Verbände erstellen Positionspapier mit Forderungen
Abbiegefehler von Kraftfahrenden sind die häufigste Ursache von Unfällen. Rechtsabbiegende Lkw sind dabei die Hauptverursacher von Radunfällen mit Todesfolge. Jedes Jahr sterben laut ADFC allein 30 bis 40 Radfahrende unter den Rädern von abbiegenden Lkw. Als Opfer überdurchschnittlich häufig betroffen seien Frauen, Kinder und Senior*innen auf dem Rad. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)
Beispielhafte Verkehrsführung „Protected Intersection“ in Vancouver, Kanada
Mit der Zunahme des städtischen Lkw- und Radverkehrs werden die Zahlen nach Einschätzung des Fahrradclubs ADFC und des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e. V. künftig weiter steigen.
Die Verbände haben deshalb im Februar 2020 mit einem gemeinsamen Positionspapier dringend an die Kommunalpolitik und die Transportbranche appelliert, mehr Sicherheit für Radfahrende zu schaffen. Gefordert wird ein Bündel von Maßnahmen:
• Kreuzungen sicher umbauen – Verkehrsströme räumlich trennen!
Um schwere Unfälle an Kreuzungen zu verhindern, müssen Lkw und Rad- sowie Fußverkehr räumlich getrennt und gute Sichtbeziehungen hergestellt werden. Die Bundesmittel für den Radverkehr aus dem Klimapaket sollen zur schnellen Entschärfung von Kreuzungen durch Sicherheitselemente, wie aufgepflasterte Schutzinseln und deutlich vorgezogene Haltelinien, genutzt werden.
• Grünphasen trennen – Ampelschaltungen entschärfen!
Geradeausfahrender Radverkehr und rechts abbiegende Kfz sollten nicht gleichzeitig Grün haben. Die Lösung sind getrennte Ampelphasen für die unterschiedlichen Verkehrsströme. Kürzere Grünphasen für den Kfz-Verkehr sind zugunsten der Verkehrssicherheit und der Gleichberechtigung der Verkehrsarten in Kauf zu nehmen.
• Lkw-Abbiegeassistenten – zum Standard machen!
Der verpflichtende Einbau von Lkw-Abbiegeassistenten muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Bis die europaweite Pflicht greift, müssen Kommunen ihre Fuhrparks freiwillig mit Abbiegeassistenten aus- beziehungsweise nachrüsten. Auch an Transportunternehmen geht der Appell, Lkw-Flotten mit Abbiegeassistenten nachzurüsten und die Fördermittel des Bundes aus der „Aktion Abbiegeassistent“ zu nutzen. Hersteller müssen schnellstmöglich Abbiegeassistenten mit Notbremsfunktion marktreif entwickeln.
• Sichere Anfahrt zu Baustellen – nur konfliktarme Routen!
Bei großen innerstädtischen Bauvorhaben müssen Kommunen darauf achten, dass die Anfahrtsrouten der Baustellenfahrzeuge möglichst konfliktarm geplant werden. Hauptachsen des Radverkehrs und Baustellenverkehr müssen wo immer möglich voneinander getrennt sein.
• Toten Winkel überwinden – Verkehrsteilnehmende sensibilisieren
Theoretisch gibt es seit der Einführung der vorgeschriebenen Zusatzspiegel an Lkw im Jahr 2007 keinen Toten Winkel mehr. In der Praxis kann der Fahrer / die Fahrerin während eines komplexen Abbiegevorgangs nicht alle Spiegel gleichzeitig im Auge behalten. Toter-Winkel-Kampagnen sind daher genauso irreführend wie die Aussage, der Lkw-Fahrer/die Lkw-Fahrerin könne stets alles überblicken. Alle Verkehrsteilnehmenden müssen für die Gefahr sensibilisiert werden. Vor Fahrtantritt müssen Lkw-Fahrer*innen auf freie Sicht und die richtige Spiegeleinstellung achten.
• Unfallforschung verbessern – Forschungslücke Kreuzungsdesign schließen
ADFC und BGL beklagen eine Forschungslücke zur Bewertung unterschiedlicher Kreuzungs- und Signalisierungsarten. Diese muss geschlossen werden. Auf Basis dieser Forschung müssen neue Design-Standards für sichere Straßen und Kreuzungen entwickelt und schnell in den technischen Regelwerken verankert werden. Schwere Unfälle müssen auch im Hinblick auf die Verbesserung der Infrastruktur systematisch ausgewertet werden.
Auf Bundes- und EU-Ebene setzt sich der ADFC für folgende Maßnahmen ein:
• Elektronische Warnsysteme und Abbiegeassistenten, die den Lkw im Gefahrenfall automatisch stoppen.
• Tief gezogene Windschutz- und Seitenscheiben, die Fußgänger und Radfahrende vor und neben dem Lkw für den Fahrer sichtbarer machen.
BMVI verweist auf EU-Regelungen und nationales Förderprogramm
Die österreichische Hauptstadt Wien hat Lkw über 7,5 Tonnen ohne Abbiegeassistenten ab April dieses Jahres von ihren Straßen verbannt. In Deutschland verweist das Bundesverkehrsministerium auf die europaweite schrittweise Einführung von Abbiegeassistenten, die aber erst 2024 für alle Neufahrzeuge wirksam wird und die Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen nicht miteinschließt. Stattdessen setzt das BMVI seit 2018 auf nationale Geldanreize und eine freiwillige Selbstverpflichtung. Die Förderung des BMVI betrifft „Nutzfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen und Kraftomnibusse mit mehr als neun Sitzplätzen einschließlich Fahrersitzplatz, die im Inland für die Ausübung gewerblicher, freiberuflicher, gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Tätigkeit angeschafft und betrieben werden.“ Im Haushalt 2020 stehen laut BMVI erneut rund zehn Millionen Euro für die Umsetzung des Förderprogramms zur Verfügung. Förderrichtlinie, Informationen zur Antragstellung sowie Fragen und Antworten zum Förderprogramm finden Sie auf der Homepage des Bundesamts für Güterverkehr (BAG).
Bilder: ADFC -Jens-Lehmkühler, Madi Carlson/familyride