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Wo parkt das Lastenrad?

Transporträder werden als Autoersatz für Privatleute und Gewerbetreibende immer interessanter. Aber vielerorts fehlen noch geeignete Stellplätze im öffentlichen Raum. Die Fachhochschule Erfurt hat im Mai einen Planungsleitfaden für Kommunen veröffentlicht. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2022, Juni 2022)


Als Claudia Hille 2016 mit dem ersten freien Lastenrad „Ella“ durch Erfurt fuhr, wurde die promovierte Soziologin noch regelmäßig an Ampeln und Fahrradständern auf ihr Gefährt angesprochen. Damals waren die mitunter fast drei Meter langen Transporträder in der 200.000-Einwohner-Stadt noch ein ungewohnter Anblick, inzwischen gehören sie zum Stadtbild. Damit liegt Erfurt im Trend. 103.200 Transporträder wurden laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) allein im Jahr 2020 verkauft, 78.000 mit, 25.200 ohne Motor. 2016 lagen die Verkaufszahlen noch so niedrig, dass der Verband nur die verkauften E-Cargobikes zählte. Das waren damals 15.125. Die Nachfrage nach dem klimafreundlichen Autoersatz ist also rasant gestiegen – und mit ihr auch das Konfliktpotenzial um den Platz auf der Straße, insbesondere beim Parken.
Spezielle Stellplätze für Transporträder sind im öffentlichen Raum eine Seltenheit. Zwar dürfen sie rein rechtlich auf dem Gehweg abgestellt werden, aber dort behindern sie oft Fußgänger, insbesondere jene mit Kinderwagen oder Menschen, die mit Gehhilfen oder Rollstühlen unterwegs sind. Im Mai hat Claudia Hille, Geschäftsführerin am Institut Verkehr und Raum an der Fachhochschule Erfurt, mit ihrem Team den Planungsleitfaden „Abstellanlagen für Lastenfahrräder in Nachbarschaften“ (ALADIN) veröffentlicht. Im Rahmen des gleichnamigen Projekts, das vom Bundesverkehrsministerium bis Ende des Jahres gefördert wird, haben sie erstmals Qualitätsstandards für Abstellanlagen zum Kurz- und Langzeitparken festgelegt. Außerdem haben sie ein Berechnungstool entwickelt, das unter anderem den Bedarf an Cargobike-Stellplätzen in verschiedenen Quartieren ermittelt. Noch bis zum Jahresende begleitet das Erfurter Team zudem vier Modellkommunen – München, Hannover, Leipzig und Nordhausen – bei der Umsetzung passgenauer Abstellanlagen.
Der Bedarf ist bereits jetzt groß und werde noch deutlich zunehmen, so die Verkehrsforschung. 5,2 Millionen Cargobikes könnten laut Claudia Hille im Jahr 2030 in Deutschland unterwegs sein. „50 Prozent davon im Privatbesitz, 50 Prozent gewerblich“, sagt sie. Größe und Gewicht, aber auch der Wert von Lastenfahrrädern erforderten neue Konzepte zum sicheren und komfortablen Abstellen. Die sonst zum Fahrradparken genutzten Möglichkeiten, wie Hinterhöfe, Hausflure und Kellerräume, sind für Lastenräder nur selten geeignet. In schmalen Fluren fehlt der Platz zum Rangieren, und fürs Runtertragen ins Untergeschoss sind die Räder zu schwer. Deshalb brauchen die Nutzer und Nutzerinnen von Lastenrädern leicht zugängliche Stellplätze im öffentlichen Raum.

5,2 Mio.

Cargobikes könnten im Jahr 2030
in Deutschland unterwegs sein

Das Standardmaß für einen Lastenradstellplatz beträgt 2,7 Meter Länge und einen 1 Meter Breite. Auf der Fläche eines PKW-Parkplatzes können demnach drei Lastenräder im 45-Grad-Winkel schräg aufgestellt werden

Erste Cargobike-Stellplätze markiert

Bei der Gestaltung unterscheiden die ALADIN-Planerinnen und Planer zwischen Anlagen für Kurz- und Langzeitparker. Für Kurzzeitparker gibt es leicht umsetzbare Lösungen am Straßenrand. Denn rein rechtlich dürfen Transporträder am Fahrbahnrand auf kostenpflichtigen (Kfz-)Parkplätzen abgestellt werden. In Hamburg geht das seit Dezember 2021 sogar kostenlos. „Lastenräder sind in der Straßenverkehrsordnung nicht als Kraftfahrzeuge klassifiziert und können deshalb nicht mit Parkgebühren belegt werden“, erklärt der Sprecher der Stadt. Aus Angst vor Vandalismus und um die Mobilitätswende stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken, bauen erste Städte Kfz-Stellplätze komplett in Lastenradstellplätze um. Im Berliner Bezirk Neukölln wurden vier Parkplätze beispielsweise ausschließlich für Transporträder umgestaltet. Auch Hannover probiert verschiedene Modelle aus. Neben reinen Lastenradstellplätzen unterbindet die niedersächsische Landeshauptstadt beispielsweise das regelwidrige Parken im Kreuzungsbereich, indem sie mit Pollern die Flächen absperrt und Fahrradbügel für Transporträder aufstellt. In Düsseldorf wird diese Idee ebenfalls umgesetzt.
„Wichtig ist, dass der Zugang zu den Stellplätzen für die Nutzer komfortabel und sicher ist“, sagt Claudia Hille. Die Radfahrer*innen brauchten ausreichend Platz zum Be- und Entladen der Räder und zum Rangieren. Im Rahmen von ALADIN hat ihr Team die Längen und Breiten verschiedener Lastenradmodelle erfasst. Als Standardmaß für Stellplätze haben sie eine Länge von 2,7 m und eine Breite von einem Meter Breite festgelegt. Auf der Fläche eines typischen Pkw-Parkplatzes längs zur Fahrbahn können demnach drei Räder im 45-Grad-Winkel schräg aufgestellt werden. Befindet sich der Parkplatz quer zur Fahrbahn, passen vier parallel aufgestellte Räder auf die vorhandene Fläche. „Zum Anschließen eignen sich Bodenanker oder verkürzte Fahrradbügel, die etwas niedriger sind als herkömmliche Bügel“, sagt sie. Zur besseren Sichtbarkeit sollten sie farbig markiert und mit Pollern begrenzt werden.

„Multifunktionsanlagen stehen für den Wandel und dürfen auch ästhetisch sein“

Claudia Hille, Institut Verkehr und Raum an der Fachhochschule Erfurt

Mehrwert für Kommunen

Abstellanlagen für Langzeitparker sind dagegen deutlich anspruchsvoller. Sie müssen die teuren Räder vor Diebstahl und Witterung schützen und sollen ins Stadtbild passen. „Als Stadtmöbel können sie durchaus einen Mehrwert für die Anwohner schaffen“, sagt die Soziologin. Clever platziert und mit Bänken oder Hochbeeten kombiniert, schaffen sie einen Platz zum Verweilen. Die Design-Vorschläge der Studentinnen und Wissenschaftlerinnen im ALADIN-Projekt reichen vom schlichten Fahrradständer mit integrierter Sitzbank bis hin zur klimaresilienten Multifunktionsanlage. In dieser ist das Dach begrünt, eine Service-Station stellt Druckluft und Werkzeug bereit, für E-Bike-Akkus gibt es einen Ladepunkt und es gibt WLAN. „Der Internetzugang macht vor allem an Umsteigepunkten des Bus- und Bahnverkehrs Sinn“, sagt Claudia Hille. Für sie sind die Multifunktionsanlagen außerdem ein deutlich wahrnehmbares Symbol für die Mobilitätswende. „Sie stehen für den Wandel und dürfen auch ästhetisch sein“, sagt sie.
Wie unterschiedlich die Anforderungen an Abstellanlagen sein können, zeigt Nordhausen, eine der
ALADIN-Modellkommunen. In der 40.000-Einwohner-Stadt im Südharz ist der Radanteil vergleichsweise gering. „Die genaue Auswertung der Mobilitätserhebung steht noch aus, aber wir schätzen ihn auf etwa sechs Prozent“, sagt Petra Diemer, Mitarbeiterin im Amt für Stadtentwicklung und Koordinatorin für das integrierte Mobilitätskonzept in Nordhausen. Entsprechend niedrig sei auch der Anteil an Lastenrädern in der Stadt. „Allerdings steigt mit dem E-Bike der Anteil der Radfahrer deutlich“, sagt sie. In der Innenstadt seien genügend Radbügel und Abstellanlagen für herkömmliche Fahrräder vorhanden sowie ausreichend Bänke oder Cafés zum Verweilen. „Was fehlt, sind geeignete Abstellanlagen für Lastenräder und für E-Bikes mit integrierter Ladestation“, sagt sie.

Kreuzungsbereiche bieten viel schnell umzusetzendes
Potenzial für Lastenradstellplätze.

Raum für Lastenrad, Rollstuhl und Kinderwagen

Noch wichtiger als Kurzzeitstellplätze in der Innenstadt sind für die Stadtentwicklerin Diemer Abstellanlagen in den Wohnquartieren. „Ein großer Teil der Wohnungen in Nordhausen befinden sich in Plattenbau-Siedlungen“, sagt sie. Im Rahmen des Stadtumbaus und der Kooperation mit der Internationalen Bauausstellung Thüringen werden aktuell drei Plattenbau-Wohnblöcke der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft (SWG) saniert und klimagerecht umgebaut. Im Zuge des Umbaus wird auch die Mobilität im Quartier umstrukturiert. Momentan parken die Autos im Innenhof des u-förmigen Plattenbauquartiers. „Der Platz wird entsiegelt und begrünt. Die Stellplätze rücken an den Rand des Quartiers“, sagt Petra Diemer. Um den zukünftigen Bewohnern den Verzicht aufs Auto leicht zu machen, soll in dem Innenhof eine moderne Fahrradabstellanlage entstehen. Bei der Ausstattung denken die Stadtplanerin und die SWG multimodal. „Neben der Fahrradmobilität berücksichtigen wir auch den demografischen Wandel“, sagt sie. Das heißt: Es wird Raum für Fahrräder, Lastenräder und Fahrradanhänger geben, aber es werden auch Flächen für Kinderwagen oder Gehhilfen wie Rollatoren oder E-Rollstühle eingeplant.

Stellplatzschlüssel fürs Transportrad

Hilfreich für die Planung ist das ALADIN-Tool, das den potenziellen Stellplatzbedarf für 2030 berechnet. Claudia Hille hat mit ihrem Team für neun unterschiedliche Quartierstypen Stellplatzschlüssel entwickelt. Der entsprechende Algorithmus basiert auf Daten zur sozialen, geografischen und räumlichen Struktur sowie der Kaufbereitschaft der Menschen vor Ort. In gründerzeitlichen Mischquartieren wie dem Prenzlauer Berg in Berlin liegt der errechnete Stellplatzschlüssel für Lastenräder beispielsweise bei 24,6. Demnach werden im Jahr 2030 dort rund 25 Lastenrad-Stellplätze pro 1000 Einwohner gebraucht. Dieser Platzbedarf könnte mit der Umwidmung von acht Pkw-Parkplätzen gedeckt werden. In Mehrfamilienhausgebieten am Ballungsrand großer Städte sinkt der Bedarf hingegen auf drei bis vier Pkw-Parkplätze. Wenn sie in den 1990er-Jahren gebaut oder saniert wurden, sind den ALADIN-Berechnungen zufolge hier etwa elf Transporträder pro 1000 Einwohner unterwegs. In Kommunen mit ländlich geprägten Dorfkernen wie Creuzburg (2500 Einwohner) im Westen Thüringens wären immerhin noch vier Transporträder pro 1000 Einwohner unterwegs. Hier genügt es, einen Parkplatz umzuwidmen.
„Der Leitfaden ist eine Planungshilfe für die Kommunen, aber auch der Appell ‚Traut euch‘“, sagt Claudia Hille. Sie will die Planerinnen und Planer ermutigen, zügig Pkw-Stellplätze für Cargobikes umzuwidmen. „Lastenräder sind ein Puzzleteil der Verkehrswende“, sagt sie. Wenn sichere Stellplätze vor der Haustür existieren, erleichtere das den Umstieg auf ein Cargobike.


10 Regeln für die Planung von Lastenradabstellanlagen

  1. Schutz vor Diebstahl
  2. Vandalismus bannen
  3. Zugänglichkeit für alle Nutzergruppen
  4. Serviceelemente prüfen
  5. Einfügen in das Straßenbild
  6. Nutzungskonflikte vermeiden
  7. Vorhandene Pkw-Flächen nutzen
  8. Bedürfnisse der Nutzer*innen prüfen
  9. Witterungsschutz ermöglichen
  10. Verknüpfung von Stadt- und Sozialräumen

Die Planungshilfe zum Downloaden und weitere Infos zu ALADIN gibt es auf der Projekt-Webseite https://www.wohin-mit-dem-lastenrad.de


Bilder: Fachhochschule Erfurt (FHE) – Institut Verkehr und Raum, Stadt Hannover