Beiträge

Kurz nach der Ankündigung des VELOPLAN-Starts erreichte uns eine Mail, in der in Bezug auf Radverkehrsplanung zwei Problemfelder angesprochen wurden: Fachliche Kompetenz und fachliche Kapazitäten in den Kommunalverwaltungen. Grund genug, uns mit dem Themengebiet in der ersten Ausgabe und sicher auch in Zukunft intensiver zu beschäftigen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Ausreichendes und ausreichend qualifiziertes Personal ist ein Problem in der Wirtschaft, aber vor allem im öffentlichen Dienst. „Der Staat hat Geld genug – aber keine Angestellten, die es ausgeben könnten“, titelte jüngst das Magazin Stern unter der Überschrift „Kassen voll, Land kaputt“. Keine andere Branche sei so stark vom Fachkräftemangel betroffen wie der öffentliche Dienst. Schon jetzt könnten über 200.000 Stellen nicht besetzt werden, bis zum Jahr 2030 würde sich die Zahl der unbesetzten Stellen im Staatsdienst auf 800.000 vervierfachen.

„Bei uns in der AGFK ist es inzwischen keine Frage mehr, dass wir eine Verkehrswende brauchen.“

Günter Riemer, AGFK-Vorstandsvorsitzender

Mittel für Radverkehr können oft nicht abgerufen werden

Eine schnelle Verkehrswende mit ausreichenden finanziellen Mitteln vom Bund? Das klingt verführerisch einfach. In der Praxis gibt es aber Probleme. So ist es unter Fachleuten kein Geheimnis, dass aktuell und in Zukunft wegen fehlendem Personal Mittel nicht abgerufen werden können und damit für den Radverkehr in den Kommunen verloren gehen. Das erklärte auf einem Symposium in Bochum auch Susanne Düwel, Leiterin des Bochumer Tiefbauamts. Zwar verfüge die Verwaltung hier über eine ausreichende Anzahl an Verkehrsplanern – aber ohne Expertise zu fahrradspezifischen Lösungen.
Die gleichen Erfahrungen macht Günter Riemer als Erster Bürgermeister der Stadt Kirchheim unter Teck und Vorstandsvorsitzender der Aktionsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundliche Gemeinden und Kommunen in Baden-Württemberg e. V. (AGFK). Aus allen Bereichen würden ihn in der AGFK Klagen über fehlende Kapazitäten bei Planern erreichen. „Insbesondere geht es um spezifische Kompetenzen im Bereich Radverkehr, die dringend benötigt werden.“ Oftmals sei einfach das Know-how nicht so vorhanden, wie es erforderlich wäre. „Ich habe das in der Praxis während meines Studiums zum Bauingenieur selbst erfahren – eine sehr autokonforme Berufsausbildung“, so Günter Riemer. „Radverkehr ist aber ein separates Aufgabengebiet.“
Auch die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern, also Planungsbüros, helfe nicht wirklich weiter, da es nur vier bis fünf spezialisierte Büros in Deutschland gäbe und sich die üblichen Büros schwer täten mit dem Thema Radverkehr.

Günter Riemer (r.) im Gespräch mit Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (l.) und Michael Adler von der Agentur tippingpoints

Bestehende Strukturen verhindern schnelle Maßnahmen

„Planungsverläufe sind langwierig“, erläutert Günter Riemer im Gespräch. „Die Mühlen mahlen langsam.“ Damit sich hier etwas zum Positiven ändere, sei vor allem der Bund in der Pflicht. „Wenn Bundesminister Scheuer sagt, die Kommunen sollen mehr Mut haben, Dinge anzupacken und umzusetzen, dann muss er dafür auch die Rahmenbedingungen schaffen.“ Aktuell habe man beispielsweise ein sich immer weiter ausdehnendes Konglomerat an Vorschriften. Dementsprechend
wäre seiner Meinung nach mehr Offenheit und Entscheidungskompetenz bei den Kommunen wichtig. Zum Beispiel im Rahmen von Experimentier- oder Öffnungsklauseln.
Aber nicht nur bei der Planung kämpfe man mit Schwierigkeiten, sondern auch in Bezug auf die Umsetzung. Denn in Baden-Württemberg gäbe es kaum geeignete Fachfirmen. „In der Vergangenheit wurden auch hier Kapazitäten abgebaut. Man muss auch ganz klar sagen: Geld zu haben für den Radverkehr ist ein ganz neues Symptom.“ Wichtig wäre vor allem auch eine Stetigkeit in der Finanzierung.

65 %

Bei Klimaschutzmanagern werden
bis zu 65 Prozent der Personalkosten gefördert.
Für Mobilitätsplaner gibt es bislang keine Förderung.

Wünschenswert: Gleichzeitige Förderung von Personal

Ausschließlich Planung und Bau zu fördern, greift vor dem Hintergrund fehlenden Personals aus Sicht des AGFK-Vorstandsvorsitzende zu kurz. Aber auch dafür gäbe es Lösungen: „Wir finden den Plan der Bundesregierung, den Radverkehr deutlich zu fördern, sehr gut. Aber ich würde da gerne die konkrete Forderung anschließen, nicht nur Bau und Planung zu fördern, sondern auch das Personal. So könnten die 80 größeren Kommunen in Baden-Württemberg, aber vor allem die Landkreise, durch eine gezielte Förderung bislang fehlendes Fachpersonal aufbauen.“ Für Günter Riemer keine abwegige Vorstellung. Schließlich würden Klimaschutzmanager beispielsweise mit 65 Prozent der Personalkosten gefördert. Bei der Mobilitätsplanung gäbe es dagegen keine Förderung.

Erforderlich: Mehr Zusammenarbeit und mehr Kompetenzen

Eigenverantwortung und eine gute Zusammenarbeit löst Probleme und stärkt die Identifikation und die Zufriedenheit. An beidem mangelt es nach Günter Riemer, der sich im Kompetenznetzwerk AGFK regelmäßig mit den Facharbeitskreisen trifft, allerdings öfters. Beispielsweise gäbe es nach wie vor das Problem, dass die Planung an den Gemarkungsgrenzen aufhöre. Seine Kritik: Bewohner orientierten sich in ihrem Mobilitätsverhalten nicht an Ortsgrenzen und Verwaltungsabläufen. Hier wäre es deshalb wünschenswert, wenn Bundesländer und Landkreise stärker als bislang an gemeinsamen Zielen arbeiten und vermehrt Projekte gefördert würden, bei denen mehreren Kommunen mit eingebunden werden.
Zudem bräuchten Straßenbauverwaltungen mehr Einfluss auf die Entscheidungsgewalt und zusammen mit der Kommune „mehr Freiheit, die Dinge anzupacken“: „Es muss die Möglichkeit geben, auch Dinge zu machen, die sich im Nachhinein als nicht optimal erweisen. Sonst bewegt sich nichts. Nichts zu tun und Themen nur zu diskutieren, das reicht heute einfach nicht mehr aus.“

Studie: Öffentliche Hand kann mehr

Warum im öffentlichen Dienst der Nachwuchs fehlt, wird oft diskutiert. Die Autoren der McKinsey-Studie „Die Besten, bitte – wie der öffentliche Sektor als Arbeitgeber punkten kann“ bemängeln, dass der öffentliche Sektor für die Allgemeinheit arbeite, dabei aber Gefahr liefe, die Beschäftigten innerhalb ihrer Organisation zu vernachlässigen. Es gäbe aber durchaus Handlungsmöglichkeiten. Das sollten Arbeitgeber den Studienmachern zufolge tun:

  • Vorteile der Arbeit im öffentlichen
  • Sektor klar benennen
  • z.B. Sicherheit des Arbeitsplatzes,
  • Nutzen für die Allgemeinheit, gute Work-Life-Balance
  • Nachwuchsarbeit zur Chefsache machen
  • gezielte Karriereförderung motiviere Mitarbeiter
  • inspirierendes Arbeitsumfeld schaffen
  • Weiterbildungen anbieten
  • Austauschprogramme zwischen
  • Führungskräften von Behörden und
  • Unternehmen

Bilder: Rawpixel.com stock.adobe.com, AGFK-BW