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Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Dieser vielzitierte Satz gilt auch für den Bereich Radverkehr, wenn man sich ansieht, was es hier über die Jahre an Untersuchungen und Daten gibt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Wer sich intensiver mit dem Datenmaterial zum Radverkehr beschäftigt, für den ergibt sich recht schnell ein Gesamtbild zur aktuellen Situation, zu Optionen und möglicherweise dringenden Handlungsfeldern. Beispielsweise sollte es die Politik bedenklich stimmen, wenn sich immer mehr Menschen für das Radfahren interessieren, aber sowohl die Bundesregierung, wie die Landesregierungen und die Kommunalpolitik laut „Fahrrad-Monitor Deutschland“ in puncto Fahrradfreundlichkeit in der Wahrnehmung der Bürger von Jahr zu Jahr schlechter abschneiden.

Abnehmende Sicherheit und Stagnation bei den Zahlen

Ebenfalls bedenklich stimmt, dass die gefühlte Sicherheit auf dem Fahrrad laut „ADFC-Fahrradklima-Test 2018“ auf einen neuen Negativrekord (Schulnote 4,16) gesunken ist. Ein Wert der nachvollziehbar ist, wenn man auf die Verkehrsentwicklung und weiterhin hohe Zahl an Unfällen mit Radfahrern oder die oftmals nicht nur gefühlt bedenklichen Bedingungen vor Ort schaut.
Ernüchternd ist in diesem Zusammenhang die insgesamt stagnierende Entwicklung des Fuß- und Radverkehrsanteils, die man der Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ im Vergleich mit den vorangegangenen Studien aus 2002 und 2008 entnehmen kann. Tatsächlich könnte es sogar sein, dass der in den vorangegangenen Studien festgestellte leichte Zuwachs durch die Korrektur des Mikrozensus rückwirkend nicht mehr belegbar ist – so Robert Follmer vom Bonner infas Institut im Februar bei der Vorstellung der Zahlen auf dem AGFS Kongress 2019 in Essen.
Augenfällig sind dagegen die Zunahme der Wege per Fahrrad in den Städten, die längeren Wegstrecken mit Pedelecs und vor allem das, nicht zuletzt durch die Motorunterstützung, enorm gewachsene Interesse an Lastenrädern. Als kostengünstige, schnelle, platzsparende und nicht zuletzt umweltfreundliche und gesunde Alternative bieten sie sich nicht nur für Familien an, sondern auch für Gewerbetreibende und als Zustellfahrzeug für die letzte Meile.

Radpotenziale heben

Natürlich lassen sich die Ergebnisse nicht ohne weiteres von Kommune zu Kommune übertragen. Und auch Vergleiche mit Städten im Ausland hinken. Sie können aber zeigen, wo Probleme liegen, welche Potenziale es noch gibt und was alles machbar ist. Auch beim Vergleich zu unseren Nachbarn in den Niederlanden. Auch hier wird nach wie vor intensiv an weiteren Verbesserungen für mehr und sichereren Radverkehr gearbeitet – ganz selbstverständlich.

Nullsummenspiel: Starkes Wachstum in den Städten, deutlich sinkende Radnutzung in der Fläche.

Fahrrad-Monitor Deutschland 2019

Der Fahrrad-Monitor erhebt alle zwei Jahre das subjektive Stimmungsbild der Radfahrer in Deutschland. 3.000 Bürgerinnen und Bürger zwischen 14 und 69 Jahren werden dafür von der Sinus Markt- und Sozialforschung im Auftrag des BMVI befragt.

Radfahren beliebt, aber mit Wachstumshemmnissen

Insgesamt ist die Beliebtheit des Fahrrads im Jahresvergleich weiter gestiegen: 2019 gaben 65 Prozent der Befragten an, das Fahrrad als Verkehrsmittel gern oder sehr gern zu nutzen. Im Vergleich zu 2017 ist dies ein Zuwachs um ein und zu 2015 ein Zuwachs um zehn Prozentpunkte. Noch höher im Kurs steht das Fahrrad als Freizeitbeschäftigung. Hier geben 70 Prozent an dieses (sehr) gern zu nutzen. (2017: +7PP, 2015: +11 PP).
In Zukunft wollen 41 Prozent der Befragten das Fahrrad häufiger nutzen. Bei den Jüngeren (14-19 Jahre) ist der Wunsch mit 63 Prozent besonders stark ausgeprägt.
Nur etwa die Hälfte der Befragten (49 Prozent) gab allerdings an, dass ihnen das Fahrradfahren in ihrer Gemeinde Spaß macht. Nur 56 Prozent der Radfahrenden geben an, dass sie sich sehr sicher oder eher sicher fühlen. 44 Prozent fühlen sich eher weniger oder gar nicht sicher auf dem Fahrrad. Hauptgründe für die Unsicherheit: Zu viel Verkehr (68 %), rücksichtlose Autofahrende (68 %), zu wenig separate Radwege (59 %), zu schnelle Autos (56 %), plötzlich öffnende Autotüren (53 %), zu viel Schwerverkehr (46 %) und Radwegparker (42 %).

Rückenwind fürs Rad? Nur in großen Städten. Zur Steigerung der Personenkilometer tragen wohl vor allemPedelecs bei.

Wenig Pendler auf dem Rad

Augenfällig: Nur etwas weniger als ein Drittel der berufstätigen bzw. sich in Ausbildung befindlichen Befragten gaben an, das Fahrrad mindestens ein paar mal pro Woche auf dem Weg zur Arbeit bzw. Bildungsstätte zu nutzen. Häufiger wird das Fahrrad zum Pendeln bei jungen Menschen und in städtischen Räumen genutzt.
Zu bequem? Befragte, die das Rad nicht zum Pendeln nutzen, gaben als Grund am häufigsten an, dass der Weg zu weit sei (42 %) oder sie Wind und Wetter ausgesetzt wären (41 %). Hier könnten auch Betriebe noch einiges unternehmen, denn Radpendler sind zum Beispiel deutlich weniger krank.
Nicht sicher? 19 Prozent gaben an nicht mit dem Rad zur Arbeit-/Bildungsstätte zu fahren, weil es ihnen zu gefährlich sei.
Hohe potenzielle Umsteigerquote: 37 Prozent der Nicht-Radpendler würden das Fahrrad nutzen, wenn es Radschnellwege auf ihrem Weg zur Arbeit/Bildungsstätte geben würde. 74 Prozent der bereits Pendelnden würden das Rad häufiger als bisher nutzen.

Fahrradfreundlich? Forderungen an die Politik

Genauso eindringlich wie konkret sind die Forderungen an die Politik in Sachen Fahrradverkehr: Die Fahrradfreundlichkeit der Kommunalpolitik wurde 2019 zwar besser bewertet, als die vom Land oder Bund, aber deutlich schlechter, als noch 2017: 47 Prozent vergaben hier die Note 4 und schlechter.

Forderungen an die Politik:
  • Mehr Radwege bauen (60 %)
  • Bessere Trennung der Radfahrenden von den Pkw-Fahrenden (53 %)
  • Bessere Trennung der Radfahrenden von den Fußgängern (45 %)
  • Mehr Schutz- und Radfahrstreifen einrichten (44 %)
  • Sichere Fahrrad-Abstellanlagen (44 %). Insbesondere an Bahnhöfen, Haltestellen und Schulen ist die Zufriedenheit mit der Abstellsituation weiterhin gering.
  • Mehr Fahrradstraßen einrichten (43 %)
  • Belag der Radwege verbessern (37 %)
  • Kreuzungsbereiche besser einsehbar gestalten (34 %)

Mehr Informationen: „Dossier Radverkehr“ auf www.bmvi.de

Große Unterschiede Stadt vs. Land, in den Regionen und in den Milieus

In der Stadt wird das Fahrrad bzw. Pedelec häufiger als genutzt als auf dem Land. Und auch die Beliebtheit von Lastenrädern ist in der Stadt deutlich größer. Augenfällig sind aber auch die deutlichen Unterschiede je nach Region, soziodemografischen Daten und dem jeweiligen Milieu. Hier liefern die Studien wichtige Daten undLösungsansätze – nicht nur für die Radverkehrsplanung selbst, sondern auch für die Kommunikation.

Mobilität in Deutschland 2017

Die laut AGFK Baden-Württemberg wohl wichtigste und umfassendste Quelle für Daten zur Verteilung des Verkehrsaufkommens auf die verschiedenen Verkehrsmittel (Modal Split) ist die Erhebung „Mobilität in Deutschland“ (MiD).

Die bundesweite Befragung von Haushalten zu ihrem alltäglichen Verkehrsverhalten wird im Auftrag des BMVI durchgeführt und wurde zuletzt im Jahr 2018 und davor 2008 und 2002 vorgelegt.
Die Querschnittsstudie bildet als Momentaufnahme das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung in einem Kalenderjahr ab und folgt in ihren Grundzügen der seit den 1970er Jahren in Westdeutschland erhobenen „Kontinuierlichen Erhebungen zum Verkehrsverhalten” (KONTIV). Seit 2009 gibt es mit „Mobilität in Regionen“ (MiR) auch einen regionalen Ableger, wobei Auswertungen auf Landesebene aufgrund der Stichprobenumfangs nur begrenzt möglich und aussagekräftig sind.
Für Kommunen ist laut AGFK Baden-Württemberg das „System Repräsentativer Verkehrserhebungen“ (SrV) die beste Erhebung. 2013 nahmen bundesweit über 100 Städte am SrV teil.

Pedelecs/E-Bikes fahren längere Strecken. Rund sechs Millionen sind laut Statista in Deutschland unterwegs. Jährlich kommt runde eine Million dazu.

Verkehrsaufkommen regional sehr unterschiedlich

Das Verkehrsaufkommen und die Verkehrsleistung sind insgesamt stabil geblieben – so heißt es im Kurzreport zu MiD 2018. Allerdings seien beide Werte insbesondere in den Großstädten nicht zuletzt wegen des Bevölkerungswachstums teilweise erheblich gestiegen.
Eine grundlegende Änderung im Mobilitätsverhalten lässt sich laut MiD nicht feststellen. Es gäbe weiterhin einen „leichten Zuwachs bei den Pkw-Anteilen“ der Wegstrecken und nur „einen geringen Zuwachs“ bei den übrigen Verkehrsmitteln. Wobei die Entwicklungen bezogen auf Fahrräder und Pedelecs in der Stadt und auf dem Land gegenläufig sind. Bemerkenswert ist allerdings die Länge der Tagesdistanzen per Rad und Pedelec, die deutlich zugenommen hat (siehe Grafik oben). Sichtbar abgefallen ist der Anteilswert der nur zu Fuß zurückgelegten Wege sowohl in der Stadt, wie auf dem Land.

Von Verkehrswende kann keine Rede sein

Die Verkehrswende ist laut MiD Kurzreport „nur im städtischen Raum erkennbar, erreicht aber selbst dort noch nicht die erhoffte Gesamtdynamik“. Problematisch insbesondere für die Städte ist der immer höhere Pkw-Bestand und die wachsende Größe der Autos mit einem sprunghaft gestiegenen SUV-Anteil. Auch eine signifikante Führerscheinmüdigkeit lässt sich kaum belegen. Zwar sinkt der Anteil bei den unter 30-jährigen; laut MiD verfügen aber insgesamt 87 Prozent der ab 17-jährigen über einen Führerschein und damit ein Prozent mehr als 2008. Auch die Nutzung von Carsharing-Angeboten befindet sich bislang nur auf niedrigem Niveau.

Mehr unter: www.mobilitaet-in-deutschland.de

ADFC: Zufriedenheit und Sicherheitsgefühl sinken

170.000 Bürgerinnen und Bürger haben sich 2018 an der zweijährlichen nicht repräsentativen Umfrage des ADFC beteiligt (plus 40 Prozent zum Jahr 2016) und 683 Städte und Gemeinden bewertet. Die Ergebnisse sind für den ADFC alarmierend. Denn die Noten sanken wie in den vorangegangenen Jahren weiter. Bei der Fahrradfreundlichkeit auf eine 3,93 (im Jahr 2016 3,81) und beim Sicherheitsgefühl hat sich das subjektive Empfinden sogar auf die Note 4,16 verschlechtert. „Die Erwartungen der Radfahrenden und die empfundene Realität auf den Straßen entfernen sich immer weiter voneinander. Das sorgt für Frust bei vielen Radfahrenden“, kommentiert Rebecca Peters vom ADFC-Bundesvorstand. Immer mehr verlören den Spaß am Radfahren, seien unzufrieden mit der Förderung des Radverkehrs und fühlten sich als Verkehrsteilnehmende nicht ernst genommen.

Mehr unter: www.fahrradklima-test.de

Bilder: BMVI, ADFC