunter schweres Gelände Touren fahren.

Nordamerika mit extremer Mountainbike-Route Vorreiter

Ausgangspunkt des Bikepacking-Trends ist die „Great Divide Mountain Bike Route“ – die längste Mountainbike-Reiseroute der Welt. 1996 publizierte Michael McCoy für die Adventure Cycling Association diese Route als Kartenset. Sie führt vom kanadischen Banff/Alberta die US-kanadische Grenze und die amerikanische Wasserscheide entlang über die Rocky Mountains bis nach New Mexiko. Die in vielerlei Hinsicht extreme Tour ist 4.418 Kilometer lang und ihre Anstiege summieren sich auf 61.000 Höhenmeter. Macher Michael McCoy sieht über 50 (Tages-)Etappen vor. Montainbike-Sportler John Stamstad legte sie im Sommer 1999 im „Wettkampfmodus“ binnen 18 Tagen, 5 Stunden und 37 Minuten zurück. Weil die Strecke Passagen von bis zu 160 Meilen (ca. 257 km) ohne Versorgungsmöglichkeiten umfasst, packte Stamstad eine leichte Campingausrüstung ein und sorgte für genügend Platz, um ausreichend Lebensmittel verstauen zu können. Aus der Not, nur wenige Versorgungsmöglichkeiten zu haben, wurde eine Tugend: Das Prinzip Selbstversorgung (Self Support Racing), das jede Art privater Unterstützung verbietet, war geboren. 2010 erschien der Film „Ride the Divide“, der das Rennen entlang der Wasserscheide international bekannt machte und für einen weltweiten Boom sorgte. Mittlerweile gibt es einen reichlich gefüllten Veranstaltungskalender mit Bikepacking-Fahrten unterschiedlicher Längen und Schwierigkeitsgrade auf der ganzen Welt.

Bikepacking ist bestens geeignet, um mit Kindern in der Natur unterwegs zu sein. Auch toll: ein gemütlicher Lagerplatz mit Blick auf die Lichter der abendlichen Stadt. So macht Bikepacking Spaß –­ entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt.

Neue Produkte fördern den Trend

Die Ausrüstung für solche Fahrten, aber auch kleinere Abenteuer, hat sich inzwischen vom herkömmlichen Mountainbike- und Packtaschensortiment emanzipiert. Fahrradhersteller wie die US-Marke Salsa oder der deutsche Hersteller Bombtrack setzen voll aufs Thema „Adventure by Bike“ mit Rädern, die spezifisch fürs Bikepacking optimiert sind. Sie bieten Komfort und Zuladung, ohne die Sportlichkeit und das Tempo aus den Augen zu verlieren. Wichtigstes Merkmal der Ausrüstung sind die speziellen Taschen, die ohne ausladende Gepäckträger direkt am Rahmen, Lenker und Sattel verzurrt werden. So bleibt das Rad im Gelände handlich.

Corona als Trend-Beschleuniger

Corona kann man zweifelsohne mit als Beschleuniger des Bikepacking-Trends verstehen. In Kombination mit der Idee Mikroabenteuer entdecken viele Menschen das Fahrrad als neues Urlaubsvehikel im direkten häuslichen Umfeld, aber auch für kleine Touren und Reisen in Deutschland oder dem nahen Ausland. Zudem machen die Sportlichkeit und Naturnähe das Bikepacking für ambitionierte Radfahrer attraktiv, die sich von gemütlichen Radreisen entlang von Flussläufen nicht angesprochen fühlen. Weiterhin wird das Thema Bikepacking von der steigenden Verbreitung des sogenannten Gravelbikes befördert. Dieses „Breitreifen-Rennrad“ bringt viele Radfahrer von gut ausgebauten Radwegen und Straßen häufig und gerne auf neue Pisten wie Schotterwege (daher der Name Gravel), schlechte Straßen und Waldwege.

Kundengruppen und Wechselwirkung mit Angeboten

Gegenwärtig ist die Bikepacking-Szene noch sehr homogen: abenteuerinteressierte, naturverbundene und sportliche Radfahrer, vorwiegend männlich. Das ist jedoch gerade im Wandel: Hersteller bieten erste Kinderräder mit direktem Bikepacking-Bezug an und auch Frauen sind zunehmend in diesem Reisestil unterwegs. Dazu kommt, dass eine Wechselwirkung zum touristischen Angebot besteht: Regionale Beispiele zeigen klar, dass nicht erst eine größere Nachfrage vorhanden sein muss, um ein Angebot erfolgreich werden zu lassen. Anders gesagt: Es bieten sich vielfältige neue Optionen, um touristische Angebote gezielt zu erweitern, neue Kundengruppen anzusprechen, die Bekanntheit als Raddestination zu erhöhen und das Image zu verbessern.

Kundengruppen gezielt erschließen

Zur Adressierung der wachsenden Gruppe der Bikepacker empfiehlt sich folgender Dreiklang:

Routen
Bikepacker sind durchaus technikaffin. Insofern ist es nicht mehr zwingend notwendig, eine Strecke zu beschildern oder als Karte zu drucken. Letztlich reicht eine Download-Möglichkeit für einen GPS-Track. Dieser sollte aber technisch (keine unnötigen Punkte), aktuell (Stichwort Baustellen, Wegsperrungen usw.) und klar sein. Klar meint, dass der Track abbildet, was angekündigt wird. Eine MTB-Strecke sollte dementsprechend gemäß den gängigen Schwierigkeitsstufen klassifiziert sein und eine Gravel-Strecke sollte Straßen meiden, ohne deckungsgleich mit einer technisch anspruchsvollen MTB-Strecke zu sein. Auch ist es erfahrungsgemäß sinnvoll, lieber verschiedene Versionen einer Route anzubieten, als dass ein Track diverse Schleifen dreht, um Sehenswürdigkeiten, Umfahrungen von technischen Trials oder Anfahrten zu Restaurants zu integrieren.

Rasten
Wo bekomme ich warme Speisen, wo kann ich einkaufen und welche Stellen eignen sich für Picknicks? Das sind Fragen, die viele Bikepacker gerne bei der Planung beantwortet wissen. Jeder baut sich vorab sein „Tourengerüst“ zusammen, das seiner Fahrt eine Struktur gibt. Hier reicht letztlich auch eine Listung auf einer Internetseite, die (siehe Routen) aktuell, korrekt und klar ist. Hinweis: Sofern eine Werbegemeinschaft oder ein Interessenverband Urheber der Listungen wird, kann sich aus dem Gleichbehandlungsgebot seiner Mitglieder und den Ansprüchen der Bikepacker ein Interessenkonflikt ergeben.

Rechtsrahmen
Bikepacker sind auf der Suche nach Natur und Freiheit. Mancher kommt für den Schlaf zurück in die Zivilisation und bucht Fremdenzimmer oder Hotels. Nicht wenige bleiben auch für die Nacht in der Natur und möchten möglichst ungestört sein. Insofern sind Rast- und Biwakplätze, die ein legales nächtliches Lagern ermöglichen, Pfründe, mit denen eine Region wuchern kann. Ein sehr gutes Beispiel sind die Trekkingplätze der Pfalz. Es gibt inzwischen auch Websites und private Initiativen, die dieses Dilemma zu überwinden versuchen, wie etwa 1Nitetent.com.

Was brauchen Bikepacker vor Ort?

Die Tatsache, dass Bikepacker bereits in ganz Deutschland unterwegs sind, erlaubt nicht den Umkehrschluss, dass sie keine besondere touristische oder infrastrukturelle Ansprache benötigen. Vielmehr müssen sie gegenwärtig ohne eine solche auskommen. Vordergründig ist Bikepacking eine Art des Radfahrens, die breiter gedacht ist und neben der Versorgung für viele auch die Outdoor-Übernachtung mit umfasst. Bikepacker sind öfters auch mit Schlafsack, Isomatte etc. unterwegs und schlagen ihr Lager nachts irgendwo in der Natur auf. Genau hier wären neue Regelungen und eine Legalisierung nötig: Denn das Schlafen in der Natur bewegt sich in Deutschland je nach Standortwahl und Ausgestaltung in der rechtlichen Grauzone oder ist gar eindeutig nicht zulässig – im Gegensatz beispielsweise zu Schweden, wo das „Jedermannsrecht“ mit der Auflage „nicht stören und nichts zerstören” gilt. Für Bikepacker, die Naturnähe und Nachhaltigkeit als hohes Gut ansehen, gehört diese Philosophie ganz selbstverständlich zum Kodex.

Neue Chance für Destinationen

Bikepacker sind neue, zusätzliche Touristen und bedeuten zusätzliche Einnahmen. Sie benötigen wenig bis keine neue Infrastruktur, deren Erstellung Zeit und Geld verschlingt. Bikepacker sind zudem auch jenseits der ausgelasteten Sommerferienzeit unterwegs. Sie sind für eine besondere Ansprache adressierbar, sofern diese authentisch ist. Mittelgebirge und hügelige Regionen sind ideal für Bikepacker, was bisweilen vernachlässigte Regionen in den Fokus rückt und dazu beitragen kann, neue touristische Potenziale zu erschließen. Gerade weil das Thema Bikepacking in Deutschland auf touristischer Seite bisher kaum besetzt ist, bietet es Regionen viel Potenzial zur Profilierung.

Events als Zugpferd und lokale Kooperationen

Die Wechselwirkung zwischen Radfahrern und Region lässt sich anhand von „Rennen“ griffiger aufzeigen als anhand von Routen. 2006 starteten 34 Fahrer in Emporia, Kansas, auf einen 200 Meilen (ca. 322 km) langen Rundkurs über unbefestigte Straßen. 2019 gingen beim „Dirty Kanza“ genannten Event 3.600 Fahrer an den Start. Angesichts der großen Abreisedistanzen vermögen es nur wenige Teilnehmer morgens vor dem Start anzureisen und nach der Zieleinfahrt umgehend aufzubrechen. Das Ergebnis ist ein massiver Boost für den lokalen Handel, die Hotellerie und Gastronomie von geschätzten 3 Millionen USD am Rennwochenende. Das berühmte Rennen „Leadville 100“, das seit 1994 jährlich in der alten Minenstadt Leadville, Colorado, stattfindet, wurde überhaupt nur initiiert, um der lokalen Wirtschaft zu helfen. Auch hier spülen knapp 2.000 Teilnehmer samt Entourage viel Geld in eine strukturschwache Region. Ob Bikepacking darüber hinaus als touristisches Format für eine Region funktioniert, hängt sicher auch mit weiteren Maßnahmen und vor allem den lokalen Akteuren in der Region zusammen. Darum sind Initiativen wie „Bikepacking Roots“ wichtig, die Routen erarbeiten und die Kommunikation übernehmen. Gute Ansprechpartner sind auch lokale Fahrradhändler, die die Fahrradszene vor Ort kennen und sich über Kooperationen freuen.

Prominente Bikepacking-Touren in Deutschland

  • Bikepacking Trans Germany
  • Grenzsteintrophy
  • Hanse Gravel
  • Mainfranken Graveller

Bilder: www.ortlieb.com | Russ Roca | pd-f, www.pd-f.de / pressedienst-fahrrad, www.ortlieb.com | pd-f