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Sie haben das Zeug dazu, Autofahrten zu ersetzen. Aber in Deutschland sind S-Pedelecs für die Bundesstraße zu langsam und für den Radweg zu schnell. Nun testen erste Kommunen, wie sie die Räder in den Alltagsverkehr besser integrieren können. Das Ausland ist da schon weiter. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Mit Tempo 70 und schneller ziehen die Autos auf der Bundesstraße an Anja Herz vorbei. Sie schneiden die Radfahrerin, hupen anhaltend und zeigen wild gestikulierend auf den parallel verlaufenden Radweg. Der ist leer, Anja Herz würde gerne auf ihn ausweichen. Aber das verbietet die Rechtslage, denn Anja Herz fährt ein schnelles Pedelec.
Die schnellen Pedelecs, auch Speed-Pedelec oder S-Pedelec genannt, gelten als Kleinkraftrad, weil sie bis zu 45 Kilometer pro Stunde schnell fahren können. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis sind ihre Fahrerinnen und Fahrer eher mit 30 bis 35 Kilometern pro Stunde unterwegs. Trotzdem gelten für sie die gleichen Regeln wie für Autos: Gefahren werden darf nur auf der Fahrbahn.
In Belgien, der Schweiz oder Dänemark ist es umgekehrt. Dort müssen die schnellen Räder zwingend die Radwege nutzen – auch in den Zentren. Ob diese Regelung sinnvoller ist, bezweifeln viele Radverkehrs-expertinnen. Aber auch sie finden: Die Rechtslage in Deutschland sollte angepasst werden. Umfragen und erste Studien zeigen: S-Pedelecs können Autofahrten ersetzen, wenn ihre Nutzerinnen sicher unterwegs sind. Das 2023 gegründete Bündnis „Allianz Zukunft S-Pedelecs“ will dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Seit vergangenem Jahr initiieren seine Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden Studien und organisieren regelmäßige Diskussionsrunden mit Experten. Der Blick in die Nachbarländer zeigt, wie Lösungen aussehen könnten. Aber nicht nur jenseits der Grenzen gibt es Vorbilder, auch in Deutschland gibt es erste Versuche, die Nutzung von S-Pedelecs zu liberalisieren.
Die Unistadt Tübingen in Baden-Württemberg gehört dabei zu den Vorreitern. Dort gibt es seit 2019 das erste und bislang einzige S-Pedelec-Netz bundesweit. Auf einer Strecke von rund 80 Kilometer verbindet es sämtliche Ortsteile mit der Kernstadt. Die Idee für die Planung kam aus der Stadtregierung. „Einige Gemeinderäte und der Oberbürgermeister, Boris Palmer, waren damals bereits mit herkömmlichen, aber auch mit schnellen Pedelecs unterwegs“, sagt Daniel Hammer, Verkehrsplaner und zuständig für den Radverkehr in Tübingen. Die baden-württembergische Landesregierung unterstützte das Vorhaben und führte das Zusatzzeichen „S-Pedelec frei“ ein.
Damit begann die Netzplanung. Der Grundsatz war: Das Fahren mit S-Pedelecs im Stadtgebiet muss einfach und intuitiv sein. „Wir haben keine festen Standards definiert“, sagt Hammer. Stattdessen haben sie vor Ort entschieden, auf welcher In-frastruktur die schnellen Rad-fahrerinnen sicher unterwegs sind. Das können Radwege sein, Radfahrstreifen, Fahrradstraßen, verkehrsberuhigte Zonen und Wirtschaftswege. Der Aufwand war groß. Jeder Teil der Route wurde begutachtet. Insbesondere für kritische Stellen mussten sie Lösungen finden. Dazu gehört beispielsweise eine Unterführung im Zentrum. „10.000 Radfahrende sind dort täglich unterwegs und ebenso viele Fußgänger“, sagt Hammer. Die Unterführung ist sechs Meter breit und hat einen getrennten Fuß- und Radweg. Um die schnellen S-Pedelecs zu bremsen, haben sie dort ein Tempolimit von 20 Kilometern pro Stunde für alle Fahrräder eingeführt. Eine spätere Geschwindigkeitsmessung zeigte, dass Rennräder und Pedelecs dort bergab mit 30 bis 35 Kilometern pro Stunde unterwegs sind – ohne andere zu gefährden. Bislang funktioniert das Miteinander der schnellen und langsamen Radfahrerinnen und Radfahrer recht gut. Laut Hammer gab es weder mehr Unfälle noch sonstige Beschwerden. „Wenn sich das ändert, passen wir die Infrastruktur an“, sagt er. Momentan ist das Tübinger Modell nur eine Insellösung. Spätestens am Ortsschild der Nachbarstädte wie Reutlingen oder Rottenburg endet für die schnellen Pendlerinnen das entspannte Fahren. Der Radverkehrsplaner bedauert, „dass S-Pedelecs generell auf die Straße müssen, auch wenn Tempo 100 gilt“. Das schrecke potenzielle Umsteiger ab. Er plädiert für ein landkreisweites S-Pedelec-Netz auf geeigneten Wegen.

Mit maximal 30 Kilometern pro Stunde dürfen die Radfahrer durch den Tunnel fahren. In den Niederlanden sind Tempolimits auf vielen Radwegen üblich. In Deutschland ist Tübingen damit Vorreiter.

Speed-Pedelecs sind mit einer Tretunterstützung bis 45 km/h und einer Motorleistung bis zu 4 kW rechtlich betrachtet kene Fahrräder, sondern Kleinkrafträder der Klasse L1e. Damit sind bisher nicht nur Radwege tabu, sondern auch Feld- und Waldwege, die mit Verbotschildern für Motorfahrzeuge gekennzeichnet sind.

S-Pedelec-Netze für Landkreise

Diese Idee ist besonders für Radregionen interessant, wie etwa den Bodensee. Viele Berufstätige fahren dort täglich 20 oder auch 30 Kilometer zur Arbeit. Von Singen und Radolfzell etwa nach Konstanz oder auch in die Schweiz. „Das ist eine ideale Distanz für S-Pedelecs“, sagt der Radverkehrsplaner der Stadt Kon-stanz, Georg Gaffga. Bislang müssen die schnellen Radfahrerinnen an einigen Stellen die Bundesstraße nutzen. Die wird gerade auf vier Fahrspuren ausgebaut und führt zudem durch einen Tunnel. „Selbst für versierte Radfahrende kommt ein Fahren dort nicht infrage“, sagt Gaffga. Für diese Streckenabschnitte braucht es Ausweichrouten. Mit seinen Kolleginnen plant Gaffga seit vergangenem Jahr das neue Radwegenetz der Stadt. Die S-Pedelecs haben sie dabei stets im Blick. „Wir suchen auf den Hauptachsen ins Umland die Lücken im Netz“, sagt Gaffga. Wo das Fahren auf den Straßen für die schnellen Radfahrer zu gefährlich ist, sollen sie auf Radwege neben der Fahrbahn ausweichen können. Vorausgesetzt, sie sind breit genug und es sind dort nur wenige Fußgänger und Radfahrende unterwegs.

„Unsere Mobilitätsstrategie ist der autofreie Haushalt“

Georg Gaffga, Stadt Konstanz

S-Pedelec: Ein Baustein zum autofreien Haushalt

Innerorts sieht der Radverkehrsplaner Gaffga nahezu keinen Handlungsbedarf in seiner Stadt. In Konstanz’ Zentrum könnten die schnellen Radler bei Tempo 30 oder 50 auf der Fahrbahn mitrollen. Aber es gibt auch Ausnahmen. Im vergangenen Jahr hat er eine Anliegerstraße, die auch Fahrradstraße ist, für S-Pedelecs freigegeben. „Die Straße hat den Charakter einer Außerortsstraße, sie führt durch ein Waldgebiet geradewegs zum Fähranleger Richtung Meersburg“, sagt er, eine wichtige Pendelroute. Auch dort funktioniert das Miteinander. Bislang gab es keine Beschwerden.
Angesichts der geringen Zahl an S-Pedelecs im Straßenverkehr erscheint der hohe Aufwand, den Gaffga mit seinem Team betreibt, unverhältnismäßig hoch. Insbesondere weil sie kein konkretes S-Pedelec-Netz planen, sondern vorerst nur die Möglichkeiten ausloten, potenzielle Lücken im Netz zu schließen. Gaffga hält dagegen: „Unsere Mobilitätsstrategie ist der autofreie Haushalt“, sagt er. Das S-Pedelec ergänze das aktuelle Angebot an Sharing und öffentlichem Verkehr. Deshalb wollen sie die junge Fahrzeuggattung fördern. Das funktioniere allerdings nur, wenn die Fahrer*innenr sich wohlfühlen und sicher unterwegs sind. Die benachbarte Schweiz zeige zudem, dass bei attraktiven Bedingungen die Verkaufszahlen von S-Pedelecs steigen und ihr Anteil am Gesamtverkehr zunimmt.

S-Pedelecs ersetzen das Auto

Hierzulande ist die Fahrzeuggattung bislang nur eine Randerscheinung. Gerade mal 11.000 Stück wurden im Jahr 2022 verkauft. In Belgien, den Niederlanden oder der Schweiz sind S-Pedelecs deutlich populärer. Allein in der Schweiz mit ihren knapp neun Millionen Einwohnerinnen wurden im Jahr 2022 rund 23.000 der S-Pedelecs aus den Läden geschoben. Expertinnen führen das auf die Rechtslage zurück: Schließlich dürfen sie dort die Radinfrastruktur nutzen. Das hat zur Folge, dass 75 Prozent der Strecken, die dort mit schnellen E-Bikes zurückgelegt wurden, Arbeitswege waren. Im niederländischen Rotterdam waren es 2021 rund 60 Prozent.
Für Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sind die Zahlen ein Indiz für das große Potenzial der S-Pedelecs für die Verkehrswende. Sie hat Ende vergangenen Jahres die ZIV-Studie „Wo fahren S-Pedelecs?“ vorgestellt. Die beschreibt, wie die Nachbarländer die Elektroräder in den Verkehr integrieren und wie sich das unter anderem auf die Verkaufszahlen auswirkt.
In Belgien etwa können die Fahrerinnen zwar innerorts wählen, ob sie die Radinfrastruktur oder die Fahrbahn nutzen, dagegen ist außerorts für sie die Radwegbenutzung ab Tempo 50 Pflicht. Diese Regelung kommt in der Bevölkerung anscheinend gut an. Von 2017 bis 2021 sind die Zulassungszahlen der S-Pedelecs von rund 5.300 auf 51.000 gestiegen. In den Niederlanden gelten für die schnellen Elektroräder die gleichen Bestimmungen wie für Mopeds. Ihre Fahrerinnen dürfen Radwege benutzen, die für Mopeds freigegeben sind. Innerorts ist das fast jeder Radweg in einer Tempo-50-Zone. Allerdings gilt dort für sie ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern.

Die Fahrradstraße ist für Radpendler*innen von großer Bedeutung. Sie ist die schnellste Verbindung von Konstanz zum Fähranleger Richtung Meersburg.

Ausnahmegenehmigungen für Radwege

Auch beim S-Pedelec zeigt sich: Die Niederlande sind Fahrradland. Seit Jahren testen die verschiedenen Regionen, wie sie die Räder in den Alltagsverkehr integrieren können. Die Provinz Gelderland hat bereits 2018 im Rahmen einer Studie 16 Radwege im Stadtgebiet erst temporär und dann dauerhaft freigegeben. Andere Provinzen wie Groningen und Overijssel folgten dem Beispiel. In Rotterdam, Amersfoort und Utrecht können S-Pedelec-Fahrerinnen mittlerweile Ausnahmegenehmigungen beantragen, wenn sie die Radwege nutzen möchten. Allein in Rotterdam wurden im Jahr 2020 für die 384 angemeldeten Räder 275 Genehmigungen beantragt. Für Tobias Klein vom Team „Nahmobilität“ beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) ist das Vorgehen zeitgemäß. „Die Niederlande und auch Dänemark testen seit Jahren, wie sie die Alternativen zum Autoverkehr in ihre Verkehrsinfrastruktur integrieren können“, sagt er. Vor vielen Jahren bauten sie die ersten Radschnellwege, heute geben sie Radwege frei, damit die S-Pedelec-Nutzerinnen sicher unterwegs sind. „Ihre Lösungen sind nicht sofort perfekt, aber sie entwickeln die Systeme weiter und passen sie an“, sagt er. Deutschland hingegen sei bei Neuerungen im Verkehr eher darauf bedacht, nichts falsch zu machen, und bremse damit neue Entwicklungen. Das gelte für die Radinfrastruktur ebenso wie für die Integration neuer Verkehrsmittel wie S-Pedelecs.
Insbesondere außerorts sieht der Mobilitätsexperte verschiedene Möglichkeiten, Radinfrastruktur wie Wirtschaftswege oder auch Radschnellwege für sie freizugeben. „Die Radschnellverbindungen sind darauf ausgelegt, dass die Menschen dort mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sein können“, sagt er. Die Freigabe per Zusatzschild sei nie ein Freifahrtschein zum Rasen. Im Gegenteil. „Die S-Pedelec-Fahrer müssen ihre Geschwindigkeit auf den Radschnellwegen anpassen, wenn dort viel Verkehr ist“, sagt er. Der Mobilitätsexperte ist zuversichtlich, dass das funktioniert.

Fahrzeiten: Pedelec versus S-Pedelec

Aber lohnt es sich überhaupt, vom normalen, dem Fahrrad rechtlich gleichgestellten E-Bike auf ein Speed-Pedelec umzusteigen? Das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) in Österreich, eine der führenden Institutionen der Unfallprävention, wollte es genau wissen und hat im Jahr 2021 die Studie durchgeführt „Potenzial von S-Pedelecs für den Arbeitsweg“.
Fünf Wochen dauerte der Feldversuch. 98 Berufstätige nahmen teil und zeichneten auf, wie viel Zeit sie für ihren Arbeitsweg mit den verschiedenen Fahrzeugen brauchten. Ab einer Strecke von fünf Kilometern kamen die Speed-Pedelecs stets schneller ans Ziel als ihr langsameres Pendant. Konkret benötigten die Berufstätigen für eine Strecke von 15 bis 20 Kilometer mit dem Auto durchschnittlich etwa 23 Minuten, mit dem S-Pedelec 34 Minuten und mit dem Pedelec rund 45 Minuten. Das herkömmliche Pedelec war demnach fast doppelt so lange unterwegs wie das Auto. Für die Forscherinnen ist dieser Zeitunterschied entscheidend. Eine Verdoppelung der Fahrtzeit zur Arbeit ist aus ihrer Sicht unattraktiv. Das S-Pedelec kann diese Differenz aber auf allen Strecken bis etwa 25 Kilometer in etwa halbieren. Damit ist das S-Pedelec für die Wissenschaftlerinnen eine echte Alternative zum Auto. Insbesondere auf langen kreuzungsfreien Strecken wie Radschnellwegen.
Allerdings wird die Freigabe von Radschnellwegen für S-Pedelecs seit Jahren kontrovers diskutiert. Vornehmlich die Vertreter*innen des ADFC waren strikt dagegen. Inzwischen weichen sie von dieser starren Haltung ein wenig ab. Inzwischen befürwortet der Fahrradclub die Freigabe der Radinfrastruktur in Einzelfällen – etwa außerorts, auf breiten, wenig frequentierten Radwegen. Damit sind viele geplante Radschnellwege bereits aus dem Rennen.

„Nur weil mein S-Pedelec 45 km/h fahren kann, fahre ich die Menschen nicht über den Haufen.“

Anja Herz

Klimafreundliche Fahrzeuge dürfen passieren, dazu gehören Busse, Taxen, Fahrräder und S-Pedelecs.

Zentrale Verbindungen in Tübingen wie diese Fahrradbrücke haben die Verkehrsplaner*innen ebenfalls für die Speed-Pedelec-Fahrer freigemacht.

Geschwindigkeit anpassen möglich?

Für die S-Pedelec-Fahrerin Anja Herz ist die ADFC-Haltung nur schwer nachzuvollziehen. Sie lebt außerhalb Münchens. Das S-Pedelec nutzt sie für fast jede Gelegenheit. Mit einer Freundin hat sie damit die Alpen überquert. 400 Kilometer sind die beiden von Garmisch bis zum Gardasee gefahren, die meiste Zeit auf Radwegen. Probleme mit den anderen Radfahrerinnen gab es aus ihrer Sicht keine. „Ich passe meine Geschwindigkeit immer den Gegebenheiten an“, sagt sie. Auf den Radwegen, aber auch, wenn sie beispielsweise an einer Fahrradsternfahrt teilnehmen. „Nur weil mein S-Pedelec 45 km/h fahren kann, fahre ich die Menschen nicht über den Haufen“, sagt sie. Sie bedauert, dass ausgerechnet der Fahrradverband ihr und vielen anderen S-Pedelec-Fahrerinnen die Bereitschaft und Fähigkeit abspricht, ihr Tempo anzupassen.

„Porschefahrenden traut man zu, in einer Tempo-30-Zone 30 km/h zu fahren, S-Pedelec-Fahrern nicht.“

Martina Lohmeier, Hochschule RheinMain Wiesbaden

Fehlende Erfahrungen schüren Vorurteile

Die Vorurteile gegenüber Pedelec-Fahrern kennt Martina Lohmeier, Professorin an der Wiesbadener Hochschule RheinMain. „Mit S-Pedelecs verbinden viele Menschen Überholvorgänge“, sagt sie. Konventionelle Radfahrende fürchten, von ihnen an den Bordstein gedrängt zu werden oder dass sie sich erschrecken, wenn die schnellen Radler*innen an ihnen vorbeijagen. Eltern sorgen sich zudem um ihre Kinder, wenn Schulstraßen oder Tempo-30-Zonen für S-Pedelecs freigegeben werden.
Die Ursache für all diese Bedenken sind laut der Professorin fehlende Erfahrungen. „S-Pedelecs sind noch eine sehr junge Fahrzeuggattung“, sagt sie und anders als die herkömmlichen Pedelecs sind sie in Deutschland immer noch eine Seltenheit. Allein die mögliche Spitzengeschwindigkeit von 45 km/h schüre Ängste. Sie lacht und sagt: „Es ist paradox, dass man Porschefahrenden zutraut, in einer Tempo-30-Zone 30 km/h zu fahren, S-Pedelec-Fahrern aber nicht.“
Im Rahmen eines Feldversuchs erforscht die Radprofessorin mit Kolleginnen und Kollegen der Hochschule Darmstadt und RheinMain, ob diese Sorgen berechtigt sind. Sie untersuchen, wie schnell die S-Pedelecs tatsächlich unterwegs sind, ob Konflikte auf dem Radweg entstehen und wenn ja, welche. Im Winter 2023 starteten die ersten elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ersten Testlauf. Der dauert für sie und alle weiteren Gruppen jeweils sechs Wochen. Die Wissenschaftler tracken die GPS-Daten und die gefahrenen Geschwindigkeiten. Nach dem Praxisteil befragen sie die Teilnehmenden dann zum Radwegenetz und zu ihren Erfahrungen mit dem Elektrorad als Pendelfahrzeug.
Die Ergebnisse sollen laut Martina Lohmeier interessierten Kommunen dabei helfen, einen Leitfaden für die Integration von S-Pedelecs in den Alltagsverkehr zu entwickeln. Dazu gehört auch, Kriterien für die Freigabe von Radinfrastruktur für S-Pedelecs zu definieren. Der Leitfaden kommt genau zur richtigen Zeit. Seit vergangenem Sommer dürfen Kommunen in Nordrhein-Westfalen ebenfalls ihre Radinfrastruktur für schnelle Elektroräder freigeben. Das Potenzial ist riesig. Dort wird der Radschnellweg RS1 gebaut. Er soll 100 Kilometer lang werden.


Bilder: www.haibike.de – pd-f, Universitätsstadt Tübingen, www.flyer-bikes.com – pd-f, Stadt Konstanz – Gregor Gaffga

Eine Möglichkeit zur Entzerrung der Pendlerströme sehen Expert*innen unter anderem in der verstärkten Nutzung von schnellen S-Pedelecs/E-Bike 45. Um neue Potenziale zu erschließen, bringen Hersteller Innovationen, wie weitgehende Wartungsfreiheit, höhere Reichweiten, Blinker sowie eine adaptive Anpassung der Höchstgeschwindigkeit. Mit Letzterem ließen sich die bislang starren gesetzlichen Klassifizierungen auflösen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


S-Pedelecs funktionieren wie normale E-Bikes: Beim Pedalieren steuert ein Motor im Tretlager oder Hinterrad Kraft bei. Doch anders als das normale Pedelec schaltet der Motor nicht bei erreichten 25, sondern nach EU-Regelung bei maximal 45 Stundenkilometern ab. Realistische Reisegeschwindigkeiten bewegen sich in der Regel zwischen 30 und 35 km/h. Das S-Pedelec ist damit potenziell ein perfekter Autoersatz für Pendler auf Strecken von etwa 5 bis 25 Kilometern Länge. In Citys und Ballungsräumen sind die schnellen E-Bikes potenziell sogar schneller als Autos, die dort eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gerade einmal 20 Stundenkilometern erreichen.

Ideales Verkehrsmittel für Pendler

Das S-Pedelec oder E-Bike 45 hat, anders als das normale E-Bike 25, rechtlich keinen Fahrradstatus, sondern wird in die Kleinkraftrad-Kategorie eingestuft (Klasse L1e-B). Neben Zulassung, Versicherungskennzeichen und Führerscheinpflicht hat das hierzulande auch infrastrukturell weitreichende Folgen: Es darf nicht auf Radwegen und auf für Fahrzeuge
gesperrten Straßen, wie Wirtschaftswegen fahren. Eigentlich müssten Fahrer*innen damit in der Praxis beispielsweise auch auf Bundesstraßen fahren, wo zum Teil eine Tempobegrenzung von 100 km/h gilt, selbst wenn nebenan ein breit ausgebauter Radweg oder Radschnellweg vorhanden ist. Oft müssen auch große Umwege im Kauf genommen werden, wenn man legal unterwegs sein möchte. All das sind Gründe, warum das S-Pedelec auf dem deutschen Markt im Gegensatz zu anderen Ländern wie der Schweiz oder den Beneluxländern fast nicht vertreten ist. In einem Hintergrundpapier des VCD wird daher eine Freigabe geeigneter Radwege und Radschnellwege inner- und außerorts für S-Pedelecs gefordert. Die VCD-Sprecherin Anika Meenken fasst es so zusammen: „Das Potenzial von S-Pedelecs wurde bislang vernachlässigt, und das können und dürfen wir uns nicht länger leisten. S-Pedelecs sind eine sinnvolle und wirksame Ergänzung für einen klima- und gesundheitsfreundlichen Mobilitätsmix – sofern die Politik die passenden Rahmenbedingungen schafft.“

„Die Verkehrswende braucht das S-Pedelec – und die Akzeptanz des schnellen E-Bikes nimmt weiter zu.“

David Eisenberger, ZIV

Deregulierung brächte Vorteile für alle

Auch beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sieht man die Möglichkeiten des schnellen E-Bikes derzeit nicht ausgereizt. „Vor allem auf Strecken außerhalb von Ortschaften könnten S-Pedelecs aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit viele Autofahrten ersetzen, wäre diesen Rädern die sichere Nutzung nicht rechtlich verwehrt“, so David Eisenberger vom ZIV. Außerhalb von Ortschaften könne man sich aufgrund der hohen Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Lkw, Pkw und E-Bikes auf einer gemeinsamen Fahrbahn nicht sicher fühlen. Meist ernte man völliges Unverständnis, wenn man regelkonform die Straße statt des Radwegs nutze. „Dabei profitierten auch Pkw-Fahrende von einer verstärkten Nutzung der schnellen Räder. Daher sollte auch der Autolobby daran gelegen sein, das Regelwerk zu ändern.“ Der ZIV wirbt als Radfahrer-Lobby der Indus-trie öffentlich, aber auch im direkten Kontakt mit Politikern „hinter geschlossenen Türen“ zunächst, insbesondere für die Änderung der Radwegnutzung außerhalb von Ortschaften. „Wir sind zuversichtlich, dass es bald eine Lösung geben wird. Die Verkehrswende braucht das S-Pedelec – und die Akzeptanz des schnellen E-Bikes nimmt weiter zu“, sagt David Eisenberger.

„Wir arbeiten daran,

die Stimme der Industrie

stärker zu machen.“

Ties Carlier, Van Moof

Dynamische Regelungen als neuer Lösungsansatz

Was wäre, wenn man mit technischer Hilfe die Maximalgeschwindigkeit entsprechend den äußeren Bedingungen anpassen könnte? Diese Frage werfen BMW sowie VanMoof, ein dynamisch wachsender niederländischer E-Bike-Hersteller, auf. VanMoof überraschte jüngst mit der Ankündigung, dass der Antrieb des neu vorgestellten S-Pedelec-Modells „V“ nicht EU-konform bei 45 km/h, sondern erst bei 50 km/h abgeregelt werden solle. Eine integrierte elektronische Anpassung der möglichen Höchstgeschwindigkeit solle zudem automatisch die Kompatibilität des „Hyperbikes“ für die jeweils vor Ort geltende Regelung gewährleisten.
Die VanMoof-Gründerbrüder Ties und Taco Carlier fordern dazu in einer Pressemitteilung Gesetzgeber und Stadtverwaltungen auf, die E-Bike-Vorschriften zu überarbeiten, um die Entwicklungen im Bereich S-Pedelec als Pendlerfahrzeug voranzutreiben. „Auch auf EU-Ebene arbeiten wir daran, die Stimme der Industrie stärker zu machen.“
Ein ganz ähnliches E-Bike-Konzept zeigte BMW kürzlich mit einer Studie auf der Messe IAA Mobility. Drei Fahrstufen mit maximal 25, 45 oder 60 km/h soll das Konzept-E-Bike „BMW i Vision Amby“ bieten und in der stärksten Stufe eine Reichweite von bis zu 75 Kilometern. Amby steht dabei für „Adaptive Mobility“. Eine manuelle Wahl der Fahrstufe soll ebenso denkbar sein, wie die automatische Erkennung von Position und Straßentyp per Geofencing-Technologie und eine damit verbundene automatische Anpassung der Höchstgeschwindigkeit. Da es die rechtlichen Rahmenbedingungen für derartige Fahrzeuge mit modularem Geschwindigkeitskonzept noch nicht gibt, wollen die Hersteller Möglichkeiten aufzeigen und einen Impuls für neue Gesetze geben. „Überall brechen scheinbar feste Kategorien auf – und das ist gut“, so Werner Haumayr, Leiter der BMW Group Designkonzeption. „In Zukunft sollen nicht Einteilungen wie ‚Auto‘, ‚Fahrrad‘ und ‚Motorrad‘ bestimmen, was wir denken, entwickeln und anbieten. Vielmehr gibt uns dieser Paradigmenwechsel die Möglichkeit, Produkte an den Lebensgewohnheiten von Menschen auszurichten.“

„In Zukunft sollen nicht Einteilungen wie ‚Auto‘, ‚Fahrrad‘ und ‚Motorrad‘ bestimmen, was wir denken, entwickeln und anbieten.“

Werner Haumayr, Leiter der BMW Group Designkonzeption
„Mit dem BMW i Vision Amby, dem ersten High-Speed-Pedelec für Urbanisten, präsentiert die BMW Group einen visionären zweirädrigen Lösungsansatz für die urbane Mobilität von morgen“, heißt es in der Pressemitteilung von BMW. Ein Schwestermodell aus dem Motorradsegment als Studie und verschiedene Serien-E-Roller sollen das Angebot komplettieren.

Lösung: Geschwindigkeiten regional anpassen

Mit Geofencing-Technik und einem entsprechenden Netzwerk würden die neuen E-Bikes so gesteuert, dass sie auf dem Radweg innerorts nur bis maximal 25 km/h unterstützen, auf freigegebenen Strecken etc. aber deutlich schneller sind. Dass sich die Gesetzgeber auf Länder- bzw. EU-Ebene in Kürze mit entsprechenden Regelungen beschäftigen, ist wenig wahrscheinlich. Leichter als vielfach gedacht, ist es dagegen für Stadtverwaltungen für Verbesserungen zu sorgen. Wie das Beispiel des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer zeigt, ist es in den Gemeinden mit wenig Aufwand möglich, Radwege für den S-Pedelec-Verkehr freizugeben und das Rad-Pendeln damit wesentlich zu erleichtern.

Viel Kraft, hohe Reichweite und extrem wartungsarm: S-Pedelecs der neuesten Generation, wie das Klever X Alpha, sind für viele ein echter Autoersatz.

Kraftvoll, wartungsfrei, innovativ und mit hoher Reichweite

Insgesamt hat sich bei der aktuellen Generation der S-Pedelecs inzwischen eine Menge getan. Die schnelle Klasse hat inzwischen bei vielen Herstellern einen festen Platz im Programm, unter anderem auch als Lastenrad. Auf kraftvolle Bikes als echte Auto-Alternative für Vielfahrer und Pendler haben sich beispielsweise Stromer aus der Schweiz und Klever Mobility, Tochter der weltweit für Motorroller bekannte Kymco Unternehmensgruppe spezialisiert. Beim neuen Spitzenmodell X Alpha setzt Klever erstmals einen 800 Watt starken Heckmotor für „echte 45 km/h“, so der Hersteller, ein. Der wird mit einem 12-Gang-High-End-Getriebe von Pinion und Riemenantrieb kombiniert. Damit ist das E-Bike enorm stark und zudem besonders wartungsarm. Der 1.200-Wh-Akku soll laut Hersteller bei maximaler Motorunterstützung für 70 Kilometer Reichweite selbst unter widrigen Bedingungen sorgen. Von außen zeigen EU-konforme Blinker, dass es sich hier nicht um ein normales Pedelec handelt. Und warum kein E-Roller? „Mit einem S-Pedelec bleibt man immer in Bewegung und gesund“, betont Niklas Lemm von der europäischen Klever Zentrale in Köln. „S-Pedelecs sind ideal als Ganzjahresfahrzeug für Pendler, weil man im Winter nicht friert und im Sommer nicht schwitzt.“ Mit der richtigen Bereifung, modernster Beleuchtung und guter Kleidung und Hightech-Helmen ist man auch in der dunklen Jahreszeit sicher unterwegs.


Bilder: BMW Group, ZIV, Vanmoof

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den Städten könnte die Mobilität grundsätzlich verändern. Neue Perspektiven bieten innovative Fahrzeuge: schick, modern, günstig und vor allem schon im jungen Alter zu fahren. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Aus dem Misserfolg des elektrischen Zweisitzers Renault Twizy, der u. a. ohne Fenster und nur mit einem Notsitz für Beifahrer kam, hat der PSA-Konzern gelernt und macht mit dem Citroën Ami einen neuen Anlauf Richtung urbane Mobilität der Zukunft. Der Ami ist zudem prädestiniert für Mobilität on demand: Der Wagen soll künftig per Smartphone geöffnet, per App vernetzt und nahtlos an verschiedene Carsharing-, Abo- und Service-Portale (zum Beispiel Laden, Parkplatzsuche) angedockt werden können. Ein großer Vorteil für Sharing-Anbieter wie Cambio. Laut Cambio-Pressesprecher Arne Frank hat das Unternehmen den Ami für die Erweiterung der Flotte auf dem Plan.

In Frankreich werden großräumige Tempo-30-Zonen gerade Realität. Ein Bürgerrat hat Präsident Emmanuel Macron empfohlen, in allen Städten Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einzuführen. Paris macht ab 2021 damit ernst und wird zum Reallabor für neue Mobilitätskonzepte. Für das neue Zeitalter kann mal wohl mit einem Boom leichter Fahrzeuge der 45- km/h-Klasse rechnen. Neben neuen E-Motorrollern und schnellen S-Pedelecs (E-Bike 45) könnten auch Microcars eine Renaissance erleben. Aktuell will sich der französische Automobilkonzern PSA mit dem Citroën Ami als Vorreiter positionieren. Der kastenförmige Elektro-Zweisitzer Ami (frz. Freund) ist mit einer Länge von 2,40 Meter und einer Breite von 1,39 Metern noch kleiner als ein Smart Fortwo (2,70 × 1,70 m) und damit ein echtes Mikromobil. Der spartanisch ausgestattete Wagen wiegt 425 kg und soll eine Reichweite von 100 Kilometern bieten. Angetrieben wird er von einem Elektromotor mit sechs Kilowatt, der ihn in zehn Sekunden auf 45 km/h beschleunigt. Dann ist Schluss, denn der Ami ist kein Auto, sondern laut EU-Verordnung ein „Leichtes Vierradmobil für Personenbeförderung der Klasse L6e-BP“. Christopher Rux, Leiter Kommunikation von Citroën, drückt es so aus: „Der Ami ist kein Auto, sondern eine Mobilitätslösung für jeden“. Er darf in Frankreich ab 14 Jahren und in Deutschland mit der Führerscheinklasse AM, je nach Bundesland entweder ab 15 oder 16 Jahren gefahren werden. In Frankreich ist er schon ab 6.000 Euro zu haben oder bei etwas mehr als 2.000 Euro Anzahlung für eine monatliche Leasingrate von 19,99 Euro. „Das ist weniger als ein Handyvertrag“, sagt Rux. Citroën habe das Fahrzeug für alle entwickelt, die in der Stadt leben und eigentlich kein Auto brauchen, die multimodal, also auch per Fahrrad oder E-Scooter unterwegs sind, aber je nach Wetter und Bedarf, zum Beispiel für den Großeinkauf oder das Fahren zu zweit, mehr wollen. Und natürlich für all diejenigen, „für die Busse und Bahnen nicht mehr das präferierte Transportmittel sind“.

„Die ‚autogerecht‘ geplante Stadt macht es den Bewohnern unmöglich, die öffentlichen Räume frei und in Sicherheit zu nutzen und so die Stadt zu beleben.“

Jan Gehl, „Städte für Menschen“

45 km/h reichen aus – eigentlich

Bei ersten Testfahrten in Berlin zeigten sich die Ami-Tester begeistert. Trotz der 45-km/h-Beschränkung fühlten sie sich immer ausreichend schnell, gerade weil in vielen Straßen sowieso häufig langsamer gefahren wird, und auch nie als Verkehrshindernis. Die für ein Kleinstfahrzeug hohe Sitzposition (5 cm höher als ein aktueller VW Golf) ermöglicht einen guten Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern und das sympathische Äußere erhöht die Akzeptanz. Trotzdem bereitet die bestehende Infrastruktur dem Ami und anderen Microcars, die sich anschicken, die Märkte zu erobern, Probleme. Die kennt man auch von anderen Fahrzeugen der 45-km/h-Klasse, wie den beliebten E-Rollern, die es vermehrt als Sharing-Modelle gibt, sowie schnellen S-Pedelecs (E-Bike 45). Hauptproblem sind Kraftfahrstraßen/Schnellstraßen. Sie werden von Navigations-Apps bislang nicht auf Wunsch gefiltert und vielfach gibt es auch keine Alternativen, wie zum Beispiel bei Brücken.

Die EU-Fahrzeugklassen bis 45 km/h

Motorisierte Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h fallen gemäß EU-Verordnung in die EG- Fahrzeugklasse L1e bis L6e. Sie sind zulassungs- und steuerfrei und müssen nicht zur Hauptuntersuchung. Nur ein Versicherungskennzeichen ist vorgeschrieben. Fahren darf man sie mit dem Führerschein der Klasse AM oder dem Autoführerschein, Klasse B. Das Mindestalter ist in Europa unterschiedlich, in Frankreich darf man die Klasse bereits mit 14 Jahren fahren.

Smarte 45-km/h-Roller erobern die Städte

Einen einfachen Zugang zu smarter Mobilität, mit der man bequem im Stadtverkehr der Zukunft mitschwimmen kann, versprechen auch die mit Führerschein AM fahrbaren elektrischen Motorroller. Zu den meistverkauften Modellen gehört der Smart Scooter von NIU, der mit Preisen ab 1.800 Euro Keyless Go, GSM-Ortung, eine Wegfahrsperre per App und eine Reichweite von circa 50 Kilometern bietet. Ein Erfolgsmodell in Taiwan, wo Roller das Straßenbild bestimmen, ist das Start-up Gogoro mit der Kombination von Scooter und einem landesweiten Netzwerk aus rund 2.000 systemoffenen Akkuwechselstationen. Bezahlt wird dabei monatlich nach Verbrauch. Solch ein System gibt es in Deutschland bislang noch nicht, aber die Gogoro-Roller gehören inzwischen beim Sharing-Anbieter Tier mit zum Angebot. Auch andere Anbieter, wie lokale Stromversorger, mischen mittlerweile beim E-Roller-Sharing mit. In Köln etwa sind die „Rhingo“-Roller des städtischen Energieversorgers Rheinenergie sehr beliebt. Diesen Sommer wurde die Flotte von 200 auf 400 Roller aufgestockt und das Geschäftsgebiet in Köln erweitert. Die Roller verfügen über zwei Sitze und zwei Helme und kommen damit den Anforderungen gerade von jungen Nutzern entgegen.

Mit moderner Ausrüstung ist die Fahrt auf dem Roller auch bei Kälte und Regen problemlos machbar. Im regenreichen Taiwan, in Italien oder in Frankreich hilft man sich neben wetterfester Kleidung mit großen Windschutzscheiben, fest montierten Decken, Handstulpen oder beheizten Griffen. Bewegung und Wärme von innen bekommt man auf einem schnellen E-Bike 45 (S-Pedelec), bei dem die Reisegeschwindigkeit meist zwischen 30 und 35 km/h liegt.

Tauschen statt laden: In Taiwan, wo Roller das Straßenbild bestimmen, ist die Kombination von Scootern und einem Netzwerk mit systemoffenen Akkuwechselstationen ein Erfolgsmodell.

Tempo 50 zu hoch für eine menschengerechte Stadt

Das Gute an einer niedrig festgelegten maximalen Geschwindigkeit ist, dass sie eine Stadt nach menschlichem Maß ermöglicht. In seinem Buch „Städte für Menschen“ beschreibt der Stadtplaner Jan Gehl, welche Geschwindigkeiten und welche Entfernungen der Wahrnehmung des Menschen entsprechen. Denn im Gegensatz zur Technik habe sich die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen nicht weiterentwickelt. Am besten funktioniere sie beim Zufußgehen. Auch bei Lauf- oder langsamen Fahrradgeschwindigkeiten von circa 12 km/h sei eine realistische Verarbeitung der Eindrücke noch möglich. Bei höheren Geschwindigkeiten reduzierten sich unsere Sehkapazität und unser Verständnis des Gesehenen erheblich. Auch Verkehrsforscher fordern mit Blick auf Vision Zero seit Langem eine Reduktion der Geschwindigkeiten: Nicht nur aufgrund der drastischen Reduzierung der Unfallfolgen, sondern weil sich bei höherer Geschwindigkeit zum Beispiel auch das Sehfeld verkleinert. Dabei werden periphere Informationen, wie zum Beispiel Fußgänger am Straßenrand, Radfahrer, die überholt werden, oder vorbeifahrende andere motorisierte Verkehrsteilnehmer schlicht ausgeblendet.

Microcars in anderen Ländern

Während in Deutschland die Klasse der Microcars mit unbekannten Herstellern wie Ligier oder Aixam bislang ein Nischendasein fristet, sind sie in Frankreich deutlich populärer. Extrem beliebt sind langsame Elektroautos mit bis zu vier Plätzen in China. Bei Alibaba kann man einfache Modelle schon für unter 1000 Dollar bestellen. Allein im Jahr 2017 sind in China laut Bericht des Wall Street Journal ungefähr 1,75 Millionen dieser Mikroautos, für die man hier keinen Führerschein benötigt, verkauft worden. Vor allem in ländlichen Provinzen.


Bilder: Citroën, Bild: Uber, Klever Mobility, Rheinenergie – Rhingo, Alibaba, Gogoro Network

Das S-Pedelec (E-Bike 45) fristet ein Schattendasein in der deutschen Verkehrslandschaft. Schade. Denn das schnelle E-Bike könnte mithelfen, unsere Verkehrsprobleme zu lösen. Hier die Hintergründe, Praxiserfahrungen und Optionen für die Zukunft. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Das S-Pedelec ist ein Fahrzeug, das wir in unserer Verkehrswelt bis heute fast nicht vorfinden. Selten, dass man im Alltag ein solches „Fahrrad mit Mofa-Kennzeichen“ sieht. Dabei könnte man diese schnelle Variante des beliebten Pedelecs gezielt dafür einsetzen, den Individualverkehr autoärmer, geschmeidiger und natürlich umweltfreundlicher zu machen. Denn deutlich besser noch als mit dem mit 25 Stundenkilometern langsameren Bruder lassen sich damit auch Strecken von 5 bis 15 Kilometer ähnlich schnell wie per PKW zurücklegen. Mit leichtem Tritt erreicht man je nach Variante 30 bis 35 Stundenkilometer. 45 km/h sind nur bei einigen Modellen relativ lang zu halten und bei den meisten Rädern nur schwer zu erreichen.
Nebeneffekte: Man bewegt sich, ist draußen und tut etwas für seine Gesundheit. Das S-Pedelec als Autoersatz, dieses Konzept liegt nahe – zumindest für den kurzen bis mittleren Arbeitsweg vieler Menschen. Das Gefährt ist wendig wie ein Fahrrad, mit 25 bis 30 Kilogramm meist nur wenig schwerer als ein E-Bike 25 und macht auch noch richtig Spaß. Was also hält die E-Bike-verrückten Deutschen also davon ab, damit zur Arbeit zu fahren?

Radverkehrsförderung, die ausgrenzt: Die Weiterfahrt ist hier leider auch für S-Pedelecs verboten – für 20 Meter.

Erfahrungsbericht:

Durch die City ist es stressig

Sebastian Graf pendelt seit einem guten Jahr fast täglich mit seinem S-Pedelec von Gau-Algesheim nach Rüsselsheim – gute 38 Kilometer. Etwa 1¼ Stunden braucht er dafür. Der Opelianer fährt dabei etwa sechs Kilometer durch Mainz. Für ihn der anstrengendste Teil. „Auf der mehrspurigen Straße schneiden dich Autofahrer oft, versuchen dich wegzuhupen“, sagt er. Aber es wird allmählich besser: „Dadurch, dass ich jeden Tag fast zur selben Zeit an derselben Stelle bin, tritt bei den Autofahrern ein Gewöhnungseffekt ein.“ Die Pendler „kennen“ das Rad mit Nummernschild allmählich. Ein weiteres Problem: Seine Geschwindigkeit werde oft unterschätzt. Von Autos überholt zu werden, die direkt danach abbiegen und ihn zum harten Bremsen zwingen, sei Alltag. Außerhalb der Stadt dagegen kann Graf die Fahrt genießen. Allerdings nutzt er immer dieselbe, ausgetüftelte Route, und die führt ihn über viele kleine Seitenstraßen und am Rhein entlang. „Anders ginge es gar nicht“, so der 44-jährige. Heißt verallgemeinert: Wo kleine Straßen vorhanden sind, die man auch mit dem S-Pedelec benutzen darf, läuft es flott und angenehm.

„Mitschwimmen“ nicht auf gängigen Stadtstraßen

Wir haben S-Pedelec-Fahrer und -Fahrerinnen nach ihren Erfahrungen gefragt. Zunächst scheint ganz wichtig: Man unterschätzt den Unterschied zwischen der Geschwindigkeit des Rads und den innerstädtischen 50 km/h. Denn die mit Tretunterstützung bis 45 km/h zugelassenen Räder werden nur selten wirklich so schnell bewegt. Der Pkw-Verkehr in 50er-Zonen bewegt sich aber meist um 55 Stundenkilometer oder mehr. Von einem „Mitschwimmen“ der schnellen Pedelecs kann man also nur in Tempo-30-Zonen sprechen. In der Innenstadt sind die Erfahrungen der von uns Befragten ähnlich. Nach dem Motto Probieren geht über Studieren hat auch der Chefredakteur dieses Magazins Reiner Kolberg in seiner Wahlheimat Köln einige gesammelt und stellt generell fest: „Schnelle E-Bikes sind eigentlich eine tolle Sache. Man kommt flott voran, passt die Geschwindigkeit aber auch entspannt an die Verkehrssituation an – ganz anders als beim Radfahren, denn zum Beschleunigen nach dem Abbremsen braucht man nur wenig Kraft. Wenn man sicher und gleichzeitig gesetzeskonform unterwegs sein will, steht man in der Praxis allerdings schnell vor unerwarteten und legal unlösbaren Problemen.“

Gefährlich und nicht zu Ende gedacht: Der Gesetzgeber zwingt S-Pedelecs in Deutschland auf ungeeignete Straßen, zu langen Umwegen oder illegalem Handeln.

Vom Gesetzgeber ausgebremst

Liegen auf der Fahrradroute etwa gegen die Fahrtrichtung freigegebene Einbahnstraßen, muss der S-Pedelec-Fahrer umdenken und neu planen. Denn gegen die Richtung fahren, selbst wenn es wie im Bildbeispiel nur 20 Meter sind, geht nur mit dem Fahrrad oder Pedelec. Mehrspurige Straßen in der City können zumindest gefühlt sehr gefährlich sein, wenn Autofahrer dort mit höherem Tempo unterwegs sind. Bei Stau steht auch das S-Pedelec – anders als das normale Fahrrad oder Pedelec, das gemütlich auf dem Radweg vorbeifahren kann. Der Geschwindigkeitsvorteil relativiert sich so schnell. Ein legal tatsächlich unlösbareres Problem: Viele Brücken sind gesetzeskonform mit dem S-Pedelec gar nicht passierbar. Denn vielfach sind die Fahrbahnen nur für Fahrzeuge ab 60 Stundenkilometer freigegeben oder sie können aufgrund des großen Geschwindigkeitsunterschieds nicht gefahrlos genutzt werden. Das Ausweichen auf den Radweg böte sich an, ist aber laut StVO verboten. Gleiches gilt für „Kompromisslösungen“ neben stark befahrenen, mehrspurigen Straßen, wo der danebenliegende Fußweg mit „Radfahrer frei“ gekennzeichnet ist. Bekanntes Beispiel: das Rheinufer an der Kölner Altstadt. Während Radfahrer und E-Biker hier bei Begegnungen mit Schrittgeschwindigkeit fahren müssen, hat ein S-Pedelec hier nichts zu suchen. Doch der schnellste Umweg über die Stadt dürfte zwei- bis dreimal so viel Zeit in Anspruch nehmen. Hochgefährlich und aus praktischer Sicht wenig nachvollziehbar ist die aktuelle Gesetzeslage auch in Bezug auf Bundesstraßen, auf die die „schnellen“, aber im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmern viel langsameren S-Pedelec-Fahrer gezwungen werden. Selbst wenn gleich nebenher ein Radweg oder sogar ein gut ausgebauter Radschnellweg vorhanden sein sollte. Von Selbstversuchen kann man hier nur abraten.

5000

Verkaufte S-Pedelecs pro Jahr
in Deutschland: 5.000 – Schweiz: 18.000

Von Europas S-Pedelec-Paradiesen lernen

Bei unseren südwestlichen Nachbarn ist das S-Pedelec ein wichtiger Bestandteil des täglichen Verkehrs: „In der Schweiz wurden 18.000 S-Pedelecs im Jahr 2018 verkauft“, so der dort beheimatete Journalist Urs Rosenbaum. Das sind etwa 12 Prozent der gesamten 135.000 E-Bikes 2018. Zum Vergleich: In Deutschland betrug die Zahl der verkauften Pedelecs zuletzt insgesamt knapp eine Million. Davon waren laut Zweirad-Industrie-Verband ZIV gerade einmal 0,5 Prozent S-Pedelecs – also etwa 5.000.
„Die Schweizer S-Pedelec-Zahl ist voraussichtlich noch leicht wachsend, die Kurve hat sich aber, nicht zuletzt aufgrund des enormen Erfolgs der E-Mountainbikes, etwas abgeschwächt“, erklärt der Geschäftsführer des Unternehmens Dynamot, das auch den „Marktreport Velohandel Schweiz“ herausgibt. Nach einer Statistik des alle fünf Jahre erscheinenden Mikrozensus von 2015 werden die schnellen Räder in der Schweiz zu 41 Prozent für den Arbeits- oder Ausbildungsweg genutzt. Mehr noch als normale Pedelecs (25 %) und Fahrräder ohne Motor (27 %). In der Schweiz wird das schnelle Rad also vor allem als Pendlerfahrzeug eingesetzt. Einen der Gründe für die Länderunterschiede sieht Urs Rosenbaum in der Infrastruktur, vor allem im Punkt Radwegbenutzungspflicht: „Bei uns muss auch mit dem S-Pedelec auf dem Radweg gefahren werden. Außerorts ist das auf jeden Fall sinnvoll. Darüber, die Verpflichtung für innerörtliche Radwege aufzuheben, wird derzeit wieder diskutiert.“ Wie in Deutschland sind übrigens auch in der Schweiz die Regelungen zur Benutzung des Radweges Bundessache.
Allerdings könnten diese in Zukunft aufgeweicht werden (siehe Interview mit Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer). Das schnelle Velo hat bei den Eidgenossen aber auch eine ganz andere Historie als in Deutschland: „Die ersten E-Bikes waren bei uns S-Pedelecs“, so Rosenbaum, „und es herrscht seit 20 Jahren volle Rechtssicherheit für Nutzer. Technische Vorgaben, Helmpflicht etc. – alles ist klar geregelt.“

Geschwindigkeitsgrenzen in den Niederlanden

Mopeds/Bromfietsen (45 km/h max.) und S-Pedelecs dürfen (und müssen dann auch) in den Niederlanden auf Fahrradwegen mit dem Zusatzschild „Bromfietspad“ fahren. Hier gilt dann eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h innerorts und 40 km/h außerorts. Nur auf der Straße dürfen 45 km/h gefahren werden. Auf Radschnellverbindungen wird die Nutzung von S-Pedelecs nach Einzelentscheidung und Untersuchungen zur Sicherheit auf der Straße zugelassen.

Wo die Möglichkeiten, da floriert der Markt

Auch als Hersteller kann man den Länderunterschied deutlich spüren. „Der Markt in Deutschland ist für S-Pedelecs praktisch nicht vorhanden“, sagt Ruud Sjamaar, der bei Klever Mobility, einem deutsch-taiwanesischen Hersteller und Tochter des Motorroller-Produzenten Kymco für die Benelux-Länder und die DACH-Region zuständig ist. „In der Schweiz und in Belgien ist die Akzeptanz am größten, die Niederlande holen gerade auf. In Belgien sprechen wir von gut fünf Prozent an S-Pedelecs,“ so der Manager der Marke Klever, die sich auf leistungsstarke Pedelecs und S-Pedelecs mit Heckmotor spezialisiert hat. Der vielleicht entscheidende Unterschied in der Infrastruktur: „In diesen beiden Ländern ist es so, dass der S-Pedelec-Fahrer innerstädtisch die Straße, auf dem Land den Radweg nutzt.“ Und: In Belgien werden Pedelecs und seit 2016 auch S-Pedelecs steuerlich gefördert: Wer mit dem E-Bike zur Arbeit kommt, für den gibt es pro Kilometer 23 Cent. In Deutschland, wo das S-Pedelec steuerrechtlich wie ein Auto behandelt wird, gibt es zwar die Möglichkeit, ein schnelles E-Bike zu leasen, das steuerlich dieselbe Vergünstigung bekommt wie der Dienstwagen. Meist bieten die Unternehmen aber nur Dienstwagen- und/oder E-Bike-25-Leasing an.

Meinungen von Verbänden und Experten

Die meisten deutschen Branchenverbände fordern rechtliche Nachbesserungen für die schnelle E-Bike-Klasse. „Das enorme Potenzial des S-Pedelecs wird sich nur entfalten, wenn sie auch auf Radwegen fahren dürfen – zumindest auf solchen, die dafür geeignet sind“, erklärt Dirk Sexauer, einer der Geschäftsführer des Branchenverbands Service und Fahrrad die Haltung des VSF. Ähnlich sieht man das beim Wirtschaftszusammenschluss Zweirad-Industrie-Verband ZIV: „Das Fahren mit S-Pedelecs muss sicherer werden! Außerörtliche Radwege sowie Radschnellwege und Fahrradstraßen sollten für S-Pedelecs freigegeben werden. Zudem wäre eine Geschwindigkeitsbegrenzung für S-Pedelecs ein denkbarer Ansatz, um das Fahren auch innerorts auf geeigneten Radwegen zu ermöglichen“, heißt es dazu in einem Themenpapier des Verbands.
Der ADFC als Vertreter der Fahrradfahrer sieht die Forderung nach Freigabe von Radwegen für S-Pedelecs im Hinblick auf die Sicherheit der langsameren Radfahrer und E-Bike-25-Fahrer sehr skeptisch. Allerdings betont Roland Huhn, ADFC-Referent Recht, in einem Beitrag in der Zeitschrift Radwelt, dass man die Ergebnisse der Tübinger Regeländerungen mit Spannung erwarte.
Die aktuelle Rechtslage absurd findet Tilman Bracher, Verkehrsforscher am Deutschen Institut für Urbanistik, wie er in einem Artikel in der Zeit betonte. „S-Pedelecs werden benutzt wie andere Pedelecs auch“, sagt er. Ihre Fahrer seien nicht schneller unterwegs, als es die Verkehrslage erlaubt. „Warum auch?“ Schließlich führen Porschefahrer in der Innenstadt auch nicht Tempo 200. S-Pedelecs böten Pendlern eine echte Chance, das Auto zu ersetzen. Das Problem sei die fehlende Lobby.
Für Mut zu neuen Lösungen plädiert auch der Bundesverband eMobilität (BEM): Einerseits würde im Hinblick auf den klassischen Autoverkehr eine Sicherheit postuliert, die es gar nicht gäbe, andererseits würden Gefährdungsszenarien in neuen Bereichen ausgemalt, die kaum eine Grundlage hätten. „Was wir brauchen, sind Testfelder für neue Mobilität, damit überhaupt erst einmal Erfahrungswerte gesammelt werden können“, so ein Sprecher des Verbands.

S-Pedelecs – rechtliche Bestimmungen in Deutschland

Anders als das Pedelec mit Unterstützung bis 25 km/h braucht das S-Pedelec, amtliche Typenbezeichnung L1-eB, zweirädriges Kleinkraftrad, eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen. Der Motor darf bis zu 4000 Watt Leistung haben, aber nur bis zum Vierfachen der Pedalkraft unterstützen. Benötigt wird mindestens ein Führerschein der Klasse AM („Rollerführerschein“), der beispielsweise im Führerschein Klasse B, PKW, enthalten ist. Inner- wie außerorts ist die Nutzung des Radwegs verboten (auch bei Kennzeichnung „Mofa frei“ oder „E-Bike frei“). Ein Fahrradhelm ist Pflicht. Wie beim Auto gilt eine Mindestprofiltiefe der Reifen von einem Millimeter und entsprechende Promille-Grenzen. Nicht erlaubt ist u. a. das Befahren von in Gegenrichtung freigegebene Einbahnstraßen sowie das Ziehen von Kinderanhängern.

Quelle: FIS/Forschungs-Informationssystem, Herausgeber: BMVI, Stand: 19.10.2019.


„Wenn der Bund nicht will, dann müssen es die Städte eben selbst machen“

Interview mit dem Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der einen Teil des örtlichen Radnetzes für S-Pedelecs freigegeben hat.

Herr Palmer, Sie konnten im November 2019 einen Teil des Radnetzes von Tübingen für die S-Pedelec-Nutzung freigeben. Wie groß ist der Bereich?
Das sind insgesamt 80 Einzelstrecken. Sie werden jetzt nach und nach für den S-Pedelec-Verkehr geöffnet und zu einem Netz zusammengeschlossen.

Was war das Ziel dabei?
Ich habe vor zehn Jahren selbst festgestellt, dass es bis 15 Kilometer Strecke kein schnelleres und dabei umweltfreundlicheres Fahrzeug gibt. Das sollte doch besser genutzt werden können. Die Ausnutzung der Vorteile wird durch die Infrastruktur unmöglich gemacht. Das fängt schon damit an, dass vom S-Pedelec-Fahrer auf Bundesstraßen geradezu Selbstmördertum erwartet wird. Dann habe ich gesehen, dass die Schweiz einen zehnmal höheren Anteil an S-Pedelecs hat. Das ist ein regulatorisches Problem.

Haben Sie sich an den Bundesverkehrsminister gewandt?
Ich habe mich nacheinander an drei Bundesverkehrsminister gewandt. Aber man wollte keine Veränderung. Dann habe ich schließlich mit dem Landesverkehrsministerium eine „Duldungslösung“ erreicht und konnte die Freigabe umsetzen.

Was waren die Hindernisse auf dem Weg dorthin?
Wie bei jeder Veränderung gibt es Streit – es soll ja am besten immer alles so bleiben wie bisher. Das Hauptargument war die vermeintlich fehlende Sicherheit durch die höhere Geschwindigkeit, die S-Pedelecs fahren können.

Wie kann man dem Argument einer unterstellten hohen Geschwindigkeit begegnen?
Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit wird beim Porsche-Fahrer nicht als Argument dafür gesehen, dass man ihn nicht in 30er-Zonen ließe. Und wenn man Autofahrern zutraut, die Geschwindigkeit anzupassen, dann sollte man das auch S-Pedelec-Fahrern zutrauen.

Wie war das Feedback auf die Änderungen?
Fast nur positive Reaktionen. An einen einzigen negativen Kommentar in der Zeitung kann ich mich erinnern.

Was kann man anderen Gemeindeverantwortlichen etc. empfehlen – wie packt man das an?
Ganz einfach: Sich das regionale Radroutennetz ansehen, feststellen, wo weist es Lücken auf und wie kann ich sie schließen – und dann Radstrecken freigeben.

Wie erreicht man die Akzeptanz in der Bevölkerung?
Großer Widerstand ist nirgends zu erwarten in Zeiten von Fridays for Future. Der Anzahl der Anfragen nach bei mir ist dagegen durchaus zu erwarten, dass bald einige Städte folgen. Wenn der Bund nicht will, dann müssen es die Städte eben selbst machen!


Bilder: Klever, Reiner Kolberg, Pixabay, Georg Bleicher, Manfred Grohe